Die Sprechapraxie ist eine Störung der Programmierung von Sprechbewegungen, die im
Sprachproduktionsmodel von Levelt et al. (1999) auf der Ebene der phonetischen
Enkodierung anzusiedeln ist. Traditionell wird angenommen, dass die zugrunde liegende
Störung bei der Sprechapraxie auf einen Ausfall oder Fehler im Bewegungsplan einzelner
Sprachsegmente und/oder deren Anordnung zu Silben zurückzuführen ist. Den Segmenten
wird also eine entscheidende Rolle in der Anordnung von Wörtern zu geschrieben. Dies ist
eine Sicht aus der generativen Linguistik, in der üblicherweise angenommen wird, dass im
mentalen Lexikon eine begrenzte Menge von Einheiten gespeichert ist. Diese Einheiten
werden abgerufen, kombiniert und zum Output generiert. Es spricht jedoch einiges gegen eine
solche generative Sicht. Für eine entscheidende Rolle des Segmentes gibt es keine
einheitliche Evidenz. Außerdem wäre aus dieser Sicht die Sprachenkodierung nicht
„lernfähig“ und auch noch so frequente Wörter müssten immer wieder neu enkodiert werden.
Alternative Ansätze nehmen jedoch eine Lernfähigkeit für artikulatorische Bewegungen, wie
es sie auch für andere motorische Fähigkeiten gibt, an. Allgemein wird behauptet, dass hoch
frequente Einheiten als artikulatorische Gesten gespeichert sind und nicht bei jedem Zugriff
neu zusammengesetzt werden müssen. Niedriger frequente Einheiten müssen dagegen immer
wieder neu zusammengefügt werden.
Auch Levelt et al. (1989; 1992; 1994) entwickelten solch ein Dual-route-Model für die
Sprachenkodierung. Anders als bisher nehmen sie an, dass hoch frequente Silben in einem
mentalen Silbenlexikon (mental syllabary) gespeichert sind. Auf der Ebene der phonetischen
Enkodierung gibt es demnach eine silbische/direkte Route, bei der hoch frequente Silben als
Bewegungsgesten im Silbenlexikon gespeichert werden, und eine segmentale/indirekte Route,
bei der niedrig frequente Silben online aus kleineren Segmenten zusammengesetzt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Die Sprechapraxie ist eine Störung der Programmierung von Sprechbewegungen, die im Sprachproduktionsmodel von Levelt et al. (1999) auf der Ebene der phonetischen Enkodierung anzusiedeln ist.
- Traditionell wird angenommen, dass die zugrunde liegende Störung bei der Sprechapraxie auf einen Ausfall oder Fehler im Bewegungsplan einzelner Sprachsegmente und/oder deren Anordnung zu Silben zurückzuführen ist.
- Den Segmenten wird also eine entscheidende Rolle in der Anordnung von Wörtern zu geschrieben.
- Dies ist eine Sicht aus der generativen Linguistik, in der üblicherweise angenommen wird, dass im mentalen Lexikon eine begrenzte Menge von Einheiten gespeichert ist.
- Diese Einheiten werden abgerufen, kombiniert und zum Output generiert.
- Es spricht jedoch einiges gegen eine solche generative Sicht.
- Für eine entscheidende Rolle des Segmentes gibt es keine einheitliche Evidenz.
- Außerdem wäre aus dieser Sicht die Sprachenkodierung nicht „lernfähig“ und auch noch so frequente Wörter müssten immer wieder neu enkodiert werden.
- Alternative Ansätze nehmen jedoch eine Lernfähigkeit für artikulatorische Bewegungen, wie es sie auch für andere motorische Fähigkeiten gibt, an.
- Allgemein wird behauptet, dass hoch frequente Einheiten als artikulatorische Gesten gespeichert sind und nicht bei jedem Zugriff neu zusammengesetzt werden müssen.
- Niedriger frequente Einheiten müssen dagegen immer wieder neu zusammengefügt werden.
- Auch Levelt et al. (1989; 1992; 1994) entwickelten solch ein Dual-route-Model für die Sprachenkodierung.
- Anders als bisher nehmen sie an, dass hoch frequente Silben in einem mentalen Silbenlexikon (mental syllabary) gespeichert sind.
- Auf der Ebene der phonetischen Enkodierung gibt es demnach eine silbische/direkte Route, bei der hoch frequente Silben als Bewegungsgesten im Silbenlexikon gespeichert werden, und eine segmentale/indirekte Route, bei der niedrig frequente Silben online aus kleineren Segmenten zusammengesetzt werden.
- Levelt behauptet dies, da Formen, die über die direkte Route enkodiert werden, eine kürzere Bearbeitungsdauer haben als phonetisch ähnliche, niedriger frequente Formen.
- Dies ist darauf zurückzuführen, dass für den Zugriff auf die silbische Gestalt weniger Verarbeitungsschritte nötig sind als für das Anordnen einer Silbe aus kleineren Segmenten.
- Zur Größe der kleineren Segmente, die auf der indirekten Route verarbeitet werden, äußert sich Levelt nicht.
- Als Einheit für die Enkodierung auf der direkten Route nennt er jedoch eindeutig die Silbe.
- Varley, Whiteside und Luff (1999) schlagen dagegen vor, dass man sich bei den frequenten Einheiten, die als Bewegungsgestalten gespeichert werden, nicht auf eine bestimmt Größe festlegen muss.
- Für sie können einsilbige oder mehrsilbige Wörter oder sogar kleine Sätze wie, you know what I mean' gespeichert werden.
- Unabhängig von den verschiedenen Annahmen zu den Einheiten ist ein Dual-route-Model zur Sprachenkodierung hilfreich, um die zugrunde liegende Störung bei Sprechapraxie neu zu bewerten.
- Whiteside und Varley (1998) schlagen vor, die zugrunde liegende Störung auf eine Beeinträchtigung der direkten Route zurückzuführen ist, wie dies in Abbildung 1 durch das Kreuz auf der direkten Route zwischen der phonologischen Form und den Wortschemata angedeutet ist.
- Aus der Beeinträchtigung der direkten Route folgt, dass bei Sprechapraxie über die indirekte Route verarbeitet wird.
- Dies könnte das Fehlen der „Sprachautomatik“, die verlangsamte Sprechgeschwindigkeit, eine Unbeständigkeit des Outputs und die verminderte Koartikulation, alles typische Muster der Sprechapraxie, erklären.
- Lebrun (1990) schreibt hierzu, dass Sprecher mit Sprechapraxie um ihre Artikulationsschwäche wissen, weshalb sie bei der Sprachproduktion jeden einzelnen Schritt überprüfen.
- Mit der Enkodierung über die indirekte Route kompensieren sie also die zugrunde liegende Beeinträchtigung der direkten Route.
- Varley und Whiteside (2001) nehmen an, dass auch beide Routen beeinträchtigt sein können, da die Hirnregionen für die direkte und die indirekte Route nahe beieinander liegen.
- Für Varley und Whiteside (2001) ist bei der Sprechapraxie also nicht eine Störung im Bewegungsplan zugrunde liegend.
- Vielmehr ist es eine Störung beim Zugriff auf gespeicherte Bewegungsmuster.
- Die Verhaltensmuster, die bei der Sprechapraxie auftreten, führen sie auf eine Kompensationsstrategie zurück, bei der Sprechapraktiker die indirekte Route nutzen.
- Hierbei beziehen sie sich auf das Dual-route-Model von Levelt (1999), nehmen anders als Levelt jedoch an, dass nicht nur Silben, sondern auch ganze Wortformen im mentalen Silbenlexikon gespeichert werden können.
- Das Dual-route-Model für die Sprachenkodierung ist bisher jedoch nur eine Hypothese, deren Voraussagen erst einmal empirisch belegt werden müssen.
- Zwar unterstütz eine Studie von Levelt und Wheeldon (1994) die Voraussagen der Hypothese, es sind jedoch noch weitere Untersuchungen nötig, um diese zu festigen.
- Die fehlende Evidenz, die Varley und Whiteside (2001) selber nennen, ist, denke ich, ein Problem und Kritikpunkt für ihre Annahme.
- In neueren (und auch älteren) Studien wurden bereits Evidenzen gegen sie gefunden.
- So zeigt z.B. eine Studie von Aichert und Ziegler (2004), dass bei Sprechern mit Apraxie ein Einfluss der Silbenfrequenz auf die Sprachproduktion zu finden ist.
- Die Leistungen der Sprecher bei hoch frequenten Silben waren hierbei besser als die niedrig frequenter Silben.
- Mit der Annahme von Varley und Whiteside (2001), dass der Zugriff auf die direkte Route, über die hoch frequente Silben verarbeitet werden, gestört ist, lassen sich diese Ergebnisse nicht erklären.
- Auch lässt sich mit ihrer Theorie die schon kurz erwähnte Inkonstanz und die variablen Fehlermuster bei der Sprechapraxie nur schwer erklären.
- Würde nur über die indirekte Route verarbeitet werden, würden die artikulatorischen Bewegungen immer gleich ablaufen, was wiederum zu einer Fehlerkonstanz führen müsste.
- Auch ein in der Literatur beschriebener Lexikalitätseffekt, nach dem bei Pseudowörtern eher Störungen auftreten als bei richtigen Wörtern, wäre nicht zu begründen.
- Da beim Verarbeiten über die indirekte Route jedes Wort neu aus einzelnen Segmenten zusammengestellt wird, dürfte es kein Unterschied machen, ob es sich um ein Pseudo- oder Realwort handelt.
- Gleiches gilt auch für die störungsfreien Inseln und den Automatisiertheitseffekt, die bei der Sprechapraxie auftreten.
- Bei Sprechapraktikern sind automatisierte Äußerungen wie Begrüßungen, Zahlenreihen usw. häufig störungsfrei.
- Da diese frequent sind, ließe sich vermuten, dass sie im mentalen Silbenlexikon gespeichert sind.
- Die angenommen Störung des Zugriffs auf eben dieses, würde dem aber widersprechen.
- Auch fehlt Evidenz für ihre Behauptung, dass auch beide Routen gleichzeitig gestört sein können und auch für die Annahme, dass es zwei Verarbeitungsebenen gibt wäre Evidenz in Form doppelter Dissoziationen für die segmentale und silbische bzw. wörtliche Verarbeitung wünschenswert.
- Die traditionelle Theorie über die Sprechapraxie hat sich bisher vor allem mit den offensichtlichen Fehlermustern beschäftigt und die Therapie danach gerichtet.
- Für Varley und Whiteside (2001) ist dies jedoch der falsche Ansatz.
- Da die offensichtlichen Fehlermuster für sie eine Kompensationstaktik (Verarbeitung über die indirekte Route) ist, um die zugrunde liegende Beeinträchtigung (Störung des Zugriffes auf die direkte Route) auszugleichen, darf sich ihrer Meinung nach auch die Therapie nicht auf diese beziehen, da sich die Kompensationsmechanismen so nur festigen, die zugrunde liegende Störung aber nicht behandelt werden würde.
- Sicherlich ist der Ansatz von Varley und Whiteside, die zugrunde liegende Störung und nicht die daraus folgenden Fehlermuster näher zu betrachten, richtig.
- Ihre Annahme, dass die zugrunde liegende Störung auf einer Beeinträchtigung des Zugriffs auf die direkte Route in einem Dual-route-Model beruht, bringt jedoch viele Zweifel mit sich.
- Zwar können, wie oben erwähnt, einige Verhaltensmuster durch ihre Annahme erklärt und auch empirisch bewiesen werden, doch es gibt auch Gegenevidenzen und viele Verhaltensmuster und Effekte, die gegen das Model sprechen, da es sie nicht erklären kann.
- Wie Varley und Whiteside (2001) selber sagen ist ihr Dual-Route-Model zur Sprachenkodierung bisher nur eine Hypothese, die durch mehr empirische Evidenz bestätigt, überdacht, weiterentwickelt oder verworfen werden kann und/oder muss.
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text analysiert die zugrunde liegende Störung bei der Sprechapraxie, einer Sprachstörung, die die Programmierung von Sprechbewegungen beeinträchtigt. Er untersucht verschiedene Theorien und Modelle, die versuchen, die Ursachen und Mechanismen der Sprechapraxie zu erklären, insbesondere das Dual-route-Model der Sprachenkodierung.
- Das Dual-route-Model der Sprachenkodierung
- Die Rolle von Segmenten und Silben in der Sprachproduktion
- Die Bedeutung von Frequenz und Automatisierung für die Sprachproduktion
- Die Kompensationsstrategien von Sprechapraktikern
- Die Kritik an der Annahme einer gestörten direkten Route bei Sprechapraxie
Zusammenfassung der Kapitel
Der Text beginnt mit einer Einführung in die Sprechapraxie und ihrer traditionellen Sichtweise als Störung des Bewegungsplans von Sprachsegmenten. Er stellt die generative Linguistik und das Konzept des mentalen Lexikons vor, das eine begrenzte Menge von Einheiten speichert, die abgerufen, kombiniert und zum Output generiert werden. Der Text argumentiert jedoch gegen diese generative Sicht und betont die Lernfähigkeit der artikulatorischen Bewegungen. Er führt das Dual-route-Model von Levelt et al. (1989; 1992; 1994) ein, das annimmt, dass hoch frequente Silben in einem mentalen Silbenlexikon gespeichert sind und über eine direkte Route verarbeitet werden, während niedrig frequente Silben über eine indirekte Route online aus Segmenten zusammengesetzt werden. Der Text diskutiert die verschiedenen Annahmen zu den Einheiten, die in diesem Modell verarbeitet werden, und stellt die Hypothese von Varley, Whiteside und Luff (1999) vor, dass nicht nur Silben, sondern auch ganze Wörter oder kleine Sätze als Bewegungsgestalten gespeichert werden können.
Der Text untersucht dann die Hypothese von Whiteside und Varley (1998), dass die zugrunde liegende Störung bei Sprechapraxie auf eine Beeinträchtigung der direkten Route zurückzuführen ist. Er erklärt, wie diese Beeinträchtigung zu den typischen Mustern der Sprechapraxie wie dem Fehlen der „Sprachautomatik“, der verlangsamten Sprechgeschwindigkeit und der Unbeständigkeit des Outputs führen kann. Der Text diskutiert auch die Kompensationsstrategie, die Sprechapraktiker einsetzen, indem sie die indirekte Route nutzen, um die Beeinträchtigung der direkten Route auszugleichen. Er betont, dass Varley und Whiteside (2001) annehmen, dass auch beide Routen beeinträchtigt sein können.
Der Text geht dann auf die Kritik an der Annahme von Varley und Whiteside (2001) ein, dass die zugrunde liegende Störung bei Sprechapraxie auf eine Beeinträchtigung des Zugriffs auf die direkte Route zurückzuführen ist. Er präsentiert Gegenevidenzen aus neueren Studien, die zeigen, dass bei Sprechern mit Apraxie ein Einfluss der Silbenfrequenz auf die Sprachproduktion zu finden ist. Der Text argumentiert, dass die Annahme von Varley und Whiteside (2001) diese Ergebnisse nicht erklären kann und auch die Inkonstanz und die variablen Fehlermuster bei der Sprechapraxie nur schwer zu erklären sind. Er diskutiert auch die störungsfreien Inseln und den Automatisiertheitseffekt, die bei der Sprechapraxie auftreten, und argumentiert, dass die Annahme einer gestörten direkten Route diesen Effekten widerspricht.
Der Text schließt mit einer Diskussion der therapeutischen Implikationen der verschiedenen Theorien über die Sprechapraxie. Er argumentiert, dass die traditionelle Therapie, die sich auf die offensichtlichen Fehlermuster konzentriert, nicht den richtigen Ansatz darstellt, da diese Fehlermuster eine Kompensationsstrategie darstellen. Der Text plädiert für einen Ansatz, der sich auf die zugrunde liegende Störung konzentriert, anstatt auf die daraus folgenden Fehlermuster. Er betont jedoch, dass die Annahme von Varley und Whiteside (2001) über eine gestörte direkte Route viele Zweifel mit sich bringt und weitere empirische Evidenz benötigt, um bestätigt, überdacht, weiterentwickelt oder verworfen zu werden.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Sprechapraxie, das Dual-route-Model der Sprachenkodierung, die direkte und indirekte Route, die Rolle von Segmenten und Silben, die Frequenz und Automatisierung von Sprachproduktionen, Kompensationsstrategien, die Kritik an der Annahme einer gestörten direkten Route und die therapeutischen Implikationen der verschiedenen Theorien.
- Quote paper
- Anonymous,, 2007, What is the underlying impairment in acquired apraxia of speech?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113122