Diese Arbeit untersucht die Gründe, die einen Shutdown der Wirtschaft in der Pandemie widersprechen oder unterstützen, um damit das Dilemma, vor dem die Regierungen stehen, transparenter zu machen. Die Corona-Pandemie steht im Spannungsfeld verschiedener Interessen. Sie verursacht zahlreiche Dilemmata, sowohl gesellschaftlich als auch politisch. Das Abwägen der Gesundheit Einzelner gegen die Gesundheit vieler Menschen spielt dabei aus ethischer Sicht die entscheidende Rolle. So mussten in der Anfangsphase der Pandemie auch Entscheidungen getroffen werden, ob Operationen wirklich lebensnotwendig waren oder erst einmal verschoben werden konnten. An solchen Entscheidungen zeigt sich das ganze (ethische) Ausmaß der Pandemie. Der Shutdown der Wirtschaft entstand aus ebendiesen Gründen. Das Wohl des Einzelnen stand gegen die Aufrechterhaltung der Wirtschaft. Hieran zeigen sich ebenfalls zwei große gegensätzliche Denkweisen der Ethik – der Utilitarismus und die Prinzipienethik Kants.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Erörterung der These
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Corona-Pandemie steht im Spannungsfeld verschiedener Interessen. Sie verursacht zahlreiche Dilemmata, sowohl gesellschaftlich als auch politisch. Das Abwägen der Gesundheit Einzelner gegen die Gesundheit vieler Menschen spielt dabei aus ethischer Sicht die entscheidende Rolle. So mussten in der Anfangsphase der Pandemie auch Entscheidungen getroffen werden, ob Operationen wirklich lebensnotwendig waren oder erst einmal verschoben werden konnten. An solchen Entscheidungen zeigt sich das ganze (ethische) Ausmaß der Pandemie. Der Shutdown der Wirtschaft entstand aus ebendiesen Gründen. Das Wohl des Einzelnen stand gegen die Aufrechterhaltung der Wirtschaft. Hieran zeigen sich ebenfalls zwei große gegensätzliche Denkweisen der Ethik – der Utilitarismus und die Prinzipienethik Kants.
In Anbetracht der Tatsache, dass es sich hierbei um eine Pandemie handelt und das Wohl des Einzelnen auch das Wohl Vieler bedingt, sind diese jedoch nicht trennscharf voneinander abgrenzbar. Im Folgenden sollen daher unter Berücksichtigung dieser beiden verschiedenen ethischen Perspektiven Gründe dargelegt werden, die einen Shutdown der Wirtschaft in der Pandemie widersprechen oder unterstützen, um damit das Dilemma, vor dem die Regierungen stehen, transparenter zu machen.
2. Erörterung der These
Aus utilitaristischer Sicht geht das Glück der größten Zahl über das des Einzelnen. Da die Folgen der menschlichen Handlungen nach dem Umfang des Glücks der Menschen bewertet werden, wird sich für die Handlung entschieden, die den Menschen am meisten Nutzen bringt (vgl. Retzmann, 1994, S. 98). In den Volkswirtschaften findet sich dieser Gedanke beispielsweise mit der Kosten-Nutzen-Analyse wieder. Es stellt sich damit die Frage, wie effizient, nützlich und rentabel es ist, die Wirtschaft auf ein Minimum „herunterzufahren“, um Menschen zu schützen.
Viele Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsethiker sind der Meinung, der Shutdown stehe in keinem Verhältnis zu dem Nutzen der Schutzmaßnahmen. Solchen Aussagen liegt die Annahme zugrunde, dass Menschenwürde ein Kostenfaktor ist. Damit hätte Solidarität finanzielle Grenzen. Übersteigen beispielsweise die Kosten für Lebenserhaltungsmaßnahmen ein bestimmtes Budget, dürfte der Mensch nicht weiterleben (vgl. Birnbaum, 2020). Im angelsächsischen Raum hat sich diese Denkweise stark ausgeprägt und wurde auch im Zuge der Pandemie angewendet: „Die Briten haben klar festgelegt, was die Verlängerung eines Lebens mit guter Lebensqualität um ein Jahr kosten darf: 30 000 Pfund, in Ausnahmen bis 70 000 oder 80 000 Pfund.“ (Birnbaum, 2020) Auch Trump äußerte kürzlich die Meinung, dass durch die Einbrüche der Wirtschaft mehr Menschenleben verloren gehen könnten als durch die Pandemie (vgl. Birnbaum, 2020). Abgesehen von den langfristigen ökonomischen Folgen sind es sicherlich auch Menschen, die durch den Shutdown Schaden nehmen könnten und es bereits tun. Dies zeigt sich an häuslicher Gewalt oder an psychischen Erkrankungen sowie Suiziden, die durch die Isolationen in der Zeit des Shutdowns vermehrt angestiegen sind. Als Rechtfertigung für den Shutdown wurde seitens der Regierungen das Primat der Medizin und damit der Gesundheit angeführt. Wirtschaftsbelange wurden dem gegenüber in der Wichtigkeit nachgelagert. Dabei ist die Prosperität der Wirtschaft eigentlich die Voraussetzung für Sicherheit und auf diese Weise auch für die Gesundheit der Menschheit. Die Volkswirtschaft als ein Gesamtsystem inkludiert das Gesundheitssystem und kann nicht unabhängig davon betrachtet werden. Wird die Wirtschaft aus diesem ausgeschlossen, kann dies langfristige Schäden am Gesamtsystem verursachen und den Kreislauf zerstören.
Rein aus finanzieller Sicht gesprochen, ist den Utilitaristen sicher zuzustimmen: es ist einfach nicht absehbar, wie viele Menschen durch die Maßnahmen tatsächlich gerettet werden in dem Sinne, dass sich das Virus nicht schneller ausbreitet. Sicher ist nur, dass die Maßnahmen erhebliche finanzielle Konsequenzen für die Wirtschaft und die in ihr agierenden Menschen haben. Es sind aber auch die Utilitaristen, die die Mehrzahl gegen den Einzelnen abwägen. Und hier liegt das Problem. Da jeder einzelne Mensch das Virus auf viele andere Menschen übertragen kann, kann einer großen Menge Menschen geholfen werden, indem dafür im Gegenzug einzelne Geschäfte schließen und diese auf Gewinn verzichten. Hierdurch werden größere Menschenansammlungen vermieden.
Im konkreten Fall Deutschlands stehen damit ein paar Wochen Geschäftsschließungen gegen die Gesundheit vieler Menschen, die sich sonst vermutlich beim Shoppen, auf Konzerten, in Restaurants usw. infiziert hätten. Das ethische Dilemma liegt doch gerade darin, dass die Menschenwürde nicht einfach als Kostenfaktor angesehen werden kann wie aus Sicht der Utilitaristen.
In Deutschland wurde sich bei allen Entscheidungen viel eher auf die Prinzipienethik Kants berufen, in dessen die Menschenwürde an oberster Stelle steht und somit niemand wie ein Ding abgezählt werden kann (vgl. Birnbaum, 2020). So heißt es schließlich auch in der Verfassung Deutschlands an erster Stelle, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Der Artikel ist nicht ohne Grund der erste des Grundgesetzes, der Schutz der Menschenwürde hat eine derart herausragende Rolle und Wichtigkeit, dass sie sich als alles beherrschende Aussage über sämtliche Grundrechte legt und mittelbar auf diese einwirkt. Sie zu wahren ist oberste Pflicht und daher das oberste Gebot bei allen Beschlüssen bezüglich der Pandemie. Hieraus begründet sich in der Corona-Situation schlussendlich das Primat der Medizin. Menschenleben dürfen nicht gegeneinander abgewogen werden. Dies geschieht ganz im Sinne einer deontologischen Ethik unabhängig von den Konsequenzen der Entscheidungen. Somit dürfen politische und ökonomische Argumente ebenfalls nicht abgewogen werden.
Entscheidend für das Primat der Gesundheit ist zudem, dass die Sicherstellung menschlicher Existenz die Voraussetzung für Wirtschaften ist. Eine Volkswirtschaft kann nur funktionieren, wenn in ihr körperlich unversehrte Menschen leben, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und die konsumieren können. Im Fall der Infektion ist dies nicht möglich. Die Pandemie kann im schlimmsten Fall für den Tod oder für die schwere Erkrankung vieler Menschen sorgen. Das Aufhalten der schnellen Verbreitung des Virus war daher besonders in den ersten Wochen entscheidend und konnte nur durch einen Stillstand eingedämmt werden. Bei den anfänglich steigenden hohen Infektionszahlen und gleichzeitiger Auslastung der Intensivstationen mussten zwangsläufig strenge Maßnahmen von Regierungsseite folgen. Die Wirtschaft war zudem zu keinem Zeitpunkt komplett stillgelegt.
3. Fazit
Lange Zeit standen Regierungen nicht mehr vor solch einem großen Dilemma wie in der derzeitigen Situation. Die Pandemie hat unsere Art des Wirtschaftens und der Wirtschaftstheorie erheblich in Frage gestellt und dadurch eine Grundlage für Kapitalismusgegner geschaffen. Es hat sich gezeigt, dass beide ethischen Sichtweisen ihre Berechtigung haben. Wirtschaft ist einerseits die Grundlage für Leben, welches andererseits die Voraussetzung für die Wirtschaft ist. Beide bedingen sich und dennoch braucht es im Falle einer solchen Pandemie eine klare Positionierung seitens einer Regierung.
Meiner Meinung nach sollte ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als oberste Priorität haben, die darin lebenden Menschen zu schützen und dafür zu sorgen, dass diese weiterhin existieren können. Ein solches System hat einen höheren Wert als ein solches, welche aus rein marktwirtschaftlichen Aspekten agiert. Wirtschaftsinteressen dürfen meiner Meinung nach nicht über die Gleichwertigkeit und Würde aller Menschen gestellt werden. Denn Fakt ist doch auch: Durch eine Schließung von Betrieben wird niemand unmittelbar gefährdet, vom Virus selbst jedoch schon.
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- Quote paper
- Anonymous,, 2020, Wirtschaft vs. Menschenleben in der Corona-Pandemie. Ein kurzer Überblick, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1139406