Zu Beginn der Arbeit werden die wichtigsten Begriffe "Migration", "Jugendalter" und "Soziale Arbeit" im Hinblick auf diese Ausarbeitung umfassend erläutert. Anschließend werden soziale und migrationsgesellschaftliche Ereignisse im historischen Kontext dargestellt. Hierbei erfolgt die historische Betrachtung in Dekaden von 1960 bis 2000. Anhand der geschichtlichen Betrachtung können somit die heutigen Erkenntnisse der Migrationsforschung verstanden werden. Anhand
des Forschungsstandes können pädagogische Konzepte, die einen Einfluss auf die Bildungsgerechtigkeit haben, strukturell verändert werden. Demnach wird die Interkulturelle Pädagogik porträtiert, woraufhin ein Exkurs zur Kulturalisierung sowie zu Etikettierungsprozessen und den damit verbundenen Folgen für Migrationsandere stattfindet.
Daran anschließend wird das Konzept der Migrationspädagogik dargestellt. Mithilfe des gesammelten Wissens über die Interkulturelle Pädagogik sowie Migrationspädagogik, werden Anerkennungsverhältnisse und die Bedeutsamkeit dieser für die Soziale Arbeit mit Migrationsanderen thematisiert. Daraus ergeben sich elementare Erkenntnisse, die im letzten Kapitel mittels Schlussfolgerungen erfasst werden.
Inhaltsverzeichnis
Glossar
1. Einleitung
2. Definition der Begriffe
2.1 Migration
2.2 Jugendalter
2.3 Soziale Arbeit
3. Bedeutung von Sozialer Arbeit und Migrationsarbeit
3.1 Geschichte der Migrationspädagogik und Migrationsforschung
3.1.1 1960er-Jahre
3.1.2 1970er-Jahre
3.1.3 1980er-Jahre
3.1.4 1990er-Jahre
3.1.5 2000er-Jahre
3.2 Kritik
4. Aktuelle Konzepte und Diskurse der Migrationspädagogik und Migrationsforschung
4.1 Migrationsforschung
4.1.1 Vom Arbeiterkind zum Akademiker
4.1.2 Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland
4.1.3 Migrationssoziologie im 21. Jahrhundert
4.2 Interkulturelle Pädagogik
4.2.1 Kulturalismus
4.2.2 Etikettierungsprozesse
4.3 Migrationspädagogik
4.4 Interkulturelle Soziale Arbeit und Anerkennungsverhältnisse
5. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Glossar
Abbildung in die ser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Die Migration ist ein treibender Motor für gesellschaftliche Modernisierungen und Veränderungen. Jedoch korrelieren Veränderungen häufig mit Verunsicherung, Angst und Fehlern bei den Mitglieder*innen einer Gesellschaft, sowie in der Politik. Migrant*innen erweitern die Perspektiven einer Gesellschaft durch neues Wissen, Erfahrungen und Sprachen (Mecheril 2010, 8).
Aufgrund von Kriegen, ökologischen Veränderungen und weiteren Bedrohungen sind so viele Menschen wie noch nie gezwungen ihren Lebensmittelpunkt zu verlassen (Mecheril 2010, 7). Deutschland weist eine lange Migrationsgeschichte vor, die unterschiedliche politische und soziale Herangehensweisen beinhaltet. Da sich Deutschland hingegen erst spät als Einwanderungsland definiert, resultieren daraus soziale, ökonomische und politische Folgen für Migrationsandere.
Daher umfasst die zentrale Fragestellung dieser Ausarbeitung die historische Entwicklung von migrationsgesellschaftlichen Diskursen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Bildungsgerechtigkeit für junge Migrationsandere.
Das Ziel dieser Ausarbeitung ist es, den Zusammenhang der historischen Entwicklung von migrationsgesellschaftlichen Diskursen zu beleuchten, damit die Auswirkungen in Bezug auf die Gleichberechtigung in Deutschland für Migrationsandere aufgedeckt werden. Da das Thema „Migration“ bereits ein „Gründungsthema“ der Sozialen Arbeit und vielen weiteren sozialen Berufen ist, bedarf es einer sozial-historischen Betrachtung. Das ist bedeutsam, da die Generationen früherer, heutiger sowie noch folgenden Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen mit diesem Wissen über die Entwicklung von Migrationsdiskursen in Deutschland die Einstellungen der Generationen von Migrant*innen verstehen können. Migrationsandere der 1. Generation und damit der Gastarbeiterzeit in Deutschland, die mit Sozialpädagog*innen in Berührung kamen, kennen womöglich eine andere soziale Praxis. Das Bewusstsein ist elementar, damit die praktizierenden Sozialarbeiter*innen die geschichtlichen Ereignisse adäquat verstehen und einordnen können. Das ist die Voraussetzung für einen wirksamen und partizipativen Hilfeprozess. Besonders der Bereich der schulischen Bildung ist in natio-ethno-kulturellen Familien mit mehreren Generationen von unterschiedlicher Bedeutung geprägt. Die familiären, historischen und politischen Auswirkungen in Bezug auf Bildungsteilhabe und Gleichberechtigung werden in dieser Ausarbeitung betrachtet, damit die aktuellen pädagogischen Konzepte einer Annäherung an die Chancengleichheit dienen können. Da sich migrationsgesellschaftliche Diskurse in einem stetigen Wandel befinden, wird der frühere Umgang mit Migration in Deutschland erläutert und aktuelle Konzepte sowie der Forschungsstand erläutert.
Zu Beginn werden die wichtigsten Begriffe „Migration“, „Jugendalter“ und „Soziale Arbeit“ im Hinblick auf diese Ausarbeitung umfassend erläutert. Anschließend werden soziale und migrationsgesellschaftliche Ereignisse im historischen Kontext dargestellt. Hierbei erfolgt die historische Betrachtung in Dekaden von 1960 bis 2000. Anhand der geschichtlichen Betrachtung können somit die heutigen Erkenntnisse der Migrationsforschung verstanden werden. Anhand des Forschungsstandes können pädagogische Konzepte, die einen Einfluss auf die Bildungsgerechtigkeit haben, strukturell verändert werden. Demnach wird die Interkulturelle Pädagogik porträtiert, woraufhin ein Exkurs zur Kulturalisierung sowie zu Etikettierungsprozessen und den damit verbundenen Folgen für Migrationsandere stattfindet. Daran anschließend wird das Konzept der Migrationspädagogik dargestellt. Mithilfe des gesammelten Wissens über die Interkulturelle Pädagogik sowie Migrationspädagogik, werden Anerkennungsverhältnisse und die Bedeutsamkeit dieser für die Soziale Arbeit mit Migrationsanderen thematisiert. Daraus ergeben sich elementare Erkenntnisse, die im letzten Kapitel mittels Schlussfolgerungen erfasst werden.
2. Definition der Begriffe
Die folgenden Definitionen gilt es nur hinsichtlich dieser Ausarbeitung zu betrachten, da die Informationen zielgerichtet für diese Ausarbeitung selektiert wurden. Fundamental hierfür sind die Begriffe „Migration“, „Jugendalter“ und „Soziale Arbeit“.
2.1 Migration
Migration bedeutet wandern, Wanderung oder wegziehen. Die Etymologie leitet den Begriff „Migration“ von dem lateinischen „migrare“ ab (Hintermann und Herzog-Punzenberger 2018, 25). Migration, oder auch Wanderung, meint die Verlegung des Lebensmittelpunktes eines Menschen oder einer Familie. Laut der UN liegt die Zahl internationaler Migrant*innen die nicht in ihrem Geburtsland Leben bei über 240 Millionen Menschen weltweit (Tesch-Römer und Albert 2018, 144). Von 1955 bis 1973 hat Deutschland Gastarbeiter*innen aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal, und Jugoslawien nach Deutschland geholt. Ab den 70er Jahren setzte sich ein Niederlassungsprozess ein. Die Gastarbeiter*innen holten ihre Angehörigen und Familienmitglieder nach Deutschland. Meist arbeiteten die Gastarbeiter*innen in gering qualifizierten Tätigkeiten. Jedoch kann eine zunehmende Qualifizierung der zweiten und dritten Generation festgestellt werden. Dennoch sind sie an Gymnasien deutlich unterrepräsentiert (Bommes 2005, 105).
Zu einem früheren Zeitpunkt in Deutschland wurden die Begriffe Ein- und Auswanderung verwendet. Jedoch wurde in den letzten Jahrzehnten der englische Begriff „migration“ in Deutschland eingeführt. Da Migration ein weitgefasster Begriff ist, können damit viele Gründe und Arten von Wanderungen assoziiert werden. Jedoch unbestritten sind die Folgen einer Wanderung für die gewanderten Personen und Familien (Hintermann und Herzog-Punzenberger 2018, 24).
Seitdem sich die Folgen von Migration erfassen lassen, wird deutlich, dass Migrationsbewegungen in gesellschaftlich-politischen Machtverhältnissen erfolgen und in Konstellationen zu physischer, kultureller, sprachlicher und religiöser Integration, Assimilation oder Beständigkeit unterschiedlicher Gruppen führen (Hintermann und Herzog-Punzenberger 2018, 25).
Durch die Migrationsforschung konnten Definitionen und Vorschläge zur Typologisierung entstehen. Migration wird demnach in räumlich, zeitlich und motivationalen Aspekten unterschieden.
Migration bedeutet, dass mit einem räumlichen Wohnwechsel weitere Änderungen einhergehen. Hierbei wird unterschieden in Nah- und Fernwanderung, sowie Binnenmigration und internationaler Migration. Zeitlich erfolgt eine Unterscheidung zwischen einem Wechsel des Lebensmittelpunktes, der vorübergehend, wiederkehrend, ausbildungsbezogen und/oder eine dauerhafte Wanderung charakterisiert.
Die Entscheidung eines Menschen zu migrieren kann diverse Gründe und Ursachen haben. Beispielsweise kann dies beruflich motiviert, lebensphasenbezogen, religiös oder politisch begründet sein. Auch Krieg, Verfolgung, Klimaveränderungen und daraus resultierende Naturkatastrophen sind Gründe für Migration. Dennoch sind weitere Faktoren wie der Status und die Ausstattung eines Migrierenden bedeutsam für die Wanderung (Hintermann und Herzog-Punzenberger 2018, 26).
Die Entscheidung zu migrieren ist eine vielschichtige Verknüpfung von Ereignissen, Überlegungen und Entscheidungen, die ohne Beachtung der komplexen Gesamtheit nicht zu verstehen sind. Migration ist als ein Motor zu betrachten, der nicht nur die Migrant*innen betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft. Daraus resultieren Herausforderungen hinsichtlich der Veränderungen und Modernisierungen einer Gesellschaft. Die durch Migration bedingten Wandlungsprozesse ragen über die Gesellschaft hinaus und beeinflussen Prozesse und Strukturen der Gesamtheit (Mecheril 2010, 9).
Da besonders Migration Einfluss auf die Migrant*innen und die gesamte Gesellschaft hat, ist es elementar die Migrationsphänomene nicht ausschließlich auf die Wanderung zu beziehen. Paul Mecheril hingegen meint Migration muss als Gegenstand von Diskursen und als Gegenstand von politischer und alltagsweltlicher Auseinandersetzung verstanden werden (Mecheril 2010, 35).
Migrant*innen
Unabdingbar ist die Frage nach der Zugehörigkeit. Hierfür sind Zugehörigkeitsdiskurse essenziell, da natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeiten immer von Strukturen abhängen. Zugehörig gelten Menschen, die politische, gesellschaftliche und intersubjektive Vorstellungen erfüllen und den Rahmen einer vorgegebenen Normalität nicht überschreiten (Mecheril 2010, 36). Zu beachten gilt, dass Normalitätsaussagen fortwährend Bewertungsmaßstäbe und eine Erwartungshaltung enthalten. Migrant*innen gelten jedoch grundlegend als „Andere“, „Fremde“ oder nicht normal, da sie von dem „idealen Normaltyp“ abweichen (Mecheril 2010, 37).
Um Vergleichbarkeit zu schaffen, schlug die UN von 1998 Unterscheidungen vor, zwischen „long-term migrants“ die ihren Hauptwohnsitz für mindestens zwölf Monate und „short-term migrants“ die in üblichen Aufenthaltsort für mindestens drei Monate aber maximal für ein Jahr in ein anderes Land verlegen. Beide Formen der Migration bedingen sich gegenseitig und können umgekehrt werden.
In Deutschland wurden zu statistischen Zwecken zunächst Unterscheidungen zwischen Inländer*innen und Ausländer*innen getroffen. Dank der Migrationsforschung und deren Auseinandersetzungen mit den Begrifflichkeiten wurde das Wort „Migranten“ durch „Menschen mit Migrationshintergrund“ geändert (Hintermann und Herzog-Punzenberger 2018, 30). Erwachsene Menschen, die ihr Geburtsland verlassen, um in ein anderes Land einzuwandern, nennt die Migrationsforschung, die erste Generation. Sobald die erste Generation Kinder in einem Einwanderungsland geboren werden, sind sie die zweite Generation. Mittlerweile taucht der Begriff „dritte Generation“ in den Bildungsstudien auf. Damit gemeint sind die Enkelkinder der ersten Generation. Jedoch unterscheiden sich die Definitionen von Menschen mit Migrationshintergrund in den jeweiligen Bundesländern.
In Deutschland beispielsweise gilt für die Schulen die Definition der Kultusministerkonferenz aus 2015. Diese besagt für den Nachweis eines Migrationshintergrunds muss entweder eine nicht deutsche Staatsangehörigkeit, ein nicht deutsches Geburtsland, oder die Angabe das zu Hause nicht vorwiegend Deutsch gesprochen wird, festgestellt werden. Einhergehend mit den Begriff Migrant*in werden Ein- und Ausgrenzungsprozesse assoziiert (Hintermann und Herzog-Punzenberger 2018, 31). Daher ist eine Auseinandersetzung mit der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit in einem Diskurs elementar.
In dieser Ausarbeitung werden die Begrifflichkeiten hinsichtlich des zeitgemäßen Forschungsstandes verwendet. Daher wird keine einheitliche Verwendung der Begriffe Migrant*innen, Menschen mit Migrationshintergrund und Migrationsanderen stattfinden.
2.2 Jugendalter
Die Phase der Jugend beschreibt den Lebensabschnitt zwischen Kindheit und Erwachsensein. Aus entwicklungspsychologischer Sicht findet die Phase der Jugend im Alter von 10 bis 20 Jahren statt (Weichold und Silbereisen 2018, 239).
Doch Entgrenzungen zwischen Jugendalter und Erwachsenenalter scheinen anhand der individuellen Entwicklungen von vielfältigen Lebenswirklichkeiten und Lebenswegen nicht mehr möglich zu sein. Angesichts der gesellschaftlichen Globalisierung, Individualisierung und Pluralisierung kann die Lebensphase nicht ohne die Berücksichtigung von sozialen Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnissen erfolgen (Riegel und Scharathow 2018, 383). Die „Entgrenzung“ des Jugendalters impliziert, dass der Übergang in eine gesellschaftlich-kalkulierbare Zukunft nicht selbstverständlich ist und somit die biografischen Anstrengungen in den Vordergrund rücken.
Immer wieder stellt sich heraus, dass Jugendliche nicht positiv in der Gesellschaft angesehen werden und in der Öffentlichkeit als Snowflake Generation beschrieben werden. Generation Snowflake ist eine abwertende Bezeichnung von der Generation Y zu Generation Z. Damit sind sensible Jugendliche gemeint, die emotional zerbrechlich und psychisch fragil sind (Assimakopoulos et al. 2017, 60). Das sorgt für einen Verlust an Selbstwertgefühl. Mangelnde soziale Anerkennung und Wirksamkeit, sowie der Integrationsdruck hängen eng mit der Entgrenzung des Jugendalters zusammen. Das erschwert Jugendlichen den Übergang in die nächste Entwicklungsphase (Böhnisch 2018, 123).
Die Phase der Jugend durchlaufen alle Jugendlichen, jedoch wird sie in den Kulturen unterschiedlich gedeutet.
Eine elementare Entwicklungsaufgabe des Jugendalters ist es, Autonomie und Verbundenheit zu erwerben. Anhand der psychoanalytischen und westlich geprägten Ansichtsweise geht es in dieser Lebensphase darum, dass Jugendliche sich von ihren Eltern abwenden, um sich zu Gleichaltrigen hinzuwenden. Dennoch ist das Absolvieren einer Entwicklungsaufgabe nach kulturellem Kontext unterschiedlich zu betrachten, da diese Ausgestaltungen kulturabhängig sein können. Während beispielsweise japanische Jugendliche auch in der Phase der Jugend versuchen die Harmonie zwischen ihnen und ihren Eltern zu wahren, steht für amerikanische Jugendliche ihre Individuation im Vordergrund (Tesch-Römer und Albert 2018, 153). Die Herausforderungen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund hinsichtlich der Identitätsentwicklung basieren auf der Annahme, dass es Wechselwirkungen zwischen Merkmalen des Wohnumfeldes in der Gemeinde und deren Familiensystem sowie des Individuums gibt. In Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Jugendliche umso besser psychosozial integriert sind, wenn sie mehr Verbindungen zwischen ihrer Herkunftskultur und ihrer Aufnahmekultur schaffen (Weichold und Silbereisen 2018, 258).
In der Phase der Jugend ist die Identitätsbildung prägnant. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund müssen sie für sich entscheiden, wie die verschiedenen kulturellen Identitäten miteinander in Einklang gebracht werden können. Benet-Martinez nennt zwei Aspekte der „bikulturellen Identitätsintegration“. Dabei gilt, kulturelle Harmonie versus Konflikt und kulturelle Überlappung versus Distanz. Des Weiteren stellte sich heraus, dass Menschen mit einer hohen Integration der bikulturellen Identität ihre verschiedenen Kulturen als überlappend und gut kompatibel empfinden. Menschen mit einer niedrigen Integration hingegen, die kulturelle Identität und ihre unterschiedlichen Kulturen getrennt haben, nehmen dies indessen als Spannungsverhältnis wahr. Die Theorie des „cultural frame switching“ beschreibt das Wechseln zwischen den Kulturen und den jeweiligen Normen (Tesch-Römer und Albert 2018, 144). Unabhängig davon, ob ein Migrationshintergrund vorliegt oder nicht, steigt der soziale Druck für Jugendliche die Anforderungen einer Gesellschaft zu erfüllen.
Es wird beobachtet, dass immer mehr Jugendliche mit geringem Selbstwertgefühl, mangelnder Anerkennung und verwehrten Möglichkeiten sozial wirksam zu sein, betroffen sind. Die Anforderungen des Jugendalters und der Pubertät werden immer mehr in Spannung gesetzt (Böhnisch 2018, 116). Die Phase der Jugend wird zunehmend von der Bildungs- und Ausbildungszeit vereinnahmt. Besonders für sozial benachteiligte Jugendliche sorgt das für ein Gefühl von Rückschritten und doppelter Benachteiligung, denn sie können nicht an der Bildungsjugend teilhaben und haben wenig jugendkulturelle Entfaltungsmöglichkeiten (Böhnisch 2018, 117).
In Bezug auf Bildung und Arbeitsmarktintegration werden interkulturelle Kompetenzen und die Fähigkeit in heterogenen Gruppen zu interagieren sowie die Sprachkenntnisse immer bedeutsamer. Die Möglichkeit an interkultureller Bildung teilzuhaben, obliegt meist den Jugendlichen aus bildungsnahen Familien (Riegel und Scharathow 2018, 383).
Die Jugendlichen der aktuellen Generation Z haben meist keine eigenen Wanderungserfahrungen mehr, da sie das deutsche Bildungssystem durchlaufen haben. Dennoch könnten Jugendliche mit Migrationshintergrund Probleme mit einem Balanceakt zwischen den Ansprüchen und Hoffnungen ihrer Familien und ihren individuellen Vorstellungen haben (Bommes 2005, 107). Interindividuelle Unterschiede gibt es auch bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. Es kann zu erheblichen Unterschieden im Leistungsverhalten und der psychischen Gesundheit führen, da Jugendliche aus Einwanderungsfamilien durch individuelle Maßstäbe möglicherweise geringere Ansprüche und Anstrengungen in der schulischen Ausbildung pflegen. Die Ursachen sind jedoch nicht allein in der Herkunft und Wanderungserfahrung zu finden, sondern auch in der Person selbst (Weichold und Silbereisen 2018, 249).
2.3 Soziale Arbeit
Die Soziale Arbeit definiert sich als Gerechtigkeitsprofession, die danach strebt, soziale Problemlagen sowie deren Entstehung zu minimieren. Hierbei sind besonders Menschen mit Migrationshintergrund von sozialen Ungleichheiten betroffen (Zohry 2019, 42).
Das Thema Migration und interkulturelle Kompetenzen wurde in den Studiengängen für soziale Berufe erst seit den 1980er-Jahren in den Lehrplan aufgenommen. Bis heute konnten kaum interkulturelle Lebenswirklichkeiten und Migrationsgeschichten repräsentativ durch die sozialen Dienste gestützt werden. Deshalb kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass in Deutschland eine interkulturelle Öffnung stattgefunden hat. Ansätze wie interkulturelle Soziale Arbeit, diversitätsbewusste Soziale Arbeit oder auch antirassistische Soziale Arbeit versuchen dieses Defizit zu bearbeiten (Rettig und Schröer 2018, 570).
Problematisch hierbei ist die Rede von einer Interkulturalität, die dazu führt, dass Kultur als homogenes und abgrenzbares Konstrukt gilt. Eine interkulturelle Soziale Arbeit benötigt einen reflexiven Kulturbegriff der die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Lebensformen und Aspekten wie Geschlecht, Alter, Religion, sozioökonomische Faktoren etc. aufnimmt. Somit können mithilfe kategorialer Zuschreibungen die Kulturen in ihren individuellen Verflechtungen wahrgenommen werden (Rettig und Schröer 2018, 570).
Die Menschenwürde und die Menschenrechte gelten dabei als normativer Rahmen für die Soziale Arbeit. Diese Grundhaltung oder sogar die Bezeichnung „Gerechtigkeitsprofession“ impliziert das Streben von Sozialarbeiter*innen nach sozialer Gerechtigkeit. Hierzu erwähnt Böhnisch den Capability Approach und die damit verbundene Frage des „guten Lebens“. Damit historisch-empirische Vergleiche geschaffen werden können, bezieht sich Böhnisch auf den Begriff des „besseren Lebens“ (Böhnisch 2018, 17). Die Bezeichnung „besseres Leben“ verweist darauf, dass Ungleichheiten, soziale Unterschiede und unterschiedliche Teilhabe in der Gesellschaft stattfinden und diese sich in einem Diskurs der sozialen Gerechtigkeit wiederfinden (Böhnisch 2018, 18).
Gesellschaftliche Veränderungen bedeuten die Notwendigkeit eines Umdenkens in der Sozialen Arbeit. Aus diesen Veränderungen entsteht die Gelegenheit Ungleichheiten auf der Handlungsebene neu zu konzeptualisieren. Die Begriffskombination „reflexive Interkulturalität“ wurde in Analogie zu der Formel der reflexiven Modernisierung geschaffen. Reflexion heißt im Zusammenhang mit Interkulturalität, dass die Interkulturalität vorangebracht wird. Die Reflexivität bezieht sich nicht nur auf die Intention, sondern auch auf die Folgen der Realisierung von Intentionen. Nach Franz Hamburger (2012, 129) kann das „zu einer „bescheideneren Formatierung“ des ursprünglichen Programms führen, indem die stereotype Forderung nach Inter-Kulturalisierung begrenzt und Alternativen wie Ent-Kulturalisierung oder die Nicht-Thematisierung von kulturellen Differenzen begründet und rehabilitiert werden“ (Hamburger 2012, 128).
3. Bedeutung von Sozialer Arbeit und Migrationsarbeit
Migration ist ein zentrales Handlungsfeld der Sozialen Arbeit sowie Sozialpädagogik und bereits lange ein Bestandteil der professionellen Sozialen Arbeit (Wartenpfuhl 2019, 1). Soziale Arbeit gilt als Profession, die Menschen in Notsituationen umfassend unterstützt (Wartenpfuhl 2019, 3). Dabei bietet Soziale Arbeit interkulturelle Mediation in verschiedenen Bereichen an (Nowak 2019, 27).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland zu einem Einwanderungsland. Daraus resultierte, dass rund 20 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben. Soziale Arbeit hat somit den Auftrag in der Einwanderungs- und Integrationspolitik mitzuwirken (Nowak 2019, 13).
Migration gilt als ein Thema mit hohem Konfliktpotential in der modernen Gesellschaft. Aus der ursprünglich genannten „Flüchtlingskrise“ entstand Angst in der Bevölkerung. Die entstandene Angst sorgt in der Bevölkerung für negativ konnotierte Gefühle wie Ablehnung, Gleichgültigkeit oder moralische Blindheit. Dennoch gibt es auch die andere Seite der Bevölkerung, die durch Mitgefühl und Empathie gekennzeichnet werden. In einer modernen demokratischen Gesellschaft müssen die verschiedenen Stimmungen, Erwartungen und Interessen ausgeglichen werden (Wevelsiep 2019, 32).
Die Konfliktforschung erkannte anhand von Langzeitbeobachtungen das schwache Gruppen besonders betroffen sind. Soziale Ungleichheit ist bereits lange ein Bestandteil hegemonialer Kämpfe (Wevelsiep 2019, 36). Gesellschaftliche Veränderungen bedeuten die Notwendigkeit eines Umdenkens für die Soziale Arbeit. Um bei sozialen Problemen helfen zu können, müssen bestehende Konzeptionen auf ihre Übertragbarkeit überprüft und bei Bedarf geändert werden (Zohry 2019, 41).
Dabei sollte das Ziel von „Teilhabe“ beachtet werden. Der alleinige Fokus auf die Interkulturalität in Konzepten der Sozialen Arbeit birgt die Gefahr, das strukturelle Dimensionen nicht beachtet werden und sich somit soziale Benachteiligung und Diskriminierung entwickeln. Teilhabe bedeutet hierbei das ökonomische, soziale und kulturelle Kapital zu ermöglichen. Durch soziale Sicherungen, soziale Dienste, Integration und kultureller Anerkennung kann dies die Lage der Migrant*innen verbessern. Häufig wird der eingewanderte Mensch in die Rolle des „Opfer der Verhältnisse“ gesetzt. Dabei wird nicht beachtet, dass Migrant*innen aktive Akteure sind, die eigene Interessen verfolgen und Migration keine stagnierende Lebenslage ist. Aus diesem Grund bedarf es einer spezifischen operativen Struktur. Der Qualifikationsrahmen für Professionelle der Sozialen Arbeit sollte die interkulturelle Kompetenz erfassen, denn die Geschichte der Sozialen Arbeit ist eine Geschichte der Arbeit mit Migrant*innen, die in ein anwendbares Verhältnis gesetzt werden muss (Hamburger 2011, 1046).
3.1 Geschichte der Migrationspädagogik und Migrationsforschung
In einer Gesellschaft wird Sesshaftigkeit als Normalität angesehen und Migration gilt als Ausnahme. Dabei ist die Geschichte der Migration ebenso alt wie die Geschichte der Menschheit selbst (Hahn 2012, 9). Durch die zwei großen Weltkriege resultierten Umsiedelungen, Flucht und Vertreibungen der Menschen. Aufgrund der wachsenden Mobilität und der ökonomischen Ungleichgewichte waren und sind viele Menschen gezwungen ihr Herkunftsland zu verlassen, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können (Hahn 2012, 23). In den 1950er und 1960er-Jahren wurden ausländische Arbeitnehmer*innen, genannt „Gastarbeiter*innen“, angeworben. Infolge der Kettenmigration, demnach der Zuzug von Ehepartnern und weiteren Familienmitgliedern, wurde die selektive Migration aus der Türkei verstärkt (Luft 2012, 48).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Mikrozensus 2020, 23
Anhand der Grafik lässt sich deutlich erkennen, dass viele jüngere Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leben, die keine eigene Migrationserfahrung haben. Die Aspekte des demografischen Wandels bedeuten, dass eine Veränderung der migrationspädagogischen Ansichten erfolgen muss. Damit anachronistische Konzepte angemessen erläutert und anschließend kritisch betrachtet werden können, ist es bedeutsam, diese in ihrem zeitlichen Kontext zu beachten.
Die früheren Erkenntnisse der Migrationspädagogik gelten als Reaktion auf die historischen Ereignisse. Um zu erfahren, welchen Weg die Migrationsforschung gegangen ist und wieso sie diesen gehen musste, müssen historische Parameter erläutert werden. Folglich wird der historische Verlauf der Migrationspädagogik unter der Berücksichtigung der demografischen Bedingungen erfasst.
Von 1955 bis 1973 wurden Gastarbeiter*innen nach Deutschland angeworben. Insgesamt sind in diesem Zeitraum 14 Millionen Menschen aus den Anwerbeländern zugewandert, jedoch sind 11 Millionen Menschen wieder zurückgewandert. Entgegen der ökonomischen Annahme sind die meisten Gastarbeiter*innen nicht geblieben. Nur ein kleiner Teil von ihnen und ihren Nachkommen leben in Deutschland (Hamburger 2012, 42).
3.1.1 1960er-Jahre
Ab den 1960er-Jahren wurden Forschungsperspektiven und Forschungsmethoden aus der Anthropologie, Soziologie und Stadtgeschichtsforschung aufgenommen. Der Forschungszweig „New urban history“ untersucht mit qualitativen Methoden die Volkszählung einer Stadt. Daraus resultierten neue Sichtweisen und Ergebnisse über die Zusammensetzung der Bevölkerung. Aufgrund dessen wurden ebenfalls Zu- und Abwanderungen und die regionale sowie soziale Mobilität von Arbeiterfamilien untersucht (Hahn 2012, 53).
Während die USA die Migrationsforschung ausweitete, stagnierte sie im europäischen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg. Dadurch blieb die Migrationsforschung unberührt. Gründe dafür sind, dass viele Bevölkerungswissenschaftler*innen, Demograf*innen und Soziolog*innen in den 1930er und 1940er-Jahren gezwungen waren, Deutschland zu verlassen und nach dem Krieg nicht zurückgeholt wurden. Des Weiteren wurden zahlreiche Wissenschaftler*innen aufgrund ihrer nationalsozialistischen Ideologie diskreditiert oder beschäftigten sich nicht aktiv mit den freiwilligen sowie unfreiwilligen Wanderungen nach Deutschland (Hahn 2012, 60).
Als einer der wenigen Sozialhistoriker der Nachkriegszeit beschäftigt sich Wolfgang Köllmann mit dem Thema Migration als gesellschaftspolitisches Phänomen. Seine Forschungen gründet er auf Günther Ipsens bevölkerungstheoretischem Konzept des „Volkskörpers“ und dem in den 1960er-Jahren populären modernisierungstheoretischen Untersuchungsansatz (Hahn 2012, 61).
Köllmanns Ansichten waren von einem bürgerlich-patriarchalischen Gesellschaftsbild und nationalsozialistischen Zügen geprägt. Beispielsweise beschreibt er zugewanderte Frauen als „Gebärleistung“ oder als „weiblicher Tragkörper“. Dennoch hat Wolfgang Köllmann maßgeblich dazu beigetragen, dass die historische Migrationsforschung nicht vollständig stillgelegt wird (Hahn 2012, 61).
Währenddessen konnte in den USA und weiteren Ländern die Einwanderungs- und Integrationspolitik durch das Werk „Beyond the Melting Pot“ von Glazer und Moynihan einen Aufschwung erleben (Aigner 2015, 162). Der Begriff „Melting Pot“ wurde erstmals 1909 von Israel Zangwill beschrieben. Die Bezeichnung „Melting Pot“ zu Deutsch „Schmelztiegel“, beschreibt das Zusammenleben von Einwanderungsgruppen an einem Ort. Dadurch entsteht aus kultureller Heterogenität eine kulturelle Homogenität von ethnischen Minderheitsgruppen in einer Mehrheitsgruppe. Das Werk „Beyond the Melting Pot“ kann als Wendepunkt gesehen werden. Kultureller Pluralismus oder auch ethnischer Pluralismus stellt als Gegenkonzept den Begriff „Melting Pot“ sowie Assimilationstheorien infrage und kann als Vorstufe des Multikulturalismus verstanden werden. Der kulturelle Pluralismus ist ein gesellschaftlicher Zustand in dem ethnische Gruppen untereinander agieren und ihre Sprache, Religion und Bräuche weiterhin ausüben und dennoch mit dem Einwanderungsland partizipieren (Aigner 2015, 150).
Das Werk von Glazer und Moynihans definiert den Wendepunkt innerhalb der Wissenschaft von der Assimilationstheorie hin zur Pluralismustheorie. Infolgedessen wurden Konzepte zu dem ethnischen Pluralismus und Multikulturalismus weiterentwickelt (Aigner 2015, 151).
In den 1960er-Jahren wurde deutlich, dass die migrierten Gastarbeiter*innen vermehrt in ihren Aufnahmeländern bleiben. Dadurch stellte sich die Frage nach Maßnahmen für ein Zusammenleben in der neuen Vielfalt. Österreich errichtete, ähnlich wie Deutschland und die Schweiz, große Hürden auf dem Weg zu einem sicheren Aufenthalt oder zur Staatsbürgerschaft (Strasser und Tošić 2014, 127).
In Deutschland gab es keine nennenswerte Reaktion auf die Konsequenzen der Gastarbeit (Mecheril 2010, 56). Ab 1964 galt erstmals die allgemeine Schulpflicht für Schüler*innen ausländischer Herkunft mit gesichertem Aufenthalt. Die „ausländischen Kinder“ wurden zuvor von dem Schulsystem ausgelassen und in separaten sogenannten „Ausländer“ oder „Nationalklassen“ unterrichtet (Kollender und Hunger 2018, 262). Dies kann als der Beginn von dem Ende der „diskursiven Stille“ gefasst werden (Mecheril 2010, 56). Das hat zur Folge, dass Diskurse in den Folgejahren einen Aufschwung erleben.
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