Es gibt innerhalb der verschiedenen Strömungen der extremen Rechten in Deutschland unterschiedliche Positionen zum jüdischen Staat, die im Folgenden dargestellt und untersucht werden sollen. Dabei wird nach einigen einleitenden Überlegungen zum Begriff der „Extremen Rechten“ auf das historische Verhältnis von Nationalsozialismus, völkischem Antisemitismus und Zionismus vor der Shoah eingegangen, bevor die beiden aktuellen Haupterscheinungsformen des modernen Rechtsextremismus, namentlich der klassische Neonazismus und die sog. „Neue Rechte“, und ihr Verhältnis zu Israel untersucht werden sollen. Dazu werden vor allem offizielle Stellungnahmen von Parteien und anderen Zusammenschlüssen wie auch Beiträge in einschlägigen Zeitschriften und Meinungsblogs herangezogen. Abschließend soll eine Zusammenfassung des Verhältnisses der deutschen extremen Rechten zum jüdischen Staat stehen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Israel im Blick der extremen Rechten - damals und heute
2.1 Überlegungen zum Begriff der „Extremen Rechten“
2.2 Verhältnis von Zionismus und extremer Rechter vor der Shoah
2.3 Verhältnis der postnazistischen extremen Rechten zu Israel
2.3.1 Neonazistische Rechte
2.3.2 Neue Rechte
3. Fazit
1. Einleitung
„Kamerad Kamerad/ Es lautet der Befehl/ Ran an den Feind/ Ran an den Feind/ Bomben auf Israel“: das fordert die neonazistische Kultband Landser im Lied „Ran an den Feind“ auf ihrem im Jahr 2000 veröffentlichtem gleichnamigen Album. Ein derart offener Aufruf zur Vernichtung des jüdischen Staates mag angesichts des offenen Antisemitismus der Rechtsrockszene, zu deren radikalsten Vertretern Landser sicherlich gehören, kaum überraschen; daraus die Schlussfolgerung abzuleiten, dass sich die gesamte extreme Rechte gegenüber Israel und dem Zionismus ablehnend bis feindlich positioniert, wäre allerdings verkürzt. Tatsächlich gibt es innerhalb der verschiedenen Strömungen der extremen Rechten in Deutschland unterschiedliche Positionen zum jüdischen Staat, die im Folgenden dargestellt und untersucht werden sollen. Dabei wird nach einigen einleitenden Überlegungen zum Begriff der „Extremen Rechten“ auf das historische Verhältnis von Nationalsozialismus, völkischem Antisemitismus und Zionismus vor der Shoah eingegangen, bevor die beiden aktuellen Haupterscheinungsformen des modernen Rechtsextremismus, namentlich der klassische Neonazismus und die sog. „Neue Rechte“, und ihr Verhältnis zu Israel untersucht werden sollen. Dazu werden vor allem offizielle Stellungnahmen von Parteien und anderen Zusammenschlüssen wie auch Beiträge in einschlägigen Zeitschriften und Meinungsblogs herangezogen. Abschließend soll eine Zusammenfassung des Verhältnisses der deutschen extremen Rechten zum jüdischen Staat stehen.
2. Israel im Blick der extremen Rechten - damals und heute
2.1 Überlegungen zum Begriff der „Extremen Rechten“
Zu Beginn sollen einige Überlegungen zum Begriff des Rechtsextremismus angestellt und eine Definition des Phänomens erarbeitet werden, die als Grundlage für die anschließenden Ausführungen dient. Das „Lexikon Politik, Staat, Gesellschaft“ definiert Rechtsextremismus als „Sammelbezeichnung für alle radikalen antidemokratischen Bewegungen und Parteien, deren politische Ziele auf einer extrem nationalistischen, autoritären und rassistischen Ideologie basieren“1. Als grundlegendes Ideologieelement extrem rechter Weltanschauungen nennt der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn demnach eine „Ideologie der Ungleichheit, die als Denkfigur aufgrund ihrer Menschen in essentialistische, d.h. als natürlich und unabänderlich unterstellte Kollektive einteilenden Vorstellung Ausdruck struktureller Gewalt ist“2 und sich in völkisch-rassistischen Einstellungen äußert. Diesen als natürlich und unabänderlich gedachten Volksgruppen hat sich der Einzelne unterzuordnen, Individualismus und Liberalismus gelten als den „Volkskörper“ zersetzende Ideologien. Das führt zu einem „hierarchischen Politikverständnis, das sich antisemitisch, rassistisch, antiliberal, patriarchal, antifeministisch, elitär, sozialdarwinistisch und autoritär äußert“3. Das „Handbuch Rechtsextremismus“ nennt als weltanschauliche Komponenten, die sich in unterschiedlichen Formen bei allen Akteur*in- nen der extremen Rechten finden lassen, ebenfalls „Nationalismus, Rassismus beziehungsweise Ethnopluralismus, Antikommunismus, Antipluralismus, Autoritaris- mus/Law-and-order-Denken sowie Feindschaft gegen Demokratie“4. In dieser Arbeit wird der Fokus deshalb auf Gruppierungen, Medien oder Akteur*innen liegen, bei denen ein Großteil bzw. alle dieser ideologischen Komponenten nachgewiesen werden können. Unterschieden wird jedoch weiterhin zwischen klassischem Neonazismus und der sog. „Neuen Rechten“: Erstere charakterisiert eine mehr oder minder offene Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus, während Letztere im Zuge eines Reformierungsprozesses der extremen Rechten in den 1960ern entstanden ist und sich vor allem auf die Theoretiker der sog. „Konservativen Revolution“ beruft. Genauere Begriffsbestimmungen sollen in den entsprechenden Abschnitten vorgenommen werden.
Der Begriff des Rechtsextremismus unterliegt seit einigen Jahrzehnten einer immer lauter werdenden Kritik, vor allem in politischen und aktivistischen, aber auch in akademischen Kontexten. Dabei geht es vor allem um den Begriff des Extremismus, der als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Positionen gilt, die „eine - mehr oder weniger - erbitterte Gegnerschaft im Hinblick auf Werte und Spielregeln konstitutioneller Demokratie“5 eint. Demgegenüber steht in diesem Modell eine politisch neutrale und rechtsstaatliche Mitte, die von den extremen Rändern klar abzugrenzen ist. Manche Vertreterinnen des Begriffs gehen gar von einer ideologischen Nähe von Links- und Rechtsextremismus aus, die sich - gleich einem Hufeisen - gegenseitig näher sind als der politischen Mitte.
Kritikerinnen verweisen im Gegenzug auf die mannigfaltigen Probleme, die aus diesem Modell entstehen: Christoph Kopke und Lars Rensmann etwa attestieren ihm „fundamentale^..] analytische^..] Schwächen“6 und eine „teils unübersehbar politisch motivierte[...] Setzung“7 ; mit dem Schablonendenken der Extremismustheorie ließen „sich selbstverständlich keine historisch-politischen Phänomene oder sozialen Bewegungen begreifen“8. Auch die normative Setzung einer verfassungstreuen und demokratischen Mitte wird immer wieder als Illusion kritisiert, beispielsweise in Bezug auf die Weimarer Republik, die „von oben und eben aus der Mitte der Gesellschaft bekämpft und schließlich beseitigt“9 wurde, oder mit Blick auf die sog. „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, die eindrücklich belegen, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Demokratieverachtung und Verschwörungsdenken mitnichten Probleme politischer Randgruppen sind, sondern sich durch die gesamte Gesellschaft ziehen10.
Nichtsdestotrotz soll für diese Arbeit in Ermangelung einer passenderen Charakterisierung am Begriff des Rechtsextremismus festgehalten werden, ohne jedoch außer Acht zu lassen, dass der Nährboden für rechtsextremistische Einstellungen und Gruppierungen in der sog. Mitte bereitet wird und menschenfeindliche Ideologien - im Folgenden vor allem Antisemitismus - in allen Gesellschaftsschichten zu finden sind. Der im Folgenden verwendete Sammelbegriff „Extreme Rechte“ soll alle Ak- teur*innen und Gruppierungen einschließen, die der liberalen Demokratie und universellen Menschenrechten kritisch bis feindselig gegenüberstehen und den oben erarbeiteten Charakteristika entsprechen - ohne diese mit der politischen Linken gleichzusetzen oder die gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Entstehung zu ignorieren.
2.2 Verhältnis von Zionismus und extremer Rechter vor der Shoah
Im Folgenden wird das nicht immer eindeutige Verhältnis von extremer Rechter, völkischem Antisemitismus und jüdischem Nationalismus in Deutschland vor der Shoah beleuchtet. Dabei ist zuallererst festzuhalten, dass die Befürworter der zionistischen Idee lange Zeit selbst innerhalb der deutschen und europäischen jüdischen Gemeinde eine absolute Minderheitenposition einnahmen, was vor allem am „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufstieg von einer hauptsächlich als ausgegrenzte Unterschicht lebenden Gemeinschaft zu einer Schicht des mittleren und oberen Bürgertums“11 lag, der vielen deutschen Jüd*innen im 19. Jahrhundert gelang. Die Prognosen Theodor Herzls, wonach der europäische Antisemitismus bald so stark werde, dass dem jüdischen Volk nur noch die Emigration nach Palästina und eine eigene Staatsgründung bliebe, schienen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht zu bestätigen.
Bemerkenswerterweise fand die Idee eines jüdischen Nationalstaates in Palästina sogar die Unterstützung vieler Antisemiten, vor allem solcher, die von einer rassischen Unterlegenheit der Jüd*innen überzeugt waren und sie für nicht integrierbar in die eigene Nation hielten. Sie bevorzugten deshalb eine „Secessio Judaica“, wie eine programmatische Schrift des deutschen Antisemiten Hans Blüher betitelt war12: die Entfernung des parasitären Judentums aus seinen Wirtsvölkern und einen eigenen Staat für das jüdische Volk. Diese Auffassung sollte sich auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nur langsam ändern: abgesehen von massiver antisemitischer Propaganda, fehlte „es der NS-Judenpolitik während der dreißiger Jahre an einer klaren Richtlinie sowie an Planung und Koordination“13, wie beispielsweise der Historiker Uwe-Dietrich Adam aufzeigte.
So wurden zwar antijüdische Gesetze erlassen und es kam in ganz Deutschland immer wieder zu Pogromen, die deutsche Regierung unter Hitler handelte aber gleichzeitig mit der Jewish Agency und der Zionistischen Vereinigung für Deutschland das sogenannte „Ha’avara-Abkommen“ aus14, das deutschen Jüd*in- nen die Ausreise aus dem Deutschen Reich in das Mandatsgebiet Palästina erleichterte. So sollte auch dem internationalen Warenboykott entgegengewirkt und das Ansehen Deutschlands in der Welt verbessert werden. Bis 1938 wurde der staatliche Druck auf die jüdische Bevölkerung weiter verstärkt, um die zionistische Auswanderung zu beschleunigen; gleichwohl gaben NS-Funktionäre offen zu, dass „die Judenfrage [...] für Deutschland nicht gelöst sein [wird], wenn kein Angehöriger der jüdischen Rasse mehr auf deutschem Boden sesshaft ist.“15
In der antisemitischen Logik der Nationalsozialisten war das nur konsequent: Die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung, die die Geschicke der gesamten Menschheit im Verborgenen steuert, stellte eine der Grundlagen ihrer Propaganda dar und wurde von den Parteiideologen der NSDAP zu einer Welterklärung ausgearbeitet, die den „Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen Gründen“16 ablösen sollte. In diesem Weltbild wurden Jüd*innen nicht (nur) gehasst, weil sie fremdartig, rassisch minderwertig oder undeutsch waren; vielmehr wurden sie zu heimlichen, aber übermächtigen Unterdrückern der Menschheit und vor allem der arischen Rasse. Ein eigener Staat für dieses Volk könne deshalb nur „eine mit eigenen Hoheitsrechten ausgestattete, dem Zugriff anderer Staaten entzogene Organisationszentrale ihrer internationalen Weltbegaunerei“17 sein, wie Adolf Hitler selbst schrieb - die einzige in dieser Logik konsequente Lösung bleibt die totale, industrielle Vernichtung des jüdischen Volkes. Erschwerend kam hinzu, dass die jüdische Auswanderung nach Palästina nicht in dem Umfang erfolgte, wie es sich die NS-Strategen erhofft hatten: „Anfang des Jahres 1938, fünf Jahre nach der ..Machtergreifung’ der Nationalsozialisten, war nur etwas mehr als ein Viertel der jüdischen Gemeinschaft aus Deutschland ausgewandert.“18 Die Erkenntnis, dass die Umsiedlung der europäischen Jüd*innen nicht so problemlos vonstattengehen würde wie erhofft und mit dem eigenen antisemitischen Wahn auch ideologisch nur schwer kompatibel war, führte schlussendlich zur industriellen Massenvernichtung aller, die nicht rechtzeitig fliehen konnten.
Das Verhältnis zwischen der deutschen extremen Rechten vor dem Holocaust und dem Zionismus lässt sich abschließend als ambivalent beschreiben. Während vor allem der deutschnationale und rassistische Antisemitismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine Auswanderung der deutschen Jüd*innen in das Mandatsgebiet Palästina noch befürworten konnte, weil die rassische Durchmischung und jüdische Raffgierigkeit von Deutschland abgewendet werden sollte, war eine solche Positionierung spätestens dann nicht mehr möglich, als der Antisemitismus zur „Verbindung von Weltanschauung und Leidenschaft“19 wurde, also die Funktion einer Welterklärung übernahm, da das jüdische Volk seine sinistren Weltherrschaftspläne überall auf der Welt verfolgen konnte. Diesen ideologischen Widerspruch konnte auch die zeitweilige Kooperation zwischen Nazideutschland und der zionistischen Bewegung nicht überdecken, sodass die industrielle Massenvernichtung der europäischen Jüd*innen in der Shoah letztlich unausweichlich war. Gleichwohl aber wurden durch das Ha’avara-Abkommen vermutlich tausende deutsche Jüd*innen vor eben dieser Vernichtung bewahrt.
[...]
1 Christian Rittershofer: Lexikon Politik, Staat, Gesellschaft. 3600 aktuelle Begriffe von Abberufung bis Zwölfmeilenzone. München 2007, S. 569.
2 Samuel Salzborn: Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. BadenBaden 2020, S. 21.
3 Ebd., S. 22.
4 Fabian Virchow: "Rechtsextremismus": Begriffe - Forschungsfelder - Kontroversen. In: Fabian Virchow u. a. (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden 2016.
5 Uwe Backes; Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Band 2: Analyse. Köln 1989. 38.
6 Christoph Kopke; Lars Rensmann: Die Extremismus-Formel. Zur politischen Karriere einer wissenschaftlichen Ideologie. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2000, S. 1452.
7 Ebd.
8 Ebd., S. 1454.
9 Wolfgang Wippermann: Politologentrug. Ideologiekritik der Extremismus-Legende. In: Standpunkte 10/2010, S. 2.
10 Andreas Zick; Beate Küpper (Hg.): Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. Bonn 2021.
11 Francis R. Nicosia: Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich. Göttingen 2012, S. 25.
12 Hans Blüher: Secessio Judaica. Philosophische Grundlegung der historischen Situation des Judentums und der antisemitischen Bewegung. Berlin 1922.
13 Nicosia, Zionismus und Antisemitismus, S.106 .
14 Vgl. Francis R. Nicosia: Hitler und der Zionismus. Das 3. Reich und die Palästina-Frage 19331939. Leoni am Starnberger See 1989, S. 73-99
15 Zit. nach: Nicosia, Zionismus und Antisemitismus, S. 336.
16 Zit. nach: Ernst Deuerlein: Hitlers Eintritt in die Politik und Reichswehr. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 7/1959, S. 204.
17 Adolf Hitler: Mein Kampf. München 1943, S. 356.
18 Nicosia, Zionismus und Antisemitismus, S. 324.
19 Samuel Salzborn: Einleitung: Antisemitismus seit 9/11. In: Ders.: Antisemitismus seit 9/11. Ereignisse, Debatten, Kontroversen. Baden-Baden 2019, S. 9.
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