Wenn die Philosophie in das Gefilde einer Spezialwissenschaft eindringt, um von den Frücten, die dort geerntet wurden, mitzuessen, so kann es mitunter vorkommen, daß dem Philosophen die besondere Schmackhaftigkeit einer Frucht bewußt wird, die dem Spezialwisseschaftler bis dahin verborgen geblieben ist. So könnte man es beschreiben, wenn Robert Brandom den der Sprachwissenschaft durchaus geläufigen, der Philosophie aber weitgehend fremden Begriff der Anapher aufgreift, weil er das Potential entdeckt, das dieser Begriff für sein Denken darstellt. Zwar gibt es auch andere Autoren, die philosophisches Interesse an der Anapher gezeigt haben. Doch Brandom ist sicher derjenige, der diesem Begriff die größte Ehre erwiesen hat, indem er ihn zu dem grundlegendsten Bestandteil seiner semantischen Theorie gemacht hat. Wie er dies macht, soll in diesem Aufsatz erklärt werden.
Zunächst muß gezeigt werden, was diesen Begriff für ein philosophisches System interessant macht. Dazu wird eine allgemeine Einführung in Brandoms „Making it Explicit“ geboten, die sich einseitig darauf konzentriert, zu dem Begriff der Anapher hinzuführen. Danach wird dieser als sprachliches Phänomen erklärt. Ausgehend von dem elementaren Fall der intersetentialen Anapher werden zunehmend problematische Beispiele vorgeführt, die belegen sollen, daß es sich hierbei um ein äußerst komplexes und uneindeutiges Phänomen handelt. Die Frage ist, ob die Anapher zwangsläufig einen Vorgänger haben muß bzw. ob ein solcher immer auffindbar sein muß? Mit dem Betreten des intrasententialen und interpersonalen Bereichs wird es wichtig, den Gegenstandsbezug singulärer Termini und schließlich den Weltbezug der Sprache allgemein zu berücksichtigen.
Es wird Brandoms Strategie gefolgt, die schließlich zu der Gegenüberstellung von Deixis und Anapher führt. Das Besondere und Neue an dieser Gegenüberstellung ist, daß der Anapher eine Bedeutung zugewiesen wird, die die der Deixis übersteigt. Es wird sich zeigen, daß Brandom die Anapher dazu verwendet, eine holistisch verfaßte Begriffswelt zu öffnen und an die außersprachliche Welt anzubinden. Erst nach dieser Öffnung kommen deiktische Ausdrü-cke ins Spiel, die immer noch die kürzeste Verbindung zwischen Wort und Welt darstellen.
Ob es Brandom gelingt, bei der Auswertung der Anapher für seine Zwecke der Komplexität dieses Phänomens gerecht zu werden, sei hier eine weitere Frage. Wenn sich die Anapher als ein zweifelhafter Mechanismus erweist, so wird damit auch die von Brandom genutzte Be-deutung dieses Begriffs in Zweifel gezogen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Unterwegs zur Anapher
- Semantik und Pragmatik
- Das semantische Vokabular: Inferenz, Substitution, Anapher (ISA)
- Inferenz
- Substitution
- Anapher
- Die Anapher – Von der semantischen Geschlossenheit zum Weltbezug der Sprache
- Exkurs: Die Anapher und die Bezeichnung von Gegenständen durch singuläre Termini
- Formen und Probleme der Anapher
- Intrasententiale Anapher
- Anaphorische Ketten - Inter- und intrasententiale Anapher
- Exkurs: Bach-Peters-Sätze – Anaphorische Zirkel oder anaphorischer Konvent
- Anapher versus Deixis?
- Anapher im Diskurs
- Deixis setzt Anapher voraus
- Schlussbemerkung
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Aufsatz analysiert Robert Brandoms semantische Theorie in „Making it Explicit“ und beleuchtet die zentrale Rolle der Anapher in diesem System. Ziel ist es, die Bedeutung der Anapher für Brandoms Denken zu erklären und ihre Funktion im Kontext seiner Theorie zu verdeutlichen. Der Aufsatz untersucht, wie Brandom die Anapher als grundlegendes Element seiner semantischen Theorie einsetzt, um die Verbindung zwischen Sprache und Welt zu erklären.
- Die Bedeutung der Anapher in Brandoms semantischer Theorie
- Die Rolle der Anapher bei der Verbindung von Sprache und Welt
- Die Unterscheidung zwischen Anapher und Deixis
- Die Bedeutung von Inferenz und Substitution in Brandoms Theorie
- Die Analyse von Formen und Problemen der Anapher
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema ein und stellt die Relevanz der Anapher für Brandoms Philosophie dar. Sie erläutert die Grundzüge von Brandoms „Making it Explicit“ und skizziert den Aufbau des Aufsatzes.
Das Kapitel „Unterwegs zur Anapher“ behandelt die grundlegenden Elemente von Brandoms Theorie, insbesondere die Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik. Es erklärt die Bedeutung von Inferenz, Substitution und Anapher als zentrale Elemente des semantischen Vokabulars.
Das Kapitel „Die Anapher – Von der semantischen Geschlossenheit zum Weltbezug der Sprache“ analysiert die Anapher als sprachliches Phänomen und untersucht ihre Funktion bei der Verbindung von Sprache und Welt. Es beleuchtet verschiedene Formen und Probleme der Anapher, einschließlich der Unterscheidung zwischen intrasententialer und intersententialer Anapher.
Das Kapitel „Anapher versus Deixis?“ vertieft die Analyse der Anapher und stellt sie in Beziehung zur Deixis. Es untersucht die Rolle der Anapher im Diskurs und zeigt, wie Deixis auf Anapher aufbaut.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Anapher, die Semantik von Robert Brandom, „Making it Explicit“, Inferenz, Substitution, Deixis, Weltbezug der Sprache, Sprachphilosophie, Pragmatik, Diskurs, singuläre Termini, propositionale Gehalte, logisches Vokabular, begrifflicher Gehalt, Designiertheit, materiale Richtigkeit.
- Quote paper
- Axel Schubert (Author), 2001, Die Anapher und der Weltbezug der Sprache - Zu Robert Brandoms Semantik in "Making it Explicit", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114291