Städte und Gemeinden spielten in der deutschen Geschichte stets eine prominente Rolle. Die verfassungsmäßig garantierte Kommunale Selbstverwaltung ist heute für die Organisation der Bundesrepublik ebenso maßgeblich wie der Föderalismus: Die Bundesstaatlichkeit ist historische Folge der Territorialstaatstradition, die Kommunale Selbstverwaltung gilt darüber hinaus gar als die nationale, identitätsstiftende Tradition schlechthin.
Infolge der föderalen Gliederung Deutschlands sind die Kommunen unterschiedlich, abhängig von der jeweiligen Gemeindeordnung des Landes, verfasst. Ab den 1970er Jahren wurde auf diesem Feld ein »Wettbewerb der Kommunalsysteme« virulent, und im Verlauf der 1990er Jahre wurden etliche Gemeindeordnungen in Nord-, Ost- und Westdeutschland reformiert. Die Reformen orientierten sich vor allem an den süddeutschen Gemeindeordnungen. Franz-Ludwig Knemeyer hat dies als »Siegeszug der Süddeutschen Gemeindeverfassung« bezeichnet. Diese institutionellen Reformen der sogenannten »inneren Kommunalverfassung« sind
sozialwissenschaftlich deshalb interessant, weil neben der Frage, warum die Reformen überhaupt vorgenommen wurden, vor allem der angesprochene Siegeszug des süddeutschen Typus bemerkenswert ist.
Im Rahmen einer neo-institutionalistischen Analyse wird dieser »Siegeszug« genauer untersucht, um letztlich zu bestimmen, weshalb alle Reformen ähnliche strukturelle Änderungen vorsahen, und warum heute die sogenannte »duale Rat-Bürgermeister-Verfassung« als vorherrschendes Modell unter den deutschen Gemeindeordnungen ausgemacht
werden kann.
Gliederung
I. Der Siegeszug der süddeutschen Kommunalverfassung – Einführung
II. Entstehung und Entwicklung der deutschen Kommunalverfassungen
II.1. Historische Entwicklung der deutschen Gemeindeordnungen
II.2. Die Kommunalverfassungsreformen der neunziger Jahre
II.2.1. Kommunale Führungsfunktionen
II.2.2. Legitimationsund Partizipationsfunktionen
II.3. Die deutschen Kommunalverfassungen im systematischen Überblick
II.4. Tendenzen und Hintergründe der Reformen
III. Rationalität als Mythos – Der Neo-Institutionalismus
III.1. Die neo-institutionalistische Schule
III.2. Mythen, Isomorphismus und Heuchelei
III.3. Neo-institutionalistische Theoriebausteine in der Zusammenfassung
IV. Rationalität und Heuchelei in der Kommunalpolitik – Synthese
IV.1. Der Bürgermeister – Charisma und Kompetenzstruktur
IV.1.1. Bündelung von Führungsfunktionen als Rationalitätsmythos
IV.1.2. Wahl und Abwahl des (Ober-)Bürgermeisters
IV.2. Der Rat und die Parteien
IV.2.1. Rationale Selektion durch Kumulieren und Panaschieren
IV.2.2. Kommunale Parteipolitik und politische Kultur
IV.3. Publikum und Partizipation – Demokratisierung vs. »talk«
IV.3.1. Legitimation durch Wahlen
IV.3.2. Kommunale Referenden
V. Der Siegeszug als Isomorphismus – Conclusio
VI. Bibliographie
Der Siegeszug der süddeutschen Kommunalverfassung – Einführung
»Potenziell hat jedes Land seine eigene Kommunalverfassung. Dabei können die Unterschiede [...] stark ausgeprägt sein, und es können unterschiedliche Muster miteinander konkurrieren. Es kann aber auch ein Angleichungsprozess stattfinden [...]« (Kost/Wehling (2003) 8).
Städte und Gemeinden spielten in der deutschen Geschichte stets eine prominente Rolle. Die verfassungsmäßig garantierte Kommunale Selbstverwaltung ist heute für die Organisation der Bundesrepublik ebenso maßgeblich wie der Föderalismus: Die Bundesstaatlichkeit ist historische Folge der Territorialstaatstradition, die Kommunale Selbstverwaltung gilt darüber hinaus gar als die nationale, identitätsstiftende Tradition schlechthin (vgl. Ribhegge (2002) 7). Die Verankerung beider im Grundgesetz (Art. 20 und 28 GG) hat zur Folge, dass, wie das Eingangszitat besagt, die deutschen Kommunen unterschiedlich, abhängig von der jeweiligen Gemeindeordnung des Landes, verfasst sind. Wehling weist zugleich auf eine mögliche »Konkurrenz« der Kommunalverfassungen und auf denkbare »Angleichungsprozesse« hin. Tatsächlich wurde ab den 1970er Jahren ein »Wettbewerb der Kommunalsysteme« (Knemeyer (1998) 109) virulent, und im Verlauf der 1990er Jahre wurden etliche Gemeindeordnungen in Nord-, Ostund Westdeutschland reformiert. Die Reformen orientierten sich vor allem an den süddeutschen Gemeindeordnungen. Franz-Ludwig Knemeyer hat dies als »Siegeszug der Süddeutschen Gemeindeverfassung« (ebd. 111) bezeichnet.
Diese institutionellen Reformen der sogenannten »inneren Kommunalverfassung« sind sozialwissenschaftlich deshalb interessant, weil neben der Frage, warum die Reformen überhaupt vorgenommen wurden, vor allem der angesprochene Siegeszug des süddeutschen Typus bemerkenswert ist. der vorliegende Text wird sich diesen beiden Fragen wie folgt widmen: Im anschließenden Kapitel II. wird zunächst die Geschichte der deutschen Gemeindeordnungen rekapituliert. Daran wird sich in Kapitel III. eine Skizze der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie anschließen, mit deren Hilfe plausible Antworten auf die Leitfragen entwickelt werden sollen. In Kapitel IV. werden daher mithilfe dieser theoretischen Angebote die Reformen untersucht, und es werden sowohl die Reforminhalte, als auch den »Siegeszug« neo-institutionalistisch betrachtet. Ein abschließendes Fazit in Kapitel V. wird zusammenfassend darlegen, weshalb alle Reformen ähnliche strukturelle Änderungen vorsahen, und warum heute die sogenannte »duale Rat-Bürgermeister- Verfassung« als vorherrschendes Modell unter den deutschen Gemeindeordnungen ausgemacht werden kann.
II. Entstehung und Entwicklung der deutschen Kommunalverfassungen
»Die Gemeinde ist Grundlage und Glied des demokratischen Staates« (GO-BW §1.I.) – so beginnt die Gemeindeordnung für Baden-Württemberg. Sie ist ein Landesgesetz, und das zeigt bereits an, dass die Kommunen »staatsrechtlich Teil der Länder« (Bogumil (2001) 62) sind. Es obliegt den Ländern, die »Regelung der institutionellen Ordnung der Kommunen ([...] innere Kommunalverfassung) und ihre Stellung im Gesamtstaat (äußere Kommunalverfassung)« (Wollmann (1998) 50) zu normieren. Deshalb können die Kommunalverfassungen
– und kann »die Geschichte der neueren kommunalen Selbstverwaltung« (Saldern (1998) 23) – nur vor dem Hintergrund des deutschen Föderalismus betrachtet werden.
Grundsätzlich zeichnet sich ein bundesstaatliches Gemeinwesen dadurch aus, dass es Unterschiede in seinen Gliedern zulässt. Auch die Verfassung der Kommunen in Deutschland ist daher nicht bundeseinheitlich. Allerdings wurden zahlreiche Gemeindeordnungen in den 1990er Jahren so reformiert, dass sie sich wesentlich dem süddeutschen Typus angenähert haben. Deshalb sprich Knemeyer, wie erwähnt, von einem »Siegeszug der süddeutschen Kommunalverfassung« (Knemeyer (1998) 109). Um diese Entwicklungen analysieren zu können, ist zunächst die Geschichte der deutschen Kommunalverfassungen zu rekapitulieren.
II.1. Historische Entwicklung der deutschen Gemeindeordnungen
Zwar ist die Geschichte der deutschen Kommunen weitaus älter als jene der Bundesländer:
»[Es] wird kaum jemand bestreiten, dass es seit über tausend Jahren deutsche Städte gab und gibt« (Ribhegge (2002) 8). Dennoch hat man – lässt man die »weit ins Mittelalter zurückgehende Geschichte kommunaler Selbstverwaltung«1 (Knemeyer (1998) 106) außer acht und interessiert sich für die ersten normierten Kommunalverfassungen – Ende des 18. Jahrhunderts anzusetzen. Dort finden sich äußere Impulse aber auch innere Gründe.
Den Anstoß von Außen gab vor allem das napoleonische Frankreich. Politisch stärkte Napoléon die südund westdeutschen Länder im Rahmen des »Reichsdeputationshauptschluss’«2 von 1803; juristisch legte er mit dem »Code Civil«3 von 1804 auch die Grundlage für die Verfassung der kommunalen Ordnung. Ferner finden sich auch innerdeutsche Wurzeln: Aus ebenso von der Aufklärung inspirierten,4wie politisch motivierten Überlegungen,5
erließ Preußen 1808 die »Preußische Städteordnung« - nach ihrem geistigen Vater auch
»Stein’sche Städteordnung« (Knemeyer (1998) 106) genannt. Orientiert an staatlichen Prinzipen wie der Gewaltenteilung wurden die Gemeinden im Rahmen des »Magistratsverfassungssystemes als Zweikörpersysteme« (ebd. 107) ausgestaltet. Dieser Strukturtyp verband eine
»Versammlung der Stadtverordneten als maßgebliches Entscheidungsorgan [...] [mit einem] kollegialen Verwaltungsorgan[, dem] Magistrat« (Wollmann (1998) 52f.).
Die äußeren Impulse und die preußische Städteordnung gaben dann den Anstoß, auch in den anderen deutschen Ländern Gemeindeverfassungen zu erlassen. Den Anfang machte Bayern mit der 1818 verabschiedeten Gemeindeordnung. Im Gegensatz zu Preußen entschied man sich aber für das »weit mehr durch Aspekte der Verwaltungseffizienz [...] gekennzeichnete« (Knemeyer (1998) 107) Einkörpersystem. Zentrales Organ war der »Bürgermeister[, der] maßgeblich die Gesamtpolitik [bestimmte]« (ebd.).
Den Beispielen Preußens und Bayerns folgten rasch die anderen Länder: 1822 erließ Württemberg ein Gemeindeedikt, 1831 folgte das badische Gemeindegesetz, 1838 die sächsische Landgemeindeordnung (vgl. Saldern (1998) 28). Da bis 1871 kein deutscher Staat existierte, die Länder also autonom waren, mit der preußischen Städteordnung und der bayerischen Gemeindeordnung zwei unterschiedliche Vorbilder bestanden und Preußen »die jeweils in den [einverleibten] Regionen bestehenden Kommunalverfassungen [anerkannte]« (Knemeyer (1998) 106), entwickelte sich in Deutschland eine Vielfalt an Gemeindeverfassungen. Diese orientierten sich im Norden und Osten eher am preußischen Zweikörpersystem; im Süden und Südwesten galt hingegen die bayerische Einkörperstruktur als maßgeblich.
Die Zuständigkeit der Länder für die Kommunalverfassungen wurzelt in ihrer staatlichen Unabhängigkeit und wurde weder im Kaiserreich, noch in der Weimarer Republik, noch in der Bundesrepublik aufgehoben. Mit Ausnahme der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 wurde »das Recht der Länder auf eigene Kommunalverfassungen [...] weiterhin zugestanden« (Saldern (1998) 29; vgl. auch Knemeyer (1998) 106). Allerdings verlor die Leitunterscheidung zwischen Einund Zweikörpersystemen nach dem Zweiten Weltkrieg an Erklärungskraft. Zwar »knüpften die Länder [...] an die in ihren Gebieten überkommenen Gemeindeordnungen an« (Knemeyer (1998) 107), jedoch wurden etwa in der britischen Besatzungszone Elemente des »british local government« (ebd.) aufgegriffen.6 Insgesamt ließen sich die Kommunal-
verfassungen schließlich in vier Strukturtypen unterscheiden: die norddeutsche Ratsverfassung in Niedersachsen und Nordrhein-Westfahlen, die süddeutsche Ratsverfassung in Bayern und ab 1952 im neu geschaffenen Baden-Württemberg, die rheinische Bürgermeisterverfassung in Rheinland-Pfalz, in Teilen Schleswig-Holsteins sowie im Saarland ab dem Beitritt zur BRD 1957 und die Magistratsverfassung in Hessen und in den schleswigholsteinischen Städten.
Faktisch, so Knemeyer, war aber auch diese Systematisierung wenig dienlich: »Diese Typen [...] beachteten weniger die Kompetenzenverteilung und Entscheidungsbefugnis und schon gar nicht die [...] monistischen und dualistischen Aufgabensysteme« (Knemeyer (1998)
109). Er schlägt deshalb die alternative Unterscheidung von »(norddeutscher) Ratsverfassung, (süddeutscher) dualer Rat-Bürgermeister-Verfassung7 sowie Magistratsverfassung« (ebd.) vor. Während sich das norddeutsche, monistische 8 System durch einen »starken Rat und einen verhältnismäßig schwachen Verwaltungschef« (Kost/Wehling (2003) 11) auszeichnete, sah das süddeutsche, dualistische System eine »starke Stellung [...] des Bürgermeisters«
(ebd. 10f.) vor. Die in Hessen maßgebliche Magistratsverfassung betonte hingegen gewaltenteilende und »dem parlamentarischen System sehr nahe« (ebd. 11) stehende Aspekte.
II.2. Die Kommunalverfassungsreformen der neunziger Jahre
Norddeutsche Ratsverfassung, süddeutsche duale Rat-Bürgermeister-Verfassung und unechte Magistratsverfassung bestimmten bis zur Wiedervereinigung die deutsche Kommunalverfassungslandschaft. »Das Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung hat [...] [jedoch] zu [...] Reform[en] geführt, die über die Jahrzehnte hinweg […] blockiert« (Wehling (2003b) 301) waren: In den norddeutschen Systemen wurden wesentliche Änderungen vorgenommen; ferner gaben die zu schaffenden Kommunalverfassungen in den neuen Bundesländern Anlass zur Neuorientierung.
Um diese Reformen sozialwissenschaftlich erfassen zu können, bedarf es geeigneter Analyseinstrumente. Ausgehend von der Prämisse, dass »Kommunalpolitik als lokales Subsystem [der] politischen Systeme« (Naßmacher (1999) 18) zu verstehen ist, bietet sich zunächst die von Niklas Luhmann konzipierte Differenzierung dreier Teilbereiche an: »Im groben gesehen scheint sich in modernen politischen Systemen eine Grunddifferenzierung von [...] bü- rokratische[r] Verwaltung, parteimäßige[r] Politik und [...] Publikum anzubahnen« (Luhmann (1971) 163). Deshalb wird die Untersuchung der Kommunalverfassungsreformen den Blick auf das politische Teilsystem (Kommunalversammlung), das administrative Subsystem
(Bürgermeister und Kommunalverwaltung), sowie das Publikum (Gemeindebürger) richten.9 Ferner sind die maßgeblichen politischen Funktionen zu betrachten: Neben der Entscheidung sfunktion, die insofern nicht näher zu thematisieren ist, als hier enge rechtliche Vorgaben bestehen,10 sind die Führung sfunktionen sowie die Legitimation s-11 und Partizipation sfunktionen12 zu beachten. Anhand der Zuordnung bzw. Neuverteilung von Funktionen auf die Teilsysteme können dann die Reformansätze strukturiert werden.
II.2.1. Kommunale Führungsfunktionen
Abgesehen von Hessen13 sahen ursprünglich alle Länder einen kommunalen Hauptverwaltungsbeamten an der Spitze einer monokratischen Verwaltung vor. In Süddeutschland kam dem Verwaltungschef zudem die Repräsentationsfunktion zu, sodass er den (Ober-) Bürgermeister-Titel für sich in Anspruch nehmen konnte. In der norddeutschen Ratsverfassung hingegen war der Hauptverwaltungsbeamte eher »ein Exekutivsekretär des Rates« (Wehling (2003b) 305) und wurde als Gemeinde-, Stadtoder Oberstadtdirektor bezeichnet. Die Konstruktion einer Stelle an der Spitze der Kommunalverwaltung wurde in allen Systemen beibehalten; allerdings wurde dessen Legitimation modifiziert.
Die Repräsentation der Gemeinde, war unterschiedlichen Stellen überantwortet: Fiel diese in Süddeutschland mit der administrativen Spitzenstellung zusammen, wurde im norddeutschen System »der Vorsitzende des Rates […] aus dessen Mitte gewählt, mit dem Titel (Ober-)Bürgermeister [...] kam ihm auch die Repräsentationsfunktion zu« (Wehling (2003b) 305). Im Zuge der Reformen ging diese Funktion auf den Hauptverwaltungsbeamten über.
Der Vorsitzende des Rates wurde nach der Ratsverfassung vom Rat selbst gewählt. Im Süden hingegen lag auch diese dritte Führungsfunktion beim Verwaltungschef. Einige reformierte Systeme haben sich in dieser Hinsicht der Rat-Bürgermeisterverfassung angepasst; Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein kennen hingegen weiterhin einen eigenständigen Ratsvorsitzenden.
Hinsichtlich der Führungsfunktionen zielen folglich die Kommunalverfassungsreformen auf eine Stärkung des Hauptverwaltungsbeamten; dementsprechend charakterisieren Hans-
Georg Wehling und Andreas Kost die Reformen als »Weg zur ›exekutiven Führerschaft‹«14 (Kost/Wehling (2003) 14). Alle Gemeindeordnungen wurden zu dualen Systemen entwickelt; sie konzipieren die »Gemeinde-Selbstverwaltung [...] [nun] in zwei Zweigen – einem kollektiven und einem monokratischen [...]« (Knemeyer (1998) 119). Dennoch bleiben die Führungsfunktionen unterschiedlich verteilt, sodass nun »die besondere Person des Ratsvorsitzenden [systemkennzeichnend]« (ebd. 111) ist: Der Unterschied zwischen den Kommunalverfassungen kann vermittels der Differenz von dualen Systemen unter zwei Spitzen, welche die Leitung
»der Gemeindevertretung [...] durch den aus ihrer Mitte gewählten Vorsitzenden« (ebd. 112) vorsehen, und dualen Systemen unter einer Spitze, welche alle gemeindlichen Führungsfunktionen beim Bürgermeister bündeln, zum Ausdruck gebracht werden.
II.2.2. Legitimationsund Partizipationsfunktionen
Die Reformen betrafen jedoch nicht allein die Führungsfunktionen, sondern auch die Legitimation der Organe und die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger. Als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft benötigt jede Kommune aus juristischen Gründen »eine repräsentative Vertretung des Gemeindevolkes « (Maurer (2002) 583) als Beschlussorgan für »alle (wesentlichen) Angelegenheiten der Gemeinde« (ebd.). Dabei gilt »allen Gemeindeordnungen […] der Rat als das ›Hauptorgan‹ der Gemeinde« (Wehling(2003a) 29). Er ist »unmittelbar von den Gemeindebürgern« (Maurer (2002) 583) zu wählen, und diese Legitimation durch das Publikum stand nicht zur Disposition. Allerdings war der Legitimations modus Reformgegenstand: Die bis zu dieser Zeit nur in Süddeutschland zugestandenen Optionen des Kumulierens und
Panaschierens15 wurden in nahezu allen Systemen aufgegriffen.16
Die zweite Legitimationsfunktion betrifft die Wahl des Hauptverwaltungsbeamten. Eine unmittelbare demokratische Wahl durch das Publikum war wiederum nur in Süddeutschland vorgesehen. Die norddeutsche Ratsverfassung schrieb hingegen – als monistisches System – die Wahl des Verwaltungschefs dem Rat zu. Im Zuge der Reformen wurde die Urwahl des (Ober-)Bürgermeisters jedoch nahezu bundesweit17 eingeführt und die Legitimationsfunktion von der Kommunalversammlung auf das Publikum verlagert.
Neben den legitimatorischen Funktionen sind schließlich die Partizipationsoptionen der Bürger zu betrachten – betonte doch bereits die Stein’sche Städteordnung die Rolle des
Gemeindebürgers als homo politicus. Allerdings war die politische Bürgerrolle – mit Ausnahme Baden-Württembergs – bis 1990 auf die Wahl zur Gemeindeversammlung, sowie teilweise des Bürgermeisters, beschränkt. Die Kommunalverfassungsreformen verankerten jedoch neue Möglichkeiten der politischen Teilhabe,18 insbesondere die kommunalen Referenden Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (vgl. Wollmann (1998) 40) . 19 Als direktdemokratische Partizipationsinstrumente sehen diese die Möglichkeit vor, »dass das Volk [...] unmittelbar in den politischen Willenbildungsund Entscheidungsprozess mit einbezogen« (Kost (2003) 340) wird. Im Rahmen des Bürgerbegehrens suchen die Initiatoren und Unterstützer, ein »Votum über Sachfragen« (ebd. 336) durch das Publikum zu erreichen. Werden die entsprechenden Anforderungen20 erfüllt, so wird im Rahmen des Bürgerentscheides der Gemeindebevölkerung die relevante Sachfrage an Rates statt zur Entscheidung vorgelegt.
II.3. Die deutschen Kommunalverfassungen im systematischen Überblick
Die Entwicklung der deutschen Kommunalverfassungslandschaft lässt sich schematisch folgendermaßen darstellen: Traditionell bestanden und bestehen Unterschiede zwischen den
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kommunalverfassungen im Norden und Nordosten und im Süden und Südwesten Deutschlands. Lässt man den Sonderfall Hessen außer acht, kann man anhand dieser territorialen Unterschiede die Entwicklung der Kommunalverfassungen mit Hilfe dreier Leitunterscheidungen darstellen: Bestimmte von den Ursprüngen der Gemeindeordnungen bis zum Dritten Reich die Differenz von preußischen Zweikörper - und bayerisch geprägten Einkörpersystemen deren Struktur, so wurde
diese Leitunterscheidung nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Differenz von norddeutschen, den Rat betonenden, monistischen und süddeutschen, den Bürgermeister hervorhebenden, dualistischen Systemen abgelöst. Nach den Reformen weisen nunmehr alle Gemeindeordnungen eine duale Struktur einschließlich der Direktwahl des Bürgermeisters auf. Die Unterscheidung ist nun anhand der Aufteilung von gemeindlichen Führungsfunktionen vorzunehmen: Im Norden sind duale Systeme unter zwei Spitzen mit eigenständigem Ratsvorsitzenden zu beobachten, im Süden hingegen duale Systeme unter einer Spitze mit einem Bürgermeister, der alle Führungsfunktionen vereint.
[...]
1 Bereits Machiavelli schrieb in »Il principe« von 1513: »Die deutschen Städte genießen große Freiheit. Sie [...] gehorchen dem Kaiser nur, wenn es ihnen beliebt« (vgl. Ribhegge (2002) 28).
2 Im Zuge der »Mediatisierung« wurden souveräne Standesherren und Reichstädte »mittelbar« gemacht und den Landesherren unterstellt; die geistlichen Herrscher verloren im Zuge der »Säkularisierung« ihren Einfluss.
3 »[Am 21. März 1804 tritt] in Frankreich [...] der Code Civil in Kraft; er übt einen starken Einfluss auf die Gesetzgebung in vielen Staaten des Kontinents aus« (Matz (2000) 90).
4 »Freiherr vom Stein [wollte] dem ›freien Stadtbürger‹ historische Geltung verschaffen« (Saldern (1998) 25) und zielte auf die »Wiederherstellung der städtischen Selbstverantwortung [und] ein wiedererwecktes politisches Verantwortungsbewusstsein der Bürger« (Ribhegge (2002) 51).
5 Angesichts der preußischen Staatskrise infolge der militärischen Niederlage gegen Frankreich, der kriegsbedingten Staatsverschuldung und der politischen Unzufriedenheit, hoffte vom Stein, dass die Bürger insbesondere finanzielle Verantwortung für ihre Gemeinden übernehmen würden (vgl. Saldern (1998) 23f.).
6 Ganz abgesehen davon, dass die Länder in wesentlichen Teilen neu gegliedert wurden: Preußen wurde aufgelöst, Niedersachsen und Nordrhein-Westfahlen neugeschaffen, Baden und Württemberg aufgeteilt.
7 Mit der Einführung der Urwahl des Bürgermeisters haben sich Rheinland-Pfalz und das Saarland den Verfassungen Bayerns und Baden-Württembergs angenähert, sodass die ursprüngliche Unterscheidung hinfällig wurde.
8 Zentraler Akteur war die Kommunalversammlung, der Verwaltungschef war dieser untergeordnet, sodass die Bezeichnung »monistisch« hier auf die umfassenden Kompetenzen des Rates verweist.
9 Ähnlich beobachtet auch Jörg Bogumil, der im Rahmen des sogenannten »kommunalen Kräftedreiecks Bürgermeister, Rat und Bürger« (Bogumil (2004) 73) unterscheidet.
10 »Die Gemeindevertretung hat über alle (wesentlichen) Angelegenheiten der Gemeinde zu beraten und beschlie- ßen, soweit nicht die Zuständigkeit des Bürgermeisters […] begründet ist« (Maurer (2002) 583).
11 Die Legitimationsfunktion bezieht sicht sich auf die Wahl der »zwei Hauptorgane: die […] Gemeindeversammlung […] und den […] Bürgermeister« (Maurer (2002) 597).
12 Partizipation ist hier zu verstehen als ein Oberbegriff für die »rechtlichen Möglichkeiten der Bürger […], um [ – neben ihren Wahlrechten – ] auf das Gemeindegeschehen Einfluss zu nehmen« (Maurer (2002) 587).
13 »Die Leitung der Gemeindeverwaltung obliegt [...] in Hessen dem Magistrat als Kollegialbehörde« (Maurer (2002)
584).
14 Der Begriff geht auf Rolf-Richard Grauhan zurück; Wehling und Kost verstehen hier unter exekutiver Führerschaft:
»Dominanz des Bürgermeisters« (Kost/Wehling (2003) 14). Im Übrigen macht auch Jörg Bogumil grundsätzlich eine »Stärkung des Bürgermeisters (Tendenz in Richtung exekutiver Führerschaft)« (Bogumil (2004) 68) aus.
15 »Nach dem Prinzip der freien Liste […] kann der Bürger variieren und Kandidaten aus anderen Listen übernehmen (Panaschieren) und einem Kandidaten mehrere Stimmen geben (Kumulieren)« (Maurer (2002) 583).
16 Lediglich Nordrhein-Westfalen sieht noch eine »Einerwahl mit Verhältnisausgleich« vor.
17 Die Ausnahme bildet hier Bremerhaven, das weiterhin die Ratswahl des Bürgermeisters vorsieht. Im Übrigen sieht auch die hessische Magistratsverfassung eine Direktwahl des Bürgermeisters vor.
18 Unter dem Oberbegriff »kooperative Demokratie« fasst Jörg Bogumil in diesem Zusammenhang bspw. »ehrenamtliches Engagement […], Mediationsverfahren […] [und] Stadtteilforen« (Bogumil (2004) 70).
19 Beide Instrumente gab es bis zu den Kommunalverfassungsreformen ausschließlich in Baden-Württemberg.
20 »Positivund Negativkataloge, Abstimmungsquoren etc.« (Bogumil (2004) 69).
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