In dieser Bachelor-Thesis wird untersucht, inwiefern die Silbe zur Vermittlung des SSE in den Lehrwerken "ABC der Tiere", "Karibu" und "Jo-Jo" aufgegriffen wird. Dazu soll zunächst die Bedeutung der Silbe für den SSE herausgestellt und anschließend die Umsetzung silbenorientierter Methoden innerhalb der drei Lehrwerke exemplarisch miteinander verglichen werden. Es ergibt sich die Frage, ob innerhalb der Grundschullehrwerke lediglich intuitive oder auch elaborierte Zugänge zur Silbe aufgegriffen werden
Sowohl für das sinnerfassende Lesen als auch zum Erschließen orthographischer Prinzipien relevant: Die Silbe nimmt eine zentrale Rolle in schriftsprachlichen Kontexten ein. Dies wird auch innerhalb der sprachwissenschaftlichen und -didaktischen Forschung bestätigt, weshalb die Silbe zunehmend auch Eingang in die Lehrwerke der Grundschule zur Vermittlung des Schriftspracherwerbs (SSE) findet.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Problemstellung und Forschungsstand
1.2. Motivation und Zielsetzung der Arbeit
1.3. Aufbau der Arbeit
2. Das deutsche Schriftsystem
2.1. Graphematische Prinzipien
2.2. Silbenaufbau und -typen
3. Schriftspracherwerb
3.1. Voraussetzungen
3.2. Phasen des Erwerbs
4. Schriftstrukturen modellieren
4.1. Silbenbasierte Lehrkonzepte
4.1.1. Silbenstrategie nach Reuter-Liehr
4.1.2. FRESCH-Methode
4.1.3. Silbenanalytische Methode nach Christa Röber
5. Vergleich silbenbasierter Lehrwerke
5.1. Die „Jo-Jo“ Fibel
5.1.1. Theoretische Konzeption
5.1.2. Sprechsilbe als phonologische Ausgangslage
5.1.3. Buchstaben- und Silbeneinführung
5.1.4. Auswahl des Wortmaterials
5.1.5. Progression von Silbentypen
5.1.6. Zusatzmaterialien
5.2. Die „Karibu“ Fibel
5.2.1. Theoretische Konzeption
5.2.2. Sprechsilbe als phonologische Ausgangslage
5.2.3. Buchstaben- und Silbeneinführung
5.2.4. Auswahl des Wortmaterials
5.2.5. Progression von Silbentypen
5.2.6. Zusatzmaterialien
5.3. Die „ABC der Tiere“ Fibel
5.3.1. Theoretische Konzeption
5.3.2. Sprechsilbe als phonologische Ausgangslage
5.3.3. Buchstaben- und Silbeneinführung
5.3.4. Auswahl des Wortmaterials
5.3.5. Progression von Silbentypen
5.3.6. Zusatzmaterialien
5.4. Tabellarischer Vergleich der aufgeführten Lehrwerke
6. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis – Primärquellen
Literaturverzeichnis – Sekundärquellen
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: FRESCH – Einteilung des schulrelevanten Wortschatzes
Abbildung 2: Häusermodelle trochäischer Zweisilber nach Röber
Abbildung 3: Vokalmarkierung und Silbenbögen in „Jo-Jo“ Fibel
Abbildung 4: Aufschlüsselung der ersten Hälfte von eingeführten Wörtern („Jo-Jo“ Fibel)
Abbildung 5: Progression von Silbentypen („Jo-Jo“ Fibel)
Abbildung 6: Aufschlüsselung der ersten Hälfte von eingeführten Wörtern („Karibu“ Fibel)
Abbildung 7: Progression von Silbentypen („Karibu“ Fibel)
Abbildung 8: Häuschentypen A und B
Abbildung 9: Farbige Silbenidentifizierung
Abbildung 10: Aufschlüsselung der ersten Hälfte von eingeführten Wörtern („ABC der Tiere“ Fibel)
Abbildung 11: Progression von Silbentypen („ABC der Tiere“ Fibel)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Silbenanzahl und -typen von 10 Fibeln
Tabelle 2: Silbenanzahl und -typen der ersten 100 Wörter („Jo-Jo“ Fibel)
Tabelle 3: Silbenanzahl und -typen der ersten 100 Wörter („Karibu“ Fibel)
Tabelle 4: Silbenanzahl und -typen der ersten 100 Wörter („ABC der Tiere“ Fibel)
Tabelle A1: Tabellarischer Vergleich der aufgeführten Lehrwerke, Teil I
Tabelle A2: Tabellarischer Vergleich der aufgeführten Lehrwerke, Teil II
Abkürzungsverzeichnis
FRESCH = Freiburger Rechtschreibschule
GPK = Graphem-Phonem-Korrespondenz
PhB = Phonologische Bewusstheit
SSE = Schriftspracherwerb
ˈV = Langvokal in offener Silbe
ˈVK = Langvokal in geschlossener Silbe
ˈvK = Kurzvokal in geschlossener Silbe
ˈvK˚S = Schärfungswort
1. Einleitung
1.1. Problemstellung und Forschungsstand
Die Lese- und die Schreibkompetenz gelten als zentrale Grundfertigkeiten unserer Gesellschaft. Die Schule ist als wichtigste Instanz zur Vermittlung der Schriftsprache im Rahmen des Schriftspracherwerbs (SSE) maßgeblich daran beteiligt den Lese- und Schreibnoviz*innen die spätere Partizipation am kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein 2018: 24). Spätestens mit den Ergebnissen der Schulleistungsstudien PISA 2000 und IGLU 2003 ist das Lesen- und Schreibenlernen jedoch in den Fokus bildungspolitischer Aufmerksamkeit gerückt, da diese erhebliche Defizite der basalen Fähigkeiten im Lesen und Schreiben der in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen erkennbar gemacht haben (vgl. Bredel & Röber 2015: 3). Zahlreiche Lehrwerke werben seither mit diversen didaktischen und methodischen Konzeptionen zur Vermittlung lese- und schreibbezogener Kompetenzen, wobei vor allem silbenorientierte Ansätze seit den letzten Jahren wieder zunehmend Eingang in die Lehrwerke für die Grundschule gefunden haben. Denn in der aktuellen sprachwissenschaftlichen und -didaktischen Forschung besteht weitestgehend Konsens darüber, dass der Silbe eine elementare Rolle sowohl zum sinnerfassenden Lesen als auch zum Erschließen orthographischer Prinzipien zukommt und somit einen relevanten Bestandteil im SSE und dem darauf sich beziehenden Unterricht einnehmen sollte. Dementsprechend ist es laut einiger Expert*innen nicht der einzelne Laut, der als zentrale Grundeinheit im SSE fokussieren zu ist, sondern die Silbe (vgl. Bredel 2009: 137, 141). Auf dieser Basis sind die Konzeptionen einiger Fibeln von silbenbasierten Methoden geprägt und sie werben mit dem Einsatz ihres Lehrwerkes sowohl für den Anstieg und Ausbau des verständnisorientierten Lesens als auch mit einer Verbesserung der Rechtschreibkompetenz. Bei der Realisierung silbenorientierter Methoden wiederum muss grundlegend zwischen zwei Ausrichtungen des Silbenkonzepts unterschieden werden: das naive, intuitive sowie das elaborierte, theoriebezogene Silbenkonzept (vgl. Hinney 2014: 152ff.). In einer Stellungnahme zu den neuen Silbenfibeln kritisiert Christa Röber, als Begründerin der silbenanalytischen
Methode und Vertreterin des elaborierten Silbenkonzepts, diese als den intuitiven Silbenkonzepten zugehörigen und damit unzureichend geeignet für das Lesen- und Schreibenlernen (vgl. Röber & Olfert 2010: 12f.).
1.2. Motivation und Zielsetzung der Arbeit
Aufgrund der Stellungnahme von Christa Röber aus dem vorangegangenen Abschnitt hat sich ein persönliches Interesse bezüglich dieser Thematik entwickelt. Darüber hinaus konnten erste Erkenntnisse bezüglich der Silbe sowohl in einem theoretischen Rahmen im Kontext universitätsinterner Seminare, welche die wissenschaftliche Relevanz der Silbe für den SSE andeutend aufgegriffen haben, als auch in einem praktischen Rahmen im Kontext von Praktika sowie eines freiwilligen sozialen Jahres der Umgang von silbenbasierten Fibeln in der Primarstufe erworben werden.
Im Rahmen dieser Bachelor-Thesis wird sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern die Silbe für den SSE in ausgewählte Lehrwerken aufgegriffen wird. Das Ziel ist es dabei die Rolle der Silbe innerhalb des SSE zu fokussieren, anhand dreier Lehrwerke die Umsetzung silbenorientierter Methoden exemplarisch miteinander zu vergleichen und anhand der herausgestellten Differenzen darzulegen, ob lediglich intuitive oder auch elaborierte Zugänge aufgegriffen werden.
1.3. Aufbau der Arbeit
Die Bachelor-Thesis beginnt mit der Darstellung des Lerngegenstandes. Dazu werden zunächst sprachwissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich des deutschen Schriftsystem aufgeführt und vertiefend die graphematischen Prinzipien sowie der Silbenaufbau und die verschiedenen Silbentypen fokussiert. Innerhalb der graphematischen Prinzipien wird primär auf das phonologische, silbische und morphologische Prinzip eingegangen, da diese im Wesentlichen die silbenbasierten Lehrkonzepte in Kapitel 4.1 bestimmen. Die Darstellung von Silbenaufbau und -typen sollen eine Einsicht in die Differenzierung zwischen Sprech- und Schreibsilbe gewährleisten sowie die Regelmäßigkeiten silbischer Strukturen hervorheben. Nachdem der Lerngegenstand beleuchtet wurde, wird anschließend auf die Seite der Lernenden eingegangen, indem die Voraussetzungen sowie die Phasen des SSE dargestellt werden. Bei den schriftsprachlichen Voraussetzungen wird anhand der Phonologischen Bewusstheit (PhB) im weiteren Sinne ersichtlich werden, weshalb das Aufgreifen der Sprechsilbe eine zentrale Rolle für den Anfangsunterricht einnehmen sollte. Bei dem Erwerbsmodell wird sich auf Günther Thomé bezogen, da er die orthographische Phase differenziert dargestellt hat und sich somit auf das Rechtschreiblernen konzentriert werden kann. Diese Ausführungen werden zur Erkenntnis dienen, inwiefern die didaktische Herangehensweise der Lehrwerke unter Berücksichtigung der Silbe als Grundeinheit im SSE den Lernvoraussetzungen und -bedürfnissen der Schüler*innen gerecht werden möchte. Dazu werden die silbenbasierten Methoden zum Erwerb der Schriftsprache aufgeführt, auf welche die drei zu vergleichenden Fibeln in ihrer konzeptionellen Darstellung Referenz nehmen. Zusätzlich werden die Methoden den intuitiven bzw. den elaborierten Silbenkonzepten zugeordnet. Anschließend folgen die Lehrwerkanalysen dreier Fibeln, die mit dem Einsatz silbenbasierter Methoden werben. Dafür werden auf der Grundlage des zuvor dargestellten theoretischen Rahmens silbenbasierte Kriterien erstellt, die einen systematischen Vergleich ermöglichen sollen. Die Erkenntnisse, die aus diesem Vergleich hervorgehen, werden anschließend übersichtlich in der Form einer Tabelle gegenübergestellt. Schlussendlich wird eine Zu-sammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse den Abschluss der Bachelor-Thesis darstellen.
2. Das deutsche Schriftsystem
Die deutsche Schrift kann den Alphabetschriften zugeordnet werden. Damit basiert unsere Schrift auf einem phonologischen System und repräsentiert die Lautstruktur der Sprache (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 16). Verschiedene Schriftzeichen bezie-hen sich auf Aspekte der Lautung von Wörtern, wodurch eine Buchstaben-Laut-Beziehung bedingt wird (vgl. ebd.). Durch diese Graphem-Phonem-Korrespondenz (GPK) folgt, dass einerseits ein Graphem ein Phonem repräsentiert und andererseits ein Phonem als Graphem kodiert wird (vgl. Dahmen & Weth 2018: 125). Dabei ist jedoch hervorzuheben, dass keine 1:1-Zuordnung von Graphem und Phonem existiert, da 40 Phoneme lediglich 26 Buchstaben gegenüberstehen (vgl. Augst & Dehn 2015: 15). Das Deutsche ist folglich eine laut orientierte Alphabetschrift (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 16).
Diesbezüglich ist zu betonen, dass die während eines Sprechaktes produzierten Phoneme nicht isoliert auftreten. Stattdessen sind sie durch lautübergreifende Prozesse der Koartikulation und Prosodie miteinander verbunden (vgl. Busch & Stenschke 2008: 47). Einerseits steht ein Laut stets in einem lautlichen Kontext, was zu einer Veränderung des selben Lautes führen kann, je nachdem von welchen Lauten dieser wiederum umgeben ist (vgl. ebd.). Dies ist insbesondere an dem Buchstaben <e> zu erkennen. So wird der Vokal beispielsweise bei den beiden Wörtern <Ente> und <Eber> je nach lautlicher Umgebung unterschiedlich lautlich realisiert: [ɛn.tə], [e:.bɐ]. Andererseits seien Laute nicht nur nach ihren Merkmalen auf der segmentalen Ebene klassifizierbar, sondern würden in der konkreten Realisierung zudem stets suprasegmentale und prosodische Merkmale, wie den Akzent, Intonation, Sprechtempo oder Pausen, aufweisen. So muss beispielsweise differenziert werden, ob eine Person etwas umfáhren oder jemanden úmfahren möchte (vgl. ebd.).
Damit besitzt jedes deutsche Wort einen Rhythmus, eine prosodische Struktur. Die Silben stellen hierbei die kleinsten rhythmischen Einheiten dar (vgl. Dahmen & Weth 2018: 56). Denn im Gegensatz zu den einzelnen Lauten eines Wortes, können Silben im Sprachfluss spontan isoliert und segmentiert werden. Somit stellt die Sprechsilbe, also Silben, die beim langsamen Aussprechen eines Wortes gebildet werden, phonetisch betrachtet die kleinste suprasegmentale Einheit dar (vgl. Busch & Stenschke 2008: 54).
Neben der Silbe stelle der phonologische Fuß die nächsthöhere rhythmische Einheit dar. Dieser bestehe aus genau einer betonten Silbe sowie einer oder mehreren unbetonten Silben. Diese Kombination ergebe dann ein festgelegtes Betonungsmuster. Im Deutschen seien insbesondere trochäische Betonungsmuster in Wörtern vertreten. Hier bestehen zweisilbige Wörter aus einer betonten Silbe, die von einer unbetonten Silbe gefolgt wird (vgl. Dahmen & Weth 2018: 56). Röber (2009: 41) führt in diesem Zusammenhang auf, dass die überwiegende Mehrzahl deutscher Wörter, fast 100%, zweisilbige Trochäen sind (<Name>, <Schule>) oder es als flektierte Wörter sein können (<rote>, <Türen>).
Diese linguistischen Grundlagen lassen auf den eigenständigen Systemcharakter der schriftlichen Sprache schließen. Denn im Gegensatz zu Vertretern der Dependenztheorie, welche im Sinne der GPK die Abhängigkeit der Schrift gegenüber der Sprache hervorheben und die Schrift als sekundär einstufen, stellt Bredel (2004) heraus, dass Buchstaben und deren Anordnung nicht nur zur Wiedergabe von Lauten oder Lautverknüpfungen genutzt werden (vgl. Schröder 2019: 62). Vielmehr repräsentieren sie prosodische, morphologische und syntaktische Informationen (vgl. Bredel 2004: 1f.).
2.1. Graphematische Prinzipien
„Schreibe, wie du sprichst“ (Busch & Stenschke 2008: 64) – Mit diesem phonologischen Prinzip der deutschen Schriftsprache lassen sich Wörter herleiten, welche sich nach einer 1:1-Zuordnung der Phoneme und Grapheme richten. Wie bereits aufgeführt wurde, basieren Alphabetschriften wie das Deutsche im Wesentlichen auf diesem phonologischen Prinzip. Da jedoch mittels dieses Prinzips wesentliche graphematische Phänomene des Deutschen unberücksichtigt bleiben, kommen weitere graphematische Prinzipien hinzu, welche das deutsche Schriftsystem definieren. Diese werden im Folgenden anhand der Darstellungen von Busch & Stenschke (2008) näher erläutert.
Als erstes ist das silbische Prinzip zu nennen. Dieses berücksichtigt im Gegensatz zum phonologischen Prinzip den silbischen Kontext, in welchem ein Graphem steht. Die Silbe wird als relevanter graphematischer Bezugspunkt fokussiert, wodurch graphematische Phänomene wie die Konsonantenverdopplung und Deh-nung erklärt werden können. Anhand des Nomens <Halle> wird ersichtlich, dass sich, entgegen des phonologischen Prinzips, die phonographische Realisierung des Wortes als [ˈha.lə] von der orthographisch korrekten Schreibweise differenziert, da die Doppelkonsonanz nicht hörbar ist. Vielmehr fungiert der Konsonant [l] als Silbengelenk bzw. als ambisilbischer Konsonant, indem dieser nach dem kurzen Vokal der ersten Silbe verdoppelt wird und somit sowohl am Ende der ersten als auch am Anfang der zweiten Schreibsilbe vorzufinden ist. Keine Anwendung findet dieses Prinzip jedoch, wenn ein ambisilbischer Konsonanten durch einen Mehrgra-phen bzw. eine Graphemfolge, wie beispielsweise das <sch>, verschriftlicht wird. So ist die orthographisch korrekte Schreibweise von [ˈtaʃə] nicht *<Taschsche>, sondern <Tasche>.1 Ein weiteres graphematisches Phänomen ist die Dehnung von Wörtern, welches ebenfalls mittels des silbischen Prinzips hergeleitet werden kann. So wird innerhalb der Wörter wie <sehen> und <fahren> das <h> jeweils nicht gesprochen, es ist also auditiv nicht wahrnehmbar: [ˈzeː.ən], [ˈfaː.rən]. Ersteres Bei-spiel veranschaulicht das silbeninitiale <h>, zweiteres das Dehnungs-h. Das silben-initiale <h> befindet sich zwischen zwei Silben, sofern eine Silbe auf einen langen, betonten Vokal endet und die darauffolgende Silbe mit einem kurzen, unbetonten Vokal beginnt. Allerdings bestehen auch Ausnahmen dieses Prinzips bei Diph-thongen. So steht das <h> nie nach <eu> und <au>. Bei dem Diphthong <ei> exis-tieren zwar Wörter mit silbeninitialem <h> wie <verzeihen> und <Reiher>, jedoch auch Wörter ohne dessen Vorkommen wie bei <Eier> und <bleiern>. Bei dem Dehnungs-h sind zwar ebenfalls Regelmäßigkeiten zu entdecken, allerdings ist hier die Formulierung einer konstanten Regelung nicht möglich. Denn das Dehnungs-h steht vor den Konsonanten <l>, <m>, <n> und <r> und das lediglich bei ungefähr der Hälfte der möglichen Fälle: <zahlen> vs. <Schale>, <ihm> vs. <dem>, <stöhnen> vs. <tönen>, <fahren> vs. <sparen>.
Ein weiteres Prinzip, das die deutsche Rechtschreibung bestimmt, ist das morphologische Prinzip. Dieses wird im Wesentlichen durch die Morphem-konstanz definiert. Die Morphemkonstanz bedingt, dass Morpheme zum einen in verschiedenen Verwendungen, wie die Flexionsformen, stets gleich geschrieben werden. Zum anderen ist zum Beispiel bei der Umlautschreibung anhand der Schreibung die Verwandtschaft zwischen Morphemen erkennbar. Folglich wird beispielsweise das Phänomen der Auslautverhärtung oder allgemeine Prinzipien der Flexion und Wortbildung nicht vom phonologischen Prinzip oder der GPK bestimmt, sondern durch die Morphemkonstanz. So wird das Verb /ga:p/ als <gab> verschriftlicht, da es vom Infinitiv <geben> abstammt und das Verb <hallt> ist von der Doppelkonsonanz bestimmt, da das flektierte Verb aus dem Stamm {hall} und dem Flexionssuffix {t} besteht. Ferner wird die pluralische Form von <Hand> ent-sprechend als <Hände> verschriftlicht, obwohl auditiv keine Differenz zwischen dem a-Umlaut in [ˈh ɛ n.də] und dem kurzen betonten <e> wie in [ˈ ɛ n.tə] wahrnehmbar ist.
Weitere graphematische Prinzipien sind das etymologische Prinzip, nach welchem die Schreibung eines Wortes aus einer Fremdsprache entlehnt und beibehalten wird, das pragmatische Prinzip, das beispielsweise die Großschreibung von Anrede-pronomina bestimmt, und das syntaktische Prinzip, welches die Groß- oder Klein, Auseinander- oder Zusammenschreibung von Wörtern bzw. Wortgruppen je nach ihrer Verwendung bedingt (vgl. Busch & Stenschke 2008: 64ff.).
2.2. Silbenaufbau und -typen
Die Silbe als Einheit zwischen dem Phonem bzw. dem Graphem und dem Wort ist von einer Medienunabhängigkeit geprägt, wodurch sowohl von einer Sprechsilbe als auch von einer Schreibsilbe gesprochen werden kann (vgl. Bredel, Fuhrhop & Noack 2017: 232). Die Grundstruktur von Silben gliedert sich nach Schründer-Lenzen (2013) idealerweise in die drei Bestandteile: Anfangsrand (Onset), Silbenkern oder -gipfel (Nukleus) und Endrand (Koda). Der Nukleus wird dabei stets von einem Vokal oder einem Diphthong repräsentiert und ist von Konsonanten umgeben. Der Reim einer Silbe umfasst den Nukleus sowie alle folgenden Elemente.
Wenn folglich der Onset bei gleichbleibendem Nukleus und Koda ausgetauscht wird, führt dies zu einem Reim (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 34f.).
Wie bereits in den Aufführungen zum deutschen Schriftsystem dargelegt worden ist, stellt der Trochäus das für deutsche Wörter typische Metrum dar. Somit definieren insbesondere zweisilbige Wörter den deutschen Wortschatz. Mit der Wortakzentuierung geht die unterschiedliche Betonung aufeinanderfolgender Silben einher. Die unbetonten Silben werden in der Regel als Reduktionssilbe bezeichnet, da sie im Vergleich zu den betonten Silben hinsichtlich ihrer phonologischen Umsetzung restringiert artikuliert werden (vgl. Röber 2009: 41). Denn im Gegensatz zur Schreibsilbe, welche stets einen vokalischen Kern aufweist, wird der Kern der unbetonten Sprechsilbe in der Standard- und Umgangslautung häufig „verschluckt“ (Hinney 2014: 156): [ˈhal.tn] für <halten>. Der Buchstabe <e> in der Schreibsilbe markiert hierbei die Reduktionssilbe mit der einhergehenden Unbetontheit der Silbe und erfüllt damit die orthographische Vorgabe, dass jede Silbe durch einen Vokalbuchstaben anzuzeigen ist (vgl. Röber 2009: 41). Unbetonten Silben, die wiederum kein <e> aufweisen, werden als Normalsilbe bezeichnet. Diese kommen im Deutschen jedoch äußerst selten vor (vgl. Röber & Olfert 2010: 12). Bezüglich des Anfangsrands der ersten Silbe ist festzuhalten, dass diese Position in der graphematischen Präsentation nicht besetzt sein muss, doch die Sprechsilbe besitzt, sofern diese Position nicht von einem Phonem besetzt ist, stets einen Knacklaut als Anfangsrand (vgl. Hinney 2014: 158ff.). Außerdem bestimme der Aufbau der betonten Silbe die Vokalquantität, also die kurze oder lange Aussprache des Vokals, und die Vokalqualität in gespannter oder ungespannter Form. Ist der Endrand der betonten Silbe nicht besetzt, so wird die Silben als offen bezeichnet und der Vokal wird lang und gespannt artikuliert; ist der Endrand nicht besetzt, handelt es sich um eine geschlossene Silbe und der Vokal wird kurz und ungespannt artikuliert (vgl. ebd: 156). Neben diesen beiden fundamentalen Typen der offenen und geschlossenen betonten Silbe, existieren zudem silbische Schreibungen mit orthographischen Sondermarkierungen der Schreibsilbe. Diese stellen beispielsweise die bereits im vorherigen Kapitel dargestellte Silbengelenkschreibung (<Wanne>), das silbeninitiale <h> (<Ruhe>) und das Dehnungs-h (<Fehler>) dar.
Nicht zuletzt existieren Wörter aus nur einer Silbe wie <Strumpf>. In dieser Silbe wird ersichtlich, dass sowohl der Onset als auch die Koda durch eine Kombination aus mehreren Konsonanten definiert sein kann (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 35). Außerdem wird an diesem Beispiel deutlich, dass die silbische Position eines Konsonanten bzw. einer Konsonantenfolge über die Aussprache bestimmt. So wird St/st im Onset als /scht/ realisiert, während es in silbenübergreifender Position oder im Endrand wie bei <Weste> oder <Nest> als /st/ gesprochen wird. Das <r> ist in diesem Fall in [ˈʃtrʊmpf] auditiv wahrnehmbar. Bei Wörtern wie <Ohr> ist der Konsonant auditiv jedoch nicht als solcher wahrnehmbar: [ˈo:ɐ]. Doch bei der Bildung der Pluralform verändert sich die lautliche Realisierung des Phonems: [ˈo:.rən]. Der Grund findet sich in der silbischen Position des Konsonanten. So wird das R-Phonem im Anlaut konsonantisch als [ʁ] und im Auslaut vokalisch als [ɐ] realisiert (vgl. Dahmen & Weth 2018: 19). Demnach bestimmt die Position innerhalb einer Silbe die lautliche Realisierung von Phonemen bzw. Phonemfolgen.
3. Schriftspracherwerb
Wie aus dem vorherigen Kapitel hervorgegangen ist, lassen sich die deutschen Wörter als eine Silbenfolge mit dem charakteristischen Betonungsmuster des Trochäus beschreiben. Die Orthographie ist auf diese Beschreibung ausgerichtet, wodurch sich das Schreiben als Identifizierung prosodischer Merkmale und das laute Lesen als Produzieren prosodischer Muster äußert (vgl. Röber 2009: 12). Mit dem Eintritt in die Schule treffen Kinder mit sehr diversen sprachlichen Erfahrungen aufeinander, wobei die phonologische Wahrnehmung der Sprache die Ausgangslage der Kinder beim beginnenden Lesen- und Schreibenlernen darstellt. Um von der medial mündlich und konzeptionell phonischen Ausgangslage der Schüler*innen zu der Kompetenz medial grafisch und konzeptionell zunehmend schriftlich zu kommunizieren, muss das einzelne Wort für die Erzeugung von Schriftprodukten zunächst Gegenstand des Denkens werden. Da das deutsche Schriftsystem keine unmittelbar zugänglichen Laute repräsentiert, sondern abstrakten Strukturen zugrunde liegt, erfordert das Herstellen von Beziehungen zwischen den Einheiten der graphisch-visuellen und artikulatorisch-akustischen Strukturen eine komplexe Abstraktionsleistung seitens der Schüler*innen (vgl. Dahmen & Weth 2018: 165). Nur durch das Heraustreten aus der unmittelbaren, auf Verständigung ausgerichteten, sprachlichen Kommunikation, ist es möglich die sprachlichen Mittel als Objekt zu betrachten und folglich auf ihre Regelhaftigkeiten zu untersuchen, sie analytisch zu erfassen und zu manipulieren (vgl. ebd.: 166).
3.1. Voraussetzungen
Mit dem Eintritt in die Schule haben die Schüler*innen in der Regel die deutsche Sprache als Verständigungsmittel auf der phonologischen Ebene erworben. Die Beherrschung der Lautstruktur des Deutschen als mündliches Kommunikations-mittel bedingt jedoch noch keine Fähigkeit der bewussten Lautanalyse (vgl. Andresen & Funke 2003: 447). Vielmehr ist das Schriftsystem, wie bereits im 2. Kapitel aufgeführt worden ist, als eigenständiger Systemcharakter anzusehen, wo-durch der Erwerb der Schriftsprache nicht nur als Applikation bereits erworbener Fähigkeiten aus der mündlichen Sprache auf ein neues Medium in der schriftlichen Sprache gesehen werden kann (vgl. Bredel 2004: 2). Bereits im Vorschulalter werden die Kinder für den Lautaspekt der deutschen Sprache sensibilisiert, indem beispielsweise Zungenbrecher geübt oder Reime aufgezählt werden. Es finde ein Wechsel des fokussierten Aspekts von Sprache statt. An die Stelle der inhaltlichen Informationen eines Wortes stehe zunehmend das Wort in seiner Laut- und Wortstruktur im Fokus. Diese Abstraktionsfähigkeit werde in der sprachwissenschaftlichen Forschung als PhB bezeichnet. Die PhB stellt eine metakognitive Fähigkeit dar, die das Abstrahieren vom Wortsinn und die Konzentration auf den lautlichen Aspekt der Sprache ermöglicht (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 86f.). Im Wesentlichen lässt sich das Konstrukt der PhB in zwei Kompetenzbereiche unterteilen. Denn während die Schüler*innen im Schuleintrittsalter weitestgehend über eine PhB im weiteren Sinne verfügen, da sie Reime erkennen sowie Silben segmentieren und zusammensetzen können, stellt die Phonemanalyse und -synthese am Anfang des SSE für einen Großteil der Lernenden eine große Herausforderung dar (vgl. Hochstadt, Krafft & Olsen 2015: 79). Auch Christa Röber (2009) stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass die überwiegende Mehrzahl der Fünf- und Sechsjährigen bereits Wahrnehmungskategorien für eine Segmentierung sprachlicher Äußerungen aufgebaut haben, dies jedoch entgegen der Erwartung von Schriftkundigen: „Schriftunkundige Kinder gliedern Silben, unabhängig davon, wie viele Laute Schriftkundige in ihnen wahrnehmen, in zwei Teile: in den konsonantischen Anfang und den ‚Rest‘ (den ‚Reim‘), d.h. in die ‚Konstituenten‘ jeder Silbe.“ (Röber 2009: 13). Da diese Schreibungen bereits sehr früh lediglich Konsonantenbuchstaben enthalten, würden sich diese als Wahrnehmung der silbischen Gliederung der Wörter seitens der Kinder interpretieren lassen. Im Sinne des Leistungsvermögens der Kinder am Schriftanfang würden Konsonanten dabei nicht nur einen Laut, sondern die gesamte Silbe repräsentieren: *<MS> für <Maus>. Die vollständige Analyse der Silbe sei erst nach längerer Zeit möglich (vgl. Röber 2009: 13). Dementsprechend wird mit der PhB im engeren Sinne die Kompetenz verstan-den innerhalb eines gesprochenen Wortes nicht nur die Anfangs- und Endlau-te identifizieren zu können, sondern das gesamte Wort in seine lautlichen Bestand-teile zu gliedern (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 88).
Insgesamt bestehe weitestgehend Konsens darüber, dass die PhB nicht nur eine relevante Lernvoraussetzung darstellt, sondern auch den Verlauf des SSE prognostizieren könne. Die PhB und der SSE würden in einer Wechselwirkung zueinander stehen, indem einerseits die PhB positive Auswirkungen auf den SSE habe und andererseits der SSE zu einer Verbesserung der PhB führen würde (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 88).
3.2. Phasen des Erwerbs
Während des Erwerbs des komplexen Systems der Schriftsprache durchlaufen die Lernenden verschiedene Entwicklungsstufen. Das dreigliedrige Modell von Ute Frith (1985) wird in der sprachwissenschaftlichen Forschung zumeist als Basismodell bezeichnet. Es ist das älteste und bis heute ein weit verbreitetes Modell, welches sich zu einer überschaubaren Darstellung des basalen Entwicklungsphasen des Lesen- und Schreibenlernens eigne. Frith teile in ihrem Modell das Lesen- und Schreibenlernen in die logographemische, alphabetische und orthographische Phase ein. Da das Modell jedoch in den jeweiligen Entwicklungsphasen unter Beachtung spezifischer Aspekte, wie der Orthographie, wenig differenziert im Gegensatz zu Folgemodellen ist und eine grundlegende Abhängigkeit des Lesens und Schreibens impliziere, werde dieses Modell von einigen Forschern als abgewandelte und differenziertere Version verwendet (vgl. Thomé 2003: 371). So stellt auch Thomé ein Phasenmodell vor, welches sich zwar an Frith‘ Dreiteilung orientiert, sich jedoch gleichzeitig durch eine weitgehend getrennte Betrachtung des Lesens und Schreibens auszeichnet sowie die einzelnen Phasen spezifiziert. Da Thomé die starke Leseorientierung bei Frith ablehnt, wird die Bezeichnung der logographemischen Phase nicht übernommen. Stattdessen bezeichnet er diese erste Phase als protoalphabetisch-phonetische Phase. Die zwei folgenden Phasen werden von ihm übernommen (vgl. ebd.).
Für die erste, logographemische Phase ist bei Frith (1985) das Wiedererkennen von bekannten Wörtern charakteristisch. Dabei kann das Kind das Wort nur „lesen“, da es den Schriftzug kennt und es sinngemäß zuordnen kann (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 67). Die Buchstaben werden lediglich aufgrund des jeweiligen kontextuellen oder pragmatischen Hintergrundes als Signalcharakter erkannt. Die Graphemreihenfolge wird ignoriert und phonologische Faktoren sind zweitrangig (vgl. Frith 1985: 306).
Auf der Ebene der ersten Schreibversuche hebt Thomé hervor, dass es zu einer Verschriftung auffälliger Basisgrapheme2 kommt. Er bezeichnet diese erste Auseinandersetzung mit geschriebenen Wortbildern als protoalphabetisch-phonetische Phase. Das Interesse richte sich auf die Bedeutung der Zeichen und es komme zu Schreibungen, die ein Buchstabengerüst erkennen lassen sowie zu Verschriftung von mehreren Silbenanfängen: *<SF> für <Sofa> oder *<LMN> für <Limonade> (siehe Kapitel 3.1.). Diese Phase ist von einer unzureichenden Kenntnis der GPK-Regeln und der Orientierung an der eigenen Aussprache geprägt (vgl. Thomé 2003: 371ff.).
Mit dem Erkennen und Nachvollziehen von Phonem-Graphem-Beziehungen folge die alphabetische Phase. In dieser Phase sei das Lesen von einer Rekodierung der Buchstaben von links nach rechts geprägt, wodurch zwar neue Wörter erlesen werden könnten, dies allerdings nur sehr langsam und durch ein befremdlich wirkendes Aussprechen, da die vollständig einzellautgetreue Realisierung immer wieder vorgesprochen werde. Dieses Vorgehen stellt sich für Leseanfänger insbesondere zur Erfassung des Wortsinns als herausfordernd heraus (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 69).
Das Schreiben in der alphabetischen Phase zeichnet sich nach Thomé (2003) durch eine Lautorientierung aus, die sich vorerst phonetisch basiert und mit der unterrichtlichen Vermittlung phonologischer Lautstrukturen zunehmend phonologisch orientiert äußert. So werden am Ende der alphabetischen Phase aus Basisgraphemen bestehende Wörter nach dem phonologischen Prinzip orthographisch korrekt produziert. Wörter, die Orthographeme enthalten, werden an den entsprechenden Stellen vereinfacht: *<Flus> für <Fluss>, *<faren> für <fahren>.
Erst mit dem Eintritt der orthographischen Phase werden weitere Prinzipien des deutschen Schriftsystems neben dem des phonologischen relevant. Sowohl auf der reproduktiven als auch auf der produktiven Verarbeitungsebene der Schrift werden die Problematiken der vorangegangenen Phasen bewältigt. Es finde eine Ablösung vom sequentiellen Vorgehen beim Lesen statt, indem die Lernenden bei der Worterfassung größere Verarbeitungseinheiten entwickeln. Die sofortige Analyse von Wörtern in orthographische Einheiten ohne phonologische Umwandlung tritt in den Vordergrund, was zu einer schnelleren, flüssigeren und zuverlässigeren Lesekompetenz beiträgt (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 72f.). Zurückzuführen seien diese Fähigkeiten auf den Ausbau, die Automatisierung und die Integration der Strate-gien und Verarbeitungsmechanismen der vorangegangenen Entwicklungsstufen, die zu einer Erarbeitung eines inneren Lexikons beigetragen haben. Fortan würden Wörter in Silben, Morpheme o.ä. segmentiert und unter Rückgriff auf das innere Lexikon Wörter oder Wortsegmente unmittelbar als Lautkombination realisiert werden (vgl. ebd.: 72).
Im Kontext des Schreibenlernens fügt Thomé (2003) in seinem Modell betonend hinzu, dass es einer auf die alphabetische Phase folgende orthographischen Phase bedarf, um sich die Struktur unseres Schriftsystems erschließen zu können. Sie dient zur erfolgreichen Erschließung der Regelhaftigkeiten des Schriftsystems. Folglich ist diese Phase sowohl von erfolgreichen Verallgemeinerungen als auch von Übergeneralisierungen geprägt. Die orthographische Phase wird von Thomé in drei Stufen unterteilt. Die erste Stufe bezeichnet er als Stufe der semi-arbiträren Übergeneralisierungen. Kennzeichnend für diese Stufe sei, dass die Lernenden im Gegensatz zur alphabetischen Phase nun ebenfalls Orthographeme verwenden. Dies geschehe allerdings vielfach ohne sinnvolle Positionierung. Das Beispiel *<vrisst> für <frisst> zeige auf, dass zwar eine Entdeckung des selteneren Zeichens <v> für das Phonem /f/ stattgefunden hat. Jedoch wurde die sinnvolle Positionierung in diesem Beispiel noch nicht erschlossen, da vor dem Konsonanten <r> in der Regel kein <v> notiert wird. Die nächste Stufe wird von Thomé als Stufe der silbisch oder morphologisch orientierten Übergeneralisierungen bezeichnet. Charakteristisch für diese Entwicklungsstufe sei die Orientierung an vermeintlichen Morphemen oder die Vernachlässigung der silbischen Verhältnisse. Im Gegensatz zu dem zuvor aufgeführten Beispiel liefere die Schreibung *<vertig> für <fertig> einen erkennbaren Fortschritt in der inneren Regelbildung auf. Denn in diesem Beispiel sei das Orthographem <v> ein Bestandteil der Buchstabenfolge <ver>. Diese Verwendung lasse auf die mögliche Vermutung des Schreibers diese Buchstabenkombination als Präfix identifiziert zu haben schließen. Folglich hätte eine morphemorientierte Übergeneralisierung stattgefunden. Bei der Schreibung *<vergoßen> statt <vergossen> sei dagegen zwar eine korrekte morphematische Zuordnung zu <vergießen> vollzogen worden, allerdings konnte keine erfolgreiche Silbenanalyse durchgeführt werden, um zur richtigen Schreibung im Orthographiebereich ß-ss zu gelangen. Für die letzte Stufe der orthographischen Phase sei neben vereinzelnd auftretenden Übergeneralisierungen eine weitgehend korrekte Schreibung kennzeichnend (vgl. Thomé 2003: 374f.)
Insgesamt seien die einzelnen Entwicklungsphasen nicht getrennt zu betrachten, sondern in einer Parallelität mit hierarchischer Struktur zueinander. Demnach blieben unter der Dominanz einer Phase die Strategien zur Rechtschreibung aus vorangegangenen Phase erhalten, um auf diese bei Bedarf zurückgreifen zu können (vgl. Thomé 2003: 375).
4. Schriftstrukturen modellieren
Die Lautstruktur der deutschen Sprache ist der Kern des deutschen Schriftsystems, wodurch der SSE durch die phonologischen Merkmale des gesprochenen Sprache bedingt wird (vgl. Dahmen & Weth 2018: 131). Fibeln als ein häufig in der Primarstufe eingesetztes Lernmedium orientieren sich grundlegend an dem phonographischen Prinzip des Deutschen. Bei der vorgegebenen Lernprogression stehe eine lautorientierte Vorgehensweise im Mittelpunkt, indem Grapheme als Lautrepräsentanten eingeführt werden und demnach das Phonem als zentral für den Anfangsunterricht angesehen wird (vgl. Hochstadt, Krafft & Olsen 2015: 64). Die integrierte Arbeit mit sog. Anlaut- bzw. Buchstabentabellen soll dabei das freie Schreiben seitens der Schüler*innen im Sinne von Reichens „Lesen durch Schreiben“ (ebd: 53) ermöglichen. Allerdings steht unter anderem die Bildauswahl der Anlauttabelle in der Kritik, da sie die GPK suggerieren würden, obwohl die Bilder nicht den sprachstatistischen Gegebenheiten entsprechen würden. So sei der Rückgriff des Bildes von einem Igel, welcher mit dem Anlaut <I> stellvertretend für das das lange /i:/ fungieren soll, insofern problematisch, dass dies ein Orthographem darstellt. Stattdessen sollten die Anlautbilder sich an Basisgraphemen orientieren, um dominante Verschriftungsformen zu veranschaulichen (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 23f.). In diesem Beispiel wäre das Basisgraphem zu /i:/ in einer offenen Silbe das <ie> und müsste dementsprechend in der Anlauttabelle berücksichtigt werden (vgl. Thomé 2003: 370).
Entgegen der ausschließlichen Orientierung an einer 1:1-Beziehung zwischen Phonem und Graphem, sei in der Schuleingangsphase vielfach beobachtbar, dass Schüler*innen lediglich die Konsonanten eines Wortes schreiben, doch die Silben eines Wortes nahezu durchgängig repräsentiert werden. Zurückzuführen sei dies auf die Rolle der Silbe auf der phonologischen Ebene als kleinste Wahrnehmungseinheit der Kinder (vgl. Winkler 2004: 22). Der natürliche Sprachfluss sei an der silbischen Struktur der Wörter orientiert ist, wodurch nicht die Phoneme, sondern die Silbe eine entscheidende Einheit für das Sprechen und lautlichen Identifizierung eines Wortes darstellt (vgl. Schründer-Lenzen 2013: 33).
4.1. Silbenbasierte Lehrkonzepte
Die Silbe als sprachliche Einheit sei im Gegensatz zu anderen sprachlichen Einheiten wie Morphemen, Wörtern oder Sätzen ohne spezifisches Wissen über das System unserer Sprache identifizierbar. Viele Wörter würden sich unmittelbar und intuitiv in Silben segmentieren lassen, doch die Silbengrenzen und die Silbenzahl sei in vielen Fällen erst dann eindeutig, wenn man eine sprachliche Struktur auf die Lautfolge projiziert. Folglich hat die Silbe als sprachliche Einheit zwar eine gewisse Verankerung im Sprechsignal bzw. im Artikulationsprozess, doch die genaue Festlegung wird erst durch den Bezug auf das grammatische System einer Sprache möglich (vgl. Weingarten 2004: 6f.). Demnach stellt sich eine zweifache Bedeutung der Silbe für den SSE heraus. Denn während die Sprechsilbe artikulatorisch sowie auditiv als eine „Basiseinheit“ (Eisenberg 2020: 323) fungiert und somit für die Lernenden eine zentrale Rolle im Anfangsunterricht einnimmt, lassen sich aufgrund der Regelmäßigkeiten innerhalb der Schreibsilbe die Strukturen der Schriftsprache nachvollziehen.
Hinsichtlich der Integration silbenbasierter Methoden in die Lehrwerke hebt Hinney (2014) hervor, dass grundsätzlich zwischen zwei Ausrichtungen der Silbenkonzepte differenziert werden muss. So orientieren sich naive, intuitive Silbenmodelle grundsätzlich an der gesprochenen Sprache und die rhythmische Durchgliederung von Wörtern nach ihrer Silbenanzahl stehe im Vordergrund. Die Methoden innerhalb intuitiver Silbenmodelle seien gekennzeichnet durch eine lineare Abbildung gesprochener und geschriebener Sprache, was die Gleichsetzung der Sprech- und Schreibsilbe bedinge. Insgesamt sei der methodische Rekurs auf Sprachrhythmus und Sprechmelodie nicht linguistisch, sondern lediglich pädagogisch-psychologisch begründet (vgl. Hinney 2014: 152f.). Damit würden die intuitiven Silbenkonzepte ihre theoretische Legitimation durch psychologische Entwicklungsmodelle, wie das von Thomé, erhalten. Der natürliche Zugang zum Gesprochenen seitens der Schüler*innen ermögliche die Segmentierung des Gesprochenen in Lautketten, die zunächst skeletthafte Schreibungen ermöglichen würde, die sich sukzessiv bis zur orthographischen Stufe entwickeln würde (vgl. Röber 2015: 165). Die im Folgenden aufgeführten Methoden nach Reuter-Liehr und FRESCH können diesem intuitiven Silbenmodell zugeordnet werden. Die Methode nach Christa Röber dagegen kann sich von einem intuitiven Silbenzugriff abgrenzen. Denn schriftsystematische Modelle verwenden silbenbasierte Methoden zum Lesen und Schreiben von Wörtern unter Berücksichtigung sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse. Ziel elaborierter Silbenkonzepte sei die Vermittlung der Orthographie als systematischen Lerngegenstand, den es eigenständig zu entdecken und zu verstehen bedarf. Um diese Systematik erschließen zu können, sei die Unterscheidung von einem regelhaften Kern- und dem Peripheriebereich sinnvoll. Außerdem grenze sich dieser Ansatz von den intuitiven Silbenkonzepten insofern ab, dass sich nicht an den gestuften Entwicklungsmodellen orientiert wird. Es dürfe keinen Strategiewechsel von der alphabetischen zur orthographischen Schreibweise, keinen aufbauenden Rechtschreibunterricht geben. Vielmehr erfordere ein schriftsprachliches Lernen als bewusster Spracherwerb einen kontinuierlichen systematischen Wissenserwerb (vgl. Hinney 2014: 155).
[...]
1 Das *, der sog. Asterisk, dient zur Kennzeichnung eines fiktiven sprachlichen Zeichens, welches in der Realität nicht vorkommt (vgl. Busch & Stenschke: 65).
2 Ein Basisgraphem stellt die statistisch häufigste Graphemform dar. Orthographeme dagegen weisen ein selteneres Vorkommen auf (vgl. Thomé 2003: 370).
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- Anonymous,, 2021, Die Rolle der Silbe als Grundeinheit im Schriftspracherwerb. Ein Vergleich silbenbasierter Lehrwerke für die Grundschule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1126858
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