Die Arbeit soll die theoretischen Aspekte des Themas häusliche Gewalt wie die Definitionen, Formen und Häufigkeiten darlegen. Darüber hinaus werden Situationen aus einer gewaltgeprägten Lebenswelt der Kinder beschrieben sowie die konkreten Auswirkungen aufgezeigt, die sich bei Kindern durch ein Miterleben von häuslicher Gewalt manifestieren können. Ziel ist es, Interventionsmöglichkeiten für die Kinder vorzustellen, die für die Verarbeitung der Gewalterfahrung sowie deren weitere Entwicklung elementar sind. Im Rahmen der Interventionsmöglichkeiten der Erwachsenen müssen ebenfalls die Kinder berücksichtigt werden. Darauf aufbauend soll der begleitete Umgang als Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe in Folge einer Trennung der Eltern hinsichtlich des Gewaltkontextes erläutert werden. Dabei werden verschiedene Phasen des begleiteten Umgangs aufgezeigt. Aus diesen übergeordneten Zielen werden folgende drei Leitfragen abgeleitet:
Wie wirkt sich das Miterleben häuslicher Gewalt auf die Kinder aus?
Welche Interventionsmöglichkeiten gibt es bei häuslicher Gewalt im Hinblick auf die Kinder?
Wie kann der begleitete Umgang zwischen den Kindern und den Eltern gestaltet werden?
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
2 Häusliche Gewalt
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Formen
2.3 Häufigkeit
3 Kinder als Mitbetroffene häuslicher Gewalt
3.1 Miterleben häuslicher Gewalt
3.2 Auswirkungen auf die Kinder
4 Interventionsmöglichkeiten bei häuslicher Gewalt
4.1 Interventionsmöglichkeiten für die Kinder
4.1.1 Kinder- und Jugendberatung in Mecklenburg-Vorpommern
4.1.2 Projekt „Känguru“ in Niedersachen
4.1.3 Vergleich der Projekte
4.2 Interventionsmöglichkeiten für die betroffenen Mütter
4.2.1 Interventionsstellen
4.2.2 Frauenhaus
4.3 Interventionsmöglichkeiten für die Täter
4.3.1 Caring Dads Programm
4.3.2 Fathering After Violence Modul
5 Gestaltung eines begleiteten Umgangs mit dem Kind und den Eltern
5.1 Gesetzliche Grundlage des Umgangsrechts und des begleiteten Umgangs
5.2 Begleiteter Umgang in Folge häuslicher Gewalt
5.3 Bedürfnisse des Kindes
5.4 Durchführung des begleiteten Umgangs
6 Diskussion und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Definitionen des Begriffs häusliche Gewalt (eigene Darstellung)
Tabelle 2: Vergleich der Projekte (eigene Darstellung)
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ablauf der wissenschaftlichen Arbeit (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Formen der häuslichen Gewalt (eigene Darstellung)
Abbildung 3: Häufigkeit miterlebter Gewalt nach Angaben der Mütter (in Anlehnung an Schröttle und Müller 2004, S. 277)
Abbildung 4: Häufigkeit der miterlebten Gewalt nach Angaben der Kinder (eigene Darstellung)
Abbildung 5: Säulen der Kinder- und Jugendberatung (eigene Darstellung)
Abbildung 6: Bedürfnisse der Kinder (eigene Darstellung)
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Corona-Pandemie und das dadurch verstärkt bedingte Aufhalten im eigenen Zuhause, rückt das Thema häusliche Gewalt auf die politische Agenda und damit zunehmend in den Blickwinkel der Öffentlichkeit und Medien (vgl. Korbik 2021). Für Frauen ist das eigene Zuhause der Ort, an dem sie am häufigsten Gewalt erfahren (vgl. Lamnek et al. 2013, S. 117). Dabei sind die im Haushalt lebenden Kinder vielfältigen Belastungen ausgesetzt, auch wenn sie selbst nicht körperlich angegriffen werden. In den meisten Fällen erleben sie mit, wie der Vater die Mutter demütigt, bedroht oder schlägt (vgl. Heynen 2003, S. 6). Ein elfjähriges Mädchen beschreibt eine Situation aus ihrem zu Hause:
„‘Ich habe es gesehen, wie er meine Mutter geschlagen hat. Er hat sie auch an den Haaren gezogen, er warf sie auch an die Wand.‘“ (Strasser 2001, S. 89).
Die Mädchen und Jungen leiden unter der Situation und werden zunächst mit ihren Erfahrungen allein gelassen. Sie empfinden Angst und Hilflosigkeit oder fühlen sich für die Gewalthandlungen schuldig. Das Miterleben der häuslichen Gewalt bleibt nicht folgenlos und hat gravierende und nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder (vgl. Buskotte 2006, S. 5). Kommt es letztlich zu einer Trennung der Eltern, müssen zunächst bezüglich der zukünftigen Umgangsgestaltung zwischen Vater und Kind Regeln vereinbart werden (vgl. Güthoff 2008, S. 2).
Aufgrund der weltweiten Corona-Krise stehen Familien vor besonderen Herausforderungen. Das sind beispielsweise durch die Pandemie veränderte Tagesabläufe, prekäre Wohnverhältnisse, finanzielle Sorgen, Quarantäneverpflichtungen oder die Ungewissheit über die Zukunft. All diese Faktoren schaffen eine angespannte Atmosphäre innerhalb der Familien. Es kann vermehrt zu Streitigkeiten und aggressivem Verhalten untereinander kommen, was bis zu Gewaltausbrüchen führen kann (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2020b). So zeigt eine erste repräsentative Befragung zu häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie der Technischen Universität München und dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, dass die Häufigkeit der Gewalthandlungen noch höher sind, wenn sich die Familie beispielsweise in häuslicher Quarantäne befand oder akute finanzielle Sorgen hatte (vgl. Steinert und Ebert 2020, S. 1–2).
In unserer Gesellschaft ist häusliche Gewalt kein seltenes Phänomen und zudem ein Verstoß gegen das Recht des Menschen auf körperliche und seelische Unversehrtheit (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt 2021, S. 4). Darüber hinaus stellt häusliche Gewalt ein Thema dar, welches Sozialarbeiterinnen1 in ihrem beruflichen Kontext beschäftigt und immer beschäftigen wird (vgl. Dlugosch 2010, S. 13). Laut einer kriminalstatistischen Auswertung aus dem Jahr 2019 sind 81 % der von häuslicher Gewalt betroffenen Personen weiblich (vgl. Bundeskriminalamt 2020, S. 6). Dabei bedeutet die Gewalt gegen Mütter zugleich Gewalt gegen die im Haushalt lebenden Kinder. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf die Darstellung der Frauen und deren Kinder als Opfer und Männer als Täter, wobei sich der Fokus auf die Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren richtet. Die Betroffenheit von Kindern in Fällen häuslicher Gewalt wird durch eine repräsentative Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgezeigt. Dabei beziehen sich die Angaben auf die Sichtweise der befragten Mütter. Mehr als die Hälfte der 10.000 Frauen haben in ihrer Partnerbeziehung mit Kindern zusammengelebt. Von diesen Frauen haben 57 % angegeben, dass ihre Kinder die Situation gehört und zu 50 % gesehen haben (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 277).
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Die Arbeit soll die theoretischen Aspekte des Themas häusliche Gewalt wie die Definitionen, Formen und Häufigkeiten darlegen. Darüber hinaus werden Situationen aus einer gewaltgeprägten Lebenswelt der Kinder beschrieben sowie die konkreten Auswirkungen aufgezeigt, die sich bei Kindern durch ein Miterleben von häuslicher Gewalt manifestieren können. Ziel ist es, Interventionsmöglichkeiten für die Kinder vorzustellen, die für die Verarbeitung der Gewalterfahrung sowie deren weitere Entwicklung elementar sind. Im Rahmen der Interventionsmöglichkeiten der Erwachsenen müssen ebenfalls die Kinder berücksichtigt werden. Darauf aufbauend soll der begleitete Umgang als Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe in Folge einer Trennung der Eltern hinsichtlich des Gewaltkontextes erläutert werden. Dabei werden verschiedene Phasen des begleiteten Umgangs aufgezeigt. Aus diesen übergeordneten Zielen werden folgende drei Leitfragen abgeleitet:
1. Wie wirkt sich das Miterleben häuslicher Gewalt auf die Kinder aus?
2. Welche Interventionsmöglichkeiten gibt es bei häuslicher Gewalt im Hinblick auf die Kinder?
3. Wie kann der begleitete Umgang zwischen den Kindern und den Eltern gestaltet werden?
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. In diesem ersten Kapitel wurden vorrangig die Problemstellung, die Ziele und die Fragestellungen beschrieben. Das zweite Kapitel gibt einen theoretischen Hintergrund zum Thema häusliche Gewalt. Zunächst erfolgt eine Begriffsbestimmung, um anschließend auf die Formen und Häufigkeiten einzugehen.
Im darauffolgenden Kapitel richtet sich der Fokus auf die Kinder als Betroffene häuslicher Gewalt. Hier wird das Miterleben der Gewalt innerhalb der Familie thematisiert, gefolgt von der Darstellung der Auswirkungen auf die Kinder.
Das vierte Kapitel zeigt verschiedene Interventionsmöglichkeiten bei häuslicher Gewalt auf. Diese unterteilen sich in Interventionen für die Kinder, die betroffenen Mütter und die Väter als Täter. Innerhalb der Interventionsmöglichkeiten für die Kinder werden die Kinder- und Jugendberatung in Mecklenburg-Vorpommern und das Projekt „Känguru“ in Niedersachsen vorgestellt, bevor anschließend ein Vergleich dieser beiden Projekte vorgenommen wird. Bei den Interventionsmöglichkeiten für die betroffenen Mütter wird auf die Interventionsstellen und das Frauenhaus näher eingegangen. Im letzten Teil dieses Kapitels werden die Interventionsmöglichkeiten für die Täter vorgestellt, welche sich in das Caring Dads Programm und das Fathering After Violence Modul unterteilen.
In Kapitel fünf geht es um die Gestaltung eines begleiteten Umgangs mit dem Kind und seinen Eltern. Es wird zunächst die gesetzliche Grundlage des Umgangsrechts und des begleiteten Umgangs aufgezeigt, bevor anschließend der begleitete Umgang in Folge häuslicher Gewalt erläutert wird. Des Weiteren wird auf die Bedürfnisse des Kindes hinsichtlich der Umgangsgestaltung eingegangen und es werden die Phasen der Durchführung eines begleiteten Umgangs bei häuslicher Gewalt beschrieben.
Abschließend erfolgt in Kapitel sechs die Beantwortung der drei genannten Fragestellungen und es werden eine Diskussion sowie ein Ausblick vorgenommen. Die nachfolgende Abbildung 1 fasst den Ablauf der Arbeit bildlich zusammen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ablauf der wissenschaftlichen Arbeit (eigene Darstellung)
2 Häusliche Gewalt
In Kapitel zwei werden die Definitionen des Begriffs „häusliche Gewalt“ dargestellt und eine Definition für die vorliegende Arbeit abgeleitet. Danach werden die einzelnen Formen der häuslichen Gewalt vorgestellt sowie die Häufigkeit aufgezeigt.
2.1 Begriffsbestimmung
In der nachfolgenden Übersicht werden verschiedene Definitionen zum Begriff häusliche Gewalt aufgeführt. Eine einheitliche Begriffsdefinition ist in der Literatur nicht vorhanden. Die Definitionen weisen allerdings wiederkehrende Merkmale auf (siehe Tabelle 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Definitionen des Begriffs häusliche Gewalt (eigene Darstellung)
Ein erstes wiederkehrendes Merkmal stellt die nahe Beziehung der erwachsenen Personen zueinander dar. Dabei werden sowohl aktuell bestehende als auch sich in Auflösung befindliche sowie bereits beendete Beziehungen miteingeschlossen. Ausschließlich Lamnek et al. beziehen sich in ihrer Definition auf einen allgemeineren Personenkreis; nämlich auf Personen, die intim oder eng verwandt sind. Diese weit gefasste Definition schließt also neben der Gewalt unter Erwachsenen auch die Gewalt gegen Kinder mit ein.
Ein weiteres Merkmal der Definitionen von häuslicher Gewalt sind deren Ausprägungsformen, die sich in physischer, sexueller und psychischer Gewalt widerspiegeln können. Das Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt führt ergänzend die soziale und emotionale Gewalt mit auf, während Reinhard die Formen um die soziale und ökonomische Gewalt ergänzt.
Middecke-Sartorius und das Berliner Interventionsprojekt betonen in deren Definitionen den Genderaspekt der häuslichen Gewalt. Dabei wird hervorgehoben, dass die Gewalt fast ausschließlich von Männern ausgehend gegenüber Frauen ausgeübt wird. Somit nehmen Männer die Täterrolle und Frauen die Opferrolle ein. Zusätzlich wird in den beiden Definitionen das Motiv des Täters deutlich, welches unter die Ausübung von Macht und Kontrolle fällt.
Ein weiteres Merkmal stellt der Ort der Gewaltausübung dar. Wie der Begriff schon impliziert, definieren die Autoren den Ort des Geschehens im privaten Umfeld der Familie, also im Zuhause selbst. Die polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes fasst die Definition weiter, in dem sie auch Tatorte wie die Straße oder das Geschäft aufführt.
Um ein einheitliches Begriffsverständnis im Fortverlauf zu gewährleisten, soll in der vorliegenden Arbeit, unter Berücksichtigung der zuvor genannten Merkmale, häusliche Gewalt wie folgt definiert sein: Häusliche Gewalt bezieht sich auf Personen, die eng verwandt sind oder sich in einer engen bestehenden, sich in Auflösung befindlichen oder aufgelösten Beziehung befinden. Die Gewalt wird von Männern im privaten Umfeld zu Hause gegenüber Frauen ausgeübt, um Macht und Kontrolle zu erlangen. Dabei wird zwischen physischer, psychischer, ökonomischer, sozialer sowie sexualisierter Gewalt unterschieden.
2.2 Formen
Der Fokus der Arbeit richtet sich auf das Miterleben der häuslichen Gewalt von Kindern, weshalb die verschiedenen Formen der häuslichen Gewalt hier nur kurz vorgestellt werden (siehe Abbildung 2) und nicht umfassend darauf eingegangen wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Formen der häuslichen Gewalt (eigene Darstellung)
Die physische Gewalt richtet sich gegen die Frau selbst oder ist gegen Personen in ihrem nahen Umfeld, gegen persönliche Gegenstände oder gegen Tiere gerichtet. Sie umfasst Handlungen wie Ohrfeigen, Faustschläge, Tritte, Stöße, Würgen, Bisse, Verbrennungen, mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, Angriffe mit Waffen aller Art oder mit Gegenständen und kann bis hin zu Mordversuchen oder Mord reichen (vgl. Lamnek et al. 2013, S. 181–182). Bevor es zur Ausübung physischer Gewalt kommt, findet im Vorfeld bereits häufig psychische Gewalt statt (vgl. Strasser 2001, S. 87).
Im Gegensatz zur physischen Gewalt hinterlässt die psychische Gewalt keine sichtbaren Spuren, sodass Verletzungen von Außenstehenden meist nicht erkannt werden (vgl. Dlugosch 2010, S. 31). Dennoch sind die Folgen psychischer Gewalt tief greifend und häufig nachhaltiger als die der physischen Gewalt (vgl. Lamnek et al. 2013, S. 115). Unter die psychische Gewalt werden Verhaltensweisen wie Demütigungen, Entwertungen, Beschimpfungen, ständiges Kritisieren, Drohungen, Verleumdungen, einschüchterndes und kontrollierendes Verhalten, Verbote sowie ständige Schuldzuweisungen gefasst (vgl. Strasser 2001, S. 87).
Die ökonomische Gewalt ist eine Ausformung der psychischen Gewalt. Sie beinhaltet Arbeitsverbote oder Arbeitszwang, Kontrolle der Finanzen, Zuteilung finanzieller Mittel oder Verweigerung des Kontozuganges durch den Partner. Die Frauen werden gezwungen die gesamte Haushaltsführung zu übernehmen und gleichzeitig wird ihre Hausarbeit entwertet. Die Täter verfolgen dabei das Ziel, ihr Opfer permanent zu kontrollieren und dessen freien Willen zu unterdrücken. Bei dieser Form der Gewalt gerät die Frau in finanzielle Abhängigkeit zu ihrem Mann, welche von ihm bewusst erzeugt wird (vgl. Strasser 2001, S. 86).
Neben der ökonomischen Gewalt zählt auch die soziale Gewalt zu einer Ausdrucksform psychischer Gewalt. Sie umfasst Gewalthandlungen zur Einschränkung des sozialen Lebens und der Teilhabe am öffentlichen Leben wie Isolation des Opfers von Familie und Freunden, Kontrolle oder Verbot von Kontakten, Absperren des Telefons sowie ständige Begleitung bis hin zum Einsperren im eigenen Zuhause (vgl. Lamnek et al. 2013, S. 182). Die Männer begleiten beispielsweise ihre Frauen auf deren Arbeitsweg oder legen klare Zeiten fest, wann die Frau von Einkäufen, falls diese allein getätigt werden dürfen, zu Hause sein muss. In dieser Zeit werden sie durch ständige Kontrollanrufe überwacht (vgl. Ueckeroth 2016, S. 25).
Die sexualisierte Gewalt reicht von sexuellen Erniedrigungen und Nötigungen bis hin zum Zwang zu Sexualität nach Misshandlungen, zu Vergewaltigungen und zum Zwang bei sexuellen Handlungen mit anderen Frauen zuzusehen (vgl. Strasser 2001, S. 88). Das Opfer wird zum Geschlechtsakt oder zu Sexualpraktiken gezwungen und muss diese über sich ergehen lassen (vgl. Lamnek et al. 2013, S. 116). Dabei werden die psychische Gewalt wie Beschimpfungen und Drohungen sowie die physische Gewalt wie Schläge gezielt angewendet, um sexuelle Handlungen, die sich gegen den Willen des Opfers richten, zu erreichen (vgl. Strasser 2001, S. 88). Der Mann behandelt sein Opfer wie sein Eigentum, über das er beliebig verfügen kann (vgl. Lamnek et al. 2013, S. 189).
Die verschiedenen Formen der häuslichen Gewalt werden meist in Kombination angewendet. So ist zum Beispiel die sexuelle Gewalt immer mit physischer und/oder psychischer Gewalt verbunden. Häufig beginnt die häusliche Gewalt mit einem schleichenden Prozess von Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen. Im Laufe der Zeit kommt es dann zu wiederholten Gewaltausübungen und damit zu einer Zunahme der Schwere der Gewalttaten (vgl. Ueckeroth 2016, S. 23–24). Die verschiedenen Formen der häuslichen Gewalt sind vor allem durch das Macht- und Dominanzmotiv sowie die Kontrolle des Täters über sein Opfer gekennzeichnet (vgl. Lamnek et al. 2013, S. 184–185). Auf weitere mögliche Ursachen zur Entstehung von häuslicher Gewalt wird in dieser Arbeit nicht näher eingegangen.
2.3 Häufigkeit
Zur Bestimmung der Häufigkeit von häuslicher Gewalt liegen in Deutschland keine aktuellen repräsentativen Dunkelfeldstudien vor. Aufgrund dessen wird sich in der vorliegenden Arbeit auf eine repräsentative Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2004 von Schröttle und Müller (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 9); auf eine Sonderauswertung zu Gewalt in Paarbeziehungen von Schröttle und Ansorge aus dem Jahr 2008 (vgl. Schröttle und Ansorge 2008, S. 10) und auf eine repräsentative Studie der Fundamental Rights Agency der European Union aus dem Jahr 2014 bezogen (vgl. FRA - Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014, S. 3).
Für die erste umfassende bundesdeutsche repräsentative Studie zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland wurden im Zeitraum von 2002 bis 2004 10.000 Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren zu ihren Gewalterfahrungen befragt (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 9–10). Die Untersuchung kommt zu folgenden Ergebnissen: Jede vierte Frau (25 %) in Deutschland hat mindestens einmal physische und/oder sexuelle Gewalt durch den aktuellen oder früheren Beziehungspartner erlebt. Die Täter waren fast durchgängig männlich (99 %). Von den Frauen, die körperliche oder sexuelle Übergriffe erlebten, haben ein Drittel (31 %) eine Gewalthandlung, etwas mehr als ein Drittel (36 %) zwei bis zehn Gewalthandlungen und ein weiteres Drittel (33 %) mindestens zehn bis über vierzig Gewalthandlungen durch ihren aktuellen oder früheren Partner erlebt (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 30). Hinsichtlich der Frage nach der konkreten Gewalthandlung, waren Mehrfachnennungen möglich. Am häufigsten berichteten die Frauen von wütendem Wegschubsen, leichten Ohrfeigen und schmerzhaftem Treten, aber auch von ernsthaften Gewaltandrohungen, Schlägen mit Fäusten, Würgen, Waffengewalt und Morddrohungen (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 39). Bei zwei Drittel der Betroffenen (64 %) kam es durch die Gewalthandlung des (Ex-)Partners zu körperlichen Verletzungen wie Prellungen, blauen Flecken, Verstauchungen, Knochenbrüchen, offenen Wunden und Kopfverletzungen. Bei mehr als einem Drittel (36 %) kam es zu keinen sichtbaren Verletzungen (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 30).
Seit der repräsentativen Untersuchung im Jahr 2004 wurde in Deutschland keine Studie in diesem Umfang bezüglich des Ausmaßes häuslicher Gewalt mehr durchgeführt. Die Daten dieser Studie wurden aber in einer sekundäranalytischen Folgestudie zu Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen weiter vertiefend ausgewertet. In der Sonderauswertung wird darauf hingewiesen, dass Frauen in Trennungs- und Scheidungssituationen einem sehr hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer von Partnerschaftsgewalt zu werden (vgl. Schröttle und Ansorge 2008, S. 103).
In der aktuelleren europaweiten Erhebung der europäischen Grundrechtagentur (FRA) wurden im Jahre 2014, zehn Jahre nach der Prävalenzstudie des BMFSFJ, 42.000 Frauen im Alter von 18 bis 74 Jahren innerhalb der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) zu ihren Gewalterfahrungen befragt (vgl. FRA - Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014, S. 3). Die Ergebnisse zeigen, dass zwei von fünf Frauen (43 %) eine Form psychischer Gewalt durch einen aktuellen oder früheren Partner erlebt haben. Davon gaben 7 % an mindestens vier verschiedene Formen der psychischen Gewalt erfahren zu haben (vgl. FRA - Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014, S. 12). Des Weiteren haben 22 % der Frauen körperliche und/oder sexuelle Gewalt in ihrer aktuellen oder einer früheren Partnerschaft erlebt (vgl. FRA - Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014, S. 10).
Weitere Zahlen sind aus der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik zu Gewalt in Paarbeziehungen zu entnehmen, welche jährlich aktualisiert werden. Dieses Hellfeld umfasst nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Gewalttaten in der häuslichen Umgebung, weil die Taten eher selten zur Anzeige gebracht werden (vgl. Bundeskriminalamt 2020, S. 4). Das Ergebnis zeigt, dass im Jahr 2019 141.792 Personen Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden. Davon liegt die Anzahl weiblicher Opfer bei 114.903 Personen (vgl. Bundeskriminalamt 2020, S. 9). Gegenüber dem Jahr 2018 ist die Anzahl der Opfer von Partnerschaftsgewalt um 0,74 % angestiegen (2018: 140.755). Folglich ist kein Rückgang an Gewalt zu beobachten (vgl. Bundeskriminalamt 2020, S. 6).
Abschließend lässt sich sagen, dass bezüglich des Begriffs häuslicher Gewalt ein heterogenes Bild mit wiederkehrenden Merkmalen vorliegt. Aufgrund dessen wurden die wichtigsten Merkmale aus den unterschiedlichen Definitionen herausgearbeitet, um sich in dieser Arbeit auf eine einheitliche Definition (siehe Kapitel 2.1) beziehen zu können. Die Ausprägungen der häuslichen Gewalt lassen sich in fünf verschiedene Formen differenzieren, die häufig in Kombination von dem Täter ausgeübt werden (vgl. Reinhardt 2015, S. 206). Hinsichtlich der Häufigkeit von häuslicher Gewalt in Deutschland kann festgehalten werden, dass mindestens jede vierte Frau einmal physische und/oder sexuelle Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Beziehungspartner erlebt hat. Zwei Drittel der Betroffenen haben durch die Gewalthandlung körperliche Verletzungen erlitten (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 30). Frauen, die sich in einer Trennungs- oder Scheidungssituation befinden, sind einem erhöhtem Risiko ausgesetzt, Opfer von Partnerschaftsgewalt zu werden (vgl. Schröttle und Ansorge 2008, S. 103).
3 Kinder als Mitbetroffene häuslicher Gewalt
In diesem Kapitel richtet sich der Fokus auf die Kinder, die unter der Gewalt ihres Vaters gegenüber ihrer Mutter leiden. Hierzu wird das kindliche Erleben der häuslichen Gewalt beschrieben und Situationen, welchen die Kinder in ihrer Alltagswelt ausgesetzt sind. Weiter wird ein Überblick über die Häufigkeit der miterlebten Gewalt der Kinder gegeben. Abschließend werden die Auswirkungen erläutert, welche sich in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen manifestieren können.
3.1 Miterleben häuslicher Gewalt
Gelles zufolge liegt das Miterleben von Gewalt „im Schnittpunkt zwischen Kindesmisshandlung und -vernachlässigung und häuslicher Gewalt.“ (Gelles 2002, S. 1058).
Die Mehrzahl der gewaltbetroffenen Frauen hat Kinder, welche wiederholt körperliche und seelische Gewalthandlungen gegen ihre Mutter miterleben müssen (vgl. Schröttle und Müller 2004, S. 277). Häufig gehen Eltern davon aus, dass ihre Kinder von alldem, was zu Hause passiert, nichts mitbekommen, weil es in der Nacht, wenn die Kinder schlafen, oder hinter verschlossenen Türen geschieht (vgl. Dlugosch 2010, S. 38). Doch in Wirklichkeit nehmen die Kinder viel mehr wahr, als ihre Eltern denken (vgl. Schäfer-Hohmann 2009, S. 77–78). Sie werden häufig Zeuge, Opfer oder Beteiligte von häuslicher Gewalt (vgl. Dlugosch 2010, S. 37). Dabei erfahren die Kinder die Gewalt auf verschiedenen Sinnesebenen. Sie sehen, wie der Vater die Mutter schlägt, sie hören die Streitigkeiten ihrer Eltern, bemerken wie sich die Mutter gegenüber dem Vater unterordnet, spüren die Wut des Vaters, die eigene Angst, die Angst der Mutter sowie ihrer Geschwister und sehen bei ihrer Mutter die körperlichen Folgen wie Hämatome oder Wunden. Nach der Gewalttat erleben die Kinder die Reaktionen der Mutter wie beispielsweise Handlungsunfähigkeit und Angst und bleiben mit der verletzten Mutter zurück, während der Vater in der Regel das Haus verlässt. Gleichzeitig bekommen die Kinder mit, wie ihre Mutter den Gewaltakt verheimlicht und der Nachbarin erzählt, sie sei auf der Treppe ausgerutscht (vgl. Heynen 2003, S. 6). Außerdem können die Kinder selbst mit in die Konfliktsituation geraten und Opfer der Gewalttaten des Vaters werden. Ältere Kinder versuchen in den Gewaltsituationen ihre Mutter zu schützen, indem sie sich zwischen beide Elternteile stellen (vgl. Schäfer-Hohmann 2009, S. 78).
Ein elfjähriges Mädchen beschreibt ihr Gefühl, wenn sie mit ansehen musste wie ihre Mutter geschlagen wurde: „‘Es hat mir auch wehgetan, wie er sie geschlagen hat, in meinem Bauch zitterte alles.‘“ (Strasser 2001, S. 123).
Die Alltagswelt der Kinder ist geprägt von Isolation, Unkalkulierbarkeit, Spannung, Angst, Hilflosigkeit, physische und psychische Gewalt sowie Vernachlässigung und Überforderung (vgl. Schäfer-Hohmann 2009, S. 79; Kreyssig 2013, S. 298). Die Kinder wachsen in ihrer Familie in einer gewaltbelasteten Atmosphäre auf, in der sie keinen Schutz und keine Sicherheit erhalten, was sich langfristig auf deren Entwicklung und Verhaltensweisen belastend auswirkt. Kinder werden mit für sie stressvollen und mitunter gefährlichen Situationen konfrontiert (vgl. Gelles 2002, S. 1058). Hinzu kommt, dass Kinder im Kontext häuslicher Gewalt unter der Anwesenheit des Gewalttäters in ihren kindlichen Erfahrungen eingeschränkt werden. Sie trauen sich nicht in der Wohnung zu spielen, herumzutoben oder mit ihren Fähigkeiten zu experimentieren. Durch den Versuch immer alles richtig machen zu wollen, entsteht für sie ein ständiger Druck (vgl. Dlugosch 2010, S. 54).
Meist nehmen die Mädchen und Jungen in ihrer Kindheit erwachsene, schützende und sorgende Rollen ein. Es erfolgt eine Parentifizierung, eine Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind. Zum Beispiel helfen die Kinder ihrer Mutter nach der Gewalthandlung und sind für sie eine emotionale Unterstützung. Die Mütter suchen auch von sich aus Trost bei ihren Kindern, wenn sie sich an niemand anderen wenden können (vgl. Strasser 2001, S. 145). Mit diesen Aufgaben und Erwartungen, die an das Kind herangetragen werden, ist das Kind allerdings überfordert. Die kindliche Unbefangenheit geht verloren und es kann kein Kind mehr sein, sondern versucht den elterlichen Aufgaben und Erwartungen gerecht zu werden (vgl. Heynen 2003, S. 7).
Darüber hinaus werden die Kinder in ihrer Familie mit weiteren gewaltbedingten Folgen konfrontiert, wie Einschränkungen der elterlichen Erziehungs- und Fürsorgefähigkeit, Überlastung der Mutter, die bis zur Kindesvernachlässigung führen kann. Gewalt zwischen den Eltern bedeutet für Kinder eine Beeinträchtigung der Beziehung zu beiden Elternteilen. Vater und Mutter sind nicht in der Lage die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen. Die von Gewalt betroffene Mutter ist erschöpft und möglicherweise traumatisiert und demnach phasenweise nur eingeschränkt in der Lage sich angemessen um ihre Kinder zu sorgen. Meist schaffen sie es nicht den Kindern Verständnis, Trost und Halt zu übermitteln. Auch der gewaltausübende Elternteil kümmert sich in der Regel nicht angemessen um seine Kinder und lässt Frau und Kinder mit der Familien- und Hausarbeit allein (vgl. Dlugosch 2010, S. 38; Heynen 2003, S. 6). Bei Kindern aus gewalterfüllten Familien kann es zu starken Ambivalenzen und Loyalitätskonflikten gegenüber den Eltern kommen. Das ist dann der Fall, wenn der gewalttätige Vater versucht, die Kinder auf seine Seite zu ziehen, um sie als Verbündete gegen die Mutter zu gewinnen. Er stellt sich als Opfer dar und die Mutter als Täterin. Die Kinder werden somit großem psychischem Druck ausgesetzt und schwanken zwischen Vater und Mutter sowie zwischen Liebe und Hass gegenüber ihrem Vater (vgl. Strasser 2001, S. 157–158).
Oftmals quälen sich die Kinder mit Schuldgefühlen, weil sie davon ausgehen, dass durch deren Verhalten die Gewalt des Vaters ausgelöst wurde (vgl. Buskotte 2006, S. 5). Gleichzeitig trauen sich die Kinder nicht mit jemandem über ihr Erlebtes innerhalb oder außerhalb der Familie zu sprechen. Sie fürchten sich vor den Konsequenzen, schämen sich für das Verhalten ihrer Eltern oder finden keine passenden Worte. Die Schweigepflicht, die sich auf die ganze Familie ausbreitet, wird von den Kindern als belastend empfunden. In den meisten Fällen wird die Gewalt in der Familie erst dann aufgedeckt, wenn die Frau mit ihren Kindern in ein Frauenhaus flieht (siehe Kapitel 4.2.2), um dort Schutz zu finden (vgl. Dlugosch 2010, S. 55–56).
Häufigkeit miterlebter Gewalt
Innerhalb der bereits in Kapitel 2.3 aufgeführten Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ aus dem Jahr 2004 wurden die Frauen auch nach dem Miterleben der Gewalt ihrer Kinder befragt. Die nachfolgende Abbildung 3 stellt die Häufigkeit der miterlebten Gewalt der Kinder aus Sicht der Mutter dar.
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1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der Arbeit das generische Femininum verwendet. Männliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
- Quote paper
- Alina Schweizer (Author), 2021, Häusliche Gewalt und die Auswirkungen auf die Kinder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1128920
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