In der Arbeit geht es insbesondere um den Zusammenhang zwischen Fachberatung in Kindertageseinrichtungen und deren Auswirkungen auf die Praxis. Dabei konzentriert sich diese Arbeit vor allem auf den Aspekt der Kind-Fachkraft-Beziehung.
Es gibt in ganz Deutschland völlig verschiedene Grundvoraussetzungen für eine professionelle Arbeitsweise in Kindertageseinrichtungen, was eine standardisierte Qualitätssicherung zu einer scheinbar unlösbaren Aufgabe macht. Dies zeigt unter anderem eine Studie der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). Demnach waren 13 % der befragten Fachberater*innen für 100 bis 600 Einrichtungen zuständig, während 17 % nur 1 bis 10 Einrichtungen zu beraten hatten. Zur Einordnung muss gesagt werden, dass der DPWV ungefähr 20 Einrichtungen pro Fachkraft empfiehlt. Hier wird deutlich, dass Fachberatung in Deutschland immer noch sehr unterschiedlichen Stellenwert besitzt. Folglich ist die Notwendigkeit gegeben, den Einfluss insbesondere der Fachberatung zu untersuchen, um dessen Bedeutung für Kind und Fachkraft herauszuarbeiten. An dieser Stelle setzt diese Masterarbeit an.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Bindungstheorie
1.1 Historischer Einblick
1.2 Begriffserklärung
1.3 Phasen des Bindungsaufbaus
1.4 Bindungsqualitäten
1.4.1 unsicher-vermeidende B i n d u n g
1.4.2 sichere Bindung
1.4.3 unsicher-ambivalente Bindung
1.4.4 unsicher-desorganisierte/desorientierte Bindung
1.5 Der Einfluss elterlicher Feinfühligkeit
1.6 Resilienz
2. Bindungsstörungen
2.1 Diagnostik nach ICD-10
2.1.1 Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F94.1) und die Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2)
2.2 Weitere Bindungsstörungen
3. Fachberatung in Kindertageseinrichtungen
3.1 Begriffserklärung
3.2 Rechtliche Aspekte und strukturelle Verankerung
3.3 Qualifikation
3.4 Handlungsfelder und Aufgaben
3.5 Kompetenzen
3.6 Herausforderungen und Potenziale
4. Die Kind - Fachkraft - Beziehung
4.1 Entstehung
4.2 Einflussfaktoren
4.3 Merkmale
4.4 Interaktion
4.5 Bildung
4.6 (Zusammen - ) Arbeit mit den Eltern
5. Diskussion
6. Literaturverzeichnis
Einleitung
Nach dem Abitur im Sommer 2015 entschied ich mich für ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Kindertageseinrichtung nahe meiner Heimat. Es sollte für mich der Grundstein meiner bis heute andauernden beruflichen Entwicklung sein. Ohne fachliches Vorwissen bemerkte ich dennoch, dass einige Kinder beispielsweise viel direkter auf mich zukamen um mich anzusprechen als andere. So kam es, dass ich mit einigen Kindern nach ein paar Wochen bereits eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut habe, während andere Kinder mir erst nach über einem halben Jahr ihr Vertrauen schenkten. Meine Anleiterin sagte dazu damals, dass einige Kinder eben etwas mehr Zeit bräuchten, um mit neuen Personen in ihrem Umfeld „warm zu werden“. Was genau dahinter steckt, begriff ich noch nicht. Nun, fünf Jahre später, möchte ich es herausfinden. Bei meiner derzeitigen Tätigkeit als Erzieher in einer Kindertageseinrichtung bekam ich ein Gespür dafür, wie viele verschiedene Faktoren Einfluss auf die Beziehung zwischen Kind und Fachkraft haben können. Im Gespräch mit Kolleg*innen aus meiner Einrichtung, aber auch mit mir bekannten Fachkräften in Kindertageseinrichtungen außerhalb von Neubrandenburg habe ich festgestellt, dass die bewusste Einbeziehung theoretischer Basics wie der Bindungstheorie nicht Arbeitsgrundlage aller Fachkräfte ist. Andererseits beklagen viele Fachkräfte genau das: Zu wenig Unterstützung vom Träger oder der Einrichtungsleitung, zu hoher Betreuungsschlüssel und folglich zu wenig Zeit, mit dem Kind selbst zu arbeiten, wenig bzw. zu selten qualitativer Austausch in Form von Supervision oder Fachberatung. Summa summarum ist die Verzahnung von Theorie und Praxis unter Einbeziehung eines professionellen internen und externen Austausches längst nicht allerorts gegeben.
Die Motivation, mich diesem Thema zu widmen, ist also vielschichtig zu begründen. Zunächst hat meine persönliche Vorgeschichte, insbesondere aber mein beruflicher Werdegang ein natürliches Grundinteresse in mir geweckt. Diesem möchte ich nun nachgehen. Darüber hinaus kann man aber auch eine Aktualität bezüglich der Thematiken feststellen, die mich und viele andere Fachkräfte in großem Maße betreffen.
Es gibt in ganz Deutschland völlig verschiedene Grundvoraussetzungen für eine professionelle Arbeitsweise in Kindertageseinrichtungen, was eine standardisierte Qualitätssicherung zu einer scheinbar unlösbaren Aufgabe macht. Dies zeigt u.a. eine Studie der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). Demnach waren 13 % der befragten Fachberater*innen für 100 - 600 Einrichtungen zuständig, während 17 % nur 1 - 10 Einrichtungen zu beraten hatten. Zur Einordnung muss gesagt werden, dass der DPWV ungefähr 20 Einrichtungen pro Fachkraft empfiehlt (vgl. Leygraf 2013, S. 33 f.) Hier wird deutlich, dass Fachberatung in Deutschland immer noch sehr unterschiedlichen Stellenwert besitzt. Folglich ist die Notwendigkeit gegeben, den Einfluss insbesondere der Fachberatung zu untersuchen, um dessen Bedeutung für Kind und Fachkraft herauszuarbeiten. An dieser Stelle setzt diese Masterarbeit an. Unter dem Titel „ Inwiefern kann Fachberatung in Kindertageseinrichtungen Einfluss auf die KindFachkraft-Beziehung nehmen?“ möchte ich genau diese Frage näher beleuchten. Es geht insbesondere um den Zusammenhang zwischen Fachberatung in Kindertageseinrichtungen und deren Auswirkungen auf die Praxis. Dabei konzentriert sich diese Arbeit vor allem auf den Aspekt der Kind-Fachkraft-Beziehung. Zu Beginn werde ich dabei auf die Bindungstheorie als theoretische Grundlage eingehen. Der historische Einblick dient dazu, die Wurzeln der Bindungstheorie und die daraus entstehenden Entwicklungen nachvollziehen zu können. Nach einer ausführlichen Begriffsklärung werden die Phasen des Bindungsaufbaus und die Bindungsqualitäten näher beleuchtet. Die „Fremde Situation“ wird diesbezüglich oftmals thematisiert, da sie mit genannten Begriffen zusammenhängt. Darüber hinaus wird der Einfluss elterlicher Feinfühligkeit näher beleuchtet. Zum Abschluss des ersten Kapitels wird sich noch den Kindern gewidmet, die trotz widriger Lebensumstände dennoch keine physischen oder psychischen Problemlagen aufweisen. Gesprochen wird in diesem Zusammenhang oftmals von Resilienz.
Das zweite Kapitel knüpft an das erste an und beschäftigt sich mit Kindern, die eben keine Resilienz aufweisen und somit eventuell eine Bindungsstörung davontragen. Der Begriff wird ausführlich erklärt. Es wird in erster Linie das ICD-10 zur Veranschaulichung herangezogen. Als Beispiel dienen zwei bekannte Bindungsstörungen, bevor noch weitere genannt und beschrieben werden. Dieses Kapitel ist vor allem von Bedeutung, um klar zu machen, welche Voraussetzungen Kinder mit einer Bindungsstörung in Bezug auf die Arbeit von Fachkräften in Kindertageseinrichtungen mit genau diesen Kindern mitbringen.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Fachberatung in Kindertageseinrichtungen. Auch dieser Begriff wird erst einmal ausgearbeitet und erläutert, bevor rechtliche Aspekte sowie die strukturelle Verankerung von Fachberatung näher beleuchtet werden. Insbesondere letzteres ist in einem Föderalstaat wie Deutschland oftmals von großer Bedeutung. Der nächste Punkt ist dann die Qualifikation. Es wird in die bestehenden Voraussetzungen für die Ausübung des Berufes geschaut, aber auch die aktuelle Situation der bereits dort arbeitenden Fachkräfte thematisiert. Die Handlungsfelder und Aufgaben der Fachberatung in Kindertageseinrichtungen werden im Verlaufe des Kapitels ebenso behandelt wie Kompetenzen sowie Herausforderungen und Potenziale der Fachberatung. Es sollen insbesondere Stärken und Schwächen der Fachberatung herausgearbeitet, aber auch eine aktuelle Bestandsaufnahme geschaffen werden.
Das nächste Kapitel behandelt die Kind - Fachkraft - Beziehung. Zunächst werden in den Unterpunkten Entstehung, Einflussfaktoren und Merkmale erst einmal die Grundlagen beschrieben. Dabei kommt es auch immer mal wieder zur Abgrenzung zur Eltern - Kind - Bindung. Darüber hinaus sind die Unterpunkte Interaktion, Bildung und (Zusammen -) Arbeit mit den Eltern eher spezifische Themenbereiche für Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Inwiefern Fachkräfte innerhalb dieser Themenbereiche die Entwicklung des Kindes bestmöglich beeinflussen können und welche Herausforderungen dabei zu bewältigen sind, wird in diesen Unterpunkten herausgearbeitet werden.
Als letztes Kapitel folgt die Diskussion. Zunächst wird der Inhalt dieser Arbeit kurz zusammengefasst. Daraufhin folgt die Diskussion der Leitfrage „Inwiefern kann Fachberatung in Kindertageseinrichtungen Einfluss auf die Kind - Fachkraft - Beziehung nehmen?“. Dabei werden Aspekte und Argumente aus dieser Arbeit Berücksichtigung finden, um die Frage abschließend zu beantworten.
1. Bindungstheorie
1.1 Historischer Einblick
Als Begründer der Bindungstheorie gilt John Bowlby. Bowlby, im Jahre 1907 geboren, war während seiner Laufbahn als Kinderarzt, Kinderpsychiater und Psychoanalytiker tätig. Insbesondere die Psychoanalyse ließ ihn zuerst annehmen, dass psychischen Prozessen speziell in der frühen Kindheit eine große Bedeutung zukommt. Im Fokus der meisten psychodynamischen Untersuchungen standen dabei Fantasie und Traumerleben, die hinsichtlich intrapsychischer Dynamik psychischer Störungen analysiert wurden. Die Konzentration galt vor allem den Trieben und deren inneren Konflikten. An dieser Stelle entschied sich John Bowlby dafür, der Frage nachzugehen, welche von der jeweiligen Person gemachten Erfahrungen zu dieser Dynamik beigetragen haben könnten (vgl. Ahnert/Spangler 2014, S. 405). Bowlby lehnt einen Teil der Triebtheorie, die er vor allem Freud zuschreibt, als Erklärung für Bindung zwischen Mutter und Kind ab. Die Triebtheorie sagt diesbezüglich aus, dass die Mutter-KindBindung nur aufgrund der Tatsache besteht, dass Bedürfnisse wie Hunger und Durst gestillt werden. Demnach bestehe die Bindung nur wegen der vom Kind gemachten Erfahrung, die Mutter als die Person zu sehen, welche die kindlichen Bedürfnisse befriedigen kann. Bowlbys Grund für das Ablehnen dieser Erklärung ist seine Annahme, nach der die Intention von Menschen bzw. Tieren, sich an die Mutter zu binden, nichts mit der Essensaufnahme und der damit einhergehenden Bedürfnisbefriedigung zu tun hat (vgl. Zepf 2005, S. 256). Diese Behauptung stützt sich auf eine Untersuchung Bowlbys, bei der das Verhalten von Rhesusaffen beleuchtet wurde. Diese wurden nach der Geburt von ihrer Mutter getrennt. Zur Auswahl hatten sie nun noch ein Drahtgestell, das die Affen mit Nahrung versorgte und ein Gestell, das mit dem weichen Stoff Frottee überzogen war.
Die Verhaltensbeobachtungen zeigten, dass letzteres von den Affen bevorzugt wurde. Sobald es zu Gefahr kam oder sie verschreckt waren, suchten sie Trost bei dem weichen Stoffgestell. Obwohl das Drahtgestell für sie Essen bereitstellte, wurde dieses wirklich nur für die Nahrungsaufnahme genutzt. Bowlbys Schlussfolgerung war, wie eben geschildert, gleichzeitig der Bruch mit Freuds Psychoanalyse und deren Ansätzen, die sich vor allem auf die Triebtheorie bezogen (vgl. Nitschke 2009, S.8). Die Gesamtheit seiner Untersuchungen ließen in Bowlby schließlich die Erkenntnis reifen, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen kindlichem Verhalten und frühen Trennungserfahrungen gibt.
Für diese Implikationen musste Bowlby damals erst einmal viel Kritik einstecken (vgl. Dreyer 2017, S. 11).
Während Bowlby an den Grundsätzen der Bindungstheorie arbeitete, gab er zeitgleich eine Forschung in Auftrag, die sich mit intensiven Verhaltensbeobachtungen beschäftigen sollte. Eine der Forscher*innen war Mary Ainsworth, die sich wenig später aber dafür entschied, die Aufrechterhaltung emotionaler Sicherheit in Uganda zu untersuchen. Sie hatte einen entscheidenden Fokus auf Bindungsqualitäten und deren Differenzen (vgl. Ahnert/Spangler 2014, S. 406 f.). Ihr Vorgehen verursachte weitere Beobachtungen im natürlichen Umfeld von Säuglingen, bei dem es sich vor allem um die eigene Häuslichkeit handelte (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 35). Überprüft und bestätigt wurden diese Beobachtungen durch die „Fremde Situation“. Es handelt sich um ein Laborsetting, bei der kindliche Erwartungshaltungen in Trennungssituationen zur Mutter sowie deren Aufgeschlossenheit für das Kind in derselben Situation eine Rolle spielen (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 35).
Ainsworth arbeitete gemeinsam mit Bowlby an verschiedenen Stellen der Bindungstheorie, entwarf u.a. das Feinfühligkeitskonzept (dieses wird im Verlaufe der Arbeit näher beleuchtet werden). Die Bindungstheorie erlangte so schnell große Bekanntheit und Anerkennung in Europa. Fortschreitende technische Möglichkeiten erlaubten multiperspektivische Forschungs - und Studienansätze (vgl. Ahnert/Spangler 2014, S. 406 f.). Mithilfe von Computern und Videoanalysen können Verhaltensbeobachtungen nun viel genauer und spezifischer ausgewertet werden (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 69 f.).
1.2 Begriffserklärung
Nach Becker - Stoll deuten sich bereits in der Schwangerschaft Verhaltenssysteme an, über die sowohl Kind als auch Mutter verfügen und deren Entstehung vor allem auf biologische, neurobiologische und physiologische Prozesse zurückzuführen sind. Das bedeutet, dass ein Kind schon von Lebensbeginn an in der Lage ist, mithilfe eines eigenen Verhaltenssystems Bindungen aufzubauen (vgl. Becker - Stoll 2007, S. 16). Derartige Verhaltensweisen helfen den Neugeborenen, ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen zu können. Dies wird in der Regel durch Bewegungen, Mimik und Gestik, Laute und selbst die Hautfarbe geäußert. Säuglinge sind insbesondere in ihrem ersten Lebensjahr darauf angewiesen, dass ihre Bedürfnisse von ihren Bezugspersonen befriedigt werden. Wie sie diese selbst regulieren können, werden sie erst im späteren Verlauf ihres Lebens lernen. Die Person, die durch entsprechende Fürsorge aus Sicht des Kindes am ehesten dessen Bedürfnisse erfüllt bzw. erfüllen kann, wird zur bevorzugten Bindungsperson (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 72 f.). Darüber hinaus können aber auch weitere Personen zur Bezugsperson werden, „wenn sie regelmäßig und verlässlich für das Kind da sind und Signale, die es sendet, wahrnehmen, verstehen und beantworten; auf diese Weise kann eine sichere Beziehung entstehen“ (vgl. Rauh 1998, zit. nach Friedrich 2013, S. 24). Darüber hinaus beschreibt sie diesbezüglich, dass Bindungen zu anderen Personen als der priorisierten Bezugsperson elementar für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung sind (vgl. Friedrich 2013, S.24 f.). Insbesondere wenn es dem Kind aber schlecht geht, verlangt es explizit die primäre Bindungsperson. Nur falls diese in diesem Moment nicht vor Ort ist, lässt sich das Kind auch von anderen Bindungspersonen trösten. Den Vorzug wird in dem Fall aber immer die primäre Bindungsperson erhalten (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 71 f.). Werden in einem Kind aufgrund von Umweltfaktoren Gefühle wie Angst, Fremdheit oder Unwohlsein hervorgerufen, ist es in erster Linie Aufgabe der Bindungsperson, dies wahrzunehmen und dementsprechend mit liebevollen Interaktionen zu reagieren, bis es sich beruhigt hat (vgl. Becker - Stoll 2007, S. 16).
Kinder besitzen noch ein weiteres Verhaltenssystem von Geburt an, das Explorationssystem. Dieses beinhaltet vor allem die Erkundung der Umwelt durch das Kind und steht im Gegensatz zum Bindungsverhaltenssystem. Gemeinsam haben beide, dass sie jeweils ab Lebensbeginn Teil des Kindes sind. Darüber hinaus kommt es bei Unterversorgung zur Aktivierung des jeweiligen Verhaltenssystems, während die (hoffentlich) darauf folgende Saturation zur Entspannung führt. In Beisein einer wichtigen Bindungsperson fühlt sich das Kind in der Regel sicher und kann dies nutzen, um dessen Explorationsbedürfnis auszuleben (vgl. Becker - Stoll 2007, S. 16 f.). Durch die gezeigte Neugier lernt es „Reaktionen selber verursachen und kontrollieren zu können, also selbstwirksam zu sein“ (Ziegenhain u.a. 2006, S. 42).
Das Bindungs - und Explorationsverhalten beeinflusst sich gegenseitig. Nimmt das Kind eine sichere Umgebung in der Nähe der Bezugsperson wahr, wird es sich trauen, langsam die Umwelt zu erkunden. Dabei wird es die Bezugsperson nicht gänzlich aus den Augen lassen, um das eigene Schutz - und Nähebedürfnis abzusichern. Sollte sich die Bezugsperson entfernen, wird das Kind fortan sein Explorationsverhalten zugunsten von Bindungsverhalten reduzieren, um Kontakt zur Bezugsperson aufzunehmen und so wieder Sicherheit erlangen zu können (vgl. Ziegenhain u.a. 2006, S. 44 f.). Das Explorationsverhalten ist in einer bekannten Umgebung - beispielsweise dem eigenen Zuhause - wesentlich ausgeprägter als an einem eher unbekannten Ort. Bei letzterem ist davon auszugehen, dass das Kind in großer Nähe der Bezugsperson bleibt, um die Gegend von dort zu betrachten. Wenn es sich sicher genug fühlt, hat es das Bedürfnis, auf eigenständig die Welt zu erkunden. Kommt es aufgrund eines unerwarteten Ereignisses (z.B. Kind stolpert) zu Verunsicherung, wird das Kind vermutlich schnell zur Bezugsperson zurückkehren (vgl. Becker - Stoll 2007, S.17). Diese fungiert dann als „sichere Basis“. Demnach „dient die Person als personifizierte emotionale Sicherheitsquelle, von der aus das Kind, je nach Situation und Kontext regelmäßig erkundet bzw. zurückkehrt, um emotional aufzutanken“ (Mahler, Pein & Bergmann 1999, zit. nach Ziegenhain u.a.2006, S.45).
Eltern verfügen nach der Geburt ihres Kindes über ein Pflegeverhaltenssystem. Die Mutter kann - beeinflusst durch Hormone - darauf sogar schon während der Schwangerschaft zurückgreifen (vgl. Becker - Stoll 2007, S.17). Die Eltern sind dadurch mehr oder weniger in der Lage, intuitiv in der richtigen Art und Weise auf die Bedürfnisse und Äußerungen des Kindes zu reagieren. Das zeigt sich u.a. durch erhöhte Stimmlage oder sehr deutliche, einfache elterliche Sprache (vgl. Dreyer 2017, S.12). Das Pflegeverhaltenssystem schafft es so, die Selbstregulation des Kindes in alltäglichen Kontexten zu fördern. Darüber hinaus werden die Kinder durch das elterliche Verhalten animiert, bestimmte Fähigkeiten zu entwickeln (vgl. Ziegenhain u.a. 2006, S.39).
Die Differenzierung von direkt gezeigtem Bindungsverhalten und der Bindung zu einer Person ist von großer Bedeutung. Bindungsverhalten wird vorwiegend in bestimmten Situationen gezeigt, in denen das Kind beispielsweise verängstigt oder unsicher ist. Besteht aber derzeit keine Gefahr in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Bindung, muss auch nicht zwingend Bindungsverhalten gezeigt werden. Ein Beispiel: Spielt ein Kind gerade in dem ihm bekannten Sandkasten in der Nähe der Mutter, gibt es keinen Anlass für das Kind, Bindungsverhalten zu zeigen. Die Bindung zur Mutter besteht dennoch (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 73).
Nach Ainsworth ist „Bindung die besondere Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern oder Personen, die es ständig betreuen. Sie ist in den Emotionen verankert und verbindet das Individuum mit anderen, besonderen Personen über Raum und Zeit hinweg“ (Ainsworth 1973, zit. nach Grossmann/Grossmann 2014, S. 31). Becker - Stoll bezieht sich auf die beiden Motivationsforscher Deci und Ryan, die Bindung neben Kompetenz und Autonomie zu den drei psychischen Grundbedürfnissen zählen. Demnach „steht das Grundbedürfnis nach Bindung für das Bedürfnis, enge zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen, sich sicher gebunden zu fühlen und sich als liebesfähig und liebenswert zu erleben“ (Deci/Ryan 1995, zit. nach Becker - Stoll 2007, S. 15). Nach Nitschke ist „Bindung die Bezeichnung für eine enge emotionale Beziehung zwischen Menschen.“ (Nitschke 2009, S. 8).
Legt man diese Definitionen zugrunde, beschreibt Bindung offenbar eine spezielle Beziehung, in der Regel zwischen Kind und Eltern oder Kind und einer anderen wichtigen Bezugsperson. Die Beziehung wird demnach durch Emotionalität verstärkt. Bindung wird nicht von Raum und Zeit beeinflusst und hat insbesondere in den ersten Lebensmonaten - und jahren eine große Bedeutung. Darauf wird nun etwas mehr eingegangen.
1.3 Phasen des Bindungsaufbaus
Bereits im ersten Lebensjahr kann man die Bindungsentwicklung beobachten. Nach Ainsworth und Bowlby kann sie in vier Phasen eingeteilt werden (vgl. Bowlby 1969/2006; Ainsworth 1964/2003, zit. nach Becker - Stoll 2007, S.18). Die erste Phase umfasst die Lebensdauer 0 - 3 Monate. Das Baby kann Orientierung zeigen und ist auch ansprechbar. An eine bestimmte Person ist es noch nicht gebunden, obwohl es sowohl Stimme als auch Geruch der Mutter im Gegensatz zu anderen erkennen kann. Außerdem kann das Baby bereits lächeln oder auch schreien, zeigt also in gewisser Weise bereits Bindungsverhalten (vgl. Dreyer 2017, S.14).
In der zweiten Phase, die ungefähr den dritten bis sechsten Lebensmonat einschließt, ist der Säugling nun langsam in der Lage, Personen zu unterscheiden. Das hat zur Folge, dass die primäre Bezugsperson von ihm eher bevorzugt wird. Signale sendet es aber auch an mehrere Personen gleichzeitig aus. Dem Baby vertraute Menschen haben nun größeren Einfluss auf die Stimmungslage des Säuglings als gänzlich fremde Menschen, können also bei Nicht - Verfügbarkeit der primären Bezugsperson entsprechend auch eingreifen (vgl. Dreyer 2017, S. 14; Becker - Stoll 2007, S.18).
Die dritte Phase beinhaltet ungefähr die Lebensmonate 6 bis 9. Babys können sich nun alleine fortbewegen, indem sie beispielsweise krabbeln oder robben. Die Kommunikation entwickelt sich weiter. Das Baby kann fortan nach der Mutter rufen, wenn sie nicht in Sichtweite ist. Außerdem hat es ein Repertoire an verschiedenen Lauten, z.B. fragende, jammernde, erzählende Laute. Die Bindung zur primären Bezugsperson ist nun deutlich ausgeprägter, dagegen ist die Reaktion auf andere, vor allem fremde Personen verhaltener als zuvor (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 77). Das Baby lernt darüber hinaus in dieser Phase, festzustellen, welche Reaktion der Bindungsperson es bei einem bestimmten eigenen Verhalten erwarten kann. Nach Grossmann & Grossmann kann es „damit sein Bindungsverhalten nicht nur auf eine Person hin orientieren, sondern sein Ziel dabei auch der Bindungsperson anpassen, es „korrigieren“ (goal - corrected), wenn z.B. die Mutter inzwischen ihren Aufenthaltsort gewechselt hat.“ (Grossmann/Grossmann 2014, S.77) Die primäre Bindungsperson ist nun zum „sicheren Hafen“ geworden, vom dem aus der Säugling Explorationstouren unternimmt, aber zu dem er bei Müdigkeit oder Angstgefühl auch jederzeit zurückkehren kann. Kehrseite der starken Bindung sind verstärkte Stressreaktionen sowie Traurigkeit, wenn das Baby von der primären Bindungsperson getrennt ist. Ist diese Trennung von längerer Dauer, kann es bei dem Baby beispielsweise zu vermindertem Schlaf und Unruhe kommen (vgl. Dreyer 2017, S.15).
Die vierte Phase der Bindungsentwicklung beginnt, wenn das Kind in der Lage ist zu sprechen. Darüber hinaus versteht es langsam, welche Gefühle, Interessen und Ziele die Bindungsperson mit ihrem Verhalten verfolgt. Durch dieses Verständnis kann das Kind nun verhandeln, damit es die eigenen Interessen durchsetzt. Durch die Eigenwahrnehmung, dass das Kind wachsenden Einfluss auf Entscheidungen haben kann, kommt es zum Gefühl der Selbstwirksamkeit (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 79; Dreyer 2017, S.15).
1.4 Bindungsqualitäten
Mary Ainsworth war die erste Person, die sich in ihrer Forschung nicht nur auf die Bindungsentstehung, die speziell mit Verhaltenssystemen einhergeht, konzentrierte. Sie ging darüber hinaus der Frage nach, ob es verschiedene Qualitäten von Bindung gibt. Dabei konnte Ainsworth auch schlüssige Ergebnisse erzielen. Demnach ist Voraussetzung einer hohen Bindungsqualität nicht eine große Menge an Interaktionen zwischen Kind und Bezugsperson, wie es bei der Bindungsentstehung der Fall ist, sondern eine erhöhte Qualität der Interaktionen für das Kind. Ainsworth führte schließlich die „Fremde Situation“ als standardisiertes Beobachtungsverfahren ein. Ziel des Testes ist es, Bindungsqualität zwischen Kindern im Alter von 12 - 18 Monaten und deren Müttern bzw. Bezugspersonen zu untersuchen. Im Rahmen der „Fremden Situation“ gibt es acht aufeinanderfolgende Abschnitte, die zeitlich jeweils drei Minuten dauern. Innerhalb dieser Abschnitte ist zunächst Explorationsverhalten des Kindes vorgesehen. Im weiteren Verlauf soll das Kind dann durch zweimalige Abwesenheit der Mutter und die Anwesenheit einer fremden Person Stress ausgesetzt werden. Die Intention dahinter ist es, Bindungsverhalten hervorzurufen (vgl. Dreyer 2017, S. 17).
Abbildung 1
Tabelle 11.3.2 Die Fremde Situation für Einjährige (Ainsworth et al., 1978)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Ainsworth u.a. 1978, zit. nach Grossmann/Grossmann 2014, S. 138)
Mittels Abbildung 1 konnte nun noch einmal der genaue Aufbau und Ablauf des Fremde - Situations - Tests (FST) aufgezeigt werden. Auf der rechten Seite der Abbildung kann man ablesen, wie sich das Kind in dem jeweiligen Setting verhält. Die Unterscheidung von Explorations - und Bindungsverhalten kann getroffen werden, da der Stuhl der Mutter relativ weit vom Spielzeug entfernt steht.
1.4.1 unsicher-vermeidende Bindung
Dieser Bindungstyp erhielt nach den ersten Auswertungen die Abkürzung „A“. Der Grund dafür ist, dass es erst einmal den Anschein hatte, diese Kinder wären emotional reifer als die anderen und hätten deshalb weniger Probleme im Umgang mit Trennungssituationen. Studien, die sich auf Ermittlung der Herzfrequenz und Kortisolmessung beziehen, haben ergeben, dass die betroffenen Kinder unter großem Stress stehen, diesen aber kaum sichtbar zeigen (vgl. Dreyer 2017, S. 19).
Über die gesamte Dauer des FST zeigen diese Kinder ein sehr ausgeprägtes Explorationsverhalten. Im Gegensatz dazu konnte aber auch vermindertes Bindungsverhalten festgestellt werden. Eine Ausgewogenheit zwischen beiden Verhaltenssystemen ist folglich nicht gegeben. Während Trennungen scheinbar wenig perzipiert werden, kann man bei der Wiederkehr der Bezugsperson Vermeidungsverhalten des Kindes beobachten. Sie ignorieren die Mutter eher und lassen keine Nähe zu. Erwähnte Messungen zeigen allerdings, dass die Kinder unter Stress stehen. Das spricht für Gefühlsunterdrückung der Kinder in Bezug auf die Mutter (vgl. Becker - Stoll 2007, S. 23). Daher wird der Fokus der Kinder von ihnen selbst bewusst auf das Spielzeug und weg von der Bindungsperson gelenkt (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 153), obwohl Untersuchungen bereits zeigen konnten, dass sie in dieser Situation verringerte Konzentration und Hand - Augen - Koordination aufweisen (Grossmann 1990, zit. nach Grossmann/Grossmann 2014, S.152). Begründet wird dieses Verhalten mit frühkindlichen Erfahrungen. Während des bisherigen Lebens haben sie nicht bzw. sehr selten die Erfahrung gemacht, dass auf Leid oder Ängste mit Nähe und liebevollen Gesten reagiert wird. Stattdessen kam es zur Zurückweisung seitens der Bezugsperson. Resultierend daraus lernten die Kinder, ihre negativen Gefühle zu verstecken, da sie so mutmaßlich auch weniger Zurückweisung erleiden müssen (vgl. Nitschke 2009, S. 10 f.). Je höher der Stress bzw. die Belastung der Kinder mit dieser Bindungsqualität steigt, desto weniger zeigten diese ihrer Bindungsperson ihre Gefühle. Im Gegensatz dazu ist das Verhalten gegenüber der fremden Person im FST unbesorgt, sie scheinen sich über die Anwesenheit der Person zu freuen (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 153).
1.4.2 sichere Bindung
Kinder mit einer sicheren Bindungsqualität zeigen zu Beginn des FST, bei Anwesenheit der Mutter ausgiebiges Explorationsverhalten. Sie erkunden ihre Umgebung eigenständig und interessiert, können aber jederzeit zu ihrer Mutter zurückkehren, falls sie Angst bekommen oder traurig sind. Sie drücken im selben Maße Freude gegenüber der Mutter aus (vgl. Dreyer 2017, S.20). Kommt es nun im Rahmen des FST zur Abwesenheit der Mutter, sind diese Kinder in der Lage, offen ihre Gefühle zu zeigen. In der Regel gibt es klare Anzeichen dafür, dass sie ihre Mutter vermissen. Indem die Kinder dann nach ihr rufen, sie suchen oder weinen, versuchen sie die Mutter dazu zu bewegen, Kontakt aufzunehmen. Die fremde Person wird mitunter während der Abwesenheit der Mutter als Trostersatz akzeptiert (vgl. Nitschke 2009, S.11). Die Kinder zeigen in dieser Situation also relativ starkes Bindungsverhalten. Das liegt vor allem daran, dass sie im Laufe ihres ersten Lebensjahres gelernt haben, dass ihre Bindungsperson angemessen und ohne zeitliche Verzögerung mit ihnen in Interaktion treten wird. Sie empfinden die Bezugsperson als sichere Basis. Das Wissen, dass die Bindungsperson stets verfügbar ist, ist beinahe unantastbar. Bei Kindern mit einer sicheren Bindungsqualität ist das kindliche Explorations - und Bindungsverhalten also ausgewogen (vgl. Dreyer 2017, S.20).
Bei Rückkehr der Mutter fordern die Kinder die Nähe zu ihrer Mutter ein, um sich trösten zu lassen und dann wieder spielen gehen zu können (vgl. Becker - Stoll 2007, S. 24). Allerdings nehmen sie nun vermehrt rückversichernden Blickkontakt auf, um sicherzugehen dass sie nicht wieder verlassen werden (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 150).
Trotz der für Kinder dieser Bindungsqualität anstrengenden Fremden Situation, in der sie aufgewühlt waren, weinten und/ oder riefen, schlug deren Kortisonspiegel (Stresshormon) nicht nach oben aus. Daraus ist abzuleiten, dass ihre Bewältigungsstrategie in Form von Körperkontakt, der jederzeit vom Kind in Anspruch genommen werden kann und dessen Verlässlichkeit zum gesamten Stressabbau führen. Merkmal der sicheren Bindungsqualität ist also vor allem die Äußerung positiver sowie negativer Gefühle gegenüber der Bindungsperson, aber auch dass die Kinder der Bindungsperson erlauben sie zu trösten und dann schnell wieder - in Nähe der Mutter - Explorationsverhalten zeigen können (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 150).
Etwas mehr als 50% der Kinder gelten als sicher gebunden (vgl. Nitschke 2009, S.11). Kinder mit einer sicheren Bindungsqualität profitieren auch über die Beziehung mit ihrer Bindungsperson hinaus von dieser. Neben beispielsweise einer erhöhten Frustrationstoleranz haben sie auch grundsätzliches Vertrauen gegenüber anderen Interaktionspartner*innen. In der Kita sind diese Kinder „weniger von der pädagogischen Fachkraft abhängig“ (vgl. Ainsworth&Bell 1974, zit. nach Dreyer 2017, S.21), außerdem „spielen sie konzentrierter und sind weniger aggressiv gegenüber anderen Kindern“ (vgl. Suess, Grossmann& Sroufe 1992, zit. nach Dreyer 2017, S.21). Genannte „Abhängigkeit“, beispielsweise von einer pädagogischen Fachkraft in der Kita, ist nach Becker - Stoll das Gegenteil von Bindungssicherheit. Demnach „bereitet die Erfahrung einer sicheren Bindungsbeziehung das Kind optimal auf neue Beziehungen vor - sei es zu anderen Erwachsenen, wie die Erzieher*innen in Krippe und Kindergarten, oder zu anderen Kindern.“ (Becker - Stoll 2007, S.30). Sicher gebundene Kinder weisen also optimale Voraussetzungen für eine gelingende Bindungsaufnahme - und pflege in der Kita auf.
1.4.3 unsicher-ambivalente Bindung
Bereits zu Beginn der Fremden Situation zeigen Kinder mit einer unsicheren - ambivalenten Bindungsqualität sehr ängstliche Verhaltensweisen. Es ist ihnen kaum möglich, sich von der Bindungsperson zu lösen und beispielsweise zu spielen. Das Explorationsverhalten ist also sehr eingeschränkt (vgl. Dreyer 2017, S.21). Das ängstliche, klammernde Verhalten wird durch das Eintreten einer fremden Person noch einmal deutlich verstärkt (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S.154). Eine Trennung von ihrer Bindungsperson lassen diese Kinder mitunter dann gar nicht erst zu (vgl. Ziegenhain u.a. 2006, S. 47). Laut Nitschke fürchten sich die Kinder regelrecht vor der fremden Person (vgl. Nitschke 2009, S. 11). Tritt die Bindungsperson wieder in den Raum ein, kommt es zu übermäßigem Bindungsverhalten seitens des Kindes. Dieses beruhigt das Kind aber keineswegs, vielmehr ist es verärgert und lässt sich nicht trösten (vgl. Ziegenhain u.a. 2006, S. 47). Die Ambivalenz besteht darin, dass sie zwar den Wunsch nach Nähe zur Bindungsperson haben und diesem zunächst auch nachgehen, dann aber ihrem Ärger mittels Strampeln, Schreien oder Schlagen Ausdruck verleihen. Die Nähe gibt ihnen keine Sicherheit. Sie lassen sich meistens auch nach längerer Zeit nicht beruhigen (vgl. Nitschke 2009, S.11).
Erklären lässt sich dieses Verhalten nur anhand vermuteter Interaktionen zwischen Kind und Bindungsperson bei ihnen Zuhause, da die Mütter während des FST „sehr liebevoll und tröstend auf ihr Kind eingehen“ (Grossmann/Grossmann 2014, S. 154). Eine These ist, dass das Verhalten der Bindungsperson aus Sicht des Kindes unberechenbar ist: Aus ihnen unerklärlichen und zusammenhangslosen Gründen gibt es eine deutliche Ambivalenz in der Bedürfnisbefriedigung durch die Bindungsperson. Diese führt dazu, dass das Kind ständig Bindungsverhalten zeigt, was mit Vernachlässigung des Explorationsverhaltens einhergeht (vgl. Dreyer 2017, S.21). Das übermäßige Bindungsverhalten ist dabei der Ausdruck von Angst. In Europa und den USA kommt die unsicher - ambivalente Bindungsqualität bei ca. 5 - 15 % der Bevölkerung vor (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 155).
1.4.4 unsicher-desorganisierte/desorientierte Bindung
Neben den drei „klassischen“ Bindungsqualitäten gab es eine Menge von ungefähr 10% der Kinder, deren Verhalten keiner dieser Kategorien zugehörig zu sein schien. Den Begriff der „Desorganisation“ bzw. „Desorientierung“ prägte schließlich vor allem Mary Main, indem sie die vierte Kategorie der Bindungsqualitäten begründete (vgl. Grossmann/ Grossmann 2014, S. 156). Auffällig bei dieser Gruppe ist gegensätzliches, sogar teilweise bizarres Verhalten bei Wiederkehr der Mutter im Rahmen des FST (vgl. Ziegenhain u.a. 2006, S.48). Sie schaffen es dann in der Regel nicht, ihr Bedürfnis nach Bindung, das aufgrund der Trennung ausgelöst wurde, durch Bindungsverhalten wie Kontaktaufnahme mit der Bezugsperson oder Ignorieren dieser, selbst zu regulieren (vgl. Zulauf - Logoz 2019, S. 299). Vielmehr werden bereits übernommene Merkmale anderer Bindungsqualitäten durch diese bizarren Verhaltensweisen überlagert (vgl. Dreyer 2017, S.23). Dazu gehören beispielsweise „Einfrieren aller Bewegungen; Annäherung an die Elternperson mit abgewandtem Kopf; (Main/Hesse 1990, zit. nach Zulauf - Logoz 2019, S.298). Grossmann und Grossmann gehen noch darüber hinaus: Nach ihnen äußert sich Desorganisation insbesondere in der Kombination aus starkem Vermeidungsverhalten und heftigem Trennungsprotest. Das wäre der Fall, wenn ein Kind z.B. die kürzere Trennung im FST kaum hinnehmen kann und offen Leid zeigt, während die längere Trennung danach ohne Proteste akzeptiert wird (vgl. Grossmann/Grossmann 2014, S. 160).
Kinder, die solche Verhaltensweisen während des FST zeigten, hatten zumeist eine Gemeinsamkeit: Ihre Mütter litten unter unverarbeiteten Traumata wie Verlusterlebnissen, aber auch Misshandlung oder sexuellem Missbrauch (vgl. Zulauf - Logoz 2019, S. 298 f.). Dies ist aber nur eine Erklärung für das bizarre Verhalten der Kinder dieser Gruppe. Dreyer führt darüber hinaus „ überdauernde Schwierigkeiten der Verhaltensregulation, vorübergehende Beunruhigungen und Übergänge in neue Strategien“ (Dreyer 2017, S. 22) als Gründe an. Becker - Stoll betont diesbezüglich die Notwendigkeit, aus der desorganisierten Bindungsqualität eines Kindes nicht eine Misshandlung abzuleiten. Demnach gäbe es auch Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Desorganisation im Rahmen des FST und schon direkt nach der Geburt geringerer Orientierungsfähigkeit herstellen (vgl. Becker - Stoll 2007, S. 25).
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