Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf einer explorativen Überprüfung des Potentials von Poka Yoke im Rahmen folgender Fragestellung: „Inwieweit kann die Methode Poka Yoke menschliche Fehlerursachen nach dem Dirty Dozen-Konzept von Dupont (1997) abdecken?“. Die Beantwortung dieser erfolgt auf Basis theoretischer Erkenntnisse und Studien sowie selbst geführter qualitativer Experteninterviews.
“There will be mistakes in divinity while men preach, and errors in governments while men govern”. Fehlhandlungen liegen in der Natur des Menschen und sind gleicherweise ein unausweichlicher Bestandteil von Mensch-Maschine-Systemen. Im Kontext von hochtechnisierten und gefahrenintensiven Organisationen können Fehler sogar schwerwiegende Folgen mit sich ziehen. Eine katastrophale Auswirkung von menschlichen Fehlern zeigt das Challenger Unglück im Jahr 1986, welches das Leben von sieben Besatzungsmitgliedern kostete.
Diese Problematik gewinnt aufgrund des zunehmenden Wandels in der Arbeits- und Wirtschaftswelt immer mehr an Relevanz. Unternehmen sind mit der Aufgabe konfrontiert, der Komplexität ihrer Umwelt sowie Dynamik der Globalisierung gerecht zu werden, indem sie diese Vielschichtigkeit innerhalb ihrer Organisationen wiedergeben, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dies erfordert die Vermeidung von Fehlern, was zudem aus Zeit, Kosten und Qualitätsgründen von großer Bedeutung ist.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Zusammenfassung
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theorie
2.1 Fehler in Mensch-Maschine-Systemen
2.2 Psychologische Auffassung von menschlichen Fehlern
2.2.1 Darstellung des Dirty Dozen-Konzepts
2.2.2 Theoretischer und empirischer Forschungsgegenstand
2.2.3 Bewertung
2.3 Poka Yoke als Methode der menschlichen Fehlervermeidung
2.3.1 Darstellung der Methode Poka Yoke
2.3.2 Theoretischer und empirischer Forschungsgegenstand
2.3.3 Bewertung
2.4 Die Methode Poka Yoke im Verhältnis zum Dirty Dozen-Konzept
3 Methode
3.1 Stichprobe
3.2 Durchführung
4 Ergebnisse
4.1 Datenaufbereitung
4.1.1 Transkription
4.1.2 Datenanalyse
4.2 Ergebnisdarstellung
4.2.1 Quantitative Ergebnisdarstellung
4.2.2 Qualitative Ergebnisdarstellung
4.3 Beantwortung der Fragestellung
5 Diskussion
5.1 Ergebnisinterpretation
5.2 Diskussion methodischer Aspekte
5.2.1 Stichprobe
5.2.2 Durchführung
5.2.3 Datenaufbereitung
5.3 Fazit
6 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abstract
The present work addresses the error proofing of human error by Poka Yoke. The sufficiency for proofing of error causes is discussed. The framework is the following question: “To which extent can Poka Yoke proof human error causes after the Dirty Dozen-Concept of Dupont (1997)?” Theoretical and empirical findings approve that Poka Yoke can cover eight from twelve error causes. These were : Lack of Communication, Complacency, Lack of Knowledge, Distraction, Fatigue, Lack of Resources, Pressure and Lack of Awareness. The outcome of ten self-commutated interviews with experts from the food industry is that Lack of Awareness, Lack of Knowledge, Complacency, Lack of Resources and Pressure were the five most common error causes. Finally, due to the combination of quantitative and qualitative data, it is ascertained that Poka Yoke comprises the requirement of interventions. However, the error proofing especially refers to the consequences of errors.
Keywords: Poka Yoke, Dirty Dozen-Concept, Human error, Causes of error, Error proofing, Human-machine system, Quality management
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit behandelt die Vermeidung menschlicher Fehler durch Poka Yoke. Es erfolgt eine theoretische und empirische Erkundung der Angemessenheit von Poka Yoke, um Fehlerursachen zu beheben, im Rahmen der Fragestellung: Inwieweit kann die Methode Poka Yoke menschliche Fehlerursachen nach dem Dirty Dozen-Konzept von Dupont (1997) abdecken? Aus theoretischen Erkenntnissen und Studien geht hervor, dass Poka Yoke acht von zwölf folgenden Dirty Dozen-Fehlerursachen abdecken kann: Mangel an Kommunikation, Selbstgefälligkeit, Mangel an Wissen, Ablenkung, Erschöpfung, Mangel an Ressourcen, Druck und Mangel an Aufmerksamkeit. Anhand von zehn selbst geführten Experteninterviews aus der Lebensmittelindustrie wird ermittelt, dass Mangel an Aufmerksamkeit, Mangel an Wissen, Selbstgefälligkeit, Mangel an Ressourcen und Druck dominierende Fehlerquellen darstellen. Schließlich wird anhand einer Kombination von quantitativen und qualitativen Daten festgestellt, dass Poka Yoke den Interventionsbedarf abdecken kann, sich die Fehlervermeidung jedoch insbesondere auf die Folgen bezieht.
Schlüsselwörter: Poka Yoke, Dirty Dozen-Konzept, Menschliche Fehler, Fehlerursachen, Fehlervermeidung, Mensch-Maschine-Systeme, Qualitätsmanagement
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Absolute Häufigkeitsverteilung der DD-Kategorien
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht über die zwölf DD-Kategorien mit deutscher Übersetzung
Tabelle 2: Übersicht über PY-Systeme nach Shingo (1991)
Tabelle 3: Eigene Zuordnung von PY-Lösungen zu Handlungsempfehlungen Duponts
Tabelle 4: Ausschnitt aus Benes & Groh (2011, S. 219) mit eigener Zuordnung der Ausführungsfehler (Träger, 2008)
Tabelle 5: Übersicht über die mögliche Vermeidung der einzelnen DD-Fehlerursachen durch PY
Tabelle 6: Textbeispiel für eine Kombination von Fehlerursachen als Ursprung einer kritischen Situation
Tabelle 7: Textbeispiele für Selbstgefälligkeit in Kombination mit M. a. Aufmerksamkeit und Druck
Tabelle 8: Textbeispiel für die Konstellation von M. a. Wissen und M. a. Aufmerksamkeit
Tabelle 9: Textbeispiel zur Illustration der Dominanz von M. a. Aufmerksamkeit
Tabelle 10: Textbeispiel für einen Kausalzusammenhang von DD-Fehlerursachen
Tabelle 11: Textbeispiel für eine praktische PY-Vorkehrung 1
Tabelle 12: Textbeispiel für eine praktische PY-Vorkehrung 2
Tabelle 13: Textbeispiel für eine praktische PY-Vorkehrung 3
Abkürzungsverzeichnis
Anh. Anhang
bspw. beispielsweise
bzw. beziehungsweise
CIT Critical Incident Technique
DD Dirty Dozen
DDK Dirty Dozen-Konzept
et al. et alii
ibd. Ibidem
Kap. Kapitel
M. a. Mangel an
p. page
PY Poka Yoke
S. Seite
s. siehe
techn. technische
TPS Toyota Production System
TQM Total Quality Management
u. a. und andere
u. a. unter anderem
vgl. vergleiche
z. T. zum Teil
1 Einleitung
“There will be mistakes in divinity while men preach, and errors in governments while men govern” (Dudley Carleton, *1573; †1632, in Edwards, 1957, p. 181). Fehlhandlungen liegen in der Natur des Menschen und sind gleicherweise ein unausweichlicher Bestandteil von Mensch-Maschine-Systemen (Robinson, 1997; Träger, 2008; Klug, 2010; Shahin & Ghasemaghaei, 2010; Zhang, 2010; Brüggemann & Bremer, 2012; Sondermann, 2013). Im Kontext von hochtechnisierten und gefahrenintensiven Organisationen können Fehler sogar schwerwiegende Folgen mit sich ziehen. Eine katastrophale Auswirkung von menschlichen Fehlern zeigt das Challenger Unglück im Jahr 1986, welches das Leben von sieben Besatzungsmitgliedern kostete (Jennings, 2006).
Diese Problematik gewinnt aufgrund des zunehmenden Wandels in der Arbeits- und Wirtschaftswelt immer mehr an Relevanz. Unternehmen sind mit der Aufgabe konfrontiert, der Komplexität ihrer Umwelt sowie Dynamik der Globalisierung gerecht zu werden, indem sie diese Vielschichtigkeit innerhalb ihrer Organisationen wiedergeben, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dies erfordert die Vermeidung von Fehlern, was zudem aus Zeit, Kosten und Qualitätsgründen von großer Bedeutung ist (vgl. Zollandz, 2011).
Der Faktor Qualität kann durch optimiertes Qualitätsmanagement fokussiert werden, bei welcher die Produkt- und Prozesssicherheit im Fokus stehen (ibd.). Eine Fehlereliminierung zur Steigerung der Qualität kann gleichzeitig eine Optimierung der Faktoren Zeit und Kosten erzielen (ibd.). Mithilfe der Qualitätsmanagementmethode Poka Yoke (PY) kann dieses Ziel anhand einer technischen Vermeidung von menschlichen Fehlern an Produkten und in Prozessen gewährleistet werden (Shingo, 1991). Es ist jedoch ein Trugschluss vieler zu meinen, Automatisierung könne Fehler vermeiden (ibd.). Im Gegenteil, die Automationsarbeit ist ebenfalls mit Risiken verbunden (Weyer, 1997). Dieser Fortschritt der Automation, welcher sich immer mehr intensiviert (Flick, 1996; Herczeg, 2000; Badke-Schaub, Hofinger & Lauche, 2012; Kreidenweis & Halfar, 2012; Elkmann, 2013), erfordert eine unabdingbare Verknüpfung des Menschen mit seiner techn. Arbeitsumgebung. Denn wenn „sich das Umfeld wandelt, wandelt sich der Inhalt der Forschung“ (von Rosenstiel, 1984, S. 8).
Zur Realisierung einer optimierten Konstruktion solcher Systeme ist an der Stelle eine fachübergreifende und interdisziplinäre Interaktion notwendig (Franke, 1984, von Rosenstiel, 1984), welche hauptsächlich einen Zusammenschluss der Ingenieurwissenschaften und der Psychologie erfordert (vgl. Badke-Schaub et al., 2012). Eine Kombination der spezifischen Inhalte beider Disziplinen erfolgt in der vorliegenden Arbeit anhand der Fokussierung der menschlichen Fehlerursachen aus psychologischer Perspektive und der Hinterfragung der Möglichkeiten von PY menschliche Fehlerursachen zu vermeiden. Der Einbezug von menschlichen Fehlerquellen erfolgt anhand einer Fokussierung des Dirty Dozen-Konzeptes (DDK) von Dupont (1997), das zwölf Entstehungshintergründe für Fehler klassifiziert. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf einer explorativen Überprüfung des Potentials von PY im Rahmen folgender Fragestellung: „Inwieweit kann die Methode Poka Yoke menschliche Fehlerursachen nach dem Dirty Dozen-Konzept von Dupont (1997) abdecken?“. Die Beantwortung dieser erfolgt auf Basis theoretischer Erkenntnisse und Studien sowie selbst geführter qualitativer Experteninterviews.
Die Hauptabschnitte lassen sich in Theorie, Methode, Ergebnisse, Diskussion und Ausblick einteilen. Zu Beginn wird das Ziel verfolgt die Fragestellung zunächst theoretisch zu beantworten. Eine Einführung erfolgt durch die Thematisierung von Fehlern in Mensch-Maschine-Systemen (Kap. 2.1). Es folgt eine Darstellung der psychologischen Auffassung von Fehlern (Kap. 2.2). An dieser Stelle wird zugleich das DDK abgebildet, der theoretische sowie empirische Forschungsgegenstand zu dem Konzept aufgezeigt und schließlich bewertet. Im Anschluss wird PY als Methode der menschlichen Fehlervermeidung veranschaulicht (Kap. 2.3). Auch hier erfolgt zunächst eine Abbildung der Methode. Daraufhin wird der theoretische und empirische Forschungsgegenstand aufgezeigt und abschließend kritisch betrachtet. Aufbauend auf den theoretischen und empirischen Erkenntnissen wird in Kap. 2.4 eine theoretische Beantwortung der Fragestellung anhand einer Gegenüberstellung des DDK und PY vorgenommen. Im Methodenteil werden der Aufbau der Untersuchung, Stichprobenmerkmale (Kap. 3.1) und Durchführungsbedingungen (Kap. 3.2) erläutert. Der nächste Abschnitt umfasst die Datenaufbereitung (Kap. 4.1), Ergebnisdarstellung (Kap. 4.2) sowie die Beantwortung der Fragestellung anhand quantitativer und qualitativer Daten (Kap. 4.3). Schließlich werden sowohl die Ergebnisse (Kap. 5.1) als auch methodische Aspekte (Kap. 5.2) diskutiert und ein ganzheitliches Fazit (Kap. 5.3) gezogen. Die Arbeit wird schließlich mit Vorschlägen für zukünftige Untersuchungen abgeschlossen (Kap. 6).
2 Theorie
Nachfolgend wird eine Übersicht über Fehler in Mensch-Maschine-Systemen gegeben. Im Anschluss folgt eine Thematisierung von menschlichen Fehlern aus psychologischer Perspektive. Daraufhin wird die Methode PY vorgestellt. Den Abschluss des theoretischen Teils bildet die Verknüpfung des DDK mit PY-Lösungen.
2.1 Fehler in Mensch-Maschine-Systemen
Mensch-Maschine-Systeme sind als Konstrukte anzusehen, bei denen Menschen techn. Hilfsmittel zur Tätigkeitsausführung nutzen (Herczeg, 2000). Durch den Einsatz von Maschinen wird zudem menschliche Arbeitskraft ersetzt (Franke, 1984). Eine grundsätzliche Schwierigkeit dieser Mensch-Maschine-Interaktion ist jedoch, dass Mensch und Maschine naturgemäß nicht zueinander passen (Herczeg, 2000). Infolgedessen besteht die Gefahr, dass moderne Systeme eine geringe Durchschaubarkeit für die darin handelnden Operateure bieten (Weyer, 1997). Ein „mangelndes Verständnis des aktuellen Prozessgeschehens sowie […] mangelnde techn. Einflussmöglichkeiten auf den Prozess“ (Herczeg, 2000, S. 7), können zu Fehlhandlungen und Unfällen führen (Herczeg, 2000). Insbesondere in komplexen Systemen können sich bereits kleine Fehler eigendynamisch zu Katastrophen entwickeln (Wiener, 1987, in Weyer, 1997).
Folgende Herangehensweisen an die Problematik sind kalkulierbar: Die Maschine wird angepasst, der Mensch wird angepasst oder beide Komponenten werden angepasst (Herczeg, 2000). Eine beidseitige Optimierung sowohl auf der Seite der Technik als auch auf der des Menschen ist nach Herczeg (2000) und Elkmann (2013) für eine angepasste Mensch-Maschine-Interaktion die vorteilhafteste Lösung. Die ganzheitliche Fehlervermeidung auf der menschlichen Komponente erfordert zudem eine Berücksichtigung der psychologischen Fehlerentstehung, um somit Fehlerquellen in ihrem Ursprung erkennen und vermeiden zu können.
2.2 Psychologische Auffassung von menschlichen Fehlern
„Warum ist die Analyse von Fehlern im Kontext der Arbeits- und Organisationspsychologie interessant? Der Hauptgrund liegt sicherlich daran, [dass] Fehler dramatische, zum Teil tödliche Folgen haben können“ (Zapf, Frese, & Brodbeck, 1999, S. 398). Fehler treten in unterschiedlichen Arbeitskontexten auf und sind Bestandteil verschiedener Forschungsbereiche (Zapf et al., 1999). Fehler sind Gegenstand von Untersuchungen bei der Mensch-Computer-Interaktion (Zapf, Brodbeck, & Prümper, 1989; Frese, Irmer, & Prümper, 1991) sowie im Kontext großtechnischer Anlagen (Reason, 1990). Menschliche Fehler im Luftfahrtbereich werden u. a. von Hawkins (1993) behandelt. Weyer (1997) und Herczeg (2000, 2004) gehen wiederum auf kritische Mensch-Maschine-Interaktionen und deren Risiken ein. Diese Bandbreite an Forschungsbereichen führt gleichzeitig zu unterschiedlichen Auffassungen von Fehlern und erfordert eine differenzierte Betrachtung dieser, da “[errors] mean different things to different people“ (Reason, 1990, p. ix).
Im Bereich der Human Factors-Forschung werden Fehler als „eine Abweichung von einem als richtig angesehenen Verhalten oder von einem gewünschten Handlungsziel, das der Handelnde eigentlich hätte ausführen bzw. erreichen können“ (Badke-Schaub et al., 2012, S. 40), dargelegt. Fehler sind unbeabsichtigte Handlungen (Senders & Moray, 1991, in Matthews, Davies, Westerman, & Stammers, 2000), die aus der Transaktion zwischen Anforderungen des Systems und Handlungen der Operateure entstehen (Fuller, 1990, in Matthews et al. 2000). Nach Rouse & Rouse (1983) und Reason (1997) gehen 60 bis 90% aller Fehler in komplexen Systemen, auf den Menschen zurück (in Wickens & Hollands, 2000). Fehler, die aus techn. Mängeln resultieren, sollten dabei jedoch nicht vernachlässigt werden (Zapf et al., 1989; Reason, 1995, in Matthews et al., 2000). Reason (1990) berücksichtigt bei seiner Fehlerklassifikation organisatorische, strukturelle und techn. Schwachstellen eines Systems (latente Bedingungen). Diese sind nicht unmittelbar sichtbar und führen nicht umgehend zu einem Fehler. Menschliche Fehlhandlungen, die aktiven Fehler, können diese untergründigen Sicherheitslücken aufdecken. Es besteht eine lineare Fehlerkette aus grundlegenden lückenhaften Rahmenbedingungen und aktiven menschlichen Fehlern (ibd.). Darüber hinaus können Mängel in der Planung (mistakes) trotz korrekter Ausführung der vorgesehenen Handlung zu Fehlern führen (Zapf & Reason, 1994).
Zur Vermeidung von Fehlern müssen beide Komponenten berücksichtigt und „die beobachtbaren Erscheinungen von Fehlern von ihren Ursachen [getrennt werden]“ (Badke-Schaub et al., 2012, S. 48). Somit können psychologische Entstehungsbedingungen von Fehlern und intransparente Lücken im System aufgedeckt sowie konkrete Handlungsmöglichkeiten abgeleitet werden (Zapf et al., 1999). Eine Aufstellung von möglichen Fehlerquellen liefert das DDK von Dupont (1997).
2.2.1 Darstellung des Dirty Dozen-Konzepts
Das DDK wurde 1997 im Rahmen der Arbeitssicherheit im Luftfahrtbereich von Gordon Dupont entwickelt und stellt zwölf der häufigsten Auslöser für Fehler, Vorfälle oder Unfälle dar (ibd.). Ursprünglich entwickelte Dupont (1997) zwölf Poster für jede Fehlerursache mit jeweiligen Handlungsempfehlungen. Die Aufmerksamkeit des Personals hinsichtlich Arbeitssicherheit sollte anhand dieser in Workshops durch „Trainingsmaßnahmen zur Verringerung von Fehlern im Bereich der Flugzeugwartung“ (McKenna, 2002; in Schlier, 2007, S. 20), gesteigert werden. In dem Artikel “The dirty dozen errors in maintenance“ stellt Dupont (1997) folgende Fehlerquellen dar.
Tabelle 1
Übersicht über die zwölf DD-Kategorien mit deutscher Übersetzung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Weiteren folgt eine Zusammenstellung von Begriffsbestimmungen und Definitionen zur Operationalisierung der einzelnen DD-Kategorien:
M. a. Kommunikation: Kommunikation stellt einen Informationsaustausch dar (Nerdinger, 2008, in Nerdinger, Blickle, & Schaper, 2011), welcher nach Watzlawick (1980) Mimik, Gestik und jeden weiteren Verhaltenszug einschließt (in Häcker & Stapf, 2009). Eine mangelnde Kommunikation kann Defizite bei der Informationsübergabe hervorrufen (Marquardt & Höger, 2007; in Gades, Marquardt, Robelski, & Höger, 2010), welche sich auf eine zweckgerichtete sowie aufgabenbezogene Kommunikation negativ auswirken kann (Schlier, 2007). Dieser kann sowohl auf schriftlicher als auch mündlicher Basis sowie einer Kombination beider erfolgen (Dupont, 1997).
Selbstgefälligkeit: Anlehnend an das Konstrukt Selbstvertrauen, wird diese Kategorie mit einem hohen kräftigen Eigenmachtgefühl, um mögliche Schwierigkeiten bewältigen zu können, assoziiert (Häcker & Stapf, 2009). Dies kann zur Folge haben, dass tatsächliche Barrikaden übersehen sowie Arbeitshandlungen nicht sorgfältig ausgeführt werden (Salas & Maurino, 2010). Ein möglicher Grund hierfür kann in der Leichtsinnigkeit bei der Tätigkeitsausführung liegen (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010). Diese Fehlerursache wird zudem mit einer Überbewertung der eigenen Entscheidungsfähigkeit, welche durch Routine bedingt wird, sowie einer mangelnden Sensibilität für Gefahren in Relation gebracht (Schlier, 2007).
M. a. Wissen: Wissen ist eine „kognitive Repräsentation von Gegenständen“ (Häcker & Stapf, 2009, S. 1096), welche sich sowohl auf Sachverhalte (deklaratives Wissen) als auch auf Fertigkeiten (prozedurales Wissen) und Problemlösestrategien (strategisches Wissen) beziehen kann (ibd.). Ein M. a. nötigem Wissen kann im Kontext von Aufgaben, Tätigkeiten und Prozessen auftreten (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010), welches nach Schlier (2007) insbesondere durch mangelnde Berufserfahrung und mangelndes Fachwissen begünstigt wird.
Ablenkung: Diese Fehlerquelle liegt vor, wenn sich Personen aufgrund verschiedener Kontextfaktoren nicht auf ihre eigentliche Tätigkeit konzentrieren können (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010). Unterbrechungen des Arbeitsprozesses können ebenfalls eine Ablenkung begünstigen (Schlier, 2007). Nach Dupont (1997) gehen 15% aller Wartungsfehler im Luftfahrtbereich auf diese Kategorie zurück.
M. a. Teamwork: Besonders im Luftfahrtbereich sind Untersuchungen zu dieser Kategorie weit verbreitet (Prince & Salas, 1999, in Salas & Maurino, 2010). Teamarbeit beinhaltet eine Reihe von geteilten Verhaltensweisen, Kognitionen und Einstellungen hinsichtlich gemeinsamer Ziele und Anforderungen (Salas, Stagl, Burke, & Goodwin, 2007; in Salas & Maurino, 2010). Diese Fehlerursache umfasst mangelnde Kooperation oder das Vorherrschen von Konflikten (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010). Nach Dupont (1997) ist sie häufig mit einem M. a. Kommunikation verbunden. Eine schlechte Kooperation kann des Weiteren durch „[mangelndes] Verständnis über die Zusammenarbeit“ verursacht werden (Schlier, 2007, S. 24), was durch Intransparenz über Arbeitsaufteilung und Aufgabeninhalte begünstigt werden kann (ibd.).
Erschöpfung: Aufgrund von Übermüdung stehen wenig Kapazitäten zur notwendigen Konzentration auf die Tätigkeit zur Verfügung (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010), was zudem zur Verminderung der Reaktionsfähigkeit beitragen kann (Häcker & Stapf, 2009). Die Gefahr besteht darin, dass dies oft nicht bewusst wahrgenommen wird (Dupont, 1997). Erschöpfung kann aus Schichtarbeit, Überstunden oder Erkrankungen resultieren (Schlier, 2007).
M. a. Ressourcen: Zu Ressourcen zählen Hilfsquellen (Häcker & Stapf, 2009), Infrastruktur, Mitarbeiter, Technik sowie die Organisation der Arbeitstätigkeiten in Form von Anleitungen (Schlier, 2007). Diese können entweder organisationaler, personaler oder sozialer Natur sein (Schuler & Sonntag, 2007). Ein Mangel dieser bedeutet, dass wenig Unterstützung durch Tools, Manuals, techn. Hilfestellung oder Mitarbeiter vorliegt (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010).
Druck: Die Fehlerursache Druck kann durch anspruchsvolle Unternehmensziele erzeugt werden. Insbesondere wenn Tätigkeiten schnell vollzogen werden müssen, was dazu führt, dass Druck empfunden wird (ibd.). Dazu gehören bspw. festgelegte zeitliche Vorgaben, Leistungsanforderungen, wenig Personal, Druck durch Vorgesetzte, Kollegen oder Kunden (Schlier, 2007).
M. a. Durchsetzungsvermögen: Mangelnde Konfliktfähigkeit sowie allgemeine Unsicherheit können dazu führen, dass Personen einen geringen Grad an Durchsetzungsvermögen aufweisen (ibd.). Eine mögliche, daraus abzuleitende, Konsequenz ist, dass Konfliktsituationen und Konfrontationen von Personen gemieden und Sicherheitsdefizite sowie sicherheitsgefährdende Bedingungen gegenüber Kollegen und Vorgesetzten nicht aufgeklärt oder verweigert werden (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010).
Stress: „Im allg. Sprachgebrauch bedeutet Stress eine subjektiv unangenehm empfundene Situation, von der eine Person negativ beeinflusst wird (Disstress), im Gegensatz zum anregenden positiven Stress (Eustress)“ (Häcker & Stapf, 2009, S. 967). Bedingungen von Stress am Arbeitsplatz sind: Aversivität, zeitliche Nähe, Langfristigkeit, Unkontrollierbarkeit (Greif, 1991b; in Häcker & Stapf, 2009). Im Gegensatz zu der Fehlerquelle Druck, stehen bei Stress individuell empfundene Defizite im Vordergrund, welche durch hohe mentale und physische Arbeitsanforderungen erzeugt werden können (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010).
M. a. Aufmerksamkeit: Häcker & Stapf (2009) definieren Aufmerksamkeit als eine „Bewusstseinshaltung“ (S. 87). Ein M. a. Aufmerksamkeit liegt vor, wenn die Personen, aufgrund mangelndem Bewusstsein, Gefahren nicht rechtzeitig wahrnehmen oder übersehen (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010; Schlier, 2007).
Soziale Normen: Normen sind Richtlinien, Regeln, Grundsätze, Wertmaßstäbe oder Vorschriften (Häcker & Stapf, 2009). Soziale Normen wiederum sind „in Gruppen anerkannte Handlungs- und Wert-Standards in Form von meist ungeschriebenen Vorschriften“ (Häcker & Stapf, 2009, S. 694). Diese Fehlerquelle kann entstehen, wenn aufgrund informeller Gruppennormen Arbeitssicherheitsrichtlinien nicht eingehalten werden (Marquardt & Höger, 2007; in Gades et al., 2010).
2.2.2 Theoretischer und empirischer Forschungsgegenstand
Anhand einer Darstellung folgender Studien wird der aktuelle Forschungsstand zum DDK von Dupont (1997) mittels einer Herausstellung der Übertragbarkeit auf weitere Bereiche außerhalb der Luftfahrt sowie der Häufigkeitsverteilung einzelner DD-Kategorien aufgezeigt.
In einer Studie mit 90 Schichtarbeitern zweier Metallindustrien ermittelten Marquardt & Höger (2007), im Rahmen einer Untersuchung der Möglichkeit einer Zusammenfassung der DD-Kategorien zu übergeordneten Faktoren, drei übergeordnete Kategorien: Organisational Interaction & Resources, Mental Workload und Social Dominance. In einer zweiten Untersuchung mit weiteren 78 Schichtarbeitern aus diesen Unternehmen konnte eine vergleichbare Ausprägung dieser Fehlerfaktoren ermittelt werden, was ebenfalls darauf hinweist, dass die Faktoren in beiden Industrien präsent sind. Signifikante Abweichungen ließen sich hingegen in der Ausprägung des Faktors Social Dominance und den Skalen Selbstgefälligkeit, M. a. Ressourcen sowie Druck feststellen. Dennoch liefert die Studie, aufgrund der Erfassung bisher nicht gemessener Konstrukte, neue Erkenntnisse bezüglich der faktoriellen Zuordnung der DD-Kategorien. Die Reliabilität der Items hinsichtlich ihrer Skalenkorrelation ist mit einem Cronbach`s α zwischen .69-.90 hoch ausgeprägt. Ein Ausmaß für die Ausprägung der externen Validität ist die Generalisierbarkeit der Ergebnisse (Bortz & Döring, 2006), welche unter Berücksichtigung der Stichprobengröße (N = 168) und Stichprobenart (reale Schichtarbeiter) annehmbar, bezüglich einer Generalisierung auf Bereiche außerhalb der Metallindustrie aufgrund der Branchenspezifität der Untersuchung jedoch fraglich ist.
Eine alternative Zuordnung der DD-Fehlerursachen zu übergeordneten Faktoren wurde in einer Befragung von 544 Mitarbeitern unterschiedlicher Industriezweige ermittelt (Marquardt, Gades, Robelski, & Höger, 2010):
1. Individuelle Faktoren: M. a. Aufmerksamkeit, M. a. Wissen, M. a. Durchsetzungsvermögen
2. Soziale Interaktion: M. a. Kommunikation, M. a. Ressourcen, M. a. Teamwork, Soziale Normen, Selbstgefälligkeit
3. Organisationaler Kontext: Druck, Stress, Erschöpfung, Ablenkung
Die externe Validität lässt sich aufgrund der Stichprobengröße und des breiten Anwendungsbereiches im Vergleich zur ersten Studie höher einstufen. Dieses Modell kann demnach als vorläufig repräsentativ und generalisierbar angenommen werden. Aus den Ergebnissen lässt sich darüber hinaus ableiten, dass Dupont nicht allein die menschliche Komponente berücksichtigt, sondern auch soziale und organisatorische Faktoren der Fehlerentstehung integriert.
Darüber hinaus kann die Präsenz einzelner DD-Kategorien in Bereichen außerhalb der Luftfahrt anhand ihrer jeweiligen Häufigkeiten aufgezeigt werden. Im medizinischen Bereich stellen Druck, M. a. Kommunikation und Stress die drei häufigsten Fehlerursachen dar (Marquardt, Gerstmeyer, Treffenstädt, & Gades-Büttrich, 2012). Eine Dominanz von M. an Aufmerksamkeit, M. an Ressourcen und Druck kann in einer Studie von Schlier (2007), bei welcher die Übertragbarkeit der DD-Kategorien auf gefahrenintensive Bereiche außerhalb der Luftfahrt untersucht wurde, festgestellt werden. Die Fehlerursachen M. a. Durchsetzungsvermögen und Erschöpfung weisen innerhalb dieser die geringste Ausprägung auf.
Eine hohe Ausprägung der Kategorien M. a. Ressourcen, Druck und M. a. Teamwork kann in einer weiteren Untersuchung, in der menschliche Fehler in sicherheitskritischen Industrien auf Basis quantitativer und qualitativer Daten erfasst wurden, aufgedeckt werden (Gades et al., 2010). Die Faktoren M. a. Durchsetzungsvermögen, Erschöpfung und Ablenkung weisen dabei eine geringere Ausprägung auf. Die Ergebnisse einer anknüpfenden Dokumentenanalyse in dieser Untersuchung zeigen eine hohe Ausprägung der Kategorien M. a. Aufmerksamkeit, M. a. Ressourcen und Druck und geringe Ausprägung von Ablenkung und M. a. Teamwork (ibd.). Aufgrund einer Übereinstimmung der Häufigkeiten M. a. Ressourcen, Druck und Ablenkung können die Ergebnisse beider Erhebungsverfahren als zuverlässig angenommen werden (ibd.). Die Stichprobengröße (N =47) und Anwendungsbreite ermöglichen eine Generalisierung der Ergebnisse.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede Fehlerkategorie trotz unterschiedlicher Häufigkeiten in der Praxis vorzufinden ist. Das DDK lässt sich somit auf ein breites Anwendungsfeld übertragen. Die Kategorien Druck und M. a. Ressourcen können im Zusammenschluss der genannten Erkenntnisse als die häufigsten Fehlerquellen lokalisiert werden.
2.2.3 Bewertung
Folgende Bewertung des DDK erfolgt im Rahmen der Bewertungskriterien Asendorpfs (2007) für Theorien in empirischen Wissenschaften und aufbauend auf die Absätze 2.2.1 und 2.2.2.
Eine eindeutige Darstellung von Begriffen, sodass eine intersubjektive Übereinstimmung über die Grundbegriffe gewährleistet ist, wird Explizitheit genannt (ibd.). Durch die Notwendigkeit der Verwendung weiterer Quellen zur Definition der einzelnen Fehlerursachen im Abschnitt 2.2.1, wird eine mangelnde Explizitheit des DDK deutlich. Ein möglicher Grund hierfür ist der ursprünglich vorgesehene Rahmen des Konzeptes (s. 2.2.1).
Anlässlich praktischer Untersuchungen Duponts (1997) im Luftfahrtbereich ist das Kriterium der empirischen Verankerung erfüllt. Untersuchungen weiterer Autoren zufolge sind die Inhalte des DDK überdies auf luftfahrtfremde Bereiche übertragbar (s. Kap. 2.2.2). Nach Suzuki, von Thaden & Geibel (2008) enthält das Konzept renommierte Faktoren zur Zusammenfassung von Fehlerquellen. Ein weiterer Aspekt dieses Kriteriums ist die Operationalisierung durch eine „Verknüpfung des Konstrukts mit Beobachtungsdaten“ (Asendorpf, 2007, S. 7). Diese ist hinsichtlich der Kategoriendefinitionen Duponts (1997), die eine präzisere Abgrenzung erfordern, nur teilweise gegeben. Darüber hinaus kann die Widerspruchsfreiheit der Grundaussage “The dirty dozen are the 12 most common causes of a maintenance person making an error in judgment which results in a maintenance error“ (Dupont, 1997, p. 49), angenommen werden. Dass die Aussagen des Konzeptes in sich übereinstimmend sind zeigen die in Abschnitt 2.2.2 aufgeführten Ergebnisse der Studien hinsichtlich der Präsenz der einzelnen Fehlerkategorien in der Praxis. Hiermit lässt sich zusätzlich die Prüfbarkeit der Aussagen des DDK z. T. belegen. Aufgrund einer mangelnden Explizitheit kann schließlich keine hohe Prüfbarkeit angenommen werden, da eine empirische Überprüfung eine eindeutige Operationalisierung der Kategorien erfordert. Dennoch ist die Möglichkeit für weiterführende Untersuchungen im Rahmen eigener Operationalisierungen nicht ausgeschlossen (vgl. Marquardt & Höger, 2007).
Darüber hinaus deckt Duponts Fehlerklassifikation eine Vielfalt an globalen menschlichen Fehlerursachen in der Praxis ab (vgl. Marquardt et al., 2012). Wie im vorherigen Kapitel festgestellt wurde, sind diese auf ein breites Feld übertragbar, welches darüber hinaus ein Indiz für die Vollständigkeit und Anwendbarkeit ist. Gleichzeitig kann hiermit die Produktivität angenommen werden, da das Konzept „neue Fragestellungen [erzeugt] und dadurch die Forschung [voranbringt]“ (Asendorpf, 2007, S. 7). Ein unberücksichtigter Aspekt der Vollständigkeit, ist die Darstellung von Kausalzusammenhängen. Das DDK klassifiziert ausschließlich Fehlerursachen, aus welchen sich keine Folgewirkungen ableiten lassen. Die Notwendigkeit einer Veranschaulichung dieser ergibt sich u. a. aus der von Dupont genannten Kausalbeziehung zwischen M. a. Teamwork und M. a. Kommunikation (s. Kap. 2.2.1). Ein zuletzt hervorzuhebender Aspekt hinsichtlich der Sparsamkeit des DDK ist, dass die Fehlerklassifikation mit ausschließlich zwölf Begriffen vorgenommen wird, welche empirischen Erkenntnissen zufolge individuelle, soziale und organisatorische Komponenten der Fehlerentstehung in der Praxis abdeckt (s. Kap. 2.2.2).
Insgesamt werden die Bewährtheit, trotz lückenhafter Begriffsbestimmungen und fehlender Darstellung von Kausalzusammenhängen, sowie die Möglichkeit des Konzeptes, weitere Untersuchungen im Bereich der Fehlerforschung anstoßen zu können, angenommen.
2.3 Poka Yoke als Methode der menschlichen Fehlervermeidung
„In dem komplexen Umfeld eines Arbeitsplatzes [kann vieles] falsch laufen; jeden Tag gibt es Gelegenheiten, Fehler zu machen, die zu fehlerhaften Produkten führen. Fehler sind Verschwendung und wenn sie nicht entdeckt werden, enttäuschen sie die Kundenerwartungen bezüglich Qualität“ (Hirano, 1992, S. 17).
Die Optimierung aller Bereiche des Unternehmens ist eine Aufgabe des Total Quality Management (TQM). Unterstützend kann dieses Ziel mithilfe von Null-Fehler Programmen erreicht werden (Brüggemann & Bremer, 2012). Qualitätssteigerungen können insbesondere durch eine optimale Interaktion von Qualität, Zeit und Kosten sowie dem Faktor Arbeit, welcher die wirtschaftliche Komplexität und die Technik umschließt, gewährleitet werden. Die Voraussetzung dazu ist ein geringer Kosten- und Zeitaufwand (Zollandz, 2011).
Die Qualitätstechnik PY gewährleistet Qualität in Produkten und Prozessen durch die Vermeidung von menschlichen Fehlern (Shingo, 1991). Sie ist ein „[…] Mittel zum Erreichen einer Null-Fehler-Qualitätssicherung […]“ (Shingo, 1988, in Hirano, 1992, S. 16). Grundzüge dieser Methode sind bereits in dem von Taiichi Ohno gegründeten Toyota Production System (TPS) und dem Lean Management zu erkennen (Liker, 2004; Schmitt & Pfeiffer, 2010; Zollandz, 2011). Diese Philosophie zur Qualitäts-und Prozessoptimierung ist zielführend für die Vermeidung von Verschwendung, Fehlern und Kosten in jeder Produktionsstufe bis zum Endverbraucher (Kummer, Grün, & Jammernegg, 2009; Benes & Groh, 2011). Die folgende Darstellung, wissenschaftliche Verknüpfung und Bewertung dienen der Abbildung des Fehlervermeidungspotentials von PY.
2.3.1 Darstellung der Methode Poka Yoke
„Der Mensch ist ein Lebewesen, das Fehler macht. Deswegen müssen wir mehr Poka-yoke praktizieren, als wir Fehler machen“ (Hirano, 1992, S. 14). Die Fehlhandlungen der Menschen müssen nach Shingo (1991) nicht zwangsläufig zu Fehlern führen, wenn diese im Vorfeld aufgedeckt und beseitigt werden. Er grenzt in dem Zusammenhang Ursache und Wirkung voneinander ab. Zu den Ursachen zählen menschliche Fehlhandlungen, welche folglich zu Fehlern führen können. Insofern wird eine Notwendigkeit der Fehlervermeidung betont, wodruch insbesondere die negativen Konsequenzen vermieden werden müssen (Shingo, 1991; Zapf et al., 1999; Dudek-Burlikowska & Szewieczek, 2009). Die Realisierung kann durch folgende Punkte erfolgen: Gestaltung des sozialen Systems, der Organisation, Arbeit oder Technik, Qualifizierung sowie Organisationskultur (Zapf et al., 1999). PY ist mit der techn. Fehlereliminierung in die Gestaltung des Arbeitsumfeldes durch die Technik einzuordnen (vgl. Shingo, 1991).
Die Methode PY wurde ursprünglich im Rahmen der Prozesssicherheit entwickelt und wird ebenfalls als fehlhandlungssicher beschrieben (ibd.). Der japanische Begriff Poka bedeutet „Versehen“ und Yoke kann mit „vermeiden“ sowie „verhindern“ übersetzt werden (Sondermann, 2013). Es wird zwischen Fehlern, die in der Entstehung sind und denen, die bereits entstanden sind, unterschieden. Grundfunktionen von PY sind dabei das Abschalten von Maschinen und frühzeitige Ausregeln der Fehler, sodass sie nicht die nächste Produktionsstufe erreichen, sowie der Einsatz von techn. Warnhinweisen über entstandene Fehler (ibd.). Durch PY- Einrichtungen können Fehler entweder präventiv verhindert oder nach ihrer Entstehung aufgedeckt und korrigiert werden (ibd.). Während Warnhinweise bei einem aufgetretenen Fehler den Fehler an sich signalisieren, werden durch die Techniken des Abschaltens und Ausregelns Fehler bereits in der Entstehung anhand einer Detektion von Fehlhandlungen identifiziert (Hirano, 1992). Shingo (1991) unterscheidet drei PY-Systeme mithilfe derer Rückkoppelungen und korrigierende Maßnahmen zeitlich unmittelbar nach dem Eintritt eines Störfalls erfolgen.
Tabelle 2
Übersicht über PY-Systeme nach Shingo (1991)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch den Einsatz von Steuerfunktionen können Rückmeldungen sowie Hinweise auf eine Fehlhandlung oder ein fehlerhaftes Produkt erfolgen (Brüggemann & Bremer, 2012). Mit dem Einsatz von Eingriffsmethoden wird das Ziel verfolgt, Störungen bereits in einer frühen Phase zu erkennen und zu regulieren. Hierfür wird die Maschine beim Eintritt eines Fehlers entweder automatisch abgeschaltet oder Spanneinrichtungen werden blockiert (Shingo, 1991). Das Problem kann dabei auch, bei laufender Maschine, von Hand gelöst werden. Bei Warnmethoden dagegen wird anhand von Lampen oder Summern auf den entstandenen Fehler aufmerksam gemacht, bevor dieser eine weitere Entwicklungsstufe erreicht (ibd.). Hierfür werden deutlich vernehmbare, optische und akustische Hinweise eingesetzt (Sondermann, 2013). Eine Entscheidung über die Art der Steuerfunktion hängt von den einkalkulierten Konsequenzen eines Fehlers ab (Shingo, 1991).
Durch Auslösemechanismen wird die Art der Prüfung bestimmt (Brüggemann & Bremer, 2012). Bei Kontaktmethoden können Abweichungen präventiv mithilfe von Abmessungen des Produktes durch sensorgestützte Einrichtungen erkannt werden. Hierfür ist der physische Kontakt nicht notwendig. Anhand dieser werden Fehlhandlungen in den Arbeitsfolgen über geometrische Eigenschaften erkannt (Sondermann, 2013). Fehler können somit auf null reduziert werden, wenn techn. Vorkehrungen an der Maschine Irrtümer und Fehlhandlungen gar nicht erst zulassen (Shingo, 1991). Durch den Einsatz von Fixwertmethoden können visuelle Anordnungen bei wiederholenden Operationen das Vergessen von Teilen verhindern (ibd.). Dafür werden techn. Mittel, wie bspw. einstellbare elektronische Zähler, eingesetzt (Sondermann, 2013). Darüber hinaus kann eine Verfügbarkeit von Arbeitsressourcen in der nötigen Anzahl, bspw. bei einer Montage von bestimmten Teilen, das Versäumen von Teilschritten verhindern, wenn vergessene Teile automatisch detektiert und reguliert werden (Sondermann, 2013). Bei Schrittfolgemethoden wiederum wird eine Detektion von Abweichungen innerhalb einer Arbeitsoperation anhand einer Prüfung der erforderlichen Abfolge der Teilschritte gewährleistet (Shingo, 1991). Fehlhandlungen im Arbeitsprozess mit vorbestimmten, aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten können somit aufgedeckt und eliminiert werden (ibd.). Ein Beispiel aus dem Alltag ist, dass Geldautomaten das Geld erst herausgeben, wenn die Geldkarte entnommen wurde, um das Vergessen dieser zu vermeiden (Sondermann, 2013). Eine Entscheidung über die einzusetzende Art der Auslösefunktion erfolgt anhand einer Überprüfung der Angepasstheit an die jeweilige Tätigkeit (Shingo, 1991).
Detektionseinrichtungen werden zur Entdeckung von Störungen im Arbeitsprozess oder am Produkt problemspezifisch eingesetzt. „Hierzu gehören alle möglichen Arten von Sensoren und Sensorsystemen wie: End- und Näherungsschalter, Sensoren für Position, Dimension, Form, Druck, Temperatur, Vibration, Farbe, Strom, Zähler, Zeitüberwachungseinrichtungen, Lesegeräte für Barcodes oder RFID-Chips (RFID: Funkfrequenzidentifikation)“ (Sondermann, 2013, S. 27). Anhand dieser Mechanismen sollen Fehlhandlungen frühzeitig erkannt und Fehler sofort aufgedeckt werden (ibd.).
Obwohl die alleinige Implementierung von PY-Methoden für die Eliminierung von Fehlern ausreicht, ist es förderlich diese Einrichtungen und Maßnahmen mit Inspektionstechniken zu kombinieren (Shingo, 1991). Es wird zwischen folgenden Inspektionstechniken unterschieden: Fehlerquelleninspektion, Selbstprüfung und sukzessive Prüfung (ibd.).
Die Fehlerquelleninspektion kann als eine Prüfmethode zur Aufklärung von Bedingungen, die zur Entstehung von spezifischen Fehlern geführt haben, dargestellt werden (Shingo, 1991). Nachdem die Ursachen aufgedeckt sind, können PY-Maßnahmen zur Eliminierung der möglichen Fehler eingeleitet werden (ibd.). Durch diese Technik wird verhindert, dass aus einer fehlerhaften Situation (Ursache) ein Fehler (Wirkung) entsteht (Sondermann, 2013). Nach Shingo (1991) kann die Fehlerentstehung nach Kombination von PY mit den jeweiligen Inspektionstechniken variieren.
Fehlhandlungen werden als Ursache für Fehler bezeichnet, deren präventive Identifizierung und Korrektur eine Weiterentwicklung zu Fehlern verhindern kann (Shingo, 1991, S. 58). Um das Ziel einer Null-Fehler-Qualitätssicherung zu erreichen wird demnach eine Kombination von Fehlerquelleninspektion und PY vorgeschlagen (Shingo, 1991). Denn PY ist ein Mittel, hinter dem die Überzeugung steht, „[dass] selbst das Produzieren einer kleinen Anzahl fehlerhafter Teile nicht akzeptabel ist“ (Hirano, 1992, S. 17). Die Null-Fehler Qualitätssicherung besteht nach Shingo aus drei Komponenten, die zur Eliminierung von Fehlern dienen. Diese sind: Fehlerquelleninspektion, wodurch die Ursachen von Abweichungen geprüft werden, 100%-Prüfung durch PY-Einrichtungen und Sofortmaßnahme, die erst eintritt, wenn der Fehler bereits entstanden ist (ibd.).
2.3.2 Theoretischer und empirischer Forschungsgegenstand
Im Folgenden werden die Notwendigkeit, Vorteile und mögliche Anwendungsgebiete von PY anhand von Studien und Praxisbeispielen herausgestellt. Einen Hinweis für die Möglichkeit der Fehlereliminierung durch PY liefern, die von Shingo dargestellten 112 Beispiele aus der Praxis im Produktionsbereich (Shingo, 1991). Er betont, dass das Vergessen in der menschlichen Natur liegt, dies aber nicht zwangsläufig zu einem Fehler führen muss, wenn PY im Vorfeld angewandt wird. In weiteren Untersuchungen wird die Übertragbarkeit von PY auf Bereiche außerhalb der Produktion ermittelt: “Poka yoke could have a great impact in the service industry because it places fail-safe measures on processes that can make a difference in maintaining a relationship with the customer” (Shahin & Ghasemaghaei, 2010, p. 194 f.).
Eine zusätzliche Erklärung für die Erreichung von Null-Fehlern durch PY liefert ein Praxisbeispiel aus der Automobilindustrie (Dudek-Burlikowska & Szewieczek, 2009). Hier wurde ermittelt, dass eine Fehlerreduzierung insbesondere durch Fehlerinformation anhand von Alarmen und Signalen, Kontrollen sowie Checklisten erreicht werden kann (ibd.). Die Checkliste umfasste folgende Leitfragen: „Ist ein Fehler am Produkt entstanden?, Wurden alle Kriterien zur Bearbeitung des Produktes berücksichtigt?, Können die Fehler mithilfe von PY-Methoden verhindert werden?“ (ibd.). Eine Bejahung aller Fragen sollte eine PY-Vorkehrung in Gang setzen (ibd.). Die Kriterien der externen Validität sind aufgrund des Praxisbezugs sowie der Stichprobengröße (N=700) erfüllt. Eine Generalisierung der Untersuchungsergebnisse ist aufgrund der ausschließlichen Durchführung in einer Automobilindustrie nur für diesen Bereich möglich.
PY ist darüber hinaus im Softwarebereich anwendbar (Robinson, 1997). Die Fehlervermeidung wurde in einer Studie anhand Fehleingabebegrenzungen mithilfe von Kodiereinheiten zur Eingabe der Softwaresprache getestet (ibd.). Eine softwarebasierte Eingabebegrenzung (Lokalisierung) und ein Informationskatalog in verschiedenen Sprachen sollten Eingabefehler präventiv vermeiden. Neben der Prävention von falschen Eingaben, wurde die Detektion anhand eines speziellen Programms gewährleistet, wodurch eine große Anzahl an Fehlern aufgedeckt werden konnte (ibd.). Kriterien der externen Validität werden aufgrund der Durchführung in realer Arbeitsumgebung erfüllt, dennoch ist eine Generalisierung aufgrund der Branchenspezifität fraglich.
Zhang (2010) ermittelte ebenfalls in einer Studie die mögliche Einführung von PY in die Softwarebranche. Die hier entwickelte Methode unterscheidet sich aufgrund ihrer Softwarebasiertheit von den durch Shingo ursprünglich entwickelten produktionsspezifischen PY-Methoden. Insbesondere wird hier die Relevanz von PY in Softwareprozessen thematisiert. Die Lokalisation von fehleranfälligen Prozessschritten und eine spezifische Integration von PY in den Arbeitsprozess werden als eine Möglichkeit zur Vermeidung von menschlichen Fehlern und Diskrepanzen identifiziert (ibd.). Es wird herausgestellt, wie durch softwarebasierte Einführung von PY drei Arten von menschlichen Fehlern, den Versand falscher Produkte, falscher Produktmengen oder den Versand an falsche Standpunkte, in produzierenden Logistikprozess durch PY beseitigt werden können (ibd.). Die neue PY-Anwendung soll dem Lagerpersonal ermöglichen, durch drahtlose Barcode-Scanning-Geräte, Produktinformationen zu scannen und diese auf Fehler zu überprüfen, um bei einem falschen Produkt Warnhinweise zu geben und den Prozess zu stoppen (ibd.). Anhand dieser Technik kann nach Zhang (2010) eine ganzheitliche Fehlereliminierung gewährleistet werden. Für Fehler, die aus Vergesslichkeit resultierten werden Checklisten oder elektronische Erinnerungen vorgeschlagen (ibd.). Die Praxisnähe, welche insbesondere durch eine Integration von PY in reale Arbeitsprozesse und Zuordnung von spezifischen Fehlerarten gewährleistet wird, ist zu würdigen. Eine Generalisierung auf weitere Bereiche in der Praxis ist aufgrund der Durchführung in einer spezifischen Branche fraglich.
Die Nützlichkeit von PY wird in einer Studie von Treurnicht, Blanckenberg, & Van Niekerk (2011) im Rahmen der Problematik der mangelnden Tätigkeitsalternativen für geistig eingeschränkte Personen dargestellt. Die Fragestellung der Studie lautet: „Stehen Techniken zur Verfügung, die der Gestaltung der Arbeitsumgebung geistig eingeschränkter Menschen dienen?“ (ibd.). Die Ergebnisse zeigen, dass PY gehandicapten Personen eine Fehleridentifikation in Montagearbeiten anhand von Feedback über entstandene Fehler ermöglicht (ibd.). Drei verschiedene Testpersonen mit unterschiedlicher Ausprägung der Behinderung nach der DSM-IV Klassifizierung sollten 120 Kabeln in vier verschiedenen Längen in die passenden Büchsen platzieren. Die Arbeitsumgebung wurde mit dem PY-Ansatz konzipiert, indem die zu montierenden Kabellängen bei einer Flachbandmontage in unterschiedlichen Längen dargeboten wurden. Es bestand die Möglichkeit zur Korrektur bei Feststellung einer falschen Montage.
Da nur gehandicapte Menschen untersucht wurden und sich die Fragestellung ausschließlich auf diese Population bezieht, ist eine hohe externe Validität der Studie hervorzuheben. Dennoch ist eine Generalisierung aufgrund der Stichprobengröße fraglich oder nur teilweise möglich. Des Weiteren sind die Testpersonen, aufgrund unterschiedlicher Ausprägung der Behinderung, nicht miteinander vergleichbar. Dies beeinträchtigt hauptsächlich die interne Validität.
Zusammenfassend wird festgestellt, dass PY ein Hilfsmittel zur Vereinfachung der Arbeit sowie Fehlerreduzierung darstellt und in Bereiche außerhalb der Produktion übertragen werden kann.
2.3.3 Bewertung
Eine kritische Betrachtung der Methode PY erfolgt im Weiteren anhand einer Orientierung an den Bewertungskriterien Asendorpfs (2007).
Die Explizitheit der Annahmen Shingos (1991) können hinsichtlich der theoretischen Fundierung der Methode als gegeben angenommen werden. Begriffsbestimmungen und Aussagen, die zum Verständnis der methodischen Konzeption beitragen, sind sowohl für Laien als auch Experten transparent dargelegt. Dies wird zudem durch Abgrenzungen von verwendeten Begriffe und Veranschaulichung der verschiedenen Ausprägungen der PY-Mechanismen gewährleistet (s. Kap. 2.3.1). Die theoretischen Überlegungen Shingos (1991) bauen auf seine langjährigen praxisnahen Beobachtungen von statistischen Prüfmethoden und PY-Einrichtungen in verschiedenen Unternehmen auf, wodurch er zu der Erkenntnis kam, dass mithilfe von statistischen Prüfmethoden Fehler reduziert werden können, der Einsatz von PY wiederum Fehler eliminieren kann (ibd.).
Durch die Aufführung von 112 PY-Beispielen, mit dem erzielten Ergebnis der Fehlereliminierung, weist Shingo (1991) ebenfalls auf die empirische Verankerung sowie Prüfbarkeit der Aussagen bezüglich der PY-Methode hin. Die Operationalisierung relevanter Aspekte durch Begriffsbestimmungen und Beispielen bietet des Weiteren die Möglichkeit einer praktischen Überprüfung der zugrunde liegenden Aussagen.
Seine theoretischen Annahmen sind außerdem für eine praktische Anwendung angedacht, womit das Kriterium der Anwendbarkeit ebenfalls gegeben ist. Eine Möglichkeit der Übertragung in die Praxis wird insbesondere im Absatz 2.3.2 herausgestellt.
Durch einen klaren und verständlichen Argumentationsstrang wird außerdem das Kriterium der Widerspruchsfreiheit erfüllt. Ein grundsätzliches Paradox der Technisierung von Strukturen und Prozessen bildet dabei die „Ironie der Automatisierung. […]. Die Technik übernimmt Aufgaben, damit der Mensch keine Fehler mehr macht. Versagt jedoch die Technik, dann soll gerade der ‚fehleranfällige‘ Mensch wieder einspringen. Da er jedoch bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausführen [muss], beherrscht er sie im Notfall auch nicht mehr einwandfrei. Dadurch entstehen besonders gefährliche Situationen“ (Zapf et al., 1999, S. 407). Dieser Divergenz kann mit Shingos (1991) Erklärung, dass die Annahme über eine Reduzierung der Fehler durch Automation eine Täuschung sei, entgegnet werden. Daraus lässt sich zudem die Relevanz einer Balance zwischen System-Komplexität und den Handlungsspielräumen des Menschen ableiten (Manser, 2012).
Eine Schwierigkeit erweist sich bei der Bewertung hinsichtlich der Sparsamkeit der theoretischen Überlegungen. Da die Implementierung von PY ein vollständiges Verständnis über die Technik, PY sowie Inspektionssysteme erfordert. Eine derartige Arbeitsplatzgestaltung kann Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen und die bestehende Unternehmenskultur haben (vgl. Elke & Zimolong, 2001; Zimolong, 2002). Die Kenntnis über Qualitätsmanagement und Null-Fehler-Programme ist für einen vertrauten Umgang mit der Methode von Bedeutung. Darüber hinaus ist eine Einführung von PY mit möglichen Gefahren verbunden. Mitarbeiter, die von der techn. Veränderung der Arbeitsumgebung betroffen sind, können Schwierigkeiten bei der Akzeptanz der neuen Methode aufweisen (Shahin & Ghasemaghaei, 2010). Deshalb ist es wichtig, dass Transparenz, bspw. durch Training, gewährleistet ist, sodass im Prozess der Implementierung bereits Ängste und Misstrauen beseitigt werden können. „Letztendlich entscheidet der Mensch über Erfolg und Misserfolg umgesetzter Maßnahmen, da jede Technik […] durch den Menschen umgangen werden kann. Qualifikation, laufende Schulungen, Sensibilisierung und Motivation der Mitarbeiter stellen somit die erste PY-Maßnahme im Unternehmen dar.“ (Klug, 2010, S. 23).
Die Bewertung der Sparsamkeit hinsichtlich der Implementierung wiederum weist eine hohe Ökonomie auf. PY ist eine einfache, günstige und effektive Methode, mit der Fähigkeit zur 100%-Prüfung (Shingo, 1991; Robinson, 1997; Dudek-Burlikowska & Szewieczek, 2009; Klug, 2010; Benes & Groh, 2011). Anhand von PY können entstandene Fehler zeitlich unmittelbar entdeckt und korrigiert werden, bevor Fehler in weiteren Produktionsstufen entstehen (Shingo, 1991; Robinson, 1997). Zur Einführung von PY-Einrichtungen muss das „Rad […] nicht neu erfunden werden.“ (Sondermann, 2013, S. 29 f.), da praxisnahe Lösungsvorschläge von Shingo (1991), Hirano (1992) und Sondermann (2013) herangezogen werden können. Letzterer ergänzt, Fehlervermeidung gewährleiste Mitarbeiter- sowie Kundenzufriedenheit (ibd.).
Eine generische Produktivität von PY wird insbesondere durch die genannten empirischen Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass eine Fehlereliminierung anhand dieser Methode möglich ist, geklärt (s. Kap. 2.3.2). Die spezifische Produktivität der einzelnen PY-Systeme unterscheidet sich jedoch. Steuerfunktionen, bei denen die Fehlerursache vor dem Entstehen eines Fehlers präventiv gemeldet wird, haben eine größere Regulierwirkung als Hinweis- und Alarmmethoden, mithilfe derer Fehler und Störungen erst korrektiv beseitigt werden können (Shingo, 1991). Bei dem Einsatz von Warnmethoden wiederum sollte berücksichtigt werden, dass blinkende Lampen größere Aufmerksamkeit erzeugen als permanent leuchtende (ibd.). Darüber hinaus wird angenommen, dass die Methode ausschließlich wirken kann, wenn der Werker Notiz nimmt (ibd.). Eine weitere Schwierigkeit erweist sich bei der Anordnung, Intensität, Farbe, Lautstärke, Klangfarbe der Warnmethoden, hinsichtlich der Produktivität. Die mangelnde Produktivität der Hinweis- und Alarmmethoden erweist sich darin, dass sie bei einem Fehler oder einer Störung in Gang gesetzt werden. Diese „können in Betracht gezogen werden, wenn einerseits die Folgen von Abweichungen gering sind oder andererseits techn. beziehungsweise wirtschaftliche Faktoren die Anwendung von Eingriffsmethoden besonders schwierig machen“ (Shingo, 1991, S. 107). Eine große Anwendungsbreite der Fixwertmethoden wiederum weist auf eine hoch ausgeprägte Produktivität dieser hin (ibd.). Diese kann zudem bei den Schrittfolgemethoden angenommen werden, die ebenfalls eine große Anwendungsbreite aufweisen (ibd.). Nach der Verbesserung anhand dieser PY-Funktion ist der Arbeitsgang nicht mehr von der Aufmerksamkeit des Werkers abhängig (ibd.).
Die Vollständigkeit der theoretischen Überlegungen Shingos ist fraglich, da der „Einsatz von Poka Yoke […] die Kenntnis aller möglichen potentiellen Fehler [voraussetzt]“ (Benes & Groh, 2011), die in den theoretischen Überlegungen nicht ganzheitlich dargestellt werden. Darüber hinaus betont Shingo (1991), trotz des Potentials von PY Fehler zu eliminieren, die Notwendigkeit einer Kombination mit Inspektionstechniken, um einen ursachenspezifischen Einsatz von PY zu gewährleisten. Angesichts dieser Notwendigkeit kann einerseits eine mögliche Schwäche hinsichtlich der Ganzheitlichkeit der Methode vermutet werden. Inwieweit die Vollständigkeit von PY andererseits für eine effektive Fehlerursachenvermeidung nach Duponts Kriterien vorliegt, wird nachfolgend thematisiert.
2.4 Die Methode Poka Yoke im Verhältnis zum Dirty Dozen-Konzept
“Error detection is the first step in error handling. If an error is not detected, it cannot be handled“ (Zapf & Reason, 1994, S. 429).
Zur Gewährleistung einer ganzheitlichen Fehlereliminierung betont bereits Shingo (1991) die Relevanz einer Differenzierung von Fehlerkonsequenzen und deren Ursachen. Wie in Kapitel 2.2 dargelegt wurde, fasst das DDK eine Vielzahl an möglichen Fehlerquellen in der Praxis zusammen und gilt hinsichtlich der Klassifizierung dieser als erprobt. Aufbauend auf die Forderung Shingos (1991) und Bewährtheit des DDK kann eine Verknüpfung der Methode PY zur Fehlereliminierung mit dem Fehlerursachenkonzept Duponts (1997) begründet werden. Eine Gegenüberstellung von PY und dem DDK wird darüber hinaus aufgrund vielfältiger Anwendungsmöglichkeiten beider für möglich gehalten (s. Kap. 2.2.3 und 2.3.3). Sowohl das DDK als auch PY sind auf Bereiche außerhalb der ursprünglich vorgesehenen übertragbar.
Die angenommene Notwendigkeit einer Verknüpfung wiederum ergibt sich aus der Relevanz, Fehler im Kern zu erfassen, da „der Fehlerentstehungsort in der Regel der beste Ort zur Fehlerbehebung [ist]“ (Klug, 2010, S. 20). Somit können Fehler bereits im Ursprung identifiziert und präventiv vermieden werden (ibd.). Insbesondere im komplexen Arbeitsumfeld, welches eine hohe Konzentration erfordert, können Fehler schnell entstehen (Benes & Groh, 2011). Es ist wichtig den „Menschen und seine Handlungsfehler als eigenständige Quelle von Fertigungsproblemen“ zu erkennen (Klug, 2010, S. 31), da Fehler erst eliminiert werden können, wenn Fehlerursachen aufgedeckt und reduziert werden (Shingo, 1991).
Nachfolgend wird eine theoretische Beantwortung der anfänglich vorgestellten Fragestellung „Inwieweit kann die Methode PY menschliche Fehlerursachen nach dem DDK von Dupont (1997) abdecken?“, vorgenommen. Die Möglichkeit einer Eignung der Methode PY zur Behebung der Fehlerursachen des DDK wird zunächst anhand einer eigenen Zuordnung von PY-Lösungen zu ausgewählten Handlungsempfehlungen Duponts (1997) abgebildet.
Tabelle 3
Eigene Zuordnung von PY-Lösungen zu Handlungsempfehlungen Duponts
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus der vorangegangenen Tabelle lässt sich ableiten, dass PY eine Vielfalt der DD-Fehlerursachen, bis auf Soziale Normen, Stress, M. a. Durchsetzungsvermögen und M. a. Teamwork mithilfe spezifischer Einrichtungen, abdecken kann. Als notwendige Hilfsmittel zählen insbesondere Checklisten als eine mögliche PY-Vorkehrung zur effektiven Verhinderung von versehentlichen Fehlhandlungen (Shingo, 1991). Diese können u. a. hinsichtlich M. a. Kommunikation Informationen liefern oder bei einem M. a. Ressourcen ein Hilfsmittel zur Überprüfung dieser darstellen. Außerdem kann die Aufmerksamkeit für Gefahren gesteigert und bei Ablenkung eine Orientierung gewährleistet werden (ibd.). Darüber hinaus können PY-Auslösefunktionen Fehlhandlungen präventiv begrenzen, indem zum einen durch den Einsatz von sensorgestützten Einrichtungen (Kontaktmethode) mögliche Fehlbedienungen durch eine frühzeitige Erkennung von Abweichungen nicht zugelassen wird. Diese können bspw. bei einer Erschöpfung oder Druck den Mitarbeiter anhand einer Komplexitätsreduktion entlasten oder Handlungen aufgrund von Selbstgefälligkeit von vornherein vermeiden. Zum anderen kann die Anzahl von aufeinanderfolgenden Arbeitsgängen konstant gehalten werden (Fixwertmethode), um bspw. Routinefehler durch Selbstgefälligkeit zu verhindern. Schrittfolgemethoden wiederum können im Falle einer Ablenkung der Überprüfung der Arbeitsgänge dienen. Eine präventive Vermeidung der hier aufgeführten Fehlerquellen ist darüber hinaus durch den Einsatz von Detektionseinrichtungen möglich. Anhand von kontaktlosen visuellen Kennzeichnungen erfolgt eine Gewährleistung der Aufmerksamkeit für Gefahren oder durch kontaktbasierte Einrichtungen bspw. eine Rückmeldung eines Mangels an Ressourcen.
Die Möglichkeit der Fehlerquellenbehebung durch PY wird außerdem durch eine Studie aufgezeigt in der anhand einer Handlungsklassifikation ermittelt wurde, dass PY hauptsächlich Ausführungsfehler abdeckt (Träger, 2008). Zu diesen zählen folgende: Informationsfehler, Wissensfehler, Vertauschungsfehler, Auslassungsfehler, Hinzufügungsfehler, Positionierungsfehler, Reihenfolgefehler, Zeitfehler, Zeitpunktfehler, Mengenfehler. Anlehnend an den Absatz 2.2.1 können Informationsfehler mit Duponts M. a. Kommunikation und Wissensfehler mit M. a. Wissen gleichgesetzt werden. Die Vertauschungs-, Auslassungs- und Positionierungsfehler können auf Basis einer Darstellung von Benes und Groh (2011) mit M. a. Aufmerksamkeit und Ablenkung in Verbindung gebracht werden. Folgender Ausschnitt aus der Tabelle mit ergänzender Zuordnung einiger oben genannter Ausführungsfehler dient der Verdeutlichung.
Tabelle 4
Ausschnitt aus Benes & Groh (2011, S. 219) mit eigener Zuordnung der Ausführungsfehler (Träger, 2008)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anmerkungen: 0 = starke Beziehung; X = gewisse Beziehung
Die hier vorgenommene Verknüpfung der DD-Fehlerursachen und der Klassifikation nach Träger (2008) ist aufgrund der fehlenden Definition der jeweiligen Fehlerursachen in der Studie nur augenscheinlich. Eine präzise Eingrenzung der einzelnen Fehler seitens Träger (2008) wäre für eine bessere Nachvollziehbarkeit und Übertragbarkeit wünschenswert.
Praktische Erkenntnisse Shingos aus dem Jahr 1961 bestätigen ebenfalls die Vermeidung von Aufmerksamkeit und Ablenkung durch Einführung von PY. Die Problematik, dass die Werker das Einsetzen von Federn in einen Ein-und Ausschalter vergaßen, wurde anhand der Bereitstellung einer Schüssel mit der entsprechenden Anzahl an Federn, eliminiert (Shingo, 1991). Falls nach Abschluss der Operation eine Feder in der Schüssel übrig blieb, war dies ein Indiz dafür, dass eine Feder nicht montiert wurde. Das Fehlverhalten der Mitarbeiter in dem Beispiel kann diverse Ursachen haben. Am naheliegendsten ist anknüpfend an Tabelle 4 ein M. a. Aufmerksamkeit und Ablenkung, da das Vergessen als ausgelassener Arbeitsgang beschrieben werden kann. Die Fehlerursachen einer Vielzahl der praktischen Beispiele Shingos (1991), können demzufolge mit M. a. Aufmerksamkeit und Ablenkung beschrieben werden (vgl. Beispiele für PY-Systeme, Shingo, 1991, S. 141-265). Für eine detaillierte Beschreibung der Fehlerursachen ist die Analyse derer notwendig, im Rahmen dieser theoretischen Überprüfung jedoch nicht möglich. Zur Zusammenfassung der grundlegenden Ergebnisse dieses Kapitels folgt eine tabellarische Darstellung.
Tabelle 5
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
PY kann eine Vielfalt der Fehlerursachen Duponts abdecken. Durch den gezielten ursachenspezifischen Einsatz von PY können die Folgen, Konsequenzen dieser Fehlerquellen präventiv verhindert werden. Die Fehlervermeidung geschieht jedoch oftmals nicht anhand einer Behebung der Fehlerursache, sondern teilweise durch die Begrenzung menschlicher Handlungsspielräume, um mögliche Fehlhandlungen präventiv auszuschließen.
[...]
- Quote paper
- Selin Kile (Author), 2014, Menschliche Fehlerfreiheit in Mensch-Maschine-Systemen durch Poka Yoke, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127631
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