Das Video zu dem Song The Beautiful People aus dem dritten Album der Band Marilyn Manson mit dem Titel Antichrist Superstar wurde 1996 unter der Regie der Foto- und Videokünstlerin Floria Sigismondi gedreht. Die These, die dieser Arbeit zugrunde liegt und die es im weiteren Verlauf zu untersuchen gilt, ist, dass der Song und insbesondere das Musikvideo als Kritik an zeitgenössischen Schönheitsidealen zu lesen ist; Schönheitsideale, die einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft innehaben und die durch ihre Vormachtstellung und implizierten Zwang zur Anpassung den Verlust von Identität und die Degradierung des einzelnen, anpassungsunwilligen Individuums bedingen.
Zweifelsohne bedient sich Manson auch in The Beautiful People faschistoider Symbolik und Bilder, die er jedoch überspitzt und parodiert; eine Form der Selbstinszenierung, wie er sie auch bei seinen Live-Konzerten immer wieder betrieben hat.
Doch wie passen die Verwendung faschistoider Ästhetik, das Spiel mit faschistoider Symbolik, die sich tief in unser kollektives Geschichtsbewusstsein eingebrannt hat und damit unzweideutigen Wiedererkennungswert besitzt, und Kritik an dem modernen, nicht selten obsessiven Drang zu äußerlicher Perfektion zusammen? Manson selbst gibt – im Rahmen eines Interviews mit der Musikzeitschrift Visions 1997 auf das seinerzeit aktuelle Album Antichrist Superstar angesprochen – eine kurze aber prägnante Antwort darauf: „Es zielt auf die amerikanische Idee des Faschismus der Schönheit ab. Den Menschen wird das Gefühl gegeben, sie müßten [dic] in das vorgegebene Schema der Schönheit passen, sowohl spirituell als auch physisch.“ Ziel der folgenden Analyse ist es, einzelne Sequenzen des Videos auf ihre Bedeutung im Sinne der oben genannten These hin zu untersuchen und eine mögliche Interpretation zu geben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Provokation und Ästhetische Dekonstruktion
2.1. Perfektion um jeden Preis
3. Drei Räume – Drei Figuren
3.1. Die Unterwelt – Ein Verlies für The Horrible People
3.2. Die Zwischenwelt – Performance eines Demagogen
3.3. Die obere Welt – Manson als Führerfigur
4. Fazit
5. Literatur- und Quellenverzeichnis
6. Anhang
1. Einleitung
Hört auf, euch darüber Sorgen zu machen, ob ihr die gegenwärtigen Vorstellungen davon erfüllt, was schön und was politisch korrekt ist. Glaubt an euch selbst und haltet euch an das, was richtig ist.[1]
Das Video zu dem Song The Beautiful People aus dem dritten Album der Band Marilyn Manson[2] mit dem Titel Antichrist Superstar wurde 1996 unter der Regie der Foto- und Videokünstlerin Floria Sigismondi gedreht. Die These, die dieser Arbeit zugrunde liegt und die es im weiteren Verlauf zu untersuchen gilt, ist, dass der Song und insbesondere das Musikvideo als Kritik an zeitgenössischen Schönheitsidealen zu lesen ist; Schönheitsideale, die einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft innehaben und die durch ihre Vormachtstellung und implizierten Zwang zur Anpassung den Verlust von Identität und die Degradierung des einzelnen, anpassungsunwilligen Individuums bedingen.
Zweifelsohne bedient sich Manson auch in The Beautiful People faschistoider[3] Symbolik und Bilder, die er jedoch überspitzt und parodiert; eine Form der Selbstinszenierung, wie er sie auch bei seinen Live-Konzerten immer wieder betrieben hat.[4]
Doch wie passen die Verwendung faschistoider Ästhetik, das Spiel mit faschistoider Symbolik, die sich tief in unser kollektives Geschichtsbewusstsein eingebrannt hat und damit unzweideutigen Wiedererkennungswert besitzt, und Kritik an dem modernen, nicht selten obsessiven Drang zu äußerlicher Perfektion zusammen? Manson selbst gibt – im Rahmen eines Interviews mit der Musikzeitschrift Visions 1997 auf das seinerzeit aktuelle Album Antichrist Superstar angesprochen – eine kurze aber prägnante Antwort darauf: „Es zielt auf die amerikanische Idee des Faschismus der Schönheit ab. Den Menschen wird das Gefühl gegeben, sie müßten [dic] in das vorgegebene Schema der Schönheit passen, sowohl spirituell als auch physisch.“[5] Ziel der folgenden Analyse ist es, einzelne Sequenzen des Videos auf ihre Bedeutung im Sinne der oben genannten These hin zu untersuchen und eine mögliche Interpretation zu geben.
2. Provokation und Ästhetische Dekonstruktion
The Beautiful People handelt - wie Songtitel und Liedtext unschwer zu entnehmen ist – von den schönen Menschen. Wer genau sie sind, bleibt offen und abstrakt, vielmehr geht es Manson um das moderne, fragwürdige Phänomen, dass Schönheit Macht bedeutet oder im Umkehrschluss, dass Macht schön und sexy macht. Welchen Standpunkt Manson den schönen Menschen gegenüber einnimmt, wird bereits in der ersten Liedzeile deutlich, in der er sie direkt anzusprechen scheint: „And I dont want you and I dont need you.“[6] Auf der visuellen Ebene des Musikvideos bedient sich Manson einer anderen Strategie, um sich auf kritische Weise zu positionieren, nämlich indem er durch provozierende und teilweise schockierende Bilder und Selbstdarstellung indirekt Kritik an sozialen und gesellschaftlichen Mechanismen übt.[7] Müller-Diefenbach schreibt in ihrem Aufsatz Anti-Körper-Dekonstruktion stereotyper Schönheitsideale im Videoclip diesbezüglich von „Ästhetischer Dekonstruktion“. „Seine [Marilyn Mansons] Bilder sollen schockieren, Befremdung hervorrufen, und sie negieren augenfällig, was gemeinhin unter »ästhetisch« verstanden wird.“[8]
Die von Manson verwendeten Techniken der Dekonstruktion und der Provokation gilt es im Folgenden an ausgewählten Beispielen aus dem Video darzustellen.
2.1. Perfektion um jeden Preis
Das Video beginnt mit düsteren Bildern in schneller Schnittfrequenz und mit unruhiger Handkamera gedreht.[9] Zu sehen sind unterschiedliche Details mechanischer Apparaturen, Messgeräte, Fotographien, sich räkelnde Regenwürmer und Gipsmodelle menschlicher Ober- und Unterkiefer. Eine Orientierung im Raum ist bisher nicht möglich. Die schnelle und kollagenartige Aneinanderreihung der Einstellungen wird durch eine untersichtige und unscharfe Einstellung unterbrochen, die Marilyn Manson und seine Band zeigt. Musikalisch unterlegt sind diese Einstellungen mit dem Fade In der verzerrten Leadgitarre.[10]
Mit Einsetzen des Schlagzeugs sind weiße Handmodelle in vier unterschiedlichen Einstellungsgrößen zu sehen, die in akkurater Ordnung auf einer Art Fließband stehen. Müller-Diefenbach deutet diese Einstellungen als erste Anspielung auf das im Video stetig wiederkehrende Bild von Prothesen, die defekte menschliche Extremitäten ersetzen und dazu dienen, den menschlichen Körper zu perfektionieren und gleichzeitig seine Makel zu kaschieren.
Der individuelle Körper verliert immer mehr an Bedeutung, der Identitätsverlust wird jedoch um den Preis der Perfektion hingenommen. [...] Sie [die Handmodelle] verdeutlichen die beliebige Reproduzierbarkeit perfekter Körperteile und den daraus resultierenden Verlust der Identität.[11]
Darüber hinaus lassen die Einstellungen der Handmodelle jedoch auch andere Lesarten zu. Lässt man die Ähnlichkeit der Hände mit Handprothesen außer Acht, so können sie durchaus aufgrund ihrer weißen Oberfläche an sterile Latexhandschuhe erinnern, wie sie Chirurgen bei Operationen verwenden. Berücksichtigt man außerdem die Tatsache, dass eine Vielzahl von Handmodellen gezeigt wird und dass sie auf einem Fließband angeordnet stehen, ließen sich diese Einstellungen auch als Anspielung auf die Schönheitsoperationsindustrie verstehen. Natürlich ist diese Art der Deutung Müller-Diefenbachs nicht unähnlich, zumal auch Schönheitsoperationen dazu dienen, menschliche Makel zu beseitigen und den menschlichen Körper auf oft qualvolle Weise zu perfektionieren.
Zweifelsohne ließen sich die empor gestreckten Hände jedoch auch als Anspielung auf den zum „Hitler-Gruß“ gehobenen Arm verstehen. Das Fehlen jeglicher individueller Merkmale an den Händen und ihre Anordnung ließen sich demzufolge als Symbol für die Gleichschaltung der Masse und unbedingten Gehorsam lesen und damit eine an den Faschismus angelehnte politische Aussage implizieren. Eine darauf folgende Einstellung bekräftigt diesen Gedanken.
Zum Schlagzeug setzt die monoton rhythmische Rhythmusgitarre ein; der Eindruck von aggressiver Marschmusik wird sogleich durch im Gleichschritt marschierende Füße in Kampfstiefeln verstärkt. Eine Assoziation mit marschierenden Soldaten ist unausweichlich. Auch hier wird auf den Gedanken der Gleichschaltung, des blinden Gehorsams, des Aufgehens des Individuums in der Masse und des Militarismus verwiesen. Interessant ist hierbei auch, dass, kurz nachdem gleichförmige Hände zu sehen waren, nun ihr körperlicher Gegenpart - nämlich der Fuß - im Mittelpunkt der Einstellung steht. Man kann also davon ausgehen, dass beide Einstellungen inhaltlich in direktem Zusammenhang stehen.
Gleichwohl welches Deutungsansatzes man sich bedienen mag, dienen beide Einstellungen als Vorankündigung und prägnante Zusammenfassung der Aussage, die Manson mit seinem Video tätigen will. Es geht um den Drang zu Schönheit, die Qualen, die der Mensch in Kauf nimmt, um einem fragwürdigen Ideal zu entsprechen, und es geht um Macht und Unterdrückung.
[...]
[1] Manson in: Strauss (1997), S. 56
[2] Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier darauf hingewiesen, dass der Name der Band und der Künstlername ihres Sängers Brian Hugh Warner identisch ist. Wenn ich im weiteren Verlauf der Arbeit von Marilyn Manson spreche, so ist stets der Sänger B.H. Warner gemeint.
[3] Das Fremdwörterbuch des Duden-Verlags definiert den Begriff faschistoid wie folgt: dem Faschismus ähnlich, faschistische Züge zeigend.
[4] Vgl. hierzu Pinto (2006) S. 61
[5] Manson in: Schmidt (1997) S. 19-20
[6] vgl. Songtext im Anhang
[7] vgl. Müller-Diefenbach (2004), S. 228-237
[8] ebd. S. 233
[9] vgl. im Folgenden The Beautiful People (Musikvideo,1996)
[10] Der Begriff Leadgitarre bezeichnet die Gitarre des Solisten, der die Melodielinien eines Songs spielt. Im Gegensatz dazu steht die Rhythmusgitarre, die der rhythmischen Begleitung dient.
[11] Müller-Diefenbach (2004) S. 234
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