Inwieweit haben das Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit de persönlichen Stärken, Potentialen sowie der eigenen Resilienz Auswirkungen auf die Arbeit eines Sozialpädagogen?
Daraus folgt auch das Ziel, herauszufinden, inwieweit Professionelle eigene Lebenserfahrungen als pädagogisch wertvoll und nutzbar empfinden.
Qualitative Interviews mit Sozialpädagogen im Feld in unterschiedlichen Arbeitskontexten. Zur Auswertung dann Transkription der Interviews und Kategorisierung der Antworten in die verschiedenen Themenbereiche mittels der Transkriptionstechnik des zusammenfassenden Protokolls. Anschließendes Bewerten und Hinterfragen der Antworten und Zusammenführung in ein zentrales Statement, das zur Beantwortung der Forschungsfrage führt.
Es wurde bestätigt, dass das Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit den erwähnten Konzepten für einen Sozialpädagogen wichtig sind. Dies in der Praxis angewendet bedeutet aber auch ein selbstkritisches und offenes Verhalten seitens des Sozialpädagogen, um eigene Lebenserfahrungen, Handlungsweisen und auch Trigger zu reflektieren, und gegebenenfalls den lehrhaften Kern seinen Adressaten – Klienten oder Kollegen im multiprofessionellen Team – weiterzugeben. Hier wird er zum Spiegel für seine Gegenüber und geht in Beziehung, welche authentisch, ehrlich und offen ist, um seinen Adressaten diese Haltung vorleben zu können und so Sicherheit ausstrahlt, um auch auf unvorhergesehene Situationen bedacht reagieren zu können.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Danksagungen
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Sozialpädagogik in Theorie und Praxis
2.1 Ziel der sozialpädagogischen Arbeit
2.2 Strukturierung der theoretischen Bausteine der Sozialpädagogik
3 Theoretische Bausteine im Detail
3.1 Motivation und Bedürfnisse
3.1.1 Begriffsklärung Motivation
3.1.2 Bedürfnispyramide
3.1.3 Schlussfolgerungen
3.2 Gesundheit und Stressbewältigung
3.2.1 Begriffsklärung Stress
3.2.2 Anforderungs-Bewältigungsmodell
3.2.3 Begriffsklärung Kohärenzgefühl
3.2.4 Schlussfolgerungen
3.3 Lebensweltorientierung
3.3.1 Definition
3.3.2 Lebensweltorientierung in der Praxis
3.3.3 Systemischer Blick auf Lebenswelten
3.3.4 Schlussfolgerungen
4 Abschließendes Fazit des theoretisch-technischen Teils
5 Resilienz als Ziel sozialpädagogischer Arbeit
5.1 Begriffsklärung Resilienz
5.2 Resilienzforschung
5.3 Resilienz- und Schutzfaktoren
5.3.1 Resilienzfaktoren
5.3.2 Personale Schutzfaktoren
5.4 Potentiale und Stärken
5.5 Schlussfolgerungen
6 Forschungsfrage
7 Gliederung der Studie
7.1 Konzept der Interviews
7.2 Rahmenbedingungen der Durchführung
7.3 Leitfaden der Interviews
7.4 Restrukturierung nach Themen
8 Durchführung und Datenerhebung
8.1 Beschreibung der Probanden
8.1.1 Andreas, 55 Jahre alt, Pädagoge & Coach
8.1.2 David, 49 Jahre alt, Philosoph & Lehrtätigkeit
8.1.3 Martina, 26 Jahre alt, Jugendarbeiterin und Sozialpädagogin
8.1.4 Alexander, 38 Jahre, Sozial- und Erlebnispädagoge
8.2 Aufschlüsselung der Ergebnisse und Zusammenführung
8.3 Themengebiet Arbeitsfeld
8.3.1 Professionelles Umfeld (Berufsbilder, Zusammenarbeit)
8.3.2 Wie hat sich Arbeit mittlerweile verändert? Aufgabenbereiche, Rolle?
8.3.3 Können Sie das tun, was sie gerne tun? Beispiele?
8.3.4 Erfahrungen und Fortbildungen neben universitären Ausbildungen, was können Sie besonders empfehlen?
8.4 Themengebiet Resilienz
8.4.1 Resilienz ist derzeit in aller Munde, zu Recht?
8.4.2 Was nehmen Sie aus den letzten Monaten mit?
8.4.3 Widerstandsfähigkeit: wie wichtig für Professionelle?
8.4.4 Welche Werkzeuge und Erfahrungen haben sich als besonders wertvoll herausgestellt?
8.4.5 Empfehlungs- und Lernfrage:
8.5 Themengebiet Persönliches
8.5.1 Was sind Ihre Stärken und Schwächen? Wo sind diese laut Ihnen im Beruf sichtbar/wichtig?
8.5.2 Ist Lebenserfahrung pädagogisch nutzbar?
8.5.3 Abschlussfrage
9 Diskussion
10 Schlussworte
11 Anhang
11.1.1 Einverständniserklärung
11.1.2 Vollständiger Interviewleitfaden
11.2 Interview-Leitfaden
11.2.1 Transkriptionsbeispiel
12 Literaturverzeichnis
13 Internetquellen
Abstract
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der sehr bunten Rolle des Sozialpädagogen sowie der Bedeutung seiner Motivation, seinen Stärken und Lebenserfahrungen in seiner Arbeit. Aufgrund der Grundannahme der Lebensweltorientierung und der persönlichen Bedeutung von Resilienz- und Schutzfaktoren, beschäftigt sich der Sozialpädagoge in seiner begleitenden Arbeit mit den Klienten meist mit diesen grundsätzlichen Handlungsweisen und Strategien. Hier war es Inhalt dieser Arbeit, nachzufragen, wie Professionelle selbst mit Herausforderungen umgehen und was sie davon pädagogisch als nutzbar empfinden. Es wurde bestätigt, dass das Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit den erwähnten Konzepten für einen Sozialpädagogen wichtig sind. Dies in der Praxis angewendet bedeutet aber auch ein selbstkritisches und offenes Verhalten seitens des Sozialpädagogen, um eigene Lebenserfahrungen, Handlungsweisen und auch Trigger zu reflektieren, und gegebenenfalls den lehrhaften Kern seinen Adressaten – Klienten oder Kollegen im multiprofessionellen Team – weiterzugeben. Hier wird er zum Spiegel für seine Gegenüber und geht in Beziehung, welche authentisch, ehrlich und offen ist, um seinen Adressaten diese Haltung vorleben zu können und so Sicherheit ausstrahlt, um auch auf unvorhergesehene Situationen bedacht reagieren zu können. So können diese zwei sich begegnenden Menschen einen Raum schaffen, in dem gemeinsames Bestreben zu Entwicklung möglich wird.
Danksagungen
„Ich danke niemandem im Besonderen, aber allen von Herzen.“
Wann immer es um Dank geht, so fällt mir dieser Satz von Bischof Ivo Muser ein, den er 2017 bei einer Jugendwallfahrt in Aufkirchen gesagt hat. Ich finde, dieser Satz holt alle – die sich hier angesprochen fühlen dürfen – herein in eine Dankbarkeit auf Augenhöhe.
Im Laufe meiner Studienzeit durfte ich vielen Studierenden und Professoren begegnen, die immer wieder neue Motivation entfacht und mich in meinem Hinterfragen und in meiner Arbeit unterstützt haben.
Der Beginn des Studiums war für mich eine besondere Zeit, es bedeutete für mich einen Wechsel aus dem Arbeitsleben, hin zu einem klaren Fokus des Studiums. Nun, gegen Ende meines Bachelorstudiums ist es zu einer Vermischung gekommen. Dies ist auch hier kein Nachteil, sondern eine Bereicherung für alle Lebensbereiche.
Dankbar bin ich auch für Lebenserfahrungen, die ich in meinem Aufwachsen bis zum heutigen Tag machen durfte. Sie alle haben mit Menschen zu tun, die etwas in mir ausgelöst haben. Menschen, die mich vielleicht nur kurz begleitet haben, aber auch Menschen, denen ich immer noch verbunden bin. Ich freue mich auf die Menschen, die ich noch treffen darf.
1 Einleitung
„Die Herren Ornithologen“, versetzte Goethe, „sind wahrscheinlich froh, wenn sie irgendeinen eigentümlichen Vogel nur einigermaßen schicklich untergebracht haben; wogegen aber die Natur ihr freies Spiel treibt und sich um die von beschränkten Menschen gemachten Fächer wenig kümmert.“ (Storch & Krause, 2017)
Dieses Zitat aus Johann Peter Eckermanns Buch „Gespräche mit Goethe“ (1836) wirkt auf den ersten Blick etwas weit hergeholt. Allerdings sind die Aufgabenfelder die Sozialpädagogen so bunt und breitgefächert, dass manchmal die Frage nach dem Berufsbild und der Grenzen der Rolle aufkommen mögen. Nicht von ungefähr, sind doch mittlerweile in den Institutionen, Vereinen, Genossenschaften und Betrieben, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, mittlerweile nicht mehr ausschließlich Sozialpädagogen beschäftigt. Die oft spontane und kreative Arbeitsweise von Sozialpädagogen, die ich in den vergangenen Jahren kennenlernen durfte, mag manchmal Anstoß geben, die Rolle dieser „Paradiesvögel“ zu hinterfragen, aber genau dies ist doch oft die Stärke der pädagogischen Arbeit, wie sie in den letzten Jahrzehnten in Südtirol in Weiterentwicklung ist. Dazu kommt oft noch die Arbeit in multiprofessionellen Teams mit Psychologen, Therapeuten, Ärzten, Sozialarbeitern, Bildungswissenschaftlern, Sozialbetreuern und allen weiteren Berufsbildern, die stimmig ins Gesamtbild der betreffenden Struktur passen. Das umfassende System der Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder, Jugendliche oder generell Menschen in schwierigen Lebenslagen ermöglicht den Professionellen zumeist auch ein vernetztes Arbeiten zwischen mehreren Diensten, und erschwert oft den Klienten die Übersicht über die Rollen und Aufgaben der einzelnen Professionellen im Bezugssystem.
So bunt wie das Gefieder der Sozialen Berufe in Südtirol, umso bunter und unterschiedlicher ist die Vogelwelt im Lande. Die Annahme die Goethe, die Natur würde sich um feste Fächer nicht scheren, ist gar nicht so fern, wenn wir versuchen pädagogische Werkzeuge und Pläne auf unser breites Spektrum an Klienten anzuwenden. Wir können entweder anfangen ein Raster darüber zu legen und eine Einteilung versuchen um die Menschen wieder in eine Schublade ordnen zu können, oder wir können uns Hans Thierschs Konzept der Lebensorientierten Sozialarbeit (Thiersch, 2009) zur Hand nehmen und zu verstehen beginnen, dass jeder Mensch ein individuell auf ihn zugeschnittenes pädagogisches Konzept benötigt. In unserer Rolle als Sozialpädagogen fragen wir uns:
- Welche Bedürfnisse treiben unsere Klienten an?
- Welche Ressourcen hat die Person und wie kann auf diese zugegriffen werden?
- Was brauchen Menschen, damit sie mit den ihnen gegebenen Fähigkeiten und gemachten Erfahrungen ihren Weg finden können?
- Welche Unterstützung können wir als professionelle Helfer anbieten, welche Werkzeuge gemeinsam mit ihnen erarbeiten?
Diese und weitere Fragen beschäftigten mich während meiner Studienzeit und auf die meisten davon habe ich mittlerweile Antworten erhalten. Klingt hilfreich, aber besonders aus systemischer Sicht gesehen, ist alles in gegenseitiger Beziehung und Beeinflussung. Genauso wie unsere Klienten mit Ressourcen, Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgestattet sind, so sind es alle Menschen auf die unterschiedlichsten Weisen. Deshalb erlaube ich mir die Fragestellung umzukehren:
- Welche Bedürfnisse treiben mich an?
- Welche Ressourcen bringe ich mit und wo kann ich diese einbringen?
- Was brauche ich, damit ich meine Fähigkeiten und gemachte Erfahrungen zielführend in der professionellen Arbeit nutzen kann?
- Welche Unterstützung kann ich mir holen, welche Werkzeuge fehlen mir noch?
Das Thema meiner Arbeit lautet „Stärken fördern – Die Bedeutung persönlicher Potentiale von Professionellen in der Sozialpädagogik“. Ich vermute, dass nicht nur ich selbst mir solche Fragen stelle, sondern dass viele andere Sozialpädagogen – besonders in der beschleunigten Gesellschaft – sich ebenfalls immer neu finden und erfinden müssen. Jahrelang wirksame Methoden und Haltungen treffen auf eine neue Lebenswelt und werden von Grund auf in Frage gestellt. Die Gesellschaft und die Kulturen verändern sich, vermischen sich neu, Wertesysteme werden umgeworfen und neu aufgerichtet. Zentrale Bedürfnisse wie Gesundheit, Sicherheit, Struktur geraten ins Wanken und sind gerade im Jahr 2020 bei allen Gesellschaftsschichten präsenter denn je. Zugleich ist die Gesellschaft als Ganzes individueller, diverser und in Bezug auf Selbstverwirklichung fordernder denn je.
Dies verlangt von Sozialpädagogen ein Umdenken – oder Rückbesinnen – auf Konzepte und Werte, wie sie in der pädagogischen Forschung seit Jahrzehnten geschärft und ergründet werden. Begriffe wie Haltung, Ganzheitlichkeit, Lebenswelt und Resilienz kommen mir hier in den Sinn.
Hans Thiersch schreibt zusammenfassend an seine Definition der Lebensweltorientierung: „Anfangen wo der Klient steht“ (Thiersch, 2009).
Man könnte ausgehend von meiner Umkehr der anfangs gestellten Fragen auch diese Aussage wenden und feststellen: „Anfangen wo der Professionelle steht.“
Dies soll der Fokus der Arbeit sein. Als Professionelle versuchen wir, uns auf die Lebens- und Denkwelt des Klienten einzulassen, um so individuelle und sinnhafte Hilfen anbieten zu können. Aber über die Fachgebiete des Studiums der Pädagogik, Psychologie, Soziologie hinaus benötigt man noch weitere Werkzeuge und Fähigkeiten, um als professioneller Helfer stimmig reagieren zu können. Ziel einer sozialpädagogischen Unterstützung ist schließlich das Ausfindigmachen von Ressourcen und Möglichkeiten, wie unsere Klienten wieder ein – zum größtmöglichen Grade – selbstbestimmtes Leben führen können. Dabei stehen die Fähigkeiten, die Resilienz- und Schutzfaktoren sowie das soziale Umfeld im Mittelpunkt.
Auch für uns Professionelle gilt aber, dass wir selbst unterschiedliche Lebenswelten und Resilienzfaktoren mitbringen. Gemeinsam mit dem professionellen Wissen bringen wir Vorerfahrungen, unsere eigene Kindheit und als ganzen Menschen mit in das professionelle System um einen Klienten ein.
Zu den Resilienzfaktoren gehören nämlich laut Bengel ebenso die positive Lebenseinstellung, besondere Begabungen, Ressourcen und Kreativität (Opp et al., 2008). Diese kann man nicht immer erlernen, sondern man bringt vieles mit.
Ich möchte im Forschungsteil meiner Arbeit besonders auf diese Überbegriffe Haltung, Potentiale und Resilienz eingehen und in qualitativen Tiefeninterviews herausfinden, welche Geschichten Sozialpädagogen erlebt haben und in welchem Maße sie in ihrer Professionellen Arbeit von ihren Fähigkeiten, Ressourcen profitieren. Zudem bietet sich so auch die Möglichkeit des reflexiven Austausches über Visionen der Sozialpädagogik und deren praktische Hürden und Herausforderungen.
Bevor die Forschung beginnen kann, möchte ich ein theoretisches Fundament legen, das auch mir in der Fragestellung und Vorbereitung der Untersuchung hilft, die – für mich – zentralen Kernbotschaften aus der bisherigen Forschung in den wichtigen Bereichen herauszufiltern und in Beziehung zu setzen. Die Begriffe Bedürfnis, Lebenswelt und Resilienz sind ebenso bereits angesprochen worden, wie die Potentiale und die Ganzheitlichkeit.
Im nun folgenden theoretisch-methodischen Teil meiner Arbeit werde ich diese Konzepte und Forschungsarbeiten aufarbeiten, die Definitionen zu den Themen präsentieren und auch die Bezüge untereinander sichtbar machen. Dabei habe ich in Selbstreflexion versucht, diese Bausteine untereinander zu sortieren und in Beziehung zu bringen, um ein handlungsweisendes Konstrukt aufzubauen, welches mir dienlich erschien in der professionellen Arbeit so nutzen zu können.
In der Vorbereitung auf diese Arbeit habe nach ähnlichen Studien gesucht, bin aber nicht fündig geworden. Der Großteil der Studien beforscht Kinder, Jugendliche und Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und mit dem Fokus auf verschiedene Thematiken (z.B. Abhängigkeitserkrankungen, Familiendynamiken, psychische Erkrankungen, u.a.) oder aber auch groß angelegte Längsschnittstudien z.B. in Großbritannien (Opp et al., 2008).
Aus diesem Grund ist meine qualitative Studie mit vier unterschiedlichen Sozialpädagogen im Feld eine neue Fragestellung, die hier ein neues Forschungsfeld eröffnen könnte. Auf die Bedeutung, Ausrichtung und eventuelle Wichtigkeit eventueller weiterführender Forschungsarbeit werde ich im Schlussteil der Arbeit eingehen.
2 Sozialpädagogik in Theorie und Praxis
2.1 Ziel der sozialpädagogischen Arbeit
Wie bereits in der Einleitung angemerkt, ist der Fokus der professionellen Arbeit für uns Sozialpädagogen die Förderung und Bewusstmachung von Stärken und Potentialen eines Menschen, sowie die Begleitung und Unterstützung desselben in deren Lebenswelt, auf dem Wege zu einer autonomeren und sinnbringenderen Lebensweise. Dabei greifen wir auf zahlreiche wissenschaftlich ergründete Theorien und Methoden zurück, die aufeinander aufbauen und in Beziehung stehen. Diese bilden das Fundament für die aktuelle Sozialpädagogik, auf dem die professionelle Haltung steht. Im Laufe der universitären Ausbildung und Praktikas sowie in weiterführenden und ergänzenden Fortbildungen lernen wir zahlreiche theoretische Konzepte und Werkzeuge kennen, die uns diese Haltung näherbringen und auch verständlich machen. Dabei ist auch Zeit für Selbstreflexion und Verankerung des Erlernten im persönlichen Methodenkoffer, mit dem wir in den Arbeitstag eines Sozialpädagogen hinausgehen.
Genau diese Anpassungsleistung des Erlernten ist der Schritt, mit dem authentisches Arbeiten auf dieser theoretisch skizzierten Haltung ermöglicht wird.
2.2 Strukturierung der theoretischen Bausteine der Sozialpädagogik
Im Aufbau der Arbeit habe ich folgende Konzepte hereingeholt:
- Bedürfnispyramide
- Motivation
- Salutogenese
- Anforderungs-Bewältigungs-Modell
- Lebensweltorientierung
- Systemisches Arbeiten
- Potentiale
- Resilienz
Dabei habe ich die Konzepte in die Kategorien Inhalte, Techniken und Ziel unterteilt. Grund hierfür ist es, dass das theoretische Wissen in seiner Anwendung als oder gegebenenfalls mit einer bestimmten Technik ein Ziel verfolgt, welches den anfänglich beschriebenen Auftrag der Sozialpädagogik erfüllt.
Daraus ergibt sich folgendes Schema:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Ziele sind hier klar mit den Schlagworten „Potentiale“ und „Resilienz“ benannt. Verbunden mit der theoretischen Forschung auf dem Bereich sind sie als Ziel der Autonomieförderung zentrale Bausteine der sozialpädagogischen Arbeit.
Nachfolgend werde ich auf die einzelnen Punkte dieses Konstrukts genauer eingehen und dabei die Wichtigkeit in der professionellen Arbeit derselben zu beschreiben versuchen. Besonders im Fokus steht der Bezug auf die Figur des Sozialpädagogen selbst, da die Forschungsarbeit sich dahingehend beschäftigen wird.
Ich versuche in den Schlussfolgerungen, die an die theoretischen Konzepte folgen, jeweils einige Fragen herauszuarbeiten, welche im Interviewleitfaden wieder aufgegriffen werden. Zudem werde ich aus jedem Baustein eine These formulieren, welche in die prognostizierte Antwort auf meine Forschungsfrage münden werden.
3 Theoretische Bausteine im Detail
Ausgehend von der vorher benannten Strukturierung werden nun die vier Konzepte aufgrund deren wissenschaftlicher Basis aufgearbeitet. Dabei hängt Inhalt und Technik verständlicherweise sehr eng zusammen und wird deshalb wo möglich nicht künstlich getrennt. Wo die klare Unterscheidung jedoch möglich ist, oder verschiedene Autoren dies explizit so benennen, wird dies so beibehalten. Jeder dieser Blöcke folgt dabei demselben Muster: Die Ergründung der Theorie und Technik und anschließend die Reflexion der Konzepte in Bezug auf die vorliegende Forschungsarbeit.
3.1 Motivation und Bedürfnisse
„Unsere erste These stellt fest, dass der einzelne ein integriertes, organisiertes Ganzes ist. Diese theoretische Feststellung wird gewöhnlich von den Psychologen scheinheilig akzeptiert, um dann in ihren tatsächlichen Experimenten ignoriert zu werden. […] In der Motivationstheorie bedeutet diese These viele spezifische Dinge. Zum Beispiel bedeutet sie, dass der gesamte Einzelne motiviert ist und nicht nur ein Teil von ihm. [...] Es gibt nur ein Bedürfnis des Einzelnen. [...] Mit anderen Worten, wenn Johann Schmidt hungrig ist, ist er es ganz;" (Maslow, 2018, S. 46)
Da wir uns in unserem Leben unbewusst und bewusst von unseren Bedürfnissen und Entwicklungsleistungen treiben und leiten lassen, kommen wir an besagtem Thema nicht vorbei. Im Verlauf unseres Alltages mit all seinen Herausforderungen, die sowohl wir selbst als auch andere an uns stellen, kommen wir in eben jenen fordernden Situationen, die unsere Bewältigungsstrategien testen an eben jene Grenzen, an denen sich unsere Bedürfnisse oft deutlich und lautstark, oft aber auch heimlich und leise, Raum verschaffen. Das Zusammenspiel von Bedürfnissen und Motivation, die uns dann antreibt, eben jene Herausforderung oder Krise zu bewältigen, möchte ich nachfolgend erläutern.
3.1.1 Begriffsklärung Motivation
„Das menschliche Wesen sehnt sich bis zu einem gewissen Grad nach seinen Zielen, Zwecken eher als dass es von blinden Impulsen und Trieben getrieben wird. Letzteres ist selbstverständlich auch der Fall, aber nicht ausschließlich. Das abgerundete Bild zeigt beides.“ (Maslow, 2018, S. 322) Dieses Zitat beschreibt auch die Rolle von Motivation und der Begriff derselben in der Pädagogik und Psychologie. Nur durch einen gewissen, selbstkonstruierten Bedarf einer notwendigen Veränderung, wird eine tatsächliche Anpassung herbeigeführt. Die Motivation lässt sich definieren als:
„Motivation erklärt Richtung, Intensität und Ausdauer menschlichen Verhaltens“ (Schuler 2006, S. 386).
„Motivation bezeichnet Prozesse, bei denen bestimmte Motive aktiviert und in Handlungen umgesetzt werden. Dadurch erhält Verhalten eine Richtung auf ein Ziel, eine Intensitätsstärke und eine Ablaufform. Die Motivation einer Person, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, hängt von situativen Anreizen, persönlichen Präferenzen und deren Wechselwirkung ab. Die resultierende Motivationstendenz ist zusammengesetzt aus den verschiedenen nach dem persönlichem Motivprofil gewichteten Anreizen der Tätigkeit, des Handlungsergebnisses und sowohl von internen, die Selbstbewertung betreffenden, als auch von externen Folgen.“ (Stangl, 2021).
3.1.2 Bedürfnispyramide
Wenn wir, wie einleitend beschrieben, auf unsere Bedürfnisse hören und diese in gewisser Weise Entscheidungen mitbeeinflussen, so bedeutet dies, dass wir als Menschen grundsätzlich laufend versuchen, diese zu befriedigen. Oder, so wie Maslow schreibt: „Der Mensch ist ein Lebewesen mit Bedürfnissen und erreicht selten einen Zustand vollständiger Befriedigungen, außer für kurze Zeit. Sobald ein Bedürfnis befriedigt ist, stellt sich ein anderes an seiner Statt (sic!) ein. Es ist für das menschliche Wesen während seines ganzen Lebens charakteristisch, dass es praktisch immerzu etwas begehrt.“ (Maslow, 2018, S. 51) Dies bedeutet somit, dass wir von einem bestimmten Bedürfnis geleitet sind. Sobald wir dieses aber befriedigt haben, „[…] tauchen andere (und höhere) Bedürfnisse auf, und diese, mehr als physiologischer Hunger, beherrschen den Organismus. Und wenn diese ihrerseits befriedigt sind, kommen neue (und wiederum höhere) Bedürfnisse zum Vorschein, und so weiter.“ (Maslow, 2018, S. 65).
Zusammengefasst ist Maslows Bedürfnispyramide also wie folgt aufgebaut:
1. Grundbedürfnisse
2. Sicherheitsbedürfnisse
3. Soziale Bedürfnisse
4. ICH-Bedürfnisse
5. Selbstverwirklichung
Maslow argumentiert, dass die Bedürfnisse eines Menschen aufbauend sind. Sie bedingen einander und verändern die Lebensausrichtung und auch die individuellen Wünsche für die unmittelbare und entfernte Zukunft (Maslow, 2018, S. 64). Das bedeutet, für Menschen aus sozial benachteiligten Kontexten ist der Wunsch nach Nahrung, Wärme und Sicherheit grundsätzlich primär und Zugehörigkeit sowie Selbstverwirklichung sind wenig bis gar nicht zentral.
Wenn diese grundlegenden Bedürfnisse gestillt sind, dann, schreibt Maslow weiter: „werden die Bedürfnisse nach Liebe, Zuneigung und Zugehörigkeit auftauchen, und der ganze bereits beschriebene Zyklus wird sich rund um diesen neuen Mittelpunkt wiederholen. [...] Man wird nach liebevollen Beziehungen mit den Menschen im Allgemeinen hungern, also nach einem Platz in der Gruppe oder Familie, und man wird sich sehr intensiv bemühen, dieses Ziel zu erreichen. Man wird sich mehr als alles andere wünschen, einen solchen Platz zu erhalten und wird sogar vergessen, dass man einst, als man hungrig war, sich über Liebe als unwirklich, unnotwendig oder unwichtig lustig gemacht hat. Jetzt hingegen wird man Einsamkeit, Ächtung, Zurückweisung, Isolierung, Entwurzelung besonders stark empfinden.“ (Maslow, 2018, S. 70–71). Die nächste Stufe der Pyramide zeigt, dass wir erst nach Befriedigung unserer Grund- und Sicherheitsbedürfnisse zu sozialem Handeln fähig sind. Wir benötigen eine gewisse Grundstabilität um zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen und nähren zu können. Diese soziale Zugehörigkeit stellen wir noch vor unsere eigene Wertschätzung als Person in der Gesellschaft. Dies nennt Maslow als die nächste Stufe seiner Pyramide. Wenn wir also unseren Platz in Familie und Gemeinschaft gefunden haben, dann kehrt sich unser Blick um und wir schauen auf uns selbst und unser Inneres. Wie sind wir selbst in dieser Gemeinschaft angesehen? Wie werden wir geachtet? Diese Erfüllung und Anerkennung bestärkt unser Selbstvertrauen und unser Sinnerleben, dass wir Wirksamkeit in Familie, Gesellschaft und Gruppe erfahren (Maslow, 2018, S. 72–73).
Wenn wir als Mensch nun grundsätzlich mit festen Beinen auf dem Boden stehen, nach außen und innen Sicherheit und Wertschätzung erfahren, so eröffnen sich uns neue Wünsche und Bedürfnisse. Dieses Bedürfnis ist die oberste Stufe der Pyramide und Maslow bezeichnet das individuelle Verlangen eines Menschen, immer mehr zu dem zu werden, was man sein will und kann, als Selbstverwirklichung (Maslow, 2018, S. 74). Diese ursprünglichen Fähigkeiten und Wünsche die eine jede Person antreiben, lassen sich erst dann ergründen und ganz individuell verwirklichen, wenn die voran beschriebenen physiologischen Bedürfnisse sowie jene nach Sicherheit, Liebe und Achtung erfüllt sind.
Maslow beschreibt diese höchste Stufe der Bedürfnisbefriedigung treffend mit: „Was ein Mensch sein kann, muss er sein." (Maslow, 2018, S. 74).
3.1.3 Schlussfolgerungen
Wichtig ist erstens die Anerkennung dessen, dass die unterschiedlichen Bedürfnisdimensionen aufeinander aufbauen. Für unsere Klienten und Nutzer kann es demnach wichtig sein, dass wir deren Wünsche und Bedürfnisse zu sortieren versuchen und ihnen helfen, Struktur und Vorhersehbarkeit zu vermitteln.
Zweitens ist es zentral, dass wir uns diese theoretische Konstruktion der Bedürfnisse im Hinterkopf behalten aber auch das Augenmerk auf die Funktion des jeweiligen Bedürfnisses legen. Maslow erkennt nämlich: "Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass alle physiologischen Bedürfnisse und das konsumierende Verhalten, das mit ihnen verknüpft ist, als Kanäle für alle möglichen anderen Bedürfnisse dienen können. Das heißt also, eine Person, die glaubt, dass sie hungrig ist, mag tatsächlich mehr nach Bequemlichkeit oder Geborgenheit verlangen als nach Vitaminen oder Proteinen. Umgekehrt ist es möglich, das Nahrungsbedürfnis teilweise mit anderen Aktivitäten zu befriedigen, mit Zigarettenrauchen oder Wassertrinken. Mit anderen Worten, diese physiologischen Bedürfnisse sind relativ, aber nicht vollständig isolierbar (Maslow, 2018, S. 63). Als Sozialpädagogen ist es demnach wichtig, diesen Zusammenhang zu erkennen und anzunehmen.
Folglich ist drittens, das Wissen um die Motivation sowie das Bewusstsein über die aufbauenden Bedürfnisse und Wünsche unserer Klienten und Nutzer von zentraler Bedeutung. Veränderung kann nur gelingen, wenn sie angenommen wird und wenn die aktuellen Wünsche mit dem Angebot und den Möglichkeiten übereinstimmen.
Abschließend, den Fokus auf die Figur des Sozialpädagogen gelegt, kann das bedeuten, dass unsere eigenen Bedürfnisse auch Teil unserer Arbeit sind. Was motiviert einen Sozialpädagogen in seiner Arbeit? Welche Bedürfnisse treiben ihn deshalb an und wo findet er Erfüllung dieser? Wo können aber persönliche Schwierigkeiten auch Hemmnis sein, die die professionelle Arbeit belasten können?
3.2 Gesundheit und Stressbewältigung
"Die zeitgenössische westliche Medizin wird mit einer gut organisierten, heldenhaften und technologisch ausgefeilten Anstrengung verglichen, die sich dieser Aufgabe widmet und oft recht gut belohnt wird, nämlich ertrinkende Menschen aus einem reißenden Fluss zu ziehen. Die Mitglieder des Establishments erheben weder die Augen noch den Verstand, um sich stromaufwärts und um die Flussbiegung herum zu erkundigen, wer oder was all diese Menschen in den Fluss treibt", Antonovsky (1987)
Vorangehend an dieses Zitat ist Anton Antonovskys (1923-1994) wissenschaftliche Arbeit und Rahmenkonzept der „Salutogenese“ ein vollständiger Perspektivwechsel auf die Frage nach Krankheit und Gesundheit von Menschen. Die damals geltende Auffassung beschrieb er folgendermaßen: "Mein Ausgangspunkt waren Daten, die zeigen, dass sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt wenigstens ein Drittel und mit einer guten Wahrscheinlichkeit die Mehrheit der Bevölkerung einer jeden modernen Industriegesellschaft ein einem [...] morbiden, pathologischen Zustand befindet." (Antonovsky, 1997, S. 15). Dies zeigt, philosophisch und auch psychologisch betrachtet, dass die Definition von Gesundheit in einem Umbruch stand. Antonovsky stellt deswegen eine radikal andere Frage: "Warum befinden sich Menschen auf der positiven Seite des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums oder warum bewegen sie sich auf den positiven Pol zu, unabhängig von ihrer aktuellen Position?" (Antonovsky, 1997, S. 15). Dies ist die salutogenetische Orientierung, die sich damit befasst, welche Faktoren und Umstände dafür sorgen, was Menschen gesund erhält. Um diese Zusammenhänge aufzeigen zu können ist es wichtig, den Menschen als Ganzes wahrzunehmen und sich, wie Antonovsky weiter ausführt, nicht nur auf die vorherrschende Pathologie und die Symptome zu fokussieren, sondern die Geschichte des jeweiligen Menschen auf einem Kontinuum zu betrachten. (Antonovsky, 1997, S. 27)
Um den Kontext zu Maslows Bedürfnishierarchie herzustellen, findet sich in seinen Ausführungen und Anhängen zur Motivationstheorie folgendes Zitat: „Bisher haben wir nur die pathogenen Wirkungen der Frustration untersucht und ihre «sanogenen» (gesundmachenden) vernachlässigt. Homöostase, Gleichgewicht, Anpassung, Selbsterhaltung, Abwehr, Adaptierung sind nur negative Begriffe und müssen durch positive ergänzt werden. «Alles scheint auf die Erhaltung des Lebens gerichtet zu sein und nur wenig darauf, es lebenswert zu machen.»“ (Maslow, 2018, S. 322). Hier zeigt sich, dass auch von verschiedenen Ausgangspunkten startend, die Gesundheit und deren Zusammenhänge mit dem Umfeld zentrale Fragen bemühen und tief in den Forschungen verankert sind. Als mögliches Werkzeug oder Methode bietet Antonovsky dabei an: "Auf der Suche nach Heilmethoden für spezifische Krankheiten tendiert man dazu, innerhalb der Grenzen der Pathophysiologie zu bleiben. Wenn man nach effektiver Adaptation des Organismus sucht, kann man sich [...] Fantasie, Liebe, Spiel, Bedeutung, Willen und soziale Strukturen ansehen, die eine Adaptation fördern. Oder, wie ich es am liebsten sage, die Theorien erfolgreichen Copings." (Antonovsky, 1997, S. 27).
3.2.1 Begriffsklärung Stress
Laut Lazarus ist Stress definiert als eine Anforderung "[...] die auf einen Stimulus abzielt, der ‚die Ressourcen eines Systems angreift oder übersteigt‘. An anderer Stelle aber schreibt er: ‚Psychologischer Stress ist eine besondere Beziehung zwischen der Person und der Umgebung, die von der Person so bewertet wird, dass sie seine oder ihre Ressourcen angreift oder übersteigt und sein oder ihr Wohlbefinden gefährdet.‘ [...] Damit werden Stimuli, die als günstig, positiv oder irrelevant bewertet werden, von der Kategorie der Stressoren ausgeschlossen. [...] Das Versäumnis, die Definition der Stressoren auf alle Stimuli auszuweiten, die herausfordern, [...] unterliegt dem weitverbreiteten Versäumnis, zwischen Spannung und Stress zu unterscheiden (und rührt von einer pathogenen Orientierung)." (Antonovsky, 1997, S. 125)
3.2.2 Anforderungs-Bewältigungsmodell
„Das transaktionale Stressmodell von Lazarus geht davon aus, dass die Reaktion auf externe Stressfaktoren maßgeblich von den Gedanken, Beurteilungen und Bewertungen einer Person in der jeweiligen Situation bestimmt werden. Stress entsteht, wenn ein Ungleichgewicht besteht zwischen den Anforderungen, die an eine Person gestellt werden, und den persönlichen Möglichkeiten und Ressourcen, die zur Verfügung stehen, um die Anforderungen zu bewältigen.
Das Modell erklärt den individuell unterschiedlichen psychischen Beanspruchungsgrad ein und derselben (Stress-)Situation folgendermaßen: Menschen bewerten Umweltreize, Situationen und externe Ereignisse automatisch subjektiv in Bezug auf ihre Relevanz und persönliche Bedeutung. Lazarus bezeichnet diese subjektive Einschätzung als ‚primäre Bewertung‘, wobei ‚primär‘ nichts mit der zeitlichen Abfolge oder der Wichtigkeit des Bewertungsschrittes zu tun hat. Die Bezeichnung ‚primär‘ und ‚sekundär‘ dienen lediglich der Unterscheidung zwischen zwei inhaltlich verschiedenen Bewertungsschritten, die zumeist simultan erfolgen.
Menschen betrachten also externe Ereignisse und Situationen als entweder positiv, irrelevant oder als potenziell bedrohlich (für das persönliche Wohlbefinden, die eigenen Ziele, die eigene Person) und damit stressrelevant. Wird die Situation als stressend erlebt, kann diese Bewertung in drei Abstufungen erfolgen, nämlich als herausfordernd, bedrohend oder als schädigend.“ (www.burnout-info.ch, 2012)
„Je ungünstiger diese subjektive Ressourcenbewertung ausfällt, je weniger die wahrgenommenen Ressourcen für eine erfolgreiche Situationsbewältigung ausreichen oder je mehr Unsicherheit darüber besteht, umso stärker ist die Stressreaktion, die hierdurch ausgelöst wird. Die Stressreaktion äußert sich sowohl im subjektiven Empfinden (z.B. Angst, Anspannung, Ärger etc.), in körperlichen Veränderungen (im Hormonsystem und im muskulären System), als auch im Handeln der Person (z.B. Aggression gegen andere, Rückzug, Konsum suchtförderlicher Substanzen).
Zur Bewältigung von Stresssituationen greift der Mensch auf subjektive Bewältigungsstrategien zurück, sog. ‚Coping‘-Strategien (vom englischen Verb to cope = etw. bewältigen, zurechtkommen, mit etw. fertigwerden). Sowohl die Ressourceneinschätzung als auch die Wahl der Bewältigungsstrategien hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, u.a. von persönlichen ‚Soll-Werten‘, von den kognitiven Strukturen der Person, von ihren bislang gemachten Erfahrungen mit bestimmten Situationen bzw. dem Erfolg bestimmter Coping-Strategien, sowie von der wahrgenommenen Unterstützung durch andere.
Die jeweils gewählten Bewältigungsstrategien können funktional sein, d.h. zu einer nachhaltigen Lösung eines Problems beitragen. Sie können aber auch ‚dysfunktional‘ sein, d.h. erfolglos in Bezug auf eine Problemlösung, oder vom eigentlichen Problem lediglich ablenkend. Je nach Rückmeldung über den Erfolg einer verwendeten Lösungsstrategie oder durch das Hinzukommen von weiteren Ressourcen kann eine Neubewertung der Situation erfolgen, z.B. ein Wechsel von der Wahrnehmung einer Situation als ‚Bedrohung‘ hin zu einer ‚Herausforderung‘.“ (burnout-info.ch, 2012)
3.2.3 Begriffsklärung Kohärenzgefühl
Antonovsky benennt diese Sammlung an Widerstandsressourcen als Kohärenzgefühl. Dabei betont er, dass Menschen Widerstandsressourcen und Bewältigungsstrategien sammeln, die sie anschließend anhand des Anforderungs-Bewältigungs-Modells auf zahlreiche Situationen anwenden können. Antonovsky verdeutlicht dies mit seiner Anmerkung: "das allen generalisierten Widerstandsressourcen Gemeinsame - so mein Ansatz - ist, dass sie es leichter machen, den zahllosen Stressoren, von denen wir fortwährend bombardiert werden, einen Sinn zu geben. Dadurch [...] schaffen sie mit der Zeit ein starkes Kohärenzgefühl." (Antonovsky, 1997). Und weiter schreibt er: „Je stärker das Kohärenzgefühl, desto mehr werde die Person dazu neigen, den Stressor und die von ihm gestellten Aufgaben genauestens zu untersuchen, Ressourcen zu seiner Bewältigung auszumachen und zu aktivieren und für Rückmeldungen, Zwischenbewertungen und gegebenenfalls Neuorientierung offen zu sein. Je stärker ausgeprägt somit das Kohärenzgefühl, desto flexibler handle eine Person. Je niedriger das Kohärenzgefühl, desto wahrscheinlicher reagiere sie ohne Berücksichtigung der situativen Bedingungen ihren Persönlichkeitszügen entsprechend starr.“ (Antonovsky, 1997).
Um diese seine These auch zu belegen, führt Antonovsky auch die Forschungsfrage eines Pädiaters an, der sich ebenfalls ganzheitlich mit seinen Patienten – dem Kind – befasste: "Als Pädiater begann Boyce sich für die Bedingungen zu interessieren, die es Kindern erleichtern, gesund zu bleiben. [...] Das Kind, das in einer Umgebung aufwächst, in der es viele ‚beobachtbare, sich wiederholende Verhaltensweisen gibt, die zwei oder mehr Familienmitglieder einbeziehen und die in vorhersehbarer Regelmäßigkeit im täglichen und allwöchentlichen Familienleben auftreten‘ [...], ist - so nahmen Boyce und seine Kollegen an - wahrscheinlich das gesündere Kind. (Antonovsky, 1997, S. 52).
3.2.4 Schlussfolgerungen
Antonovsky zeigt hier auf, dass das Umfeld einer Person Einfluss auf deren Gesundheit und Wohlbefinden hat. Laut Definition der WHO ist Gesundheit definiert als: „ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“ (Franzkowiak & Hurrelmann, 2021)
Das Ausweiten der Definition von der vorherrschenden Pathologie auf die Person als Ganzes hinaus zeigt, dass physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden sich gegenseitig beeinflussende Systeme sind.
Sozialpädagogen versuchen die Ressourcen ihrer Nutzer und Klienten zu aktivieren und deren Bewältigungsstrategien gemeinsam zu erkunden und an den richtigen Punkten Unterstützung anzubieten. Um auch hier die Perspektive auf die Rolle des Sozialpädagogen zu lenken, stellen sich folgende Fragen für mich: Ist es möglich über die diagnostizierte Pathologie hinaus mit Menschen zu arbeiten? Welche Widerstandsressourcen erlangt ein Sozialpädagoge in seinem Arbeitsalltag? Wie bewältigt ein Sozialpädagoge erlebte Krisensituationen? All diese Fragen, die in ihrer Theorie tagtägliche Begleiter für Sozialpädagogen sind, führen laut mir zur Vermutung, dass die persönliche biopsychosoziale Gesundheit, gemeinsam mit Widerstandsressourcen und Bewältigungsstrategien zum Grundwerkzeug eines Sozialpädagogen gehören.
3.3 Lebensweltorientierung
„Lässt sich vieles nicht in Selbsthilfe, Nachbarschaftsgruppen und Bürgerinitiativen erledigen? Sind Professionelle nicht auch Leute, die sehr talentiert darin sind, sich die eigenen Arbeitsplätze dadurch zu sichern, dass sie nicht nur Schwierigkeiten dramatisieren, sondern auch sich selbst als einzig kompetente Helfer empfehlen?“ (Thiersch, 2009, S. 14)
3.3.1 Definition
„Lebensweltorientierung meint den Bezug auf die gegebenen Lebensverhältnisse der Adressaten, in denen Hilfe zur Lebensbewältigung praktiziert wird, meint den Bezug auf individuelle, soziale und politische Ressourcen, meint den Bezug auf soziale Netze und lokale/regionale Strukturen.“ (Thiersch, 2009, S. 5).
3.3.2 Lebensweltorientierung in der Praxis
Wenn diese Definition nun in der Praxis angewendet werden soll, so zeigt sich, dass es gut geplante und weitsichtige Planung braucht. Denn laut Thiersch meint Lebensweltorientierte Jugendhilfe, „dass die von der Jugendhilfe zu gewährenden Unterstützungen und Anregungen in Bezug auf Bildungs-, Erziehungs- und Orientierungsaufgaben, in Bezug aber ebenso auf die Gestaltung von Situationen, Gelegenheiten und Räumen als Hilfe zur Selbsthilfe so strukturiert sein müssen, dass sie ihren Ausgang nehmen in den gegebenen Struktur-, Verständnis- und Handlungsmustern und, dass sie die individuellen, sozialen und politischen Ressourcen so stabilisieren, stärken und wecken, dass Menschen sich in ihnen arrangieren, ja vielleicht Möglichkeiten finden, Geborgenheit, Kreativität, Sinn und Selbstbestimmung zu erfahren.“ (Thiersch, 2009, S. 23).
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