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Walter Grode
>Planvolle Reduktion. Das Nüchterheitsprogramm
der Naturwissenschaften<
[Erschienen in: >Lutherische Monatshefte<, Kirche im
Dialog mit Kultur, Wissenschaft und Politik, . Heft 6: Juni 1997.]
Die Vorteile, die mit der Reduzierung von Komplexität einherge-
hen, sind in unserem Alltag so offensichtich, daß wir sie kaum
mehr wahrnehmen. Wer zum Beispiel mit dem Auto eine fremde Gegend
durchfährt und ein unbekanntes Ziel sucht, orientiert sich nicht
mit Hilfe eines überdimensionalen Fotoalbums, sondern mit einer
handlichen Straßenkarte. Daß auf ihr die Ortschaften zu Kreisen
und Quadraten "generalisiert" worden sind und die Bäume und der
Wald gänzlich fortfallen, empfinden wir nicht etwa als Verlust,
sondern als Gewinn an Überblick und Zielsicherheit.
Über Jahrhunderte hinweg sind die großen Fortschritte in den
Naturwissenschaften mit einer ganz ähnlichen Reduzierung von
Komplexität einhergegangen. Die Wissenschaftsrevolutionen zu Zei-
ten von Galilei und Newton hatten bewiesen, daß Himmel und Erde
denselben Gesetzen unterliegen. Die chemische Revolution hatte
die endlosen Variationen, in denen sich Materie darstellte, auf
zweiundneunzig systematisch miteinander verbundene Elemente redu-
ziert.
Die Physik des 19. Jahrhunderts hatte mit dem Nachweis trium-
phiert, daß Elektrizität, Magnetismus und optische Phänomene
dieselben Wurzeln haben. Selbst am Ende des vergangenen Jahrhun-
derts war die Physik noch der Eckpfeiler aller Naturwissenschaf-
ten, denn sie war noch immer die einzige, die sich nicht nur mit
den kleinsten Elementen aller lebenden oder toten Materie be-
schäftigte, sondern auch mit der Beschaffenheit und Struktur der
größten Anballung von Materie, nämlich mit dem Universum.
Noch galt im wesentlichen Galileis "Nüchternheitsprogramm", daß
der Maxime folgte: >Messen was meßbar ist, und was nicht meßbar
ist, meßbar machen<. An ihm hatte sich Descartes orientiert, als
er die Vielfalt der Erdgestalt in ein zweidimensionales Koordina-
tensystem zwang und einem philosophischen Denkstil den Weg ebene-
te, den das Streben nach mathematischer Exaktheit, logischer
Strenge, theoretischer Gewißheit und moralischer Reinheit aus-
zeichnete.
[Die Krise der Physik]
Kein Wissenschaftsbereich schien feststehender, kohärenter und
methodologisch gesicherter zu sein als die Newtonsche Physik, bis
ihre Grundlagen durch die Theorien von Planck und Einstein und
durch die Transformation der Atomtheorie, die sich nach der
Entdeckung der Radioaktivität in den 1890er Jahren entwickelt
hatte, erschüttert werden sollten. Physik war objektiv, das
heißt, sie konnte angemessen observiert werden, und unterlag nur
den technischen Beschränkungen ihrer Observationsinstrumente
(also beispielsweise des optischen Mikroskops oder Teleskops).
- Arbeit zitieren
- Dr. Walter Grode (Autor:in), 1997, Planvolle Reduktion - Das Nüchterheitsprogramm der Naturwissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112377
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