Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, nach Betrachtung zurückliegender Entwicklungen streitige Fragen im Spannungsfeld zwischen dem am 01.08.2001 in Kraft getretenen Lebenspartnerschaftsgesetz und der Regelung des Art. 6 GG, dort genauer des „besonderen Schutzes der Ehe und Familie“, zu untersuchen. Vor allem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07. 2002 soll in diesem Zusammenhang einer kritischen Analyse unterzogen werden. Zunächst soll in einem ersten Abschnitt auf die Entwicklung des rechtlichen Umgangs mit Homosexualität und den sich daraus im Laufe der Zeit ergebenen gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eingegangen werden. Dieser Blick wird bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen und sich bis zu den letzten bis jetzt unternommenen Schritten mit dem Ziel der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher mit verschiedengeschlechtlicher Lebensgemeinschaften erstrecken.
In einem dann folgenden zweiten Teil wird es darum gehen, das Verständnis und die Auslegung von Art. 6 I GG, auch gegenüber einem möglichen Eingriff durch das LPartG, durch Literatur und Verfassungsrechtsprechung bis zum aktuellen Urteil zu betrachten.
Daran anknüpfend widmet sich ein dritter Abschnitt dem im Zentrum dieser Arbeit stehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.2002. Hier wird eine kritische Betrachtung insbesondere der Argumentation über die Verletzung von Art. 6 I GG durch das LPartG stattfinden. So werden auf der einen Seite die Argumentationslinien des erkennenden Senats und auf der anderen Seite die Positionen der Antragsteller der Normenkontrollanträge nachzuzeichnen sein. Die gleichfalls sehr interessante Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit des LPartG im Hinblick auf die Aufspaltung der Gesetzesmaterie wird nur relativ knapp betrachtet.
Gliederung
Literaturverzeichnis
A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
I. Ziel der Arbeit
II. Gang der Arbeit
B. Entwicklung des rechtlichen Umgangs mit Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
I. Pönalisierung von Homosexualität
II. Ende der Pönalisierung von Homosexualität
III. Von der Entpönalisierung der Homosexualität zur rechtlichen Organisation gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften
1. Anstoß durch die Europäische Union
2. Entwicklung in Deutschland zur Schaffung eines Gesetzes zur Regelung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften
IV. Häufigkeit und „Qualität“ von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
1. Häufigkeit gleichgeschlechtlicher Partnerschaften
2. „Qualität“ von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
C. Verständnis und Auslegung von Art. 6 I GG durch Literatur und Verfassungsrechtsprechung im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften und das LPartG
I. Mehrdimensionalität des Art. 6 I GG
1. Institutsgarantie in Art. 6 I GG
2. Abwehr-/Freiheitsrecht in Art. 6 I GG
3. Wertentscheidende Grundsatznorm in Art. 6 I GG
II. Unterschiedliche Auffassungen zum Eingriff in die Dimensionen des Art. 6 I GG durch das LPartG in der Literatur
1. Kein Eingriff durch das LPartG in Art. 6 I GG
a) ... in die Dimension „Institutsgarantie“
b) ... in die Dimension „Abwehr-/Freiheitsrecht“
c) ... in die Dimension „wertentscheidende Grundsatznorm“
2. Eingriff durch das LPartG in Art. 6 I GG
a) ...in die Dimension „Institutsgarantie“
b) ... in die Dimension „wertentscheidende Grundsatznorm“
III. Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts bis zum 17.07.2002
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 17.07.2002
I. Die zum Urteil führende Entwicklung
II. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.2002 im Einzelnen
1. Formelle Verfassungswidrigkeit/-mäßigkeit des LPartDisBG
a) Die Position der Antragsteller
b) Die Position des Bundesverfassungsgerichts
2. Materielle Verfassungswidrigkeit/-mäßigkeit des LPartDisBG im Hinblick auf Art. 6 I GG
a) Die Position der Antragsteller
b) Die Position des Bundesverfassungsgerichts
aa) Eheschließungsfreiheit
bb) Institutsgarantie
cc) Wertentscheidende Grundsatznorm
c) Die Minderheitsvoten des Richters Papier und der Richterin Haas
d) Bewertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.2002
E. Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und verbleibende offene Fragen
I. Auswirkungen
II. Verbleibende offene Fragen
F. Schlussbemerkung: Ergebnisse der Arbeit und Schlussthese
I. Öffnung des Eheverständnisses
II. Keine Analyse im Einzelnen
III. Schlussthese
Literaturverzeichnis
Badura, Peter Staatsrecht: Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., München, 1996
Beck, Volker Die verfassungsrechtliche Begründung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft; in: NJW 2001, S. 1894 ff.
Blazek, Helmut Rosa Zeiten für rosa Liebe – Geschichte der Homosexualität, Frankfurt/Main, 1996
Bleckmann, Albert Staatsrecht II – Die Grundrechte, unter Mitarbeit von Ingo Erberich, Sabine Schmeinck und Heinz-Gerd Suelmann, 4. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München, 1997
Braun, Johann „Ein neues familienrechtliches Institut“ – Zum Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes; in: JZ 2002, S. 23 ff.
Braun, Johann/ Schriftsatz Normenkontrollantrag der Staatsregierung
Würtenberger, Thomas Sachsen und der Landesregierung Thüringen gegen das „Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“ vom 16.02.2001; 15.06.2001
Ebenda Schriftsatz Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Staatsregierung des Freistaates Sachsen; 15.06.2001
Bruns, Manfred Stellungnahme zu der Anhörung des Rechtsausschusses am 19.09.2000
Buba, H. P./ Benachteiligung gleichgeschlechtlich orientierter
Vaskovics, L. A. (Hrsg.) Personen und Paare – Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz; unter Mitarbeit von D. Becker, H. Weiß; Köln, 2001
Cirkel, Johannes Gleichheitsrechte im Gemeinschaftsrecht; in: NJW 1998, S. 3332 f.
Coester-Waltjen, Dagmar Stellungnahme zu der Anhörung des Rechtsausschusses am 19.09.2000
Diederichsen, Uwe Homosexuelle – von Gesetzes wegen?; in: NJW 2000, S. 1841 ff.
Deutscher Bundestag Bundestagsdrucksache 12/7069 vom 10.03.1994:
Unterrichtung des Bundestags durch das Europaparlament
Ebenda Bundestagsdrucksache 14/1259 vom 23.06.1999:
Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion – Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse eingetragener Lebenspartnerschaften (Eingetragene-Lebenspartnerschaften-Gesetz – ELPSchG)
Ebenda Bundestagsdrucksache 14/3751vom 04.07.2000:
Gesetzentwurf der SPD- und Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion – Entwurf eines Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG)
Ebenda Bundestagsdrucksache 14/4545 vom 08.11.2000:
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
Ebenda Bundestagsdrucksache 14/4550 vom 09.11.2000:
Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
Ebenda Bundestagsdrucksache 14/4875 vom 05.12.2000:
Unterrichtung durch den Bundesrat – Gesetz zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz – LPartGErgG) – Drucksachen 14/3751, 14/4545, 14/4550)
Ebenda Bundestagsdrucksache 14/4878 vom 05.12.2000:
Antrag der SPD- und Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion – Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze (Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsge-setz – LPartErgG) – Drucksachen 14/3751, 14/4545, 14/4550, 14/4875
Eggen, Bernd Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl 2001, 2002
Freytag, Christiane Lebenspartnerschaftsgesetz, Eheschutzgebot und Differenzierungsgebot – Eine verfassungsrechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung der neuesten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache; in: DÖV 2002, S. 445 ff.
Friauf, Karl Heinrich Verfassungsgarantie und sozialer Wandel, in: NJW 1986, S. 2595 ff.
Isensee, Josef/ Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik
Kirchhof, Paul (Hrsg.) Deutschland; Herausgegeben von Josef Isensee und Paul Kirchhof, diverse Bearbeiter; Band VI: Freiheitsrechte, 2. Aufl., Heidelberg, 2001
Jarass, Hans D./ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland:
Pieroth, Bodo Kommentar, 5. Aufl., München, 2000
Kinggreen, Thorsten Das Grundrecht von Ehe und Familie; in: JURA 1997, S. 401 ff.
Krings, Günter Die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ für gleichgeschlechtliche Paare; in: ZRP 2000, S. 409 ff.
Maunz, Theodor (Begr.)/ Deutsches Staatsrecht: ein Studienbuch, 30. Aufl.,
Zippelius, Reinhold München, 1998
Muscheler, Karlheinz Das Recht der Eingetragenen Lebenspartnerschaft: Begründung – Rechtsfolgen – Aufhebung – Faktische Partnerschaft, Berlin, 2001
Papier, Hans-Jürgen Ehe und Familie in der neueren Rechtsprechung des BVerfG; in: NJW 2002, S. 2129 ff.
Pawlowski, Hans-Martin Zur Einführung gesetzlicher Regelungen für eingetragene (gleichgeschlechtliche) Lebenspartnerschaften; in: JZ 2000, S. 765 ff.
Pieroth, Bodo/ Grundrechte – Staatsrecht II, 16. Aufl., Heidelberg,
Schlink, Bernhard 2000
Rath, Christian „Schutz der Ehe braucht kein Privileg“ – Artikel in der Schwäbischen Zeitung vom 18.07.2002 (Nr.164)
Robbers, Gerhard Eingetragene Lebenspartnerschaften – Verfassungsrechtliche Überlegungen; in: JZ 2001, S. 779 ff.
Roellecke, Gerd Kommentar „Kommen Kinder aus der Klinik“; in: NJW 2002, S. 2539 f.
Sachs, Michael Rechtsförmliche Lebenspartnerschaften für Menschen gleichen Geschlechts – Verfassungsgebot oder Verfassungsverstoß?; in: JR 2001, S. 45 ff.
Schmidt-Bleibtreu, Bruno/ Kommentar zum Grundgesetz, unter Mitarbeit
Klein, Franz von Hans Bernhard Brockmeyer, Christoph Kannengießer und Rüdiger Sannwald, 9. Aufl., Neuwied/Kriftel, 1999
Scholz, Rupert/ „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ und
Uhle, Arnd Grundgesetz; in: NJW 2001, S. 393 ff.
Statistisches Bundesamt Leben und Arbeiten in Deutschland – Ergebnisse des Mikrozensus 2001, Presseexemplar
Stein, Ekkehart/ Staatsrecht, 17. Aufl., Tübingen, 2000
Frank, Götz
Stümke, Hans-Georg Homosexuelle in Deutschland – Eine politische Geschichte, München, 1989
A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
I. Ziel der Arbeit
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, nach Betrachtung zurückliegender Entwicklungen streitige Fragen im Spannungsfeld zwischen dem am 01.08.2001 in Kraft getretenen Lebenspartnerschaftsgesetz[1] und der Regelung des Art. 6 GG, dort genauer des „besonderen Schutzes der Ehe und Familie“, zu untersuchen. Vor allem das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07. 2002 soll in diesem Zusammenhang einer kritischen Analyse unterzogen werden.
II. Gang der Arbeit
Zunächst soll in einem ersten Abschnitt auf die Entwicklung des rechtlichen Umgangs mit Homosexualität und den sich daraus im Laufe der Zeit ergebenen gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eingegangen werden. Dieser Blick wird bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen und sich bis zu den letzten bis jetzt unternommenen Schritten mit dem Ziel der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher mit verschiedengeschlechtlicher Lebensgemeinschaften erstrecken.
In einem dann folgenden zweiten Teil wird es darum gehen, das Verständnis und die Auslegung von Art. 6 I GG, auch gegenüber einem möglichen Eingriff durch das LPartG, durch Literatur und Verfassungsrechtsprechung bis zum aktuellen Urteil zu betrachten.
Daran anknüpfend widmet sich ein dritter Abschnitt dem im Zentrum dieser Arbeit stehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.2002. Hier wird eine kritische Betrachtung insbesondere der Argumentation über die Verletzung von Art. 6 I GG durch das LPartG stattfinden. So werden auf der einen Seite die Argumentationslinien des erkennenden Senats und auf der anderen Seite die Positionen der Antragsteller der Normenkontrollanträge nachzuzeichnen sein. Die gleichfalls sehr interessante Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit des LPartG im Hinblick auf die Aufspaltung der Gesetzesmaterie wird nur relativ knapp betrachtet.
In einem vierten Teil werden mögliche Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dargestellt. Außerdem wird dargelegt, welche offenen Fragen infolge des bisher aufgrund
der fehlenden Zustimmung des Bundesrats noch nicht in Kraft gesetzten LPartGErgG bleiben.
In einer Schlussbemerkung soll schließlich die neueste Karlsruher Rechtsprechung in die frühere eingeordnet werden und es sollen Ergebnisse und Thesen der Arbeit genannt werden.
B. Entwicklung des rechtlichen Umgangs mit Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
I. Pönalisierung von Homosexualität
Über lange Zeit der deutschen Geschichte war Homosexualität bzw. dazu in Verbindung stehende Handlungen unter Strafe gestellt. So bestimmte § 175 des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechtes oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“ Das Reichgericht legte die Vorschrift aber von Beginn an relativ eng aus, indem es nur beischlafähnliche Handlungen als von ihr erfasst sah[2]. Besonders problematisch war die Anwendung der Vorschrift aufgrund der Tatsache, dass die von ihr unter Strafe gestellten Handlungen meistens in gegenseitigem Einverständnis und nach entsprechender Absprache zwischen den Betroffenen erfolgten[3]. In Zeiten des Dritten Reichs verstärkte sich dann die Verfolgung von Homosexuellen massiv. § 175 StGB wurde durch ein Reichsgesetz vom 28.6.1935 verschärft, statt „widernatürlicher Unzucht“ war in der Vorschrift nur noch von „Unzucht“ die Rede. Gleichzeitig wurde durch die Einführung des § 175 a StGB ein Qualifikationstatbestand des § 175 StGB geschaffen, der bestimmte homosexuelle Handlungen, insbesondere die Verführung Jugendlicher, zum Verbrechen hochgestuft. Aufgrund dieser Gesetzesverschärfungen nahm die Verfolgung Homosexueller zahlenmäßig gewaltige Ausmaße an: 1933 kam es zu 853 Verurteilungen nach § 175 StGB, 1938 waren es bereits 8562[4]. Auch nach Niedergang des Dritten Reichs, also nach 1945, schloss der BGH an die späte nationalsozialistische Judikatur an[5]. Am 10.5. 1957 stellte das Bundesverfassungsgericht, sich berufend auf das Sittengesetz, die Verfassungsmäßigkeit des § 175 StGB fest[6]. In den 50er und 60er Jahren kam es so zu 44.231 Verurteilungen nach § 175 StGB[7] – die Verfolgung Homosexueller hatte ihren Höhepunkt erreicht.
[...]
[1] Im Folgenden abgekürzt mit LPartG.
[2] RGSt 1, 395 (396); 2, 237 (238); 20, 225.
[3] Muscheler, Rn 1.
[4] Muscheler, Rn 1.
[5] BGHSt 4, 323 (324); 8, 1 (2).
[6] BVerfGE 6, 389.
[7] Muscheler, Rn 2.
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