Die Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution bot 1989 nicht nur Gelegenheit zum Feiern, sondern auch zum polemischen Schlagabtausch. Philippe de Villiers, damals Präsident des Conseil Général der Vendée, hätte wohl am liebsten gar nicht gefeiert. In einer “Lettre ouverte aux coupeurs de têtes et aux menteurs du Bicentennaire”1 führte er die “wahre Geschichte”2 der Revolution gegen ihre Zweihundertjahrfeier ins Feld. Für Pierre Chaunu wird das Jubiläum zum “grand déclassement”.3 In die gleiche Richtung zielte auch die Doktorarbeit von Reynald Secher4, in der der Autor die These aufstellte, die Bevölkerung der Vendée sei einem “génocide franco-francais” zum Opfer gefallen. In den Medien begann mit einem Artikel vom 11.Oktober 1986 im Figaro-magazine eine Kampagne gegen das Jubiläum5. Auf Seiten der Freunde der Revolution, kritisierte Daniel Bensaïd den angeblich mangelnden Enthusiasmus der Organisatoren6. Andere stellten vor 1989 den Sinn eines Jubiläums in Frage7. Am Ende der Feierlichkeiten konstatiert schließlich François Furet eine umfassende Umdeutung der Revolution infolge der Revolutionen in Osteuropa8. Die Organisatoren der Mission du Bicentennaire et de la Déclaration des Droits de l’Homme sahen schließlich – man ahnt es – in der Deklaration der Menschen-und Bürgerrechte das zentrale Element der Französischen Revolution.
Nun hatte wohl auch Philippe de Villiers grundsätzlich nichts gegen die Menschenrechte, und auch der Direktor der Mission Jean-Noël Jeanneney wußte, dass es im Verlauf der Revolution zu zahlreichen Gewalttaten gekommen ist. In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Rolle die Französische Revolution für das “kollektive Gedächtnis” der Franzosen spielt und wie dieses Gedächtnis aus Anlass der Zweihundertjahrfeier artikuliert und rekonstruiert wird. Die zentrale Frage der Diskussion lautete nämlich gar nicht: “Was ist während der Revolution passiert?”, sondern: “Welche Elemente der Revolution sind heute im nationalen Rahmen noch erinnerbar?” Dabei werden während der Gedenkfeiern zahlreiche Gruppen aktiv, die jeweils ihre Version der Vergangenheit als national verbindlich darstellen wollen9. Zugleich bemühen sich staatliche Organe um eine Deutung, die zum einen möglichst konsenzfähige Werte in den Vordergrund stellt, zum anderen die Kontinuität der Nation betont [...]
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- DAS KOLLEKTIVE GEDÄCHTNIS
- Individuum und Gemeinschaft
- Beziehungen zwischen Gruppen
- Raum und Zeit
- Die Kommemoration
- DIE FRANZÖSISCHE REVOLUTION IN DEN GEDÄCHTNISSEN DER FRANZOSEN
- DIE ZWEIHUNDERTJAHRFEIER DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION
- Akteure
- Welches Gedächtnis?
- Revolution als Ereignis
- Und der Erfolg?
- SCHLUSS
- LITERATUR
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution im Jahr 1989 und untersucht, wie sich dieses Ereignis im kollektiven Gedächtnis der Franzosen niederschlägt. Die Arbeit beleuchtet, wie verschiedene soziale Gruppen die Revolution erinnern, welche Erinnerungen in den Vordergrund gestellt werden und welche verdrängt werden. Dabei wird insbesondere die Rolle der Kommemoration als Instrument der staatlichen Geschichtspolitik und der Konstruktion nationaler Identität beleuchtet.
- Das kollektive Gedächtnis und seine Funktionen
- Die Französische Revolution als Gründungsmythos
- Die Rolle der Kommemoration im nationalen Rahmen
- Die Bedeutung der Erinnerungskultur für die Konstruktion nationaler Identität
- Die Ambivalenz des revolutionären Erbes
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution als Anlass für eine breite Debatte über die Erinnerung an dieses Ereignis vor. Sie zeigt, wie unterschiedliche Gruppen die Revolution interpretieren und welche Konflikte sich daraus ergeben. Das Kapitel „Das kollektive Gedächtnis“ beleuchtet die Theorien von Maurice Halbwachs und Pierre Nora, die die Bedeutung der Erinnerung für die Konstruktion von Identität und die Abgrenzung von Gruppen hervorheben. Es werden verschiedene Formen der Erinnerung und der Vermittlung von Geschichte, wie beispielsweise die Kommemoration, analysiert.
Das Kapitel „Die Französische Revolution in den Gedächtnissen der Franzosen“ befasst sich mit den unterschiedlichen Erinnerungen an die Revolution, die in verschiedenen sozialen Gruppen existieren. Es werden Beispiele für die Erinnerungskultur von Schülern, Einwohnern der Vendée, Dorfbewohnern und Immigranten aus ehemaligen französischen Kolonien vorgestellt. Der Fokus liegt dabei auf den jeweiligen Selbstbildern und den unterschiedlichen Interpretationen der Revolution.
Das Kapitel „Die Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution“ analysiert die Kommemoration als Ereignis und stellt die Akteure und die Gestaltungsmöglichkeiten der Feierlichkeiten vor. Es werden verschiedene Formen der Kommemoration, wie beispielsweise die Pantheonisierung von Persönlichkeiten und die Inszenierung von Festen, untersucht. Außerdem wird die Frage nach dem Erfolg der Feierlichkeiten und deren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis der Franzosen behandelt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Französische Revolution, das kollektive Gedächtnis, die Kommemoration, nationale Identität, Erinnerungskultur, soziale Gruppen, politische Geschichte, Geschichtspolitik, Frankreich, Vendée, Immigranten, Menschenrechte und die Debatte um die Interpretation der Revolution.
- Quote paper
- Kristin Klank (Author), 2002, Die Erinnerung an die Französische Revolution am Beispiel ihrer 200-Jahrfeier, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11577
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