Thomas Mann versucht in seinem Alterswerk „Der Erwählte“ die Gregorius- Legende auf neue und überraschende Weise noch einmal zu erzählen. Zwar orientiert er sich stark an Hartmann von Aues mittelhochdeutscher Textvorlage, „Gregorius vom Steine“ , verwendet aber moderne Prosa- Mittel, durch die er, aus der ursprünglich in Versform geschriebenen Erzählung, eine „fromme Grotesk- Legende“ zu formen versucht, was dem alten Stoff einen neuen Anstrich verleiht. Ferner arbeitet Mann neue Aspekte heraus und fügt für ihn typische Motive ein, wie z. B. das der Erwähltheit, wodurch die Legende an psychologischem Tiefgang und Facettenreichtum gewinnt. Im Großen und Ganzen hält er sich inhaltlich aber an die mittelalterliche Vorlage.
Sein Interesse scheint vorrangig dem Sprachexperiment zu gelten, da Mann im April 1948 an S. Singer schreibt: „Was ich versuche, ist wirklich das reine Experiment, vages Mittelalter, sprachlich im Internationalen schwebend [...]“. Um dieses Sprachexperiment durchzuführen, der Geschichte einen interessanten Hintergrund zu geben und dieser Authentizität zu verleihen, benutzt er zahlreiche Quellen, Bildmaterial, mittelhochdeutsche und altfranzösische Begriffe, die er in seinen Text einfügt.
Dieses von Thomas Mann als „Montagetechnik“ bezeichnete Verfahren soll in der vorliegenden Hausarbeit näher untersucht weden, wobei auch erläutert werden soll, wie die Methode funktioniert: Zunächst wird kurz auf den Umgang Thomas Manns mit der Vorlage Hartmann von Aues für sein Spätwerk „Der Erwählte“ eingegangen. Im darauf folgenden Abschnitt, „Montage“, wird ein Einblick in die vom Autor verwendeten Text- und Bildquellen gegeben und mit Hilfe von Romanauszügen gezeigt, wie diese in den Text eingebettet, bzw. montiert sind. Im zweiten Teil dieses Abschnittes sollen die verschiedenen Anwendungsbereiche bzw. Wirkungsziele der Montagetechnik in „Der Erwählte“ beleuchtet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Thomas Manns Umgang mit der Vorlage
3. Montage
3.1 Zum Begriff
3.2 Die Methodik Thomas Manns
3.3 Beispiele
3.3.1 Literaturmontage (Schlachtbeschreibung aus den Nibelungen)
3.3.2 Bildmontage
3.3.3 Sprachmontage
3.3.4 Sonstiges (Historisch-Geographische Montage: Flandern-Artois; „wissenschaftliche“ Montage: Erdmilch)
3.4 Effekte der Montage
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Sonstige Quellen
1. Einleitung
Nachdem 1947 „Doktor Faustus“ erschienen war, durch den Thomas Mann sich bereits mit dem Altdeutschen beschäftigt hatte, begann dieser im Januar des folgenden Jahres seine Arbeit an einer weiteren Fassung der mittelhochdeutschen Gregorius- Legende, dem Roman „Der Erwählte“[1].
„Ihr Melancholisches hat freilich die Sache auch, denn ich muss mir sagen: Das kommt nicht wieder. Was noch kommt, kann nur noch Nachspiel und Zeitvertreib sein, und so erwarten Sie nicht zuviel von der fromm- komischen Sünden- und Gnadenlegende, an der ich vormittags ohne viel Angelegentlichkeit bastle!“[2]
Th. Mann scheint mit der Arbeit am Erwählten Abschied vom Faustus zu nehmen. Er betrachtet die angefangene Gregorius- Erzählung mehr als „aktive Erholung“, wobei ihn vermutlich das Gnadenmotiv reizt, das nach dem Faustus zwar erschöpft, aber noch nicht abgetan zu sein scheint. Sein Interesse gilt wohl aber vorrangig dem Sprachexperiment, da Mann im April 1948 an S. Singer schreibt: „Was ich versuche, ist wirklich das reine Experiment, vages Mittelalter, sprachlich im Internationalen schwebend [...]“.
Um dieses Sprachexperiment durchzuführen, der Geschichte einen interessanten Hintergrund zu geben und dieser Authentizität zu verleihen, benutzt er zahlreiche Quellen, Bildmaterial, mittelhochdeutsche und altfranzösische Begriffe, die er in seinen Text einfügt.
Dieses von Thomas Mann als „Montagetechnik“ bezeichnete Verfahren möchte ich in der vorliegenden Hausarbeit näher untersuchen und erläutern, wie die Methode funktioniert. Zunächst werde ich kurz auf den Umgang Thomas Manns mit der Vorlage Hartmann von Aues für sein Spätwerk „Der Erwählte“ eingehen. Im darauf folgenden Abschnitt, „Montage“, wird ein Einblick in die vom Autor verwendeten Text- und Bildquellen gegeben und mit Hilfe von Romanauszügen gezeigt, wie diese in den Text eingebettet, bzw. montiert sind. Im zweiten Teil dieses Abschnittes möchte ich die verschiedenen Anwendungsbereiche bzw. Wirkungsziele der Montagetechnik in „Der Erwählte“ beleuchten.
2. Thomas Manns Umgang mit der Vorlage
Thomas Mann versucht in seinem Alterswerk „Der Erwählte“ die Gregorius- Legende auf neue und überraschende Weise noch einmal zu erzählen. Zwar orientiert er sich stark an Hartmann von Aues mittelhochdeutscher Textvorlage, „Gregorius vom Steine“[3], verwendet aber moderne Prosa- Mittel, durch die er, aus der ursprünglich in Versform geschriebenen Erzählung, eine „fromme Grotesk- Legende“[4] zu formen versucht, was dem alten Stoff einen neuen Anstrich verleiht. Ferner arbeitet Mann neue Aspekte heraus und fügt für ihn typische Motive ein, wie z. B. das der Erwähltheit, wodurch die Legende an psychologischem Tiefgang und Facettenreichtum gewinnt. Im Großen und Ganzen hält er sich inhaltlich aber and die mittelalterliche Vorlage.
Um die Geschichte des Gregorius dem Leser unterhaltsam und interessant zu vermitteln, setzt Mann einen sehr abstrakten Mönch als Erzähler ein: Dieser erhebt im „Erwählten“ den Anspruch, vor Hartmann von Aue gelebt zu haben, gibt sich als Geist der Geschichte aus und sagt, er sei die Sprache an sich, stehe also über den einzelnen Sprachen, was es dem Leser unmöglich macht, zu erkunden in welcher Sprache der irische Mönch namens Clemens der Ire, alias Morhold, in St. Gallen an Notkers Pult sitzend, die Geschichte von Gregorius, dem guten Sünder, aufschreibt. In dieser Figur spiegelt sich auch Manns Idee von einer Über- Sprache wider.
Als Schauplatz der Erzählung wählt Th. Mann ein imaginäres Herzogtum, Flandern- Artois, mit französischen Einflüssen, aber Namen, wie sie im Nibelungenlied oder im Parzival vorkommen. Auch hier unterscheiden sich Manns Roman und von Aues Dichtung, in der der Ort des Geschehens sich in Aquitanien befindet, wobei Flandern- Artois in der Nähe des Ärmelkanals (also nördlicher) liegen soll.
Mit Hilfe der vorgenommenen Änderungen möchte Th. Mann ein „im Internationalen schwebendes“, schwer zu lokalisierendes Mittelalter[5] vor Hartmann von Aues Zeit als Hintergrund der Erzählung schaffen.
3. Montage
3.1 Zum Begriff
Der Begriff „Montage“ stammt aus dem französischen und bedeutet „Zusammenfügen, Zusammenbauen.“ Ursprünglich wird er im Bereich der Filmtechnik benutzt, erhielt dann im Zuge der 2. Phase der Literaturrevolution aber auch Bedeutung in der Literatur[6][7]. Hier bezeichnet er den Vorgang des Zusammenfügens von Texten[8] bzw. Textteilen unterschiedlicher Herkunft, die sowohl auf sprachlicher, stilistischer sowie inhaltlicher Ebene differieren können, und die dann durch die Komposition ein neues Werk bilden. Die Bezeichnung Montage wurde bis in die 1960er häufig synonym mit dem Begriff der Collage (als „Bezeichnung 1. für die Technik der zitierenden Kombination von (oft heterogenem) vorgefertigtem sprachl[ichem] Material, 2. für derart entstandene literar[ische] Produkte“[9] ) verwendet, doch letzterer hat sich seit Mitte der 60er Jahre für die oben beschriebene Technik durchgesetzt.
Der russische Regisseur Sergej Eisenstein ist der Auffassung, dass Montage nicht ein „aus aufeinander folgenden Stücken zusammengesetzter Gedanke [ist], sondern ein Gedanke, der im Zusammenprall zweier voneinander unabhängiger Stücke ENTSTEHT“, nach dem gleichen Prinzip „wie in der japanischen Hieroglyphik, wo zwei selbständige ideographische Zeichen (‚Bildausschnitte’) nebeneinander gestellt zu einem Begriff explodieren.“[10] Diese von dem berühmten Pionier des Films geäußerte Auslegung des Begriffs lässt sich wohl problemlos auf die Literatur übertragen.
Teilweise ist eine Abgrenzung zu dem Begriff der „Intertextualität“ meines Erachtens nach schwierig. Denn um erkennen zu können, ob es sich tatsächlich um Montage handelt, muss sie vom Monteur in irgendeiner Art und Weise kenntlich gemacht sein[11], es sei denn man überlässt die (Wieder-) Erkenntnis dem Zufall.
[...]
[1] Für diese Arbeit: Mann, Thomas: Der Erwählte. 26. Aufl., Frankfurt a. M.: Fischer 2002.
[2] Thomas Mann am 17.3.1948 in einem Brief an Agnes E. Meyer, in: Mann, Thomas: Selbstkommentare: >Der Erwählte<. Informationen und Materialien zur Literatur. Hrsg. von Hans Wysling. Frankfurt a. M.: Fischer 1989.
[3] In etwa entstanden zwischen 1187 und 1189 oder zwischen 1190 und 1197.
[4] Thomas Mann an Samuel Singer am 13.2.1948, a.a.O.
[5] Vgl. Th. Mann an Hans Reisiger am 19.12.1948: „Seit einiger Zeit schreibe ich an einer prosaischen Neu- Bearbeitung von Hartmann von Aues >Gregorius auf dem Stein<, - amusant (sic!) durch die Imagination eines phantastischen, übernationalen (auch sprachlich) Mittelalters [...] “
[6] Vgl. Metzler-Literatur-Lexikon: Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Günther und Irmgard Schweikle. 2., überarb. Aufl., Stuttgart: Metzler 1990. „Montage“, S.310. Beispiele für Montage kann man in allen literarischen Gattungen finden, so in der Lyrik u.a. bei Gottfried Benn oder Hans Magnus Enzensberger, im Drama (bspw. Bei G. Kaiser und F. Bruckner) und auch in der Erzählprosa bei Alfred Döblin.
[7] Auch in der bildenden Kunst hat der Begriff seit Beginn des 20. Jahrhunderts Bedeutung erhalten. „Mit dem Namen Montage bezieht der Künstler des 20. Jahrhunderts eines seiner neuen Verfahren auf die Sphäre der materiellen Produktion – nicht selten im Widerspruch zu dem behaupteten autonomen Status seiner Arbeit.“ Aus: Jürgens-Kirchhoff, Annegret: Technik und Tendenz der Montage in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. Lahn-Giessen: Anabas 1978.
[8] Wie man bei Thomas Mann erkennen mag, kann unter „Text“ auch durchaus ein Gemälde zu verstehen sein, dessen Beschreibung er für bestimmte Szenen nutzt (wie z.B. die Papstaudienz der Sybilla, worauf ich unter Punkt 3.3.2 noch näher eingehen werde). Als möglicherweise zu montierender Text ist ebenso gut die Antwort eines Experten auf eine Frage Thomas Manns zu werten bzw. eventuell gar „Wissen“ schlechthin, sollte es sich extra für die Komposition des Werkes angeeignet worden sein (wie z.B. das Erdmilch-Motiv.)
[9] Metzler-Literatur-Lexikon, „Collage“, S.83.
[10] Eisenstein, Sergej M. Zitiert aus: Albersmeier, Franz-Josef (Hrsg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart: Reclam 1998, S.275.
[11] Sei es durch Selbstkommentare, Werktagebücher, Materialsammlungen oder anderweitiger Mitteilung.
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