Die Diagnose einer geistigen Behinderung des eigenen Kindes löst zunächst Ängste und Unsicherheiten über Entwicklungsperspektiven und Zukunft des Kindes bei den Eltern aus. Studien zeigen, dass diese Beunruhigungen – ausgehend von einer Diagnose im Kleinkindalter – bestehen bleiben und sich mindestens 30 % bis 40 % der befragten Mütter, deren Kinder mit geistiger Behinderung bereits die Schule besuchen, als hoch belastet erleben.
Während einige Eltern den Übergang von der Kindertageseinrichtung zur Schule als Chance wahrnehmen, sorgen sich andere vor dem schulischen Erwartungsdruck und vor einer Selektion durch die Bewertung von Schulleistungen. Die Eltern von Kindern mit einer Behinderung fühlen sich zudem belastet und verunsichert, da sie Misserfolge, fehlende Wertschätzung und Stigmatisierung an Schulen befürchten. Zudem können denkbare Vergleiche mit anderen Kindern die Eltern unter Druck setzen.
Da das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg explizit auf die Relevanz der Beratungskompetenzen von Lehrkräften verweist, wird im Folgenden ein Leitfaden entwickelt, der den Beratenden im Gespräch mit Eltern Orientierung und Sicherheit bieten kann.
Erstellung eines Leitfadens: Lehrkräfte erhalten Orientierung und Sicherheit in
Beratungsgesprächen mit Eltern bezüglich der Einschulung eines Kindes mit
geistiger Behinderung
Die Diagnose einer geistigen Behinderung des eigenen Kindes löst zunächst Ängste und Unsicherheiten über Entwicklungsperspektiven und Zukunft des Kindes bei den Eltern aus. (Sarimski et al, 2013, S. 15). Studien zeigen, dass diese Beunruhigungen - ausgehend von einer Diagnose im Kleinkindalter - bestehen bleiben und sich mindestens 30% bis 40% der befragten Mütter, deren Kinder mit geistiger Behinderung bereits die Schule besuchen, als hoch belastet erleben (Baker et al. 2002, 2003; Dyson 1993; Emerson 2003; Innocenti et al. 1992; Lang et al. 2012, zitiert nach Sarimski et al., 2013, S. 19).
Während einige Eltern den Übergang von den Kindertageseinrichtung zur Schule als Chance wahrnehmen, sorgen sich andere vor dem schulischen Erwartungsdruck und vor einer Selektion durch die Bewertung von Schulleistungen. Die Eltern von Kindern mit einer Behinderung fühlen sich zudem belastet und verunsichert, da sie Misserfolge, fehlende Wertschätzung und Stigmatisierung an Schulen befürchten. Zudem können denkbare Vergleiche mit anderen Kindern die Eltern unter Druck setzen (Grüter & Kottmann, 2018, S.82-92).
Da das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg (o.D.) explizit auf die Relevanz der Beratungskompetenzen von Lehrkräften verweist, wird im Folgenden ein Leitfaden entwickelt, der den Beratenden im Gespräch mit Eltern Orientierung und Sicherheit bieten kann.
Themen wie individuelle Lern- und Entwicklungsbegleitung, Diagnostikverfahren, rechtliche Grundlagen und Beantragung der Eingliederungshilfe sind mit Sicherheit für diesen Kontext relevant. Um aber den Umfang dieserArbeit einzuhalten, bezieht sich der Leitfaden ausschließlich auf das Elterngespräch nach Feststellung der Diagnose geistige Behinderung. Er ist somit nur ein Teil der Prozesse in der sonderpädagogischen Frühförderung. Ausgangslage der Beratung ist das Ernstnehmen der Sorgen und Ängste der Eltern bezüglich der Einschulung.
Übergang von Kindertageseinrichtung zur Schule
Bei dem Übergang von Bildungseinrichtungen wird von Transitionausgegangen.
Griebel und Niesel (2011, S. 37) definieren Transitionen als „Lebensereignisse, die Bewältigung von Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern, Prozesse beschleunigen, intensiviertes Lernen anregen und als bedeutsame biografische Erfahrungen von Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen werden.“ DerWechsel von Kindertageseinrichtung zur Schule bedeutet somit für Kinder nicht nur eine Umstrukturierung der Lebenswelt, sondern ein Lernen und eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Hinsichtlich dieses Übergangs lässt sich von einem normativen kritischen Lebensereignis ausgehen, das Entwicklungsanforderungen an das Kind mit sich bringt, welche von ihm überwunden werden müssen, um durch die Bewältigung ein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen und neue Kompetenzen zu entfalten (Griebel & Niesel, 2011, S.28-29). Problembehaftet könnte der Übergang in dem Sinne sein, dass Transitionen laut Griebel und Niesel (2011, S. 27) nicht nur Entwicklungschancen, sondern auch Risiken und negative Entwicklungen fürjunge Kinder implizieren können. Dennoch haben die Ergebnisse eines Interviews mit Kindern zur bevorstehenden Einschulung von Kaiser und Bloch (2018, S. 2829) gezeigt, dass sie dem Schulanfang positiv begegnen, sie sich aufSchulranzen u.Ä. freuen und Freundschaften während des Übergangs als wichtig einschätzen. Zudem äußerten sie Neugierde und Freude. Damit derWechsel problemlos gelingen kann, benötigen sie Unterstützung von außen. Diese kann durch Fachkräfte des Kindergartens und der Schule, Freundschaften und den Eltern gegeben werden (Kaiser & Bloch, 2018, S.33-34).
Griebel und Niesel (2011, S. 118-119) betonen ebenfalls den prozesshaften Charakter, indem sie alle Beteiligten, deren Zusammenwirken und deren Kompetenzen, die für einen gelungenen Übergang erforderlich sind, fokussieren. Der Wechsel von Bildungsinstitutionen stellt daher nicht nurfür das Kind eine Entwicklungsaufgabe dar, sondern auch für die an diesem Prozess beteiligten Eltern. Sie gehen ebenfalls neue soziale Beziehungen ein, sind für den schulischen Erfolg ihres Kindes mitverantwortlich, verarbeiten herausfordernde und belastende Emotionen und erweitern ihr Selbstbild (Griebel & Niesel, 2011.S. 119).
Besonderheit geistige Behinderung
Die Ausarbeitung bezieht sich auf das baden-württembergische Schulrecht und - system.
Eltern von Kindern mit einem festgestellten Förderbedarf können diesen in einem sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) oder in einem inklusiven Bildungsangebot an einer allgemeinen Schule einlösen (§ 81 Abs. 2 SchG). Dieser Gestaltungsspielraum kann als große Chance angesehen werden, beinhaltet aber auch die Verantwortung der Entscheidung für den Bildungsweg des Kindes. Das Treffen dieser Wahl unter Berücksichtigung der elterlichen Sorgen erfordert ein kompetentes und einfühlsames Beratungsgespräch.
Hinzu kommt, dass sich Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung schon seit der Diagnose ständig mit Interventions- und Präventionsmaßnahmen beschäftigen - auch hinsichtlich der Einschulung - und somit derTransitionsprozess verlängert wird. (Margetts, 2003, zitiert nach Albers & Lichtblau, 2014, S.18).
Des Weiteren zeigen die Ergebnisse derAOK-Familienstudie (SINUS-lnstitut2014, S. 17) auf, dass sich Eltern von Kindern, die vor dem Schulanfang stehen beziehungsweise sie bereits besuchen, besonders zeitlich belastet fühlen. Besonders derAlltag von Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung beinhaltet hinsichtlich häufigerArzt- und Therapietermine, dem hohen Pflegebedarf, der körperliche und zeitliche Anstrengung mit sich bringt sowie der Organisation des Tagesablaufs nach den Bedürfnissen des Kindes noch weniger Erholungszeit (Sarimski, 2015, S. 5).
Während Lietzmann und Wenzig (2017, S.5) beschreiben, dass im Durchschnitt Mütter, deren jüngstes Kind durchschnittlich sieben Jahre alt ist, wieder in Vollzeit erwerbstätig sind, verweisen die Ergebnisse der Kindernetzwerk-Studie derAOK (2014, S. 17) auf die finanzielle Belastung von Eltern von Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarfdurch erhöhte Kosten fürmedizinische, pflegerische und medikamentöse Versorgung. Dazu kommt, dass diese Mütter nach der Geburt ihres Kindes ihre Arbeit ganz aufgegeben (26,2%) oder stark reduziert haben (50,6%) und nur 12 Prozent der Mütter eine Vollzeitbeschäftigung ausführen. Vergleicht man die finanzielle Situation miteinander (im Durchschnitt arbeiten Mütter kurz nach dem Schuleintritt ihres Kindes wieder in Vollzeit versus nurzwölf Prozent der Müttervon Kindern mit Behinderung arbeiten in Vollzeit) und geht man davon aus, dass sich die Eltern untereinander ebenfalls vergleichen, lassen sich auch finanzielle Sorgen bezüglich des Übergangs für Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung erkennen.
Zudem dürfen im Zusammenhang von geistiger Behinderung und Einschulung die anfangs aufgeführten Verunsicherungen, Sorgen und Belastungen bezüglich Selektion durch Diagnose und Leistungsunterschiede nicht außerAcht gelassen werden (Grüter & Kottmann, 2018, S.90-91).
Festhalten lässt sich, dass es sich bei dem Übergang der Bildungsinstitutionen um eine prozesshafte Transition handelt, die nicht nur Entwicklungsaufgaben für Kinder, sondern auch für ihre Eltern die Bewältigung von Emotionen und die Erweiterung des Selbstbilds beinhaltet. Eine geistige Behinderung kann zusätzliche Aufgaben und Ängste bezüglich der Einschulung bergen. Daher ist es besonders wichtig, auch den Eltern einen Ort für Bedenken einzuräumen und diese kompetent zu beraten. Beleuchtet man die von Albers und Lichtblau (2014, S. 27) aufgezeigten Ergebnisse, dass auf Konflikte zwischen Familien und Bildungsinstitutionen erfolglose Transitionensverläufefolgen können, wird ersichtlich, wie hoch die Relevanz einer gelungenen Elternberatung in dieserAngelegenheit ist. Auch Petriwskyj (2014, S. 202) betont, dass eine wirksame Kommunikation von gegenseitigem Respekt, Vertrauen und geteilter Kraft aller Beteiligten abhängig ist.
Da eine erfolgreiche Elternberatung somit in diesem Kontext unverzichtbar ist und ebenso ein Ansatz, der die Wertschätzung und die aktive Beteiligung der Eltern fokussiert, herangezogen werden sollte, wird nun die Kooperative Beratung nach Mutzeck aufgezeigt.
Kooperative Beratung nach Mutzeck
Die Kooperative Beratung ist eine personenzentrierte Beratungsmethode, die Ratsuchende als Experte ihrerWeltsicht und Lebenswelt ansieht, durch Freiwilligkeit, beidseitigerVerbindlichkeit und Verantwortung sowie Gleichwertigkeit gekennzeichnet ist, sich durch eine ressourcen- und lösungsorientierte Gesprächsführung auszeichnet und häufig in pädagogischen Arbeitsfeldern eingesetzt wird (Mutzeck, 2008a, S. 9; Mutzeck 2008bS.10).
Bezugsrahmen der Kooperativen Beratung
Mutzeck (2008a, S.11) skizziert den Bezugsrahmen seiner Kooperativen Beratung als eine dreigliedrige Schachteltheorie, die mit einer äußeren Hülle (Menschenbildannahme), einem mittleren Rahmen (Handlungstheorie) und einem inneren Kern (Beratungskonzeption) aufgebaut ist.
Menschenbildkonzeption
Grundlage der Kooperativen Beratung ist das humanistische Menschenbild. Der Mensch wird als ganzheitliches Wesen angesehen, dem bestimmte Fähigkeiten zugesprochen werden. Er ist somit potenziell in der Lage zu denken, entscheiden, fühlen, sprechen und handeln. Ebenso wird davon ausgegangen, dass er ein potenziell aktives Wesen ist, und in Intraaktion (zu sich selbst) als auch Interaktion (zu seinen Mitmenschen) treten kann. Zudem besitzt erfolgende Fähigkeiten, die er stets weiterentwickeln kann: Reflexivität, Rationalität und Intentionalität, Sinnorientierung und Erkenntnisfähigkeit, Emotionalität, Verbalisierungs- und Kommunikationsfähigkeit, Handlungskompetenz sowie Autonomie. In der Kooperativen Beratung werden die Ratsuchenden in diesen weitergehend angeregt (Mutzeck, 2008a, S.11-12).
Handlungskonzeption
Mutzeck (2008a, S. 13-15) geht zudem von einem handelnden Menschen aus, der Handlungen bewusst, zielgerichtet, geplant, willentlich, interaktiv, norm- und wertorientiert, ausgewählt, abgewogen und entschieden vollzieht. Der Mensch ist also fähig, etwas zu verändern, erhalten, verhindern oderzu unterlassen und agiert nach seinem subjektiven für ihn sinnvollen Ermessen. Dabei wird seine Handlung von Einflussfaktoren wie zum Beispiel individuellen mentalen Prozessen gelenkt. Der Mensch Kann allerdings seine Wirklichkeit nur so preisgeben, wie er sie subjektiv erlebt. Da es nicht möglich ist, die Wirklichkeit objektiv zu erfassen, kann ein Außenstehender das Ziel und den Sinn einer Handlung nur durch Interpretationen der Beobachtenden schlussflogern.
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- Quote paper
- Anonymous,, 2020, Lehrkräfte erhalten Orientierung und Sicherheit in Beratungsgesprächen mit Eltern bezüglich der Einschulung eines Kindes mit geistiger Behinderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1141805
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