Der historischen Forschung sind einige relevante Frauenfiguren aus dem Feld der Medizin bekannt, dennoch gibt es ganze Bücher, wissenschaftlich legitim, die sich mit der Medizin im Mittelalter beschäftigen und Frauen dennoch höchstens als Patientinnen oder als Teil der Erläuterungen zur Humoralpathologie erwähnen. Exemplarisch sei das 367-seitige Werk „Medieval Medicine. The Art of Healing, from Head to Toe“ von Luke Demaitre genannt, bei dem weder Trotula, Hildegard von Bingen oder die Frauen von Salerno auch nur in einem Satz vorkommen, dafür aber männliche Autoren wie Guilelmus de Saliceto oder Avicenna.
Dabei waren 2/3 aller weiblichen Praktikerinnen entgegen der allgemeinen Annahme keine Hebammen. Im Gegenteil, viele beschäftigten sich vor allem mit der Versorgung von Kriegswunden. Auch bezüglich der Verschriftlichung waren Frauen nicht unbedeutend – so lassen sich im zwölfbändigen Buch der Medizin des Kurfürsten Ludwig V. über 1.300 Rezepte weiblichen Praktikerinnen zuordnen. Wie kam es also zu dieser geradezu „Unsichtbarkeit“ der Frauen in der Medizin? Um diese Frage zu beantworten, wird die zunehmende Institutionalisierung der Medizinlizenzen geschildert und wie sich dessen Folgen in der zeitgenössischen Literatur widerspiegeln. Abschließend folgt ein kurzer Ausblick.
Die Unsichtbarkeit der Frauen als Praktikerinnen der Medizin im Mittelalter
Der historischen Forschung sind einige relevante Frauenfiguren aus dem Feld der Medizin bekannt1, dennoch gibt es ganze Bücher, wissenschaftlich legitim, die sich mit der Medizin im Mittelalter beschäftigen und Frauen dennoch höchstens als Patientinnen oder als Teil der Erläuterungen zur Humoralpathologie erwähnen. Exemplarisch sei das 367-seitige Werk „Medieval Medicine. The Art of Healing, from Head to Toe“ von Luke Demaitre2 genannt, bei dem weder Trotula, Hildegard von Bingen oder die Frauen von Salerno auch nur in einem Satz vorkommen, dafür aber männliche Autoren wie Guilelmus de Saliceto oder Avicenna. Dabei waren 2/3 aller weiblichen Praktikerinnen3 entgegen der allgemeinen Annahme keine Hebammen, im Gegenteil, viele beschäftigten sich vor allem mit der Versorgung von Kriegswunden4. Auch bezüglich der Verschriftlichung waren Frauen nicht unbedeutend - so lassen sich im zwölfbändigen Buch der Medizin des Kurfürsten Ludwig V. über 1.300 Rezepte weiblichen Praktikerinnen zuordnen5. Wie kam es also zu dieser geradezu „Unsichtbarkeit“ der Frauen in der Medizin?
Um diese Frage zu beantworten, wird die zunehmende Institutionalisierung der Medizinlizenzen geschildert und wie sich dessen Folgen in der zeitgenössischen Literatur widerspiegeln. Abschließend folgt ein kurzer Ausblick.
Prinzipiell waren Frauen in der Ausübung von beruflichen Tätigkeiten eingeschränkt, in der Regel konnten Sie keinen Meistertitel erwerben und selbst in den vergleichsweise wenigen weiblichen Zünften ist sich die Forschung über ihre tatsächliche Selbstständigkeit und Gleichberechtigung uneinig. Auch wenn im Spätmittelalter Frauen auf Gebieten arbeiteten, die später ausschließlich Männern zugeschrieben wurden, so hatten sie dabei meist nur unterstützende Hilfstätigkeiten6. Bezüglich der Medizin war es etwas anders.
Gesundheitspflege war im Mittelalter für beide Geschlechter wichtig, doch die Frauen übernahmen für Gewöhnlich die Rolle der „häuslich praktizierende[n] ,Ärztinnen’“7, interessanterweise selbst bei den Damen vom hohen Stand8. Da dies eine wichtige Aufgabe ist, wurde sich bezüglich der dazugehörigen Rezepte vermutlich selbst religions- und kulturübergreifend ausgetauscht, wie die Historikerin Carmen Caballero-Navas aufzeigen konnte9. Allgemein findet sich die älteste Erwähnung einer Praktikerin in Westeuropa schon bei Tacitus10, Fähigkeiten im Umgang mit Medizin wurden Frauen dementsprechend schon früh anerkannt.
Das Problem entstand erst mit der zunehmenden Professionalisierung der Medizinpraxis. Ursprünglich gab es Lizenzen, die zuerst Kenntnisse in Medizin bestätigten. Die Gesetze hierzu wurden jedoch mit der Zeit zunehmend verschärft - sie mussten alle 5,5-6 Jahre erneuert werden, es gab immer stärkere Restriktionen gegen diejenigen, die keine Medizinkenntnisse erwerben konnten (sprich Frauen und Juden, denen der reguläre Weg über die Universitäten nicht möglich war) und schließlich wurde im 14. Jhd jegliche medizinische Behandlung ohne die Lizenzen verboten11. Diese Verschärfungen sind zwar zweifellos unter anderem deswegen durchgeführt worden, um vor tödlichen Folgen von Quacksalbern und Amateuren zu schützen, doch darf nicht vergessen werden, dass sich die universitären Mediziner in einem gewissen Konkurrenzkampf mit den nicht-institutionellen Praktikern befanden.
Die ideale Hierarchie im 13. Jhd. sah in etwa vor, dass Universitätsabsolventen an der Spitze waren, gefolgt von fähigen Medizinpraktikern, gefolgt von fähigen Chirurgen und ganz unten waren Apotheker, Bader, Kräuterkundige, usw12. Ähnlich teilte 1363 Guy de Chauliac die Medizinpraktiker seiner Zeit in fünf Kategorien. Lese- und Lateinkundige stellte er dabei an die Spitze, Frauen hingegen waren pauschal in der schlechtesten und ungebildetsten aller Kategorien13.
Es stimmt zwar, dass Hebammen in der Regel nicht lesen konnten und ihre Erfahrung und ihr Wissen in der Regel von Generation zu Generation weitergelehrt wurde14, ferner stimmt es auch, dass vor allem in der Provinz Kräuterfrauen oft aufgesucht wurden, weil schlichtweg keine Alternativen verfügbar waren15, doch war diese Hierarchie in der Praxis nicht so strikt, wie es sich Menschen vom Schlage Guy de Chauliacs gewünscht hätten. Latein war bei weitem nicht nur den Universitätsangehörigen bekannt und selbst wenn, so wurden mit der Zeit viele medizinische Texte übersetzt, die außerdem auch außerhalb der Universitäten gelesen nd erworben werden konnten. In Nordeuropa waren lange Zeit die Geistlichen die bekanntesten Praktiker, da es einen Mangel an medizinlehrenden Universitäten gab. Außerdem war es zwar Frauen und Juden nicht möglich die Universität zu absolvieren, dafür aber die Vorlesungen zu besuchen16. Davon abgesehen, war es selbst 1390 noch gesellschaftlich völlig legitim bei gesundheitlichen Problemen entweder die universitären Mediziner, die nicht-universitären Praktiker, den Aberglauben oder die Kirche um Hilfe zu bitten. Dabei waren alle vier gleichwertig gewichtet17.
Dementsprechend ist es nicht weiter verwunderlich, dass trotz der Schwierigkeiten mit den Lizenzen u.a. in der Zeit von 1273-1410 nachweislich 24 weibliche Chirurgen in Neapel oder von 1387-1497 15 Heilerinnen in Frankfurt, die meisten davon jüdisch, tätig waren18. Viele andere praktizierten dann schlichtweg ohne Lizenz, was jedoch später zu Verurteilungen führte, wie beispielsweise 1322 bei Jacqueline Felicie oder 1411 bei Peretta Peronne19.
Hinzu kommt, dass bei der Verschriftlichung primär Männer tätig waren. Falls Frauen in den Texten überhaupt erwähnt wurden, so blieben sie meist anonym und wurden oft als inkompetenter im Vergleich mit Männern dargestellt20. Das galt auch für die Illustrationen - wenn Frauen nicht als Patienten abgebildet waren, so waren das meist einfache Tätigkeiten wie Krankenpflege oder untergeordnete operative Eingriffe wie das Schröpfen21.
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1 Exemplarisch seien an dieser Stelle Hildegard von Bingen oder Francesca Roman erwähnt, vgl. Siraisi, Nancy: Medieval and Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice. Chicago/London 1990, S. 27, 44.
2 Demaitre, Luke: Medieval Medicine. The Art of Healing, from Head to Toe. Santa Barbara 2013.
3 Bei diesem Essay wird mit „Praktiker(in)“ die praktische Anwendung von Medizinwissen jeglicher Art gemeint. Bader, Chirurgen, Hebammen, Kräuterfrauen etc. sind damit alle inbegriffen.
4 Vgl. Harper, April: „The Image of the Female Healer in Western Vernacular Literature oft he Middle Ages“ in: Social History of Medicine. 2011, Band 24, Heft 1, S.108-124, hier S. 109.
5 Vgl. ebd.
6 Vgl. Hergemöller, Bernd-Ulrich: Masculus et Femina. Systematische Grundlinien einer mediävistischen Geschlechtergeschichte. 2. Auflage, Hamburg 2005, S. 23-25 sowie Nolte, Cordula: Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters. Darmstadt 2011, S. 82f.
7 Vgl. Nolte 2011, S. 28, zit. ebd.
8 Vgl. Jones, Peter: Heilkunst des Mittelalters in illustrierten Handschriften. Übers. v. Rainer Zerbst, Stuttgart 1999, S. 28.
9 Vgl. Caballero-Navas, Carmen: „The care of women’s health and beauty: an experienceshared by medieval Jewish and Christian women“ in: Journal of Medieval History. 2008, Band 34, Heft 2, S.146-163, hier S. 154, wobei diesbezüglich der ganze Aufsatz zu empfehlen ist.
10 Vgl. Harper 2011, S. 109.
11 Vgl. ebd., S. 118f. sowie Siraisi 1990 S. 188.
12 Vgl. Siraisi 1990, S. 20.
13 Vgl. ebd., S. 35.
14 Vgl. Allman, Toney: Medieval Medicine and Disease. San Diego 2015, S. 32f.
15 Vgl. ebd., S. 39.
16 Vgl. French, Roger: Medicine before Science. The Rational and Learned Doctor from the Middle Ages tot he Enlightenment. Cambridge 2003, S. 125f.
17 Vgl. Horden, Peregrine: „Medieval Medicine“ in: Jackson, Mark (Hrsg.): The Oxford Handbook of the History of Medicine. 2. Auflage, Oxford 2013, S. 40-59, hier S. 48f.
18 Vgl. Siraisi 1990, S. 27.
19 Vgl. ebd., S. 20 sowie Harper 2011, S. 119.
20 Vgl. Caballero-Navas 2008, S. 150.
21 Vgl. Jones 1999, S. 28, 97f.
- Quote paper
- Pawel Bornstedt (Author), 2021, Die Unsichtbarkeit der Frauen als Praktikerinnen der Medizin im Mittelalter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1139125