Die Soziolinguistik


Seminararbeit, 1994

20 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung:Was ist Soziolinguistik?

Hauptteil:
1. Womit beschäftigt sich die Soziolinguistik?
1.1. Gegenstandsbereiche der französischen Soziolinguistik
2. Problemstellung
3. Wissenschaftsgeschichte
3.1. Soziolinguistik in Nordamerika
3.2. Soziolinguistik in England
3.3. Soziolinguistische Sonderentwicklung in Frankreich
4. Sprache und Generationen am Beispiel des Französischen
4.1. Altersspezifische Varietäten
4.2. Kommunikation zwischen verschiedenen Altersgruppen

Schlußteil: Perspektiven

Bibliographie

Einleitung
Was ist Soziolinguistik?

Der Begriff Soziolinguistik läßt sich nicht eindeutig definieren. Schon die in die Soziolinguistik eingehenden Wissenschaften Soziologie und Sprachwissenschaften haben kein fest umrissenes Wissenschaftsfeld und sind in ihren Inhalten sehr vielschichtig. So kommt es, daß der Begriff "Soziolinguistik verschiedenen Leuten Verschiedenes bedeutet."[1]

Ganz allgemein kann man die Soziolinguistik als eine Disziplin verstehen, die die Verflechtung von Sprache mit der sozialen Struktur der Gesellschaft analysiert. Aus dieser nicht ganz eindeutigen Umschreibung könnte man nun ableiten, daß sich die Soziolinguistik nur der Untersuchung diastratischer Varietäten widmet. Dies wäre jedoch zu einseitig, denn die diatopischen und diaphasischen Varietäten gehen genausogut in den Gegenstandsbereich der Soziolinguistik ein.

Zur Entwicklung der Soziolinguistik ist zusagen, daß es sich hier um eine recht junge Wissenschaft handelt. Sie etablierte sich erst in den 60er Jahren als eigenständige Disziplin. Dies setzt allerdings voraus, daß es auch schon vorher soziolinguistische orientierte Forschungen gab. So datieren die ersten Ansätze der soziolinguistischen Tradition bis zum Ende des 19., spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Bereits Ferdinand de Saussure faßte in seinem "Cours de Linguistique Générale" (nach Mitschriften seiner Vorlesungen von 1906-1911 entstanden) Sprache (frz.: "langue") als "fait social"[2] auf. Saussure kommt es auf eine strikte Trennung der Begriffe "langue" (dt.: Sprache), "parole" (dt.: Sprechen) und "langage" (dt.: menschliche Rede) an. Während langage nur die Sprechfähigkeit, also die vielförmige und ungleichartige Gesamtheit der sprachlichen Erscheinungen und Sprechbetätigungen, bezeichnet, bezieht sich langue auf den sozialen Teil der menschlichen Rede Langue ist das System sprachlicher Gewohnheiten, das durch die Praxis des menschlichen Sprechens entsteht - sozusagen das Regelwerk, das jeder im Kopf hat. Davon hebt sich die parole ab, der individuelle Teil der menschlichen Rede. Mit parole bezeichnet man den individuellen Akt, langue (Sprache) umzusetzen. Hier geht es also um die aktualisierte Sprache, die individuelle Praxis der sozialen Übereinkünfte der Sprache. Hierraus folgt, daß in der parole die Veränderungen der Sprache zuerst vor sich gehen. Nach Saussure ist nur die langue, also der soziale Teil der menschlichen Rede, Gegenstand der Sprachwissenschaft.

Auf die Frage, womit sich die gegenwärtige Soziolinguistik beschäftigt, werde ich im ersten Kapitel eingehen.

Hauptteil

1. Womit beschäftigt sich die Soziolinguistik?

Wir haben in der Einleitung bereits festgestellt, daß aus den breitgefächerten Problemfeldern der Soziologie und der Sprachwissenschaft der große Themenkomplex des Phänomens Sprache in der Gesellschaft resultiert.Wie kann man nun dieses breitgefächerte Spektrum systematisch darstellen? Ammon charakterisiert die Soziolinguistik nach folgenden Merkmalen:

"Sie bezieht sich soziologisch zentral auf die soziale Ungleichheit, und zwar zunächst in den Kategorien der sozialen Schichtung. Linguistisch stehen die von Basil Bernstein so bezeichneten restringierten und elaborierten Kodes im Zentrum der Betrachtung. Hinzu kommen als die wohl entscheidensten Unterschiede gegenüber den früheren soziolinguistischen Ansätzen: der Bezug der gesellschaftlichen Sprachunterschiede auf kognitive und affektive Vorgänge, auf Bewußtseinszustände also, und - eng damit zusammenhängend - deren Bezug auf fundamentale pädagogische Probleme. Dieser Zusammenhang zwischen sozialen, sprachlichen, bewußtseinsmäßigen und pädagogischen Problemen wurde im Laufe der Zeit ausgebaut."[3]

Durch diese Zusammenhänge ist es unumgänglich, daß sich die Soziolinguistik auch an andere akademische Bereiche, die sich mit Fragen der Erziehung, der Entwicklung von Kindern oder auch Regierungspolitik beschäftigen, anschließt. Tatsächlich ist die heutige Soziolinguistik schon in die Pädagogik und die Politik eingedrungen und beeinflußt diese im nicht unerheblichen Maße.

Da bisher nur von gesellschaftlichen Sprachunterschieden und bestimmten sozialen Schichten die Rede war, entsteht leicht der Eindruck, daß die Soziolinguistik nur einzelne soziale Schichten auf ihren Sprachgebrauch untersucht, etwa so wie Bernstein in England die Sprachkapazität der Mittelklasse mit der der Arbeiterklasse verglichen hat, worauf ich in Kapitel 3.2. noch genauer eingehen werde. Dieses ist jedoch nur eines von vielen Einzelthemen.

Eine weitere Komponente ist die Untersuchung regionaler Varietäten, insbesondere Dialektologie und Sprachgeographie.In diesem Rahmen werden unter anderem Sprachinhalte in den unterschiedlichen Regionen untersucht.

Im Weiteren kann man auch eine Trennung nach verschiedenen Sprechsituationen vornehmen. In der öffentlichen Rede wird sich ein Sprecher sicherlich sowohl von der Syntax als auch von der Wortwahl her anders ausdrücken als innerhalb der Familie oder des Freundeskreises.

Ein anderes Forschungsgebiet bildet die Sprache in bestimmten Institutionen. So untersucht sie Soziolinguistik zum Beispiel das Militärwesen auf seine ihm eigene Sprachvarietät.Es läßt sich leicht nachvollziehen, daß es hier bestimmt eine besonders differenzierte Auswahl an Vokabeln, die eine bestimmte Hierarchie signalisieren, gibt (z.B. Oberst, Rekrut usw.). Als weitere Institutionen wären die Schule, die Verwaltung, die Kirche und die Presse zu nennen.

Einige Soziolinguisten verschreiben sich such der wissenschaftlichen Untersuchung von Fach- und Sondersprachen.

Mit den unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen, von denen zu Beginn diese Kapitels die Rede war, können auch unterschiedliche Generationen (siehe Kap. 4.), oder die geschlechtliche Trennung von Mann und Frau gemeint sein.

Die Soziolinguistik bietet also unendliche Forschungsmöglichkeiten. "Letzten Endes läßt sich wohl nicht einmal überspitzt formuliert sagen, daß eigentlich kein Bereich (...)der allgemeinen Sprachwissenschaft (...) unter völliger Ausklammerung soziolinguistischer Fragestellungen, d.h. ohne Berücksichtigung der Funktion von Sprache als einen konstitutiven Teil Bestandteil der Gesellschaft und der in ihnen vertretenen Gruppen und Sprecher, angemessen dargestelllt würde."[4]

1.1. Gegenstandsbereiche der französischen Soziolinguistik

Auch in der französischen Soziolinguistik finden sich verschiedene Themenkomplexe, die sich unterschiedlichen (z.B. regionalen oder stilistischen) Variationen zuordnen lassen. Dieses Diasystem unterschiedlicher Varietäten resultiert aus der Tatsache, "daß Sprache als konstitutiver Bestandteil einer sozialen Gruppe kein homogenes Gebilde im Sinne der Kompetenz eines idealen Sprechers/ Hörers ist."[5]

Mindestens genauso bedeutend wie die Untersuchung der sozialen Schichten auf ihren Sprachgebrauch, ist in der modernen französischen Sprachwissenschaft die Analyse diatopischer Varietäten. Dieser Bereich wird schon in den Anfängen der französischen Sprachwissenschaft behandelt. Die Tradition der Sprachgeographie und Dialektologie geht in Frankreich nämlich bis auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. So erschien von 1902-1910 der ALF (Atlas linguistique de la France), der von Jules Gilliéron mit dem Anspruch , alle zu der Zeit noch gesprochenen Mundarten festzuhalten, in mühevoller Kleinarbeit erstellt worden war. Trotzdem darf man nicht leugnen, daß durch se französischen Zentralismus alle regionalen Varietäten, die vom francais commun der Ile de France abwichen, ideologisch geächtet und als Nicht- Standard verdrängt wurden. Folglich fand auch keine soziolinguistische Untersuchung dieser Varietäten statt.Heute wird jedoch, vielleicht gerade aufgrund dieser langen Vernachlässigung, alles Regionale gefördert und daher avancierte dieser Gegenstandsbereich zu einem Schwerpunkt der französischen Soziolinguistik.

Die bekannteste Variationsform des Französischen ist die gerade im Bereich des Bildungswesens angewandte Unterteilung in Erscheinungsformen wie familier, populaire, vulgaire und nicht zuletzt argot und jargon.[6] Bei dieser Einteilung darf man nicht außer Acht lassen, daß es sich um eine qualitative Etikettierung der einzelnen Varietäten handelt. Es findet durch die Bezeichnung eines Wortes als vulgaire also gleich eine Wertung statt, die das Wort und damit vielleicht sogar noch den Sprecher als minderwertig erscheinen läßt. Eine Zeit lang wurden sprachliche Phänomene wie der argot sogar ignoriert und erst nach einem langen Prozeß wurden sie als eigenständige Sprachvarietät und damit als wissenschaftliches Forschungsobjekt voll anerkannt.

Als weiteren soziolinguistischen Themenkomplex wird das Verhältnis von Sprache und Nation im historischen Kontext vom Mittelalter bis heute angegeben.Vom 5.-9. Jahrhundert bildete sich das Französisch immer mehr heraus bis es sich ganz neben dem Latein etablierte.Man kann jedoch sagen, daß es erst ab dem 13. Jahrhundert in ganz Frankreich verbreitet und verfestigt war und so das Latein zumindest im mündlichen Sprachgebrauch ersetzte.Es entstand also allmählich eine Nationalsprache, was aber nicht bedeuten sol, daß nun in ganz Frankreich das gleiche Französisch geredet wurde. Nachdem die Frage Latein oder Französisch zugunsten des Letzteren geklärt worden war, stelllte sich das neue Problem, welche regionale Varietät als Hochsprache gelten sollte. Eine Hochsprache entsteht jedoch nicht durch die Festsetzung von Grammatiken oder gar durch Abstimmung, sondern bildet sich ganz von allein heraus.In Frankreich setzt sich allmählich der Dialekt der Ile-de-France durch, was sich ganz einfach mit dem zunehmenden Machtzuwachs des zentralen französischen Königshofs erklären läßt. Damals bezeichnete man das Französisch des Hofes als das Unverfälschteste - "la plus saine partie de la cour".

Der Themenkomplex Sprache und Nation erfaßt zusätzlich auch noch die Probleme sprachlicher und ethnischer Minderheiten. Gerade Frankreich, als "Vielvölkerstaat", bietet hier ein breites Anschauungsfeld. Trotzdem muß man zugeben, daß gerade der Bereich, der sich auf ethnische Minderheiten bezieht, in der französischen Soziolinguistik doch eher vernachlässigt worden ist.

Ein beliebtes Forschungsobjekt ist allerdings die Beziehung zwischen Sprache und Politik. In diesen Komplex fließt zwangsläufig die Analyse von Sprache als Träger einer Ideologie ein. So können Soziolinguisten beispielsweise untersuchen, wie eine bestimmte politische Richtung in der Sprache reflektiert wird. In einer kommunistisch orientierten Gesellschaftsordnung wird man wahrscheinlich weniger Vokabeln, die das persönliche Eigentum umschreiben, finden als in einer kapitalistisch orientierten.Einen weiteren Gegenstandsbereich bildet das Gebiet der Sprachwertung und Spracheinschätzung. In der französischen Soziolinguistik lag hier der Schwerpunkt bei der Attitüdenforschung, der Forschung nach dem inneren Verhalten der geistig seelischen Einstellung. Eine Sprache wird hier nicht nur als "klar", "logisch" oder "abstrakt" , was also einer neutralen Bewertung gleichkommt, eingeschätzt, sondern die Sprache wird aich mit wertenden Adjektiven wie "schön" oder "häßlich" bezeichnet.[7] Die Frage nach dem Sprachprestige geht auch in das Thema der Sprachbewertung ein. Gerade das Französische weist hier eine lange Tradition auf. So galt es früher zum Beispiel auch am deutschen Königshof und in Adelskreisen als "chic" französisch zu sprechen und eine französische Gouvernante, die sich um die Erziehung der Kinder kümmerte, kam fast schon einem Statussymbol gleich.

[...]


[1] Siegfried Jäger, Probleme der Soziolinguistik, Göttingen,1975, 3

[2] Ferdinand de Saussure, Cours de Linguistique Générale, Paris, 1960, 36

[3] Ulrich Ammon, Neue Aspekte der Soziolinguistik, Weinheim und Basel, 1975, 10

[4] Günter Holtus (Hg.)/ Michael Metzelin/ Christian Schmitt, Lexikon der romanistischen Linguistik, Band V,1, Tübingen, 1990,232

[5] günter holtus e.a.,LRL, 231

[6] vergl.: Günter Holtus e.a., LRL, 231

[7] vergl.:Günter Holtus e.a., LRL, 232

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Soziolinguistik
Hochschule
Universität Paderborn  (Romanistik)
Veranstaltung
Einführung in die romanische Sprachwissenschaft
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1994
Seiten
20
Katalognummer
V11462
ISBN (eBook)
9783638176200
ISBN (Buch)
9783638757454
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziolinguistik, Einführung, Sprachwissenschaft
Arbeit zitieren
Simone Ernst (Autor:in), 1994, Die Soziolinguistik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11462

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