Berufliche Bildung kann zur Erreichung dieser Ziele erheblich beitragen. Voraussetzung dafür ist, dass sie für alle Bevölkerungsgruppen offen steht und sich an den besonderen Lebenssituationen der Armen orientiert. Inwiefern dies in Tansania gewährleistet ist, soll in dieser Ausarbeitung untersucht werden. Sie soll eine Antwort auf die folgende Fragestellung geben: ● Frage I: Welche Konzepte des Lehrens und Lernens kommen in der beruflichen Bildung in Tansania zur Anwendung? ● Frage II: Welche dieser Konzepte erweisen sich als nachhaltig und angepasst und wie können sie miteinander kombiniert werden, um zur Armutsminderung und Entwicklung beizutragen? Den Einstieg in die Thematik gibt die Vorstellung Tansanias in Kapitel 2. Geographische und demographische Daten sowie Informationen zu Wirtschaft und Politik vermitteln einen Eindruck von den Gegebenheiten des Landes. In Kapitel 3 werden Begrifflichkeiten der beruflichen Bildung erklärt, die in dieser Ausarbeitung Anwendung finden werden und zum Verständnis der folgenden Kapitel notwendig sind. Zur weiteren systematischen Bearbeitung der Fragestellung konzentriert sich das Kapitel 4 auf die geschichtliche Entwicklung der beruflichen Bildung in Tansania. Ähnlich wie die Vereinten Nationen hat sich auch die Regierung Tansanias Ziele für die zukünftige Entwicklung gesetzt. Diese Ziele und welche Bedeutung sie für die berufliche Bildung in Tansania haben gibt das Kapitel 6 wieder und schließt damit die Beantwortung der gestellten Frage 1 ab. Nach Vermittlung der Grundlagen und Darstellung des Forschungsstandes wird anhand der Ergebnisse einer im Frühjahr 2006 durchgeführten Feldforschung die Fragestellung 2 untersucht. Wie diese Forschung methodisch durchgeführt wurde wird in Kapitel 7 erläutert. Die Ausarbeitung der Forschungsergebnisse sowie die daraus gezogenen Schlussfolgerungen finden sich in Kapitel 8. Das abschließende Fazit dient der Verdichtung und Diskussion der Arbeitsergebnisse sowie ihrer Reflexion durch die Autorin.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Darstellung Tansanias
2.1 Das Land
2.2 Die Menschen
2.3 Die Regierung
2.4 Die Wirtschaft
3 Definitionen zur beruflichen Bildung
3.1 Organisationsformen
3.2 Wirtschaftssektoren
3.3 Ausbildungsmodelle
3.4 Finanzielle Trägerschaft
4 Im Spiegel der Geschichte: Berufliche Bildung in Tansania
4.1 Formale berufliche Bildung
4.1.1 Ujamaa-Sozialismus (1974-1985)
4.1.2 Reformen zur Armutsreduzierung (1985–1995)
4.1.3 Gründung der VETA (1995-1999)
4.2 Non-formale berufliche Bildung
4.3 Informelle berufliche Bildung
4.3.1 Entwicklung des informellen Sektors
4.3.2 Rekrutierung des informellen Sektors
4.4 Zusammenfassung
5 Herkömmliche Konzepte der beruflichen Bildung in Tansania
5.1 Konzept der formalen beruflichen Bildung
5.2 Konzepte der non-formalen beruflichen Bildung
5.3 Konzepte der informellen beruflichen Bildung
6 Aktuelle Entwicklung zur beruflichen Bildung in Tansania
6.1 Hintergrund der Vision 2025
6.2 VETA und die Vision 2025
6.3 Zusammenfassung
7 Methode der durchgeführten Feldforschung
7.1 Leitfaden gestützte Experteninterviews
7.2 Planung und Durchführung
7.2.1 Vorbereitung des Leitfadens
7.2.2 Zur Auswahl der Experten
7.2.3 Vorstellung der Experten
7.2.4 Schwierigkeiten während der Feldforschung
7.2.5 Zur Auswertung der Experteninterviews
8 Auswertung der Feldforschung
8.1 CBET
8.2 Life-Skills und das Selbstbewusstsein der Auszubildenden
8.3 Förderung des informellen Sektors
8.4 Non-formale Bildung und Short Courses
8.5 Kooperation mit Staat und Wirtschaft
8.6 Armutsreduzierung durch berufliche Bildung
8.7 Entwicklungspolitische Aspekte
9 Fazit
10 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Organisationsformen der beruflichen Bildung
Abbildung 2: Wirtschaftssektoren, für die berufliche Bildung erfolgt
Abbildung 3: Konzepte der beruflichen Bildung
Abbildung 4: Träger der beruflichen Bildung
Abbildung 5: Ausbildungssystem in Tansania 1965-1974
Abbildung 6: Ausbildungssystem in Tansania 1974-1999
Abbildung 7: Ausbildungssystem in Tansania seit 1999
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Institutionen für berufliche Bildung in Tansania
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Aus dem Fabriksystem, [...] entspross der Keim der Erziehung der Zukunft, welcher für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen.“1
Der hier von Karl Marx umschriebene Begriff der beruflichen Bildung als Erziehung der Zukunft erlangt heute neue Relevanz. So benennt die gegenwärtige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, Bildung und Ausbildung als Chance, kulturelle, soziale, ökonomische und politische Teilhabe zu vermitteln.2 Auch im Rahmen der Globalisierung gewinnt berufliche Bildung an Bedeutung. So konstatiert die Weltbank:
„Skills acquisition is vital for an economy to compete and grow, particularly in an era of economic integration and technological change”3
Neben der Konkurrenzfähigkeit ermöglicht berufliche Bildung vor allem, und dies steht im Interesse dieser Ausarbeitung, wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die im Kontext der Entwicklungsländer primär zur Armutsreduzierung beiträgt.
Armutsreduzierung wiederum ist das primäre Ziel der Millennium Development Goals (MDGs). In einer gemeinsamen Erklärung der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahre 2000 Staatsund Regierungschefs von 147 Ländern ein weitreichendes Programm zur Armutsbekämpfung. In diesem werden acht Ziele formuliert, die bis zum Jahr 2015 die Armut weltweit halbieren sollen.4 Die internationale Entwicklungszusammenarbeit orientiert sich an diesen Zielen.
Berufliche Bildung kann zur Erreichung dieser Ziele erheblich beitragen. Voraussetzung dafür ist, dass sie für alle Bevölkerungsgruppen offen steht und sich an den besonderen Lebenssituationen der Armen orientiert. Inwiefern dies in Tansania gewährleistet ist, soll in dieser
Ausarbeitung untersucht werden. Sie soll eine Antwort auf die folgende Fragestellung geben:
- Frage I:
Welche Konzepte des Lehrens und Lernens kommen in der beruflichen Bildung in Tansania zur Anwendung?
- Frage II:
Welche dieser Konzepte erweisen sich als nachhaltig und angepasst und wie können sie miteinander kombiniert werden, um zur Armutsminderung und Entwicklung beizutragen?
Den Einstieg in die Thematik gibt die Vorstellung Tansanias in Kapitel 2. Geographische und demographische Daten sowie Informationen zu Wirtschaft und Politik vermitteln einen Eindruck von den Gegebenheiten des Landes.
In Kapitel 3 werden Begrifflichkeiten der beruflichen Bildung erklärt, die in dieser Ausarbeitung Anwendung finden werden und zum Verständnis der folgenden Kapitel notwendig sind.
Zur weiteren systematischen Bearbeitung der Fragestellung konzentriert sich das Kapitel 4 auf die geschichtliche Entwicklung der beruflichen Bildung in Tansania. Diese Entwicklung ist eng mit der politischen und wirtschaftlichen Geschichte des Landes verbunden und wird vor deren Hintergrund diskutiert. Aufbauend auf diese organisatorischen Grundlagen werden in Kapitel 5 die herkömmlichen Konzepte der beruflichen Bildung vorgestellt.
Ähnlich wie die Vereinten Nationen hat sich auch die Regierung Tansanias Ziele für die zukünftige Entwicklung gesetzt. Diese Ziele und welche Bedeutung sie für die berufliche Bildung in Tansania haben gibt das Kapitel 6 wieder und schließt damit die Beantwortung der gestellten Frage 1 ab.
Nach Vermittlung der Grundlagen und Darstellung des Forschungsstandes wird anhand der Ergebnisse einer im Frühjahr 2006 durchgeführten Feldforschung die Fragestellung 2 untersucht. Wie diese Forschung methodisch durchgeführt wurde wird in Kapitel 7 erläutert. Die
Ausarbeitung der Forschungsergebnisse sowie die daraus gezogenen Schlussfolgerungen finden sich in Kapitel 8.
Das abschließende Fazit dient der Verdichtung und Diskussion der Arbeitsergebnisse sowie ihrer Reflexion durch die Autorin.
Wenn mir die Frage gestellt würde, warum diese Forschung vor Ort in Tansania durchgeführt wurde und ob eine reine Recherche entsprechender Dokumente nicht den selben Zweck erfüllt hätte, greift meine Antwort auf die Erfahrungen zurück, die ich während meines letzten Aufenthaltes in Tansania gesammelt habe. Dokumente und Berichte der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit aber auch der lokal und national Verantwortlichen unterliegen in der Regel zwei Motivationen. Zum einen beschreiben sie eine bestimmte Thematik, entsprechende Lösungsansätze, Vorgehensweisen und Ergebnisse; zum anderen sollen die eigene Organisation, das eigene Land oder sonstige eigene Interessen mit diesen Dokumenten wahr genommen werden. Diese zwei Faktoren können zu Widersprüchen führen, so dass als Ergebnis ein einseitiges oder unvollständiges Dokument veröffentlicht wird. Diese Dokumente sind zum Teil nicht wissenschaftlich erhoben oder beantworten nicht unbedingt die spezifische Fragestellung meiner Arbeit. Da ich die Menschen in den Mittelpunkt meiner Arbeit stelle und deren alltägliche Situation vor dem Hintergrund beruflicher Bildung untersuche, war es notwendig mit eben diesen Menschen in Kontakt zu treten, mich in ihrem Umfeld zu bewegen und mit ihnen Gespräche und Interviews zu führen.
Anmerkung
Der Begriff der beruflichen Bildung wird im Rahmen dieser Ausarbeitung gleichbedeutend mit den Begriffen Ausbildung und Qualifikation verwendet.
Zur Erleichterung des Schreibens und Lesens wird in dieser Ausarbeitung meist die männliche Form verwendet. Gemeint seien jedoch stets beide Geschlechter in gleichberechtigter Form.
2 Darstellung Tansanias
Die ostafrikanische Vereinigte Republik Tansania besteht aus dem ehemaligen Festland Tanganjikas und der Inselgruppe Sansibar. Mit einer Fläche von 945.087 km² ist Tansania 2,5 mal so groß wie Deutschland.
Nach Informationen der Weltbank gehört Tansania zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Das Land ist geprägt von seiner knapp hundertjährigen Vergangenheit europäischer Kolonialherrschaft. Von 1885 bis 1918 gehörte Tansania zu Deutsch-Ostafrika. Nach der Kapitulation der Deutschen im Ersten Weltkrieg ging es in den Besitz des Britischen Empires über. Seine völkerrechtliche Unabhängigkeit erlangte Tansania am 9. Dezember 1961.
2.1 Das Land
Das Festland setzt sich aus drei geographischen Zonen zusammen. Ein schmaler Küstenstreifen (NN-1070m) am indischen Ozean geht in ein ausgedehntes Plateau (1070-1370m) im Landesinneren über, welches von mehreren Bergregionen durchzogen ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 . 1 : T ansan i a und seine Regionen
Das regenreiche Küstengebiet verfügt über sehr fruchtbaren Boden. In der nordöstlichen Region Tanga gedeihen mannigfaltige Früchte, Gemü se und Getreide. Auf dem Plateau im Hinterland werden im Jahresdurchschnitt nur geringe Niederschläge gemessen, was entsprechend negativen Folgen für die gesamte Wirtschaft mit sich bringt. Im Süden Tansanias kommt es regelmäßig zu besonders langen Trockenzeiten mit gravierenden Folgen für Menschen und Tiere.
Die maßgeblichen Rohstoffquellen Tansanias sind Zinn, Phosphor, Eisenerz, Kohle, Diamanten, Gold, Erdgas und Nickel. Des weiteren besteht ein erhebliches Potenzial an Wasserkraft, woraus der größte Teil der verwendeten Elektrizität in Tansania produziert wird.
Besonders im letzten Jahrhundert haben Flora und Fauna des Landes großen Schaden durch den Eingriff des Menschen genommen. An dieser Stelle sollen nur einige Folgen genannt werden:
- Erosion, Überdüngung und Vergiftung durch Abwässer und Müll führen zu einer Abnahme der Bodenqualität,
- großflächige Rodungen führen zu erheblichen klimatischen Ver änderungen,
- die Zerstörung der Korallenriffe führt zur Vernichtung von Lebensräumen der maritimen Tierwelt,
- durch Wilderei und illegalen Handel sind bestimmte Tierarten vom Aussterben bedroht.
Tansania steht vor einer großen Herausforderung, wenn es seine Natur erhalten, schützen und regenerieren möchte. Die Regierung beteiligt sich zu diesem Zweck an internationalen Naturschutzabkommen.
2.2 Die Menschen
In Tansania leben zur Zeit ca. 37,5 Millionen Menschen5. Die darin vertretenen ca. 130 Ethnien6 bilden eine höchst heterogene und charakteristische Sozialstruktur. 99% der Bevölkerung in Tansania sind Afrikaner, von welchen 95% einer der Bantu-Ethnien angehören. Das verbleibende eine Prozent der Bevölkerung setzt sich aus Europäern, Indern, Pakistanern und Arabern zusammen.
Auf dem Festland unterteilt sich die Bevölkerung in drei Glaubensgruppen. 35% gehören indigenen Glaubensgemeinschaften an, 35% sind muslimischen und 30% christlichen Glaubens. Auf Sansibar leben zu 99% Muslime.7
Die verschiedenen Ethnien Tansanias verfügen jeweils über eigene Sprachen, die zum Teil interethnisch nicht verstehbar sind. Als gemeinsames Medium der Kommunikation wurde kurz nach der Unabhängigkeit Tanganjikas im Jahre 1961 Swahili als Amtsund Verkehrssprache eingeführt. Durch die gemeinsame Sprache wird die Bevölkerung Tansanias vereint, was erheblich zum friedlichen Zusammenleben beiträgt.8
Die Bevölkerung Tansanias ist sehr jung. 43,7% der Menschen sind unter 14 Jahren. 53,6% sind im Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Nur 2,6% der Tansanier werden älter als 65 Jahre. Im Durchschnitt sind die Menschen in Tansania somit 17,7 Jahre alt. Das Bevölkerungswachstum liegt bei 1,83%9.
19,9% der tansanischen Bevölkerung verfügen über weniger als 1 US$ am Tag, 58,7% über weniger als 2 US$. Der prozentuale Anteil mangelernährter Menschen ist drastisch gestiegen. Waren es 1990/92 noch 37%, so erhielten im Bemessungszeitraum 2000/02 bereits 44% keine ausreichende Nährwertversorgung.10
Das Risiko der Übertragung einer lebensgefährlichen Krankheit ist in Tansania recht hoch. Neben Malaria, Hepatitis, Typhus und bakteriellem Durchfall leiden die Menschen in Tansania, wie in vielen anderen Ländern Afrikas, unter den Folgen von HIV/AIDS. 8,8% der erwachsenen Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren waren im Jahre 2003 offiziell mit dem Virus infiziert oder daran erkrankt11. Mit der Zunahme von HIV- Infizierungen und daraus resultierenden AIDS-Erkrankungen nimmt auch die Anzahl der Waisenkinder drastisch zu und die Kindersterblichkeitsrate steigt. Aus rein wirtschaftlicher Perspektive wirkt sich die
HIV/AIDS-Pandemie massiv auf das Humankapital Tansanias aus12. Durch HIV/AIDS sank die durchschnittliche Lebenserwartung der tansanischen Bevölkerung von 49,5 Jahren (1970-75) auf 45,6 Jahre (2000-05)
2.3 Die Regierung
Das heutige Tansania ist eine Präsidialrepublik mit Legislaturperioden von fünf Jahren.
Das seit der Unabhängigkeit bestehende Einparteiensystem der CCM wurde 1992 von einem Mehrparteiensystem abgelöst. An der starken Position der CCM hat sich jedoch bis zum heutigen Tage wenig verändert, so dass die Oppositionsgruppen bislang keinen großen Einfluss nehmen konnten.
Die jüngsten Wahlen Tansanias fanden im Dezember 2005 statt. Als Sieger aus dieser Wahl ging wiederum die CCM hervor. Sie stellt seit dem den vierten Präsidenten Tansanias: Jakaya Mrisho Kikwete.
Auch wenn das im Landesinneren liegende Dodoma die Hauptstadt Tansanias ist, fungiert die Küstenstadt Dar es Salaam als Regierungssitz. Sie ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Von dort werden die insgesamt 26 Regionen Tansanias verwaltet, wobei die Region Sansibar eine Teilautonomie13 behält.
Außenpolitisch engagiert sich Tansania in der East African Community (EAC), der Afrikanischen Union (AU) sowie den Vereinten Nationen.
„Mit der im Jahr 2000 gegründeten EAC streben die Staaten Uganda, Kenia und Tansania eine zunehmend engere Zusammenarbeit im politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich an, die bis hin zu gemeinsamen Organen der drei Staaten reichen soll. Die Afrikanische Union (AU) wird als geeignete Institution angesehen, um Afrika international Gehör zu verschaffen und zur Lösung innerafrikanischer Konflikte beizutragen.“14
2.4 Die Wirtschaft
Tansania zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Mit einem Human Development Index (HDI)15 von 0,418 im Jahre 2003 befindet sich Tansania auf Rang 164 von 177 bewerteten Ländern.16
Unter Berücksichtigung des auf globaler Ebene positiven HDI-Trends belegt die dazu gegenläufige negative Entwicklung in Tansania17 die zunehmende Abspaltung der besonders armen von den weniger armen und den reichen Staaten der Welt. Armut nimmt nicht ab, sie verlagert sich.
Die Bevölkerung Tansanias erwirtschaftet ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 10,3 Milliarden US$. Pro Kopf ergibt sich somit ein Wert von 287 US$ im Jahr. Betrachtet man die Verteilung der Einkommen innerhalb der Gesellschaft, wird die soziale Struktur deutlicher. Im Jahre 1993 verfügten die ärmsten 10% der Bevölkerung über 2,8% und die reichsten 10% der Bevölkerung über 30,1% des Gesamteinkommens. Deutlicher noch wird die ungleiche Verteilung unter Berücksichtigung der ärmsten 20%, auf die 6,8% des Gesamteinkommens entfallen, während die reichsten 20% der Bevölkerung über 45,5% und somit fast die Hälfte des Gesamteinkommens verfügen.18
Im Agrarsektor wird von 80% der tansanischen Bevölkerung fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes erarbeitet. Die dort erwirtschafteten Produkte decken 82% der Gesamt-Exporte ab.19 Nur 18% der Exportwaren werden industriell gefertigt.20
Die Einkünfte und somit die wirtschaftliche Entwicklung Tansanias sind primär abhängig von den Ernteerträgen des Agrarsektors, die wiederum von den klimatischen Bedingungen bestimmt werden. Wichtig ist dies im Besonderem im Kontrast zu einem OECD21-Staat, dessen Wirtschaftsleistung weniger stark klimatischen Bedingungen unterworfen ist.
Die hier angeführten Daten und Fakten des Landes, der Menschen und der Regierung Tansanias sind das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung, die für Entwicklungsländer typisch ist. Internationale Einflussnahme von Händlern, Kolonialmächten, Internationalem Währungsfonds (IWF) sowie der Weltbank und schließlich dem Abstraktum Globalisierung haben Tansania geprägt. Die vorkoloniale Zeit, die Kolonialherrschaft, der Sozialismus unter Nyerere bis hin zum heutigen Mehrparteiensystem hinterließen und hinterlassen seine Spuren. Internationale sowie nationale Aktionen und Vorhaben aber auch Unterlassungen sind verantwortlich für den Status quo des Landes. Es besteht nicht die Möglichkeit aber auch nicht die Notwendigkeit im Rahmen dieser Arbeit auf die allumfassende Geschichte Tansanias einzugehen. Um thematisch zu arbeiten wird die berufliche Bildung vor dem Hintergrund der relevanten gesellschaftlichen und politischen Ereignisse der tansanischen Geschichte betrachtet. Um diese Entwicklung anschließend weiter diskutieren zu können, sollen jedoch zunächst Begrifflichkeiten und Strukturen der beruflichen Bildung aus der Perspektive der Entwicklungszusammenarbeit definiert werden.
3 Definitionen zur beruflichen Bildung
In der internationalen Diskussion, wie sie zum Beispiel bezüglich der Millennium Development Goals stattfindet, gilt der Ausbau der Ausbildungsmöglichkeiten als wichtiges Wirkungsmoment zur globalen Armutsreduzierung. Nach allgemeiner Definition führt die Steigerung des Humankapitals durch berufliche Bildung sowohl zu individuellen als auch gesellschaftlichen Erträgen, wenn bestimmte strukturelle Voraussetzungen erfüllt werden.22 So müssen
- Arbeitsmöglichkeiten in verschiedenen Wirtschaftssektoren bestehen,
- Angebot und Nachfrage der Bildungsangebote sich ergänzen,
- das allgemeine Schulsystem effizient und gleichberechtigt zugänglich sein und die Menschen auf eine anschließende Ausbildung vorbereiten,
- Bildungsabschlüsse als Zugangsberechtigung zu Berufen anerkannt werden etc.23
Mit dem formulierten Ziel, nachhaltige, partizipative und angepasste Vorhaben zu verwirklichen, reflektiert die internationale Entwicklungszusammenarbeit das berufliche Bildungswesen eines Landes anhand definierter Strukturmerkmale. Diese Merkmale führen zu einer Klassifizierung der beruflichen Bildung nach
- der Organisationsformen und Funktionsträgern
- den Wirtschaftssektoren, für die oder in denen ausgebildet wird
- den angewandten Ausbildungskonzepten und
- der finanzielle Trägerschaft der Ausbildung.24
3.1 Organisationsformen
Die internationale Literatur unterscheidet in der beruflichen Bildung formale, non-formale und informelle Organisationsformen der Ausbildung.25
Durch die Geschichte der Kolonialherrschaft existieren im formalen Bildungsbereich der heutigen Entwicklungsländer Strukturen der europä ischen dreigliedrigen Schulsysteme. In Anlehnung an diese Strukturen entwickelte sich auch das formale Berufsbildungssystem. In diesem werden vor allem Arbeitskräfte für die modernen Wirtschaftssektoren ausgebildet.
„Formales Lernen: Lernen, das in einem organisierten und strukturierten Kontext (Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung, am Arbeitsplatz) stattfindet, explizit als Lernen bezeichnet wird und (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet und führt im Allgemeinen zur Zertifizierung.“26
Neben dem formalen findet sich der non-formale Bildungsbereich. Unter diesem Begriff sammeln sich alle außerschulischen aber institutionalisierten Bildungsaktivitäten, die sich auf bestimmte Zielgruppen konzentrieren und definierte Lernziele verfolgen.
„Nicht formales Lernen: Bezeichnet Lernen, das in planvolle Tätigkeiten eingebettet ist, die nicht explizit als Lernen bezeichnet werden (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung), jedoch ein ausgeprägtes „Lernelement“ beinhalten. Nicht formales Lernen ist im Allgemeinen intentional aus Sicht der Lernenden und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung.“27
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Organisationsformen der beruflichen Bildung
Zu dem informellen Bildungsbereich zählen alle Erziehungsund Sozialisationsprozesse durch Umwelt, Medien etc. sowie die traditionelle Ausbildung im Handwerk und der Landwirtschaft. Wissen wird hier durch einfache Reproduktionslehren vermittelt. Es findet keine schulische theoretische sondern eine „on the job“ Ausbildung statt.
„Informelles Lernen: Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele,Lernzeit oder Lernförderung) nicht organisiert oder strukturiert. Informelles Lernen ist in den meisten Fällen nicht intentional und führt normalerweise nicht zur Zertifizierung.“28
3.2 Wirtschaftssektoren
Neben der klassisch ökonomischen Unterteilung in primären, sekundä ren und tertiären Sektor finden wir in der Entwicklungszusammenarbeit eine entwicklungssoziologische Unterteilung des Wirtschaftssystems. Diese unterscheidet zwischen modernem, traditionellem und informellem Wirtschaftssektor.
Im modernen Sektor arbeiten Kleinwie auch Großunternehmen mit industriellen Fertigungsmethoden oder als Dienstleister. Unter hohem Kapitaleinsatz und Einsatz moderner Technologien soll hohe Produktivität erzeugt werden. Vorrangig zählt man dazu Banken, Versicherungen und Kaufhäuser, aber auch das Agrobusiness, welches die industrielle Verarbeitung und Vermarktung der Agrarprodukte ermöglicht.
Zu dem traditionellen Sektor sind vor allem die Subsistenzlandwirtschaft, das Handwerk sowie Dienstleistungen (beispielsweise Heiler oder Hebamme) zu rechnen.
Der informelle Sektor ist nicht eindeutig zu definieren. Er umfasst alle Tätigkeiten, denen keine staatliche Ausbildung zugrunde liegt und die dem Überleben dienen (zum Beispiel Müllsammler, Betreiber von
„Straßen-Garküchen“, Hausmädchen). Gemeinsam ist ihnen die Tätigkeit außerhalb gesetzlicher Regelungen. Sie bezahlen keine Steuern, erhalten aber auch keine soziale Absicherung und verfügen in der Regel über wenig Kapital.
Im informellen Sektor findet sich eine Spaltung der Gesellschaft, die die Diskrepanzen innerhalb der Entwicklungsländer verdeutlicht. Zum einen arbeiten die ärmsten der Armen mit geringer Qualifikation und geringem Ansehen für ihren Lebensunterhalt, und zum anderen ermöglicht er die Gründung informeller Unternehmen außerhalb staatlicher Regularien und somit Verpflichtungen.
In der Praxis zeigt sich, dass die Strukturen des informellen und traditionellen Sektors teilweise ineinander übergehen und somit nicht trennscharf zu definieren sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Wirtschaftssektoren, für die berufliche Bildung erfolgt
3.3 Ausbildungsmodelle
In der Regel unterscheidet man drei Grundmodelle organisierter beruflicher Ausbildung. Sie unterscheiden sich nach Art der Finanzierung, der inhaltlichen Vermittlung und der Zielgruppe in das „Schulmodell“, das
„Marktmodell“ und das „Duale Modell“.
Im Schulmodell ist die berufliche Bildung sehr eng an das allgemeinbildende Schulsystem gebunden. Die Ausbildungen werden vom Staat organisiert, geplant und kontrolliert, so dass sie national vergleichbar sind und bestimmte Ausbildungsinhalte garantieren.29
Durch die bürokratische Form und die große Distanz der Ausbildungen zu den Marktanforderungen bringt das Schulmodell einige Nachteile mit sich.
- Die Absolventen sind in der Regel theoretisch sehr gut ausgebildet, benötigen nach dem Ausbildungsabschluss jedoch eine zeitintensive Arbeitsunterweisung, da ihnen der Praxisbezug fehlt
- Die Ausbildung vermittelt elitäres Denken. Die Absolventen grenzen sich gegenüber anderen ab und bestehen auf die Wertigkeit des Zertifikats.
- Die Lehrer an den Schulen richten sich stark nach den Curricula und verfügen nicht über intensive Praxiserfahrung.
- Diese Schulen werden gewöhnlich von der allgemeinen Bildungsverwaltung geführt, welche kein besonderes Interesse an ihnen besitzt.
- Die Schulmodelle werden vom Staat finanziert und sind sehr teuer. Diese Ausgaben gehen zu Lasten anderer Notwendigkeiten.
- Durch die geringe Kooperation mit der Wirtschaft werden Ausbildungen durchgeführt ohne das bekannt ist, ob die Absolventen eine Anstellung finden können.30
Als zweite Ausbildungsform existiert das Marktmodell. Hier werden Auszubildende direkt im Betrieb ausgebildet und erhalten keinen speziellen theoretischen Unterricht. Das Marktmodell ermöglicht eine sehr praxisnahe Ausbildung mit aktuellen Bezügen. Ausbildungen finden statt, wenn es einen Bedarf an Arbeitskräften in entsprechenden Bereichen gibt. Dennoch sind auch hier einige Nachteile zu nennen:
- Da die Betriebe sich meist nicht untereinander abstimmen sind die Ausbildungen nicht einheitlich oder vergleichbar und erhalten somit kaum nationale Anerkennung. Nicht nur die Arbeitssuche sondern auch die Rekrutierung von Arbeitskräften wird dadurch erschwert.
- Oft haben Betriebe kein Interesse an einer qualifizierten Ausbildung sondern wollen mit den Auszubildenden ihren Bedarf an günstigen Arbeitkräften decken.
- Häufig ist der Zugang zu einer Ausbildungsstelle abhängig von persönlichen Beziehungen. Weiterhin findet eine Selektion der Bewerber durch die Ausbildungsanbieter statt. Somit können
Marktmodelle die sozialen Ungleichheiten eines Landes stabilisieren.
- Marktmodelle haben keinen sozialintegrativen Ansatz. Diese Rolle wird den allgemeinbildenden Schulen zugewiesen.31
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 : Konzepte der beruflichen Bildung
Eine Kombination des Schulund Marktmodells führt zu der Dualen Berufsbildung. Die praktische Ausbildung in Betrieb oder Werkstatt wird mit einer staatlich getragenen Fachqualifikation verknüpft. Die Gewichtung der Einflussnahme von Staat oder Betrieben kann variieren, so dass hier eine genauere Unterscheidung vorgenommen werden sollte. So seien beispielhaft genannt
- das Modell der „Formation en alternance “, welches auf Partnerschaftsvereinbarungen zwischen Technischen Sekundarschulen und Betrieben basiert. In letzteren werden umfangreiche, systematisch organisierte Praktika durchgeführt. Dieses Modell findet man häufig in frankophonen Ländern.
- das überbetriebliche Ausbildungsmodell lateinamerikanischer Prä gung, welches durch die Verpflichtung der Betriebe gekennzeichnet ist, in einen Berufsbildungsfonds zu zahlen, aus welchem zentrale Ausbildungsinstitutionen finanziert werden. Die Organisation und inhaltliche Gestaltung liegt in der Hand des Staates.
- das duale Ausbildungsmodell deutscher Prägung ist eine Kombination der beiden zuvor beschriebenen Modelle. Die nach Regeln des Marktes strukturierte Ausbildung wird durch ein festes staatliches Regelwerk ergänzt.32
3.4 Finanzielle Trägerschaft
Die Ausbildungen werden von öffentlichen oder privaten Anbietern getragen. Die öffentlichen Anbieter bilden im non-formalen oder formalen Sektor aus. Sie sind für den Auszubildenden zwar nicht kostenfrei arbeiten aber auch nicht profitorientiert.
Die privaten Anbieter unterteilen sich in profitorientierte und nicht profitorientierte Anbieter. Zu den profitorientierten Ausbildungsanbietern zählen zum Beispiel technische Institute oder Sprachschulen, während die Volksschulen oder kirchlichen Einrichtungen zu den nicht profitorientierten zählen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 : Tr äger der beru fli chen B il dung
Alle Modelle beruflicher Bildung bauen auf eine geschichtliche Entwicklung auf. Durch Politik, Gesellschaft, Kultur und Einflüsse oder Fremdbestimmung von Außen haben sich landesspezifische Bildungssysteme entwickelt. Auch wenn die oberflächlichen Strukturen sich ähneln, Rahmenlehrpläne, Curricula und Zertifizierung gleich aufgebaut sind, muss diese geschichtliche Entwicklung hinterfragt werden, wenn man eine Ahnung für die Zusammenhänge und Hintergründe entwickeln oder gar Veränderungen am Bildungssystem vornehmen möchte.
Tansania steht nicht zuletzt aufgrund seiner finanziellen Lage und seiner internationalen Position vor großen Herausforderungen hinsichtlich der Entwicklung eines stabilen, nachhaltigen und gerechten Sozialwesens. Bildung im Allgemeinen und berufliche Bildung im Besonderen erhalten diesbezüglich eine janusköpfige Bedeutung. Zum einen bedarf es kostenintensiver Investitionen, um das Bildungssystem an die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der aktuellen Lage der Bevölkerung und des Marktes anzupassen, und zum anderen bietet es die Möglichkeit einen wichtigen Beitrag zur Armutsreduzierung auf lokaler und nationaler Ebene zu leisten.
Die geschichtliche Entwicklung tansanischer Berufsbildung sowie aktuelle und innovative Ansätze bilden das Rahmenwerk zur Untersuchung der Fragestellung dieser Ausarbeitung und bedürfen somit einer genauen Betrachtung.
Die folgende Strukturierung anhand
- der Geschichte formaler, non-formaler und informeller Beruflicher Bildung in Tansania im entwicklungspolitischen Kontext (Kapitel 5),
- der herkömmlichen Konzepte beruflicher Bildung (Kapitel 6) und
- der aktuellen Ansätze und Innovationen (Kapitel 7) bilden die Arbeitsgrundlage zur inhaltlichen Aufbereitung der im Frühjahr 2006 gesammelten Forschungsergebnisse.
4 Im Spiegel der Geschichte: Berufliche Bildung in Tansania
Julius Kambarage Nyerere gründete 1954 die Tanganyika African National Union (TANU). Gemeinsam mit dieser Partei setzte er sich für ein unabhängiges Tanganjika ein, welches im Jahre 1961 Wirklichkeit wurde. Nyerere erklärt die TANU zur Einheitspartei mit innerparteilicher Demokratie. Die Einheitsparteien des Festlandes TANU und die ASP
Sansibars vereinigen sich im Jahre 1977 zur Partei Chama Cha Mapinduzi (CCM). Mit dieser Vereinigung entstand aus Tanganjika und Sansibar die Vereinigte Republik Tansania.33
Als erster Staatspräsident des freien Tansanias stellte sich Julius Nyerere der schwierigen Aufgabe, die langjährige Kolonie in einen politisch und wirtschaftlich selbständigen Staat zu wandeln. Sechs Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung führte er mit der Arusha Deklaration ein sozialistisches Staatssystem ein. Dies führte zu einer starken Einflussnahme des Staates auf die Wirtschaft.
Innerhalb Tansanias wollte er eine sozialistische Gesellschaft formen, welche auf einem von ihm als ursprünglich definierten „Ursozialismus“ der Bevölkerung beruhte. Unter dem Begriff „Ujamaa“34, welcher den Zusammenhalt traditioneller afrikanischer Familienverbände beschreibt, wurden Dörfer gegründet, die durch kooperative Produktionsweise als Selbstversorger existieren und wachsen sollten. Die Regierung erhielt eine zentrale Rolle als Arbeitgeber und Förderer der Industrien.
Nyereres Amtszeit war nicht nur von Erfolgen geprägt, doch schaffte er es, die circa 100 Ethnien Tansanias weitgehend zu vereinen und wichtige Grundstrukturen zu schaffen. Noch heute gilt er als der „Lehrer der Nation“ (Mwalimu35).
Ausgehend von einer unterentwickelten Wirtschaft und einer praktisch nicht existenten Grundversorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser, Schulen oder Krankenhäusern forderte Nyerere ein neues Weltwirtschaftssystem, welches die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer stärker berücksichtigt.
Diese Voraussetzungen sowie politische und ökonomische Entscheidungen der folgenden Jahre bestimmen die Entwicklung formaler, nonformaler und informeller Ausbildungskonzepte in Tansania bis in die Gegenwart.
4.1 Formale berufliche Bildung
Im Gegensatz zur non-formalen und informellen Ausbildung, die bereits vor oder seit der Unabhängigkeit Tansanias existierten, entwickelte sich das formale Berufsbildungssystem erst seit dem Jahre 1974. Da diese Entwicklung jedoch stets nationaler und internationaler politischer Einflüsse unterlag soll sie in diesem Kapitel vorgezogen werden und aus der Perspektive der politischen Epochen berichtet werden.
4.1.1 Ujamaa-Sozialismus (1974-1985)
Mit dem Vocational Education and Training Act (VET Act I) wurde 1974 das erste Gesetz zur beruflichen Bildung erlassen. Es sah die Gründung einer Division für berufliche Bildung innerhalb des Arbeitsministeriums, der National Vocational Training Division (NVTD), vor. Des weiteren wurde mit dem National Vocational Training Council ein Rat für berufliche Bildung gegründet, der zu gleichen Teilen aus Mitgliedern der NVTD, Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern bestand. Seine Hauptaufgabe lag in der Sicherung der Ausbildungsqualität sowie der Unterstützung von Fachkräften in den Industrien. Dieser Rat verfügte jedoch nur über wenig Entscheidungsgewalt, so dass der Einfluss von Arbeitnehmern wie Arbeitgebern gering war. Als Ergänzung wurden unseren Handelskammern ähnliche Trade Advisory Commitees gegründet.
Eigenständigkeit galt für Nyerere bzw. die Zeit seiner Regierung als zentrales Thema für den Staat sowie das Individuum und nahm eine zentrale Position im Bildungssektor ein.
„Sinn von Erziehung ist daher Befreiung durch die Entwicklung des Menschen als eines Mitglieds der Gesellschaft. Der Zweck von Erziehung ist nicht die Entwicklung von Objekten - einerlei ob es sich dabei um Pyramiden, Bewässerungsgräben, Eisenbahnen oder Paläste handelt. Die Entwicklung von Sachen - was man gewöhnlich wirtschaftliche Entwicklung nennt – kann zur Entwicklung des Menschen dazu gehören. Sie gehört ganz sicherlich dazu in Afrika! Es ist also nicht im Sinne von Erziehung, Techniker auszubilden, die wie Instrumente für den Ausbau der Wirtschaft eingesetzt werden können, sondern Menschen auszubilden, die dann das technische Wissen und die Fähigkeit haben, die Wirtschaft für das Wohl des Menschen in der Gesellschaft auszubauen.“36
Aus dieser Grundhaltung ging eine praxisorientierte Berufsbildungspolitik hervor und ein duales, dreiphasiges Ausbildungskonzept wurde eingeführt. Die Auszubildenden wurden sowohl in schulisch organisierten Berufsbildungszentren als auch in der Industrie ausgebildet (Siehe Kapitel 6.1).
Die Aufsplittung der Ausbildung erwies sich, einhergehend mit einer allgemeinen Misswirtschaft der folgenden Jahre, als schwierig. Bereits in den 70er Jahren sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Tansanias drastisch. Die Industrien konnten nicht genügend Ausbildungsplätze innerhalb ihrer Betriebe bereitstellen. Der daraus erwachsende Handlungsdruck veranlasste die tansanische Regierung 1981 zu einem Entwicklungsplan für die berufliche Bildung der kommenden 20 Jahre. Zunächst sollte in jeder Region Tansanias ein Berufsbildungszentrum mit industriellem Fokus errichtet werden, gefolgt von einem landwirtschaftlich-handwerklich orientierten Zentrum in jedem Bezirk. Facharbeiter sollten zukünftig nur noch in den Berufsbildungszentren ausgebildet werden. Mit dieser Umstrukturierung wurden zahlreiche Ausbildungsplätze geschaffen. Der Einfluss der Wirtschaft und somit der realen Arbeitswelt auf den Ausbildungsverlauf und die Ausbildungsinhalte der zukünftigen Facharbeiter wurde aufgehoben.
Weitere fünf Jahre später (1985) stand die Regierung Nyereres vor unüberwindbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen.
„Nyerere konnte auch mit seinem persönlichen Vorbild die Entstehung einer unfähigen Staatsbürokratie und faulen Funktionärskaste nicht verhindern. Die Vorstellung, der Abhängigkeit vom Weltmarkt und von den Industrienationen (so verständlich das Anliegen an sich auch ist) entrinnen zu können, erwies sich als Irrglauben; mangelnde Eigenverantwortung in der sozialistischen Produktionsweise, die Durchsetzung des Genossenschaftswesens gegen den Willen von teilweise noch zu individualistisch und privatwirtschaftlich orientierten Bauern erwies sich als kontraproduktiv. Dank guter natürlicher Rahmenbedingungen konnten einige der neu angelegten Ujamaa-Dörfer durchaus Erträge abwerfen, andere wurden auf trockenen Böden gegründet und mussten bald aufgegeben werden. Das eine Mal begrüßten landlose Bauern die staatliche Initiative, bei nomadischen Viehzüchterstämmen wie den Massai stieß sie auf Widerstand.“
[...]
1 Marx, K. (1867/1988), S.507f.
2 Schavan, A. (2006), S.3.
3 The World Bank (2006)
4 vgl. UNDP (2006)
5 Die Bevölkerung hat sich seit 1975 mehr als verdoppelt (vgl. UNDP (2005)).
6 21% der Gesamtbevölkerung Sukuma und Nyamwezi, 9% Swahili, 7% Hehe und Bena, 6% Haya, 6% Makonde, 2% Massai und andere ethnische Gruppen (Wikipedia über Tansania (2006)).
7 vgl. The World Fact Book (2006).
8 vgl. Schläpfer, A. (2005).
9 Das Bevölkerungswachstum ergibt sich aus der Geburtenrate (3,78%) abzüglich der Sterberate (1,64%) und abzüglich der Migrationsrate (0,31%). (vergl. The World Fact Book (2006)).
10 vgl. UNDP (2005).
11 vgl. The World Fact Book (2006).
12 vergl. Elbe, S. (2004), S.65.
13 eigener Präsident, eigene Regierung, eigenes Parlament, eigene Justiz.
14 Auswertiges Amt (2004).
15 Der HDI bezieht sich auf drei Messgrößen menschlicher Entwicklung: Lebenserwartung, Bildung (anhand Schuleinschreibungen und Alphabetisierungsrate) sowie kaufkraftbereinigtes Einkommen. Jedes Kriterium wird in Relation zu der maximalen und minimalen Messgröße aller Länder gesetzt. Der HDI liegt zwischen 0 und 1. Ein höherer Wert weist auf eine „bessere“ Entwicklung hin. (vgl. UNDP (2005)).
16 (vgl. The World Fact Book (2006).
17 1990=0,435; 1995=0,422; 2000=0,416; 2003=0,418.
18 vgl. The World Fact Book (2006).
19 Hauptsächlich sind dies Kaffee, Baumwolle, Cashewnüsse, Tee, Tabak und Sisal.
20 vgl. The World Fact Book (2006).
21 OECD: Organisation for Economic Co-operation and Development.
22 vgl. Senghas, D. (1987), S. 7; Becker, G.S. (1992), S. 86; Lenhart, V. (1993), S.23.
23 vgl. Weltbank (1991), S. 51f.
24 vgl. Frey, K. (1984), S.393; Maslankowski, W. (1986), S. 16f; Appelt, D. (1990), S.143, Lenhart, V. (1993), S.1f.
25 Stockmann, R. (1996), S.247
26 Tissot, P. (2004), S.71.
27Tissot, P. (2004), S.112.
28Tissot, P. (2004), S.77.
29vgl. Heitmann,W. (1996), S.7.
30vgl. Greinert, W.D. (1996), S.31.
31vgl.Greinert, W.D. (1996), S.32.
32vgl. Greinert, W.D. (1996), S.35.
33 Swahili: Partei der Revolution (CCM) (vergl. Bliss, F. und Schlichting, F. (1999)).
34 Swahili = Familie. 35 Swahili = Lehrer.
36 Nyerere, J. (2001), S.119.
- Quote paper
- Jessica Bier (Author), 2006, Berufliche Bildung in Tansania, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115574
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