Warum vergleicht man Hermann Hesse und Arno Schmidt? Und wo soll man ansetzen bei zwei Autoren, die unterschiedlicher nicht sein können?
Hesse und Schmidt sind einander nie begegnet und führten nur einen flüchtigen Briefwechsel1 und doch war zumindest Hesse für Schmidt sehr bedeutsam, dem er in tiefer Verehrung für seinen Steppenwolf zunächst ein Gedicht und später seinen „Leviathan“ zusandte. Dass Hesse Schmidts Gedicht nur mit einem Gegengedicht beantwortete und aus Zeitmangel den „Leviathan“ ungelesen zurücksenden musste, verletzte Schmidt tief, doch noch härter traf ihn Hesses Besprechung des „Leviathans“ in einem Rundbrief vom 01.05.1950, in welchem dieser ihm, wenn er im Ganzen auch durchaus wohlwollende Worte fand, „Schnoddrigkeit“ vorwarf.2 Schmidt entgegnete mit der bekannten Replik, Hesse sei „[e]in begabter Dichter; reich und faltig. Zweierlei fehl[e] ihm: naturwissenschaftliche Kenntnisse (oder doch deren Einwirkung und Auswertung), und das Erlebnis folgender Urphänomene: Soldat sein müssen, Krieg, Kriegsgefangenschaft, Hunger. Also kenn[e] er ausreichend nur die friedlichere Seite des Menschen. Ein Glücklicher. Dies bezeichne[] seine Stellung in unserer Literatur: »die Stimme eines Sängers [kein Komma: sic] die zwar keinen großen Umfang ha[be] und nur wenige Töne enth[alte], aber diese gut und vom schönsten Wohlklange«“3 und verursachte Hesse damit einige Schlaflosigkeit und Verstimmung4; Schmidt aber verwand die Ablehnung nie.
So sehen die beiden Autoren selbst unvereinbare Unterschiede in ihren jeweiligen Arten zu schreiben und teilen scheinbar nur die gegenseitige Ablehnung, aber dennoch verbindet sie etwas, nämlich ein gemeinsames Thema. Beide, Hesse und Schmidt, haben unabhängig voneinander mit dem „Glasperlenspiel“ und der „Gelehrtenrepublik“ Utopien verfasst, die einen Gelehrtenstaat darstellen und sich damit der utopischen Untergattung der „Gelehrtenrepubliken“ zuordnen lassen; mehr noch, sie sind die einzigen beiden modernen Verfasser von Gelehrtenrepubliken und, ergänzt durch Klopstock, dessen „Gelehrtenrepublik“ aus dem Jahr 1774 stammt, die einzigen Vertreter der deutschsprachigen Gelehrtenrepublik überhaupt.5
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Utopie
- Versuch einer Wesensbestimmung
- Utopie als alternative Ordnung. Die Leistung der Utopie
- Die literarische Utopie
- Utopisches Erzählen
- Die „utopische Methode“
- Utopisches Erzählen bei Morus
- Utopisches Erzählen bei Campanella
- Utopisches Erzählen bei Andreae
- Utopisches Erzählen bei Bacon
- Zusammenfassung: Utopisches Erzählen bei den frühneuzeitlichen utopischen Klassikern
- Hermann Hesses „Glasperlenspiel“
- Kurzzusammenfassung des Inhalts
- Utopische Züge im „Glasperlenspiel“
- Warum das „Glasperlenspiel“ keine traditionelle Utopie sein kann
- Das „Glasperlenspiel“ – Utopie oder Anti-Utopie?
- Arno Schmidts „Gelehrtenrepublik“
- Kurzzusammenfassung des Inhalts
- Utopische Züge in der „Gelehrtenrepublik“
- Die „Gelehrtenrepublik“ als Anti-Utopie
- Der Weg in die Anti-Utopie
- Der Hominidenstreifen
- Sexualität in der „Gelehrtenrepublik“
- Kunst in der „Gelehrtenrepublik“
- Utopie bei Hesse und Schmidt. Zusammenschau und Ausblick
- Zusammenschau
- Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese wissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich mit der Darstellung utopischer Ordnungen in Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ und Arno Schmidts „Gelehrtenrepublik“. Die Arbeit analysiert die beiden Werke vor dem Hintergrund der Gattung „Utopie“, um festzustellen, welche Konzepte beide Autoren dem Jahrhundert der Weltkriege entgegensetzen. Neben der textlichen Analyse werden auch die Ziele und die zentralen Ideen des Romans und der Erzählung herausgearbeitet.
- Die historische Entwicklung des Utopiebegriffs
- Die literarische Gestaltung von Utopien
- Die Charakteristik der Gelehrtenrepublik
- Der Vergleich zwischen „Glasperlenspiel“ und „Gelehrtenrepublik“
- Die Rolle der Sexualität und Kunst in den beiden Werken
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Arbeit widmet sich der Einleitung und stellt die zwei Autoren Hesse und Schmidt sowie ihre Werke vor. Anschließend wird der Utopiebegriff in seinem historischen Kontext untersucht und die wichtigsten Merkmale der klassischen Utopie herausgearbeitet. Kapitel drei befasst sich mit der Erzähltechnik von Utopien und zeigt, wie die Autoren Morus, Campanella, Andreae und Bacon diese in ihren Werken verwenden. Im vierten Kapitel wird Hesses „Glasperlenspiel“ analysiert und die wichtigsten utopischen Elemente des Romans herausgestellt. In Kapitel fünf wird die „Gelehrtenrepublik“ von Arno Schmidt untersucht. Es wird gezeigt, wie Schmidts Erzählung die Gattung der Utopie aufgreift und in eine Anti-Utopie umwandelt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf das literarische Genre der Utopie im Kontext von Gelehrtenrepubliken, die in den Werken von Hermann Hesse und Arno Schmidt thematisiert werden. Zentral für die Analyse sind die wichtigsten Merkmale der Gattung „Utopie“ wie die Beschreibung einer idealen Gesellschaft, die Kritik an der bestehenden Ordnung, die Rolle von Bildung und Wissenschaft, die Gestaltung von Raum und Zeit, sowie die Verwendung von Symbolen und Metaphern.
- Quote paper
- Sonja Riedel (Author), 2008, Utopie als alternative Ordnung - Hermann Hesses "Glasperlenspiel" und Arno Schmidts "Gelehrtenrepublik" vor dem Hintergrund der Gattung "Utopie", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115127