Die folgende Darstellung der Studie mit dem Titel „Allgemeine Psychotherapiemotivation und Symptombelastung von Alkoholkranken in qualifizierter Entgiftungsbehandlung“ beginnt mit einer allgemeinen Einführung zum Thema Alkoholismus und dem Grundkonzept der sogenannten qualifizierten Entgiftungsbehandlung.
Diese stellt die erste Komponente des deutschen Suchthilfesystems
dar und bildet den Rahmen dieser Untersuchung. Der nächste Abschnitt befasst sich genauer mit der Behandlungsmotivation von Alkoholabhängigen, bevor im Methodenteil die Untersuchungsplanung und -durchführung beschrieben werden. Im daran anschließenden Ergebnisteil werden dann die gewonnenen Erkenntnisse
zusammenfassend dargestellt und im Diskussionsteil kritisch beleuchtet. Der theoretische Teil umfasst insgesamt drei Unterabschnitte. Zu Beginn erfolgt eine allgemeine Darstellung zum Störungsbild der Alkoholabhängigkeit, bevor anschließend das Konzept der qualifizierten Entgiftungsbehandlung vorgestellt wird. Der dritte Abschnitt befasst sich schließlich mit dem Begriff der allgemeinen Psychotherapiemotivation (APM) und ihrer Bedeutung für die Behandlung von alkoholabhängigen Patienten.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Zusammenfassung
I. Einleitung
II. Theoretische Grundlagen
1. Alkoholabhängigkeit
1.1 Begriffsdefinition: Abhängigkeit und schädlicher Gebrauch
1.2 Epidemiologie und volkswirtschaftliche Konsequenzen
1.3 Klinische Symptomatik und Verlauf
1.4 Diagnostik
1.5 Intervention: Das deutsche Suchthilfesystem
2. Das Konzept der qualifizierten Entgiftungsbehandlung
2.1 Entwicklung, Grundkonzept und Therapieziele
2.2 Therapieplan und Interventionsmaßnahmen
2.3 Evaluation von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit
3. Behandlungsmotivation bei Alkoholabhängigen
3.1 Konstrukt der allgemeinen Psychotherapiemotivation (APM)
3.2 Behandlungsmotivation bei Alkoholabhängigen
3.3 Phasenmodell der Motivation von Prochaska und DiClemente
III. Fragestellungen und Zielsetzung der Arbeit
IV. Methodisches Vorgehen
1. Untersuchungsdurchführung
1.1 Die qualifizierte Entgiftungsstation 53a der MH-Hannover
1.2 Antrag an die Ethikkommission
1.3 Patientenrekrutierung
1.4 Untersuchungsablauf
1.5 Schwierigkeiten bei der Umsetzung
2. Erhebungsverfahren
2.1 Angaben zur Person und Suchtanamnese
2.2 Skala zur Erfassung der Schwere der Alkoholabhängigkeit (SESA)
2.3 Fragebogen zur Messung der Psychotherapiemotivation (FMP)
2.4 Brief Symptom Inventory von L.R. Derogatis (BSI)
3. Beschreibung der Stichprobe
3.1 Soziodemographische Merkmale
3.2 Suchtanamnese und Störungsprofil (SESA)
3.3 Symptombelastung (BSI)
4. Statistische Analysen
IV. Darstellung der Ergebnisse
1. Profil der allgemeinen Psychotherapiemotivation und Zusammenhänge mit anderen Merkmalen
1.1 Allgemeine Psychotherapiemotivation (FMP)
1.2 Zusammenhänge mit soziodemographischen Merkmalen
1.3 Zusammenhänge mit suchtanamnestischen Merkmalen
1.4 Zusammenhänge mit klinischen Merkmalen (SESA)
1.5 Zusammenhänge mit der Symptombelastung (BSI)
2. Klassifikation nach dem FMP-Profil
2.1 Clusteranalyse auf Basis des FMP-Profils
2.2 Clusterprofile und Merkmalsunterschiede
V. Diskussion und Ausblick
VI. Literaturverzeichnis
VII. Anhang
Abbildungsverzeichnis
1. Strukturmodell für die Versorgung von Menschen mit Alkoholproblemen in der BRD nach Wienberg
2. Modell der allgemeinen Psychotherapiemotivation (APM)
3. Wohnsituation
4. Beziehungsstatus
5. Art des Alkoholkonsums
6. Tageszeit des Konsumbeginns
7. Anlass der aktuellen Entgiftungsbehandlung auf Station 53a
8. Schwere der Alkoholabhängigkeit in Form des SESA-Profils
9. Art und Ausmaß der Symptombelastung in Form des BSI-Profils
10. Allgemeine Psychotherapiemotivation in Form des FMP-Profils
11. Dendrogramm der hierarchischen Clusteranalyse
12. Clusterprofile auf den FMP-Subskalen
13. Clusterprofile der Gesamtscores des FMP, der SESA und des BSI
Tabellenverzeichnis
1. Diagnosekriterien der Alkoholabhängigkeit
2. Deskriptive Statistiken des FMP-Profils
3. Ergebnisse der Mittelwertvergleiche zwischen den Geschlechtern
4. Ergebnisse zum Vergleich mit Alkoholabhängigen in stationärer 42 Entgiftungsbehandlung aus der FMP-Normstichprobe
5. Ergebnisse der Einstichproben-t-Tests zum Vergleich der Stich- 43 probe mit alkoholabhängigen Teilnehmern einer Entwöhnungsbehandlung mit Motivationsprogramm aus der FMP-Normstichprobe
6. Korrelationen zwischen dem FMP-Profil und soziodemographi- 44 schen Merkmalen
7. Korrelationen zwischen dem FMP-Profil und suchtanamnestischen 45 Merkmalen
8. Korrelationen zwischen dem FMP-Profil und klinischen Merkma- 45 len (SESA)
9. Korrelationen zwischen dem FMP-Profil und der Symptombelas- 46 tung (BSI)
10. FMP-Profile und Mittelwertvergleiche bei drei Clustern
11. Geschlechterverteilung innerhalb der Cluster
12. Clusterprofile und Mittelwertvergleiche ausgewählter Merkmale
Zusammenfassung
Gegenstand und Zielsetzung: In dieser explorativen Querschnittstudie wird über die allgemeine Psychotherapiemotivation (APM) von alkoholabhängigen Patienten berichtet, die im Frühjahr 2008 in der Psychiatrischen Klinik der MH-Hannover eine stationäre qualifizierte Entgiftungsbehandlung begonnen hatten. Die wichtigsten Fragestellungen bezogen sich auf eine differenzierte Beschreibung der APM, Zusammenhänge der APM mit soziodemografischen und klinischen Merkmalen sowie auf eine Typisierung der Patienten auf Basis ihres APM-Profils. Die Erkenntnisse sollen in der Praxis eine optimale Anpassung der therapeutischen Maßnahmen an die Bedürfnisse der Patienten unterstützen, um diese nach dem Konzept der qualifizierten Entgiftung zur Weiterbehandlung und dauerhaften Abstinenz zu motivieren.
Methodik: Insgesamt 30 Patienten, davon 21 männlich (70%), bearbeiteten vier Fragebogen zu den Bereichen allgemeine Psychotherapiemotivation (FMP), subjektive Symptombelastung (BSI), Schweregrad der Alkoholabhängigkeit (SE- SA) sowie einen selbst entwickelten Fragebogen zu soziodemographischen Angaben und zur Suchtanamnese. Die erhobenen Daten wurden deskriptiv ausgewertet und auf signifikante Zusammenhänge geprüft. Weiterhin wurden die Patienten auf Basis ihrer Profile im FMP mittels Clusteranalysen in verschiedene Klassen unterteilt.
Ergebnisse: Die allgemeine Psychotherapiemotivation der Patienten (FMP- Gesamtscore) ist mit einem T-Wert von 36 (SD=5) als unterdurchschnittlich zu bewerten. Für die FMP-Subskala Krankheitserleben zeigten sich geringe bis mittlere Zusammenhänge mit der Schwere der Abhängigkeit (SESA) sowie der Symptombelastung (BSI). Auf Basis des FMP-Profils ließen sich drei Patientengruppen mit verschiedenen Motivationsprofilen bilden, die als die Leidenden, die Ambivalenten und die Motivierten bezeichnet wurden. Mit Ausnahme der Anzahl bisheriger Entzüge ergaben sich keine signifikanten Zusammenhänge zwischen den FMP-Gruppenprofilen und anderen Merkmalen.
Diskussion: Die Patienten zeigten unterschiedliche Motivationsprofile, weshalb eine spezielle Eingangsdiagnostik mit anschließender individualisierter Anpassung des Psychotherapieprogramms in Zukunft sinnvoll erscheint. Für weitere Studien wäre die Frage interessant, ob sich die FMP-Profile im Verlauf der qualifizierten Entgiftung unterschiedlich entwickeln.
Schlagwörter: Alkoholabhängigkeit, Psychotherapiemotivation, qualifizierte Entgiftungsbehandlung, Clusteranalyse
I. Einleitung
Alkoholismus gehört zu den häufigsten und schwerwiegendsten psychischen Erkrankungen weltweit, zerstört ganze Existenzen und hat viele Todesopfer zur Folge. Obgleich die Bundesrepublik Deutschland über ein mehrstufiges Suchthilfesystem verfügt, nimmt nur ein Bruchteil der Betroffenen die Hilfsangebote in Anspruch und selbst bei adäquater Behandlung liegen die Abstinenzraten bestenfalls bei etwa 50% (Kiefer Mann, 2007). Gründe für diese Situation sind sicherlich Phänomene wie mangelnde Krankheitseinsicht und fehlende Veränderungsbereitschaft, die bei vielen Suchterkrankungen störungsimmanent vorkommen. Vor diesem Hintergrund geht es bei der hier berichteten Studie um die allgemeine Therapiemotivation von Patienten mit der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit. Es wurden mittels Fragebogen zur Selbstbeurteilung Daten auf der qualifizierten Entgiftungsstation der Psychiatrischen Klinik an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) erhoben, um die persönlichen Umstände und die Motiviertheit von Patienten zu explorieren, die dort freiwillig eine Entgiftung begonnen hatten. Die gewonnenen Erkenntnisse können einen Beitrag dazu leisten, die Behandlungsmaßnahmen besser auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abzustimmen, um die Passung zwischen dem Therapiekonzept einerseits und den Patientenbedürfnissen andererseits zu optimieren. Eine möglichst gute Passung ist dabei eine wichtige Grundlage dafür, dass sich der Patient auf die Maßnahmen einlässt, eine Änderungsbereitschaft entwickelt und schließlich zur Weiterbehandlung mit dem langfristigen Ziel der dauerhaften Abstinenz und der sozialen Reintegration motiviert werden kann.
Die folgende Darstellung der Studie mit dem Titel „Allgemeine Psychotherapiemotivation und Symptombelastung von Alkoholkranken in qualifizierter Entgiftungsbehandlung“ beginnt mit einer allgemeinen Einführung zum Thema Alkoholismus und dem Grundkonzept der sogenannten qualifizierten Entgiftungsbehandlung. Diese stellt die erste Komponente des deutschen Suchthilfesystems ]dar und bildet den Rahmen dieser Untersuchung. Der nächste Abschnitt befasst sich genauer mit der Behandlungsmotivation von Alkoholabhängigen, bevor im Methodenteil die Untersuchungsplanung und -durchführung beschrieben werden. Im daran anschließenden Ergebnisteil werden dann die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassend dargestellt und im Diskussionsteil kritisch beleuchtet.
II. Theoretische Grundlagen
Der theoretische Teil umfasst insgesamt drei Unterabschnitte. Zu Beginn erfolgt eine allgemeine Darstellung zum Störungsbild der Alkoholabhängigkeit, bevor anschließend das Konzept der qualifizierten Entgiftungsbehandlung vorgestellt wird. Der dritte Abschnitt befasst sich schließlich mit dem Begriff der allgemeinen Psychotherapiemotivation (APM) und ihrer Bedeutung für die Behandlung von alkoholabhängigen Patienten.
1. Alkoholabhängigkeit
Der Konsum von Alkohol gehört seit jeher zu unserer Kultur dazu und ist weitestgehend gesellschaftlich akzeptiert. Hinter einer bunten Fassade mit fröhlich trinkenden Models auf Plakatwänden verbirgt sich allerdings eine dunkle Schattenseite: alkoholinduzierte psychische Störungen wie das Abhängigkeitssyndrom und der schädliche Gebrauch, die unter dem Begriff des Alkoholismus zusammengefasst werden. Neben Angststörungen und Depressionen zählt Alkoholismus zu den weltweit häufigsten psychischen Erkrankungen mit schwerwiegenden sozialen und volkswirtschaftlichen Konsequenzen.
Das folgende Kapitel beinhaltet einen kurzen Überblick zu den vielen „Gesichtern“ des Alkoholismus. Dabei werden nach einer Begriffsdefinition und epidemiologischen Daten die klinische Symptomatik sowie der Krankheitsverlauf beschrieben. Den Schlussteil bilden eine Übersicht häufig eingesetzter Diagnostikinstrumente und eine Darstellung des deutschen Suchthilfesystems.
1.1 Begriffsdefinition: Abhängigkeit und schädlicher Gebrauch
Seit der erstmaligen Beschreibung des Alkoholismus als „Krankheit des Willens“ durch den Amerikaner Benjamin Rush zu Ende des 18. Jahrhunderts haben sich im Volksmund viele Begriffe zur Beschreibung dieser seit 1968 in Deutschland anerkannten psychischen Störung entwickelt (Lindenmeyer, 2005). So spricht man u.a. von Trunksucht, Säufertum und Alkoholkrankheit. Diese Vielfalt spiegelt dabei die große Heterogenität der Gestalt und Konsequenzen wider, die zahlreiche körperliche, soziale und psychische Folgeschäden mit einschließen (Wittchen Hoyer, 2006). Zur Eingrenzung des multidimensionalen Phänomens des Alkoholismus haben die modernen internationalen Klassifikationssysteme ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (Dilling et al., 2004) und DSM- IV (Saß et al., 1998) der American Psychiatric Association (APA) operationalisierte Definitionen festgelegt. Eine Alkoholabhängigkeit als psychiatrische Erkrankung liegt demnach vor bei einem oft starken, übermächtigen Wunsch, Alkohol zu trinken (Craving), bei einer Einengung des Denkens auf den Alkoholkonsum sowie bei einer verminderten Kontrolle über die getrunkene Menge. Neben dieser sogenannten psychischen Abhängigkeit zeigen Betroffene körperliche Symptome wie Toleranzentwicklung und Entzugserscheinungen bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, die unter dem Begriff der physischen Abhängigkeit zusammengefasst werden. Von der Alkoholabhängigkeit zu unterscheiden ist der schädliche Gebrauch (ICD-10) bzw. der Missbrauch (DSM-IV) von alkoholhaltigen Getränken. Dieser Begriff umschreibt einen Alkoholkonsum, der bereits zu nachweisbaren psychischen, physischen und/oder sozialen Folgeschäden geführt hat, obgleich keine hinreichenden Hinweise für eine Abhängigkeit gefunden werden können (DHS, 2003). Dabei werden häufig große Mengen getrunken, um die positive euphorisierende und angstlösende Wirkung des Alkohols zu erleben.
1.2 Epidemiologie und volkswirtschaftliche Konsequenzen
Alkoholismus zählt mit einer Lebenszeitprävalenz von etwa 13% neben Angststörungen und Depressionen zu den häufigsten psychiatrischen Störungen weltweit (Wittchen Hoyer, 2006). Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) sind aktuell in der Bundesrepublik Deutschland etwa 4,8% der Männer und 1,3% der Frauen über 18 Jahren nach den Diagnosekriterien des DSM-IV (Saß et al., 1999) alkoholabhängig. Dies entspricht einer Gesamtzahl von 1,5 Millionen Betroffenen, davon 1,2 Mio. Männer und 300 000 Frauen. In Hinblick auf das Geschlechterverhältnis sind also Männer deutlich häufiger betroffen, wobei sich die Konsummuster immer mehr angleichen. Nach aktuellen Statistiken betreiben zudem etwa 2,5 Millionen (4%) deutsche Bundesbürger einen Alkoholmissbrauch, wobei die Dunkelziffer aufgrund störungsimmanenter Verleugnungstendenzen und Bagatellisierung deutlich höher liegen dürfte. Neben schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen und ihr soziales Umfeld entsteht ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden, der sich beispielsweise für das Jahr 2002 auf über 20 Milliarden Euro beziffern lässt (DHS, 2007). Schließlich sterben pro Jahr durchschnittlich 42 000 Menschen in direkter oder indirekter Verbindung mit Alkoholkonsum (DHS, 2003).
1.3 Klinische Symptomatik und Verlauf
Das klinische Erscheinungsbild des Alkoholismus ist sehr vielfältig und setzt sich aus psychiatrischen, neurologischen sowie internistischen Krankheitszeichen zusammen (Möller, Laux Deister, 2005). Neben einem auffälligen Trinkverhalten entwickelt sich auf psychopathologischer Ebene eine psychische Abhängigkeit, die sich u.a. in Form von Kontrollverlusten in Bezug auf Beginn und Ausmaß des Konsums, einem ständigen starken Verlangen nach Alkohol (sogenanntes Craving) sowie zunehmender Vernachlässigung früherer Interessen und Pflichten zugunsten des Alkoholkonsums äußert. Das körperliche Abhängigkeitssyndrom ist gekennzeichnet durch eine Toleranzentwicklung, die sich nach langjährigem starkem Konsum auch zu einer Toleranzminderung umkehren kann, und weiterhin durch das Auftreten von Entzugserscheinungen wie Schwitzen, Tremor, Angstzuständen bis hin zum Bild des Alkoholentzugsdelirs (Delirium tremens). Aufgrund dieser Risiken, sollten die Betroffenen im Entzug regelmäßig medizinisch überwacht und ggf. pharmakologisch behandelt werden, wie es in vielen stationären Einrichtungen im Rahmen einer Entgiftungsbehandlung praktiziert wird. Zu den häufigsten Folgeerkrankungen zählen das Wernicke-Korsakow- Syndrom, Polyneuropathien, Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und irreversible Leberschäden. Beispiele für soziale Auswirkungen sind Partnerschaftskonflikte bis hin zur Scheidung, Arbeitsplatzverlust und Obdachlosigkeit.
In der Vergangenheit wurde immer wieder versucht, verschiedene Typen des Alkoholismus voneinander zu unterscheiden, die sich jeweils durch ein bestimmtes Trinkverhalten kennzeichnen. Die bekanntesteste Klassifikation dieser Art ist die Typologie nach Jellinek (1960, zitiert nach DHS, 2003, S. 40), bei der fünf Typen differenziert werden. Diese sind der Konflikttrinker (α-Typ), der Gelegenheitstrinker (ß-Typ), der Rauschtrinker (γ-Typ), der Spiegeltrinker (δ- Typ) sowie der episodische Trinker (ε-Typ). Von diesen fünf Typen sind dabei jediglich der Rauschund der Spiegeltrinker als alkoholabhängig zu bezeichnen.
Die Entwicklung einer Abhängigkeit lässt sich durch ein Prozessmodell mit vier aufeinander folgenden Phasen beschreiben (Möller, Laux Deister, 2005). Die erste sogenannte präalkoholische Phase kennzeichnet sich durch Erleichterungstrinken, ein Nachlassen der seelischen Belastbarkeit sowie durch eine leichte Toleranzsteigerung. Während der folgenden Prodromalphase nimmt die Toleranz weiter zu und der Betroffene beginnt, sein Trinken zu verheimlichen, entwickelt Schuldgefühle und leidet unter Gedächtnislücken. Es schließt sich die kritische Phase an, in der Kontrollverluste hinzukommen, frühere Interessen vernachlässigt werden und bereits deutliche soziale und körperliche Folgeschäden auftreten. Die letzte Entwicklungsstufe bildet die chronische Phase, während der regelmäßig auch morgendliches Trinken erfolgt, die Toleranz wieder abnimmt und körperliche sowie seelische Abbauprozesse bis hin zu Demenz und Tod einsetzen. Neben diesem chronischen progredientem Abbauprozess gibt es noch zwei weitere häufige Verlaufsformen. So können sich schwere Trinkexzesse mit kontrolliertem Konsum bzw. Abstinenzphasen abwechseln und bei etwa 10% aller Fälle kommt es zu einer Spontanremission (Lindenmeyer, 2005).
Aufgrund des meist vom Umfeld nicht bemerkten schleichenden Beginns, der hohen Chronifizierungstendenz sowie den teils irreversiblen gesundheitlichen Folgeschäden, hat Alkoholismus eine schlechte Prognose. Auch unter intensiver Behandlung liegt die Dauerabstinenzrate höchstens bei 50-60%, wobei das lebenslange Rückfallrisiko im ersten „trockenen“ Jahr am höchsten ist. Zudem liegt eine hohe Komorbidität mit anderen substanzinduzierten Störungen, Angsterkrankungen sowie affektive Störungen vor und die Betroffenen haben gegenüber der Normalbevölkerung ein um den Faktor 12 erhöhtes Suizidrisiko sowie eine deutlich verkürzte Lebenserwartung (Möller, Laux Deister, 2005). Vor diesem Hintergrund werden bei einer qualifizierten Entgiftungsbehandlung neben dem akuten Abhängigkeitssyndrom auch komorbide Störungen bei der Therapieplanung mit berücksichtigt.
1.4 Diagnostik
Die Diagnose der Alkoholabhängigkeit wird auf Basis der operationalen Definition der international anerkannten Klassifikationssysteme Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 10. Revision (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation WHO (Dilling et al., 2004) und dem Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen, 4. Revision (DSM-IV) der American Psychiatric Association (APA) (Saß et al., 1998) gestellt. Die folgende Tabelle 1 beinhaltet die spezifischen Kriterien beider Klassifikationssysteme. Es handelt sich demnach um ein Abhängigkeitssyndrom, wenn zumindest drei der sechs bzw. sieben Kriterien innerhalb eines Jahres (12 Monate) gleichzeitig vorhanden waren.
Tab.1: Diagnosekriterien der Alkoholabhängigkeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Um diese Symptome beim Patienten zuverlässig feststellen zu können, werden ergänzend zur psychiatrischen Untersuchung testpsychologische Verfahren eingesetzt. Dabei kann zwischen sogenannten Screening-Verfahren zur Früherkennung sowie Instrumenten zur Differenzialund Schweregraddiagnostik unterschieden werden (Lindenmeyer, 2005).
Ein häufig eingesetztes Screening-Verfahren ist der Lübecker Alkoholabhängigkeitsund Missbrauchs-Screening Test (LAST) von Rumpf et al. (2001). Dieser umfasst 7 Ja-Nein-Fragen zur Selbstbeurteilung, wobei bereits eine positive Antwort auf das Vorliegen einer Alkoholproblematik hindeutet. Der Münchner Alkoholismustest (MALT) von Feuerlein et al. (1979) besteht aus 24 Fragen an den Patienten sowie 7 Items für den Arzt, die vierfach in die Wertung mit eingehen. Werden bei einem möglichen Gesamtwert von 52 mehr als 11 Punkte erreicht, kann dies als Hinweis für ein Abhängigkeitssyndrom gewertet werden. Zur Differenzialdiagnostik gibt es u.a. das Trierer Alkoholismus Inventar (TAI) von Funke et al. (1987), mit dem sich spezifische Alkoholprobleme individuell quantifizieren lassen. Das TAI besteht aus 90 Items zu Selbstbeurteilung, die sich u.a. auf positive Trinkmotive, Trinkumstände und Partnerprobleme beziehen. Um das Ausmaß der Symptomatik zu objektivieren, eignet sich die Skala zur Erfassung der Schwere der Alkoholabhängigkeit (SESA) von John et al. (2001). Dieser Fragebogen wurde in dieser Studie eingesetzt und wird im Methodenteil beschrieben.
1.5 Intervention: Das deutsche Suchthilfesystem
Seit 1968 ist das Abhängigkeitssyndrom gemäß § 27 SGB V als Krankheit anerkannt und krankenversicherte Betroffene haben somit Anspruch auf eine umfassende Behandlung, die körperliche, soziale und seelische Aspekte sowie Früherkennung und Sekundärprävention gleichermaßen berücksichtigen soll (Mann, 2002). Die Behandlung alkoholabhängiger Patienten im Rahmen des Suchthilfesystems der Bundesrepublik Deutschland beinhaltet Maßnahmen der Akutbehandlung sowie der medizinischen Rehabilitation und besteht dabei aus drei zentralen Komponenten.
Den ersten Baustein bildet die Entgiftungsbzw. Entzugsbehandlung, wobei der Schwerpunkt beim klassischen Therapieansatz auf der Überwindung der körperlichen Entzugserscheinungen liegt. Der Entzug kann sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden und dauert zwischen 7 und 14 Tagen. Die sogenannte qualifizierte Entgiftungsbehandlung (auch als erweiterter Entzug bezeichnet) geht über eine rein pharmakologische Linderung der körperlichen Symptome hinaus und wurde seit einer Empfehlungsvereinbarung zwischen Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern im Jahre 1978 in immer mehr Kliniken eingeführt und evaluiert. Kostenträger ist die jeweilige Krankenversicherung. Primäre Ziele der psychotherapeutischen und soziotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen sind u. a. die Förderung der Bereitschaft zur Verhaltensänderung und die Motivation zur Weiterbehandlung im Sinne einer Entwöhnungstherapie (Mann, 2002). Das Konzept der qualifizierten Entgiftung wird genauer im nächsten Abschnitt (II, 2. Kapitel) dargestellt.
Als zweite Komponente schließt sich im Idealfall eine Entwöhnungstherapie an, während der die Patienten zur dauerhaften Abstinenz motiviert und sozial stabilisiert werden sollen. Weitere Therapieziele sind die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie die Rückfallprävention. Die Behandlung erfolgt ambulant durch Suchtberatungsstellen oder (teil-)stationär in Psychiatrischen Fachkliniken und dauert je nach Einrichtung und konkretem Therapiekonzept zwischen 2 und 9 Monaten (Schmidt, 2006). In Hinblick auf die Effektivität berichten Schulz et al. (2002) auf der Basis ausgewählter Evaluationsstudien in Abhängigkeit vom Setting (ambulant vs. stationär) und dem Katamnesezeitraum von Abstinenzraten zwischen 34,8% und 53,7%. Aufgrund der Daten aus einer eigenen Katamnesestudie an 85 alkoholabhängigen Patienten einer ambulante Rehabilitationseinrichtung, von denen nach den Katamnesestandards IV der DGSS (1985) nach durchschnittlich 2,5 Jahren noch 49,9% abstinent waren, kommen Schulz et al. (2002) zu dem Schluss, dass sich die Abstinenzraten von ambulanten und stationären Therapiekonzepten nicht wesentlich unterscheiden und somit auch in Bezug auf ihre Effektivität vergleichbar sind. Dieses Ergebnis ist u.a. daher von Bedeutung, da die Durchführung ambulanter Entwöhnungstherapien deutlich ökonomischer ist. Bei der Betrachtung solchen Zahlen muss allerdings bedacht werden, dass nur ein Bruchteil aller Alkoholabhängigen richtig diagnostiziert wird und sich von dieser Gruppe wiederum nur wenige Patienten in adäquate Behandlung begeben. So werden lediglich 6% aller Betroffenen auf psychiatrischen Suchtstationen und etwa 3% in Fachkliniken zur Entwöhnung behandelt (Mann, 2002). Insgesamt beginnen nur ca. 1% aller Alkoholabhängigen der Bundesrepublik eine Entwöhnungsbehandlung (Mann et al., 2006). Vor diesem Hintergrund spielt ein möglichst nahtloser Übergang, insbesondere zwischen Entzug und Entwöhnung, eine wichtige Rolle. In diesem Kontext spielen interdisziplinäre Konzepte wie die qualifizierten Entgiftungsbehandlung (siehe oben) eine wichtige Rolle, da die entsprechenden Maßnahmen einen solchen fließenden Übergang fördern sollen.
Die dritte Komponente des deutschen Suchthilfesystems bezieht sich auf die Nachsorge und hat die berufliche Wiedereingliederung, die weitere soziale Stabilisierung und den Aufbau eines neuen abstinenten Lebensstils zum übergeordneten Behandlungsziel. Die Nachsorge sollte dabei mindestens ein Jahr lang nach der Entwöhnung fortgesetzt werden und kann stationär in soziotherapeutischen Heimen oder ambulant durch kontinuierliche Teilnahme an Selbsthilfegruppen und regelmäßige Arztkontakte (Hausoder Nervenarzt) erfolgen (Lindenmeyer, 2005). Um auch an dieser Schnittstelle eine lückenlose Betreuung der gerade „frisch“ entwöhnten Patienten sicherzustellen, wird der neue Lebensabschnitt nach der Entwöhnung i. d. R. schon frühzeitig vorbereitet. So kooperieren viele Fachkliniken beispielsweise mit den weiterbetreuenden Hausund Nervenärzten und die Patienten werden noch während des Klinikaufenthaltes an das Selbsthilfe- Angebot in ihrer Region (z.B. Anonyme Alkoholiker, Blaues Kreuz) herangeführt. Die in dieser Diplomarbeit beschriebene Studie bezieht sich auf die erste dieser drei Komponenten und wurde mit Patienten einer qualifizierten Entgiftungsstation einer Psychiatrischen Klinik durchgeführt.
Abschließend sei noch auf das Pyramidenmodell von Wienberg Driessen (2002) verwiesen, das die derzeitige Struktur der Versorgung von Menschen mit Alkoholproblemen in der Bundesrepublik Deutschland veranschaulicht (siehe dazu Abbildung 1). In diesem Modell werden insgesamt drei Sektoren unterschieden: Die traditionelle Suchtkrankenhilfe mit Selbsthilfegruppen und Fachkliniken (I), die psychosoziale und psychiatrische Basisversorgung in Pflegeheimen oder auch durch Beratungsstellen (II) sowie die medizinische Primärversorgung in Allgemeinkrankenhäusern und beim Hausarzt. Die oben beschriebenen drei Komponenten sind dabei im Wesentlichen dem Sektor I und teilweise auch dem Sektor II zuzuordnen.
Unter dem Titel „Auf dem Weg zur vergessenen Mehrheit“ nennen Wienberg und weitere Fachautoren auf der Grundlage von epidemiologischen Untersuchungen zur Versorgungsprävalenz die Mängel dieses Systems und stellen neue innovative Ansätze insbesondere mit den beiden Zielen einer besseren Vernetzung der einzelnen Sektoren und einer stärkeren Ausrichtung der Behandlungsmaß- nahmen auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen vor. Diese beiden Zielsetzungen spiegeln sich auch deutlich in dem Konzept der qualifizierten Entgiftungsbehandlung wieder, das im folgenden Abschnitt näher erläutert wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Strukturmodell für die Versorgung von Menschen mit Alkoholproblemen in der BRD nach Wienberg (in Anlehnung an Wienberg Driessen, 2002, S. 21).
2. Das Konzept der qualifizierten Entgiftungsbehandlung
Die in dieser Arbeit beschriebene Studie wurde mit Patienten der qualifizierten Entgiftungsstation 53a der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt, die sich dort freiwillig aufgrund massiver Alkoholprobleme in Behandlung begeben hatten. Im folgenden Abschnitt werden daher die Grundprinzipien, die wesentlichen therapeutischen Maßnahmen sowie die aktuellen Wirksamkeitsnachweise der qualifizierten Entgiftungsbehandlung genauer vorgestellt.
2.1 Entwicklung, Grundkonzept und Therapieziele
Eine Entgiftungsbzw. Entzugsbehandlung stellt die erste Hauptkomponente des deutschen Suchthilfesystems dar und ist v.a. bei akuten Alkoholintoxikationen und/oder beim chronischen Abhängigkeitssyndrom indiziert. Bei der klassischen körperlichen Entgiftung, wie sie beispielsweise auf chirurgischen und internistischen Stationen erfolgt, werden die Patienten über 5-7 Tage engmaschig medizinisch betreut und ggf. pharmakologisch behandelt, um Komplikationen durch die körperliche Abhängigkeit, wie etwa einem Delirium tremens oder epileptischen Krampfanfällen, vorzubeugen.
Seit der „Empfehlungsvereinbarung Sucht“ zwischen den Krankenkassen und den Rentenversicherungsträgern im Jahre 1978 (seit 2001 Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“) wurden in vielen psychiatrischen Kliniken erweiterte Therapieprogramme zur Akutbehandlung von Alkoholabhängigen eingeführt und evaluiert (Mann et al., 2006). Das Konzept dieser sogenannten qualifizierten Entgiftung (auch als qualifizierter oder erweiterter Entzug bezeichnet) geht über die rein pharmakologische Betreuung hinaus und beinhaltet zusätzliche Interventionen auf sozialer und psychotherapeutischer Ebene. Argumente für die Notwendigkeit der Entwicklung solcher erweiterter Programme waren v. a. hohe Rückfallraten nach einer rein körperlichen Entgiftung sowie die häufige Komorbidität mit anderen psychischen Störungen, wie z. B. Angsterkrankungen und affektiven Störungen. Außerdem konnte nur ein Bruchteil der entzogenen Patienten zur anschließenden Entwöhnungsbehandlung motiviert werden (Mann et al., 2006).
Die Hauptziele der soziound psychotherapeutischen Maßnahmen sind das Erreichen einer Krankheitseinsicht, die Förderung von Änderungsbereitschaft, Psychoedukation sowie die Motivierung der Patienten zur Weiterbehandlung (Entwöhnung) und langfristig betrachtet zur dauerhaften Abstinenz (Schmidt et al., 2006). Um im Laufe des Entzugs bei den i. d. R. ambivalenten Betroffenen eine rasche intrinsisch motivierte Änderung des Trinkverhaltens anzuregen, werden Motivationstechniken und Ansätze aus der (kognitiven) Verhaltenstherapie eingesetzt, die in diesem Kontext bereits auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und oftmals mit dem Evidenzgrad Ia (Evidenz aufgrund von Metaanalysen randomisierter kontrollierter Studien) ausgezeichnet worden sind (Mann et al., 2006).
2.2 Therapieplan und Interventionsmaßnahmen
Eine qualifizierte Entgiftungsbehandlung erfolgt in der Regel in Psychiatrischen Kliniken und Fachkrankenhäusern und dauert je nach Einrichtung etwa 10 Tage bis zu 3 Wochen. Ein ambulantes Setting, wie es beispielsweise im Rahmen eines Modellprojektes von Hintz et al. (2005) auf Basis einer engen Kooperation zwischen Hausarzt und psychosozialer Beratungsstelle erfolgreich erprobt wurde, ist nur unter bestimmten Voraussetzungen geeignet. So dürfen keine schwerwiegenden medizinischen Komplikationen zu erwarten sein und der Patient sollte über ein belastbares und supportives soziales Netzwerk verfügen. Insbesondere bei Komorbidität mit anderen psychiatrischen und somatischen Erkrankungen sowie bei sozialer Isolation oder Obdachlosigkeit ist hingegen ein stationäres Setting indiziert und zur Entlastung des Patienten dringend empfohlen (Kiefer Mann, 2007).
Die konkreten suchtmedizinischen und psychotherapeutischen Maßnahmen umfassen neben der standardisierten engmaschigen Kontrolle der Vitalparameter und einer Pharmakotherapie gegen das Entzugssyndrom u.a. eine umfassende Diagnostik, die Vermittlung von Basisinformationen über die Alkoholabhängigkeit (Psychoedukation), das Training von Coping-Strategien und das Erlernen von Techniken zum besseren Umgang mit starkem Verlangen nach Alkohol (Craving), um einem Rückfall in kritischen Situation präventiv vorbeugen zu können. Zudem erfolgt in regelmäßigen Einzelgesprächen mit den Therapeuten (Fachärzte und speziell geschultes Pflegepersonal) die Planung des weiteren Vorgehens nach dem Entzug, dem sich im Idealfall bei ausreichender Motivation des Patienten eine postakute Entwöhnungsbehandlung mit den übergeordneten Zielen der dauerhaften Abstinenz und sozialen Reintegration anschließen sollte. Zu den Motivationstechniken zählt beispielsweise das sogenannte motivational interviewing bzw. die Motivierende Gesprächsführung von Miller und Rollnick (2005, zitiert nach Mann et al., 2006). Hierbei handelt es sich um eine nicht konfrontative Gesprächsstrategie, die auf folgenden fünf Grundprinzipien beruht: Empathie für die Lage des Patienten ausdrücken, Diskrepanzen entwickeln und Ambivalenz fördern, direkte Konfrontation und Beweisführung vermeiden, Widerstände adäquat aufnehmen und die Selbstwirksamkeit des Patienten durch eine Betonung seiner individuellen Stärken und Ressourcen unterstützen. Schließlich werden im Rahmen dieses Therapiekonzeptes auch komorbide psychische Störungen bei der Planung berücksichtigt und nach Möglichkeiten mit behandelt (Schmidt et al., 2006). Die stationäre qualifizierte Entgiftungsbehandlung hat sich in Effektivitätsstudien bewährt, gilt damit als evidenzbasiert und kann vergleichsweise hohe Abstinenzraten vorweisen. So waren u.a. in einer Studie von Olbrich (2001, zitiert nach Kiefer Mann, 2007) 6 Monate nach einer dreiwöchigen Behandlung auf einer psychiatrischen Station noch 48% aller 102 eingeschlossenen Patienten ohne Rückfall. Zusammengefasst lagen die in einer Übersicht von Kiefer Mann (2007) dargestellten Abstinenzraten je nach Dauer der qualifizierten Entgiftung und in Abhängigkeit vom Katamnesezeitraum unter Betrachtung aller eingeschlossenen Patienten zwischen 32% und 48%.
2.3 Evaluation von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit
Im Rahmen einer Evaluationsstudie mit 479 Alkoholabhängigen von Reker et al. (2004) zu den kurzfristigen Effekten der stationären Akutbehandlung ergab sich bei konservativer Betrachtung (Katamnesestandards IV der DGSS, 1985) eine Rückfallquote von 60,5%, wobei sich im Vergleich zum Zeitraum vor der Intervention Trinkmengen, Anzahl der Trinktage und der Rauschtage signifikant verringerten. Da zudem 28% der Patienten zum Antritt einer Entwöhnungsbehandlung motiviert werden konnten, kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass die stationäre qualifizierte Akutbehandlung für einen Großteil der Patienten eine wirksame Therapiemaßnahme darstellt, mit der die Abstinenz gefördert, die Trinkmengen reduziert und der Patient zum Beginn einer Anschlussbehandlung erfolgreich motiviert werden kann. Von einem positiven Ergebnis in Hinblick auf den Krankheitsverlauf im Anschluss am eine stationäre Entgiftungsund Motivationsbehandlung berichten auch Stetter und Mann (1997). Dabei hatten 46% der 529 Ausgangspatienten 8 Wochen nach einer dreiwöchigen integrierten Behandlung das primäre Therapieziel erreicht und somit eine Entwöhnungstherapie begonnen. Die Quote der erfolgreichen Weitervermittlungen liegt also ungleich höher als nach der klassischen Entgiftung von wenigen Tagen, bei der es ausschließlich um die Überwachung und Linderung der körperlichen Symptome geht.
In Ergänzung zu den berichteten und in verschiedenen Settings replizierten klinischen Wirksamkeitsnachweisen haben Driessen et al. (1999) im Rahmen einer ökonomischen Evaluationsstudie jeweils Kosten und Nutzen der klassischen und der qualifizierten Entgiftungsbehandlung analysiert und miteinander verglichen. Dazu wurden Krankenversicherungsdaten beider Patientengruppen vor und nach der Indextherapie einander gegenübergestellt, wobei die Patienten der qualifizierten Entgiftung in den fünf Jahren nach Indextherapie signifikant kürzere Hospitalisationszeiten und um etwa 50% geringere Behandlungskosten vorzuweisen hatten. Demnach können also durch erweiterte Programme die Folgekosten erheblich gesenkt werden.
Zusammengefasst verdeutlichen die zitierten Ergebnisse, dass es sich bei der qualifizierten Entgiftung um ein evidenzbasiertes Therapiekonzept handelt, mit dessen Hilfe viele alkoholabhängige Patienten besser in das deutsche Suchthilfesystem integriert, ihre langfristige Abstinenz gefördert und die Folgekosten im Vergleich zur rein körperlichen Betreuung deutlich verringert werden können.
3. Behandlungsmotivation bei Alkoholabhängigen
In unmittelbarem Zusammenhang mit den Fragestellungen dieser Arbeit geht es im folgenden Kapitel um die Behandlungsmotivation von alkoholabhängigen Patienten. Nachdem zunächst das Modell der allgemeinen Psychotherapiemotivation von Schneider et al. (1989) vorgestellt wird, geht es im zweiten Teil speziell um die Motivationslage bei Alkoholabhängigen. Im letzten Abschnitt folgt ein Abriss über das Motivationsmodell von Prochaska und DiClemente.
3.1 Konstrukt der allgemeine Psychotherapiemotivation (APM)
Die Behandlungsmotivation eines Patienten ist ein bedeutsamer Wirkfaktor im Prozess der Psychotherapie und ist bereits von Sigmund Freud in Zusammenhang mit Indikationsfragen und Erfolgsvoraussetzungen in mehreren Texten thematisiert worden (1905, zitiert nach Schneider, Basler Beisenherz, 1989). So ging er beispielsweise mehrfach auf die Konzepte des Leidensdrucks und des Krankheitsgewinns ein, die auch heute noch in verschiedenen Ansätzen eine wichtige Rolle spielen. Um den zunächst recht offenen Begriff der allgemeinen Psychotherapiemotivation (APM) genauer beschreiben und operationalisieren zu können, wurden verschiedene Modelle entwickelt, die als Gemeinsamkeit den Konstruktcharakter der APM betonen, sich aber u.a. hinsichtlich der Anzahl der einzelnen Aspekte und Faktoren der APM voneinander unterscheiden. Während z.B. Dahle (1998) ein Modell mit sechs Faktoren geschaffen hat, das besonders auf die Behandlungssituation von Strafgefangenen fokussiert, nennen Schneider, Basler Beisenherz (1989) lediglich zwei Hauptaspekte, die jeweils durch Subkomponenten weiter spezifiziert werden. Dieses letztgenannte Modell der APM liegt der Konstruktion des in dieser Untersuchung eingesetzten Fragebogen zur allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP) zugrunde und soll daher im Folgenden genauer beschrieben werden.
Nach Schneider, Basler Beisenherz (1989) handelt es sich bei der APM um "ein sich prozesshaft herausbildendes Merkmal, das über unterschiedliche affektive und kognitive, miteinander interagierende, Komponenten strukturiert wird" (S. 13). Dabei betonen die Autoren, dass es sich um ein hoch veränderungssensitives multidimensionales Konstrukt handele, das sich über geeignete Bedingungsmodifikationen auch aktiv beeinflusst ließe. Es werden in diesem Ansatz primär eine affektive sowie eine kognitive Komponente unterschieden, die jeweils durch Subkomponenten näher aufgeschlüsselt werden können und darüberhinaus auch von allgemeinen Situationsund Umweltvariablen, wie der Art der Störung, der Behandlungssetting und der Patientenpersönlichkeit mit bestimmt würden. Als affektive Hauptkomponente nennen die Autoren das subjektive Krankheitserleben des Patienten, das sich im Interaktionsprozess der beiden Subkomponenten Leidensdruck einerseits und Krankheitsgewinn andererseits herausbilde. Dabei sei besonders ein starker Leidendruck bei relativ geringem Krankheitsgewinn der Antrieb dafür, dass sich der Patient mit seinem veränderten Zustand auseinandersetzt und eine Veränderungsbereitschaft entwickelt. In diesem Zusammenhang nähmen dabei nach Heigl (1977, zitiert nach Schneider et al., 1989, S.8) Patienten mit Süchten oder Perversionen eine Sonderrolle ein, da sie ihre Störung auch mit intensiven Befriedigungserlebnissen verbinden und bei einer Behandlung um eben diese Befriedigung fürchten würden. Der Leidensdruck sei hierbei also eingeschränkt, was die häufig mangelnde Änderungsbereitschaft und Krankheitseinsicht von Alkoholabhängigen erklären könnte. Bei primär kognitive Komponente der APM handelt es sich um die sogenannte Krankheitsverarbeitung, die laut Schneider et al. (1989) von den Subkomponenten der Laienätiologie, den Behandlungserwartungen und den bisherigen direkten sowie indirekten Psychotherapieerfahrungen abhänge, wobei ebenfalls Wechselwirkungen eine Rolle spielten. Unter dem Begriff der Laienätiologie verstehen die Autoren dabei die Modellvorstellungen des Patienten, mit denen er die Genese seiner Störung erklärt und in sein Selbstbild integriert. Dieses Erklärungsmodell bilde dann die Grundlage seiner Behandlungserwartungen und könne sich auch auf den erlebten Leidensdruck auswirken. So würden Patienten mit einem organischen Krankheitsmodell, die ihre Symptome hauptsächlich auf körperliche Fehlfunktionen zurückführen, gegenüber dem Therapeuten meist eine passive Rolle einnehmen und den Einfluss seelischer Aspekte tendenziell verneinen. In Hinblick auf die Laienätiologie ist es ferner bedeutsam, ob die Patienten die Ursachen ihre Erkrankung eher internal oder external verankert sehen, da für eine Psychotherapie eine gewisse Einsicht in die eigenen Anteile der Pathogenese unabdingbar sei. Als zweite Subkomponente nennen Schneider et al. (1989) die individuellen Behandlungserwartungen, die wiederum sehr stark durch den Attributionsstil und damit schließlich durch die Laienätiologie geprägt werden. Die dritte kognitive Subkomponente, die bisherigen Psychotherapieerfahrungen, wird selbst sowohl durch Berichte aus dem Umfeld als auch durch bereits durchlaufende Behandlungen determiniert und prägt die Erfolgserwartungen an zukünftige Maßnahmen. Vor dem Hintergrund dieser Annahme wurde das Paket aus bereits publizierten Fragebogen um einen selbst verfassten Anamnesebogen ergänzt, der im Methodenteil genauer beschrieben wird und u.a. Fragen nach Setting, Dauer und Erfolg vergangener Entwöhnungsbehandlungen beinhaltet. Das Modell zum Konstrukt der APM von Schneider et al. (1989) sowie die Skalen zur Operationalisierung der Subkomponenten durch den Fragebogen zur Messung der Psychotherapiemotivation (FMP) werden in Abbildung 2 zusammengefasst.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 :Modell der allgemeinen Psychotherapiemotivation (APM) (Zuordnung der Subkomponenten zu den Skalen des FMP in Anlehnung an Schneider, Basler Beisenherz, 1989).
3.2 Behandlungsmotivation bei Alkoholabhängigen
Obgleich die Bundesrepublik über ein strukturiertes Suchthilfesystem verfügt (siehe oben Kap. 1.5), nehmen nur wenige Betroffene professionelle Hilfe in Anspruch und nach Wienberg (2001) beginnen höchstens 2-3% eine adäquate Entwöhnungsbehandlung. Als Ursache wird in der Literatur oftmals der bei Suchterkrankungen störungsimmanent eingeschränkte Leidensdruck diskutiert, der die Entwicklung einer Änderungsbereitschaft blockiere und den psychotherapeutischen Zugang erheblich erschweren würde (u.a. Heigl, 1977, zitiert nach Schneider et al., 1989, S.8; Brueck Mann, 2006). Während die Änderungsmotivation in der Suchthilfe noch vor wenigen Jahren als Eigenschaft verstanden wurde und eine grundlegende Therapievoraussetzung darstellte, wird sie heute primär als dynamischer Prozess verstanden, der durch eine Vielzahl unterschiedlicher Wirkfaktoren beeinflusst werden kann (Mann et al., 2006). So wurde u.a. durch Prochaska und DiClemente (1982, 1992, zitiert nach Sieber, 2005) ein Phasenmodell der Motivation formuliert (siehe auch Kap. 3.3) und auch beim Konzept der qualifizierten Entgiftungsbehandlung stellt die Motivation nicht länger eine obligatorische Voraussetzung, sondern ein wichtiges Therapieziel dar (Mann et al., 2006). Dass diese moderne Sichtweise der Situation der betroffenen Patienten eher angemessen ist, zeigen die positiven Erfahrungen mit speziell für Alkoholabhängige entwickelten Motivationsprogrammen, die sich mit vergleichsweise geringem Aufwand und niedrigen Kosten sogar auf rein internistischen Stationen durchführen lassen. So berichten Schwoon, Schulz und Höppner (2002) in ihrer Studie über die qualifizierte Entzugsbehandlung für Alkoholkranke in der Inneren Medizin davon, dass etwa 49% der Patienten 3 Monate nach der Teilnahme an einem Motivationsprogramm noch abstinent waren und dass insgesamt 62% der Befragten irgendeine Art formeller Hilfe in Anspruch genommen hatten. Obwohl die Patienten also gar nicht zur Behandlung ihrer Abhängigkeit ins Krankenhaus gekommen waren und die Änderungsbereitschaft in Bezug auf den Alkoholkonsum vermutlich eher gering ausgeprägt gewesen ist, zeigte eine motivationale Kurzintervention katamnestisch nachweisbare positive Langzeiteffekte.
Wie diese Untersuchung beispielhaft zeigt, wurden also neue erfolgversprechende Behandlungsansätze entwickelt, die u.a. auf verschiedenen motivierenden Interventionen beruhen, die sich wiederum unterschiedlichen Ebenen zuordnen lassen. Dabei sind nach Schwoon (2004) mit dem Begriff der motivierenden Interventionen alle Arten von Therapieversuche gemeint, die sich förderlich auf die Bereitschaft zur Einschränkung oder Beendigung des Alkoholkonsums auswirken können. Darüberhinaus betont der Autor, dass sich der dynamische Motivationsprozess bei Alkoholabhängigen auf drei verschiedenen Bereitschaftsebenen abspiele. Diese umfassen genauer die Ebene der Behandlungsbereitschaft, der Bereitschaft zur Änderung des Trinkverhaltens sowie die Ebene der Änderungsbereitschaft in Bezug auf die eigene Person und den Lebensstil (Schwoon, 2004). Da aber ein Großteil der Patienten nicht aus eigenem Antrieb die Angebote der professionellen Suchthilfe in Anspruch nimmt, sondern oftmals nur auf Drängen des Arztes oder der Angehörigen eine Therapie beginnt, stellt sich konsequenterweise die Frage, wie man den entscheidenden Motivationsprozess auf den oben genannten drei Ebenen nachhaltig anstoßen kann. Als wesentliche Motivationsfaktoren nennt Schwoon (2004) dazu den Leidensdruck der Alkoholkranken, ihre Hoffnung auf Erfolg sowie ihre Ängste vor zu hohen Kosten, die mit einer angemessenen Suchtbehandlung zwangsläufig verbunden sind. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Leidensdruck auch beim Konstrukt der allgemeinen Psychotherapiemotivation von Schneider et al. (1989), das im vorherigen Abschnitt beschrieben wurde, eine wichtige Rolle spielt. Auf Basis dieser theoretischen Überlegungen liegt ein wesentlicher Schwerpunkt der hier berichteten Studie auf einer differenziellen Beschreibung der allgemeinen Psychotherapiemotivation der befragten Alkoholkranken als wertvolle Informationsgrundlage für eine individualisierte Anpassung der qualifizierten Entgiftungsbehandlung. Da das Phasenmodell der Motivation von Prochaska und DiClemente in der modernen Literatur und beim Konzept der qualifizierten Entgiftungsbehandlung eine bedeutsame Rolle spielt, soll dieses im Folgenden genauer beschrieben
3.3 Phasenmodell der Motivation von Prochaska und DiClemente
Die Wirksamkeit und der Erfolg einer therapeutischen Intervention zur Behandlung einer Suchterkrankung sind im Wesentlichen abhängig von der Krankheitseinsicht des Patienten, seiner Änderungsbereitschaft sowie von seinem Motivationszustand. Um letzteren adäquat einschätzen zu können, haben Prochaska und DiClemente in Bezug auf die Motivation zum Nichtrauchen bei Nikotinabhängigen ein Phasenmodell der Motivation beschrieben, das auch für den alkoholabhängigen Patienten adaptiert worden ist. (1982, 1992, zitiert nach Sieber, 2005). Im Rahmen dieses Modells soll die individuelle Position des Patienten festgestellt werden, um die für ihn hilfreichen Behandlungsmaßnahmen gezielt auswählen zu können. Es werden hierbei sechs Motivationsphasen unterschieden (Sieber, 2005): Während der Patient in der Vorahnungsphase (precontemplation) keinerlei Krankheitseinsicht zeigt und Fragen nach problematischem Alkoholkonsum und Symptomen hartnäckig verneint, erkennt er in der Abwägungsphase (contemplation) die Problematik seines Alkoholkonsums, entwickelt allerdings noch keine konkreten Änderungsabsichten. Es folgt die Phase der Vorbereitung und Entscheidung (preparation and determination), in der sich der Patient auf die bevorstehenden Veränderungsprozesse einstellt und versucht, die damit verbundenen Konsequenzen im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse zu bewerten. In der Handlungphase (action) werden die geplanten Verhaltensänderungen nun umgesetzt und das Therapieziel der sich anschließenden Phase der Aufrechterhaltung (maintenance) besteht darin, den positiven Zustand aufrecht zu erhalten sowie einem Ausrutscher/Rückfall (lapse/relapse) engagiert vorzubeugen.
Dieses Motivationsmodell in Anlehnung an Prochaska und DiClemente (1982, 1992, zitiert nach Sieber, 2005) beschreibt also einen Veränderungsprozess, der immer wieder durchlaufen werden kann. Die sechs Phasen gehen jeweils fließend ineinander über und in Abhängigkeit von der aktuellen Phase des Patienten sind bestimmte Maßnahmen und Verhaltensweisen des Therapeuten und seines Umfelds mehr oder weniger unterstützend und empfehlenswert.
III. Fragestellungen und Zielsetzung der Arbeit
Die Idee für diese Diplomarbeit über die allgemeine Psychotherapiemotivation von alkoholabhängigen Patienten entstand im Rahmen eines sechswöchigen Praktikums auf der qualifizierten Entgiftungsstation 53a der Psychiatrischen Klinik an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die dort behandelten Patienten zeigten sich trotz offensichtlicher und schwerer Folgeschäden ihres chronischen Alkoholkonsums oft krankheitsuneinsichtig, neigten im Gespräch zur Bagatellisierung ihres Suchtproblems und standen einer weiterführenden Entwöhnungsbehandlung tendenziell ablehnend gegenüber. So durchliefen einige Patienten innerhalb weniger Wochen mehrfach den betreuten Entzug auf dieser Station (Drehtürentzug), da sie nach wenigen Tagen der Abstinenz immer wieder rückfällig geworden waren. Obgleich die Betroffenen also schon etwas an ihrer Situation ändern wollten und professionelle Hilfe auf Station suchten, war ihre Abhängigkeit in vielen Fällen einfach „stärker“ und machte alle kleinen Erfolge schnell wieder zu Nichten. In diesem Zusammenhang dient das vorliegende Untersuchungsvorhaben im Wesentlichen der Beantwortung folgender Fragestellung: Mit welcher Ausprägung an allgemeiner Psychotherapiemotivation begeben sich alkoholabhängige Patienten in qualifizierte Entgiftungsbehandlung und mit welchen soziodemografische Merkmalen und Charakteristika des individuellen Störungsbildes hängen Art und Ausmaß ihre Motivation zusammen?
Darüberhinaus lässt sich die Fragestellung dieser Diplomarbeit auch aus der Literatur über die Struktur und die Effizienz des deutschen Suchthilfesystems ableiten. So zitiert u.a. Wienberg (Wienberg Driessen, 2001) die Ergebnisse mehrerer epidemiologischer Erhebungen, nach denen nur verhältnismäßig wenige aller deutschen Bundesbürger mit Alkoholproblemen im Rahmen des Suchthilfesystems als solche erkannt und adäquat behandelt werden. Dabei nennt er insbesondere die beiden Subgruppen der chronisch mehrfach Abhängigen und der Gefährdeten mit riskantem Konsum als unterversorgt und bezeichnet diese entsprechend als die „vergessene Mehrheit“. Da als wesentliche Ursache für die fehlende Behandlungsbereitschaft dieser Subgruppen ein Mangel an Veränderungsbereitschaft und Behandlungsmotivation diskutiert wird (z.B. Mann, 2002), ist es für eine Optimierung der Hilfsangebote für Betroffene zur Steigerung der Behandlungsprävalenzen natürlich wichtig zu wissen, mit welchen soziodemografischen und krankheitsspezifischen Faktoren der individuelle Grad der Therapiemotivation zusammenhängt.
Um Antworten auf solche Fragen zu finden, wurde eine klinische Studie auf der o.g. Station durchgeführt. Das Ziel dieser Untersuchung bestand darin, durch eine Erhebung mittels Fragebogen spezifische Kenntnisse über die allgemeine Behandlungsmotivation von alkoholabhängigen Patienten zu gewinnen, die eine stationäre qualifizierte Entzugsbehandlung in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) beginnen. Neben der quantitativen Analyse der Therapiemotivation sollten explorativ die Zusammenhänge mit soziodemographischen Faktoren, der Symptombelastung sowie mit klinischen Merkmalen ermittelt werden. Die erhobenen Daten werden ferner in Hinblick auf Geschlechterunterschiede untersucht und mit den Kennwerten von klinischen Normstichprobe des Fragebogen zur Messung der Psychotherapiemotivation (FMP) von Schneider, Basler und Beisenherz (1989) verglichen. Im folgenden Abschnitt werden nun die zentralen Fragestellungen mit ihren Einzelaspekte vorgestellt, die den später berichteten Untersuchungsergebnissen zugrunde liegen.
Fragestellung 1: Wie lässt sich das Profil der allgemeinen Psychotherapiemotivation der Patienten beschreiben und mit welchen anderen Merkmalen bestehen bedeutsame Zusammenhänge?
2.1 Allgemeine Psychotherapiemotivation (FMP):
- Wie lässt sich das Profil der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP) der Patienten charakterisieren?
- Unterscheiden sich die Geschlechter hinsichtlich der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP)?
- Lässt sich das Profil der allgemeinen Psychotherapiemotivation der Patienten mit den entsprechenden Kennwerten der klinischen Stichproben aus ebenfalls alkoholabhängigen Patienten aus dem Manual des FMP vergleichen oder gibt es signifikante Unterschiede?
2.2 Zusammenhänge mit soziodemographischen Merkmalen:
- Haben soziodemographische Merkmale, wie z.B. Alter, und Wohnsituation, einen Einfluss auf die Ausprägung der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP)?
2.3 Zusammenhänge mit suchtanamnestischen Merkmalen (SESA):
- Gibt es bedeutsame Zusammenhänge zwischen suchtanamnestischen Merkmalen und der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP)?
- Haben bisherige Therapieerfahrungen, wie z.B. vorherige Entwöhnungsbehandlungen, einen Einfluss auf die Ausprägung der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP)?
2.4 Zusammenhänge mit klinischen Merkmalen (SESA):
- Besteht ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen der Art und Schwere der Alkoholabhängigkeit (SESA) und dem Profil der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP)?
2.6 Zusammenhang mit der Symptombelastung (BSI):
- Gibt es einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen Art und Ausmaß der subjektiven Symptombelastung (BSI) und der Ausprägung der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP)?
Fragestellung 2: Lassens sich die Patienten auf Basis ihrer Behandlungsmotivation klassifizieren und bestehen ggf. spezifische Merkmalsunterschiede zwischen den einzelnen Klassen?
2.1 Clusterung des Patientenkollektivs in Bezug auf das Profil der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP):
- Lassen sich die Patienten auf Grundlage ihres Profils der allgemeinen Psychotherapiemotivation (FMP) verschiedenen Klassen zuordnen?
- Auf welchen Subskalen des FMP-Profils bestehen signifikante Unterschiede zwischen den entstandenen Patientengruppen.
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