Die Schere zwischen Arm und Reich driftet in Deutschland immer weiter auseinander. Während die Reichen Vermögen vererben, haben die Armen selten genug Rente, um in Würde zu altern. Die neue Koalition ist eine Hoffnung für Deutschland, die Sozialpolitik auf neue Wege zu bringen. Doch dafür bedarf es langfristiger Strategien. Wie kann in Deutschland ein sicheres Einkommen und eine stabile Altersvorsorge für die einkommensschwache Bevölkerungshälfte generiert werden?
Peter Thurnhofer untersucht in seinem Buch die Fehler der Politik der letzten Jahrzehnte. Die Bezeichnung „Soziale Marktwirtschaft“ hatte mit Beginn der neoliberalen Politik das Attribut „Sozial“ verloren. Nach dem Verständnis von Erhard sollten Lebensbedingungen und die Chancen und Möglichkeiten für alle Menschen in einer Gesellschaft annähernd gleich sein. Heute geht es nur noch um Befriedigung der Grundbedürfnisse bei gleichzeitiger Senkung der Kosten. Als Ursache dafür sieht Thurnhofer eine Investitionskrise, weil dem Staat Mittel entzogen wurden, die er benötigt, um Strukturinvestitionen vorzunehmen, die der private Sektor zwar tätigen könnte, weil er die Mittel dazu hat, jedoch nicht tätigen wird, weil es nicht die Gewinne verspricht, die Grundlage einer privaten Investition sind.
In mehreren Schritten leitet der Autor den Leser durch die Wirtschaftspolitik Deutschlands seit 1950. Dabei geht er auf Entscheidungen und Beschlüsse der Bundesrepublik ein. Diese zeigen die Probleme in der Verteilung von Arbeits- und Kapitaleinkommen auf. Nur mit Vorschlägen, die sich mit einer vernünftigen Vermögensverteilung am Produktivkapital beschäftigen, kann das gesellschaftliche Problem gelöst werden. An dieser Stelle setzt der Autor an und entwickelt Vorgehen, mit denen die sozial- und wirtschaftspolitischen Themen in der Bundesrepublik erfolgreich umgesetzt werden können. Sein Buch richtet sich an Politiker, Unternehmer und Wirtschaftswissenschaftler sowie an alle an internationalen und finanziellen Angelegenheiten interessierten Leser.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Vorwort
Anmerkung
ERSTES KAPITEL Das wirtschaftspolitische Zielkonzept Deutschlands von 1948 und die Zielerreichung
Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft – Wohlstand für alle
Entwicklung der wirtschaftspolitischen Ziele
Der »normal kapitalisierte Staat« 1950 bis 1982
Der »schlanke kapitalisierte Staat«– Neoliberalismus ab 1982 bis heute
Der »fette kapitalisierte Staat« – sozialistische Planwirtschaft der DDR 1949 bis 1990
Die Rolle des Staatsvermögens
Definition Staatsvermögen
Notwendigkeit von Staatsvermögen
Staatsvermögen im »fetten kapitalisierten Staat«
Staatsvermögen im »normal kapitalisierten Staat«
Staatsvermögen im »schlanken kapitalisierten Staat« (Neoliberalismus)
Investitionsprobleme im »Magerstaat«, vormals »schlanker kapitalisierter Staat«
Was ist der bessere Weg?
Zielsetzung in Bezug zur Zielerreichung nach 70 Jahren
Stabilität des Preisniveaus – durch Zentralbank weitgehend erreicht
Außenwirtschaftliches Gleichgewicht – weitgehend nicht erreicht
Ausgeglichene öffentliche Haushalte – meist eine Katastrophe
Stetiges und angemessenes Wachstum – weitgehend nicht erreicht
Gerechte Einkommensverteilung – völlig verfehlt
Hoher Beschäftigungsstand (Arbeitslosigkeit) – verfehlt durch Einsatz falscher Mittel
Offizielle und verdeckte Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse
Atypisch Beschäftigte
Scheinselbstständigkeit
Niedriglohnsektor, Leiharbeit und Minijobs (Agenda 2010)
Hartz IV - Senkung der Sozialleistungen
ZWEITES KAPITEL Effekte der Primärsteuerung der Beschäftigung und die Auswirkungen der neoliberalen Politik ab 1982
Primärsteuerungsziel Beschäftigung
Entstehung der Arbeitslosigkeit
Frühe Ursachen der Arbeitslosigkeit (Beschäftigung)
Lohnerhöhungen und Inflation
Ölpreisschock
Globalisierung
Konzentration im Einzelhandel
Firmenzusammenbrüche und Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Späte Ursachen der Arbeitslosigkeit
Deutsche Wiedervereinigung
Internetboom
Immobiliencrash
Finanzmarktkrise
Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit
Konjunkturprogramme durch Verschuldung
Fehlende staatliche finanzielle Mittel für Investitionen
Die Notlösung der SPD – Agenda 2010 und Hartz IV
Die Rolle der Zinsen für die Staatsschuld
Quantitative Easing (QE) der Zentralbanken
Die Folgen der Geldschwemme sind gravierend
Arbeitslosigkeit im Vergleich der Systeme
Wechselkurs- und Kapitalverkehrsfreigabe ab 1973
Das Ende des Bretton-Woods-Systems
Floatender Wechselkurs, Kapitalverkehrsfreigabe
Ungehemmter Arbeitsplatzabbau durch Wechselkursfreigabe und WTO-Dominanz
Die Mont Pèlerin Gesellschaft als Gründer der WTO
Entwicklung von GATT und WTO
WTO Gesetzbildung durch Nationalstaaten und EU
Wie demokratisch ist die WTO?
Ausschluss der Öffentlichkeit von der Entscheidungsfindung
Die Entscheidungsfindung im »Green Room« der WTO
Beispiel einer außerplanmäßigen unilateralen Ministerkonferenz
Deindustrialisierung des Westens durch die WTO
Politisches Beispiel für den Untergang von Zukunftsindustrien
Der freie Kapitalverkehr und die Akzeptanz von Steueroasen
Europas Steueroasen – das geheime Vermögen
Die schlimmsten Steueroasen sind eng mit der EU verflochten
Die Big-Four-Wirtschaftsprüfer als ein integraler Bestandteil der Steuerflucht
Das Bankensystem für diese Steueroasen in London
Wie Firmen wie Apple den freien Kapitalverkehr nutzen
Die neoliberale Privatisierungspolitik ab 1982
Lobbyismus
Das System Helmut Kohl
Parteispenden werden nicht umsonst gegeben
Keine Kontrolle von Lobbyismus
Mitteilungen aus dem Parlament – der geschönte Armutsbericht
Privatisierungspolitik
Privatisierung von Firmen im Staatsbesitz der BRD
Privatisierung des gesamten DDR-Staatvermögens
Übernahme von Betriebsvermögen, Land und Boden
Vernichtung der Außenhandelsbetriebe (Export der DDR)
Übernahme von Geldvermögen
Privatisierung von Immobilien und Sozialwohnungen
Abkoppelung der Arbeitslöhne von der Produktivität
Verringerte Kaufkraft durch Lohndruck
Steueränderungen zugunsten der Vermögenden
Erhöhung der Lohnsteuer, Senkung der Einkommensteuer
Statt Einkommensteuer eine Abgeltungssteuer für Einkommen über 16.000 Euro
Senkung der Vermögenssteuern
Erhöhung von Verbrauchssteuern – Geringhaltung von Unternehmenssteuern
Senkung der Unternehmensbesteuerung
Erhöhung von Grund- und Grunderwerbssteuern
Vermeidung bei Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer
Das Erbrecht in Deutschland und Anmahnungen des Verfassungsgerichts
Der Ablauf einer Vermeidungspolitik
Die Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik ab 1982
Verlagerung des Staatsvermögens in privates Vermögen
Private Geldschwemme – Hortung in Milliarden
Umschichtung in andere Vermögenswerte – Vermögensinflation
Arbeitsplatzverluste durch verringerte private Investitionstätigkeit
Relative zunehmende Verarmung der Bevölkerung
Fehlen einer Unternehmenskultur
Fehlendes staatliches Risikokapital für private Investoren
Zunahme der sozialen Einkommensungleichheit
Rückgang der durchschnittlichen Realeinkommen für Arbeitnehmer
Steigerung der Nettoeinkommen aus Unternehmen und Vermögen
Lohnspreizung
Management
Sport
Zunahme der sozialen Vermögensungleichheit
Quelle der Ungleichheit
Fortsetzung der Ungleichheit in der Alterssicherung
Ermittlung von Vermögen
Vermögensverteilung von 1973 bis 2007
Prozentuale Entwicklung der Vermögensverteilung
Veränderungsraten und Geschwindigkeit
Vom Wohlstandsausschluss zum Protestwähler
Arbeitseinkommen
Im Grenzbereich zwischen Armut und Wohlstand
Inobhutnahmen
Auswirkungen von Hartz IV und Agenda 2010
Wohnen
Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit
Lebensunterhalt
Die Tafeln – Resteverwertung einer Wegwerfgesellschaft
Containern
Vorsorge und Renten
Die gesetzliche Rentenversicherung
Sinkende Rentenhöhe – steigende Versteuerung
Armutsrente
Steigende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt
Das Umlageverfahren in der Krise
Rentensenkung und Ausweitung des Renteneintrittsalters
Ruheständler in Österreich bekommen im Schnitt 60 % mehr Rente als deutsche
Inflationsrate und lineare Rentenanpassung
Staatspensionen und versicherungsfremde Leistungen
Kultur
Die Ergebnisse der neoliberalen Privatisierungspolitik
33 Millionen Bürger haben keine Ersparnisse
27 Millionen Bürger sind vom Wohlstand ausgeschlossen
19,5 Millionen Bürger leben in prekären Arbeitsverhältnissen oder in Armut
Die Schere geht weiter auseinander
Politische Auswirkungen der neoliberalen Politik
Unerwartete Immigration von Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen
Nationalismus nimmt zu – Beispiel Brexit
Aufstände sind zu erwarten – die Gelbwesten in Frankreich
Volksparteien verschwinden
Ein Zerfall des Euroraums droht
DRITTES KAPITEL Vorschläge zur Beseitigung der Investitionskrise mit dem Ziel Wohlstand für alle
Die Indikatoren einer Investitionskrise
Entstehung von Arbeitslosigkeit oder Niedriglohn
Entstehung der Investitionskrise – Analogie zum Babysitting-Modell
Notwendige Investitionen werden nicht vorgenommen
Öffentlicher Investitionsstau – Verlust von Arbeitsplätzen
Auch für die Bildung von Humankapital wird Staatskapital benötigt
Privater Finanzierungsüberschuss – öffentliches Finanzierungsdefizit
Der »schlanke kapitalisierte Staat« hat mit seiner Privatisierung übertrieben
Deficit spending ist nur mit Einkommen aus Staatsvermögen möglich
Investitionen, die besser vom Staat vorgenommen werden
Grundlegende persönliche Bedingungen zur Erreichung des Wohlstands
Arbeitseinkommen
Deckung der Ausgabenblöcke aus dem Arbeitseinkommen
Wie das Ziel »Wohlstand für alle« noch erreicht werden kann
Warum eine radikale Änderung dringend notwendig ist
Fehlende Definition des Wohlstandsziels
Teilhabe am Vermögen sollte das Ziel sein
Einrichtung eines Vermögenskatasters und Bewertung
Einrichtung eines öffentlich einsehbaren Grundstückskatasters
Neue Indikatoren zur Steuerung des Wohlfahrtziels
Zielsetzung in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft
Entwicklung eines Wohlstandsziels
Indikator Wachstum
Indikator Arbeitslosenquote
Vorschlag zur Wohlstandsmessung
Der Wohlstandsindikator als Ersatz der Arbeitslosenquote
Ziel- und Messgröße für die soziale Ungleichheit
Einkommenserhöhung der unteren Schichten
Anhebung des Mindestlohns auf die untere Wohlstandsgrenze
Wirtschaftlicher Nachfrageeffekt und Sparverhalten
Wirkung wie ein permanentes Konjunkturprogramm
Multiplikator-Effekt aus staatlicher Sicht
Einschätzung des Sparverhaltens
Verringerung der staatlichen Sozialkosten durch Selbstversorgung
Inflation durch Lohnanhebung
Entstehung zusätzlicher Arbeitsloser
Auswirkungen auf industrielle Massenarbeitsplätze
Auswirkungen auf industrielle schöpferische Arbeitsplätze
Auswirkungen auf Dienstleistungen
Schaffung von Arbeitsplätzen, in denen nicht nur diese Arbeitslosen neue Arbeit finden
Anhebung der Renten
Das Wirtschaftsministerium muss ins Zentrum
Außenhandelspolitik - Notwendige Reorganisation des globalen Außenhandels (WTO)
Wohlstandsmehrung beginnt im Lokalen und nicht im Globalen
Kritik an der WTO
Anforderungen an die WTO
Industriepolitik
Was Industriepolitik bedeutet, lernen wir von China
Dream Town – das chinesische Silicon Valley
Wichtigkeit von Grundlagenforschung
Unternehmer sollen gefördert und nicht behindert werden
Aufbau einer einfachen Anregungsstelle
Einrichtung eines strategischen Investitionsausschusses
Der Staat als Vermögensverwalter der Volksgemeinschaft
Maßnahmen zur Verhinderung von Investitionskrisen
Staats- und Volksvermögensfonds als Lösung
Ein gutes Beispiel bildet der Norwegenfonds
Die Fonds zur Steuerung einer neuen, sozialeren Wirtschaftspolitik
Organisation eines deutschen Staatsvermögensfonds
Vergleich zwischen privatem Vermögensfonds und staatlichem Vermögensfonds
Der Investitionsfonds für Arbeitsplätze und Einkommen
Das ERP-Sondervermögen zum unabhängigen Investitionsfonds ausbauen
Der Investitionsfonds als Sicherung technologischer Überlegenheit
Der Fonds zur Sicherung von bezahlbarem Wohnen
Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA)
Der Fonds zur Sicherung der Rente
Der Volksvermögens-Rentenfonds
Der Fonds zur Sicherung bei Krankheit und Pflege
Medizin
Altenheime und Pflege
Krankenhäuser
Krankenkasse
Finanzierung der Fonds
Moralische Aspekte der Finanzierung
Finanzierung aus Verhandlungen mit Unternehmen
Finanzierung durch Vermögensausgleich
Finanzierung aus der Erbschaftssteuer
Finanzierung aus Unternehmensanteilen
Finanzierung aus zu hohem Einkommen
Finanzierung aus dem Länderfinanzausgleich
Finanzierung aus der Bodenwertsteuer
Finanzierung durch Kreditaufnahme
Finanzierung über Umschichtung aus dem Rentenfonds
Finanzierung aus freien Sozialmitteln und zusätzlichen Steuereinnahmen
Die Möglichkeiten der Zentralbankpolitik
Zusammenfassung
VIERTES KAPITEL Bedeutung der Europäischen Union für jeden europäischen Staat
Die Macht der EU
Der Binnenmarkt
Globale Neupositionierung
Juristische Durchsetzung als Anwalt der Nationalstaaten
Wirtschaftssanktionen gegen die Steueroasen durch die EU
Globale Monopole besteuern
Investitionspolitik zur Angleichung der Volkswirtschaften
Die europäische Investmentbank (EIB)
Der Europäische Fonds für strategische Investitionen (ESFI)
Wirkung der EIB und des ESFI auch in Krisensituationen
Finanzierung des EU-Haushalts
Zuflüsse aus dem Lizenzsystem von ausländischen Firmen
Das Problem des Außenhandelsüberschusses
Zuflüsse aus den Exportüberschüssen
Einrichtung einer echten EU-Exekutive
Aktuelles EU-System
Anzustrebendes EU-System
EU-Wirtschaftsministerium
EU-Verteidigungsministerium
Förderung einer europäischen Informationspolitik
Förderung von Föderalismus in Europa
Definition des Föderalismus
Hilfe beim Aufbau von Föderalismus
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Geldvermögensentwicklung der privaten Haushalte – Deutschland 1949 bis 2017 (brutto)
Abb. 2: Entwicklung des Privatvermögens von 1999 bis 2017 Deutschland
Abb. 3: Das Staatsvermögen in Deutschland in Prozent des Nationaleinkommens 1870 bis 2010
Abb. 4: Inflationsrate in Deutschland 1950 bis 2018
Abb. 5: Exporte und Importe Deutschlands von 2000 bis 2018
Abb. 6: Gesamtstaat: Schuldenstand und Finanzierungssaldo 2003 bis 2017
Abb. 7: Wirtschaftswachstum in Deutschland von 1951 bis 2001
Abb. 8: Verteilungsrechnung des Bruttosozialprodukts für 2007
Abb. 9: Lorenzkurve der Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland (2005/2007)
Abb. 10: Vermögensverteilung 2002 und 2007 der Personen ab 17 Jahren
Abb. 11: Atypisch Beschäftigte 1991 bis 2016
Abb. 12: Ölpreisentwicklung in USD 1951 bis 2015
Abb. 13: Insolvenzen in Deutschland 1950 bis 2016
Abb. 14: Marktkapitalisierung und Investitionsentwicklung
Abb. 15: Entwicklung der Staatsverschuldung Deutschlands 1950 bis 2018
Abb. 16: Zinsentwicklung der Staatsschulden Deutschlands von 1969 bis 2015
Abb. 17: Kreditaufnahme des Bundes und Schuldentilgung 2003 bis 2007
Abb. 18: Investitionen und Zinsausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts 2012 bis 2016 in Milliarden Euro
Abb. 19: Entwicklung der Erwerbslosenquote in Deutschland 1951 bis 2009
Abb. 20: Demokratie-Index 2020
Abb. 21: Unilaterale außerordentliche WTO Ministerkonferenz
Abb. 22: Die schlimmsten Steueroasen 2017
Abb. 23: Apple-Umsatz in Europa in Milliarden USD (2012-2017)
Abb. 24: Entwicklung von Produktivität und Löhnen in der BRD 1970 bis 2017
Abb. 25: Spitzensteuersätze in Deutschland (ohne Soli) im Zeitablauf
Abb. 26: Kassenmäßige Steuereinnahmen in Millionen Euro Deutschland
Abb. 27: Preisbereinigte Einkommensteuertarife
Abb. 28: Steuereinnahmen Zinsabschlag und Abgeltungssteuer Deutschland
Abb. 29: Steuereinnahmen Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Vermögensabgabe und Lastenausgleich 1950 bis 2016
Abb. 30: Kleine Einkommen – große Belastung
Abb. 31: Steuereinnahmen aus Umsatz, Gewerbe und Körperschaft Deutschland
Abb. 32: Steuersätze auf Unternehmensgewinne
Abb. 33: Steuereinnahmen aus Grunderwerbssteuer und Grundsteuer Deutschland
Abb. 34: Verkäufe von baureifem Land und Preise
Abb. 35: Preisindizes für Wohnimmobilien
Abb. 36: Unternehmensgewinne und Nettoinvestitionen
Abb. 37: Armutsquoten nach SOEP und Mikrozensus im Zeitablauf
Abb. 38: Durchschnittliche jährliche Steigerung der Realeinkommen in Zyklen 1961 bis 2010
Abb. 39: Nettolöhne pro Monat und Arbeitnehmer 1970 bis 2018
Abb. 40: Entwicklung der Arbeitnehmer(einkommen) und der Unternehmens- und Vermögenseinkommen im Verhältnis zur Produktivität, 1950 = 100 %
Abb. 41: Die Top-Ten-Verdiener im Dax
Abb. 42: Vermögensverteilung 1973 bis 1998 und 2002 bis 2007
Abb. 43: Prozentuale Entwicklung der Vermögensverteilung der jeweils ärmsten und reichsten Fünftel (1973-2007)
Abb. 44: Veränderungsraten der realen Durchschnittseinkommen (netto) verschiedener Einkommensgruppen, 2000 bis 2009
Abb. 45: Zahl der Tafeln in Deutschland seit 1993
Abb. 46: Verteilung der Versichertenrenten, alte Bundesländer 2017
Abb. 47: Hartz-IV-Regelsatz 2018
Abb. 48: Wertverlust der Infrastruktur in Deutschland 1991 bis 2017
Abb. 49: Investitionsstau bei Kommunen in Deutschland
Abb. 50: Investitionen und Zinsausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts 2012 bis 2016 in Milliarden Euro
Abb. 51: Median des monatlichen Haushaltsnettoeinkommens 2013 nach Dezilen
Abb. 52: Mittelwerte von Netto-Kapital- und Netto- Arbeitseikommen 2010
Abb. 53: Bildung eines einfachen Wohlstandsindikators
Abb. 54: Haushaltstyp 2005 Nettoäquivalenzeinkommen und Armutsrisikoquote
Abb. 55: Das reichste 1 % besitzt 90 % des Betriebsvermögens
Abb. 56: Die weltweit zehn größten Staatsfonds
Abb. 57: Organisation deutscher Staatsvermögensfonds
Abb. 58: Dividendenrendite von 2019 bezogen auf einen früheren Kauf
Abb. 59: Vergleich privater Vermögensfonds vs. Staatsvermögensfonds Teil 1
Abb. 60: Vergleich privater Vermögensfonds vs. Staatsvermögensfonds Teil 2
Abb. 61: Unabhängiger staatlicher Investitionsfonds
Abb. 62: Übersicht und Aufbau des kapitalgedeckten Rentenfonds
Abb. 63: Gesundheitsfonds vom 1. Januar 2009
Abb. 64: Geldvermögen und Erbschaftssteueraufkommen 1949 bis 2014
Abb. 65: Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitern
Abb. 66: Länderfinanzausgleich über Investitionsfonds
Abb. 67: Staatsverschuldung der EU-Länder
Abb. 68: Das Lizenzsystem im System der Steuervermeider
Abb. 69: Apple-Konzernbesteuerung
Abb. 70: Investitionsvolumen mit dem EFSI
Abb. 71: Struktur der Zahlungsbilanz
Abb. 72: Saldo des Außenhandels und der Dienstleistungen Deutschland 2016
Vorwort
Das Buch ist aus einer einfachen Frage entstanden. Im Bekanntenkreis wurde anlässlich einer Diskussion über die Einwanderung der Immigranten in Form einer Völkerwanderung das Unverständnis geäußert, warum gerade die Regionen, in denen es keine Ausländer gäbe, den Zuzug der Ausländer besonders ablehnten.
Die weitere plötzliche Nationalisierung der Staaten (z. B. Brexit) und das Erwachen von populistischen Strömungen erzeugten in mir ein Gefühl der Gefahr, welches auf den historischen Ereignissen der 1930er Jahre beruhte. Sehr schnell bemerkte ich, dass dieses allgemeine Unwohlsein der Gesellschaft einen anderen Grund hatte als den Zuzug der Immigranten, nämlich den einer Konkurrenzsituation. Wenn ein Drittel der Bevölkerung in einem Zustand der existenziellen Bedrohung lebt, dann ist jeder Neuankömmling eine Gefahr. Ich hätte mir jedoch am Anfang nicht vorstellen können, wie gefährlich die Situation wirklich ist. Aus meiner Sicht ist die Gesellschaft am Scheideweg, ob sie noch eine Demokratie sein will oder autokratische bzw. diktatorische Gesellschaftsformen bevorzugt. Besonders deutlich geworden ist, dass die Soziale Marktwirtschaft nicht so funktioniert hat, wie das von den Gestaltern gedacht war. Man könnte auch sagen, sie ist von der politischen neoliberalen Elite missbraucht worden.
Das behandelte Thema ist komplex und in dieser Kürze auch schwer zu bearbeiten. Das vorliegende Buch soll jedoch zum Nachdenken animieren und darüber hinaus Anregungen geben, in welcher Weise die aufgezeigten Probleme gelöst werden könnten.
Die Aufgabe kann also nur darin bestehen, Informationen zu sammeln, die jedem kostenlos zugänglich sind, und nach bestem Wissen die wichtigen und interessanten davon zusammen zu fassen, um eine gute Übersicht über die bestehende Politik zu bekommen. Leider dürfen auch sehr gute Informationen, selbst gegen Bezahlung, auch teilweise nicht kopiert und veröffentlicht werden. Doch das Ergebnis dieser Übersicht sollte ausreichend sein, um zu einer Beurteilung zu kommen.
Das politische System (demokratisches Föderalsystem) und die wirtschaftspolitische Zielsetzung (Soziale Marktwirtschaft, Globalsteuerung, Godesberger Programm und Freiburger Thesen) Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg können auch heute noch als sehr modern angesehen werden. Sehr hilfreich war auch das ERP-Programm der Amerikaner, wenn es auch anfangs einen selbstsüchtigen Charakter hatte. Deutschland gilt weithin als sehr reiches Land, und die wirtschaftliche Entwicklung wurde von den Experten bei Kriegsende für unmöglich gehalten. Zwei Grafiken der Vermögensentwicklung in Deutschland lassen das besonders deutlich erkennen.
Das Geldvermögen der Privathaushalte stieg von 1949 in Höhe von 10,8 Milliarden Euro bis 2017 auf 6.065,4 Milliarden Euro. Es wuchs somit um das 560-Fache (Abb. 1).
In der Entwicklung ist die Übernahme der DDR von 1991 enthalten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Geldvermögensentwicklung der privaten Haushalte – Deutschland 1949 bis 2017 (brutto)
Quelle: Eigene Darstellung, ZEW, http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/forschungsprojekt-a339-entwicklung-u-verteilung-vermoegens-privater.pdf?__blob=publicationFile, Statistische Bundesamt, Deutsche Bundesbank, Vermögensbilanzen 1999 - 2017, Sonderdruck Nr4
Deutlich erkennbar an nachfolgender Grafik ist auch, dass es sich um drei Gruppen des Vermögens handelt, die extrem gewachsen sind:
Anlagevermögen (Unternehmen, Aktiengesellschaften), Grund und Boden und Geldvermögen (Bargeld, Sichtguthaben, festverzinsliche Papiere, Aktien).
Aus diesen drei Gruppen entstehen wiederum Einkommen, die nur denjenigen zufließen, die im Besitz dieser Vermögenswerte sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Entwicklung des Privatvermögens von 1999 bis 2017 Deutschland
Quelle: Eigene Darstellung, https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Publikationen/Downloads-Vermoegensrechnung/vermoegensbilanzen-pdf-5816103.html
Trotz dieses wirtschaftlichen Reichtums, eines guten politischen Systems und eines exzellenten wirtschaftlichen Zielsystems ist die Unzufriedenheit der Gesellschaft groß. Bei einem Bevölkerungsstand von knapp 83 Millionen in Deutschland:
Nehmen ca. 27 Millionen (ein Drittel der Bevölkerung) nicht am Wohlstand teil, haben ca. 54 Millionen (65 %) am Ende des Monats kein Geld für Ermessensspielräume, leben 5,6 Millionen (6 %) unterhalb der Armutsgrenze.
Wie konnte es, trotz dieses Reichtums, soweit kommen? Ziele wie »Wohlstand für alle« wurden weit verfehlt. Einige Ziele wurden definiert, es gab Messwerte, jedoch keine Zielwerte (z. B. den Gini-Index für soziale Ungleichheit). Darüber hinaus ist zu bemerken, dass die Zielwerte mit Ausnahme der Inflation (zuständig die Deutsche Bundesbank, später die Europäische Zentralbank) seit 1970 nie wieder erreicht wurden.
Das Hauptproblem sehe ich jedoch in einer verfehlten Investitions- und Industriepolitik. Weiterhin in einer besseren Definition von Wohlstand, insbesondere von nachhaltigem Wohlstand. Über den Zeitraum vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute lassen sich jedoch die Fehlentwicklungen gut erkennen. Im Folgenden wird versucht, diese Fehlentwicklungen aufzuzeigen und Lösungen für eine Korrektur zu finden. Das Buch enthält vier Kapitel.
Im ersten Kapitel werden das Zielsystem und dessen Entwicklung im Zeitablauf beschrieben. Weiterhin wird die Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Zielerreichung dargestellt, mit der die wirtschaftliche Problematik aufgezeigt wird, in der sich Deutschland befindet, und aus der es zurzeit keinen vernünftigen Ausweg zu geben scheint. Darüber hinaus werden die Entwicklung des Staatsvermögens und die Folgen, die sich daraus ergeben, betrachtet.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Steuerung der Arbeitslosigkeit und deren Auswirkung in der Wirtschaftspolitik. Allein der Arbeitslosigkeit wurde Aufmerksamkeit geschenkt, wobei auf die enorme Freisetzung von Arbeitskräften durch Konzentration, der Deindustrialisierung durch die Globalisierung und Automatisierung mit untauglichen Mitteln reagiert wurde. Hier erfolgt auch eine Gegenüberstellung der politischen Zielsetzung (1967) und Zielerreichung (2017), wobei das wichtigste Ziel »Verringerung sozialer Ungleichheit« unter dem übergeordneten Ziel »Wohlstand für alle« weder eine Messgröße noch eine Grenze besitzt. Es bestand also von Anfang an nicht die Absicht, dieses Ziel zu kontrollieren. Das Ziel »Verringerung sozialer Ungleichheit« war kein ursprüngliches Ziel. Es wurde erst später dem Zielsystem hinzugefügt.
Die Deindustrialisierung von Massenfertigungen durch die WTO hat den Grundstein für eine permanent wachsende Arbeitslosigkeit gelegt, die nur durch staatliche Investitionsprogramme bei steigender Staatsverschuldung gemildert werden konnte. Der Beitritt Chinas zur WTO 2001 hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Das damit verbundene Sinken des Sozialprodukts in den Hochpreisländern hat auch zum Verteilungskampf des Wohlstands geführt, den die untere Hälfte der Bevölkerung verloren hat.
Zwei weitere Aktionen haben dazu beigetragen, dass die soziale Ungleichheit extrem zugenommen hat. Auf der einen Seite ist es die Steuergesetzgebung und auf der anderen Seite offizielle und inoffizielle Lobbyarbeit. Allein aus diesem Tatbestand lässt sich die Frage, ob die Reichen nicht zu sehr geschont worden seien, einfach so beantworten: Nein, es gab keine Schonung, sondern im Gegenteil eine legislative Unterstützung und Förderung, in der Reiche noch reicher und Arme noch ärmer wurden.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Lösungsmöglichkeiten. Dabei führen die Ziele »vernünftiges Wohnen«, »ausreichende Rente« und eine »gut bezahlte Arbeit« zu einer Gestaltung, die Steueränderungen erforderlich machen und mit dem Aufbau von Vermögens- und Investitionsfonds verbunden ist. Über die staatlichen Investitionsfonds können dann die erforderlichen Investitionen getätigt und Arbeitsplätze geschaffen werden, ohne dass es zu einer erneuten Staatsverschuldung kommt. Weitere Fonds dienen der Vermögensbildung für die private Vorsorge und dafür, dass Wohnen bezahlbar bleibt.
Das Hauptproblem ist die Deindustrialisierung durch die WTO. Gerade mit den Investitionen in die Umwelt wird der Eindruck erweckt, dass damit Wohlstand für die untere Hälfte gewonnen oder zumindest erhalten werden kann. Innovationen sind in Kürze auch in den Billiglohnländern zu finden, und führen dann zum Einbruch der Preise. Der Weg aus dieser Misere kann nur durch eine Einführung von Zöllen und Mengenbegrenzungen oder eine Rückverlagerung der Industrie in die Hochpreisländer sein.
Auch wenn sich im Wesentlichen das Buch nur auf Deutschland bezieht, sind die Probleme in allen westlichen und hochpreisigen Ländern ähnlich, da die Gründe dafür in der Globalisierung, Automatisation und Konzentration liegen. Dies ist eine Entwicklung, die ungeheuren Reichtum schafft, der jedoch nicht angemessen verteilt wird, weil dem wirtschaftspolitischen Ziel der Regierung »Verringerung sozialer Ungleichheit« nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Das vierte Kapitel ist der EU gewidmet, denn ohne diese Einrichtung erscheint es schwieriger zu werden, grundlegende Änderungen vorzunehmen. Nationale Interessen können anderen nationalen Interessen entgegenstehen, und Probleme sind nur dann lösbar, wenn es ein gemeinsames Handeln gibt. Gerade im Kampf gegen Steuervermeidung und für den Ausgleich wirtschaftlicher Unterschiede ist die Aktivität der EU notwendig.
Für die meisten Personen sind Zahlen absolut. Wenn das geschätzte Privatvermögen bei ungenauer Erhebung in Deutschland mit 15,3 Billionen Euro angegeben ist, dann sind es für die meisten Personen genau 15,3 Billionen Euro. Für Statistiker sind sie ein Wert mit einer Streuung. Die Zahlen schwanken um einen Wert mit einer Bandbreite von mehreren Prozent. Gerade im Bereich der Privatvermögen wird nicht ohne Grund viel verheimlicht. Da gibt es ein Bankgeheimnis, ein Steuergeheimnis, ein Identitätsgeheimnis, wer Steuern vermeidet durch Verlegung von Privatvermögen in Steueroasen, und eben auch Schwarzgeld und Kunstgegenstände. Es ist daher unmöglich, als Forscher oder Normalbürger an Daten, mit denen man einwandfrei arbeiten kann, heranzukommen.
Die hier ermittelten Erkenntnisse zeigen grundsätzlich und ganz klar die Probleme in der Verteilung von Arbeits- und Kapitaleinkommen auf, wobei sich die Gesellschaft zu einer Erbengemeinschaft entwickelt, in der die Reichen ihre Vermögen immer weiter steigern. Nur mit Vorschlägen, die sich mit einer vernünftigen Vermögensverteilung beschäftigen, kann das gesellschaftliche Problem gelöst werden. Jeder Leser muss jedoch berücksichtigen, wie mächtig und einflussreich die Interessen gegen die hier angeführten Ergebnisse bzw. Vorschläge sind.
Dieses Buch richtet sich an Personen, die im politischen Leben Entscheidungen zu treffen haben, jedoch nicht in der Lage sind, sich umfassend zu informieren. Mit dem umfangreichen Literaturverzeichnis kann sich der Betreffende dann speziell weiter informieren.
Anmerkung
Die Erstausgabe dieses Buches erschien im Dezember 2019 unter der ISBN 978—86557-481-7 bei der NORA Verlagsgemeinschaft und ist nur noch in der Deutschen Nationalbibliothek zu finden.
Die Zweitausgabe dieses Buches erschien 2021 im GRIN-Verlag. Die Ergänzungen betreffen das Kapitel 2 mit den Folgen der Kapitalverkehrsfreigabe und dem Einfluss der Deindustrialisierung von Massenfertigung in den Hochpreisländern durch die WTO. Das Kapitel 3 enthält Vorschläge, wie diese Fehlentwicklungen korrigiert werden können.
ERSTES KAPITEL Das wirtschaftspolitische Zielkonzept Deutschlands von 1948 und die Zielerreichung
Diese politischen Entwicklungen lassen sich gut darstellen, da sich die Entwicklung Deutschlands in drei verschiedenen Phasen vollzog:
1. »Der soziale Staat« – Ordoliberalismus und Sozialliberalismus von 1948 bis 1982.
2. »Der schlanke Staat« – Neoliberalismus von 1982 bis heute
3. »Der fette Staat« – Sozialismus und Staatskapitalismus der DDR 1949 bis 1990.
»Die Bezeichnung Soziale Marktwirtschaft geht auf Alfred Müller-Armack zurück, der darin eine irenische Formel sah, deren Sinn darin bestehe, ›das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden‹. Das Konzept basiert auf Vorstellungen, die mit durchaus unterschiedlicher Akzentuierung schon in den 1930er und 1940er Jahren entwickelt wurden. Aus diesem geschichtlichen Hintergrund ragt der Ordoliberalismus heraus, insbesondere Walter Eucken, Franz Böhm, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke. Gegenüber den ordoliberalen Vorstellungen zeichnet sich die Konzeption durch einen größeren Pragmatismus aus, etwa in der Konjunktur- und Sozialpolitik.«1
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das moderne Zielkonzept für die Umsetzung der »Sozialen Marktwirtschaft« in Deutschland entwickelt, welches auf den Ideen von Ludwig Erhard, Karl Schiller, den Reformbemühungen der SPD und den Freiburger Thesen der FDP beruhte. Die Alliierten verzichteten auf Reparationszahlungen und ermöglichten mit dem ERP-Fonds einen schnelleren Wiederaufbau. Dieses Zielkonzept kann auch heute noch als sehr modern bezeichnet werden. Rückblickend war es jedoch unvollständig und die Maßnahmen zur Zielerreichung waren überwiegend fehlerhaft.
Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft – Wohlstand für alle
Mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard und seinen Vorstellungen vom »Wohlstand für alle« begann der Aufstieg Deutschlands aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges.
Für Erhard gehörten »Wohlstand für alle« und »Wohlstand durch Wettbewerb« untrennbar zusammen, womit er für eine Preisfreigabe eintrat. Die zur Verfügung stehenden Energien sollten auf die Mehrung des Ertrages der Volkswirtschaft ausgerichtet werden und nicht auf Kämpfe in der Verteilung. Der Konsumfreiheit der Bürger stand die Freiheit des Unternehmers gegenüber, das zu produzieren und zu vertreiben, was er aus den Gegebenheiten des Marktes als notwendig erachtete. Um überhöhte Gewinne auszuschließen, wurde die Entstehung von Monopolen überwacht. Doch Erhard war sich darüber klar, dass durch den Krieg nicht genügend Produktionskapital zur Verfügung stand, und daher räumte er den Unternehmern größere Spielräume bei den Gewinnen ein. Dass Sinken der Preise ab 1950 und die Freigabe von Verbraucherkrediten lösten einen Boom am Konsummarkt aus, den Erhard als Käufermarkt beschrieb.2
Entwicklung der wirtschaftspolitischen Ziele
Der »normal kapitalisierte Staat« 1950 bis 1982
Zwischen 1969 und 1982 bildete die SPD mit der FDP die sozialliberale Koalition, und mit den 1971 verabschiedeten Freiburger Thesen – flankiert von der »Streitschrift« Noch eine Chance für die Liberalen ihres damaligen Generalsekretärs Karl-Hermann Flach – bekannte sie sich zu einem »demokratischen und sozialen Liberalismus«.3
»Die sozialliberale Koalition trat 1969 als Reformregierung an und versuchte eine energische Demokratisierung von Staat und Gesellschaft durchzusetzen. In seiner Regierungserklärung versprach Willy Brandt am 28. Oktober 1969: ›Wir wollen mehr Demokratie wagen‹ und: ›Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.‹ Das Regierungsprogramm enthielt eine Reihe von Reformvorhaben, die in diesem Sinne interpretiert werden konnten: mehr Chancengleichheit im Bildungswesen, Herabsetzung des Wahl- und Mündigkeitsalters, Gleichstellung der Frau im Ehe- und Familienrecht, Strafrechts- und Strafvollzugsreform, Ausbau der sozialen Sicherheit, Monopolkontrolle und Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung.«4
Schillers Globalsteuerung
Karl Schiller schuf ein wirtschaftspolitisches Konzept, welches als Globalsteuerung bekannt wurde und die theoretischen Ideen von John Maynard Keynes aufgriff. Im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz wurde es 1967 gesetzlich festgeschrieben. Als oberstes Ziel wurde das »Gemeinwohl – Wohlstand für alle« definiert.
Zur Erreichung des Gemeinwohls wurden gleichrangig vier Unterziele (1-4) definiert, die als magisches Viereck bekannt wurden. Diese vier Ziele erhielten Grenzwerte, an denen sich die jeweiligen Regierungen auszurichten hatten:
- Stabilität des Preisniveaus (Inflationsrate)
- Hoher Beschäftigungsstand (Arbeitslosenquote)
- Außenwirtschaftliches Gleichgewicht
- Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum (Zuwachs des Sozialprodukts).
Später wurden diesen Zielen noch weitere hinzugefügt, überwiegend jedoch ohne Grenzwerte:
- Der Schutz der Umwelt
- Eine gerechte Einkommensverteilung (Verringerung sozialer Ungleichheit)
- Ausgeglichene öffentliche Haushalte
- Humane Arbeitsbedingungen.
»Die konkreten Ziele waren eine reale Zuwachsrate des Sozialprodukts von 4 %, eine Arbeitslosenquote von unter 0,8 % und eine Inflationsrate von unter 1 %.«5
Eine gerechtere Vermögensverteilung wird nicht erwähnt. Eine Zielangabe fehlt.
Die Freiburger Thesen der FDP
»Der Begriff ›Sozialer Liberalismus‹ und die Zielsetzung, die freiheitlichen Grundrechte durch ›soziale Teilhaberechte und Mitbestimmungsrechte‹ zu ergänzen, zeigen, wie sehr sich die FDP in ihren programmatischen Grundsatzpositionen der SPD und auch den Gewerkschaften genähert hatte.«6
Mit der sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1982 (Sozialliberalismus) entstand ein Konzept für eine Gesellschaftspolitik auf Basis der Freiburger Thesen von 1971 und des Godesberger Programms, welche man auch heute noch als aktuell und modern bezeichnen kann. Bezeichnend ist, dass diese Zielsetzungen von vielen politischen Parteien akzeptiert wurden.
»Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik:
These 1: Liberalismus nimmt Partei Menschenwürde durch Selbstbestimmung.
These 2: Liberalismus nimmt Partei für Fortschritt durch Vernunft.
These 3: Liberalismus fordert Demokratisierung der Gesellschaft.
These 4: Liberalismus fordert Reform des Kapitalismus.
[…]
Die liberale Reform des Kapitalismus erstrebt die Aufhebung der Ungleichgewichte des Vorteils und der Ballung wirtschaftlicher Macht, die aus der Akkumulation von Geld und Besitz und der Konzentration des Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen folgen.
[…]
In der Eigentumsordnung
These 1: Freiheit braucht Eigentum. […] Nicht die Freiheit hat im Eigentum, sondern das Eigentum findet in der Freiheit seine Begründung und Begrenzung.
These 2: Das Recht am Eigentum findet seine Entsprechung im Recht auf Eigentum. Die formale Garantie der Eigentumsordnung bedarf in einem sozialen Rechtsstaat darum der Ergänzung durch die reale Chance jedes Bürgers zur Eigentumsbildung.
These 3: Eigentum grenzt Freiheitsraum anderer ein. Diese Beschränkung hat, je nach Quantität und Qualität des Eigentums, unterschiedliche Auswirkungen. […]
These 4: Das Recht auf freie Verfügung des einzelnen über sein Eigentum und auf seinen persönlichen oder beruflichen Gebrauch muss daher dann seine Grenze finden, wo dies zu unangemessenen und unverhältnismäßigen Einschränkungen der Freiheit anderer oder zu einer Beeinträchtigung des Wohles der Allgemeinheit führt. Wo diese Sozialbindung des Eigentums als moralische Forderung an den verantwortlichen Eigentümer in der alltäglichen Wirklichkeit unwirksam bleibt, bedarf es einer Bestimmung der gebotenen Grenzen der Verfügungsmacht über Eigentum durch Gesetz. Wo die Verfügungsgewalt über Eigentum an Produktionsmitteln zu Herrschaft über Menschen führt, ist ihre demokratische Kontrolle durch Mitbestimmung geboten.
In der Bodenordnung
These 1: Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit ausreichendem Wohnraum und humaner Städtebau müssen Hauptziele der Bodenpolitik sein. […]
These 2: Den Gemeinden muss eine angemessene Bodenvorratspolitik ermöglicht werden. […] Es ist Vorsorge zu treffen, dass die Gemeinden über die Bodenvorratspolitik keine Grundstücksspekulation betreiben.«7
Der Marshallplan ERP (European Recovery Program)
Der Marshallplan ERP wurde 1947 entwickelt und nach der Gründung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OEEC) 1948 umgesetzt.
Für das Programm gab es drei Gründe:
- Hilfe für die notleidende und teilweise hungernde Bevölkerung Europas
- Eindämmung des Kommunismus
- Schaffung eines Absatzmarktes für die Überproduktion der USA.8
Die westlichen Besatzungszonen Deutschlands waren nicht durch die Besatzungsmächte vertreten, der Wiederaufbau Westdeutschlands wurde offiziell als wesentliches Element der Planungen anerkannt.
»Im Rahmen des ERP (European Recovery Program) wurden bis zur Mitte des Jahres 1952 Lebens- und Düngemittel, Roh- und Treibstoffe, Maschinen und Medikamente im Wert von ca. 13 Milliarden Dollar an die westeuropäischen Staaten geliefert. An Westdeutschland und Berlin (West) gingen Güter im Wert von etwa 1,6 Milliarden Dollar.«9
Die Mittel des Marshallplans wurden 1953 in ein Sondervermögen überführt, das dank Zinsen bis 2008 auf mehr als 12 Milliarden Euro gewachsen war.
»Bei diesem Abkommen handelte es sich um einen Staatsvertrag, den die Bundesrepublik erstmals als gleichberechtigter Vertragspartner unterzeichnete. Das Abkommen bestimmte die Verwaltung einer Summe von damals 6 Mrd. DM als sogenanntes Sondervermögen. Dieses sollten Unternehmen zum Aufbau der Wirtschaft erhalten. Es handelte sich hierbei um revolvierende Kredite. Dies sind Geldmittel, die nach ihrer Rückzahlung wieder neu vergeben werden können, womit der Wirtschaft immer wieder neue Mittel zufließen. Im Laufe der Jahre wurden aus dem Kapital rund 125 Milliarden DM/€ Kredite zur Wirtschafts- und Mittelstandsförderung vergeben.«10
Der Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen berechnete eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes durch die ERP-Mittel um durchschnittlich 0,5 % pro Jahr in den Jahren von 1948 bis 1951. Ohne diese beiden Faktoren dürfte das Wachstum deutlich schwächer gewesen sein, insgesamt jedoch noch sehr hoch gegenüber den Wachstumsraten der anschließenden Jahre 1973 bis 1994 mit 1,7 %.11
»Obwohl die vom Bund finanzierten Beschäftigungs- und Investitionsprogramme durchaus von einem deutlichen Beschäftigungsanstieg um fast 8.000.000 Erwerbstätige von 1977 bis 1980 begleitet waren (der sich allerdings nicht in einem entsprechenden Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit niederschlug), fand sich die Bundesregierung im Wahlkampf 1980 finanzpolitisch in der Defensive. Die Ungleichverteilung der finanziellen Lasten erlaubte es der damaligen Opposition, die Kosten der Beschäftigungspolitik als ein Problem der unverantwortlichen Überschuldung des Bundes und des drohenden Staatsbankrotts anzuprangern.«12
Der »schlanke kapitalisierte Staat«– Neoliberalismus ab 1982 bis heute
Der Begriff Neoliberalismus hatte in seiner Geschichte unterschiedliche Bedeutungen. Heute wird er jedoch allgemein verwendet für ein politisches Konzept mit:
- Rückführung der Staatsquote, auch Staatsausgabenquote; das ist das Verhältnis der Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt
- Privatisierung ehemals staatlicher Aufgaben
- Deregulierung des Kapitalverkehrs
Nach Joseph Stiglitz ist die neoliberale Überzeugung von einer Kombination dieser drei Elemente gekennzeichnet.13
»Die Regierungserklärung von Helmut Kohl leitete 1982 den Machtwechsel in Bonn ein. Nach 13 Jahren Opposition übernahm die CDU/CSU durch ein konstruktives Misstrauensvotum wieder das Kanzleramt. Die Uneinigkeit zwischen SPD und FDP darüber, wie man der Wirtschaftskrise, der Staatsverschuldung und der steigenden Arbeitslosigkeit Herr werden könne, hatte den Wechsel der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse herbeigeführt. […]
Kohls Regierungserklärung platzierte Begriffe und Ziele, die lange prägend blieben. Ein Leitbegriff war die Selbstbezeichnung als ›Koalition der Mitte‹. Vorherige Umfragen vom Allensbacher Institut hatten ergeben, dass der Begriff mehr Sympathie fand als ›Neue Koalition‹ oder ›Erneuerung‹. Nun gab er der Regierungserklärung nicht nur den Namen, sondern durchzog sie vom ersten Satz an. Als Koalition der Mitte wies die Union der SPD weiterhin einen Randposten auf der Linken zu. […]
Die sozialen Errungenschaften von Adenauers ›Koalition der Mitte‹ führte Kohl dabei als Beleg für den angestrebten ausgleichenden Kurs an. […]
Mit drastischen Worten betonte Kohl zunächst die schwere Wirtschaftskrise, die sich in der hohen Arbeitslosigkeit, der Staatsverschuldung und dem ausbleibenden Wirtschaftswachstum zeige. Zudem sprach er von einer geistig-moralischen Krise der Angst, Wirklichkeitsflucht und Ratlosigkeit. Die durch die neue Regierung eingeleitete Wende sollte in beiden Bereichen Abhilfe schaffen. Dazu stellte er ein sehr konkretes Programm auf, das vor allem vier Leitlinien vorgab:
- einen Sparkurs, der vor allem im Sozialwesen kürzte,
- wirtschaftliche und steuerliche Erleichterungen für Unternehmen,
- eine außenpolitische Kontinuität und
- eine stärkere ›Selbst- und Nächstenhilfe der Bürger‹.14
Technologische oder kulturelle Unsicherheiten haben ihren Ursprung in ökonomischer Unsicherheit. Und wissenschaftliche Studien belegen, dass die ökonomische Unsicherheit – das finanzielle und gesellschaftliche Absturzrisiko – seit Beginn des Neoliberalismus in Deutschland erheblich angestiegen ist.
Der »fette kapitalisierte Staat« – sozialistische Planwirtschaft der DDR 1949 bis 1990
»Nach den Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 und mit der Nachkriegsarmut nach 1945 erschien das planwirtschaftliche Modell vielen, auch Sozialdemokraten und Gewerkschaftern in Westdeutschland, durchaus als erfolgversprechende Alternative zur Marktwirtschaft mit ihren unkontrollierten Kräften. Die Vorteile schienen auf der Hand zu liegen: eine Produktion entsprechend dem zuvor ermittelten Bedarf; eine optimale Auslastung der Produktionsmittel und keine Verschwendung von Ressourcen durch Überproduktion; Konzentration der Wirtschaftskraft auf Schwerpunktprojekte und Koordination der technischen Entwicklungen; insgesamt eine planvolle Steuerung, die Krisenfestigkeit und Vollbeschäftigung sichern würde.«15
»Wie in den anderen sozialistischen Staaten des Ostblocks wählte man auch in der DDR ein Wirtschaftssystem der Planwirtschaft. […] In der Planwirtschaft wird die Wirtschaft zentral gelenkt. Der Staat gibt bestimmte Ziele vor, die in einem bestimmten Zeitraum zu erfüllen sind. Das regelt dann z. B. ein Zweijahresplan oder ein Fünfjahresplan. Preise werden ebenfalls von oben vorgegeben. Betriebe streben danach, den Plan zu erfüllen. Ausgearbeitet wurde der Plan von der Staatlichen Plankommission, die dem Ministerrat unterstand. Sie kontrollierte auch die Durchführung und Einhaltung des Plans. Die Betriebe erhielten eine Planauflage mit Plankennziffern, also z. B. wie viel von einer Ware in einem bestimmten Zeitraum hergestellt werden sollte.
In der Planwirtschaft gehören die Produktionsmittel dem Staat. Die Produktionsmittel sind z. B. die Fabrikgebäude, Werkzeuge und Maschinen, die man zur Herstellung (Produktion) benötigt. In der DDR wurde ein Großteil aller Betriebe verstaatlicht und zu ›Volkseigenen Betrieben‹ (VEB).
Auch in der Landwirtschaft setzte man auf gemeinschaftliches Eigentum und schuf die ›Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften‹ (LPG). […]
Doch die Planwirtschaft der DDR wurde zur Mangelwirtschaft. Die niedrigen Preise für Grundnahrungsmittel konnten nur durch hohe staatliche Zuschüsse aufrechterhalten werden. Viele andere Waren gab es gar nicht zu kaufen oder nur unter dem Ladentisch […]. Schlange stehen gehörte zum DDR-Alltag wie Tauschhandel und Selbstversorgung aus dem Garten.«16
Entscheidender Faktor für die schwächere wirtschaftliche Entwicklung dürfte neben der nicht planbaren Konsumnachfrage, dem fehlenden Wettbewerb und der mangelhaften Flexibilität auch die verhinderte Kreativität der Bevölkerung gewesen sein.
Nach der letzten Verstaatlichungswelle gab es nur noch wenige privat geführte Unternehmen. Fast das gesamte produktive Vermögen befand sich damit in den Händen des Staates. Aus diesen Erfahrungen stoßen derzeitige Forderungen nach Vergesellschaftung des produktiven Vermögens auf Ablehnung. Doch wo liegt das optimale Staatsvermögen?
Die Rolle des Staatsvermögens
Definition Staatsvermögen
»Das gesamte Staatsvermögen setzt sich aus dem Verwaltungs- und dem Finanzvermögen zusammen. Das Verwaltungsvermögen gilt als unveräußerlich und besteht aus den unmittelbar der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben und öffentlichen Zwecken dienenden Anlagen (Straßen, Flüsse, Kanäle, Meeresanteile, Inseln, Verwaltungsgebäude, Schulen oder Krankenhäuser).
Dabei dient das interne Verwaltungsvermögen dem internen Gebrauch durch die Staatsorganisation (Verwaltungsgebäude, Fuhrpark, militärische Anlagen), während das externe Verwaltungsvermögen (Infrastruktur, Wald, Behörden, Schulen, Friedhöfe) der Bevölkerung zur Verfügung steht.
Das Finanzvermögen setzt sich zusammen aus Betriebsvermögen, Kapitalbeteiligungen oder Forderungen (Devisenbestände, Goldbestände, Sonderziehungsrechte, Wertpapiere).«17
Notwendigkeit von Staatsvermögen
Einer der Gründe, warum es Staatsvermögen überhaupt gibt, ist, dass Privatpersonen kein Interesse an Investitionen haben, die nur Kosten verursachen, andererseits jedoch die Lebensqualität der Bevölkerung verbessern. Privatinvestoren können niemals Investitionen durchführen, die am Ende nicht einen Gewinn erwirtschaften.
Die Privatisierung wird dagegen mit der Überzeugung begründet, dass privatwirtschaftliche Betriebe wirtschaftlicher arbeiteten als staatliche Monopole. Nicht erwähnt wird dabei, dass die Gewinne der staatlichen Unternehmen im staatlichen Bereich bleiben und somit ein Bestandteil des Staatshaushalts werden, womit den Steuerzahlern die Steuerzahlungen verringert werden.
Verständlicherweise entfällt bei dieser Begründung auch der Hinweis, dass die Privatisierung nur von finanzkräftigen Personen oder Instituten erfolgen kann, somit nicht von Personen, die über kein Kapital verfügen, und die Ergebnisse dort anfallen, wo sich das private Kapital befindet. Mit anderen Worten, es ist der Weg zur sozialen Ungleichheit.
Die Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg hat nun direkte Ergebnisse für eine genaue Betrachtung dieser unterschiedlichen Denkweisen geliefert.
Staatsvermögen im »fetten kapitalisierten Staat«
Auf der einen Seite haben wir den »fetten kapitalisierten Staat« (DDR) mit der kommunistischen Ansicht, Produktionsmittel gehörten in die Hände des Volkes.
»In den 1980er-Jahren befand sich beispielsweise etwa 98 % des gesamten Betriebsvermögens der DDR im Volkseigentum, darunter etwa 8000 Volkseigene Betriebe (VEB) und Kombinate. Vollständig in Volkseigentum überführt wurden in der DDR Bodenschätze, Bergwerke, Gewässer, Kraftwerke, Banken, Versicherungen, Transportmittel, Verkehrswege, Luftfahrt, Schifffahrt, Post- und Fernmeldewesen sowie alle Industriebetriebe. Etwa 50 % der Liegenschaften standen im direkten Volkseigentum. Dazu kamen noch andere, oftmals landwirtschaftlich genutzte Flächen, die Gegenstand sonstigen sozialistischen Eigentums waren.«18
Unzweifelhaft war dieser Staat sozial, wenn dies an den Indikatoren für Arbeitslosigkeit von 0 % (Abb. 19: Entwicklung der Erwerbslosenquote in Deutschland 1951 bis 2009 ) und Armut festgemacht werden soll. Erzielt wurde dies auch durch Mieten, die so niedrig waren, dass sich eine Renovierung kaum lohnte. Zusätzlich wurden Lebensmittel subventioniert. Man darf annehmen, dass auch die Steuerbelastung der DDR-Bürger durch die Gewinne der staatlichen Betriebe sehr viel niedriger war als vergleichsweise die Steuerbelastung in der Bundesrepublik. Auch hatten die DDR-Bürger vergleichsweise hohe Geldvermögensbestände, die wegen der fehlenden Angebote nicht ausgegeben werden konnten. Auf die Lieferung eines Trabis (Standardauto der DDR) musste der DDR-Bürger jahrelang warten und diese Summe dann parat haben, wenn er geliefert wurde.
Der große Nachteil dieses Systems bestand jedoch in der Einschränkung der Kreativität der Bürger durch die fehlenden privaten Finanzmittel zur Umsetzung dieser Kreativität in reale Produkte. Die staatliche Umsetzung derartiger Prozesse war zu schwerfällig. Die Planwirtschaft konnte nicht auf spontane oder risikoreiche Kreativität vernünftig reagieren. Sehr schnell zeigte sich, dass der technologische Rückstand ständig zunahm. So verwundert es nicht, dass dieses System schließlich gescheiterte.
Staatsvermögen im »normal kapitalisierten Staat«
Der »normal kapitalisierte Staat« (Bundesrepublik von 1950 bis 1982) war ein Mittelweg zwischen dem »fetten kapitalisierten Staat« und dem »schlanken kapitalisierten Staat«. Die Jahre von 1950 bis 1973 gelten bis heute noch als die goldenen Jahre. Es war die Zeit, in der alle Indikatoren der Schiller’schen Globalsteuerung eingehalten wurden. Bis 1982, dem Ende der sozialliberalen Koalition, war der Bürger bezüglich seines Einkommens am Produktivitätswachstum in Form höherer Löhne angemessen beteiligt. Durch diesen hohen Anteil an Staatsvermögen und die Überführung der Gewinne in den Bundeshaushalt war das Steueraufkommen der Bürger geringer als in den nachfolgenden Jahren der Privatisierung. Außerdem war die Versorgungssicherheit größer, da es einen direkten Zwang zur Versorgung gab, wie das Beispiel der Trinkwasserversorgung zeigt.
»Bis zum Jahr 1998 war die Trinkwasserversorgung tatsächlich eine ›pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe‹, d. h. jeder, der Trinkwasser beziehen wollte, musste auch beliefert werden. Das hatte der örtliche Versorger zu organisieren und zu garantieren.«19
Kleine Gemeinden wurden bis 1998 noch mit Trinkwasser (ein wichtiges Lebensmittel) versorgt, mit dem Beginn des »schlanken kapitalisierten Staates« endete sukzessive jeder Versorgungszwang.
Die anfängliche Privatisierung der 60er und 70er Jahre im Sinne des Erhard’schen Konzeptes der privaten Vermögensbildung, z. B. die Volksaktien von VW, war noch unter dem Aspekt der Teilhabe am Betriebsvermögen zu sehen. Das Konzept des »allgemeinen Wohlstands« war mit dem Übergang zum »schlanken kapitalisierten Staat« beendet. Insgesamt kann der »normal kapitalisierte Staat« als Zeitraum betrachtet werden, in dem die Bürger noch Teilhabe zumindest im Einkommensbereich der Produktivitätsentwicklung hatten.
Staatsvermögen im »schlanken kapitalisierten Staat« (Neoliberalismus)
Die wirtschaftliche Ungleichheit wird hauptsächlich durch den ungleichen Kapitalbesitz bestimmt, der sich entweder im privaten oder im öffentlichen Eigentum befinden kann. Seit 1980 haben sehr große Transfers von öffentlichem zu privatem Vermögen in fast allen Ländern stattgefunden. Während das private Vermögen stark zugenommen hat, ist das öffentliche Vermögen in den reichen Ländern stark gesunken. Dies begrenzt die Fähigkeit der Regierung, die Wirtschaft zu regulieren, Einkommen umzuverteilen und die zunehmende Ungleichheit abzumildern.
Das Gesamtvermögen der privaten Haushalte in Deutschland stieg im Jahr 2017 auf rund 15.373 Milliarden Euro.
Auch das gesamte Staatsvermögen der DDR mit ca. 300 Milliarden Betriebsvermögen und 1,17 Billionen anderer Vermögen ist dabei genauso privatisiert worden. Auch die DDR-Vermögen erhöhten den Zuwachs des Privatvermögens. Doch mindestens 50 % der Bevölkerung haben kein oder nur ein geringes Vermögen.
Der eindeutige Gewinner in diesem Prozess ist das Vermögen der Unternehmer, mit fatalen Auswirkungen für die Gegenwart und die Zukunft. Großer Verlierer in diesem Prozess ist das Vermögen der arbeitenden Bevölkerung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Das Staatsvermögen in Deutschland in Prozent des Nationaleinkommens 1870 bis 2010
Quelle: Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, Grafik 4.2
Aus der Abb. 3 kann die Entwicklung des Nettostaatsvermögens im Verhältnis zum Nationaleinkommen entnommen werden. Von 1950 bis 1970 (allgemein als das goldene Zeitalter bezeichnet) stieg das Nettostaatsvermögen (= Staatsvermögen minus Schulden) in Prozent am Nationaleinkommen von 75 % auf 79 % an. Die großen Zeiträume von 20 Jahren und die lineare Interpolation erlauben es nicht, die Werte für 1980 auszuweisen. Jedoch lag 1990 das Nettostaatsvermögen in Prozent des Nettonationalvermögens noch bei ca. 41 % und sank bis 2010 auf einen geringen positiven Prozentsatz von wenig über null. Die obige Abbildung zeigt die kontinuierliche Abnahme des Netto-Staatsvermögens, wobei auch die Einnahmen für den Staatshaushalt wegen des abnehmenden Staatsvermögens verschwinden oder gegen die Zinsen aus der Verschuldung gegen gerechnet werden müssen. Betrachtet man das Nettostaatsvermögen Deutschlands im Jahre 2016, zwanzig Jahr später, so beträgt es nur noch 576 Milliarden Euro.
Nimmt man jedoch noch die zukünftige Verschuldung für die Beamtenpensionen hinzu, wird das Nettostaatsvermögen Deutschlands negativ.20
Die Wirkungslosigkeit des Staates bedingt durch die Vermögenslosigkeit hat extreme Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Daher werden die Auswirkungen der neoliberalen Privatisierungspolitik in einem Kapitel besonders behandelt.
Investitionsprobleme im »Magerstaat«, vormals »schlanker kapitalisierter Staat«
Im Jahre 2019 ist der »schlanke kapitalisierte Staat« zu einem »Magerstaat« bezüglich seines Nettovermögens verkommen. Bei einem Anteil von 4 % am gesamten Volksvermögen hat er keine Möglichkeiten, Investitionen vorzunehmen, denn 96 % des Volksvermögens gehören weitgehend reichen privaten Personen. Umso erstaunlicher ist es, dass zwischenzeitlich ein Staat (DDR) hinzugekommen ist, dessen Volksvermögen sich hauptsächlich in den Händen des Staates befand. Auch dieser wurde in großer Eile dem Privatvermögen hinzugefügt. Doch wer hatte so viel Geldvermögen, dass er den gesamten DDR-Staat übernehmen konnte? Auskunft darüber gibt die
Das Gesamtvermögen der privaten Haushalte in Deutschland war im Jahr 2017 mit rund 15.373 Milliarden Euro fast so groß wie die gesamte Wirtschaftsleistung der Europäischen Union im gleichen Jahr, siehe Abb. 2: Entwicklung des Privatvermögens von 1999 bis 2017 Deutschland .
Einerseits ist es unmöglich, dass die privaten Investoren staatliche Aufgaben wahrnehmen. Der Staat braucht genügend Mittel, um staatliche Aufgaben erfüllen und damit auch antizyklisch gegensteuern zu können.
Bei einem Vermögensverhältnis von 4 % beim Staat und 96 % bei Privaten ist schnell einsehbar, dass eine antizyklische Politik wirkungslos bleiben muss, da auch dafür die Mittel fehlen.
Somit werden Forderungen nach Investitionen, die an den Staat gerichtet werden, unter den bestehenden Bedingungen ziemlich unsinnig. Hier ein Bericht, in dem eine neue Verschuldungspolitik gefordert wird:
»Der Report analysiert die Entwicklung der privaten Investitionen in Deutschland. Im Vergleich zum Euroraum hat sich in Deutschland seit 2000 eine große Investitionslücke gebildet. Diese Lücke ist vor allem auf den starken Rückgang der Bauinvestitionen zurückzuführen, während sich die Ausrüstungsinvestitionen besser als im Euroraum entwickelt haben. Im Vergleich zur Vergangenheit liegen die Ausrüstungsinvestitionen aber dennoch auf niedrigem Niveau, obwohl die Gewinne weiter nahe historischen Höchstständen liegen, die Unternehmenssteuersätze gering sind und die Zinsen auf historischen Tiefstständen liegen. Die Unternehmen halten sich bei den Ausrüstungsinvestitionen im Moment vor allem wegen der geringen Kapazitätsauslastung zurück sowie wegen der Unsicherheit über die Zukunft des Euroraums. Die Bauinvestitionen in % des BIP sind zwar gestiegen, bleiben aber insgesamt noch unter denen im Rest des Euroraums. Dafür ist auch der Investitionsstau bei der öffentlichen Infrastruktur verantwortlich. Um die gesamte deutsche Investitionsleistung zu steigern, müsste der Staat für eine bessere Kapazitätsauslastung der Unternehmen sorgen. Dazu müsste sich die Regierung für eine Lockerung der Austeritätspolitik im Euroraum einsetzen und vermehrt in die öffentliche Infrastruktur investieren.«21
Doch das Problem der Investitionen muss schnellstens gelöst werden, bevor es zu einer neuen Weltwirtschaftskrise kommt.
»Deutschland muss bis 2025 rund 1,4 Billionen Euro investieren, um versäumte Ausgaben aufzuholen. Ohne zusätzliche Investitionen sei das Wachstum gefährdet, heißt es in einer Studie: In allen fünf untersuchten Wachstumskategorien gehört Deutschland nur zum Mittelfeld, bei der digitalen Infrastruktur landet die Bundesrepublik nur auf Platz elf.
In Deutschland wird zu wenig investiert – wodurch künftiges Wachstum in Gefahr ist. Um in der Vergangenheit versäumte Investitionen wieder aufzuholen, müssten öffentliche und private Investoren zusammen jährlich hohe zusätzliche Milliardenbeträge investieren – bis 2025 insgesamt knapp 1,4 Billionen Euro zusätzlich. Das geht aus einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hervor.
Bei jährlich steigenden zusätzlichen Investitionsausgaben würde 2025 der Höhepunkt mit zusätzlichen knapp 300 Milliarden [2018 3.386 Milliarden] Euro erreicht. Das entspricht etwa 6 bis 6,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes – ein Niveau, das danach beibehalten werden sollte, heißt es in der Untersuchung.«22
Seit bereits 25 Jahren fallen die öffentlichen Bruttoinvestitionen derart niedrig aus, dass damit der übliche Verschleiß der Infrastruktur nicht ausgeglichen werden kann, geschweige denn Investitionen in die Zukunft.
Die Gründe dafür sind leicht zu erkennen:
- Deutschland hat kein Einkommen aus Vermögen mehr, aus dem heraus sich etwas finanzieren ließe.
- Investitionen aus Verschuldung sind ausgeschlossen, da einerseits die Maastricht-Kriterien und andererseits die Zinslast aus der Verschuldung Ausgaben verhindern. Eine Lockerung der Austeritätspolitik ist daher unverantwortlich.
- Durch Verzicht auf Steuererhebung bei den Reichen kommt nicht genügend Geld in die Kassen des Staates, obwohl das private Geldvermögen enorm zugenommen hat.
- Eine Besteuerung des Vermögens ist immer daran gescheitert, dass die Absicht bestand, das besteuerte Vermögen in Bargeld umzuwandeln, um es für Ausgaben zur Verfügung zu stellen, was wiederum die Entwicklung der Wirtschaft gefährdet hätte.
- Die Steuerlast trägt überwiegend der Mittelstand. Bei zunehmender Senkung der Einkommen in den unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung fallen auch weniger Steuern an.
- Mit der Privatisierung öffentlicher Betriebe fallen auch die abgeführten Gewinne an den Bundeshaushalt weg. Diese mussten dann durch eine erhöhte Steuerlast des Mittelstandes ausgeglichen werden.
Durch die Verschuldungspolitik haben gerade die Kommunen Sozialwohnungen privatisiert, um den Zinslasten zu entgehen. Der überwiegende Teil der Investitionen für den Neubau von Sozialwohnungen wäre ohne die Verschuldung nicht erforderlich gewesen.
Was ist der bessere Weg?
Rückblickend betrachtet scheint ein staatlicher Vermögensanteil, wie er 1950 bestand (»normal kapitalisierter Staat«), die beste Wahl für eine Volkswirtschaft zu sein. Besonders da diese Zeit als goldenes Zeitalter (1950-1973) in der Literatur beschrieben wird, auch wenn es über den Einfluss des Vermögensanteils des Staates bisher keine vernünftigen Untersuchungen gibt. Bei dem Wiederaufbau des Vermögensanteils des Staates muss jedoch unterschieden werden, ob es sich um Staatsvermögen (unter der Kontrolle des Staates) oder um Volksvermögen (gemeinschaftliches Vermögen des Volkes, welches von staatlichen Instituten verwaltet wird, jedoch dem Volk eigentumsrechtlich zugeordnet ist und unabhängig organisiert ist) handelt.
Diese Unterscheidung erscheint, aus mehreren Gründen, notwendig zu sein.
Investitionsausgaben des Staates wurden bisher aus dem Staatshaushalt getätigt. Die Nachteile waren eindeutig. In Krisenzeiten sollte der Staat antizyklisch investieren, dabei gingen seine Steuereinnahmen zurück. Steuererhöhungen hätten einen negativen Effekt auf die Konjunktur. Daher wurde die Verschuldung vorgezogen. Mit einer neuen Politik kann der Staat antizyklisch investieren, ohne sich zu verschulden. Dies ist möglich, wenn die Investitionsausgaben des Staates nicht aus dem Staatshaushalt entnommen werden, sondern aus den Erträgen eines Vermögensfonds stammen, der einen Teil des Betriebsvermögens der Volkswirtschaft beinhaltet. Das Vermögen bleibt erhalten, die Gewinne aus dem Vermögen werden für die Investitionen verwendet. Das Vermögen wird somit nicht kleiner und die Möglichkeiten für zukünftige Investitionen werden erhalten.
Wie sich am Beispiel der DDR zeigen lässt, ist das Volksvermögen in staatlicher Hand nicht der Bevölkerung zugeflossen, da es eigentumsrechtlich nicht zugeordnet war, obwohl es sich um ein gemeinschaftliches Vermögen gehandelt hatte. Politische Versuche, dieses Vermögen dem Volk der DDR zukommen zu lassen, wurden bei der deutschen Wiedervereinigung verhindert. In allen Ländern mit ähnlicher Struktur gelangte das Volksvermögen in die Hände von Oligarchen anstatt zum Volk.
Die von Ludwig Erhard verfolgte Idee, aus allen Staatsbürgern Kapitalisten zu machen (was nichts anderes heißt, als ihnen Vermögen zu verschaffen), die auch in den Anfangsjahren mit Volksaktien umgesetzt wurde, scheint jedoch nicht der beste Weg gewesen zu sein, zu diesem Ziel zu kommen. Es ging bei dieser Idee um die Teilhabe am Betriebsvermögen, da aus Vermögen auch Einkommen entsteht und dieses Einkommen benötigt wird, wenn kein Einkommen mehr erzielt werden kann. Nun kann man natürlich nicht voraussetzen, dass sich jeder für finanzielle Transaktionen interessiert. Daher ist es der bessere Weg, die schon bestehende Sozialversicherungspflicht dazu zu benutzen, die Beträge in Produktivkapital zu investieren. Das führt zu einer echten Teilhabe am Produktivkapital und zu besseren Erträgen aus den Einzahlungen, da Erträge aus Unternehmen immer höher sind als aus der Verzinsung von Einlagen. Damit sich derartige Vorfälle wie in der DDR nicht wiederholen, muss dieser Fonds staatlich unabhängig, vom Parlament kontrolliert und professionell verwaltet werden. Dies kann mit der bestehenden Organisation der Deutschen Rentenversicherung umgesetzt werden.
Alle neuen wirtschaftlichen und sozialen Projekte stehen unter einem Finanzierungsvorbehalt. Diejenigen, die gegen eines dieser Projekte sind, werden immer anführen, dass es sich nicht finanzieren ließe. Daher werden in dem vorliegenden Buch im dritten Kapitel mehrere Finanzierungsmöglichkeiten erörtert.
Zielsetzung in Bezug zur Zielerreichung nach 70 Jahren
»Nach Erhards Vorstellung sollte eine richtig geordnete Marktwirtschaft ›Wohlstand für alle‹ verheißen. Mit dem sogenannten Volkskapitalismus sollte eine breite Vermögensbildung gefördert werden. […] Seine Zielvorstellung war die Utopie einer entproletarisierten Gesellschaft von Eigentumsbürgern, die keiner Sozialversicherungen mehr bedürfen.«23
Stabilität des Preisniveaus – durch Zentralbank weitgehend erreicht
1957 wurde die unabhängige Deutsche Bundesbank gegründet. Vorrangiges Ziel war es, die zur Verfügung gestellte Geldmenge und die Inflation zu steuern. Die Geldmenge wurde nach dem Sozialprodukt und dem Wachstum ausgerichtet. Diese Vorgehensweise wurde als richtungsweisend für andere Länder angesehen, da sie dem natürlichen Bedarf der Politik nach zusätzlichem Geld für den Haushalt Schranken setzte. Die wichtigste Funktion der Deutschen Bundesbank bestand jedoch in der Begrenzung der Inflation. Abweichend vom wirtschaftspolitischen Zielsystem, einer Inflation unter 1 %, war die Zielgröße der Inflation auf 2 % festgelegt. Einerseits war der Abstand zu einer gefährlichen Deflation größer und andererseits konnte damit eine Anpassung von Löhnen in volkswirtschaftlichen Bereichen vorgenommen werde, die keinen Produktivitätszuwachs verzeichnen konnten. Bei einer Inflation musste es früher oder später zu Lohnanpassungen kommen, die sich an anderen wirtschaftlichen Bereichen orientierten.
Das Inflationsziel ist eine ausgelagerte Funktion an eine unabhängige Institution (Deutsche Bundesbank, ab 1998 Europäische Zentralbank).
»Seit Juli 2002 wendet das Statistische Bundesamt die sogenannte ›Hedonische Preisbereinigung‹ zur Berechnung der Inflation für manche Warengruppen an. Dabei soll die Qualitätssteigerung von Produkten bei ihrer Bewertung mit einberechnet werden. Die Einführung der Hedonischen Preisbereinigung führt zu deutlich geringeren Inflationsraten.«24
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Inflationsrate in Deutschland 1950 bis 2018
Quelle: Eigene Erstellung, Statistisches Bundesamt 6/2019
Berücksichtigt man die Zielvorgabe von 2 Prozentpunkten, so gibt es nur drei Bereiche in den Jahren 1951 bis 2014, in denen sich die Inflation bis zu 7 % entwickelte. Es waren die Jahre 1971 bis 1978, 1979 bis 1994 und 1991 bis 1993. 1953 war die Inflationsrate negativ, 1996 und 2009 nahe null. Trotz dieser besonderen Entwicklungen in diesen Jahren ist die Erreichung des Inflationsziels (gemessen am Verbraucherpreisindex) gelungen, siehe Abb. 4.
Zu bemerken ist allerdings, die Inflation von Vermögenswerten ist nicht im Verbraucherpreisindex enthalten. Inflation von Vermögenswerten entsteht bei Immobilien und Unternehmen (z. B. bei Bewertung an den Aktienmärkten).
Außenwirtschaftliches Gleichgewicht – weitgehend nicht erreicht
»Dabei geht es bei der Forderung nach dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht darum, dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Staates nicht durch schädliche Außenhandelsbeziehungen belastet wird. Bei export- und importlastigen Staaten könnten Maßnahmen erforderlich werden, wenn der importierende Staat ein Handelsbilanzdefizit aufweist, das sich auch mittelfristig durch Abwertung nicht abbaut. Dieser Staat kann sich nicht anders wehren, als Importe zu beschränken und/oder eigene Exporte durch Außenhandelsinstrumente zu fördern. Gelingt dies nicht, droht den importlastigen Staaten hohe Staatsverschuldung mit der Gefahr des Staatsbankrotts, während exportlastige Staaten […] zunächst Staatsvermögen [in den Händen der Zentralbank] anhäufen.«25
So soll vermieden werden, dass ein Land langfristig nur Güter importiert und den Export dabei außeracht lässt. Daher hat die Erreichung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts eine wichtige Bedeutung.
Zu hohe Importdefizite implizieren, dass entweder die Löhne im Land zu hoch sind und das Land zu teuer produziert und damit im Wettbewerb nicht bestehen kann oder der Wechselkurs durch andere Einflüsse nicht zu dem Ergebnis eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts führt. Beispiele dafür sind das Vereinigte Königreich und die USA.
Zu hohe Exportüberschüsse implizieren dagegen, dass die Löhne im Land zu niedrig sein könnten. Beispiele dafür sind Deutschland und China.
Normalerweise sorgt der Wechselkurs für den Ausgleich der Überschüsse. Wenn jedoch andere Faktoren einen Einfluss auf den Wechselkurs haben, wie z. B. reine Finanztransaktionen, wird der Wechselkurs verfälscht.
In der folgenden Tabelle der Exporte und Importe ist der Außenbeitrag ab dem Jahr 2002 mehr als 1,5 %.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Exporte und Importe Deutschlands von 2000 bis 2018
Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/_inhalt.html#sprg229200
»In Jackson Hole hat der Ökonom Menzie D. Chinn die Ursachen heutiger Leistungsbilanzsalden behandelt. Ein interessantes Ko-Referat stammt vom Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, Maurice Obstfeld.
Chinn hat dankenswerterweise eingängige theoretische Erklärungen von Leistungsbilanzsalden angeführt, um eine strukturierte Diskussion zu ermöglichen. Er unterscheidet fünf Gruppen von Erklärungen:
Leistungsbilanzdefizite entstehen in Ländern, die entweder hervorragende Wachstumsperspektiven besitzen, oder aber in denen aus speziellen Gründen eine hohe Konsumneigung besteht. […]
Die zweite Erklärung stellt auf die sogenannten ›Zwillingsdefizite‹, bestehend aus wachsenden Staatsschulden und Leistungsbilanzdefiziten, ab. […]
Die dritte Erklärung stellt auf eine ›Exportbesessenheit‹ mancher Volkswirtschaften ab […]
Die vierte Erklärung stellt auf eine ›Sparschwemme‹ ab. […]
Eine fünfte Erklärung zielt auf Leistungsbilanzsalden als Ergebnisse der Verzerrung von Wechselkursen durch staatliche Instanzen […]
Wie leicht ersichtlich, schließen sich diese Erklärungen nicht gegenseitig aus. Mehrere können zur gleichen Zeit zutreffen. […]
Finanzpolitik könnte eine Rolle in der Reduzierung von Salden spielen und hier stimmt ihm Obstfeld zu, denn dies ist auch die Position des IWF.
So könnte eine straffere amerikanische Finanzpolitik zur Reduzierung des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits beitragen, während eine expansivere Finanzpolitik in Deutschland, zum Beispiel durch mehr öffentliche Investitionen in Infrastruktur, zu einer Reduzierung des deutschen Leistungsbilanzüberschusses führen würde. Wie Obstfeld betont, zeigen sich die Regierungen in Washington und in Berlin für solche Vorschläge wenig empfänglich.«26
Ausgeglichene öffentliche Haushalte – meist eine Katastrophe
Bis Anfang der 70er Jahre gab es eine strenge Verpflichtung zur Einhaltung eines ausgeglichenen Haushaltes. Aus der Historie war bekannt, dass Politiker gerne Geld ausgeben, um wiedergewählt zu werden (Wahlgeschenke). Doch mit der Einführung der Keynesianischen Theorie (»deficit spending«), wonach der Staat in Krisenzeiten Ausgaben vornimmt, um die von den Privaten vorgenommene Zurückhaltung zu überwinden und dann in Boomzeiten diese Ausgaben zurückzuführen, funktionierte nicht.
Eine Rückführung der Investitionsausgaben in wirtschaftlichen Aufschwungszeiten gab es nie. Das größte Problem entstand jedoch über die Finanzierung dieser Investitionsausgaben. Sie wurden geliehen, anstatt Steuern zu erheben.
Zeitweise reichten die neu aufgenommenen Kredite nur noch, um die Zinsen zu bezahlen. Ab März 2015 begann die EZB mit dem QE (Quantitative Easing) im großen Stil die Staatsanleihen aufzukaufen.
Unter QE wird verstanden: Eine Zentralbank führt eine quantitative Lockerung durch, indem sie bestimmte Beträge von finanziellen Vermögenswerten von Geschäftsbanken und anderen Finanzinstitute kauft, wodurch die Preise dieser finanziellen Vermögenswerte angehoben und ihre Renditen gesenkt werden, während gleichzeitig die Geldmenge erhöht wird.27
Diese Maßnahme senkte die Zinsen für neu ausgegebene Staatsanleihen. Gleichzeitig kamen Zinsen und Tilgungen, die an die EZB für die von ihr aufgekauften Staatsanleihen gezahlt wurden, als Gewinn der EZB wieder an den Staat zurück. Somit ist die berühmte schwarze Null des Haushalts eher als Erfolg der EZB anzusehen, wobei die enormen Auswirkungen auf eine Verstärkung der sozialen Ungleichheit in Kauf genommen wurden.
Die Maastricht-Abgrenzung erlaubt ein Defizit in Höhe von 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Seit 2012 wird diese Grenze unterschritten. Die Unterschreitung dieses Ziels war nur durch QE (Zinssenkung und Schuldenübernahme) der Zentralbank (EZB) möglich. Mittelfristiges Ziel ist indes -0,5 %. Jedoch erst bis Ende 2019 ist mit einer kontinuierlichen Rückführung der Maastricht-Schuldenstandsquote auf unter 60 % des BIP zu rechnen. Zudem belastet die jährliche Zinslast von ca. 20 Milliarden Euro den Haushalt enorm.
[...]
1 https://de.m.wikipedia.org/wiki/Soziale_Marktwirtschaft
2 Vgl. (Erhard, 2009)
3 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Linksliberalismus
4 (Borowsky, 2002)
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Globalsteuerung
6 (Borowsky, 2002)
7 (Friedrich-Naumann-Stiftung, 1971)
8 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Marshallplan
9 (Schorr, 2006)
10 https://de.wikipedia.org/wiki/ERP-Sonderverm%C3%B6gen
11 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Marshallplan
12 (Scharpf)
13 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Neoliberalismus#cite_note-49
14 Vgl. (Presse-und-Informationsamt-der-Bundesregierung, 1982)
15 (Docplayer, 2010)
16 http://www.zeitklicks.de/ddr/zeitklicks/zeit/das-system/wirtschaft/von-der-plan-zur-mangelwirtschaft/
17 https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsverm%C3%B6gen
18 https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsverm%C3%B6gen
19 (BVB, 2014)
20 Vgl. (Kaiser, 2018)
21 (Lindner, 2014)
22 (la-mmo, 2018)
23 https://de.m.wikipedia.org/wiki/Soziale_Marktwirtschaft
24 https://de.wikipedia.org/wiki/Inflation
25 https://de.wikipedia.org/wiki/Au%C3%9Fenwirtschaftliches_Gleichgewicht
26 (Braunberger, 2017)
27 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Quantitative_easing
- Quote paper
- Peter Thurnhofer (Author), 2021, Wohlstand für alle ist notwendig und machbar, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1153792
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.