Peter Handkes vordergründig eindeutige Parteinahme für Serbien ("Gerechtigkeit für Serbien") sorgte wie kein anderer Beitrag eines Intellektuellen zu den Balkankriegen im letzten Jahrzehnt für erregte Debatten im europäischen Feuilleton. Von Anfang an verließ die öffentliche Diskussion um Handke und seine konträre Sicht des Zerfalls Jugoslawiens die Bahn seriöser, um Aufklärung
bemühter Aufarbeitung. Der bei aller Kritikwürdigkeit der angreifbaren Darstellung Handkes von ihm initiierte Denkanstoß, Bilder und Ansichten vom Krieg kritisch zu hinterfragen, wurde nicht aufgegriffen. Im Gegenteil: Handke geriet in einen Krieg der Kritik, dessen Kreuzfeuer vor allem auf den Autor persönlich gerichtet war.
Die Magisterarbeit hingegen, die den zu einfachen Vorwurf, Handke sei "serbophil", entkräften kann, rekonstruiert ausführlich in einer Kritik "ohne Kritik" (J. Derrida) das Engagement Handkes vor dem Hintergrund seiner Biografie, seines Werkes, seiner Poetik und seiner Geschichtsauffassung. Ideologiekritisch und literaturwissenschaftlich fundiert werden die zentralen Texte des Schriftstellers zu den Jugoslawienkriegen, drei Reiseberichte und ein Theaterstück, interpretiert.
Die Arbeit schafft so, jenseits des alle Ambivalenzen negierenden und oft nur denunziatorischen Mediendiskurses, die Voraussetzung für eine differenzierte (und damit gerechtere?) Beurteilung der nahezu unentwirrbaren Causa Handke - eine Beurteilung, die natürlich auch das Problematische und die Aporien der Handkeschen Darstellung und politischen Haltung klar benennt. Das Buch lädt dazu ein, Handkes Beiträge zu Jugoslawien und seine Werke vor der Folie des Gezeigten erneut und neu zu lesen.
Inhaltsverzeichnis
- I. TEIL: Im Rausch(en) der Medien
- 1. Einleitung: „Kritik ohne Krieg“ (J. Derrida)
- 2. Einerseits: Peter Handke im Krieg der Kritik
- II. TEIL: Andererseits ...
- 3. Biographische Begründungen
- 4. Die antitotalitäre, offene Poetik Peter Handkes
- 4.1 Frühe Konfessionen: Wider eine „engagierte“ Literatur (Sartre), für die Autonomie einer sprach- und erkenntniskritischen Literatur
- 4.2 Drei Bausteine einer Poetik des Peripheren als Essenz
- 4.2.1 Erster Baustein: Das „unschuldige Sehen“ des „poetischen Denkens“ im Gefolge von Kleists Über das Marionettentheater
- 4.2.2 Zweiter Baustein: Phänomenologische Beschreibung der Welt (Husserl), ,,Realisieren“ einer Schriftlandschaft (Die Lehre der Sainte-Victoire, 1980)
- 4.2.3 Dritter Baustein: Das Postulat einer „anderen Geschichte“, Überlegungen mit Nietzsche und Benjamin
- 4.3 Intertextualität als Erinnerungspraxis im Modus der „,,Wiederholung“
- 4.4 Den „,Elfenbeinturm“ durchstreichen: Politische, gesellschaftskritische und ethische Implikationen im „Neuen Subjektivismus“ Handkes
- 5. Die Anwendung der Poetik im Werk: Das Slowenien-Epos Die Wiederholung (1986)
- DREHPUNKT: Die „Fiktion des Faktischen“ (H. White), zur Geschichtsschreibung in Handkes,,letztem Buch" Noch einmal für Thukydides (1990/95)
- III. TEIL: Peter Handke in Serbien: Kontinuitätslinien
- Exkurs: Die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre
- 6. Historia als (Er-)Fahren: Drei Reiseerzählungen zu Serbien (1996/2000) als Gegen-Geschichten
- 7. Ankunft in der Postmoderne: Das Ende der Geschichte in Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg (1999)
- 8. Rückkehr an den Anfang: „Publikumsbeschimpfung“ – die (rebellische) Kritik Handkes an den Medien und der Interventionspolitik des Westens
- SCHLUSS
- 9. Aporien: Die Wege Handkes als „Abwege“ (?)
- 10. Die Unabschließbarkeit denken
- LITERATURVERZEICHNIS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit befasst sich mit dem Werk Peter Handkes im Kontext der Jugoslawienkriege der 1990er Jahre. Sie analysiert Handkes scheinbar eindeutige Parteinahme für Serbien und untersucht die Kontinuitätslinien seiner Poetik, die sich in seinen Texten zu Jugoslawien widerspiegeln. Die Arbeit zielt darauf ab, Handkes Positionierung im öffentlichen Diskurs zu beleuchten und die Kritik an seinen Texten im Kontext der Medienlandschaft und der politischen Situation der Zeit zu analysieren.
- Die Rolle der Medien im Jugoslawienkonflikt und die Kritik an deren einseitigen Berichterstattung
- Die antitotalitäre, offene Poetik Peter Handkes und ihre Anwendung im Werk
- Die Kontinuitätslinien in Handkes Werk, die sich in seinen Texten zu Jugoslawien zeigen
- Die Kritik an Handkes Positionierung und die Debatte um seine „Serbophilie“
- Die Bedeutung von Geschichte und Erinnerung in Handkes Werk
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Ausgangsthese der Arbeit vor: Handke wurde durch die Medien systematisch vom rationalen, öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Derrida wird als Bezugspunkt für die Kritik „ohne Krieg“ herangezogen, um die Medienlandschaft als ein undifferenziertes Rauschen zu charakterisieren, das eine tabulose und unvoreingenommene Perspektive verhindert.
Kapitel 2 beleuchtet Handkes Positionierung im Krieg der Kritik und analysiert die affektbesetzten Reaktionen auf seine Texte zu Jugoslawien. Die Arbeit argumentiert, dass Handkes Eintreten für Serbien dazu diente, sein schriftstellerisches Werk insgesamt ex post zu verurteilen.
Kapitel 3 und 4 befassen sich mit der antitotalitären, offenen Poetik Peter Handkes. Es werden die frühen Konfessionen Handkes gegen eine „engagierte“ Literatur und für die Autonomie einer sprach- und erkenntniskritischen Literatur dargestellt. Die drei Bausteine der Poetik des Peripheren werden analysiert: das „unschuldige Sehen“ des „poetischen Denkens“, die phänomenologische Beschreibung der Welt und das Postulat einer „anderen Geschichte“.
Kapitel 5 untersucht die Anwendung der Poetik im Werk anhand des Slowenien-Epos Die Wiederholung (1986).
Der Drehpunkte befasst sich mit der „Fiktion des Faktischen“ (H. White) und analysiert die Geschichtsschreibung in Handkes „letztem Buch“ Noch einmal für Thukydides (1990/95).
Kapitel 6 analysiert drei Reiseerzählungen zu Serbien (1996/2000) als Gegen-Geschichten, die die Historia als (Er-)Fahren darstellen.
Kapitel 7 untersucht Handkes Stück Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg (1999) und analysiert die Ankunft in der Postmoderne und das Ende der Geschichte.
Kapitel 8 befasst sich mit Handkes „Publikumsbeschimpfung“ und analysiert seine (rebellische) Kritik an den Medien und der Interventionspolitik des Westens.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen Peter Handke, Jugoslawienkriege, Medienkritik, Poetik, Antitotalitarismus, Geschichte, Erinnerung, Serbien, Kontinuitätslinien, „Serbophilie“, öffentliche Debatte, Literaturwissenschaft.
- Quote paper
- M.A. Roland Schmeltzer (Author), 2001, Die Kunst, Geschichte zu schreiben - Peter Handke und die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114489