Während des Zweiten Weltkrieges wurde im besetzten Weißrussland die deutschsprachige Minsker Zeitung verlegt und erreichte überregionale Verbreitung. Diese Tageszeitung des Dritten Reiches diente als Propaganda – Instrument sowohl für die Besetzer als auch die einheimische Bevölkerung.
In der vorliegenden Arbeit werden die propagandistischen Strukturen und identitätsstiftenden Deutungsmuster unter dem Aspekt der Raumwirkung und -gestaltung betrachtet.
Wie lässt sich die Propaganda einer Tageszeitung mit den tagtäglichen Erlebnissen vereinbaren, die sich unmittelbar in der Umgebung vollziehen? Wie stellt sich die Berichterstattung dar in einem Spannungsfeld aus praktiziertem Terror und propagierter Völkerfreundschaft, zwischen visionärer Utopie und realer Atrophie? Lässt sich erfolgreich über Völkerfreundschaft und Aufbauarbeit schreiben, während das Land und die Bevölkerung zugrunde gerichtet werden? Wie mag die Minsker Zeitung von den Lesern rezipiert worden sein?
Es wird sich zeigen, dass die propagandistisch konstruierte Realität der Minsker Zeitung ganz bestimmte Funktionen erfüllt, die sich speziell an die Verhältnisse im besetzten Osten anpassen.
Es wird deutlich werden, dass physische, soziale und kulturelle Räume in den vorgestellten Artikeln der Minsker Zeitung stets als Teil größerer, allgegenwärtiger Raumordnungsprinzipien dargestellt wurden. In der Minsker Zeitung entfaltet sich der Ausdruck einer teleologischen Raumordnung, in der sich die Ereignisse und Verhältnisse zielgerichtet und schicksalsbestimmt entwickelten und mit der realen Erfahrung wenig überein zu bringen sind.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
0.1 Themenstellung
1.1 Aufbau
1.2 Analyse propagandistischer Sprachwirklichkeit
1.3 Raum als Erfahrungsraum
2 Historische Darstellung der Besatzungszeit in Weißrussland
2.1 Strukturpolitik in Weißrussland
2.1.1 Ambitionen der Wehrmacht
2.1.2 Aufbau und Ziele der Zivilverwaltung
2.1.3 Resümee
2.2 Rassistische Abgrenzung und kulturelle Identität
3 Formale Untersuchung der Minsker Zeitung
3.1 Aufbau der Minsker Zeitung
3.2 Zielgruppe und Sendung
3.3 Presselenkung und -freiheit der Frontzeitungen
4 Weltliche Raumordnungen in der Minsker Zeitung
4.1 Raumgestaltung als Ordnungskraft
4.1.1 Das künstlerische Raumtiefenerlebnis
4.2 Weissruthenische Landschaft
4.3 Weissruthenische Urbanität
4.4 Deutsche Heimat als inszeniertes Utopia
4.5 Exkurs: Völkermord als Friedens- und Aufbauwerk
4.6 Resümee
5 Transzendente Raumordnungen in der Minsker Zeitung
5.1 Götterdämmerung und Weltuntergang
5.2 Blut-und-Leben-Wall: der Mensch als Opfer des Raumes
5.3 Nekropolische Heimstätte der stummen Kameraden
5.4 Resümee
6 Zusammenfassung
7 Anhang
Verwendete Abkürzungen
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Am 21.9.43 berichtet die Minsker Zeitung über die erfolgreiche Inspektionsreise des Generalkommissars (GK) Wilhelm Kube. Deutschen Lazarettinsassen erklärt er den „Sinn und Zweck“ der „deutschen Aufbau- arbeit“ in Weissruthenien und der „Neugestaltung im Sinne der europäi- schen Ordnung“. Vor weissruthenischen Amtsträgern bringt Kube dann
„sein unerschüttertes und grenzenloses Vertrauen zu dem anständigen Kern des weissruthenischen Volkes zum Ausdruck“. Er wünsche sich ein
„vertrauensvolle[s] Zusammenarbeiten mit der deutschen Führung, bis der Sieg gesichert ist und für die tapferen Völker ein neues und glückliches Zeitalter heraufkommt“.1
Am darauf folgenden Tag wird Kube durch eine Bombe getötet, die seine weissruthenische Haushälterin unter sein Bett legt. Der zitierte Artikel Wir zwingen den Raum!, der zugleich Namenspatron dieser Arbeit ist, bezeichnet daher die zentrale Hybris zwischen Propaganda und Wirklichkeit in der Minsker Zeitung.
Denn das Jahr 1943 war für die deutsche Kriegführung alles andere als erfolgreich. Die Partisanen in Weissruthenien übernahmen immer mehr Kontrolle, die Ostfront war auf dem Rückzug, Afrika und Süditalien waren von den Alliierten erobert worden. Die kommende Niederlage wird immer offensichtlicher. Kube verkündet allerdings seinen „unerschöpflichen Glauben an die Unbesiegbarkeit der nationalsozialistischen Idee“ und die
„Überlegenheit der Gesetze Großdeutschlands über die Maßlosigkeit und Gesetzlosigkeit des Ostens“.2 Die hier zwangsweise aufkommenden Fragen lauten:
Wie lässt sich die Propaganda einer Tageszeitung mit den tagtäglichen Erlebnissen vereinbaren, die sich in unmittelbar in der Umgebung vollziehen? Wie stellt sich die Berichterstattung dar in einem Spannungsfeld aus praktiziertem Terror und propagierter Völker- freundschaft, zwischen visionärer Utopie und weltlicher Atrophie? Lässt sich erfolgreich über Völkerfreundschaft und Aufbauarbeit schreiben, während das Land und die Bevölkerung zugrunde gerichtet werden? Wie mag die Minsker Zeitung von den Lesern rezipiert worden sein? Kann angenommen werden, dass die Propaganda der Minsker Zeitung, trotz der immer offenkundigeren Widersprüche zu den erfahrbaren Erlebnissen, geglaubt wurde?
Diese Arbeit hat zum Ziel, die Raumgestaltungen in der Minsker Zeitung näher zu betrachten. Untersucht wird, in welcher Form Räume und Raumerlebnisse identifikationsstiftende Deutungsmuster anbieten. Die Fragen lauten: Wie rechtfertigen sich die alltäglichen mörderischen Praktiken in der Tageszeitung? Und welches Bild von der deutschen Besatzung liefert die Minsker Zeitung ?
0.1 Themenstellung
1992 erhielt die Freie Universität Berlin unter der Leitung von Dr. Schlootz erstmals uneingeschränkten Zugang zu den Minsker Archiven, wo ein Großteil der Ausgaben der Minsker Zeitung seit dem Krieg archiviert lag.3 Die deutschsprachige Minsker Zeitung war von den Besatzern in Belarus von April 1942 bis Juni 1944 als Tageszeitung herausgegeben worden und erreichte überregionale Verbreitung. Im Zuge eines Seminarprojektes wurden die Bestände der Minsker Zeitung auf Mikrofilm abgelichtet und stehen nun bis auf wenige fehlende Ausgaben der Öffentlichkeit zur Verfügung.4
Nach dem Krieg blieb die Minsker Zeitung für die deutsche Forschung lange Zeit unbeachtet. Neben den diffizilen diplomatischen Beziehungen zu einem Land, das mit am meisten unter der deutschen Terrorherrschaft gelitten hat und in dem heute die letzte Diktatur Europas herrscht, ist dafür schlicht ein mangelndes westliches Forschungsinteresse an den Kriegsereignissen in Belarus der Grund. Der Journalist Paul Kohl war 1985 „der erste, der sich auf die Spuren der Heeresgruppe Mitte gemacht“ hat.5 In der Sowjetunion befragte er Zeitzeugen zu den Verbrechen der Polizei und Wehrmacht und bereiste die historischen Stätten.6 Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Besatzungs- und Besiedlungspolitik in Belarus erfolgte im Westen erst ab den 90er Jahren.7 In den folgenden Forschungen zur Besatzungszeit fand nun auch die Minsker Zeitung auszugsweise Erwähnung.
Nach meiner Kenntnis ist bisher allerdings nur eine Arbeit aus dem Jahre 2003 öffentlich worden, die sich ausschließlich mit der Minsker Zeitung befasst. Die diskursanalytische Diplomarbeit von Theresa Voigt untersucht die Problematik der propagierten Völkerfreundschaft in der Minsker Zeitung bei zeitgleicher Mordpolitik im Land.8 Voigt kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Minsker Zeitung „einer propagandistischen Konstruktion des Hilfsvolk-Symbols aus ökonomischen und bzw. [sic!] kriegswirtschaftlichen Gründen“ bediente.9 Ziel der Besatzer war es nach Voigt, die Belarussen in das propagandistische Korsett eines hilfswilligen Bauernvolkes zu pressen, um es leichter ausbeuten zu können. Voigt liefert mit ihrer Diplomarbeit in erster Linie eine Bestandsaufnahme der historischen Verhältnisse in Belarus und eine Darstellung der Völkerverbindungen und -rollen in der Minsker Zeitung. Für eine Untersuchung der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte fehlen laut Voigt allerdings die dokumentarischen Belege. Leider bleibt damit auch die Frage nach den Folgen und Wirkungen der „Schizophrenie dieses Hilfsvolks-Konstrukts“10 im Umfeld des deutschen Terrors von ihr unbeantwortet.
Die vorliegende Arbeit hat nun zum Ziel, einen generelleren Blick auf die propagandistischen Realitätskonstruktionen in der Minsker Zeitung zu werfen. Statt die Minsker Zeitung nach verschiedenen Symbole zu filtern, wird sie sich auf die Motive der Raumdarstellungen bzw. Raumordnungen in der Minsker Zeitung konzentrieren, um sie auf sinnstiftende Muster zu untersuchen.
Ausgangspunkt für diese Herangehensweise sind zwei Annahmen:
1. Raumordnungen und -konstruktionen spenden Identität und sind besonders innerhalb eines destruierenden, kriegerischen Umfeldes von hoher Relevanz. Krieg ist die Auflösung von räumlichen und körperlichen Grenzen. Waffen zerstören Körper und Räume, staatliche und kulturelle Grenzen werden überschritten, moralische und soziale Grenzen negiert. Kriege zersetzen die in Friedenszeiten bewährten Erwartungs- und Handlungsräume. In dieser Arbeit wird die These vertreten, dass den destruierenden Auflösungen in der realen Welt mit einer sinnstiftenden Raumgestaltung in der Minsker Zeitung begegnet wurde.
2. Die Propaganda richtet sich nach den Erwartungshaltungen und Vorlieben der intendierten Zielgruppe. Deshalb rücken die Adressaten gleichsam ins Zentrum der Betrachtung, wenn wir über Propaganda in der Minsker Zeitung sprechen. Die Untersuchung der identitätsstiftenden Symbole in der Minsker Zeitung wird sich daher an der sprachsoziologischen Methode von Doris Gorr orientieren, nach der (verschriftlichte) Sprachpraxis nicht außerhalb der Lebenspraxis von der Leserschaft betrachtet werden kann. Die einbezogene Lebenspraxis der Rezipienten gibt Auskunft über ihre anzunehmende Erwartungs- und Erfahrungshaltung sowie deren Einfluss auf die Propagandagestaltung und -wirkung.
Meine These lautet: Die dargestellten Raumordnungen in der Minsker Zeitung sind der Versuch, die ,entgrenzten Räume’ und ,entheimateten Menschen’ aufzufangen, zu festigen und neu zu ordnen.
In der Minsker Zeitung werden der praktizierte und der erlebte Terror des als inhuman erfahrenen realen Raumes durch moralisierende Deutungen aufgefangen. Geographische Räume sind in der Zeitung zugleich metaphysische Wertungsräume. Wildnis, Kultur und Mythos stellen qualitative Indikatoren der verordneten Raumstrukturen dar. Es wird in dieser Arbeit gezeigt, dass das vermittelte Selbstbild in der Minsker Zeitung die Besatzer als Schöpfer eines Neuen Europas konzipiert, deren Werk über metaphysische und mythische Urprinzipien legitimiert wird. Die propagierte Schicksalsbestimmtheit deutscher Aufbauarbeit setzt sich dabei über die realen Kriegsentwicklungen hinweg und konstruiert eine
„Zweite Realität“11, die sich als Glaubensgewissheit über die empirische
Realität hinwegsetzt. Die postulierten Ordnungsprinzipien sollen den Personen wie auch den Räumen unverrückbare und eindeutige Identitäten zuweisen.
Dabei richtet sich die Minsker Zeitung zwar sowohl an die belarussische Bevölkerung als auch die deutschen Besatzer. Die Rolle der einheimischen Bevölkerung wird in dieser Arbeit allerdings nur in sofern einbezogen, wie sie einen signifikanten Bezug zu den proklamierten nazistischen Raumordnungsvorstellungen hat.12 Der Fokus dieser Arbeit liegt auf den Identifikationsräumen der deutschen Besatzer und den Rechtfertigungen der deutschen Raumokkupation. Es sei erwähnt, dass diese Arbeit den Holocaust und die industrielle Vernichtung der Juden, aber auch der Sinti und Roma, Homosexuellen, Behinderten und sonstiger nach national- sozialistischer Definition ,lebensunwerter’ Menschen bewusst nicht behan- delt, da dies den thematischen Rahmen dieser Magisterarbeit sprengen würde.13
Die Begriffe Weissruthenien für das Land und Weissruthenen für die Bevölkerung wurden von den Nazis geschaffen, um die Bevölkerung von allem ,Russischen’ völkisch zu separieren. Weissruthenien bezeichnete das von den Nationalsozialisten geschaffene Generalkommissariat, dessen Grenzen allerdings nicht den politisch-geographischen entsprachen, sondern aus militärischen und logistischen Gründen gewählt wurden. Für diese Arbeit werden die Begriffe Weissruthenien und Weissruthenen übernommen, wenn von den Raum- und Menschenkonstruktionen während der Okkupationszeit im Sinn der nazistischen Deutungsmuster die Rede ist.
Weißrussland bzw. Belarus bezeichnen hingegen das Land oder entsprechend die Bevölkerung vor und nach der deutschen Besetzung.
1.1 Aufbau
Nach einem ersten stichprobenartigen Auswahlverfahren wurden ca.
140 Artikel der Minsker Zeitung genauer untersucht. Wesentliches Kriterium war dabei, dass die verwendeten Artikel eigenständige Beiträge der Minsker Zeitung sind und keine aus dem Reich gesendeten Textmatrizen. Der Hauptteil der Artikel stammt von den Textern der Minsker Redaktion. Besonders lohnend war dabei die tägliche Glosse In und um Minsk, die häufig den wahrgenommenen lokalen Erlebnisraum Weissruthenien thematisiert. Einige Artikel, die außerhalb der Ostfront und Weissrutheniens verfasst wurden, sind allerdings aufgenommen worden, wenn diese einen deutlichen Bezug zum Thema haben. Genauso wurde mit Artikeln verfahren, deren Urheberschaft sich nicht eindeutig klären ließ.
Die Kennzeichnung der einzelnen Artikel erfolgt aus EDV-Gründen nach folgendem Schlüssel, der zugleich Auskunft über das genaue Erscheinungsdatum gibt:
MZ 421101 2 = 42 (Jahr) 11 (Monat) 01 (Tag) 2 (Seite).
Die untersuchten Artikel sind als tif -Dateien auf den beigefügten CD- Roms gespeichert.
Zunächst wird unter Berücksichtigung der nationalsozialistischen Propagandapolitik Doris Gorrs soziolinguistische Diskursanalyse vorgestellt. Ziel ist es, die Wechselwirkung von Propaganda und Zielgruppe zu veranschaulichen. Um die Ausrichtung und Form der politischen Agitationen zu verstehen, müssen auch die Erwartungs- haltungen der Rezipienten in die Untersuchung mit einbezogen werden. Anschließend wird der Begriff Raum im abendländischen Verständnis geklärt. Nach einem knappen kulturhistorischen Überblick wird die Phänomenologie Cassirers vorgestellt.
Im zweiten Abschnitt wird ein kurzer historischer Überblick über die Besatzungszeit in Weissruthenien sowie die deutsche Hunger- und Siedlungspolitik erfolgen. Anhand Christian Gerlachs Untersuchung der Besatzungszeit in Weißrussland wird gezeigt werden, dass die deutsche Vernichtungspolitik im besetzten Weissruthenien nicht allein durch Rassenhass zu erklären ist, sondern eng mit wirtschaftspolitischen Zielsetzungen verbunden ist. Ein Einblick in die Sozialstrukturen, den Aufbau und die Motivation der beiden größten deutschen Besatzungsorganisationen in Weissruthenien, die Zivilverwaltung und die Wehrmacht, soll ein näheres Verständnis der historischen Ereignisse und imperialistischen Zielsetzungen zwischen 1941 und 1944 ermöglichen. Anschließend wird anhand der Terror-Management-Theory geklärt, wie der Mensch sich gegen die gefühlte Bedrohung seiner subjektiven Identität mit dem Rückzug auf orthodoxe kulturelle Wertanschauungen zur Wehr setzt. Gezeigt werden soll, dass trotz des herrschenden Rassismus und der
Gewalt in Weissruthenien konventionelle Deutungsmuster bei den Besatzern deutlich präsent waren.
Der dritte Abschnitt stellt die Minsker Zeitung formal vor und berichtet von den medienhistorischen Begleitumständen. Das Erscheinungsbild und der Aufbau der Zeitung sowie die intendierte Zielgruppe werden geschildert.
Abschnitt vier startet dann die Analyse der Minsker Zeitung. Untersucht werden reale physische Räume und die deutsche Identifikation mit deren ideologischen Ordnungsstrukturen. Die Darstellung der belarussischen Landschaft und der Urbanität, Identifikationsräume, deutschen Raumgestaltungs- und Heimatschöpfungsansprüche, aber auch die Dar- stellung von SS-Liquidierungen als Teil befriedender Strukturpolitik werden analysiert.
Im fünften Abschnitt folgen die Darstellungen transzendenter Raumordnungen, in denen der Mythos über den physischen Raum herrscht und zwischen Objekten, Menschen und Räumen die Grenzen verloren gehen. Anhand apokalyptischer Weltuntergangsmetaphoriken, über den heldischen Opferkult bis hin zur Rolle der Toten als Bestandteil des Blut-und-Leben-Walls im Osten werden wir betrachten, wie sehr Darstellungen mythischer Glaubensvorstellungen die realen militärischen Niederlagen verbergen sollen. Der Raum wird hier zum Schicksalsraum, innerhalb dessen Gesetzmäßigkeiten der Mensch nicht mehr Akteur sondern vielmehr Interieur ist.
1.2 Analyse propagandistischer Sprachwirklichkeit
Eine vollständige propagandistische Erfassung der Bevölkerung wurde vom NS-Regime nicht erreicht. Die Effizienz der Goebbels’schen Manipulationsmaschinerie ist in der späteren Forschung häufig überschätzt worden. Von der Vergiftung oder „Korruption des Geistes“14 durch wenige „Sprachattentäter“15 ist dann die Rede, welche die deutsche Bevölkerung verführten und durch Sprache Verhalten ,produzierten’.16 Von einer propagandistischen Haube, die der Bevölkerung aufgesetzt wurde, kann allerdings nicht gesprochen werden. Teilweise erzeugten die propagandistischen Handlungen der Nazis genau das Gegenteil der erwünschten Beeinflussung.17 Die Forschung konzentrierte sich lange Zeit auf die „rhetorische Sprachmanipulation“18, wobei die gesellschaftlichen Gegebenheiten und die entsprechenden Gesprächskontexte meist unter- schlagen wurden.19
In der jüngeren Forschung rückt der Adressat anstelle des Mediums Sprache in den Mittelpunkt. Windes Untersuchung der Wochenzeitung Das Reich, welche sich speziell an das bürgerliche Publikum richtete, ergibt, dass die bürgerlichen Deutschen nicht durch Rhetorik und Sprache manipuliert wurden. Vielmehr nahm das Bürgertum eine weitgehende Gleichheit ihrer Überzeugungen und politischen Ziele mit dem Nationalsozialismus an.20 Zu diesem Zweck wurden in Das Reich die nationalsozialistischen Ideologien den bürgerlichen Lebensanschauungen angepasst.21
Ziel der nationalsozialistischen Propaganda war es, „unter den Bedingungen der Massenpartizipation den Machterhalt um jeden Preis“ zu sichern.22 Die NSDAP gab daher „Versprechungen nach allen Richtungen“, ohne sich gleichzeitig auf „konkrete Zielsetzungen“ einzulassen.23 Die
„ideologische Amalgamisierung“24 der nazistischen Propaganda passte sich sowohl den tagespolitischen Erfordernissen der Nazi-Politik als auch den pragmatischen Notwendigkeiten und Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe an.
Diese Arbeit stützt sich auf Doris Gorrs Untersuchung nationalsozialistischer Sprachwirklichkeit, die auf Foucaults und Jägers Diskursanalysen basiert.25 Gorrs sprachsoziologische Diskursanalyse bezieht die Lebenspraxis als regulierende und aktivierende Kraft in die Betrachtung der Diskurse als Sprachpraxis mit ein. Wesentlich für Gorrs Analyse ist, dass die Lebenspraxis einer Gesellschaft als
„feinstrukturiertes Sozialgebilde“ mit prägender Kraft und Sprache im Zentrum der Betrachtung steht.26 Gorr widerspricht damit der methodo- logischen Betrachtung und Zuweisung einer Sprache des Nationalso- zialismus zugunsten einer Sprache im Nationalsozialismus. Sprache und Texte sind immer kontextuell gebunden. Eine von äußeren Faktoren unabhängige Bewertung von ,guten’ und ,schlechten’ Worten erfasst nicht die sprachliche Wirklichkeit.27
Sprachelemente und Sprachhandlungen müssen aus der jeweiligen Situation, also auch ihrem zu einem bestimmten Zeitpunkt spezifischen Gehalt nach, untersucht werden.28
Gorr definiert Text als geschriebene Sprachhandlung. Die sozialen Gegebenheiten müssen bei einer inhaltlichen Untersuchung von Texten daher mit einbezogen werden. Sprache ist symbolische Repräsentanz einer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Als „Produkt eines konkreten Sprechers“ in einer „konkreten gesellschaftlichen Konstitution und Situation“ können wir in ihr „gültige Normen und Werte“ erkennen.29
Sprache ist für den Menschen die Voraussetzung für die Vermittlung von Kultur und sozialen Lebensformen. Wissensbestände werden durch sie konserviert und auf diesen wird aufgebaut.30 Sie stellt die Verbindung her zwischen Gesellschaft und Individuum und schafft einen identifikatorischen Raum. In Sprache konstituiert sich eine vermittelbare
„quasi-objektive Welt“31, eine „Wirklichkeit in der Wirklichkeit“32. Sprache weist den Dingen einen Begriff zu und erzeugt so eine „symbolische Sinnwelt“.33 Die Begriffe werden sowohl durch individuelle als auch soziale Erfahrungen und Deutungsmuster in der konstanten Sprachpraxis, den Diskursen, mit symbolischen Gehalten aufgeladen. Diskursive Texte wirken somit homogenisierend und sinnstiftend. Sie stellen die Kriterien
„gesellschaftlich abgesicherter Identität“ her.34
Für eine kritische soziolinguistische Diskursanalyse sind nun die im Text präsenten Kollektivsymbole von Bedeutung. Untersucht werden sinn- und wertgebende Begriffe, welche Doris Gorr als religiöse Begriffe definiert. Ihre These lautet, dass sich in religiösen (Teil-)Diskursen „die Wechselwirkung von Adressatenspezifik und Bedürfnissen, von gesellschaftlichen Strukturen und Lebensbedingungen, […] von Identifika- tionsangebot und Identifikation spiegeln“.35
Mit Hilfe dieses Ansatzes lassen sich politische Texte in ihrem Verhältnis zur inszenierten gesellschaftlichen Situation und den konstituierten Wertehaltungen untersuchen.
Entscheidend für die propagandistisch motivierten Teildiskurse ist, daß sie immer etwas vom realen Leben ihrer Zuhörer aufgreifen, und so ein gemeinsames Wissen von der Welt pseudokommunikativ suggeriert wird, von dem dann eine Brücke zu den nationalsozialistischen Intentionen gebaut wird.36
Propaganda heißt, über die Dinge zu sprechen, welche die Bevölkerung hören will.37
Politische Schlagwörter müssen so beschaffen sein, dass sie es erlauben, die gesellschaftlichen Erfahrungen zu beschreiben und die gesellschaftspolitischen Erwartungen zu bestimmen. Sie können nur erfolgreich sein und von den Angesprochenen angenommen werden, wenn sie zu den Wahrnehmungsprämissen der Adressaten passen.38
Folglich muss die Untersuchung der politischen Agitation die kulturellen Wissenssysteme und Vorstellungen zur Zeit des Faschismus mit einbeziehen.39 Die Betrachtung der propagandistischen Ausrichtung und Wirkung muss daher die gesellschaftlichen Gegebenheiten rekonstruieren, innerhalb derer die Agitation veröffentlicht wurde.
1.3 Raum als Erfahrungsraum
Ausgangspunkt des in der Minsker Zeitung untersuchten Raumbegriffs ist die Annahme, dass Raum- und Zeitstrukturen „für Erkenntnis- möglichkeiten grundlegend“ sind und sie sich „stets als identitätssichernde Kategorien behaupten müssen“.40 Für Stephan Berg sind dies die beiden Paradigmen des modernen abendländischen Raum- Zeit-Verständnisses. In seiner Untersuchung Schlimme Zeiten, böse Räume wendet er physik-philosophische Raum-Zeit-Konstruktionen auf die Bewegungsräume literarischer Texte an. Berg weist in den phantastischen Texten des beginnenden 20. Jahrhunderts eine Instabilität der Raum-Zeit-Subjekt-Relationen nach. Die Störungen des Bewegungsraumes in der phantastischen Literatur sind nach Berg Ausdruck einer erlebten existentiellen und kulturhistorischen Krise. Die von Berg geschilderte Krise der Raum-Zeit-Subjekt-Relationen lässt sich auch für den Erscheinungsraum der Minsker Zeitung erkennen, worauf wir unter Punkt 4.1 eingehen werden. Doch völlig gegensätzlich erfolgt die Reaktion in den Minsker Texten auf diese erlebte Krise: Hier lässt sich ein konstantes Bestreben nachweisen, subjektive Raumerfahrungen zu stabilisieren – ja, zu manifestieren. Im Sinne Bergs ließe sich argumentieren, dass die Rekonstruktion verlässlicher Bewegungsräume die ideologische Reaktion auf die existentielle Krise darstellt. Es folgt daher eine kurze Skizze von Bergs kulturtheoretischer Darstellung des abendländischen Raum-Zeit-Verständnisses zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die Vorstellung von einem absoluten, unveränderlichen, alles Sein umfassenden, göttlichen Raum hält sich in Europa bis zur Newton’schen Physik. Dieses teleologische Weltbild, welches bei Aristoteles seine erste schriftliche Fixierung findet, geht von der Welt als einer statischen Einheit aus, in der jeder Körper seinen festen, göttlich zugewiesenen Ort hat. Leibniz ist einer der ersten, der Raum und Zeit nicht mehr als absolute Kategorien versteht. Er definiert Raum und Zeit als „Beziehungen innerhalb der Phänomene“, sie sind also als Relationen der Objekte zueinander zu verstehen. Raum- und Zeitvorstellungen werden durch die Erkenntnis des Menschen bedingt und bilden gleichsam seinen Erkenntnisrahmen. Absolute Räume und Zeiten sind für Leibniz somit unwirklich, wenn sie außerhalb der Erkenntnismöglichkeiten liegen – d.h. Veränderungen des absoluten Raumes und der Zeit keine Veränderungen im Erkenntnisraum mit sich bringen. Leibniz erklärt damit Raum-Zeit- Strukturen zu funktionalen Ordnungsbegriffen, welche von der menschlichen Erkenntnis bestimmt werden: Raum stellt die „Möglichkeit des Beisammen [sic!]“, Zeit die „Möglichkeit des Nacheinander [sic!]“ dar.41 Raum und Zeit als Erkenntniskoordinaten des Menschen finden sich dann in Kants Kritik der reinen Vernunft wieder. Sie sind die Vorstellungen, innerhalb derer die Erscheinungen die Bedingungen für ihre Möglichkeiten finden. Als Erkenntnisquellen schöpfen sie aus einem fest gefügten, absoluten Idealraum.42 Raum und Zeit sind für Kant folglich relative, subjektive Begriffsgefüge und bilden den Erfahrungsraum der Erscheinungen. „Damit ist der Raum zu einer relativen, symbolischen
Begrifflichkeit geworden.“43
Ernst Cassirers greift zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Kant’schen Erfahrungsraum auf, indem er ihn um die Erkenntnis der allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins erweitert. Cassirer erklärt, dass „weder ein
,objektiver’ noch ein ,physikalischer’ oder ,subjektiver’ Raum für sich allein absolute Gültigkeit beanspruchen kann“44. In der Philosophie der symbolischen Formen schreibt er, dass nur das Ganze dieser drei Räume Anspruch auf Wirklichkeit erheben kann. Diese drei Räume sind bei Cassirer: der theoretische Raum, welcher in mathematischen und physikalischen Maßen und Zahlen ausgedrückt wird; der mythische Raum, welcher sich in subjektiven Empfindungs- und Ausdruckslandschaften wiederfindet; und der ästhetische Raum, welcher der kommunikative Darstellungsraum des theoretischen und mythischen Raumes ist.
Raum als Vorstellungs- und Darstellungraums [ist] stets an die Anschauung des Subjekts gebunden. […] Das Subjekt erlebt den Raum durch die Körper in ihm, und es stellt ihn anhand der Körper und ihrer Relationen dar.45
Cassirer definiert den ästhetischen Raum als einen repräsentativen Raum, welcher den physisch bestimmten mit dem subjektiv empfundenen Raum verbindet und in einen Sinnzusammenhang bringt. Der ästhetische Raum ist dabei nicht allein eine künstlerische Bearbeitung der Raumvorstellung, sondern bezeichnet einen „allgemeinen Modus der Wirklichkeitswahrnehmung, die den realen Gegenstand und seine Wahrnehmungsweise als unauflösliches Geflecht betrachtet“46.
[D]as Reden vom Raum [ist] immer das Reden von einer Raumvorstellung, die als solche an ein bestimmtes Erkenntnisinteresse gebunden ist.47
Dieses Erkenntnisinteresse steht dabei nicht losgelöst im Raum. Vielmehr wird der Raum durch sinnstiftende, absolute Prinzipien strukturiert, welche die „Erfahrung des Raumes […] kontinuierlich auf ein teleologisches Ziel“ zulaufen lassen. Cassirer versucht mit seiner Phänomenologie der dreigeteilten Raumfragmente, die Raumerfahrung wieder zu einer identitätsvergewissernden Einheit zu verbinden.
Das Subjekt kann […] den Raum stets nur als geordneten erleben, weil, im Rückgriff auf die Kant’sche Transzendentallehre, das Orientiertsein im Raum die notwendige Vorbedingung für menschliche Erkenntnis darstellt.48
Cassirers teleologische Raumkonstruktion knüpft letztendlich wieder an klassischen Absolutheitskategorien an, wobei sie den identitätssichernden absoluten Raum zugunsten eines „subjektiv aufgesplitterten Darstellungs- und Betrachtungsraum[es]“ aufgibt, dessen polyperspektivistische Raumfragmente dann wieder auf eine Einheit zustreben.
Berg erklärt abschließend, dass die Überwindung der „theologisch garantierten Subjekt-Raum-Identität“ eine Verwischung der Räume bedingt, welche sich in Architektur, Kunst und Literatur seit dem 16. Jahrhundert als abgebildete Raumentfremdung beobachten lässt.49
Meiner Ansicht nach bemüht sich die nationalsozialistische ästhetische Raumkonstruktion, wieder eine gefestigte Subjekt-Raum-Identität herzurichten. Die entfremdete, fragmentarische Raumempfindung soll mittels kollektiver Symbole und absoluter Deutungsmuster beseitigt werden und die Summe der Teile wieder zu einem sinnstiftenden Ganzen gefügt werden.50
Cassirers Wiederbelebung vormoderner Vorstellungen sinnstiftender Prinzipien soll hier nicht als eine faschistische Raumästhetik ausgelegt werden. Allerdings bietet seine Phänomenologie die Möglichkeit, mittels seines konzipierten ästhetischen Raumes literarische Raumdarstellungen als Ausdruck des wahrgenommenen physischen Maßraumes und des subjektiven Raumempfindens zu verstehen. Zum anderen lässt sich seine Annahme sinnstiftender Prinzipien auf die nationalsozialistischen Vorstellungen von Lebensdeterminanten übertragen. In der nationalsozialistischen Teleologie diktieren Symbole wie Blut, Charakter, die Vorsehung etc. existentielle Ordnungsprinzipien.
2 Historische Darstellung der Besatzungszeit in Weißrussland
Im August 1941 erobert die deutsche Wehrmacht Belarus und die westlich des Dnjepr liegenden Gebiete.51 In den folgenden knapp drei Jahren bleibt der Frontverlauf nahezu unverändert, und bis zum Juli 1944 wird keine Schlacht mehr auf weißrussischem Boden geschlagen.
Da die Wehrmacht mit einem raschen Sieg rechnet, unterlässt sie im Sommer 1941 den Versuch, die Bevölkerungen im Osten für sich zu gewinnen. Das Auftreten der Besatzer in Weißrussland ist auf Herrschaft und Unterdrückung ausgerichtet. Für die militärische Sicherung des besetzten Hinterlandes stehen der Wehrmacht unzureichend Truppen zur Verfügung. Die Taktik der abschreckenden Brutalität soll daher jeden Widerstand im Vorfeld unterdrücken. Terror und Gewalt dienen der Einschüchterung der zivilen Bevölkerung.52 Ein deutscher Augenzeuge schreibt Juli 1941 entsetzt an Rosenberg, dass in Minsk unmittelbar nach Eroberung der Stadt alle wehrfähigen Männer und die Kriegsgefangenen auf dem Wilhelmsplatz zusammengetrieben wurden. 140.000 Menschen werden unter „Anwendung brutalster Gewalt“ sechs bis acht Tage ohne Verpflegung festgehalten. Nachts fallen „die hungernden Zivilisten über die Versorgten her“.53
Die deutschen Erfolge bleiben allerdings hinter den gesetzten Zielen der Offensive zurück. Generalstabschef Halder notiert am 11.8.41 in seinem Kriegstagebuch, dass der Russe kolossal unterschätzt worden ist.54 Die deutschen Angriffspläne haben auf eine rasche Zerschlagung der Roten Armee und der sowjetischen Führung durch die Eroberung Moskaus vor Jahresende gesetzt. Im November kommt die deutsche Offensive an der Ostfront aber durch einen plötzlichen Kälteeinbruch zum Erliegen. Die Wehrmacht ist für den bitteren russischen Winter schlecht ausgerüstet und erleidet viele Verluste durch Kälte und mangelnde Versorgung. Die bisher erfolgreiche Blitzkriegstrategie, auf der das Gesamtkonzept des Feldzuges aufbaut, scheitert bereits in den ersten Wochen des Überfalls.55 Die deutsche Besatzung stellt sich nun auf einen längeren Krieg ein und ändert auch die Strategie gegenüber der Zivilbevölkerung, indem sie nun versucht, das Vertrauen der Belarussen zu gewinnen und ihnen die
Hoffnung auf eine bessere Zukunft (und den Glauben an eine bessere Gegenwart) unter deutscher Besatzung zu suggerieren. Doch die Wehrmacht hat ihr anfängliches Vertrauenskapital bereits verspielt. Während nun die Zivilverwaltung die Bevölkerung propagandistisch für die deutschen Ziele zu gewinnen versucht, ohne feste Versprechen geben zu können, bringt die Versorgung der Truppe wie auch Europas aus den besetzten Gebieten, die ,Endlösung der Judenfrage’ und die
,Bandenbekämpfung’ ungeheuerliche Verheerungen übers Land.
Weißrussland gehört zu den Gebieten, welche „die fürchterlichsten Opfer“ bringen mussten.56 Ein Fünftel bis ein Drittel der weißrussischen Bevölkerung wird durch Hunger, Terror und bei der Partisanenbekämpfung während der deutschen Besatzungszeit umgebracht.57 Genaue Zahlen darüber gibt es nicht. Gerlach schätzt, dass von den 10,6 Millionen Belarussen 2,2 Millionen durch die deutsche Okkupation starben.58 Nach 1945 besitzen nur noch 4 Millionen Belarussen ein eigenes Heim. Mehr als die Hälfte der überlebenden Bevölkerung lebt nicht mehr an ihrem ursprünglichen Wohnort. Große Teile des staatlichen und privaten Eigentums sind zerstört worden.59
2.1 Strukturpolitik in Weißrussland
Es existieren zu Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion keine ausgearbeiteten Besatzungspläne für das weißrussische Gebiet.60 Das
„wenig attraktive Gebiet“ soll nach den Plänen Hitlers, Keitels, Rosenbergs und Bormanns Reichsland werden61 und als „Sprungbrett nach Moskau“62 dienen.
[S]tatt als Siedlungsland sollte Weißrussland als eine Art Kolonialgebiet dienen, in dem auf unabsehbare Zeit eine dünne deutsche Oberschicht und Verwaltung die Interessen des Reiches durchsetzen sollte.63
Die weißrussische Landbevölkerung soll „in ihrer Mehrheit nicht“ verdrängt oder ermordet, „sondern als abhängige, bedürfnis- und willenlose Bauern“ ausgebeutet werden.64 Ernsthafte Ansiedlungspläne Volksdeutscher werden allerdings nicht verfolgt. Es bestehen zusätzlich Überlegungen, ,asoziale Menschen’ und Juden zu deportieren und in Weißrussland zur Zwangsarbeit anzusiedeln. Diese Pläne werden allerdings nicht mehr umgesetzt: Ab 1942 werden fast alle abgeschobenen Juden unmittelbar ermordet.65
Nach dem Überfall zielt die nationalsozialistische Besatzungspolitik in den besetzten Gebieten darauf ab, die verschiedenen unterworfenen Nationalitäten gegeneinander auszuspielen. Nationale und rassebio- logische Strömungen sollen in der Bevölkerung gefördert werden, ohne ihr jedoch ein reales politisches Mitspracherecht und Souveränität einzuräumen.66 Insbesondere in Weißrussland soll ein weissruthenischer Nationalgeist gefördert werden, welcher der Bevölkerung eine antisow- jetische Identität und Interessengleichheit mit den deutschen ,Rettern’ suggerieren soll. Um sie von den Russen abzugrenzen, bezeichnen die Besatzer die Belarussen als „Weissruthenen“ oder „Ruthenen“. Weiß- russisch wird als Amtssprache eingeführt, politische und exekutive Funktionen mit „rassischen“ Ruthenen besetzt.67 Sofern sie kollaborieren, sollen die Weißrussen ein formales Recht auf Selbstbestimmung erhalten. Die in Aussicht gestellte wirtschaftliche und politische Souveränität bleibt allerdings Utopie. Die deutschen Besatzer wollen damit den Widerstand gegen die landwirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Gebiete beseitigen.68 Die anfängliche Kollaborationsbereitschaft und Freundschaft zu den deutschen „Befreiern“ weicht schnell unter der erlebten „Last der Zwangsarbeit und Ablieferungen an die neuen Herren“.69 Unter den Eindrücken der Verschleppungen, dem Hungermorden und dem Terror gegen die Bevölkerung verlieren die propagierten ,Befreiungs’-Parolen ihre Glaubwürdigkeit.
Die NS-Gewaltpolitik gegen die weißrussische Bevölkerung begründet sich jedoch nicht in erster Linie auf das „Primat[s] der Weltanschauung“, wonach die Mordhandlungen sich allein durch den nationalsozialistischen Rassenhass erklären lassen. Im Vordergrund für die Gewaltpolitik stehen für Christian Gerlach die „kriegswirtschaftlichen Interessen“: „Das Hauptziel der deutschen Führung war auch bei ihren Verbrechen in Weißrussland, den Krieg zu gewinnen.“70
Ideologie und Ökonomie sind gemeinsame Faktoren der Massenmorde. Der Rassismus macht das Zustandekommen und den Verlauf der
Massenmorde erst möglich, doch die wirtschaftlichen Krisen beschleunigen und „bestimm[t]en das Tempo der Vernichtung“.71 Das Zusammenwirken von ideologischen und ökonomischen Faktoren, Wirtschafts- und Vernichtungspolitik „war in der nationalsozialistischen Programmatik angelegt.“72
Es geht an die Grenzen menschlichen Begreifens, aber selbst im Plan, etwa dreißig Millionen Menschen in der Sowjetunion durch Hunger, Unterversorgung und eine brutale Besatzungspolitik zu ermorden, war die Vernichtung kein Selbstzweck, sondern Mittel, um ein wirtschaftlich definiertes Ziel zu erreichen.73
Neben der SS und den Polizeieinheiten sind ebenso die Wehrmacht und die Zivilverwaltung „Initiatoren und Entscheidungsträger beim Massen- mord“.74
Die wirtschaftlichen Zielsetzungen und ihre Beeinflussung der deutschen Terrorpolitik lassen sich in drei Krisen der deutschen Versorgung einteilen, die das Massensterben beschleunigen75:
1. Phase: Anfang 1941
Die prekäre Versorgungslage lässt im Vorfeld des Überfalls das deutsche Oberkommando der Wehrmacht den Plan entwickeln, Millionen Russen verhungern zu lassen und damit Reserven für die deutschen Truppen und die europäische Bevölkerung freizugeben. In den deutschen Angriffsplänen ist die Versorgung der Truppen aus den besetzten Gebieten eine eingeplante Kriegsnotwendigkeit. Im Kriegswinter 1940/41 werden die deutschen Getreidevorräte so gut wie aufgebraucht. Die eroberte Infrastruktur reicht zudem nicht aus, genügend Vorräte und Material an die Front zu verfrachten. Um die nötigen Überschüsse zu erzielen, soll das
„Konsumniveau“ der Bevölkerung in den eroberten Ostgebieten gesenkt und die „Bevölkerungsstruktur geändert werden“.76 Neben der Entstädterung und Entindustrialisierung Weissrutheniens beinhaltet dies, Teile der Bevölkerung zu Tode zu hungern.77 Insgesamt sollen nach den deutschen Kriegsplänen 30 Millionen sowjetische Bürger sterben. Eine ausreichende Versorgung von Kriegsgefangenen wird von vornherein nicht eingeplant.
Im März 1941 hatte sich der Gedanke des Hungerplans und der Massenverbrechen bereits in der gesamten Militärführung durchgesetzt[…], relativ leicht, weil sie eben als militärische und politische Notwendigkeit gesehen wurden.78
Jedoch wird „mit der Länge des Krieges und der Weite des eroberten Raumes eine Änderung dieser Grundsätze notwendig“.79 Das deutsche Oberkommando stellt fest, dass der menschliche Organismus wider- standsfähiger als erwartet ist und das Mordhungern sich nicht so rasch wie geplant erfolgt.
2. Phase: Herbst 1941 bis Sommer 1942
Die überlasteten Versorgungswege und harten Widerstände der Roten Armee führen zu einer schweren Versorgungskrise des Ostheeres. Der Transport von Kriegsmaterial an die Front hat Vorrang. Die Truppen sollen ihre Versorgung direkt aus den besetzten Gebieten sicherstellen. Der Herbst 1941 bringt den Übergang von „utopischen Völkermordplänen zu tatsächlich durchführbaren Massenmordprogrammen“.80 Eine beschleunigte Ermordung der Kriegsgefangenen durch Hunger soll weitere Nahrungskapazitäten freisetzen. Der Plan, die Juden vollständig zu vernichten, wird umgesetzt und „hebt“ ebenfalls die „Nahrungsbilanz“. Statt des gezielten Verhungerns von Teilen der Bevölkerung verfolgen die Besatzer nun die Strategie des gezielten Aushungerns der gesamten Zivilbevölkerung. Lebensmittelrationen werden weiter gesenkt und nach Arbeitsleistungen verteilt.
Ab November 1941 wird das Interesse an Zwangsarbeitern größer als die „Entlastung“ der Ernährungsbilanz durch das Hungermorden.81 Der deutsche Arbeitskräftebedarf von 1,5 bis 2,5 Millionen Menschen soll durch Kriegsgefangene und sowjetischen Zivilisten gedeckt werden.82 Um die geforderten Arbeitskräfte einzutreiben, werden großangelegte, propagandistische Werbungen betrieben. Doch die anfänglichen Rekrutierungserfolge lassen rasch nach. Die Transporte werden in Folge mit Gewalt zusammengestellt.
Im April/ Mai 1942 tritt die langangekündigte neue „Agrarordnung“ in Kraft und führt zur teilweisen Auflösung des sowjetischen Kolchossystems. Den durch die Sowjets enteigneten Bauern wird ein Stück eigenes Land versprochen, welches sie teils kollektiv, teils selbstständig bewirtschaften.83 Jedoch fördert die „Agrarordnung“ nicht die Selbstständigkeit der belarussischen Landwirte, sondern intensiviert die Ausbeutung. Neben der rationelleren Arbeitsorganisation und der propagandistischen Motivierung der Landwirte zielt diese Maßnahme auf eine genauere Kontrolle der einzelnen Leistungen und erhöht den Druck auf die Bauernfamilien.
3. Phase: Herbst 1942 bis Mitte 1943
Die geplante Produktionssteigerung kriegsnotwendiger Güter in den Städten wird nicht erreicht, da die notwendigen Materialien und Energiekapazitäten fehlen. Des Weiteren mangelt es durch die Ermordung der Ghetto-Juden und die forcierte Stadtflucht der Belarussen an Arbeitskräften. ,Freie Arbeitskräfte’ werden wieder vom Land in die Städte deportiert.
Die Partisanenaktivität hat bereits im Winter 1941 drastisch zugenommen und entwickelt sich für die deutschen Operationen zu einer ernsthaften Bedrohung.
1941 hatten die Deutschen die weißrussischen Partisanen nur als potentielle [kursiv im Original, DZ] Bedrohung – überaus blutig – bekämpft. […] Die Situation änderte sich im Frühling 1942 drastisch. Die Partisanen agierten nun offensiver, in größeren und besser organisierten Verbänden und mit größerer politischer Unterstützung durch die Bevölkerung.84
Ab Sommer 1942 wird die Partisanenbekämpfung deshalb unter die einheitliche Führung Himmlers gestellt.85 Mit starken Verbänden kesseln Sicherungsdivisionen der Wehrmacht, SS- und Polizeikräfte die Partisa- nengebiete ein. Allerdings bekämpfen sie anstelle der Partisanen in erster Linie die Zivilbevölkerung in den Dörfern: nicht aus Furcht vor den bewaffneten Partisanen, sondern um deren politischen Einfluss auf die Ortschaften zu beenden und andere Dörfer vor einer Zusammenarbeit mit den Partisanen abzuschrecken.86
Im Herbst 1942 gibt Göring den Befehl, Gebiete, die für die Deutschen nichts erwirtschaften, komplett zu entvölkern („tote Zonen“), um die ergiebigen Landstriche besser kontrollieren zu können. Die
„Arbeitsfähigen“ werden verschleppt, die „Unbrauchbaren“ ermordet oder ihrem Schicksal überlassen. Dörfer werden komplett niedergebrannt, um das aufgegebene Gebiet zu veröden. „Die Partisanenbekämpfung wurde auf diese Weise zu einer terroristischen Strukturpolitik.“87
Durch die Konzentration auf die kontrollierten Gebiete können auch die Zwangsrekrutierungen und die arbeitsdienstlichen Verwaltungen koordinierter vorgenommen werden.
Ab Ende 1943 spitzt sich die deutsche Situation erneut zu. Mit dem Rückzug aus dem russischen Raum und dem äußersten Osten Weißrusslands werden alle einsetzbaren Einwohner und Familien mitgenommen, um Schanzarbeiten und andere Dienste für die Wehrmacht zu leisten. Die deutschen „Totalselektionen“ lassen die Alten und Schwachen, ihren Tod billigend, zurück88 oder ermorden sie in improvisierten Vernichtungslagern. Von Wehrdörfern aus sollen die wichtigsten Interessenzonen verteidigt werden. Belarussische Kinder werden nach Deutschland deportiert.
Am 22. Juni 1944 werden die Besatzer drei Jahre nach dem Einmarsch in Folge einer fünfwöchigen Offensive aus Weißrussland vertrieben.89
2.1.1 Ambitionen der Wehrmacht
Vom Beginn des Ostfeldzuges an ist die Wehrmacht integral in die Verbrechen der nationalsozialistischen Eroberungspolitik eingebunden und leistet logistische sowie personelle Hilfestellung für die durchgeführten „Sonderaktionen“. Bis November 1941 erschießen Wehrmachtseinheiten im Raum Minsk selbstverantwortlich und systematisch ca. 20.000 Juden.90 Die „Zusammenarbeit mit der Wehr- macht [sei] ausgezeichnet“, steht in einem Bericht der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes vom 31.7.41 aus Weissruthenien.91 In den regelmäßigen Ereignismeldungen UdSSR heißt es über die Liquidierungen vom 5.8.41:
In Minsk wurde die Wehrmacht in umfassender Weise bei der Durchkämmung der von ihr errichteten Zivilgefangenenlager unterstützt. […] In Wilna gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht besonders erfolgreich.92
Gerlach kommt zu dem Ergebnis, dass „knapp über die Hälfte der ermordeten Zivilisten und Kriegsgefangenen in Weißrussland […] von Wehrmachtseinheiten umgebracht“ wurden.93 Doch nicht nur die
Ausführung von verbrecherischen Taten hat die Wehrmacht zu verantworten. Die Befehle, welche die Soldaten von jeder kriegsgerichtlichen Verantwortung freisprachen und die Eskalation der Gewalt und die Gräuel vorbereiteten, hat die Führung der Wehrmacht selbst verfasst. Der Kriegsgerichtsbarkeitsbefehl, der Kommissarsbefehl, der Disziplinarerlass u.a. stellen selbstständige Ausarbeitungen des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) dar.94 Zu Beginn 1941 wird vom OKW nacheinander die Ermordung der „jüdisch-bolschewistischen Intelligenz“, durch den Kommissarbefehl die Ermordung der Parteifunktionäre und schlussendlich mit dem „Barbarossa-Erlass“ aller Menschen, die in irgendeiner Form Widerstand leisten, legalisiert. In diesem für die Bevölkerung rechtsfreien Raum walten die Wehrmachtsangehörigen nahezu frei von militärgerichtlicher Verfolgung. Zugleich werden sie zu äußerster Härte gegen die Bevölkerung animiert.95
Verfolgt man die Entwicklung der Einbeziehung der Wehrmacht in die Ausrottungspolitik im Osten, so stellt man fest, daß während dieses Prozesses der Einbeziehung, zwischen Februar und Juli 1941, das Ziel [durch die Wehrmacht, DZ] selbst radikalisiert wurde.96
Das Heer will sich als politisch vorbildliches, zuverlässiges Soldatentum präsentieren, um sich gegenüber der Konkurrenz der SA und Waffen-SS als „treuer Paladin des Führers“97 zu profilieren. Zur Sicherung einer führenden Nachkriegsrolle der Wehrmacht kommen die individuellen Macht- und Beutebestrebungen der alten Eliten der Wehrmachtsführung. Das „grobe Raster“ der nationalsozialistischen Globalziele nährt bei der Wehrmachtsführung den Glauben, durch eine aktive Beteiligung die eigenen Ziele durchsetzen zu können.98
Wehrmachts- und Heeresführung waren zur Wahrung und zum Ausbau der eigenen Stellung im Hinblick auf die für die Zukunft erhoffte Position bereit, mehr und mehr Anteil an der Ausrottungspolitik zu nehmen. In der Siegesgewißheit des Frühjahrs 1941 mochte dies als kurze Schmutzperiode erscheinen, durch die man hindurch mußte, weil man danach darauf zählen zu können glaubte, daß das siegreiche Heer die Situation beherrschen würde. In der Rückschau erscheint die Heeresführung freilich in der Position eines Spielers, der alles, auch das Grundkapital, auf eine letzte Karte setzte, um den Sieg zu erzwingen.99
[...]
1 MZ 430921 4 „Wir zwingen den Raum!“ Der Generalkommissar in Weissruthenien in den Gebieten Baranowitsche und Slonim
2 Ebd.
3 Schlootz, Johannes: Deutsche Propaganda in Weißrußland 1941-1944. Eine Konfrontation von Propaganda und Wirklichkeit; Katalog zur Ausstellung; Berlin 1996
4 Je eine Kopie liegen in der Berliner Staatsbibliothek, in der Mikrofilm-Bibliothek des Otto-Suhr- Instituts der FU Berlin und im Staatsarchiv von Minsk aus.
5 Schlootz, S. 4f.
6 Kohl, Paul: Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941-1944. Sowjetische Überlebende berichten; Frankfurt a.M. 1998
7 Vgl. Meyer, Klaus/ Wippermann, Wolfgang (Hg.): Gegen das Vergessen: der Vernichtungskrieg
gegen die Sowjetunion 1941-1945. Deutsch-Sowjetische Historikerkonferenz im Juni 1991 in Berlin über Ursachen, Opfer, Folgen des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion; Frankfurt a.M. 1992
8 Voigt, Theresa: Zwischen Nazipropaganda und Realität. Die Einstufung der Bevölkerung von
Belarus während des 2. Weltkrieges als „Hilfsvolk“ oder als „Untermenschen“; Diplomarbeit. Ein Exemplar liegt in der Bibliothek des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin zur Ansicht. Ansonsten steht die Arbeit als kostenpflichtiger Download im Internet bereit, wie bspw. unter www.diplomarbeiten24.de. Voigt vollzieht eine kritische Diskursanalyse nach Siegfried Jäger, welche sich an Foucault orientiert. (Vgl. Jäger, Siegfried: Kritische Diskursanalyse – Eine Einführung; Duisburg 1993)
9 Voigt, S. 75. Voigt untersucht in der Minsker Zeitung die Symbole „Freund und Feind“,
„Deutsche, Vertrauen und Dank“, „Weißruthenen, Sprache und Bauernvölker“ und die
„Agrarordnung“. (Vgl. S. 63-71)
10 Voigt, S. 77
11 Vondung, Magie und Manipulation; Göttingen 1971, S. 188
12 Für eine Darstellung der Lebens- und Alltagssituation verweise ich hier auf die entsprechende Literatur, u.a.: Chiari, Bernhard: Die Büchse der Pandora. Ein Dorf in Weißrußland 1939 bis 1944; S. 879-900; oder Musial, Bogdan (Hg.): Sowjetische Partisanen in Weißrußland. Innenansichten aus dem Gebiet Baranovici 1941-1944. Eine Dokumentation; München 2004; bzw. Gerlach, der die jüngste und umfassendste Arbeit über die Besatzungszeit in Weissruthenien lieferte: Gerlach, Christian: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941-1944, Hamburg 1999. Zeitzeugenberichte sowjetischer Überlebender finden sich in: Kohl, Paul: Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941-1944. Sowjetische Überlebende berichten; Frankfurt a.M. 1998
13 Von den 800.000 Juden der Weißrussischen Republik starben 650.000. Im Verhältnis zu den
2,2 Millionen getöteten Weißrussen (Gerlach, S. 11) stellen sie innerhalb der absoluten Opferzahl allerdings eine Minorität dar: von den außerhalb der Kampfhandlungen getöteten waren 30% Juden. (Gerlach, S. 1147) Weißrussland verlor insgesamt 1/3 seiner Bevölkerung. Nach Gerlach ist der Verlauf (nicht die Ursache) der beschleunigten Ermordung der gesamten jüdischen Bevölkerung auch mit dem Hintergrund der ernährungswirtschaftlichen Strategie des Dritten Reiches zu quantifizieren (vgl. 2.1 dieser Arbeit). Die Ermordung des größten Teils der russischen Juden war bereits vor 1941 beschlossene Sache. Zunächst wurden im Sommer 1941 gezielt Männer zwischen 15 und 50 Jahren erschossen. „Am 2. Oktober begann die totale Vernichtung der ostweißrussischen Juden mit der ersten Ghettoaktion in Mogilew.“ (Gerlach S. 1136; vgl. ebd. S. 1135-1143 sowie Kap. 7). Vgl. auch: Chiari, Bernhard: Die Büchse der Pandora. Ein Dorf in Weißrußland 1939 bis 1944; S. 879-900, hier S. 879-883. Zur Vernichtung der europäischen Juden vgl. Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden; 3 Bde; Frankfurt a.M. 1990
14 Vgl. Wendtorf, Dirk: Adoleszente Wehrmachtssoldaten in der Nachkriegsliteratur; Bern 2006; S. 43
15 Gorr, Doris: Nationalsozialistische Sprachwirklichkeit als Gesellschaftsreligion – Eine
sprachsoziologische Untersuchung zum Verhältnis von Propaganda und Wirklichkeit im Nationalsozialismus; Aachen 2000, S. 16. Als Vertreter sind u.a. zu nennen: Sternberger, Dolf/ Storz, Gerhard/ Süskind, Wilhelm E.: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Neue erweiterte
Ausgabe mit Zeugnissen des Streites über die Sprachkritik; Hamburg 1968; Berning, Cornelia: Die Sprache des Nationalsozialismus; Bonn 1959
16 Gorr, S. 59
17 Der Propaganda-Film „Das Gesicht des Bolschewismus“ über die militärische Macht der SU wurde von Arbeitern gerade deshalb angesehen, um die Internationale hören zu können. (Bauer, Gerhard: Sprache und Sprachlosigkeit im „Dritten Reich“; Köln 1990, S. 76) Für Verärgerung sorgte auch der Vorfall, dass der charismatische Schauspieler Ferdinand Marian für die Darstellung des Juden Süß-Oppenheimer im Film „Jud Süß“ (1940, Regie: Veit Harlan) eine Vielzahl von Liebesbriefen deutscher Frauen erhielt.
18 Vgl. Winde, Mathias Aljoscha: Bürgerliches Wissen – Nationalsozialistische Herrschaft. Sprache in Goebbels Zeitung „Das Reich“; Frankfurt a.M. 2002, hier S. 16f.
19 Ein wesentlicher Kritikpunkt ist zudem, dass bei der Erforschung der NS-Propaganda die
gelebte, reale Alltagswelt im Dritten Reich häufig übergangen wird. Nazideutschland zeigte sich den Deutschen nicht allein auf der Basis von Antisemitismus, Rassenhass und Gewalt. Für die deutschen Volksgenossen war der Nationalsozialismus auch eine „Zeit der Feier“, „Verklärung des Alltags“ und „Narkotik von Festlichkeit“. (Ehlich, Konrad: Faschismusmerkmale; in: ders. [Hg.]: Sprache im Faschismus; Frankfurt a.M., S. 7-34, hier S. 17) Volkstümeleien und Heiterkeit sollten dann auch diejenigen Deutschen auf die wohlige Volksgenossenschaft einstimmen, welche sich nicht vom rassebiologischen und weltimperialistischen Bewusstsein mitreißen ließen. (Bauer, S. 52)
20 Winde, S. 26
21 Ebd., S. 14
22 Ebd., S. 64. So wurden im Reich auch differierende Sichtweisen und Darstellungen zugelassen, jedoch nur so lange, wie sie die Praxis politischer Gewalt nicht gefährdeten.
23 Longerich, Peter: Propagandisten im Krieg – Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop; München 1987, S. 73
24 Ehlich, S. 17
25 Gorr, Doris: Nationalsozialistische Sprachwirklichkeit als Gesellschaftsreligion – Eine sprachsoziologische Untersuchung zum Verhältnis von Propaganda und Wirklichkeit im Nationalsozialismus; Aachen 2000
26 Ebd., S. 44
27 Ebd., S. 42
28 Ebd., S. 16
29 Ebd., S. 42
30 Vgl. Assmann, Aleida & Jan: Das Gestern im Heute. Medien und das soziale Gedächtnis; in: Merten, Klaus (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft; Opladen 1994, S. 114-140
31 Gorr, S. 45 32 Ebd., S. 58 33 Ebd., S. 45 34 Ebd., S. 58
35 Gorr, S. 59f
36 Gorr, S. 152
37 Wenzel, Andreas: Tendenzielle Meinungsbildung mittels sprachlicher Manipulation in der rechtsradikalen Publizistik. Eine kritische Untersuchung der Propagandamethoden der
„Deutschen National-Zeitung“ im Vergleich zum NSDAP-Parteiorgan „Völkischer Beobachter“; Bochum 1981, S. 157 sowie 128. Vgl. Cole, Robert: Propaganda in Twentieth Century War and Politics – An Annotated Bibliography; London 1996: „Propaganda […] is information arranged in such a way as to appeal to the emotions of a given audience, for the purpose of persuading that audience in a particular direction.“. (S. 2f., zitiert nach: Wenzel, S. 157)
38 Winde, S. 16
39 Ebd., S. 18
40 Berg, Stephan: Schlimme Zeiten, böse Räume. Zeit- und Raumstrukturen in der phantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts; Stuttgart 1991, S. 62
41 Ebd., S. 69
42 Ebd., S. 73
43 Ebd., S. 81
44 Ebd., S. 73
45 Ebd., S. 81
46 Ebd.
47 Ebd., S. 74
48 Ebd., S. 75
49 Ebd., S. 255
50 Vgl. zur Restaurierung einer ganzheitlichen Symbolwelt durch die konservativen Revolutionäre: Gaul-Ferenschild, Hartmut: National-völkisch-konservative Germanistik: kritische Wissenschaftsgeschichte in personengeschichtlicher Darstellung; in: Literatur und Wirklichkeit, Bd. 27. Bonn 1993
51 Vgl. Gerlach, Christian: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941-1944; Hamburg 1999, S. 128-134
52 Ebd., S. 214
53 Ministerialrat Xaver Dorsch an den Minister für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, über das Zivilgefangenenlager in Minsk; 10.7.41; zitiert nach Kohl, S. 247
54 Vgl. hierzu Humburg, Martin: Das Gesicht des Krieges. Feldpostbriefe von Wehrmachtsoldaten aus der Sowjetunion 1941-1944; Opladen/ Wiesbaden 1998, S. 24-34
55 Ebd., S. 28
56 Gerlach, S. 1128
57 Chiari, Bernhard: Die Büchse der Pandora. Ein Dorf in Weißrußland 1939 bis 1944, in: Müller, Rolf-Dieter/ Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität; München 1999, S. 879-900, hier S. 879
58 Gerlach, S. 11
59 Ebd., S. 1161
60 Gerlach, S. 106
61 Ebd., S. 113
62 Ebd., S. 1126
63 Ebd., S. 127
64 Ebd., S. 1126
65 Ebd., S. 1127
66 Durch die Zergliederung der ehemaligen Sowjetrepublik in nationale Interessengebiete sollte die vollständige Abtrennung von der Sowjetunion erreicht werden. Vgl. hierzu: Weißbecker, Manfred: „Wenn hier Deutsche wohnten…“ Beharrung und Veränderung im Rußlandbild Hitlers und der NSDAP; in: Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Das Rußlandbild im Dritten Reich; Köln 1994, S. 9-54, hier S. 35f.
67 Gerlach, S. 98f.: Die praktischen Erfahrungen der Besatzer zeigten jedoch, dass die Weißrussen
sich eher als Russen begriffen. Die Förderung der weissruthenischen Sprache führte zu Verständigungsproblemen, denn die Sprache wurde nur von Teilen der Weißrussen beherrscht. Daher wurde weiterhin Russisch gesprochen.
68 Ebd., S. 1127
69 Müller, Rolf-Dieter (Hg.): Die deutsche Wirtschaftspolitik in den besetzten sowjetischen Gebieten 1941-1943. Der Abschlußbericht des Wirtschaftsstabes Ost und Aufzeichnungen eines Angehörigen des Wirtschaftskommandos Kiew; Boppard a. Rhein 1991, S. 5
70 Ebd., S. 1144
71 Ebd., S. 1145
72 Ebd., S. 1146. Oberste Priorität hatte die Versorgung der Truppe und die Belieferung des Reiches auf Kosten der Bevölkerung, heißt es im Wirtschaftsbericht des Wirtschaftsstabes (WiSta) Ost. (Müller, R.-D. 1991, S. 161)
73 Gerlach, S. 1146
74 Ebd., S. 1151. Zwischen der Zivilverwaltung und SS bzw. den Polizeieinheiten ergaben sich zentrale Konflikte. Die SS wollte nicht nur Befehlsempfänger und „ausführender Arm der
Verwaltung“ beim Massenmorden sein, sondern eigenmächtig handeln.
75 Ebd., S. 1144
76 Gerlach, S. 1143
77 Gerlach, S. 1129: „Entstädterung, Entindustrialisierung […] und das Gewinnen von Agrargütern auf Kosten der sowjetischen Bevölkerung blieben die miteinander verbundenen Hauptziele der Besatzungspolitik.“
78 Ebd.
79 Ebd.
80 Ebd., S. 1132
81 Ebd., S. 1129
82 Den Auftakt für den Einsatz russischer Zivilarbeitskräfte setzte eine Besprechung Görings mit dem WiSta Ost am 7.11.41, der am 4.12.41 die Anwerbungsanweisungen in die besetzten Gebiete weiterleitete. Der erste Transport geht am 10.12.41 nach Westfalen. (Müller, R.-D. 1991,
S. 318) 1942 wurden 1,4 Millionen sowjetische Zivilisten ins Reich deportiert. (Gerlach, S. 1135)
83 Gerlach, S. 1138f.; vgl. Müller, R.-D. 1991, S. 108
84 Gerlach, S. 1141
85 Humburg, S. 48
86 Gerlach, S. 1141f.
87 Ebd., S. 1142
88 Ebd., S. 1143. Zudem sollte ihre Versorgung die Vorräte der heranrückende Rote Armee belasten.
89 Vgl. Gerlach, S. 128-134. Am 4.7. wird Minsk und am 28.7. Brest, die westlichste Stadt
Weissrutheniens, zurückerobert. Im August ist das gesamte russische Gebiet von deutschen Besatzern befreit.
90 Heer, Hannes: Killing Fields. Die Wehrmacht und der Holocaust; in: Heer, Hannes/ Naumann,
Klaus (Hg.): Vernichtungskrieg: Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944, Hamburg 1995, S. 63-65
91 Zitiert nach: Kohl, S. 227
92 Ebd., S. 228
93 Gerlach, S. 1151
94 Streit, Christian: Keine Kameraden: Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945; Stuttgart 1978, S. 55ff. Die Dokumente sind abgedruckt in: Benz, Wolfgang/ Kwiet, Konrad/ Matthäus, Jürgen (Hg.): Einsatz im „Reichskommissariat Ostland“. Dokumente zum Völkermord im Baltikum und Weißrußland 1941-1944; Berlin 1998; Vgl. hierzu: Förster, Jürgen: Zum Rußlandbild der Militärs 1941-1945; in: Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Das Rußlandbild im Dritten Reich; Köln 1994, S. 141-164,
95 Förster, S. 146
96 Streit, S. 61
97 Humburg, S. 50. Vgl. hierzu: Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der Indoktrination; Hamburg 1969
98 Streit, S. 27
99 Ebd., S. 61
100 Ebd., S. 44. Belegt sind die schriftlichen Ablehnungen von Generalfeldmarschall von Bock, Oberbefehlshaber (OB) der Heeresgruppe Mitte, oder von Generalfeldmarschall von Kluge, OB des Armeeoberkommandos. Von Bock erreichte sogar innerhalb seines Kommandos die Änderung des Disziplinarerlasses, sodass Straftaten von Soldaten an sowjetischen Zivilisten wie üblich kriegsgerichtlich geahndet wurden.
101 Humburg, S.49
102 Streit, S. 36. Mit dem sich in Kriegsgefangenschaft befindenden russisch-nationalen General Vlasov wurden wiederholt (letztendlich ergebnislose) Gespräche über eine russische Truppe in der Wehrmacht geführt. Sein russisches Kommando erhielt er dann im April 1945 in Deutschland, um nur wenige Tage später in russische Kriegsgefangenschaft zu geraten und hingerichtet zu werden. Vgl. auch Förster
103 Förster, S. 157
104 Streit, S. 41
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