Kultur erscheint zum einen als wenig greifbarer und allumfassender Begriff, zum anderen erscheint es als reichlich konkret im Bezug auf die sogenannte Kulturindustrie in Form der darstellenden Künste in Sprech- und Musiktheatern. Dennoch ist der Fokus auf die Ökonomie recht unterbelichtet. Hamburg gilt zwar weltweit als Musicalstandort nach New York und London auf Platz 3. Dennoch sind die Details und Hintergründe dazu recht unbekannt. Kultur gilt so als Side Show und Brückenfunktion, um den Standort Hamburg und die dazugehörige Metropolregion zu stärken. Dennoch hat eben diese Region zahlreiche Defizite, und schöpft ihr Potential nur unbefriedigend aus.
Inhalt
Einführung: Das Lernen lernen und Fragen entdecken
1 Kultur als Ware
1.1 Kulturindustrie
1.2 Ökonomische Effekte
1.3 Musicals und Tourismus
1.4 Kulturpolitik vs. Stadtentwicklung
2 Standortpolitik
2.1 Ausgangslage und Entstehung
2.2 Reaktionen und Folgen
2.3 Neue Regionalpolitik
2.4 Die Kontroverse
2.5 Clusterpolitik
3 Kreative Stadt als Wachstumsmotor?
Fazit
Mögliche Fragestellungen zur weiteren Bearbeitung
Literaturverzeichnis
„Ohne zu schreiben, kann man nicht denken; jedenfalls nicht in anspruchsvoller, anschlussfähiger Weise.“
Niklas Luhmann, deutscher Soziologe, 1927-1998
Einführung: Das Lernen lernen und Fragen entdecken
Bevor nun gleich zu Beginn die altbekannte Schelte auf Soziologen im Besonderen und akademische Erörterungen und Wissenschaft im Allgemeinen beginnt, muss erwähnt werden, dass Luhmann - der spätere Professor und gleichsam Popstar der Soziologie - als studierter Jurist noch bis 1962 als Verwaltungsbeamter arbeitete, unter anderem am Oberverwaltungsgericht in Lüneburg und im niedersächsischen Kultusministerium. 1961 arbeitete er des Weiteren als Referent an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Promotion und Habilitation in der Soziologie folgten aus persönlichen Motiven anschließend 1968. Das genügt uns zum Einstieg, um neben dem Eingangszitat hier eine erste Verbindung von Verwaltung und Wissenschaft zu erkennen, um darüber nun zu den ersten Grundlagen, nicht zuletzt: des Lernens, zu kommen.
Wir wählen diesen kurzen Umweg samt Zitat, um zu skizzieren, warum erstens Theoriebindung und /-bildung wichtig sind, und zweitens, warum das affektive und kognitive Lernen von Bedeutung sind. Soll heißen: Lesen, Lernen, Denken, Schreiben und Handeln gehen eine - oft leider unheilvolle - Symbiose ein. Unheilvoll schon deshalb, weil das Gelesene und Erlernte sowie die eingereichte Arbeit im schlimmsten Fall dann nicht dem entsprechen, was Curriculum und Lehrkraft erwarten. Im besseren Fall folgen bereits in der Lehrveranstaltung der akademisch begründete Zweifel, der Widerspruch und die Diskussion darum, wie das Gehörte zu verstehen sei, und was es nun „bedeute“. Erst über das Schreiben jedoch gelingt eine erste Annäherung, wie das oben genannte Zitat andeuten möchte. Schließlich ist man so gezwungen, die Gedanken näher auszuformulieren, Lücken der Erklärung zu finden und möglichst zu schließen, was durchaus nicht immer gelingt.
Im Ergebnis möchte dieses Papier als Arbeitshilfe dazu ermutigen, Fragen zu stellen, um im Rahmen dieses Kurses erste Erklärungen zu finden. Das sind nicht zwingend abschließende Antworten, sondern erste Hilfestellungen und Hinweise, um weitere Arbeiten abzuleiten.
„Was soll ich damit? Das brauche ich nie wieder!“
Und schon ist man mittendrin in der Theoriebildung und der Diskussion, was man denn damit schon anfangen soll, respektive ob und dass man all das in seinem späteren Berufsleben der Hamburger Verwaltung und dem persönlichen Alltag nie wieder benötigen wird. Speziell zum Thema der Standortpolitik liegt es dennoch nahe, sich insbesondere in unserem Kontext der Verwaltungsausbildung näher mit diesem Gegenstand zu beschäftigen. Denn die Auswirkungen erleben alle, die sich in dieser Stadt bewegen, nahezu täglich. Vielleicht nehmen Sie selbst sogar begeistert an der einen oder anderen Veranstaltung teil, verteidigen dieses Konzept und ein bestimmtes Event oder verantworten sogar bestimmte Planungen oder Genehmigungen.
Wir wollen nun im folgenden Halbjahr versuchen zu verstehen, wie das wechselseitige Verhältnis von Theorie und Praxis, von Annahmen, Begründungen und Belegen funktioniert. Wir werden etwas über Werturteile und moralische oder politische Bewertungen hören sowie von der Wissenschaft im Allgemeinen und der Ökonomie im Besonderen. Das Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis, von Annahme, Ableitung und Begründung, kann dennoch vorweg als unauflösbar gelten, da sich beide Positionen stets aufeinander beziehen müssen, ohne je einen Ausweg zu finden, sich voneinander befreien zu können: „ Die Unterscheidung von Praxis und Theorie ist eine theoretische Unterscheidung; von ihr aus kann man sehen, dass die Verknüpfung von Theorie und Praxis ein praktisches Problem ist.“ (Vobruba 2017, 179) Das will erklärt werden, und das funktioniert am besten vom Bekannten hin zum Unbekannten, vom Kleinen zum Großen, um so dann wieder den Anschluss zum Bekannten herzustellen und zu verfestigen. Das nennt man den hermeneutischen Zirkel und beschreibt den Lernfortschritt.
Sobald also die Frage im Raum steht, ob man das Erlernte und wenigstens das Gehörte tatsächlich nie wieder braucht, und wozu all das gut sei, beginnt schon die Erörterung und Suche nach Belegen für oder wider das eine wie das andere. Man kann also verifizieren oder falsifizieren, eine These bestätigen oder widerlegen. Schnell steht die unbewiesene These im Raum, dass man die Klausur oder eine Hausarbeit und all das auch ohne dieses oder jenes Wissen besteht, und dass das alles nur Marotten der jeweiligen Lehrkraft sind. Ist das tatsächlich so? Sofort ist man gezwungen zu argumentieren und durch empirische Beweise zu belegen und abzuleiten, sofern man die Diskussion ernst nimmt. Sind die Belege glaubhaft? Das ist schon der Anfang von Wissenschaft und von Theoriebildung: Begründung und Herleitung, um Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu erklären. Im Wald die Bäume zu erkennen, und die einzelnen Bäume als Wald zu erkennen und anschließend zu benennen, um daraus Ableitungen zu bilden, welcher Baum sich wie verhält und warum.
Oder sind das vielleicht nur Schlagworte und Phrasen, die Sie und andere aufgeschnappt haben und nun buchstäblich blind reproduzieren, weil ganze Kohorten von Lernenden und Absolventen diesen Satz irgendwann sagten? Man braucht all das nie wieder? Damit wird das Gesagte zum Glaubenssatz und schließlich zum Narrativ, unabhängig vom Wahrheitsgehalt.
Hier zeigt sich im Übrigen schon die erste Parallele von Standortpolitik, der wissenschaftlichen Evidenz, dem persönlichen Lernverhalten und politischer Meinung. Es kommt zu einer Übergeneralisierung von wenigen paradigmatischen Fällen. Anders formuliert wird das Gesagte mittels anekdotischer Evidenz, die mit verstreuten und empirischen Belegen garniert wird, zu einem Dogma. Man glaubt nur noch, was man glauben will, weil es die eigene Meinung umgehend bestätigt und bekräftigt – ganz ohne tatsächliche empirische Überprüfung. Die erscheint sogar unnötig, eben weil das Modell der Annahmen in sich plausibel erscheint. Und das ist völlig unabhängig von der Seite, die eine Meinung vertritt.
Dass man schließlich nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernt, ist zum einen zwar reichlich abgegriffen, zum anderen belegt es aber genau das, was in solchen festgefahrenen ergo dogmatischen Diskussionen stets passiert: Beide Seiten ziehen sich nur noch auf ihre eingeübten Muster zurück und haben im Zweifel irgendeinen anekdotischen Beleg samt Zitat eines Säulenheiligen, das auswendig gelernt mit dem Brustton tiefer Überzeugung vorgetragen wird. Diese Art der Meinungsbildung funktioniert im politischen wie im wissenschaftlichen Feld und jedem anderen tadellos.
Dennoch soll uns das hier an dieser Stelle zunächst genügen, zu verstehen, wie politische Konzepte, etwa zur Standortpolitik, entstehen, sich ausbreiten und verfestigen.
Dem Klischee nach sind Veranstaltungen aller Art gut für die Stadt, weil sie Geld in die Kassen der Stadt, der Unternehmen und der Einwohner spülen, und alle damit nur gewinnen. Beispiele für solche Veranstaltungen gibt es in Hamburg nahezu wöchentlich. Wie wird das Modell aber erklärt? Wen betrifft das konkret? Wie wirkt sich das aus? Das Thema der Olympischen Spiele 2024/28 bietet sich hier für eine solche Auseinandersetzung förmlich an, da hier sämtliche Punkte, die gemeinhin mit dem Thema der Standortpolitik assoziiert werden, kumulieren (dazu bspw.: Lammers und Maleck 2015). Wer kann in dem Zusammenhang solcher Konzepte allerdings schon begründet herleiten und abgrenzen, was beispielsweise Multiplikatoreneffekte bedeuten? Wer kann die methodischen Mängel aufzeigen? Offen ist dabei schon, was überhaupt wie induziert wird, für welchen Zeitraum das jeweils gilt und wie es sich abbilden lässt.
Der Zirkelschluss
Sicherlich lässt sich nun blitzschnell eine beliebige Wörterbuchdefinition oder ein Paper aus dem Hut respektive dem Smartphone und den Weiten des Internet zaubern. Damit beginnt umgehend das Problem, eine Aussage oder eine Beschreibung bereits für die abschließende Begründung und Herleitung zu halten. Daran scheitern nicht nur Studierende regelmäßig, wenn sie solche Antworten im Stakkato über wenige Stichworte oder Zeilen in die Klausuren schreiben, weil der Rezipient doch schon weiß, was man meint. Oder wenn Hausarbeiten, HypothesenHypothesenh und andere Texte bis hin zur Abschlussarbeit keinerlei inhaltliche Begründung und Auseinandersetzung, sondern nur vordergründige Phänomene liefern, und diese schon für die Erklärung halten.
Hier beginnt schon das nächste Problem, dass nicht alles, was vordergründig plausibel und konsistent erscheint, auch tatsächlich kausal sein muss. Korrelation ersetzt nicht dabei keineswegs Kausalität. Das nennt man dann Empirismus und einen Zirkelschluss: eine Beweisführung, in der das zu Beweisende bereits als Voraussetzung enthalten ist, so im Übrigen die herkömmliche Wörterbuchdefinition. Ebenso, nominale und numerische Werte aufzuzählen, gilt noch lange nicht als Beleg oder als Begründung, wenn diese Werte nicht weiter erklärt oder diskutiert werden. Belastbare Fragen zu formulieren, gehört allerdings zu den Königsdisziplinen der Wissenschaften.
Die nicht zuletzt touristische Attraktivität Hamburgs anhand hoher Besucherzahlen und der zahllosen Attraktionen, die auch die Einwohner selbst faszinieren, zu erklären, ist exakt so ein Zirkelschluss anhand von beliebigen Werten: Eine Aussage ohne inhaltliche Begründung, die nur auf sich selbst rückverweist, aber nichts weiter erklärt oder in einen bestimmten Zusammenhang gebracht wird. Entscheidend dafür ist, die wechselseitigen Bedingungen zu erkennen und zu erklären, die zu einem bestimmten Ergebnis führen. Eine Elbphilharmonie etwa steht dort nicht zufällig, weil man den nutzlos gewordenen Kaispeicher A1 umbauen wollte, und sich gerade nichts anderes ergeben hätte. Dann hätte man dort auch einen Wohnblock, ein Einkaufszentrum, ein Hotel, einen Parkplatz, ein Schnellrestaurant oder irgendetwas anderes hinsetzen können, was jeweils eine durchaus legitime Berechtigung gehabt hätte. Anders formuliert werden oft nur einzelne Resultate und Symptome diskutiert, aber nicht die umfassenden Ursachen und ihre komplexe Entstehung, die erst dazu geführt haben. Das soll nun im Weiteren und hier im Kurs der Fall sein.
Weltstadt Hamburg?
Wir wollen intensiver untersuchen, welche Bedingungen dazu geführt haben, dass Hamburg – neben seinen vielen anderen Etiketten - als sogenannte Kulturmetropole gilt. Das Attribut der Sportstadt (s. Olympia) beispielsweise kumuliert ebenso in der Standortpolitik, wie eine einst ausgerufene Wachsende Stadt (2003), die auch Kreative anzuziehen und Innovationen hervorzubringen vermag. Der ursprüngliche Impuls, ob nun Sportveranstaltung, Tourismus, Kongresse und Messen, Kultur, Events und Musicals und vieles andere mehr, ist im Grunde substituierbar. Sie alle sollen dazu dienen, Hamburg mehr Geltung als Weltstadt zu verschaffen (bspw.: Hüls und Dreyer 2006). Ergo man möchte mit den anderen Metropolen dieser Welt konkurrieren und internationale Gäste samt Kaufkraft anwerben - was bis heute nur bedingt gelingt. Dennoch ist das als Aussage noch immer viel zu plakativ und muss näher ausdifferenziert werden. Denn insbesondere im innerdeutschen, europäischen und internationalen Vergleich weisen Hamburg und die dazugehörige Metropolregion als internationale Großstadt traditionell bestimmte, insbesondere makroökonomische und strukturelle, Mängel auf (Hüther 2019; OECD 2019; Volkmann 1993). Politik und Verwaltung sind demzufolge buchstäblich eingebunden in solche Konzepte einer Standortpolitik, der sie gar nicht entgehen können. Die Ebenen reichen von entsprechenden Konzepten der Regionen der EU bis zur lokalen Ebene vor Ort im Bezirk, der entsprechende Vorgaben umsetzen muss. Man denke etwa an Verkehrskonzepte im Nahverkehr, die eingebunden sind in supranationale Konzepte.
Die Herausforderung besteht dennoch darin, in derart wortreichen Erklärungen hinreichend konkrete Handlungsanweisungen, Möglichkeiten und Hindernisse für die einzelne Ebene samt Finanzierung zu finden. Ansonsten bleiben alle solchen Proklamationen und ihre Gegenargumente stets in der Ebene bloßer politischer Rhetorik. Kultur ist dennoch das Bindeglied. Warum?
1 Kultur als Ware
Der Begriff der Kultur ist zunächst äußerst vielschichtig und ebenso uneindeutig wie kontrovers. Eine abschließende Definition oder gar eine spezifische Bewertung dieses Terminus sucht man vergeblich. Ausgehend vom lateinischen Ursprung cultura bezeichnet es ursprünglich die Bearbeitung, Pflege, Bebauung und Anbau durch den Menschen in der Land- und Forstwirtschaft. Darunter wird demzufolge - und im Gegensatz zur Natur (natura) - alles in Gänze vom Menschen materiell und immateriell Geschaffene verstanden. Das reicht heute weit über Land- und Forstwirtschaft hinaus und ist dem Wesen nach allumfassend, da es kaum noch einen Flecken und einen Bereich auf der Welt gibt, der nicht von Menschenhand in irgendeiner Weise verändert und gestaltet wurde. Kultur umfasst demzufolge sämtliche Bereiche menschlichen Zusammenlebens. Man spricht beispielsweise von Ess- und Trinkkultur, Stadtteilkultur, Jugend- und Subkultur oder von politischer Kultur und allerlei gemeinsamen Ideen, Werten, Idealen, Sinngebungen und Symbolen, die eine vermeintliche Kohäsion erzeugen wie bestätigen sollen. Die Grenze zwischen den einzelnen Teilbereichen einer Kultur zur anderen und der jeweiligen Epoche sind fließend, da sie von den Akteuren permanent selbst gestaltet, übernommen oder verworfen und reproduziert werden. Dass Akteure wiederum bestimmte Bereiche auf- oder abwerten, und etwa von sogenannten Hochkulturen sprechen, die sich durch von ihnen geringgeschätzten, sogenannten primitiven Kulturen, deutlich abgrenzt, liegt im Wesen der Dinge selbst. Hier geht es schließlich auch um Identität, die verteidigt und hergestellt wird. Wer nun im Einzelnen etwa die Populärkultur („ Pop “) gegenüber der Oper und dem klassischen Theater vorzieht oder ablehnt, spielt im Grunde kaum eine Rolle. Das hat eher soziologische Gründe. Denn Kultur schafft stets eine gemeinsame Orientierung in die eine und die entgegengesetzte Richtung, wo man jeweils hingehören möchte oder eben nicht.
Im Wesentlichen umfasst der herkömmliche Bereich der Kultur in der Ökonomie die Aktivitäten von Produktion, Distribution und Erhalt künstlerischer Werke, die entsprechend (u.a.) in Theatern, Orchestern, Filmstudios, Kinos, Museen, Archiven und Bibliotheken erfolgen. Dazu gehören aber auch Verlage und Druckereien sowie die klassischen Medien in Form von Hörfunk und Fernsehen (Volkmann 1993, S. 72). Allein das ist umfassend. Das ifo Institut hatte bereits darauf hingewiesen, dass sich der Bereich Kunst und Kultur zum Zwecke einer Untersuchung nur schwierig abgrenzen lässt und stattdessen eine anthropologische Konstante darstellt (Hummel und Berger 1988, 2ff.). Auch das liefert einen Hinweis auf Beschränkungen möglicher Fragestellungen anstelle pauschalisierender und zuweilen moralisierender Erklärungen.
Es reicht daher an dieser Stelle, sich zunächst auf Kunst und Kultur als darstellendes Spiel zu beschränken. Eine exponierte Rolle nehmen hier allerdings Musicals als Publikumsmagnet und hinsichtlich der Umsätze ein. Straßen- und Stadtteilfeste und dergleichen ergänzen dieses Konzept in Hamburg freilich noch und keineswegs abschließend um die Komponente der ästhetischen Inszenierung des Essens und Trinkens („ Food Trucks“; „Food Market“, „Street Food “ usw.) samt des gemeinsamen - freilich: kommerzialisierten - Vergnügens.2 Oft gehen diese Konzepte fließend ineinander über, und die Anbieter gehen eine Symbiose ein. Es existiert kaum eine Großveranstaltung, auf der nicht auch lokale Gastronomie stattfindet, und Gastronomie, die nicht in irgendeiner Form, etwa durch Aushang und Auslage von Flyern, für diverse kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen wirbt.
Insbesondere für den Standort Deutschland aber ist historisch von immenser Bedeutung, dass es im 18. Jahrhundert die sogenannte Weimarer Klassik hervorgebracht hat. Man fand also Gefallen an Ablenkung und den schönen Dingen des Lebens, parlierte Französisch und gab sich mondän; wenngleich das zunächst nur für bestimmte, sehr kleine und privilegierte Gruppen galt, wie Adel und Klerus und später das sogenannte Bildungsbürgertum. Das repräsentiert zunächst Gruppen, die zum einen über den nötigen Freiraum, und zum anderen über ausreichendes Einkommen verfügen, sich diesen - nicht zuletzt intellektuellen - Genüssen hinzugeben. Sicherlich finden sich frühantike Musikinstrumente, Flöten aus Tierknochen etwa, die darauf schließen lassen, dass sich menschliche Wesen schon sehr früh dieser Art von Vergnügen hingaben, als man noch gar nicht gesellschaftlichen Schichten sprechen konnte. Und auch weit vor dem 18. Jahrhundert findet freilich Musik und künstlerisches Spiel statt.
1.1 Kulturindustrie
Der Turning Point findet mit dem statt, was Horkheimer und Adorno 1944 abschätzig als Kulturindustrie bezeichneten: eine veränderte Produktion und Funktion von Massen- und Populärkultur im Spätkapitalismus3, die alles einförmig mache und sich fortan den Marktlogiken zum einen selbst unterwirft, und zum anderen solche Mechanismen erst nötig hervorbringt, wie sie zuvor eher unüblich waren (Horkheimer und Adorno 2015). Kunst und Kultur werden nun massentauglich, egalitär und damit schleichend zur Ware und zur Marke anstelle des bloßen Müßiggangs. Sie findet nicht mehr ausschließlich für, von und innerhalb von bestimmten Eliten statt, sondern aufgrund von steigender Produktivität sowie höherer Verfügbarkeit von Einkommen und Zeit nehmen sukzessive mehr Bürger solche Angebote in Anspruch. Die Nachfrage weitet sich aus, und damit weitet sich auch das Angebot aus. Etwa 100 Jahre zuvor (1848) beklagten allerdings Marx und Engels bereits wortgewaltig, dass die Bourgeoisie
„ alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet (hat). Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.“ (Marx und Engels 2004, S. 22)
„Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ (Marx und Engels 2004, S. 23)
Eine solche moralische Empörung über eine vermeintliche Entweihung oder Entzauberung (Max Weber) einst sakraler Begriffe übersieht dennoch den inhärenten Zwang zur Ökonomisierung einer entwickelten Gesellschaft und ihrer Mitglieder, die permanent in Austauschbeziehungen mit anderen stehen. Und das gilt seit der Antike, besonders für Städte und deren Machtpolitik und ihre entsprechenden Haushalte im Sinne eines Oikos (Weber 2005, 298f.).4 Das richtet sich als intellektuelles Prinzip aber gar nicht primär an ein spezifisches Wirtschaftssystem oder nach einer Wirtschaftstheorie, sondern vielmehr nach den rationalen Grundsätze, denen ein spezifischer gemeinsamer Sinn des intendierten Handelns zugeschrieben wird (Weber 2005, 43ff.), wie ihn Marx selber im Abschnitt Ware und Geld detailreich und (fast) ganz ohne Eifer beschreibt (Marx 1984, 49ff.). Der entscheidende Punkt ist die organisierte Deckung eines festgestellten Bedarfs, und nicht vorrangig die Kapitalverwertung. Diese können sogar in einem veritablen Widerspruch zueinander stehen. Ihren Ausdruck findet die Haushaltsplanung entsprechend in der Buchführung, welche erst als Kameralistik (einfache Buchführung) und später als sogenannte doppelte Buchführung in Konten („ Doppik “) entsteht. Diese leitet im Übrigen seit 2013 auch den Staatshaushalt der FHH. Kapitalismus und Ökonomie sind somit keine Synonyme. Vielmehr drücken sie bestimmte Beziehungen und Funktionen aus, die sich neben dem politischen (Staats-)Haushalt in Effekte der Mikro- und Makroökonomie unterscheiden lassen. Diesem Umstand muss sich eine diffuse Kapitalismuskritik stellen, die ebenso die notwendige Kodifizierung über Normen, Regeln und Werte des gemeinsamen Zusammenlebens übersieht, die eine Ökonomie und Politik im Sinne von Oikos und Polis erst möglich machen.
1.2 Ökonomische Effekte
Eine expansive Ökonomisierung der Kunst und Kultur in Deutschland zeichnet sich spätestens im letzten Drittel bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ab, die auch dort zum ersten Mal näher analysiert und thematisiert wird (Hummel und Berger 1988). Das hat Gründe. Denn zum einen ist der Markt für solch ein Segment von Kunst und Kultur relativ begrenzt. Zum anderen hält sich permanent das Vorurteil, Kultur erbringe keinen messbaren Nutzen, sondern sei einzig abhängig von staatlichen Zuschüssen, ohne selbst maßgeblich an der Finanzierung beteiligt zu sein. Dennoch ist der Anteil kultureller Leistungen an der Wertschöpfung der gesamten Volkswirtschaft enorm, wurde aber zuvor kaum näher untersucht (Hummel und Berger 1988). Entsprechend wird seither Kultur gefördert, um als Bindeglied und Multiplikator zu wirken. Eine erste Abgrenzung und Zuordnung zeigt sich anhand der Wirtschaftsstatistik.
Die insgesamt 37.000 steuerpflichtigen Unternehmen und Selbstständigen der Musikwirtschaft5 in Deutschland erzielten im Jahr 2015 einen Gesamtumsatz von 9,7 Milliarden Euro. Der größte Anteil entfiel dort mit 27,4 % auf den Wirtschaftszweig Selbstständige Komponisten und Musikbearbeiter (10.200 Steuerpflichtige). Knapp dahinter lagen mit 24,3 % aller Steuerpflichtigen die Unternehmen und Selbstständige der Wirtschaftszweige Erbringungen von künstlerischen Dienstleistungen, Theater- und Konzertveranstalter, Opern-, Schauspiel-, Musical-, Theaterhäuser und Konzerthallen (9.037 Steuerpflichtige). So sind die Wirtschaftszweige mit dem zweitstärksten Anteil am Gesamtumsatz in der Musikwirtschaft (32,9 %) die Erbringungen von künstlerischen Dienstleistungen, Theater und Konzertveranstalter, Opern-, Schauspiel-, Musical-, Theaterhäuser und Konzerthallen. Sie erzielten 2015 zusammen 3,2 Mrd. Euro und haben damit die anteilsmäßig höchsten Umsatzsteigerungen der hier betrachteten Wirtschaftsbereiche gegenüber 2013. Das war eine Zunahme um 2,2 Prozentpunkte (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2020, S. 20).
Eine Begrenzung dieses Marktes und ihres Segments zeigt sich zum einen allein schon räumlich wie geografisch, und zum anderen anhand der Kaufkraft des Publikums und der Anziehungskraft auf jenes Publikum. Das hat betriebswirtschaftliche ergo mikroökonomische Anreize und Auswirkungen für die Anbieter der Leistung. Ergo: Familien und neue Einwohner wählen bewusst Orte mit vielfältigem kulturellem Angebot. Wir haben also zunächst klassisch zwei Seiten: Angebot und Nachfrage, die idealtypisch ins Gleichgewicht kommen müssen. Das sind zwei Seiten, die beide jeweils verschiedene Bedingungen einfordern wie vorfinden müssen, um erstens sich selbst zu entfalten, und zweitens ihre zugeschriebenen Multiplikatoreneffekte zu entfalten. Ansonsten drohen existenzielle Krisen, wie etwa ein Überangebot und die Marktbereinigung mit zum Teil fatalen Folgen, wie etwa Jobverluste oder verlorene Investitionen und dergleichen mehr. Das betrifft sämtliche Kulturbetriebe wie Kulturschaffende, also Theater und weitere Orte der Darbietungen und Entstehungen, Schauspieler und Regie ebenso wie allerlei Personal im Hintergrund samt Peripherie, das direkt und indirekt vom Bereich der Kultur und ihren Aufträgen abhängig ist, allen voran in der Beschäftigung und letztlich ihrer eigenen Kaufkraft, vermittelt über Arbeitseinkommen, aber ebenso über Auftragsvolumnina. Das ist beispielsweise technisches Personal ebenso wie logistisches, vom Catering bis zur Maske über Medien und die Garderobe samt der Verwaltung und Zulieferern usw. Auch hier ist eine Abgrenzung aufgrund des diffusen Kulturbegriffes mitunter schwierig. Das Statistikamt hält dazu fest:
„Die Zahl der Erwerbstätigen in Kulturberufen betrug im Jahr 2018 hochgerechnet 1,3 Mill. Personen, darunter 645 000 Frauen (50,3 %) und 637 000 Männer (49,7 %). Im Vergleich zum Jahr 2013 ist die Anzahl der Erwerbstätigen in Kulturberufen um 51 000 Personen angestiegen. Der Anteil an Erwerbstätigen in Kulturberufen an den Erwerbstätigen in Deutschland insgesamt betrug 3,1 %. Dieser Anteil hat sich gegenüber dem Jahr 2013 nicht verändert. Unter den Kulturberufen nahmen die Berufsgruppen „Lehrtätigkeiten an außerschulischen Bildungseinrichtungen“ (16,9 %), „Technische Mediengestaltung“ (16,3 %) sowie der Bereich „Redaktion und Journalismus“ (12,5 %) im Jahr 2018 erneut die größte relative Bedeutung ein. Auch im Jahr 2018 haben im Bundesländervergleich die Stadtstaaten, insbesondere Berlin und Hamburg, eine besondere Stellung für Beschäftigte im Kunst- und Kulturbereich. In Berlin waren im Jahr 2018 insgesamt 167 000 Personen in Kulturberufen erwerbstätig, in Hamburg 65 000 und in Bremen 14 000 Personen. Der Anteil an allen Erwerbstätigen betrug in Berlin 9,0 %, in Hamburg 6,7 % sowie in Bremen 4,2 %. Somit lagen die Stadtstaaten über dem Bundesdurchschnitt von 3,1 %.“ (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2020, S. 66)
Nur das Attribut Kultur allein sagt somit noch nichts über die Nähe oder Bedeutung für das darstellende Spiel oder die Beschäftigungswirkung in toto aus, dennoch liegt der Anteil der Erwerbstätigen in den sogenannten Kulturberufen insgesamt in Hamburg weit über Bundesdurchschnitt. Das verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung dieses Segments für die Stadt.
[...]
1 Das Gebäude, ursprünglich bezeichnet als Kaiserspeicher zu Ehren Kaiser Wilhelm I., wurde 1875 erbaut durch den Wasserbaudirektor Johannes Dalmann und gilt als erstes Gebäude der später dann ab 1883 folgenden Speicherstadt. 1892 brennt es zum ersten Mal aus und wird renoviert. 1943 wurde der Speicher bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, 1963 endgültig gesprengt und 1966 nach neuen Entwürfen wiedererrichtet. Dennoch war das Gebäude beim Neubau schon veraltet und nicht mehr den neuen Anforderungen des modernen, normierten Warenverkehrs durch Gabelstapler, Paletten und Container gewachsen. Bis zum Frühjahr 2001 wurde das Gebäude dennoch sporadisch genutzt und verlangte nach Umnutzung, so wie sich auch der gesamte Hafen permanent neu ausrichten muss.
2 Man stößt hier nahezu unmittelbar auf den Grundsatz der bürgerlichen Gesellschaft und des ihr zugrundeliegenden Schuldrechts, dass man Geld zu haben hat (s. § 275 BGB). Sprich, wer eine übliche Leistung in Anspruch nehmen möchte, muss sie auch zwingend bezahlen und kann sich von dieser Schuld nicht befreien. Ansonsten kann er die Leistung nicht in Anspruch nehmen.
3 Die Unterscheidung in Phasen des Frühkapitalismus (bis zum 18. Jahrhundert), den Hochkapitalismus im 19. Jahrhundert und dem Spätkapitalismus nach dem 1. Weltkrieg ist eine ideologische, zumeist marxistische, Herleitung, die mit der Annahme bestimmter evolutionärer Prozesse hin zum Zusammenbruch operiert, die sich empirisch so nicht halten lässt, da sie nicht zuletzt viele Autoren anders benennen und begründen. Zudem entsteht der Terminus des Kapitalismus erst im 19. Jahrhundert für ein Wirtschaftssystem, das auf Privateigentum, Gewinnstreben, Risiko und der Eigenverantwortung beruht, die allesamt über den Markt gesteuert werden. Ursache ist die frühe Industrialisierung, die im Unterschied zu bisher weitgehend handwerklich geprägter Arbeit und Betrieben große Mengen an Kapital benötigte.
4 Ein solcher Oikos im technischen Sinne umfasst nicht nur bloß den einzelnen privaten Haushalt einer Familie in der griechischen Antike, sondern ebenso zum einen jene daraus abgeleiteten Haushalte ergo Betriebe, die Waren aller Art herstellen und vertreiben, und zum anderen aber auch den Haushalt eines Fürsten oder Grundherren und Patriziers, der eine bestimmte Region verantwortet. Daraus leiten sich bis heute die Grundsätze und Begriffe der modernen Buchführung ab.
5 Die Abgrenzung der Wirtschaftszweige für die Kultur- und Kreativwirtschaft, darunter auch die Musikwirtschaft, wurde im Jahr 2009 durch die Wirtschaftsministerkonferenz vorgelegt und zuletzt im Jahr 2011 aktualisiert. Danach werden folgende Wirtschaftszweige werden unter dem Begriff Musikwirtschaft subsumiert: - Selbstständige Komponisten, Musikbearbeiterinnen und -bearbeiter - Orchester, Kapellen, Chöre, Ballettgruppen - Tonstudios/Herstellung von Hörfunkbeiträgen - Tonträgerverlage - Musikverlage - Theater- und Konzertveranstalter - Opern-, Schauspiel-, Musical- und Theaterhäuser, Konzerthallen etc. - Erbringung von Dienstleistungen für die darstellende Kunst - Herstellung von Musikinstrumenten - Einzelhandel mit Musikinstrumenten und Musikalien - Einzelhandel mit bespielten Tonträgern. Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2020, S. 97.
- Quote paper
- Dr. Uwe Lammers (Author), 2021, Kultur als Ware und Standortfaktor. Kultur- und Standortpolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1141098
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