Im Rahmen dieser Arbeit werden die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Neuregelung für Reiseleistungen dargelegt und die Auswirkungen auch anhand von Beispielen dargestellt werden. Durch das Jahressteuergesetz 2019 erfolgte eine Anpassung des §25 UStG an die unionsrechtlichen Vorschriften. So wurde aus §25 Abs.1 S.1 UStG ein Passus gestrichen und §25 Abs.3 S.3 UStG komplett entfernt. Seit dem 18.12.2019 besteht für Unternehmer, die Reiseleistungen im eigenen Namen erbringen und dafür Reisevorleistungen bezogen haben, kein Wahlrecht bezüglich der Regel- und Margenbesteuerung mehr und es ist zwingend die Margenbesteuerung anzuwenden. Dies gilt somit nicht nur für Leistungen an Privatpersonen, sondern auch für solche, die an das Unternehmen des Leistungsempfängers erbracht werden.
Der leistende Unternehmer durfte bisher die Bemessungsgrundlage durch Gruppen- oder Gesamtmargen ermitteln. Ab dem 31.12.2021 kann er die Vereinfachungsregelung jedoch nicht mehr anwenden und muss die Bemessungsgrundlage für jede einzelne Leistung bestimmen. In der Mehrwertsteuersystemrichtlinie fehlt die Grundlage zur Ermittlung der Marge. Die Änderung von der Gesamtmarge oder Gruppenmarge zur Einzelmargenermittlung erfordert einen erhöhten Ermittlungsaufwand. Die Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Reiseleistung ist im Zeitpunkt der Entstehung oft nicht möglich, da die Kosten der Reisevorleistungen noch nicht feststehen. Schon im Umsatzsteueranwendungserlass (zuletzt geändert durch BMF-Schreiben vom 07.05.2020, BStBl. I 2020, 530) steht, dass man deswegen die Bemessungsgrundlage schätzen solle. Jedoch ist es, auch vor dem Hintergrund von Rahmenverträgen mit Hotelkontingenten fraglich, ob die Ermittlung der Einzelmargen tatsächlich zu einem genaueren Ergebnis führt und damit der administrative Mehraufwand gerechtfertigt ist.
Die umsatzsteuerlichen Besonderheiten bestehen hierbei vor allem im Bereich des Vorsteuerabzug, denn durch den fehlenden Vorsteuerabzug der Reisevorleistungen ergibt sich eine Kostensteigerung. Hierbei wird geprüft, ob das Konzept der umsatzsteuerlichen Neutralität durch die Anwendung auf den B2B-Bereich ab dem 18.12.2019 weiterhin gewahrt ist.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Problemstellung
1.1 Inhalt der Masterthesis
1.2 Aufbau der Masterthesis
2. Gesetzesänderungen
3. Unionsrechtliche Grundlagen
4. Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik (EuGH, Urt. v. 08.02.2018 – C-380/16)
4.1 Gründe
4.2 Erste Rüge, § 25 Abs. 1 UStG
4.3 Zweite Rüge, § 25 Abs. 3 S. 3 UStG
4.4 Würdigung
5. Anwendungsbereich § 25 UStG
5.1 Zweck und Inhalt
5.2 Begriff der Reiseleistung und Ortsbestimmung § 25 Abs. 1 UStG
5.2.1 Definition der Reiseleistung
5.2.2 Definition des Reiseveranstalters
5.2.3 Ort der sonstigen Leistung
5.2.4 Definition des Leistungsempfängers
5.2.5 Definition der Reisevorleistung
5.2.6 Eigenleistung
5.3 Steuerfreiheit §25 Abs. 2 UStG
5.4 Bemessungsgrundlage § 25 Abs. 3 UStG
5.5 Vorsteuerabzug § 25 Abs. 4 UStG
5.6 Aufzeichnungspflichten und Nachweise
5.7 Besteuerungsverfahren
5.7.1 Kleinunternehmer
5.7.2 Steuersatz
5.7.3 Rechnung
5.7.4 Leistungszeitpunkt
6. Beispielhafte Auswirkung der Anwendung der Kundenmaxime im Vergleich zur Reisendenmaxime bei Kettengeschäften
6.1 Kettengeschäft
6.1.1 Ausgangsfall
6.1.2 Lösung bei der Anwendung der Regelung bis zum 17.12.2019
6.1.3 Lösung bei der Anwendung der Regelung ab dem 18.12.2019
6.1.4 Auswertung
7. Denkbare Anwendungsfälle im B2B-Bereich und Möglichkeiten zur Vermeidung der Kostensteigerung für den Einkauf von Reisen über das Firmenreisebüro
7.1 Anwendungsfall
7.2 Möglichkeiten zur Vermeidung der Kostensteigerung
8. Besonderheiten
8.1 Leistungsempfänger als Steuerschuldner nach § 13b UStG
8.2 Stornierung der Reiseleistung
8.3 Anzahlungen
8.4 Incentive-Reisen
8.5 Organschaft
9. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Beispiel Einkaufskommission
Abbildung 2: Beispiel Verkaufskommission
Abbildung 3: Einordnung von Reiseleistungen
Abbildung 4: Berechtigung des Vorsteuerabzugs bei ausgewählten Sachverhalten
Abbildung 5: Übersicht über die Aufzeichnungspflichten
Abbildung 6: Aufzeichnungspflicht nach § 25 Abs. 5 Nr. 1 UStG
Abbildung 7: Aufzeichnungspflicht nach § 25 Abs. 5 Nr. 2 UStG
Abbildung 8: Aufzeichnungspflicht nach § 25 Abs. 5 Nr. 3 UStG
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Problemstellung
1.1 Inhalt der Masterthesis
In den Art. 306 ff. MwStSystRL sind die unionsrechtlichen Sonderregelungen für Reisebüros geregelt. Da hier nur die Marge des Reisebüros versteuert werden muss, nennt man diese Sonderregelung Margenbesteuerung. Bis zur Änderung durch das Jahressteuergesetz 2019 hat die deutsche Gesetzgebung die Art. 306-310 der MwStSystRL in § 25 UStG nicht genau umgesetzt. Die Anwendung der Margenbesteuerung für Reiseleistungen wurde nur auf B2C-Leistungen beschränkt, obwohl es eine solche Beschränkung in der MwStSystRL nicht gibt. Umsatzsteuerrechtlich muss besonders bei der Ortsbestimmung bei sonstigen Leistungen nach § 3a UStG zwischen B2C- und B2B-Leistungen unterschieden werden. B2C bedeutet Business to Consumer und steht für Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmern und Privatpersonen.1 Business to Business (B2B) hingegen beschreibt Leistungsbeziehungen zwischen zwei Unternehmern.2 Die alleinige Anwendung der B2C-Regelung hatte zur Folge, dass alle Leistungen von Reiseveranstaltern oder auch von Unternehmen, wie z.B. Handelsunternehmen, an andere Unternehmer der Regelbesteuerung unterlagen und für jede in Anspruch genommene Reisevorleistung die Vorsteuer separat abgezogen werden konnte.
Anfang 2018 hat der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland entschieden, dass die Sonderregelung für Reiseleistungen nicht auf Umsätze an den nichtunternehmerischen Bereich beschränkt werden kann.3 Auch der BFH war bereits im Urteil vom 13.12.20174 der Auffassung, dass sich der Unternehmer bei Leistungsbezügen für sein Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar auf die unionsrechtlichen Bestimmungen über die Sonderregelungen für Reisebüros (Art. 306 ff MwStSystRL) berufen und damit ein nicht steuerbarer Vorgang vorliegen kann.
Durch das Jahressteuergesetz 20195 erfolgte daher die Anpassung des § 25 UStG an die unionsrechtlichen Vorschriften. So wurde aus § 25 Abs. 1 S. 1 UStG ein Passus gestrichen und § 25 Abs. 3 S. 3 UStG komplett entfernt. Seit dem 18.12.2019 besteht für Unternehmer, die Reiseleistungen im eigenen Namen erbringen und dafür Reisevorleistungen bezogen haben, kein Wahlrecht bezüglich der Regel- und Margenbesteuerung mehr und es ist zwingend die Margenbesteuerung anzuwenden. Dies gilt somit nicht nur für Leistungen an Privatpersonen, sondern auch für solche, die an das Unternehmen des Leistungsempfängers erbracht werden.
Der leistende Unternehmer durfte bisher die Bemessungsgrundlage durch Gruppen- oder Gesamtmargen ermitteln. Ab dem 31.12.2021 kann er die Vereinfachungsregelung jedoch nicht mehr anwenden und muss die Bemessungsgrundlage für jede einzelne Leistung bestimmen. In der Mehrwertsteuersystemrichtlinie fehlt die Grundlage zur Ermittlung der Marge. Die Änderung von der Gesamtmarge oder Gruppenmarge zur Einzelmargenermittlung erfordert einen erhöhten Ermittlungsaufwand. Die Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Reiseleistung ist im Zeitpunkt der Entstehung oft nicht möglich, da die Kosten der Reisevorleistungen noch nicht feststehen. Schon im Umsatzsteueranwendungserlass (zuletzt geändert durch BMF-Schreiben vom 07.05.2020, BStBl. I 2020, 530)6 steht, dass man deswegen die Bemessungsgrundlage schätzen solle.7 Jedoch ist es, auch vor dem Hintergrund von Rahmenverträgen mit Hotelkontingenten fraglich, ob die Ermittlung der Einzelmargen tatsächlich zu einem genaueren Ergebnis führt und damit der administrative Mehraufwand gerechtfertigt ist.
Die umsatzsteuerlichen Besonderheiten bestehen hierbei vor allem im Bereich des Vorsteuerabzugs, denn durch den fehlenden Vorsteuerabzug der Reisevorleistungen ergibt sich eine Kostensteigerung. Hierbei wird geprüft, ob das Konzept der umsatzsteuerlichen Neutralität durch die Anwendung auf den B2B-Bereich ab dem 18.12.2019 weiterhin gewahrt ist. Im Rahmen dieser Thesis sollen daher die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Neuregelung für Reiseleistungen dargelegt und die Auswirkungen auch anhand von Beispielen dargestellt werden.
1.2 Aufbau der Masterthesis
Die Masterarbeit ist in neun Kapitel aufgeteilt. Der erste Abschnitt dient zur Einleitung und beinhaltet die sich durch die Anwendung der Sonderregelung ergebenden Probleme. Im zweiten Teil der Thesis wird die historische Entwicklung der entsprechenden Artikel der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und des § 25 UStG dargelegt. Die Grundsätze der Sonderregelungen für Reisebüros der Mehrwertsteuersystemrichtlinie werden in Kapitel 3 erläutert. Hierbei wird auch kurz dargelegt, welche Bedeutung die Mehrwertsteuersystemrichtlinie für die einzelnen Mitgliedstaaten hat. Anschließend wird das EuGH-Urteil vom 08.02.20188 im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vorgestellt und gewürdigt.
Der fünfte Teil stellt den Hauptteil der Arbeit dar und befasst sich mit der Anwendung des § 25 UStG. Hier wird die allgemeine Bedeutung des § 25 UStG aufgezeigt und die verschiedenen Begrifflichkeiten definiert. Die Änderungen zum 18.12.2019 und 01.01.2021 werden mit dem bisherigen Rechtsstand verglichen und kritisch betrachtet. Die Auswirkung der Gesetzesänderung zum 18.12.2019 wird anhand eines Beispiels für das Kettengeschäft dargelegt.
Mögliche Anwendungsfälle im B2B-Bereich und die Möglichkeiten zur Vermeidung der Kostensteigerung durch den fehlenden Vorsteuerabzug eines Unternehmers werden im siebten Teil erörtert. Hier werden die Vor- und Nachteile aufgeführt, welche jede der verschiedenen Vorgehensweisen mit sich bringen. Im achten Kapitel sollen die Besonderheiten von Reiseleistungen, wie Anzahlungen oder Fälle in denen der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG schuldet, aufgeführt werden. Die Masterthesis endet mit einer abschließenden Betrachtung und einer kurzen Darstellung der Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses und des EuGH-Urteils vom 27.01.2021.9
2. Gesetzesänderungen
Seit der Neufassung des Umsatzsteuergesetzes mit Wirkung vom 01.01.1980 durch das UStG 1980 vom 26.11.197910 beinhaltet dieses auch die Sonderregelungen für die Besteuerung von Reiseleistungen in § 25 UStG. Anschließend wurde es bis zur heute gültigen Fassung sieben Mal geändert. Durch das USt-Binnenmarktgesetz vom 25.08.199211 und das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz - StMBG) vom 21.12.1993 wurden lediglich redaktionelle Änderungen vorgenommen. So wurde beispielsweise in § 25 Abs. 2 Nr. 1 UStG „außerhalb des Gebietes der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften“ durch „im Drittlandsgebiet“ ersetzt. Durch das StMBG wurde in Abs. 2 Satz 3 „der Bundesminister“ durch „das Bundesministerium“ ausgewechselt.
Die erste entscheidende Änderung der Sonderregelung des § 25 UStG erfolgte durch das Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt12 vom 13.09.1993 mit Wirkung vom 01.11.1993. Neu konzipiert wurde dabei die Steuerfreiheit gem. § 25 Abs. 2 UStG. Reiseleistungen, die im Zusammenhang mit Reisen stehen, die nach dem 31.10.1993 beendet wurden, sind nur steuerfrei, wenn die Reisevorleistung im Drittland erbracht wird. Als Drittlandsgebiet wird nach § 1 Abs. 2a Satz 3 UStG das Gebiet bezeichnet, welches nicht zum Gemeinschaftsgebiet zählt. Zum Gemeinschaftsgebiet zählen gem. § 1 Abs. 2a Satz 1 UStG die Staaten der Europäischen Union Zwar sollte die Steuerbefreiung auf Beförderungen mit Luftfahrzeugen und Seeschiffen i.S. der § 25 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 und Satz 2 UStG Vereinfachungen darstellen, jedoch wurde die Änderung durch das EuGH-Urteil vom 27.10.199213 komplexer. Denn die damalige EG-Kommission hat festgestellt, dass die Umsatzsteuerbefreiung mit Art. 26 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern nicht vereinbar sei. Aufgrund dessen hat die EG-Kommission Klage beim EuGH gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben. Der EuGH kam auch zu dem Ergebnis, dass die Steuerbefreiung nach § 25 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 UStG nicht mit dem genannten Artikel vereinbar ist und Deutschland somit gegen die Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht, dem EWG-Vertrag von 195714, verstoßen hat. Das Urteil erging am 27.10.199215 und Deutschland war gem. Art. 171 EWG-Vertrag dazu verpflichtet dem Urteil zu folgen und die festgestellte Vertragsverletzung zu beheben. Festgestellt wurde, dass die Steuerbefreiung nicht auf grenzüberschreitende Beförderungen mit Luftfahrzeugen oder Seeschiffen oder auf solche Beförderungen im Außengebiet anzuwenden sei. Einzig die Tatsachen der Bewirkung der Reiseleistung im Drittland und der Zusammenhang zwischen sonstiger Leistung und Reisevorleistung müssen gegeben sein. Deshalb wurden § 25 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 UStG gestrichen.
Mit Wirkung vom 16.12.2004 wurde durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz EURLUmsG) § 25 Abs. 4 S. 1 UStG dahingehend geändert, dass das Vorsteuerabzugsverbot auch für die nach § 13b geschuldete Umsatzsteuer greift. Auch dies hatte den Hintergrund die Besteuerung der Reiseleistungen sicher zu stellen.
Aufgrund Art. 11 Nr. 9 Buchstaben a und b sowie Art. 39 Abs. 1 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.201916, welches als Jahressteuergesetz 2019 bezeichnet wird, wurden § 25 Abs.1 S. 1 UStG zum 18.12.2019 und Abs. 3 S. 3 UStG, für Umsätze die nach dem 31.12.2021 ausgeführt werden, geändert. Auslöser für diese Änderung war das EuGH-Urteil vom 08.02.201817. Der Verstoß gegen das Unionsrecht und das damit verbundene Verfahren beim EuGH werden in Kapitel vier näher erläutert.
3. Unionsrechtliche Grundlagen
In den 414 Artikeln der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sind die Vorgaben der EU zur Ausgestaltung der nationalen Umsatzsteuergesetze der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU normiert.18 Ziel der Harmonisierung soll durch die Gestaltung und der gemeinschaftskonformen Auslegung der einzelnen Artikel zu einer Verbesserung des Binnenmarkts sein.19 So richtet sich die Besteuerung der Umsätze von Reisebüros nach den Sonderregelungen in Abschnitt 12 unter Kapitel 3 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nach den Art. 306-310.
Die besondere Besteuerungsform der Mehrwertsteuer ist gem. Art. 306 MwStSystRL anwendbar, wenn das Reisebüro in eigenem Namen auftritt und Leistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch genommen hat. Hierbei gelten Reiseveranstalter als Reisebüro, nicht anwendbar ist die Vorschrift jedoch in Bezug auf Vermittlungstätigkeiten. Da Reisebüros ihre Leistungen an den Reisenden oft gebündelt in Paketen als sogenannte Pauschalreisen anbieten, wurde in Art. 307 MwStSystRL eine Vereinfachungsregelung getroffen. Diese besteht darin, dass die einzelnen Leistungen als eine einheitliche Dienstleistung anzusehen sind.20 Der Ort der einheitlichen Reiseleistung bestimmt sich nach dem Sitz des Reisebüros, von welchem es seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Fehlt ein solcher Sitz, ist Ort der Leistung die feste Niederlassung oder Betriebsstätte von der aus die Leistung erbracht wird.21 Als Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage wird nicht der Umsatz, sondern die Marge des Reisebüros herangezogen. Die Marge ist die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Umsatz-/ Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten aus den Reisevorleistungen des Reisebüros, wenn und soweit sie unmittelbar dem Reisenden zuzurechnen sind. Für in Anspruch genommene Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger, welche im Ausland ausgeführt werden, greift die Steuerbefreiung des Art. 309 MwStSystRL. Denn diese Leistung wird dann der steuerfreien Leistung eines Vermittlers i.S. des Art. 153 MwStSystRL gleichgestellt. Die Steuerbefreiung ist jedoch nicht uneingeschränkt anwendbar. Werden Umsätze teils innerhalb der Gemeinschaft und teils außerhalb der Gemeinschaft ausgeführt, sind diese gem. Art. 309 MwStSystRL aufzuteilen und nur der außerhalb liegende Teil ist steuerbefreit. Unter Gemeinschaft ist i.S. des § 1 Abs. 2a UStG das Inland und die übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu verstehen. Die gezahlte Mehrwertsteuer an andere Steuerpflichtigen, von denen die Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, ist in keinem Mitgliedstaat abziehbar oder erstattungsfähig. Es besteht also gem. Art. 310 MwStSystRL ein Vorsteuerabzugsverbot für das Reisebüro.
Im Bereich der Besteuerung von Reiseleistungen wurde durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie keine Harmonisierung erreicht, da nicht alle EU-Mitgliedstaaten diese Regelungen in ihr nationales Recht umgesetzt haben.22 Gemäß Art. 371 MwStSystRL i.V.m. Anhang X, Teil B Nr. 13 dürfen Staaten, die bereits am 01.01.1978 Mitglied der EU waren, Dienstleistungen von Reisebüros i.S. des Art. 306 weiterhin von der Steuer befreien. Hierdurch ergeben sich Wettbewerbsstörungen.23
Für Reiseleistungen, die von einem Reiseunternehmer an einen Unternehmer für dessen Unternehmen vor dem 18.12.2019 erbracht wurden, konnte sich der leistende Unternehmer auf die Bestimmungen nach Art. 306 ff. MwStSystRL berufen. Genauso konnte sich der Unternehmer, welcher Reiseleistungen von einem im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer für sein Unternehmen bezogen hat, ebenfalls auf die Sonderregelungen der Art. 306 ff. MwStSystRL zurückgreifen.24 Dies ist durch den Anwendungsvorrang des Unionsrecht vor dem nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten möglich. Die unmittelbare Anwendung der Unionsrechtsnorm ist nur relevant, wenn die Rechtsfolge für denselben Sachverhalt widersprüchlich zu der des nationalen Rechts ist.
4. Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik (EuGH, Urt. v. 08.02.2018 – C-380/16)
4.1 Gründe
Mögliche Verstöße gegen das Europäische Recht stellt die Europäische Kommission infolge eigener Analysen, oder aufgrund Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen oder Interessensträgern fest. Liegt aus der Sicht der Kommission eine Zuwiderhandlung vor, hat sie gem. Art 258 AEUV ein Aufforderungsschreiben an den betreffenden Mitgliedsstaat zu richten.
Im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland25 hat die Kommission einen Verstoß gegen das EU-Recht festgestellt. Sie ist der Ansicht, dass Deutschland die geltenden Artikel der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im nationalen Umsatzsteuergesetz nicht korrekt umgesetzt hat und folglich falsch anwendet. Dies hat die Kommission mit einem Schreiben vom 28. Februar 2012 Deutschland mitgeteilt. Deutschland hat innerhalb der regulären zwei Monatsfrist26 am 24. April 2012 geantwortet. Nach dem Urteil des EuGH vom 26. September 201327 wurde am 11. Juli 2014 ein ergänzendes Aufforderungsschreiben der Bundesrepublik Deutschland zugesandt. Der Zusammenhang zwischen dem Urteil gegen Spanien ist durch die Themengleichheit der Verfahren gegeben. Die Kommission hat Spanien, im Vertragsverletzungsverfahren gegen diese, die Fehler der spanischen Besteuerung von Reiseleistungen aufgezeigt, worauf der EuGH anschließend Stellung genommen hat. Da die Kommission nach dem Antwortschreiben von Deutschland mit Datum vom 10.09.2015 feststellen musste, dass die BRD ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des EU-Rechts weiterhin nicht nachgekommen ist, hat diese am 25.09.2015 eine Stellungnahme verfasst. Deutschland zeigte mit Schreiben vom 10.11.2015 auf, dass sie der Meinung sind, dass Deutschland nicht gegen die Verpflichtungen verstoßen habe, woraufhin die Kommission Klage beim Gerichtshof erhoben hat.
Die Kommission hat zwei Punkte der deutschen Sonderregelung für Reiseleistungen in § 25 UStG beanstandet. Zum einen die in § 25 Abs. 1 UStG normierte Begrenzung der Reiseleistungen auf den Bereich der Reisendenmaxime28, aufgrund dessen nur ein Nichtunternehmer Leistungsempfänger sein kann. Dies entspricht nicht der Maßgabe des Art. 306 der Mehrwertsteuerrichtline, welcher eine Einschränkung dieser Art nicht vorsieht.29 Hier beruft sich die Kommission auch auf etliche Urteile vom 26. September 2013, worunter auch das bereits genannte Urteil des EuGH Kommission/Spanien fällt. Zum anderen rügte es in § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG die Anwendung der Gruppen- und Gesamtmarge zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Zwar wird in den Sonderregelungen für Reisebüros in Art. 308 MwStSystRL keine Aussage zur genauen Margenermittlung der Leistungen getroffen, jedoch greift hier der Grundsatz der Individualbesteuerung des Art. 73 MwStSystRL. Unter den Grundsatz der Individualbesteuerung fallen vor allem einkommensteuerliche Sachverhalte.30 Er ist aber ebenfalls analog in der Umsatzsteuer anzuwenden.31 So wird für jede einzelne Leistung entschieden, welche Vorschriften aufgrund der Erfüllung der Voraussetzungen angewendet werden müssen. Dies bedeutet eben nicht, dass für jede Art von Umsatz eine pauschale Besteuerung erfolgt.
4.2 Erste Rüge, § 25 Abs. 1 UStG
Die erste Rüge beinhaltet das Problem der Begrenzung der Sonderregelung im Umsatzsteuerrecht auf den B2C-Bereich. Denn auch aufgrund der EuGH-Urteile vom 26. September 201332 sei die Anwendung der Art. 306-310 MwStSystRL auf die Kundenmaxime, also in jedem Fall auch auf Leistungen an Unternehmer anzuwenden, welche Leistungen für ihr Unternehmen einkaufen. Deutschland bringt der Rüge zur Rechtfertigung vier Argumente entgegen33, zu welchen der EuGH wie folgt Stellung nimmt.
Das erste Argument begründet eine Mehrfachbelastung der Reisevorleistungen, wenn die Anwendung der Sonderregelung auch in Bezug auf Leistungen an gewerbliche Kunden anzuwenden sei. Dies verstoße gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Grundsätzlich soll ein Steuerpflichtiger im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nicht mit der Mehrwertsteuer belastet werden, was durch den Vorsteuerabzug gewährleistet ist. Lediglich den Mehrwert, den er mit dem Gegenstand erwirtschaftet, hat er zu versteuern. Dies beruht auf dem sogenannten Prinzip der Belastungsneutralität.34 Dies ist auch in Art. 168 Buchstabe a MwStSystRL verankert und darf prinzipiell nicht eingeschränkt werden, da dies den Mechanismus der Mehrwertsteuer ausmacht. Der EuGH weißt aber auch darauf hin, dass es sich bei den Art. 306-310 dieser Richtlinie um Sonderregelungen handelt, die Ausnahmen von der Regelbesteuerung vorsehen.35 Hierbei handelt es sich demnach um eine lex specialis36, welche dem allgemeinen Gesetz vorgeht. So findet Art. 306 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie für sämtliche Leistungsempfänger Anwendung und § 25 Abs. 1 S. 1 UStG verstößt gegen die Richtlinienbestimmung. Es gilt die sogenannte Kundenmaxime.
Als zweites führt die Bundesrepublik Deutschland auf, dass die Auslegung der Kommission der Art. 306 ff. MwStSystRL zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Diese Problematik sei dadurch gegeben, dass keiner der unternehmerischen Kunden einen Vorsteuerabzug aus der Eingangsleistung geltend machen kann und sie dazu verleitet werden die Reiseleistung direkt bei einem Reiseveranstalter in Anspruch zu nehmen. Dieser erbringt einen Großteil der Reisevorleistung selbständig, wodurch der Unternehmer keine weitere Belastung der nicht abziehbaren Vorsteuer aus den Reisevorleistungen hat. Eine andere Möglichkeit ist, dass die sie ihre Reiseleistungen direkt bei den einzelnen Fluggesellschaften oder Hotelbetreibern buchen, denn dadurch ist ein höherer Vorsteuerabzug möglich. So kommt es durch die Anwendung der Sonderregelungen des § 25 UStG im B2B-Bereich zu einer Verlagerung der Leistungen auf die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer, was zu einer Wettbewerbsverzerrung führt. Der EuGH hingegen ist der Ansicht, dass die behaupteten Wettbewerbsverzerrungen nicht erkennbar seien. Denn gerade durch die Auslegung der Bundesrepublik sei eine ungleiche Behandlung zugunsten einiger Wirtschaftsteilnehmer gegeben, obwohl sie sich in einer vergleichbaren Lage befinden.37 So wurden durch die enge Auslegung in § 25 Abs. 1 UStG auf die Reisendenmaxime die größeren Reiseveranstalter gegenüber den kleineren bevorzugt, da diese aufgrund geringerer Finanz-, Human- und Technologieressourcen mehr Schwierigkeiten bezüglich der Abgrenzung zwischen B2B- und B2C-Umsätzen haben.
Der dritte Grund, welchen die BRD zur Rechtfertigung anspricht, ist der Verstoß gegen die Art. 7, 8 und 16 der Europäischen Grundrechtecharta durch die Anwendung der Sonderregelung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie.38 Die Charta wurde durch Beauftragte der einzelnen EU-Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und der nationalen Parlamente verfasst und beschlossen. Schlussendlich trat sie am 01. Dezember 2009 in Kraft und definiert die Rechte und Freiheiten der Menschen, die in der Europäischen Union leben.39 Gemäß Art. 7 der Europäischen Grundrechtecharta soll das Privat- und Familienleben geachtet werden. Art. 8 beinhaltet das Recht auf den Schutz von personenbezogenen Daten und Art. 16 bezieht sich auf die unternehmerische Freiheit. Verstöße gegen diese drei Artikel der Grundrechtecharta der Europäischen Union sollen gegeben sein, da alle Reiseveranstalter ihre Gewinnmargen auf den Rechnungen offenlegen müssen.40 Deutlich soll der Verstoß werden, wenn eine natürliche Person oder eine juristische Person deren Firmierung den Namen einer natürlichen Person als Reiseveranstalter handeln. Jedoch stellt der EuGH korrekt dar, dass andere Wettbewerber durch die Ausweisung der Einzelmarge auf der Rechnung kaum auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens Rückschlüsse ziehen können. So ist auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt, wenn die Sonderregelung auf alle Art von Kunden angewandt wird, denn hierdurch wird die Mehrwertsteuer entsprechend zwischen den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Zudem gewährt Art. 52 Abs. 1 der Charta Einschränkungen der Grundrechte, sofern die Rechte und Freiheiten gewahrt werden.
Dass die Umsetzung der Sonderregelungen auf B2B-Umsätze erhebliche praktische Schwierigkeiten mit sich bringt, wird als letztes Argument gegen eine Änderung des § 25 UStG vorgetragen. Zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung steht in den meisten Fällen die endgültige Gewinnmarge noch nicht fest, da die Reisevorleistungen zum Teil im Voraus zu großen Kontingenten eingekauft werden. Zudem werden von den Fluggesellschaften oder Hotelbetreibern häufig Rabatte gewährt, die jedoch von einer ganzen Reisesaison abhängig seien können und daher nicht bereits bei Rechnungserstellung an den Kunden die korrekte Marge errechnet werden kann. Durch etliche Korrekturen der Marge stellen die Sonderregelungen in dieser Hinsicht keine Vereinfachung dar. Doch auch dieses Argument entkräftet der EuGH, denn diese Problematik gäbe es sowohl im B2C-, als auch im B2B-Bereich. Jedoch gibt der EuGH auch zu, dass die Sonderregelungen mit praktischen Schwierigkeiten verbunden sind. Hier lässt der EuGH, zur Verringerung der damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten, zu, dass die Gewinnmarge durch eine Schätzung mit Hilfe von Anzahlungen bestimmt werden kann.41 Dennoch kommt es auf die einheitliche Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie durch die EU-Mitgliedstaaten an.42
4.3 Zweite Rüge, § 25 Abs. 3 S. 3 UStG
Der Verstoß durch § 25 Abs. 3 S. 3 UStG gegen Art. 73 und Art. 306 ff. MwStSystRL stellt die zweite Rüge der Kommission gegen Deutschland dar. Art. 73 MwStSystRL beinhaltet den Grundsatz der Individualbesteuerung und da in Art. 306-310 der Richtlinie keine abweichenden Regelungen festgelegt sind, gelten die Grundsätze. Nach deutschem Recht durften die Reisebüros, für welche die Sonderregelung Anwendung findet, für Gruppen von Leistungen oder für die im gesamten Besteuerungszeitpunkt erbrachten Leistungen eine pauschale Steuerbemessungsgrundlage zu bilden.43 Der EuGH gab jedoch der zweiten Rüge der Kommission statt, wodurch die Marge als Einzelmarge zu ermitteln und nicht als Gesamt- oder Gruppenmarge darzustellen ist. Die Bundesrepublik argumentiert entgegen der Auffassung der Kommission mit nicht einzeln zuordenbaren Reisevorleistungen, denn in solchen Fällen müsse ein Durchschnittswert ermittelt und anschließend nach Feststehen der Zuordnung Korrekturen vorgenommen werden. Ebenso ist sie der Meinung, dass das Unionsrecht durch die aktuelle Rechtslage nicht falsch anwendet wird, sondern diese Art der Berechnung lediglich die Margen aus den Einzelleistungen rechnerisch zusammenfasst. Hinsichtlich der praktischen Schwierigkeiten aus der ersten Rüge, müssten hier die Margen geschätzt werden, weil die genauen Kosten der Reisevorleistungen noch nicht feststehen und dies würde zu einer Berichtigung in fast jedem Einzelfall führen. Bei der Gesamt- oder Gruppenmargenbesteuerung, kann eine solche Differenz zwischen den einzelnen Margen ausgeglichen werden. Zugleich bestehe für andere Fälle der Differenzbesteuerung eine solche Möglichkeit der Margenzusammenfassung.44 Doch auch hier stellt der EuGH klar, dass die Ermittlung von Einzelmargen zwingend ist, da nur die Sonderregelungen der Art. 306-310 MwStSystRL auf Reisebüros Anwendung finden und nicht die folgenden Artikel anzuwenden sind. Die Ansicht, dass es auch in Art. 308 der Richtlinie zur Vereinfachung so vorgesehen ist, kann ebenfalls nicht vertreten werden. Als Folge der Änderung des § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG wird auch § 72 Abs. 3 UStDV aufgehoben. Dieser regelte den buchmäßigen Nachweis für die Berechnung der Bemessungsgrundlage anhand der Gesamt- oder Gruppenmarge.
4.4 Würdigung
Die Entscheidung, zu welcher der EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland kommt, war zu erwarten. Denn im Urteil vom 26.09.201345 hat er eindeutige Aussagen zur Auslegung der Art. 306 ff MwStSystRL getroffen. So wiederholt der EuGH seine bisherigen Feststellungen und stellt erneut fest, dass der deutsche § 25 UStG durch die Anwendung der Reisendenmaxime europarechtswidrig ist. Bereits im Vertragsverletzungsverfahren zwischen der EU-Kommission und Spanien wurde entschieden, dass entgegen der anfangs vertretenen Auffassung der EU-Kommission, anstatt der Reisendenmaxime die Kundenmaxime anzuwenden sein. Die Kommission war dieser Meinung, da es unterschiedliche Übersetzungen der Art. 306-310 MwStSystRL gab.46 Verwunderlich war, dass Deutschland sich so lange weigerte die offensichtlich unionsrechtswidrigen nationalen Sondervorschrift des § 25 UStG zu ändern und die Europäische Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen musste.
Schon der BFH hat mit Urteilen vom 21.11.201347 und 20.03.201448 entschieden, dass entgegen § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG die unionsrechtlichen Grundlagen über die Sonderregelung für Reisebüros (Art. 306 ff. MwStSystRL) unmittelbar anwendbar sind, wenn ein Unternehmer Reiseleistungen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen erbringt und die unionsrechtlichen Bestimmungen zu einer günstigeren Besteuerung für ihn führen. Überdies wurde in einem weiteren BFH-Urteil vom 13.12.201749 entschieden, dass ein Unternehmer, der für sein Unternehmen Reiseleistungen von einem Reiseunternehmer mit Sitz im EU-Ausland bezogen hat sich ebenfalls auf Art. 307 MwStSystRL berufen kann. Dies hat zur Folge, dass er nicht wie bei der Anwendung der Regelbesteuerung aufgrund der Umkehr der Steuerschuldnerschaft gem. § 13b UStG die Steuer in Deutschland schuldet, sondern nach den unionsrechtlichen Bestimmungen diese Reiseleistungen nicht steuerbar sind.
Bezüglich der Bestimmung der Bemessungsgrundlage anhand einer Gruppen- oder Gesamtmarge ist ebenfalls auf das EuGH-Urteil Kommission/Spanien zu verweisen. In den Randnummern 101 bis 103 des Urteils vom 29.09.2013 wurde belegt, dass die Individualbesteuerung i.S. des Art. 73 MwStSystRL anzuwenden sei.50 Obwohl es in den Vorschriften über die Differenzbesteuerung die Möglichkeit der Bildung von pauschalen Bemessungsgrundlagen gibt, sieht der EuGH diese Vorgehensweise für die Besteuerung von Reiseleistungen nicht vor. Daher hätte die Entscheidung auch für diese Streitfrage, im Hinblick auf das Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien, für die Bundesrepublik Deutschland bereits klar sein müssen.
Nachvollziehbar sind die von der Bundesrepublik Deutschland aufgeführten praktischen Probleme, jedoch müsste hierzu die MwStSystRL geändert werden. Auch, wenn die Mitgliedstaaten die Mehrwertsteuersystemrichtlinie für verbesserungswürdig halten, müssen sie ihre nationalen Gesetze an die unionsrechtlichen Regelungen anpassen, diese umsetzen und anwenden, bis der Unionsgesetzgeber die Unionsvorschrift, wie beispielsweise Art. 306 ff MwStSystRL, ändert. Sowohl bei typischen Reiseveranstaltern, wie Reisebüros, als auch bei Unternehmen, die Reiseleistungen beziehen und weiterverrechnen, sind die Auswirkungen vielfältig. Die Hauptauswirkung ist der eingeschränkte Vorsteuerabzug aus den Reisevorleistungen für B2B-Reiseleistungen. Auch kann ab dem 18.12.2019 bei jeder Art von Reiseleistungen für die Berechnung der Umsatzsteuer nur noch auf die Marge zurückgegriffen und nicht mehr das volle Entgelt als Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Zur Vereinfachung der Anwendung der Sondervorschrift entfällt für ausländische Reiseveranstalter die Registrierungspflicht in Deutschland, da sich aufgrund § 25 UStG für ausländische Subunternehmer, welche in Deutschland Reisevorleistungen erbringen, ein anderer Leistungsort ergibt. Dieser liegt gem. § 25 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 3a Abs. 1 UStG an dem Ort, von dem aus der leistende Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Woraufhin für das weitere Besteuerungsverfahren das Recht des jeweiligen Staates anzuwenden ist.
[...]
1 Vgl. o.V. (B2C, 2019): Business-to-Consumer (B2C), https://www.businessinsider.de/gruenderszene/lexikon/begriffe/business-to-consumer-b2c/, Zugriffsdatum: 31.01.2021.
2 Vgl. o.V. (B2B): Definition: B2B, https://bwl-wissen.net/definition/b2b, Zugriffsdatum: 31.01.2021.
3 Vgl. EuGH vom 08.02.2018, C-380/16, (Kommission/Deutschland).
4 Vgl. BFH vom 13.12.2017, XI R 4/16, BStBl. II 2020, S. 823.
5 Vgl. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 48, ausgegeben zu Bonn am 17.12.2019.
6 Der Umsatzsteueranwendungserlass ist zum Zeitpunkt der Erstellung der Masterthesis noch nicht an die Änderung der Einzelmargenermittlung angepasst.
7 Vgl. Abschnitt 25.3 Abs. 7 UStAE.
8 Vgl. EuGH vom 08.02.2018, C-380/16, (Kommission/Deutschland).
9 Vgl. EuGH vom 27.01.2021, C-787/19 (Kommission/Österreich).
10 Vgl. Bundesgesetzblatt I 1997, S. 1953.
11 Vgl. USt-Binnenmarktgesetz vom 25.08.1992, BGBl I 1992, S. 1548.
12 Vgl. Standortsicherungs-Gesetz, BGBl I 1993, S. 1569.
13 Vgl. EuGH vom 27.10.1992, C-74/91, (Kommission/Deutschland).
14 Vgl. Vertrag von Rom, EWG-Vertrag von 1957, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=LEGISSUM:xy0023, Zugriffsdatum: 13.03.2021.
15 Vgl. EuGH vom 27.10.1992, C-74/91, (Kommission/Deutschland).
16 Vgl. Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019, BGBl I 19, S. 2451.
17 Vgl. EuGH vom 08.02.2018, C-380/16, (Kommission/Deutschland).
18 Vgl. Art. 414 MwStSystRL.
19 Vgl. o.V., Mehrwertsteuersystemrichtlinie, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/mehrwertsteuersystemrichtlinie-51572/version-274733, Zugriffsdatum: 06.05.2020.
20 Vgl. Nieskens, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 2020, § 1 UStG, ABC-Einheitlichkeit der Leistung „Pauschalreise“.
21 Vgl. Art. 307 MwStSystRL.
22 Vgl. Püschner, in: Reiß/Kraeuser/Langer, UStG, 2019, § 25 UStG Rn. 27.
23 Vgl. hierzu Kapitel 4.2 der Masterthesis.
24 Vgl. EuGH vom 13.12.2017, X I R 4/16, BStBl. II 2020, S. 823.
25 Vgl. EuGH vom 08.02.2019, C-380/16, (Kommission/Deutschland).
26 Vgl. o.V. , Europäische Kommission: Vertragsverletzungsverfahren, https://ec.europa.eu/info/law/law-making-process/applying-eu-law/infringement-procedure_de, Zugriffsdatum: 12.11.2020.
27 Vgl. EuGH vom 26.09.2013, C-189/11, (Kommission/Spanien).
28 Vgl. EuGH vom 08.02.2018, C-380/16, (Kommission/Deutschland), Rn. 18.
29 Vgl. Hartmann, (Aktuelle EuGH-Rechtspechung), DStR 2019, S. 599.
30 Vgl. § 2 Abs. 1 UStG.
31 Vgl. Grambeck, MwStR 2018, S. 317.
32 Vgl. EuGH vom 26.9.2013, C-189/11, (Kommission/Spanien), UR 2013, S. 835, C-193/11, (Kommission/Polen), C-236/11, (Kommission/Italien), C-269/11, (Kommission/Tschechische Republik), C-293/11, (Kommission/Griechenland, C-296/11, (Kommission/Frankreich), C-309/11, (Kommission/Finnland), C-450/11, (Kommission/Portugal).
33 Vgl. Nieskens, (Margenbesteuerung), EU-UStB 01/2018, S. 1.
34 Vgl. Wenzel, in: Rau/Dürrwächter, UStG, 2005, § 25 UStG, Rn. 18.
35 Vgl. EuGH vom 08.02.2018, C-380/16, (Kommission/Deutschland), Rn. 53.
36 lex specialis = Sondergesetz (welches Vorrang hat vor der lex generalis, d.h. dem allgemeinen Gesetz).
37 Vgl. Grambeck, MwStR 2018, S. 316.
38 Vgl. EuGH vom 08.02.2018, C-380/16, (Kommission/Deutschland), Rn. 31.
39 Vgl. o.V., Europäische Grundrechtecharta (bundesregierung.de), Zugriffsdatum: 21.11.2020.
40 Vgl. Art. 220 Abs. 1 und Art. 226 Abs. 8 MwStSystRL.
41 Vgl. EuGH vom. 19.12.2018, C-422/17, (Skarpa Travel), UR 2019, S. 144-148, Rn. 43.
42 Vgl. EuGH vom 08.02.2018, C-380/16, (Kommission/Deutschland), Rn. 50.
43 Vgl. o.V., HFR 2018 Heft 3, Sonderregelung für Reisebüros – Verstoß von § 25 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 UStG gegen das Unionsrecht, Seite 259, Rn. 75.
44 Vgl. Art. 318 MwStSystRL.
45 Vgl. EuGH vom 26.09.2013, C-189/11, (Kommission/Spanien).
46 Vgl. EuGH vom 26.09.2013, C-189/11, (Kommission/Spanien), Rn. 22, 23, 50.
47 Vgl. BFH vom 21.11.2013, V R 11/11, BFHE 244, S. 111.
48 Vgl. BFH vom 20.03.2014, V R 25/11, BFHE 245, S. 286.
49 Vgl. BFH vom 13.12.2017, XI R 4/16, BFHE 260, S. 557.
50 Vgl. EuGH vom 26.09.2013, C-189/11, (Kommission/Spanien), Rn. 101-103.
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- Dana Janke (Autor:in), 2021, Umsatzsteuerliche Neutralität im B2B-Bereich? Die steuerliche Behandlung von Reiseleistungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1149211
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