Die Europäische Union (EU) hat sich seit der Unterzeichung der Römischen Verträge im Jahre 1957 enorm entwickelt. Zwölf Jahre nach Kriegsende beschlossen damals sechs europäische Staaten, darunter die Erbfeinde Deutschland und Frankreich, eine intensive wirtschaftliche und in der Folge auch politische Kooperation. Fünfzig Jahre später besteht die Europäischen Union aus nunmehr 27 Mitgliedsstaaten aus West-, Nord-, Ost- und Südeuropa. Ein kompliziertes politisches System mit verschiedenen Ebenen, supranationalen sowie nationalen Akteuren, formuliert in immer mehr Politikbereichen für die Mitgliedsstaaten verbindliche Normen und Regeln. Die EU und der im Allgemeinen als Integration beschriebener Prozess der Vergemeinschaftung wird von der politischen Klasse, gerade mit dem Verweis auf die Herausforderungen der Globalisierung, in der Mehrheit begrüßt. Doch jenseits der Gipfelkonferenzen, Grenzöffnungszeremonien und EU-Parlamentssitzungen stößt das Projekt eines wirtschaftlich und politisch geeinten Europas durchaus auf Skepsis. Zwar wurde das Projekt der europäischen Einigung lange von den Bürgern Europas mit „freundlicher Indifferenz“ begleitet, doch scheint dieser „permissive Konsensus“, diese „stillschweigende Zustimmung“ (Schäfer 2006:350) nicht mehr uneingeschränkt zu gelten. So wird zum Beispiel die EU-Erweiterung zunehmend skeptisch gesehen, außerdem wird der EU zu viel Bürokratie und Bürgerferne vorgeworfen. Weiterhin gilt der gilt der EU-Willensbildungsprozess vielen als wenig transparent und undemokratisch (Trenz 2002: 11 & Schäfer 2006: 350). Vielfach wird der Europäischen Union ein Demokratiedefizit attestiert und nicht nur Sozialwissenschaftler fordern eine Aufwertung demokratischer Verfahren und mehr Bürgerbeteiligung in der Europäischen Union (Schäfer 2006:351). Als Defizitär wird von einigen auch der Zustand von Öffentlichkeit in Europa beschrieben. Wissenschaftler und Politiker haben darauf hingewiesen, dass in der Europäischen Union der „(...) von Massenmedien getragene politische Diskurs, der Politik erst zu einer Sache der Allgemeinheit und damit Demokratie erst zur Demokratie macht“ (Kielmannsegg nach Neidhardt et al 2000:263) fehle bzw. dass das größte demokratische Defizit in Europa nicht bei den Institutionen liege, „sondern am Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit“ (Guterres nach Neidhardt et al 2000:263).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Öffentlichkeit, Demokratie und die EU
2.1 Politische Öffentlichkeit und Demokratie
2.2 Das Öffentlichkeitsdefizit und die Europäischen Union
2.2.1 Legitimationsdefizite als Folge von Transnationalisierungsprozessen
2.2.2 Gibt es ein Öffentlichkeitsdefizit in der Europäischen Union?
3 Konflikte als Generator politischer Öffentlichkeit in der EU?
3.1 Konflikt – Öffentlichkeit - Demokratie
3.2 Lösungsstrategien eines Öffentlichkeitsdefizit in der Europäischen Union
3.2.1 Konflikte als Motor europäischer Öffentlichkeit?
3.2.2 Demokratie als Motor politischer Öffentlichkeit in Europa
4 Schlusswort
5 Bibliographie
1 Einleitung
Die Europäische Union (EU) hat sich seit der Unterzeichung der Römischen Verträge im Jahre 1957 enorm entwickelt. Zwölf Jahre nach Kriegsende beschlossen damals sechs europäische Staaten, darunter die Erbfeinde Deutschland und Frankreich, eine intensive wirtschaftliche und in der Folge auch politische Kooperation. Fünfzig Jahre später besteht die Europäischen Union aus nunmehr 27 Mitgliedsstaaten aus West-, Nord-, Ost- und Südeuropa. Ein kompliziertes politisches System mit verschiedenen Ebenen, supranationalen sowie nationalen Akteuren, formuliert in immer mehr Politikbereichen für die Mitgliedsstaaten verbindliche Normen und Regeln. Die EU und der im Allgemeinen als Integration beschriebener Prozess der Vergemeinschaftung wird von der politischen Klasse, gerade mit dem Verweis auf die Herausforderungen der Globalisierung, in der Mehrheit begrüßt. Doch jenseits der Gipfelkonferenzen, Grenzöffnungszeremonien und EU-Parlamentssitzungen stößt das Projekt eines wirtschaftlich und politisch geeinten Europas durchaus auf Skepsis. Zwar wurde das Projekt der europäischen Einigung lange von den Bürgern Europas mit „freundlicher Indifferenz“ begleitet, doch scheint dieser „permissive Konsensus“, diese „stillschweigende Zustimmung“ (Schäfer 2006:350) nicht mehr uneingeschränkt zu gelten. So wird zum Beispiel die EU-Erweiterung zunehmend skeptisch gesehen, außerdem wird der EU zu viel Bürokratie und Bürgerferne vorgeworfen. Weiterhin gilt der gilt der EU-Willensbildungsprozess vielen als wenig transparent und undemokratisch (Trenz 2002: 11 & Schäfer 2006: 350). Vielfach wird der Europäischen Union ein Demokratiedefizit attestiert und nicht nur Sozialwissenschaftler fordern eine Aufwertung demokratischer Verfahren und mehr Bürgerbeteiligung in der Europäischen Union (Schäfer 2006:351). Als Defizitär wird von einigen auch der Zustand von Öffentlichkeit in Europa beschrieben. Wissenschaftler und Politiker haben darauf hingewiesen, dass in der Europäischen Union der „(...) von Massenmedien getragene politische Diskurs, der Politik erst zu einer Sache der Allgemeinheit und damit Demokratie erst zur Demokratie macht“ (Kielmannsegg nach Neidhardt et al 2000:263) fehle bzw. dass das größte demokratische Defizit in Europa nicht bei den Institutionen liege, „sondern am Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit“ (Guterres nach Neidhardt et al 2000:263). Öffentlichkeit wird in diesem Zusammenhang als Gerüst verstanden, „(...) auf dessen Basis sich eine den demokratischen Prinzipien verpflichtete Gestaltung von Politik entfalten kann“ (Trenz 2002:11).
In den nun folgenden Kapiteln soll nun erstens geprüft werden, ob in der europäischen Union ein solches Öffentlichkeitsdefizit besteht. Hierbei dient ein repräsentativ-liberales Modell von Öffentlichkeit als Bewertungsgrundlage. Zweitens soll überlegt werden, wie ggf. ein solches Defizit gelöst werden kann. Insbesondere soll geprüft werden, ob Konflikte bei der Genese einer politischen Öffentlichkeit in Europa eine konstruktive Rolle spielen können. Sind Konflikte die Motoren politischer Öffentlichkeit in Europa?
Um sich einer Antwort zu diesen Fragen nähern zu können, soll in einem ersten Schritt überlegt werden, welche Rolle Öffentlichkeit in demokratischen Systemen spielen. Warum ist es wichtig, dass Demokratien über funktionierende Öffentlichkeiten verfügen? In einem zweiten Schritt soll sich dem in der Wissenschaft beschrieben Öffentlichkeitsdefizit gewidmet werden. Gibt es ein Öffentlichkeitsdefizit in Europa? In einem letzten Schritt soll dann geprüft werden, ob sich die gezielte Zulassung von Konflikten positiv auf die Genese einer politischen Öffentlichkeit in Europa auswirkt.
2 Öffentlichkeit, Demokratie und die EU
2.1 Politische Öffentlichkeit und Demokratie
Betrachtet man die Konzeptionen von Öffentlichkeit in den Sozialwissenschaften wird deutlich, dass diese im Rahmen des politischen Systems des demokratischen Nationalstaats entworfen worden sind. Allgemein wird Öffentlichkeit als Raum verstanden, der sich von der Sphäre des Privaten und des Staatlichen unterscheidet. Öffentlichkeit wird als freizugängliches Kommunikationsforum für alle diejenigen verstanden, „(...) die etwas mitteilen, oder das, was andere mitteilen, wahrnehmen wollen“ (Neidhardt et al 2000:264). Weiterhin wir die politische Öffentlichkeit als jener Bereich verstanden, in dem sich Angehörige/Bürger eines Herrschaftsraumes öffentlich versammeln, um staatlicher Herrschaft gegenüber Kritik zu üben und diese zu kontrollieren (Berkel 2006:16). Als demokratisch gilt eine Herrschaftsform dann, wenn die „Herstellung kollektiv verbindlichen Entscheidungen an die Interessen und Willensbildungsprozesse der Staatsbürger gekoppelt ist“ (Gerhards 2000:286). Diejenigen die im Namen der Staatsbürger für eine bestimmte Zeit kollektiv verbindliche Entscheidungen herbeiführen sollen, werden in demokratisch verfassten Systemen im Rahmen von Wahlen bestimmt. Wahlen dienen als Instrument der Delegation und Zuweisung von Macht an den, von denen sich eine Mehrheit der Bürger eines Herrschaftsraumes angemessen vertreten fühlen. Doch dieser für die Demokratie so entscheidende Prozess der Wahl setzt einen mündigen Bürger voraus, der aus dem „Angebot“ an Kandidaten, Positionen, Programmen und Meinungen eine vernünftige Wahl treffen kann (Gerhards 2002:137). Als ein solcher Ort der Information, Meinungsbildung, Diskussion und politischer Kontrolle dient in Demokratien die sog. politische Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist ein Kommunikationssystem, „(...) in dem Themen und Meinungen gesammelt (Input), verarbeitet (Throughput) und weitergegeben (Output) werden“ (Neidhardt in Berkel 2006:18). Öffentlichkeit erfüllt damit in Demokratien drei Basisfunktionen (Berkel 2006:18): 1. Transparenz: Öffentlichkeit muss für alle gesellschaftlichen Gruppen, Meinungen und Themen offen sein. 2. Validierung: Akteure in der Öffentlichkeit sollen mit den Themen und Meinungen anderer Akteure diskursiv umgehen. Als dritte Funktion und damit als Output politischer Öffentlichkeit entsteht Orientierung: Als Resultat eines öffentlichen Auseinandersetzungsprozess zwischen Öffentlichkeitsakteuren entsteht öffentliche Meinung über das, was eine Gesellschaft will oder nicht will bzw. welche Handlungen in einer spezifischen Situation von der Mehrheit der Gesellschaft als richtig erachtet werden. In diesem Prozess der „Meinungsmache“ nehmen die Massenmedien eine zentrale Rolle ein (Berkel 2006:18), denn allein die Massenmedien ermöglichten, wie Gerhards vermutet, eine für die Präferenzgenese dauerhafte Beobachtung der Politik durch den Bürger (Gerhards 2002:138). Die Verbindung von Beobachtung durch den Bürger und Abhängigkeit durch Wahlen führt dazu, das sich die Herrschenden an den Präferenzen der Bürger orientieren (Gerhards 2000:287). Hieraus resultiert eine Kongruenz zwischen Bürgern, Herrschenden und Öffentlichkeit. Denn jene Bürger, die einen Herrschenden durch Wahlen legitimiert haben, sind gleichzeitig jene, die sich dem gesetzgeberischen Output des gewählten Herrschers zu unterwerfen haben (Gerhards 2000:287). Weiterhin trifft dies auf die Beziehung zwischen Öffentlichkeit und Politik zu, weil „(...) die Medien über die Herrschaftsträger und deren Konkurrenten informieren und (...) die Bürger sich auf der Basis dieser Informationen ihr Urteil bilden können“ (Gerhards 2000:287).
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- Quote paper
- Philipp Appel (Author), 2008, Mehr Öffentlichkeit durch Konflikt?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113556
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