Die Bachelorarbeit betrachtet die Beziehung zwischen Mentalisierung und Bindung in gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder entlang der Fragestellung:
"Inwieweit wirken sich Mentalisierungsstörungen auf die Eltern-Kind Bindung aus und welche Möglichkeiten zur Intervention gibt es in diesem Kontext?"
Die Arbeit zeigt auf, dass eine sichere Bindung eine Schutzfunktion für die gesunde psychische Entwicklung darstellt. Wichtige Erkenntnisse der Bindungstheorie werden in das Verhältnis mit Mentalisierungsfähigkeit sowie Störungen derselben und der Mutter-Kind-Bindung gesetzt. Der Transfer der Theorien wird mit Beispielen aus der Praxis durchgeführt.
In der Praxis gibt es Mütter, die ihre Schwangerschaft nicht mit einem festen Partner planen konnten, die noch sehr jung, wenn nicht sogar minderjährig sind und aufgrund ihrer Biographie und Herkunft, nicht über die besten Voraussetzungen für eine Mutterschaft verfügen.
Die vorliegende Bachelorarbeit soll sich daher, mit eben diesen Müttern, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, beschäftigen. Der Impuls, mich diesen Frauen zu widmen und mich intensiv damit auseinanderzusetzen, entstand während meiner Tätigkeit in einem Mutter-Kind-Haus. Hier arbeite ich tagtäglich mit jungen Frauen, die einerseits ungewollt schwanger werden, keine Möglichkeiten bekommen haben auf Ressourcen aus ihrer Herkunftsfamilie zurückzugreifen oder sich andererseits mit der Mutterschaft eine eigene kleine Familie schaffen möchten. Auffällig ist hierbei, dass diese Frauen selbst häufig in dysfunktionalen Systemen aufgewachsen sind, in denen die Bezugspersonen häufig wechselten. Zum einen, weil ihre eigenen Mütter in ständig wechselnden und instabilen Partnerschaften lebten, zum anderen, weil sie selbst in der Kindheit und Adoleszenz im Kontext der vollstationären Jugendhilfe untergebracht waren. Dadurch haben sie Bindungsmuster entwickelt oder auch von ihren Müttern übernommen, die nun durch die transgenerationale Weiter-gabe, auf das eigene Kind übertragen werden.
Inhalt
I. Einleitung – Oder warum schreibe ich über dieses Thema?
II. Gemeinsame Wohnformen für Mütter, Väter und Kinder
2.1 Rechtliche Grundlagen
2.2 Arbeitsansatz in einem Mutter/Vater-Kind-Haus
III. Was macht Bindungen so wichtig?
3.1 Bindungstypen
3.1.1 Sichere Bindung
3.1.2 Unsicher-vermeidende Bindung
3.2 Die Reflexionsfunktion und die reflexive Kompetenz
IV. Mentalisierung – Die Fähigkeit mich und andere zu verstehen
4.1 Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit
4.2 Der Einfluss von Mentalisierung auf die Mutter-Kind-Bindung
4.3 Störung der Mentalisierungsfähigkeit und psychische Erkrankung
4.4 Möglichkeiten zur Erhöhung der Mentalisierungsfähigkeit
V. Fallbeispiele aus der Praxis Vorstellung, Auswertung und Zusammenhänge
5.1 Janine und Mirko
5.2 Catharina und Jolina
5.3 Jana und Timothey
5.4 Alemee und Saba
VI. Schlussbetrachtung
VII. Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
AAI = Adult Attachment Interview
Abb. = Abbildung
ADS = Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
BKiSCHG Bundeskinderschutzgesetz
BPS = Borderline-Persönlichkeitsstörung
bzw. = beziehungsweise
ebd. = ebenda
f. = folgende
ff. = auf den nächsten Seiten
GG = Grundgesetz
Hg. = Herausgeber
Hrsg. = Herausgeber
ICD-10 = International Classification of Diseases
LPH = Landesinstitut für präventives Handeln
MBT = Mentalisierungsbasierte Therapie
NZFH = Nationales Zentrum Frühe Hilfen
PEKIP = Prager Eltern Kind Programm
PTBS = Posttraumatische Belastungsstörung
SGB VIII = Sozialgesetzbuch Achtes Buch, Kinder- und
Jugendhilfe
o.S. = ohne Seitenangabe
SAFE® = Sichere Ausbildung für Eltern
SPFH = Sozialpädagogische Familienhilfe
STEEP™ = Steps towards effective and enjoyable parenting
ToM = Theory of Mind
u.a. = unter anderem
vgl. = vergleiche
zit. = zitiert
§ = Paragraph
I. Einleitung – Oder warum schreibe ich über dieses Thema?
„Was ist denn bloß mit Mama los?“
So oder so ähnlich könnte die Frage lauten, die sich Kinder immer wieder stellen, wenn sie in ein starres, angespanntes oder gar verärgertes Gesicht ihrer Mütter schauen.
Diese Aussage mag einige Leser erstaunen, ist es doch für die meisten Eltern ein kleines Wunder, eine aufregende Erfahrung, wenn sie ihr erstes Kind erwarten [vgl. Brisch 2015, S. 9]. Blickt man diesbezüglich auf ein Zitat von Johann Heinrich Pestalozzi, ist die Eingangsfrage mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit nicht nachvollziehbar.
„Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt, der dich schon liebt, bevor er dich kennt“ [Johann Heinrich Pestalozzi]
In der Praxis gibt es jedoch auch Mütter, auf die diese Aussage nicht zutrifft. Es sind diese Mütter, die ihre Schwangerschaft nicht mit einem festen Partner planen konnten, die noch sehr jung, wenn nicht sogar minderjährig sind und aufgrund ihrer Biographie und Herkunft, nicht über die besten Voraussetzungen für eine Mutterschaft verfügen.
Die vorliegende Bachelorarbeit soll sich daher, mit eben diesen Müttern, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, beschäftigen. Der Impuls, mich diesen Frauen zu widmen und mich intensiv damit auseinanderzusetzen, entstand während meiner Tätigkeit in einem Mutter-Kind-Haus. Hier arbeite ich tagtäglich mit jungen Frauen, die einerseits ungewollt schwanger werden, keine Möglichkeiten bekommen haben auf Ressourcen aus ihrer Herkunftsfamilie zurückzugreifen oder sich andererseits mit der Mutterschaft eine eigene kleine Familie schaffen möchten. Auffällig ist hierbei, dass diese Frauen selbst häufig in dysfunktionalen Systemen aufgewachsen sind, in denen die Bezugspersonen häufig wechselten [vgl. Abb. I und Abb. II]. Zum einen, weil ihre eigenen Mütter in ständig wechselnden und instabilen Partnerschaften lebten, zum anderen, weil sie selbst in der Kindheit und Adoleszenz im Kontext der vollstationären Jugendhilfe untergebracht waren. Dadurch haben sie Bindungsmuster entwickelt oder auch von ihren Müttern übernommen, die nun durch die transgenerationale Weiter-gabe, auf das eigene Kind übertragen werden. Weiterhin konnte ich beobachten, dass gerade diese Frauen ihr eigenes Kind selten im Blick haben, weder dessen Signale deuten können noch entsprechend einer gesunden physischen und psychischen Entwicklung reagieren. Aus diesen Beobachtungen und Erfahrungen heraus, stellte ich mir daher die Fragen, welche Zusammenhänge zwischen Mentalisierungsstörungen und einer Eltern-Kind-Bindung bestehen und welche Möglichkeiten die Soziale Arbeit hat, diesen entgegenzuwirken.
Diese Themen möchte ich entlang der folgenden Fragestellung bearbeiten:
„Inwieweit wirken sich Mentalisierungsstörungen auf die Eltern-Kind Bindung aus und welche Möglichkeiten zur Intervention gibt es in diesem Kontext?“
Gerade der junge Säugling ist auf mentale Reaktionen seiner engsten Bezugsper-sonen angewiesen. Er nimmt deren Reaktionen so feinfühlig wahr, als wäre seine Person der Auslöser hierfür. Durch meine Tätigkeit in einer Mutter-Kind-Gruppe nahm ich, wie oben bereits in Kürze skizziert wahr, dass diejenigen Mütter, die selbst seit frühester Kindheit mit Bindungsabbrüchen konfrontiert wurden, sich nicht so feinfühlig in ihr Kind hineinversetzen können, wie es für eine gesunde, emotionale und seelische Entwicklung des jungen Menschen notwendig wäre. Eine verpflichtende Eltern-Baby-Schule, in der die Eltern erlernen, die Signale ihres Neugeborenen richtig zu deuten gibt es jedoch zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht. Führt man sich in diesem Zusammenhang vor Augen, dass beim Erwerb eines Welpen, dazu geraten wird, eine Hundeschule zu besuchen, ist dies schon sehr bezeichnend [vgl. Brisch, 2015, S. 8 ff.]. Frühe Interventionen zur Sensibilisierung der mütterlichen Feinfühligkeit wirken sich in diesem Kontext positiv auf die Bindung zwischen der Mutter und ihrem Baby aus. Auch wenn der/die ein oder andere Leser*in sich nun genervt denken könnte: „Nicht schon wieder klassische Bindungstheorie“, ist es trotzdem zwingend notwendig, diese in die Betrachtungen miteinzubeziehen, um die Zusammenhänge zwischen Mentalisierung und Bindung erkennen zu können und diese dann auch zu erklären. Gerade auch deshalb, weil die Mentalisierungstheorie zum Großteil auf den bindungstheoretischen Grundlagen basiert. Außerdem ist ein Grundlagenwissen in diesem Bereich ver-pflichtend, um die Beispiele aus meinem Arbeitsalltag verstehen und nachvollziehen zu können. In der einschlägigen Literatur wird davon ausgegangen, dass durch das frühe pfle-gende Umfeld, die psychische Entwicklung des Säuglings geformt und beeinflusst wird. Die Annahme behauptet, dass ein atypisches Verhalten bei der Pflege des Kindes in einem Zusammenhang mit einer atypischen psychopathologischen Entwicklung steht [vgl. Fonagy, 2017; in Gingelmaier et.al., 2018, S. 9]. Schlägt man einen Bogen in die Geschichte, und betrachtet unter diesem Aspekt, die unter dem Ceausescu-Regime, in rumänischen Kinderheimen untergebrachten Kinder, wird diese Behauptung mehr als nur bestätigt. Diese Kinder vegetierten die meiste Zeit in großen Sälen in ihren Betten. Ansprache und Pflege waren nicht gegeben. Viel mehr wurden sie von den vermeint-lichen „Bezugspersonen“ vernachlässigt oder gar gezüchtigt. Nachdem sie in den 1990er Jahren von Adoptivfamilien, auch in Deutschland, aufgenommen wurden, stellte man fest, dass sie aufgrund der dysfunktionalen Versorgung und Pflege psychopathologisch stark auffällig waren und vermehrt therapeutische Unterstützung benötigten [vgl. Schleiffer, 2015, S. 75]. Folgend an dieses einleitende Kapitel werde ich die Historie der Unterbringung von jungen Müttern und alleinstehenden Schwangeren darstellen und die Veränderungen von den Versorgungshäusern für gefallene Mädchen bis hin zu den heutigen Mutter/-Vater-Kind-Gruppen herausarbeiten, die auf den Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit zurückzuführen sind. Wirft man vergleichend einen Blick auf die Reformierung der Heimerziehung, die bereits zu Beginn der 1970er Jahre begonnen hat, ist die weitläufige und gefestigte gesellschaftliche Haltung auch noch zu diesem Zeitpunkt erkennbar. Wurde doch die außerfamiliale Unterbringung von Kindern und Jugend-lichen, bereits Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrtausends pädagogisch ausgelegt, dauerte es aber noch bis Mitte der 1980er Jahre, dass diese Reformen auch bei der Erziehung von Mädchen, in diesem Fall von jugendlichen Schwangeren, ebenfalls berücksichtigt wurden [vgl. Wallner, 2010; in Spies 2010, S. 47 ff.]. Nur langsam wandelte sich die Haltung, der in diesen Einrichtungen tätigen Pädago-g*innen. Die jungen Mütter sollten Unterstützung erhalten, einen Weg in die Selbst-ständigkeit zu finden und nicht mehr als Strafe kaserniert werden. So richtig in Fahrt kamen die Reformen jedoch erst, als 1990 der § 19 in das SGB VIII aufgenommen wurde. Die rechtlichen Grundlagen, auf denen sich die Unterbringung in den gemeinsamen Wohnformen begründen, sollen im zweiten Kapitel dieser Arbeit kurz behandelt wer-den. Um einen besseren Überblick zu erhalten, werden auch die Bereiche der Hilfen zur Erziehung mitbetrachtet, die für diese Arbeit eine Relevanz besitzen. Wie später näher ausgeführt wird, können auch diese, eine mögliche Voraussetzung für die Unter-bringung in einem Mutter/Vater-Kind-Haus bilden. Der im Anschluss vorgestellte Ar-beitsansatz in den gemeinsamen Wohnformen für Mütter, Väter und Kinder ist entlang der Vorgaben des § 19 SGB VIII ausgerichtet. Die Arbeitsweisen variieren lediglich in den Aufträgen, die von dem öffentlichen Jugendhilfeträger und auch von den einzelnen Klient*innen formuliert werden. So ist konzeptionell häufig festgelegt, dass der Aufbau einer tragfähigen Mutter-Kind-Bindung, die Unterstützung beim Erlernen von alltags-praktischen Fähigkeiten und die Pflege und Förderung des Kindes im Fokus der Hilfe-leistungen stehen. Die Entwicklung in Richtung Verselbständigung und finanzielle Un-abhängigkeit, durch das Erlangen eines Schulabschlusses bzw. den Beginn und/oder Abschluss einer Berufsausbildung sollten in diesem Kontext ebenfalls unterstützt wer-den. Das heißt, die Hilfe entlastet die Mütter und Väter bei der Persönlichkeitsent-wicklung, damit sie selbstverantwortlich für sich und ihr Kind sorgen können [vgl. KVJS 2015, S. 3]. Diese Thematik wird im entsprechenden Unterkapitel dieser Arbeit näher beleuchtet. Das Hauptaugenmerk jedoch liegt auf den Zusammenhängen zwischen Bindung und Mentalisierung. Die vier Bindungstypen werden am Beispiel der frühkind-lichen Entwicklung im ersten Lebensjahr dargestellt, weil dies für das Verständnis mei-ner Praxisbeispiele relevant ist. Ebenso verfahre ich mit der Entwicklung der Menta-lisierungsfähigkeit, da die Grundlagen hierfür bis zum Ende des fünften Lebensjahres gelegt sind [vgl. Fonagy, 2002; in Gingelmaier et al. 2018, S. 30]. Außerdem betrachte ich, wie sich die Mentalisierungsfähigkeit der Mutter und negative Einflüsse aus der eigenen Kindheit in Bezug auf das Kind auswirken können. Da die Störung der Mentalisierungsfähigkeit die Grundlage für viele verschiedene psychische Erkrank-ungen bildet, erörtere ich diejenigen, die am häufigsten einen Einfluss auf die Mutter-Kind-Bindung haben können [vgl. Bolm 2010, S. 205]. Auf die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit, die Mentalisierungsfähigkeit zu steigern, wird im vierten Unterkapitel des Abschnitts Mentalisierung eingegangen. Die Interventionsformen gelten lediglich als Beispiele. Demnach besteht bei der Auswahl kein Anspruch auf Vollständigkeit. Sie wurden jedoch mit Bedacht gewählt, weil es sich um Möglichkeiten handelt, die in der frühen Kindheit, bei den entsprechenden Bindungspersonen, Anwendung finden können. In den Fallbeispielen aus meiner beruflichen Praxis führe ich die Aspekte, die im Theorieteil beleuchtet wurden, mit eigenen Erfahrungen zusammen. Am Ende dieser Arbeit reflektiere ich die gewonnenen Erkenntnisse kritisch, versuche eine Antwort auf meine Fragestellung zu finden und wage einen Ausblick in die Zukunft.
II. Gemeinsame Wohnformen für Mütter, Väter und Kinder
„Mutterschaft ist schön! Sie ist die Erfüllung jedes weiblichen Lebens: Mutterschaft ist Ausdruck von Weiblichkeit und: Kinder sichern die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Landes. So oder ähnlich lauten die gängigen Bilder zur Mutterschaft.“ [vgl. Wallner, 2010; in Spies, 2010].
Junge Erwachsene und Jugendliche, die selbst Mütter oder Väter werden, sind auch in der heutigen Zeit ein wenig erforschter Bereich. Auch die Jugendhilfestatistik kann diesbezüglich leider kaum etwas Gehaltvolles dazu beisteuern. Betrachtet man die Sta-tistik genauer, ist anhand der Steigerung des Platzangebotes und des Personals davon auszugehen, dass in den gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder über-wiegend jugendliche Eltern untergebracht sind [vgl. Pothmann; Tabel, 2020]. Ist die junge Mutter bereits selbst Leistungsempfängerin von Hilfen zur Erziehung, weil sie einer eigenen Förderung und Unterstützung bedarf, benötigt sie diese umso mehr, wenn sie ihre Mutterrolle zum Wohl des (ungeborenen) Kindes erfüllen möchte. Ein Defizit, welches bereits vor der Geburt eines Kindes beispielsweise eine Heimunter-bringung erforderlich machte, beeinträchtige sie auch darin, die Erziehungsverant-wortung für ein Kind zu übernehmen. So die Meinung des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen in einem Grundsatzurteil von 2004 [vgl. OVG Nordrhein-West-falen, 2004]. Sozialpädagogische Hilfen für junge Menschen können nur dann erfolg-reich sein, wenn die Betreffenden auch als Jugendliche, mit allen ihren Facetten wahr-genommen werden. Hierbei sollen die geringen materiellen Mittel, die eventuell fehlen-den Ausbildungsperspektiven, ihr derzeitiger vorhandener Wissensstand und natürlich auch ihre Ängste mit in den Fokus genommen werden [vgl. Koch, 2006]. Mutterschaft in der Phase der Adoleszenz löst viele öffentliche Debatten aus. Häufig fallen diese negativ aus und sind mit Vorwürfen und Vorurteilen belastet.
„Sie sind einerseits aufgrund ihrer Entwicklung mit Fragen der Identitätsfindung und Ablösung beschäftigt, so verlangen Schwangerschaft und Mutterschaft andererseits eine enge Bindung an eine andere Person und oft genug, eigene Bedürfnisse zurückzustellen.“ [vgl. Weber, 2001].
Für eben diese Adressat*innen wurde im Jahr 1990 der § 19 in das Achte Buch des Sozialgesetzbuches aufgenommen. Das war auch zwingend notwendig, betrachtet man die historischen Vorgänger der heutigen Mutter/Vater-Kind-Einrichtungen. Diese gab es bereits im vergangenen Jahrtausend. Es waren „Versorgungshäuser für ge-fallene Mädchen“, die sich häufig in christlicher Trägerschaft befanden. Hier wurden Frauen untergebracht, die nicht den Moralvorstellungen und Auffassungen der bürger-lichen Gesellschaft genügten. Zu den „gefallenen Mädchen“ gehörten auch diese, die unverheiratet schwanger oder aber auch vergewaltigt wurden. Die Beschreibung „gefallen“ wurde immer in direkter Verbindung mit Sexualität und ihrer Herkunft ver-wendet [vgl. Wallner, 2010; in Spies 2010]. Die Unterbringung in eben diesen Heimen, war häufig die einzige Möglichkeit mit ihrem Kind zu überleben.
Eine frühe Schwanger- oder Mutterschaft stand in diesem Zusammenhang stets als sichtbares Sinnbild von Unehelichkeit, Verwahrlosung, Liederlichkeit, Vergewaltigung und Kriminalität [vgl. Wallner, 2010 o.S.]. Schwangere Jugendliche verkörperten folglich ein ersichtliches Symbol „weiblicher Verwahrlosung“. Schwangerschaften in der Adoleszenz, stellten zu dieser Zeit soziale und psychische Entwicklungsstörungen der betroffenen Mädchen und jungen Frauen und die (ungeborenen) Kinder der jungen Mütter, als „Fehltritte“, dar. Aus diesem Grund wurden die betroffenen Mädchen und jungen Frauen wie Kriminelle behandelt, sozial verstoßen und auch dem Schutz ihrer Herkunftsfamilie entzogen. Historisch betrachtet, lässt sich bei der Unterbringung in den Versorgungshäusern, demnach eine Kombination von erforderlichen Hilfelei-stungen mit moralischer Verurteilung beobachten.
Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Jugendwohlfahrt, wurden die jugend-lichen, unverheirateten Frauen weiterhin moralisch verurteilt. Ein männlicher Erzieher, der in einem geschlossenen Mädchenheim beschäftigt war, berichtete 1970, dass die Mehrzahl der untergebrachten Mädchen schwanger sei [vgl. Wallner, 2010; in Spies 2010, S. 47 ff.]. In einer anonymen Veröffentlichung in der Heimerzieherzeitschrift aus dem Jahr 1973 kritisierten einige, der dort tätigen, Erzieher*innen, das pädagogische Konzept sowie den Umgang in ihrer Einrichtung. Sie sprachen hiermit auch die Miss-stände, die bei der Betreuung von jugendlichen Schwangeren bzw. jungen Müttern vorherrschten, an. Gleichzeitig konnten diese Erzieher*innen auch konkrete Vorstell-ungen benennen, wie sich die Hilfen für die jungen Mütter besser gestalten ließen. Sie forderten bereits Anfang der 1970er Jahre ein Konzept, in denen die jungen Mütter, durch beispielsweise Kinderkrippen oder Kindergärten entlastet werden. Außerdem spielte die Hilfe zur Selbsthilfe eine große Rolle in dieser Idee. Die jungen Frauen soll-ten Unterstützung bei der Verselbständigung erhalten und nicht mit ihren Kindern in geschlossenen Einrichtungen weggesperrt werden [vgl. Wallner, 2010; in Spies 2010, S. 47 ff.]. Die pädagogischen Reformen der Heimerziehung, die bereits Anfang der 1970er Jahre eingeführt wurden, kamen aber erst in der Mitte der 1980er Jahre in der Mädchenheimerziehung an. Durch den Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit legten auch die Mutter-Kind-Heime allmählich ihren Strafcharakter ab. Sie wandelten sich in die Richtung der Mutter-Kind-Häuser, die wir heute kennen. Besonderer Wert wurde nun auf die Beratung und Betreuung gelegt, weg von der Bestrafung für ihren „Fehltritt“. In der jüngeren Vergangenheit entwickelten sich die pädagogischen Konzepte weiter. Vielfach musste sich auch bei der Umsetzung die Haltung der pädagogischen Fach-kräfte verändern. Die Unterstützung entwickelte sich ganzheitlich. So werden die Be-dürfnisse der jungen Frauen ebenso betrachtet, wie der Schutz des (ungeborenen) Kindes. Die in diesen Gruppen tätigen Pädagog*innen, es sind hier auch heute noch 95% weibliches Personal beschäftigt, werden zum Vorbild und zur Identifikationsfigur für die jungen Frauen [vgl. Pothmann; Tabel, 2020].
Die Pädagog*innen erarbeiten gemeinsam mit den Adressat*innen im geschützten Rahmen und in geschützten Räumen Wege und Lösungen. Die wohl größte Veränderung in den Konzepten der Mutter-Kind-Heime war diese, dass sich der Blick auf die jungen Frauen verändert hat. Sie sind nicht mehr nur noch Schwangere, die auf ihre Mutterrolle reduziert werden, sondern Jugendliche, die viele unterschiedliche Lebenslagen zu bewältigen haben. Hierzu zählen neben den für die Adoleszenz spezifischen Themen, auch das Auseinandersetzen mit Schwangerschaft und Mutterschaft. Mit Aufnahme des § 19 in das SGB VIII wurde der Jugendhilfe der Auftrag übergeben, verschiedene und unterstützende Angebote für Mütter und Väter vorzuhalten, damit durch diese die Erziehung in der Familie unterstützt werden kann. Die Hilfen begrün-den sich sowohl aus dem Erziehungs- und Pflegeauftrag dem Kind gegenüber, als auch der Persönlichkeitsentwicklung des Elternteils. Hierzu zählen nach Münder das jugendliche Alter, psychische Überforderung, mangelnde Belastbarkeit und Unselb-ständigkeit [vgl. Münder 1998].
2.1 Rechtliche Grundlagen
Dieses Kapitel wird die rechtlichen Rahmenbedingungen, die einer Unterbringung in einem Mutter/Vater-Kind-Haus zugrunde liegen, näher betrachten. Die gesetzlichen finanziellen Hilfen, die allen Eltern zustehen, wie Elterngeld, Mutterschaftsgeld und Kindergeld wird nicht eingegangen, da diese für die Beantwortung der Frage nicht relevant erscheinen.
Artikel 6 GG Absätze 1 und 2 besagen:
(1) „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“
(2) „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
In Absatz 1 Artikel 6 GG wird der Staat verpflichtet Ehe und Familie zu schützen. Diese Regelungen gelten auch, wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind und die Kinder nur bei einem Elternteil leben. Ebenso betrifft dies auch Kinder, die adoptiert wurden oder in Pflegefamilien leben. Absatz 2 aus Artikel 6 des GG besagt, dass der Staat in seiner Funktion des staatlichen Wächteramtes über die Ausübung des vorge-nannten Elternrechtes wachen muss, um die Menschenwürde des Kindes zu schützen.
Hier ist als Grundlage zu Beginn der § 1 SGB VIII zu erwähnen, welcher u.a. aussagt, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erzie-hung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat. Demnach ist das Achte Buch des Sozialgesetzbuches in erster Linie präventiv aus-gerichtet. Zu den Aufgaben der Jugendhilfe, die in § 2 SGB VIII verankert sind, gehört es, alleinerziehende Mütter und Väter in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unter-stützen, wenn hierfür die Notwendigkeit besteht, damit diese ihre Kinder kindes-wohlgerecht versorgen und erziehen können. Aus diesem Grund wurde durch den Gesetzgeber die Unterbringung von alleinerziehenden Müttern oder Vätern mit ihren Kindern, die das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, im § 19 SBG VIII per Gesetz geregelt, sofern durch ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung ein Bedarf hierfür besteht. Werden die Rechte des Kindes und das Kindeswohl verletzt, ist der Staat verpflichtet einzugreifen, insofern es zu einer Kindeswohlgefährdung kommen könnte. In diesen speziellen Fällen greift dann ebenfalls das Kinder- und Jugendhilferecht in Form des § 8a des SGB VIII [vgl. Metzner 2017, o.S.].
Diese speziellen sozialpädagogischen Wohnformen orientieren sich an den individu-ellen Bedürfnissen der jungen bzw. werdenden Mütter oder alleinerziehenden Väter. Adressat*innen sind Alleinerziehende mit Kindern unter sechs Jahren oder Schwangere, bei denen beispielsweise aufgrund von Minderjährigkeit ein Hilfebedarf festgestellt wurde. Betrachtet man die Kinder -und Jugendhilfestatistik, erkennt man anhand der Vervierfachung der Ausgaben von 2006 bis 2018, die hohe gesellschaft-liche Relevanz dieser Form der Jugendhilfe. Leider liegen in der Statistik keine Zahlen über die tatsächliche Anzahl der Unterbringungen vor. Belegbar wird die Tatsache der erhöhten Bedarfe lediglich dadurch, dass sich im oben genannten Zeitraum auch die Platzzahlen fast verdoppelt haben. Noch deutlicher fällt die Wachstumsdynamik bei der Anzahl der Einrichtungen und der Beschäftigten auf. So liegen diese bei einer Stei-gerung um 158% bzw. um sogar 179% [vgl. Pothmann; Tabel, 2020].
Für jugendliche Mütter oder Schwangere ist Mutterschaft nicht immer nur schön. Sehr junge Mütter stehen nicht nur sehr vielen Problemen gegenüber, die sich aus der Situation heraus ergeben, sondern sind zusätzlich noch Vorwürfen und Vorurteilen ausgesetzt. Können diese jungen Frauen nicht auf ausreichende Hilfen aus ihrer Herkunftsfamilie zurückgreifen, sind für sie die Kinder- und Jugendhilfe nach §§ 27 und 34 und teilweise auch die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zuständig. Diese Hilfen werden dann zwar den minderjährigen Müttern gewährt. Anspruchsberechtigte für HzE sind aber die Erziehungsberechtigten der minderjährigen (werdenden) Mütter. Häufig ist dies trotzdem gerade auch dann noch notwendig, wenn sie nicht allein auf sich gestellt sind, sondern über einen Partner verfügen oder zumindest der Kontakt zum Vater des (ungeborenen) Kindes besteht. Sie sind aufgrund ihrer Entwicklung mit sich widersprechenden Aufgaben beschäftigt. In diesen Fällen sind die Unterstützungs-bedarfe noch differenzierter zu betrachten, weil diese jungen Mütter sich selbst noch zusätzlich zum Muttersein mit ihrer eigenen Adoleszenz auseinandersetzen müssen.
Auch Jugendliche, die unter die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35 a SGB VIII fallen, werden in Einzelfällen auch in den gemein-samen Wohnformen nach § 19 SGB VIII, gemeinsam mit ihrem Kind untergebracht. Über allen hier aufgezählten Rechtsgrundlagen steht der eingangs zitierte und erläu-terte Artikel 6 des GG, der den Schutz der Familie, und somit auch das Zusammenle-ben derselben, in den Vordergrund stellt.
2.2 Arbeitsansatz in einem Mutter/Vater-Kind-Haus
Hilfen für Mütter oder Väter, die allein für ihr Kind unter sechs Jahren sorgen, wurden mit Einführung des SGB VIII als Angebot zur Förderung der Erziehung in der Familie, aufgenommen. Diese stationären Hilfen nach § 19 SGB VIII in Verbindung mit den §§ 34 und 41 SGB VIII sind vielschichtige Hilfen, die empirisch sehr viel lückenhafter, als die Heimerziehung im Kontext der Hilfen zur Erziehung, erfasst werden [vgl. Pothmann; Tabel, 2020]. Hier sind sowohl persönlichkeitsentwickelnde Hilfen, als auch die Elternbildung vereint. Intention dieser Hilfeform ist es, Schwangeren oder alleiner-ziehenden Müttern oder Vätern, frühzeitig Unterstützung zukommen zu lassen, damit ein gemeinsames Leben von Mutter/Vater und Kind ermöglicht werden kann. Es soll mit sozialpädagogischen oder wenn angezeigt mit therapeutischen Angeboten die Erziehungskompetenz der alleinerziehenden Elternteile nachhaltig gestärkt werden. Gleichzeitig steht immer der Kinderschutz an vorderster Stelle. Alleinerziehende Mütter oder Väter haben die Möglichkeit in den gemeinsamen Wohnformen nach § 19 SGB VIII untergebracht und betreut zu werden, sofern sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung eine besondere Unterstützung bei der Pflege und Erziehung ihres Kindes benötigen. Die jungen Eltern in der Adoleszenz über-nehmen neben ihren eigenen Entwicklungsaufgaben auch noch die Elternrolle. Durch § 19 SGB VIII erhalten sie Unterstützung in Form von Jugendhilfe. Weiterhin sind die jungen Mütter während ihrer Unterbringung nach § 19 SGB VIII sowohl finanziell, als auch im Falle einer Krankheit abgesichert [vgl. Fleßner, 2008; in Spies, 2008, S. 30]. Auch in der heutigen Zeit ist es für viele Familien noch schwierig, wenn die Tochter minderjährig schwanger wird, sodass auch für diese jungen Frauen eine Aufnahme in einer Mutter/Vater-Kind-Gruppe eine Möglichkeit darstellt. In einem Mutter/Vater-Kind-Haus betreuen die Mütter, seltener auch die Väter, ihre Kinder unter Anleitung durch pädagogisches und/oder medizinisches Personal selbst. Häufig steht die Unterbringung in den gemeinsamen Wohnformen im Zwangskontext des Jugendamtes und ist somit meist die einzige Möglichkeit weiter mit ihrem Kind zusammenzuleben. Bei adoleszenten Müttern kann in diesem Kontext auch von einer „doppelten Kindeswohlsicherung“ gesprochen werden [vgl. Friese, 2008; in Spies, 2011]. Aufgrund der vielschichtigen Hilfen sind die Aufträge durch die Jugendämter breit gefächert. So reichen sie zum Beispiel von der Unterstützung im Aufbau einer tragfähigen Mutter-Kind-Beziehung, über die Sicherstellung des Kindeswohls bis hin zur Unterstützung beim Erlernen von lebenspraktischen Tätigkeiten. Ein Großteil, der jungen Mütter oder Väter haben keine Unterstützung aus ihren Herkunftsfamilien, kommen aus desolaten Familienverhältnissen, es bestehen ungeklärte Partnerschaften oder aber sie verfügen bereits über eine längere Jugendhilfekarriere. Auch Migrant*innen werden unter den gleichen Voraussetzungen in einem Mutter/Vater-Kind-Haus untergebracht. Unter Umständen können auch jugendliche Mütter oder Schwangere, die von einer seelischen Behinderung lediglich bedroht sind in den gemeinsamen Wohnformen für Mütter und Kinder untergebracht werden. Nicht indiziert sind Mütter oder Väter mit Suchtproblemen oder Drogenkonsumenten. Ebenso wie bei diagnostizierten psychischen Erkrankungen und geistiger Behinderung, werden diese an für genau jene Adressat*innen zuständige Maßnahmen oder Wohnformen, weiter-geleitet. Beispielhaft ist hier die begleitete Elternschaft zu erwähnen [vgl. Bundes-arbeitsgemeinschaft Begleitete Elternschaft, 2021]. Diese Unterstützungsform ist eine Maßnahme, die sich auf zwei Trägerschaften aufsplittet. So sind in diesem Fall Lei-stungen, die das Kind betreffen Jugendhilfeleistungen. Die Unterstützung und As-sistenz für die Eltern sind im SGB IX verankert [ vgl. ebd.]. Da es sowohl für die Eltern, als auch für die Kinder wichtig ist Strukturen und Rituale zu erlernen und zu erleben, wird dies in einer Mutter/Vater-Kind-Gruppe tagtäglich praktiziert. Einige kennen weder Regeln noch Strukturen, sodass diese Umstellung sich anfangs schwierig gestalten kann. Es ist einige Zeit und intensive Arbeit erfor-derlich, damit die Regeln nicht als „böswillige“ Einschränkung angesehen werden, sondern als Hilfsmittel, die sowohl ihnen, als auch ihren Kindern Sicherheit geben und ihrem eigenen Wohl sowie dem ihrer Kinder dienen. Ziel der Arbeit der Fachkräfte, welche i. d. R. Sozialarbeiter*innen sind, ist es, dass ihre Kompetenzen in der Erziehung, Pflege und Betreuung des Kindes gefestigt bzw. erworben werden. Insofern die oben benannten Voraussetzungen erfüllt sind, übernimmt das Jugendamt die Kosten für die stationären Hilfen.
Vorranging sein soll bei der Förderung in einem Mutter/Vater-Kind-Haus, mit dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe, die jungen Frauen dabei zu unterstützen, eine sichere und tragfähige Bindung zu ihren Kindern aufzubauen, die Sicherung des Kindeswohls zu gewährleisten bzw. Kindeswohlgefährdungen abzuwenden, sowie lebenspraktische Aufgaben selbstständig zu meistern, getreu dem Motto: „Ich helfe dir es selbst zu tun!“.
Des Weiteren sollen die Mütter oder Väter nach ihrem Auszug aus den gemeinsamen Wohnformen, finanziell unabhängig in der Lage sein, ihr und das Leben ihrer Kinder zu bestreiten. In diesem Kontext besteht die Aufgabe der Pädagog*innen in Mutter/Vater-Kind-Einrichtungen darin, eine schulische oder berufliche Ausbildung zu fördern. Auch dies regelt der § 19 Abs. 2 SGB VIII. Hierauf wird, durch Unterstützung und Ermun-terung, sich wieder in einer Schule oder Ausbildungsstelle zu integrieren, hingewirkt. Somit soll die Mutter zunehmend zu einer selbstständigen und verantwortungs-bewussten Lebensweise hingeführt werden, um auch finanziell unabhängig zu werden [vgl. Spies, 2010, S. 30]. Dies ist besonders dahingehend wichtig, da gerade den sozial- und bildungsbenachteiligten jungen Müttern, die Kompetenz abgesprochen wird, einen gelingenden Einstieg in das Erwerbsleben zu meistern [vgl. Spies, 2011]. Die Gestaltungsspielräume im Zusammenhang von Mutterschaft und beruflicher Orientierung lassen sich erweitern, insofern für junge Mütter die Möglichkeit besteht, ihre Berufsausbildung im Rahmen einer Teilzeitausbildung zu absolvieren [vgl. Friese, 2008; in Spies, 2011].
Die Fachkräfte in einer Mutter/Vater-Kind-Einrichtung sind 24 Stunden am Tag für die jungen Mütter oder Väter Ansprechpartner*innen und gewährleisten ihnen die Möglichkeit mit ihrem Kind gemeinsam zu wohnen. Mit Hilfe der Pädagog*innen sollen die Elternteile zu einer eigenständigen Lebensführung befähigt werden, damit sie sich in naher Zukunft auch ohne Unterstützung verantwortungsvoll um ihr Kind kümmern können. Damit die Jugendlichen diesen Schritt in die Verselbstständigung erreichen können, werden sie besonders in der Erziehung, Pflege und einer altersgerechten Förderung des Kindes beraten und begleitet. Dabei ist wichtig, dass den Müttern oder Vätern immer wieder verdeutlicht wird, dass sie die Experten in Bezug auf die Bedürfnisse ihrer Kinder sind und die Fachkräfte lediglich zur Unterstützung und Beratung in Erziehungs- oder psychosozialen Fragen dienen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Ziele einer Unterbringung in den gemeinsamen Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder in zwei Hauptziele aufteilen. Einerseits sollen die Klient*innen im psychosozialen Bereich erlernen, eine tragfähige Bindung zu ihrem Kind aufzubauen und Konflikte mit der/der Partner*in oder der Herkunftsfamilie zu klären und ihr Kind sicher und ohne Gefährdung des Kindeswohls aufwachsen zu lassen. Auf der anderen Seite steht der wirtschaftlich-materielle Aspekt. Hier wirken die Pädagog*innen darauf hin, dass die Mütter/Väter eine Ausbildung beginnen oder fortsetzen, um finanziell unabhängig ihre Kinder versorgen zu können. Ein nicht unwichtiger Part ist das Bewältigen lebenspraktischer Aufgaben, wie beispielsweise das Erlernen der Haushaltsführung [vgl. KVJS, 2015, S. 3 ff.].
Das breitgefächerte Tätigkeits- und Aufgabenspektrum in einer Mutter/Vater-Kind-Einrichtung lässt sich am idealsten durch eine Vernetzung mit anderen Hilfesystemen umsetzen [vgl. Winkelmann, 2012, S. 13]. So empfiehlt beispielsweise die Zentrale Fachstelle Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder ein gemeinsames Handeln der verschiedenen Institutionen. Besonders wertvoll für die Adressat*innen ist die Kooperation mit der öffentlichen Jugendhilfe, den Arbeitsagenturen, Therapeu-t*innen, Kindertageseinrichtungen, Schulen aber auch den Herkunftsfamilien [vgl. Winkelmann, 2012, S. 13]. Ebenfalls erwähnt werden sollen an dieser Stelle Institutionen, die im Rahmen der „Frühen Hilfen“, seit Januar 2012, gesetzlich verankert im BKiSCHG, tätig sind und Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern bereits ab der Schwangerschaft, unterstützen. Durch diese Hilfeformen soll erreicht werden, dass die jungen Eltern nach ihrem Auszug aus der Mutter/Vater-Kind-Einrichtung auf ein stabiles soziales Umfeld und partizipationsfähiges Netzwerk zurückgreifen können.
III. Was macht Bindungen so wichtig?
„Wir alle sind, von der Wiege bis zum Grab, am glücklichsten, wenn unser Leben wie eine Serie von langen oder kurzen Ausflügen um die sichere Basis, die unsere Bezugspersonen bieten, organisiert ist.“ [John Bowlby]
Die Bindungstheorie besagt, dass es für die Entwicklung von Menschen nicht genügend ist, Säuglinge und Kleinkinder zu füttern, sie zu wickeln oder zu pflegen. Körperlichkeit und emotionale Zuwendung sind fundamental wichtig, um eine gesunde physische und psychische Entwicklung gewährleisten zu können.
"Ohne Schutz und Fürsorge kann bei sozial lebenden Säugetieren kein Junges überleben" [vgl. Grossmann, 2012, S. 31].
Die Bindungserfahrungen des Säuglings und alles, was in seinem Umfeld geschieht, beeinflussen dessen Entwicklung auf unterschiedliche Art und Weise. Seine ganz-heitliche Entwicklung ist ohne emotionale Sicherheit gefährdet. Somit bildet sie die Basis für weitere Bildungsprozesse [vgl. Neumann, 2004, S. 148 ff.]. Die Lebens-erfahrungen eines Säuglings gehen von seiner sozialen Umwelt aus. Dies ist der Grund weshalb er durch Bindung lernt. Neumann beschreibt, dass die Entwicklung eines Säuglings durch die Bindungsqualität konstanter beeinflusst wird, als durch Sachinformationen von außen [vgl. Neumann, 2004, S. 148 ff.]. Viel mehr sind es die Bedingungen, die ein Kind während der wichtigen Phase der Gehirnentwicklung vor-findet, die darüber entscheiden, ob und wie sich die Anlagen des lernfähigen Gehirns entfalten. Da sich das kindliche Gehirn überwiegend nachgeburtlich entwickelt, kann es sowohl durch positive, als auch negative Eltern-Kind-Beziehungen geformt werden. individuelle Erfahrungen bestimmen deshalb, welche Verknüpfungen im Gehirn verankert werden [vgl. Hüther, 2004, S. 15 f.]. Damit neue Situationen nicht als Hindernis wahrgenommen werden, benötigen alle Kinder das Gefühl von Sicherheit. Daher prägen die frühen Bindungen und die, sich im Gehirn verankernden psychosozialen Erfahrungen, das Denken, Fühlen und Handeln des Kindes. Bei einem Neugeborenen sind nur die neuronalen Verschaltungen, die zum Überleben notwendig sind und im Klein- und Stammhirn (Reptiliengehirn) verortet sind, hin-reichend entwickelt. Diese betreffen die Instinkte, Reflexe und Körperfunktionen. Die wichtigste Aufgabe der neuronalen Verschaltungen besteht darin, bei Störungen der inneren Ordnung, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Wird von außen auf unge-stillte Bedürfnisse reagiert und diese gestillt, so verinnerlicht das Kind diese Reaktion. Macht ein Neugeborenes jedoch häufig die Erfahrung, dass es die Störung nicht durch seine eigene Leistung mit Hilfe der Mutter beheben kann, desto weniger Vertrauen hat es in sich selbst und seine Umwelt. In Folge dessen wird die Entwicklung des Gehirns beeinträchtig. Umso mehr, wenn das Kind keine Möglichkeiten hat auf andere Bin-dungspersonen zurückzugreifen und die Mutter selbst, keine emotionalen Bindungen zu anderen Menschen besitzt. Nun besteht die Gefahr, dass die neuronalen Ver-schaltungen im kindlichen Gehirn ausschließlich in den einseitigen Grundmustern der Mutter aufgebaut werden [vgl. Hüther, S. 22 f.]. Wie sich die drei Gehirnbereiche, neben dem Klein- und Stammhirn noch das limbische System (Säugergehirn) und der Cortex (das rationale Gehirn), miteinander verbinden, wird durch den Umgang der Eltern oder engsten Bindungspersonen mit einem Kind, beeinflusst. Hierdurch wird ebenfalls das emotionale Erleben des Kindes auf lange Sicht gesteuert [vgl. Braun, 2014, S. 281 ff.]. Bereits im ersten Lebensjahr entwickelt ein Kind die Vorstellung, ob und wie eine Bezugsperson für es verfügbar ist und wie auf seine Bedürfnisse reagiert wird. Anfangs sind es noch relativ einfache Erwartungen, die ein Säugling in Bezug auf seine Bedürfnisbefriedigung an seine Umwelt hat. Diese werden aber im Laufe der Zeit, durch die gesammelten Erfahrungen, zu einer Erwartungshaltung [vgl. Dreyer, 2017, S. 15]. So wird durch prompte und feinfühlige Interaktion von Mutter oder Bindungsperson mit dem Säugling, das Gehirn trainiert. Hierdurch werden alle drei Teilbereiche des Gehirns stimuliert, was wiederum zu neuen Vernetzungen der Hirnregionen führt. Durch das gleichzeitige Aktivieren verschiedener Nervenzellen verändert sich deren Struktur nachhaltig. Somit lässt sich die Erforschung der Mutter-Kind-Beziehung als idealer Weg für das Verständnis geistiger Prozesse für das Kind als auch die Mutter bezeichnen [Fonagy; Target, 2003, S. 36]. Bowlby, der Begründer der Bindungstheorie, bezeichnet Bindung als ein unsichtbares, emotionales Band, dass zwei Menschen über Zeit und Raum sehr spezifisch miteinander verbindet [vgl. Brisch, 2015, S. 12]. Jeder Säugling kommt mit einer genetisch angeborenen Bereitschaft auf die Welt, sich eine sichere Bindungsperson zu suchen. Das bedeutet im übertragenen Sinne, dass jedes Neugeborene grundsätzlich die Fähigkeit besitzt und auch gewillt ist, eine sichere Bindung einzugehen. Es ist vom ersten Moment an auf der Suche nach Schutz und Pflege, Unterstützung und Liebe. Während des ersten Lebensjahres entwickelt sich zwischen Kind und seiner Haupt-bindungsperson, im Idealfall die Mutter oder der Vater, eine spezifische emotionale Bindung. Diese sichert dem Säugling das Überleben und wird in der einschlägigen Forschung auch als sein „sicherer Hafen“ bezeichnet [vgl. Brisch, 2015, S. 12]. Wichtig hierbei ist, dass die emotionalen Bindungsbeziehungen spezifisch sind. Dies bedeutet aber wiederum, dass die eine Bindungsperson nicht beliebig ersetzbar ist, weil das emotionale Band auf emotionalen Erfahrungen beruht. Es begründet sich nicht auf einer pädagogischen Ausbildung oder dem Wissen um die Erziehung eines Babys. Viel mehr geht es darum, die grundlegenden Bedürfnisse eines Kleinkindes unbedingt zu erfüllen, damit sich Menschen überhaupt entwickeln können. So gibt es beispielsweise die physiologischen Bedürfnisse, wie z. B. genügend Nahrung und ausreichendes Trinken, Luft zum Atmen, Schlaf und ein sicheres Dach über dem Kopf. Sie sind so grundlegend, dass kein Säugling darauf verzichten kann. Das Bedürfnis nach Bindung beispielsweise ist ebenfalls ein genetisch bedingtes Bedürfnis, welches von Geburt an besteht und in der Evolutionsgeschichte sehr früh angelegt worden ist. So ist es für das Neugeborene wichtig, sich an eine Person zu binden, die größer und klüger ist und ihm somit Sicherheit und Schutz bietet [vgl. Brisch, 2015, S. 15]. Dies ist grundlegend und dient dem Überleben. Ein weiteres Grundbedürfnis ist der neugierige Erkundungsdrang, da Menschen(kinder) grundsätzlich von Natur aus neugierig sind. Die Bindungsperson gibt dem Kind die Möglichkeit und die Erlaubnis, die Welt zu erkunden und zu entdecken [vgl. Brisch, 2015, S. 16]. Hierfür ist es zwingend notwendig, dass der Säugling nicht nur monoton in seinem Bett liegt, sondern auch seine Umgebung aus unterschiedlichen Perspek-tiven erforschen kann. Der Wechsel vom Bett auf eine Krabbeldecke birgt eine Vielzahl von verschiedenen Eindrücken. Fühlt es sich in seinem Bindungsverhältnis nun auch noch sicher, steht einem fröhlichen Explorieren nichts mehr im Weg [vgl. ebd.]. Gerade Säuglinge und Kleinkinder wollen mit allen ihren Sinnen die Welt erleben. Sie müssen fühlen, riechen schmecken, tasten, hören und sehen. Dürfen sie das nicht, können sie nicht gesund aufwachsen und ihre Sinne verkümmern. Wenn beispielsweise die kritischen Zeitfenster für das Erlernen der Lautsprache oder des spezifischen Hörens überschritten werden, entwickeln sich die dafür zuständigen Nervenzellen im Gehirn nicht ausreichend, verzögert oder überhaupt nicht [vgl. Brisch, 2015, S. 17 f.]. Der schon vor der Geburt entwickelte Schutzmechanismus vor unangenehmen Reizen, wie Geräuschen oder Geschmacksstoffen entwickelt sich weiter [vgl. Brisch, 2015, S. 19]. Dies signalisieren die Kinder, indem sie protestieren, sich abwenden oder weinen. Führen äußere Umstände dazu, dass Schmerzreize nicht abgewendet werden können, wie z.B. beim Impfen, so ist es notwendig, dass die Bindungsperson ihm hilft, den Schmerz zu bewältigen und das Kind tröstet [vgl. Brisch 2015, S. 15 ff.]. Durch Forschungen von Ainsworth und Bowlby wurde herausgefunden, dass die Entwicklung emotionaler Bindungen innerhalb der ersten beiden Lebensjahre in vier Phasen erfolgt [vgl. Rauh, 2002, S. 214].
Phase 1: Diese Phase betrifft die ersten drei Lebensmonate eines Säuglings. Sie kann auch als Vorphase bezeichnet werden, da in dieser Zeit der Säugling noch nicht spezifisch an eine Person gebunden ist. Sämtliche ausgesendete Signale werden an alle Personen, die den Säugling betreuen, pflegen oder versorgen, gerichtet.
Phase 2: Im Alter von ungefähr drei Monaten beginnt der Säugling damit, seine Bedürfnisse an eine, manchmal auch mehrere spezifische Personen aus seinem näheren Umfeld zu richten.
Phase 3: Mit ca. sieben Monaten wird das Kind beweglicher und beginnt sich fortzubewegen. Außerdem setzt die Objekt- und Personenpermanenz ein. Diese bildet sich nach Piaget, während der sensomotorischen Phase, im Alter zwischen sechs und acht Monaten aus. Das bedeutet, dass sich der Säugling der Existenz von Gegenständen und Personen bewusst ist, unabhängig davon, ob er diese auch sehen kann [vgl. Rauh, 2002, S. 214]. Das Kind ist in der Lage, aufgrund seines kognitiven und motorischen Fortschritts, welchen es bis zu diesem Alter bereits erreicht hat, zu erfassen, ob Personen ihnen zugewandt sind oder es ablehnen. Außerdem kann die eventuell bestehende Distanz aktiv durch das Kind beeinflusst werden. Dies gelingt den meisten Kindern im Alter zwischen zwölf und achtzehn Monaten.
Phase 4: Bowlby bezeichnet diese Phase auch als „zielkorrigierte Partnerschaft“. Im Alter von ungefähr zwei Jahren beginnt das Kind situationsabhängig das Verhalten seiner Bezugsperson zu beeinflussen [vgl. Rauh, 2002, S. 214].
Da nicht jedes Kind das Glück hat, über eine feinfühlige Mutter zu verfügen, die ihm die Möglichkeit gibt sich sicher binden zu können, werden im Folgenden die vier gebräuchlichsten und bekanntesten Bindungstypen kurz vorgestellt und erläutert.
3.1 Bindungstypen
In der Bindungstheorie wird sich mit der Entstehung von frühen emotionalen Bezieh-ungen zwischen einer tragenden Bezugsperson, welche in der Regel die Mutter ist, und dem Säugling, auseinandergesetzt. Als zwei Vorreiter der Erforschung der Bindungstheorie sind John Bowlby (1907-1990) und Mary Ainsworth (1913-1999) zu nennen. Im Jahre 1969 wurde die Theorie, die sich mit Bindungen zwischen zwei Menschen beschäftigt, durch John Bowlby begründet [vgl. Müller, 2001, S. 128]. Auf Ausführungen über die historische Entwicklung der Bindungstheorie und Bindungs-forschung wird in dieser Arbeit verzichtet, da diese als bekannt vorausgesetzt werden.
Im Nachgang werden lediglich in Kürze die vier Bindungstypen nach Bowlby vorge-stellt. Auf Differenzierungen beispielsweise nach Brisch soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da diese für das Thema dieser Arbeit nicht relevant erscheinen [vgl. Brisch, 2009, S.102ff]:
So unterscheidet Bowlby vier Bindungstypen, die sich in unserer frühen Kindheit, durch die Erfahrungen mit unseren Bindungspersonen entwickeln. Diese können bereits am Ende des ersten Lebensjahres genau erkannt und unterschieden werden.
3.1.1 Sichere Bindung
Die Pflegeperson mit der größten Feinfühligkeit in der Interaktion wird die Hauptbin-dungsperson für den Säugling. Große Feinfühligkeit fördert eine sichere Bindungs-entwicklung.
Nach Brisch haben ca. 60 bis 65 % der Kinder am Ende des ersten Lebensjahres eine sichere Bindung zu ihrer Mutter ausgebildet. 55% haben sich sicher an ihren Vater gebunden [vgl. Brisch, 2015, S. 40]. Ein sicher gebundenes einjähriges Kind erkennt man dadurch, dass es auf Trennung von der Hauptbindungsperson mit Angst reagiert. Es weint, schreit und protestiert. Außerdem wird es der Mutter aktiv hinterherlaufen und diese, seine Bindungsperson, suchen. Kehrt die Mutter wieder zurück, wird das sicher gebundene Kind Körperkontakt einfordern. Es möchte auf den Arm genommen und getröstet werden. Ein sicher gebundenes Kind lässt sich dadurch in der Regel schnell beruhigen, sodass es, nachdem sein Bindungsbedürfnis befriedigt wurde, wieder rasch zu explorieren und zu spielen beginnt. Häufig gelingt dies, ohne dass es ein weiteres Mal auf den Arm genommen werden muss.
Kinder die derart reagieren hatten in der Regel während ihres ersten Lebensjahres eine Bezugsperson, die sehr feinfühlig auf ihre Signale eingegangen ist, sodass sie ein sicheres Bindungsmuster ausbilden konnten. Außerdem wissen sie um die Verläss-lichkeit ihrer Pflegeperson. Sie ist immer für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ver-fügbar und erfüllt diese auch sofort. Selbst wenn es der Mutter oder dem Vater nicht gelingt, die Signale des Kindes richtig zu deuten, so vermittelt allein schon das Be-mühen darum, dem Kind eine gewisse Sicherheit. Es erlebt, dass seine Hauptbin-dungsperson in der Zeit, in der es unter einem starken emotionalen Stress steht, verfügbar ist. Was ihm wiederum emotionale Sicherheit gibt. Um sichere Bindungen entstehen zu lassen, greifen die Bindungspersonen auf selbst erlernte Muster aus ihrer eigenen Kindheit zurück. Eltern, die selbst sicher gebunden sind, werden auch dement-sprechend feinfühlig auf die Signale ihres Kindes, besonders im ersten Lebensjahr, eingehen. Dadurch werden die eigenen sicheren Bindungserfahrungen an das Kind weitergegeben [vgl. Brisch 2015, S. 41]
3.1.2 Unsicher-vermeidende Bindung
Kinder dieses Bindungstyps haben ein ausgesprochen stark ausgeprägtes Explo-rationsverhalten. Ihr Bindungsverhalten ist jedoch kaum ausgeprägt. Das zeigt sich unter anderem darin, dass sie bei einer spontanen Trennung von ihrer Bezugsperson einfach weiterspielen und nicht mit Trauer darauf reagieren. Dieses Bindungsmuster trifft auf ca. 25% aller Kinder zu [vgl. Brisch, 2015, S. 40]. Ein unsicher-vermeidend gebundenes Kind ignoriert die Hauptbindungsperson in einer Trennungssituation. Es signalisiert nach außen, dass es die Trennung gar nicht wahrgenommen hat. Es scheint kein Problem damit zu haben. Das, was für Außenstehende und Nichtfachleute positiv aufgefasst werden könnte, führt bei dem Kind jedoch zu einem Dilemma. Es zeigt sich durch sein Verhalten pseudoselbstständig. Der Verlust der Bezugsperson führt jedoch auch bei unsicher-vermeidend gebundenen Kindern häufig zu Stress, der einen Anstieg des Stresshormons Cortisol verursacht und den Puls erhöht [vgl. Brisch, 2015, S. 4]. Anders als bei sicher gebundenen Kindern sinkt der Cortisolspiegel jedoch nicht mit der Rückkehr der Bindungsperson, sondern bleibt über einen längeren Zeit-raum konstant hoch [vgl. Brisch, 2015, S. 45]. Das Kind reagiert beim Rückkehren der Bindungsperson eher abweisend, schaut weg und zeigt keine Freude. Es möchte auch nicht auf den Arm genommen werden. Eher wendet es sich ab und vergrößert somit die Distanz. Brisch beschreibt, dass unsicher-vermeidend gebundene Kinder bereits bis zum Ende des ersten Lebensjahres erlernt haben, ihre Bindungssignale nicht mehr nach außen zu zeigen. Sie spielen ihren Bindungspersonen aktiv vor, dass sie keine Beruhigung oder Nähe benötigen. Dies widerspricht jedoch ihrem tatsächlichen Zu-stand, der von physiologischer Erregung und einem inneren Stresserleben geprägt ist [vgl. ebd.].
Auch das Entstehen dieses Bindungstyps ist vom Verhalten der Bindungsperson abhängig. So weisen die Bindungspersonen das Kind in Situationen, in denen sein Bindungsbedürfnis aktiviert ist, es Angst hat und Schutz sucht, zurück. Sie vermitteln dem Kind, dass es mit dem akuten Stress allein zurechtkommen kann und auf gar keinen Fall Körperkontakt oder Hilfe und Unterstützung benötigt. Häufig soll dadurch die Selbständigkeit und Autonomie des Kindes gefördert werden. Das unsicher-vermeidend gebundene Kind soll sich möglichst frühzeitig mit wenig Weinen, Nähe und Körperkontakt selbst regulieren. Kinder, die im ersten Lebensjahr auf die von ihnen ausgesendeten Signale, keine feinfühligen Antworten erhalten, sondern eher Zurück-weisung und Ablehnung erfahren, lernen schnell, dass sie derartige Signale gegenüber ihren Bindungspersonen nicht mehr aussenden. Dadurch entwickeln die Kinder bereits im ersten Lebensjahr wiedererkennbare Muster. Sie unterdrücken aktiv ihre Bedürf-nisse nach Nähe und Zuwendung in Situationen, in denen das Kind Angst hat oder Stress ausgesetzt ist. Dadurch scheint es, dass diese Kinder mit Trennungssituationen gut zurechtkommen und keinen Trennungsschmerz erleiden. Sie wirken nach außen äußerst autonom und trennungsresistent. Tatsächlich jedoch haben unsicher-vermeidend gebundene Kinder bereits bis Ende des ersten Lebensjahres erlernt, derartige Bindungssignale nicht mehr nach außen zu senden. Sie signalisieren ihren Bindungspersonen, dass sie keine körperliche Nähe oder Beruhigung benötigen. Dies ist die Folge einer häufigen ablehnenden Haltung ihrer Bindungsperson gegenüber ihren Signalen nach Nähe und Sicherheit. Unsicher-vermeidend gebundene Kinder schützen sich dadurch selbst, da die Signale nicht positiv beantwortet werden. Als Reaktion darauf haben diese Kinder häufig körperliche Symptome, wie Kopf-schmerzen, Bauchschmerzen und Übelkeit. Da auch hier nicht durch Weinen nach außen signalisiert werden kann, dass sie sich unwohl fühlen, bleibt der Stresslevel dementsprechend hoch. Aufgrund der dauernden Anspannung kann ein unsicher-vermeidend gebundenes Kind nicht so unbeschwert explorieren, wie ein sicher Gebundenes. Wie auch bei den sicher gebundenen Kindern führen auch hier die Eltern, die selbst erlebten Muster fort. So haben sie meist auch von ihren eigenen Eltern erlebt, dass sie in stressvollen Situationen zurückgewiesen wurden. Das geben sie durch ihr Verhalten im ersten Lebensjahr an das eigene Kind weiter [vgl. Brisch, 2015, S. 43 ff.].
3.1.3 Unsicher-ambivalente Bindung
Kinder, die im ersten Lebensjahr dieses Bindungsverhalten ausbilden, es sind nach Brisch ungefähr 10%, zeigen in Trennungssituationen sehr deutlich ihren Stress [vgl. Brisch, 2015, S. 40 und 48 ff.]. Sie signalisieren das sehr schnell, durch lautes Weinen. Sie reagieren schon bei kleinsten Trennungen sehr heftig, sodass es ihren Müttern kaum gelingt, auch nur den Raum zu verlassen. Dies haben sie mit den sicher gebundenen Kindern, die ebenfalls sehr laut protestieren, wenn die Hauptbindungs-person den Raum verlässt, gemeinsam. Sie unterscheiden sich jedoch von bindungs-sicheren Kindern durch ihre Reaktion bei der Rückkehr der Mutter. Kehrt die Bindungs-person zurück, kann diese das Kind nicht beruhigen. Das Kind ist zwischen dem Be-dürfnis nach Nähe und dem Ärger über die Mutter, die es verlassen hat, hin und hergerissen [vgl. Brisch, 2015, S. 48]. Bei dem unsicher-ambivalent gebundenen Kind sind die Bindungssuche und die Bindungsvermeidung vereint. Das Kind benötigt lange Zeit, um sich auf dem Arm der Mutter zu beruhigen und wieder spielen zu können. Selbst in Anwesenheit der Bindungsperson zeigen diese Kinder wenig Explora-tionsverhalten. Fremde Personen integrieren sie gar nicht in ihr Spiel. Hier kann es einen Zusammenhang geben, dass die Eltern unsicher-ambivalent gebundener Kinder diese Muster, von ihren eigenen Eltern übernommen haben [vgl. Brisch, 2015, S. 49]. Sie haben in gleichen Situationen einmal positive Signale mit Schutz und Sicherheit erhalten. Ein anderes Mal wurden sie aber zurückgewiesen und mussten sich selbst regulieren. Es war für sie nicht abschätzbar, wann ihre Eltern feinfühlig eingreifen und wann ihre Bindungswünsche zurückgewiesen und abgelehnt werden. Die Folge daraus ist, nicht zu wissen, wie die Bindungsperson in Zukunft auf die Bindungswünsche des Kindes reagieren wird. Es findet keinen „sicheren Hafen“, weil es sich nicht auf die Reaktionen seiner Bindungsperson verlassen kann. Häufig sind die Mütter in Stress-situationen genervt und überfordert. Eventuell sind sie angespannt, weil das Kind lange und ausdauernd weint, versuchen es aber trotzdem schnell zu beruhigen. Dies wird nicht gelingen, da das Kind diese Doppelbotschaften spürt. Hierdurch wird ver-ständlich, wieso das Kind eine lange Zeit benötigt, um sich beruhigen zu lassen [vgl. Brisch, 2015, S. 50]. Auch das Explorationsverhalten eines unsicher-ambivalent gebundenen Kindes ist eingeschränkt und weniger ausgeprägt. Sowohl das Kind, als auch die Mutter sind häufig ängstlich. Dadurch wird das Kind selten von der Mutter ermuntert, seine Umgebung zu erkunden. Mutter und Kind sind ängstlich miteinander verbunden und Trennungen fallen beiden ausgesprochen schwer. Die Mutter spiegelt dem Kind ihre eigene Angst vor der Erkundung. Somit wird das Kind in seiner Freude zu explorieren gebremst. Sie zeigen dies, indem sie näher bei ihrer Mutter bleiben und sich auch nicht weit von ihr entfernen wollen. Bereits bis zum Ende des ersten Lebensjahres haben sie gelernt und auch von ihrer Mutter vermittelt bekommen, dass die Welt voller vieler Gefahren steckt. Deshalb finden sie sich damit ab, aus Angst bei ihrer Hauptbindungs-person zu bleiben. Ginge es auf Erkundungstour, könnte dabei etwas geschehen, was zwar den Trost durch die Bindungsperson hervorruft, gleichzeitig könnte es aber auch dazu führen, dass es dafür ausgeschimpft wird. Für die Nähe zur Bindungsperson zahlen diese Kinder einen hohen Preis. Sie geben aus Angst ihr Interesse zu explo-rieren und ihre Neugier auf [vgl. Brisch, 2015, S. 52].
3.1.4 Unsicher-desorganisierte Bindung
Kinder, die diesen Bindungstyp ausbilden haben häufig Eltern, die selbst mit unver-arbeiteten Traumata belastet sind. Die Ursachen dieser traumatischen Erfahrungen können vielfältig sein. So können der Verlust eines nahestehenden Menschen, Fehl-geburten Vernachlässigung oder Gewalterfahrungen dafür verantwortlich zeichnen. Werden diese Erfahrungen nicht nachhaltig durch eine Psychotherapie bearbeitet, besteht die Gefahr, dass die Angst und die Hilflosigkeit durch die Eltern auf den Säugling übertragen werden [vgl. Brisch, 2015, S. 57]. Triggert der Säugling, durch sein Verhalten die Eltern, werden Erinnerungen wachgerufen oder kommen Gefühle aus der Vergangenheit, die in Verbindung mit diesem Trauma stehen, wieder hoch, kann dies der Auslöser dafür sein nicht feinfühlig mit dem Kind umzugehen [vgl. Brisch, 2015, S. 58]. Sie beunruhigen das Kind, indem sie ängstlich, ohnmächtig und hilflos sind und das Gefühl der Bedrohung auf das Kind übertragen. Wenn die Eltern an ihr Trauma erinnert werden, erlebt auch das Kind dieses als eine Bedrohung. In anderen Situationen kann das Kind aber auf fürsorgliche, feinfühlige und schützende Eltern zurückgreifen [vgl. ebd.].
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