Diese Arbeit ist in drei Teilaufgaben unterteilt. Die erste Teilaufgabe behandelt die sokratische Gesprächsführung im Kontext der Therapie und Beratung. Dabei wird zunächst auf den historischen Kontext eingegangen, um anschießend u. a. mögliche Einsatzfelder der Methode und Wirkfaktoren auf die Resilienz herauszuarbeiten.
Im Rahmen der zweiten Teilaufgabe werden der kognitiv-behaviorale Beratungsansatz und der klientenzentrierte Beratungsansatz miteinander verglichen. Der Fokus liegt hierbei insbesondere auf den grundverschiedenen Menschenbildern der beiden Ansätze.
In der letzten Teilaufgabe wird die Beratung von der Psychotherapie abgegrenzt, um ein eigenständiges Selbstverständnis der Beratung herauszuarbeiten. Erläuterte Abgrenzungsmerkmale werden zuletzt an zwei verschiedenen Fallbeispielen veranschaulicht.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Die sokratische Gesprächsführung in der Gesundheitsberatung
1.1 Einordnung und Ursprung
1.2 Das Modell des (psychotherapeutischen) sokratischen Dialogs
1.3 Förderung der Resilienz
2. Vergleich zweier Beratungsansätze
2.1 Kognitiv-behavioraler Ansatz
2.2 Klientenzentrierter Ansatz
2.3 Vergleich beider Ansätze
3. Beratung in Abgrenzung zur Psychotherapie
3.1 Definition und Abgrenzung beider Begriffe
3.2 Fallbeispiel zur Psychotherapie
3.3 Fallbeispiel zur Beratung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Stimulus-Response-Modell des frühen Behaviorismus
Abb. 2 Erweiterung des Verhaltensmodell der kognitiven Behavioristen
Abkürzungsverzeichnis
DGfB. Deutsche Gesellschaft für Beratung
PsychThG. Psychotherapeutengesetz
BMFSFJ. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
1. Die sokratische Gesprächsführung in der Gesundheitsberatung
Die folgende Teilaufgabe behandelt die Methode der sokratischen Gesprächsführung. Zunächst erfolgt eine knappe Einführung in das Thema mit der Schilderung des historischen Kontextes, um anschließend eine moderne Abwandlung des antiken sokratischen Dialogs zu beschreiben, welche in Therapie und Beratung eingesetzt wird. Darauf aufbauend soll die Wirkung der sokratischen Methode auf die Resilienz herausgearbeitet sowie mögliche Faktoren zur Förderung dargestellt werden.
1.1 Einordnung und Ursprung
Der sokratische Dialog reicht zurück ins 5. Jh. v. Chr. Ursprünglich ist er eine philosophische Unterrichtsmethode zur Förderung eigenverantwortlichen Denkens. Dies soll erzielt werden, indem der Gesprächspartner zur Reflexion und Selbstbesinnung angeleitet und zur Überprüfung von übernommenen Normen und Werten angeregt wird. (Stavemann, 2015, S. 11)
Ihren Namen verdankt die Methode dem antiken Philosophen Sokrates, welcher seiner Zeit versuchte, Dialogpartner bei der Suche nach ihrer persönlichen Wahrheit zu unterstützen. Aus einer unwissenden Haltung heraus hinterfragte er so lange angebliches Wissen um moralische Normen und Begriffe seiner Gesprächspartner, bis diese schließlich in einen „Zustand innerer Verwirrung“ gerieten. (Stavemann, 2015, S. 30-31) Widersprüche und Lücken ihrer eigenen Argumentation zeigten den Dialogpartnern letztlich ihr eigenes „Nicht-Wissen“ auf. Diese massive Verwirrung sah Sokrates als Ausgangspunkt, um zu tieferen Einsichten vordringen zu können und verschüttetes Wissen wiederzuentdecken. (Stavemann, 2015, S. 31) Später wurde diese Technik auch als Mäeutik oder zu Deutsch „Hebammenkunst“ betitelt, da Sokrates seinem Gegenüber wie eine Hebamme hilft, die Wahrheit aus sich selbst heraus bzw. aus eigener Vernunft zu gebären. (Birnbacher & Krohn, 2002, S. 7)
Im 20. Jhd. wurde der sokratische Dialog in Form des „sokratischen Gesprächs“ von L. Nelson und dessen Schüler G. Heckmann aufgegriffen. Es handelt sich hierbei um eine Erweiterung des Dialogs zum Gruppengespräch, in der jeder Teilnehmer als „Hebamme“ für jeden anderen fungieren kann. (Birnbacher & Krohn, 2002, S. 7-8) Da in dieser Teilaufgabe der Fokus auf dem Einsatz in der Gesundheitsförderung und -beratung liegt, stützt sich das nachfolgende Kapitel insbesondere auf die psychotherapeutische sokratische Gesprächsführung, die von H. H. Stavemann (2015) im Detail erläutert wird.
1.2 Das Modell des (psychotherapeutischen) sokratischen Dialogs
Im Folgenden sollen wichtige Aspekte des (psychotherapeutischen) sokratischen Dialogs erläutert werden. Zunächst werden die drei unterschiedlichen Dialogformen knapp beschrieben und anschließend das übergreifende Wesen der sokratischen Dialoge geschildert. Hierfür wird u. a. auf den charakteristischen Gesprächsstil sowie verschiedene Gesprächsstrategien und -techniken eingegangen. Der abschließende Abschnitt ist der Wirkung und den Einsatzfeldern der Methode gewidmet. Es sei darauf hingewiesen, dass der im Folgenden geschilderte (psychotherapeutische) Dialog ebenso auf den Beratungskontext übertragbar ist und ausschließlich zur Einfachheit die Bezeichnung „Therapeut“ gewählt wurde.
Laut Stavemann (2015) ist das übergeordnete Ziel der psychotherapeutisch-sokratischen Gesprächsführung, „den Klienten durch geleitetes, strukturiertes Reflektieren tiefere Einsichten und Erkenntnisse zu ermöglichen, um ihnen damit zu eigenverantwortlichen Lösungen für ihre individuellen Probleme und lebensphilosophischen Fragestellungen und zu einem selbstbestimmten, widerspruchsfreien Leben zu verhelfen.“ (S. 93) Im psychotherapeutischen bzw. beraterischen Kontext wird dabei zwischen drei Arten von Dialogen unterschieden, die jeweils zur Beantwortung unterschiedlicher Fragetypen dienen: Der explikative sokratische Dialog wird zur Klärung von Begriffen herangezogen und soll die Frage „Was ist das?“ beantworten. I. d. R. beginnt ein solcher Dialog mit einer konkreten Fragestellung aus dem Alltag des Klienten. Eine typische Frage könnte lauten: „Was ist eine gute Mutter?“ Am Ende des Dialogs werden dysfunktionale Überzeugungen mit einer gemeinsam erarbeiteten funktionalen Definition des Begriffs ersetzt, die der individuellen Wahrheit des Klienten entspricht und im Einklang mit seinen individuellen Normen, Zielen und Vorstellungen ist. (Stavemann, 2015, S. 99-100) Der normative sokratische Dialog für moralische Angelegenheiten und Konflikte beschäftigt sich mit der Frage „Darf ich das?“. Es wird geklärt, ob bestimmte Einstellungen oder Handlungen des Klienten unter Einbezug seines individuellen Wertesystems und Sozialisationshintergrundes moralisch vertretbar sind oder nicht. Ziel des Dialogs ist das Auflösen moralischer Konflikte, indem ethisch-moralische Argumente gesammelt und abgewägt werden. Eine typische Frage ist: „Darf ich lügen, wenn es mir nützt?“ (Stavemann, 2015, S. 101) Die letzte Alternative ist der funktionale sokratische Dialog, welcher die Frage „Soll ich das?“ behandelt. Die Methode wird bei Zielfragen und -konflikten eingesetzt, also bei der Frage, ob eine Einstellung oder Handlung des Klienten unter Einbezug seiner übergeordneten (Lebens-)Ziele sinnvoll ist oder nicht. Dazu werden die konfligierenden Ziele gegeneinander abgewägt und anschließend hierarchisch angeordnet, sodass kenntlich wird, welches der Ziele wichtiger ist. Ein Alltagbeispiel wäre die Frage: „Soll ich meinen sicheren Arbeitsplatz zu Gunsten eines interessanten Stellenangebots aufgeben?“ (Stavemann, 2015, S. 104)
Allen drei Formen der sokratischen Gesprächsführung ist gemein, dass sich der Gesprächsstil durch totale Abstinenz dogmatischer Wissensvermittlung auszeichnet. Der Therapeut vermeidet also, neue Wahrheiten zu lehren. Er begleitet den Klienten bei seiner individuellen Wahrheitsfindung, wie es für die Mäeutik charakteristisch ist. Dafür nimmt der Therapeut eine offene, geduldige, um Verständnis des Klienten bemühte, akzeptierende Haltung ein und versucht die Gedanken des Klienten zum ausgewählten Thema nachzuvollziehen. Selbst bei aufkommenden Widersprüchen und Unstimmigkeiten äußert der Therapeut keine Kritik, sondern bemüht sich weiterhin um eine möglichst neutrale Haltung. (Stavemann, 2015, S. 97) Neben dieser besonderen Grundhaltung des Therapeuten ist ebenso die prozesshafte und strukturierte Kombination verschiedener Gesprächsstrategien von großer Bedeutung. Das Repertoire des Therapeuten umfasst viele verschiedene Frage- und Disputtechniken sowie die regressive Abstraktion als Dialogtechnik. (Stavemann, 2015, S. 98) Zu den Fragetechniken zählen u. a. Explorationsfragen, auf Erkenntnis zielende Fragen, Fragen zum Verständnis kognitiver Konzepte und Fragen zum Prüfen kognitiver Konzepte. Letztere sind für die sokratische Gesprächsführung besonders relevant und werden häufig als Disputtechniken bezeichnet. Die Disputtechniken umfassen empirische, logische, normative, funktionale und hedonistische Dispute. Wie die einzelnen Bezeichnungen vermuten lassen, werden mithilfe dieser Techniken Behauptungen, Schlussfolgerungen, vermutete Konsequenzen, Prinzipien oder Überzeugungen des Klienten auf Rationalität, Logik, Normkonfirmität, Funktionalität und Hedonismusorientierung untersucht. (Stavemann, 2015, S. 108) Eine weitere wichtige Strategie ist die regressive Abstraktion, also der Rückschluss vom Einzelnen zum Allgemeinen (Raupach-Strey, 2002, S. 122), indem Begriffe zunächst in ihre Elemente zerlegt werden, um anschließend zu den Grundbegriffen aufzusteigen. (Nelson, 2002, S. 59-60) Diese Methode eignet sich folglich für begriffsbestimmende Klärungsprozesse, wobei beachtet werden sollte, dass Therapeut und Klient nicht zu einem Konsens kommen müssen. In Paar-, Familien- oder Gruppentherapien kann jedoch eine gemeinsame Definition bestimmter Begriffe (z. B. Treue) zu einer Verbesserung der gemeinsamen Kommunikationsgrundlage beitragen. (Stavemann, 2015, S. 113)
Mithilfe der sokratischen Methode können deutliche, nachhaltige und veränderungsresistente kognitive Umstrukturierungen erzielt werden, was sie zu einem wirksamen Instrument im Rahmen von Beratung und Psychotherapie macht. Da der Klient selbst seine dysfunktionalen Überzeugungen durch funktionale Erkenntnisse ersetzt, wird der Klient auf diese Veränderungen i. d. R. nicht mit Widerstand reagieren. Der Klient lernt Eigenverantwortung zu übernehmen, selbstständig zu denken und dadurch insgesamt auch resistenter gegen Manipulation durch Außenstehende zu sein. (Stavemann, 2015, S. 116) Diese Aspekte tragen wiederum zur allgemeinen Stärkung des Selbstvertrauens bei. (Wittke, Kamal, Aghoutane & Karim, 2014, S. 55) Zusammenfassend werden im Rahmen der sokratischen Methode also wichtige Grundlagen für eine psychisch gesunde Lebensweise erarbeitet. Die gewonnenen Fähigkeiten, wie Eigenverantwortung und Selbstbestimmung können vom Klienten eingesetzt werden, um eigene Lebensinhalte, Lebensziele und moralische Normen festzulegen. (Stavemann, 2015, S. 115)
Schon die Nachfolger Sokrates haben erwiesener Maßen die sokratische Gesprächsführung zur Bearbeitung emotionaler Probleme genutzt. Heutzutage werden sokratische Dialoge v. a. in humanistischen Therapieformen angewendet, sind aber sowohl in verschiedenen psychoanalytischen, tiefen- und individualpsychologischen Schulen als auch bei Gesprächs- und den Kognitiven (Verhaltes-)Therapien sinnvoll einzusetzen. (Stavemann, 2015, S. 115) Außerhalb des psychotherapeutischen Rahmens ist die sokratische Gesprächsführung ebenso relevant für Beratungs- und Coachingsituationen (Stavemann, 2015, S. 115) Die sokratische Gesprächsführung eignet sich je nach Kontext ebenso gut für Einzelgespräche, wie auch für Paar- oder Gruppensettings. Die Methode ist v. a. dann nützlich, wenn es um Begriffsklärungen geht, wenn Denkweisen oder Handlungen auf Moralkonformität oder Zieladäquatheit untersucht werden sollen, wenn Eigenverantwortung bei Entscheidungs- bzw. Lösungsfindung gefördert werden soll oder die Reflexionsfähigkeit des Klienten bezüglich bestimmter Themen angeregt werden soll. (Stavemann, 2015, S. 117) Die Methode wird überdies häufig im Rahmen der Behandlung depressiver Störungen zur kognitiven Umstrukturierung angewendet. (Koentges, 2020, S. 1650)
1.3 Förderung der Resilienz
In diesem Kapitel soll nun erarbeitet werden, wie die Resilienz mithilfe der sokratischen Gesprächsführung beeinflusst werden kann. Hierfür wird zunächst das Konstrukt der Resilienz und zugehörige Begriffe erläutert sowie ausgewählte Aspekte vertieft. Insbesondere Möglichkeiten zur Förderung der Resilienz werden genauer beschrieben, um mögliche Ansatzpunkte aufzuzeigen.
Als Resilienz, seelische oder auch psychische Widerstandskraft wird in der Psychologie die Fähigkeit zu Belastbarkeit und innerer Stärke verstanden (Stangl, 2021). Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Resilienz um einen variablen und kontextabhängigen Prozess handelt, der lebenslang förderbar ist. Der Resilienz-Ansatz zählt aufgrund dessen zu den wichtigsten Grundlagen der Präventionsarbeit. (Ölsböck, 2013, S. 103) Insbesondere in Therapie und Beratung wird deshalb verstärkt versucht Resilienz auszubilden, um präventiv gegen psychische Störungen und andere persönliche Probleme vorzugehen. (Stangl, 2021)
Eine einheitliche Definition für den Begriff Resilienz existiert bisher allerdings nicht. Warner (2020) bezeichnet die Resilienz z. B. knapp als „Widerstandsfähigkeit eines Individuums, sich trotz ungünstiger Lebensumstände und kritischer Lebensereignisse erfolgreich zu entwickeln.“ (S. 1517) Dies zeigt sich darin, dass eine Person seine normale Befindlichkeit nach einer stressreichen bzw. traumatischen Erfahrung wiederherstellen kann. (Warner, 2020, S. 1517) Resilienz ist also mit zwei Bedingungen verknüpft: Es besteht eine Risikosituation (1) und das Individuum bewältigt diese dennoch positiv (2). (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2018, S. 62) Anschaulicher ausgedrückt entwickelt ein Individuum Resilienz nicht trotz, sondern gerade aufgrund widriger Umstände wie Armut, Gewalt und anderen Herausforderungen. (Stangl, 2021)
Dabei ist zu beachten, dass Resilienz sich nicht auf bestimmte Charaktereigenschaften reduzieren lässt, da es vielmehr auf einem komplexen Wechselspiel zwischen Risiko- und Schutzfaktoren basiert. (Stangl, 2021) Diese Faktoren können stabil oder variabel sein und darüber hinaus neurobiologischer, psychologischer oder sozialer Natur sein. (Schmidt & Schultze-Lutter, 2020, S. 119) Bei den Risikofaktoren werden personen- bzw. kindbezogene Risikofaktoren (Vulnerabilitätsfaktoren) und umweltbezogene Risikofaktoren (Stressoren) differenziert. Genauso wird bei den Schutzfaktoren unterschieden zwischen personenbezogenen (Assets) und umweltbezogenen (Ressourcen), da diese die Resilienz auf unterschiedlichen Ebenen beeinflussen. Bei Interventionen zur Resilienzförderung liegt der Fokus meist auf den sog. Assets. Kompetenzen wie Problemlösefertigkeiten oder Selbstmanagement sollen u. a. im Rahmen von Achtsamkeits-, Entspannungsübungen und kognitiven Umstrukturierungen ausgebaut und geschult werden. (Schmidt & Schultze-Lutter, 2020, S. 120) Laut Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2018) sind auf personaler Ebene sechs Kompetenzen besonders relevant, um Krisensituationen und Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Dazu zählen Selbst- und Fremdwahrnehmung (1), Selbstregulation (2), Selbstwirksamkeit (3), Soziale Kompetenz (4), aktive Bewältigungskompetenzen (5) sowie Problemlösen (6). (S. 63) Diese personenbezogenen Schutzfaktoren überschneiden sich z. T. mit den Fähigkeiten, die dem Klienten im Rahmen von sokratischen psychotherapeutischen Dialogen angeeignet werden. Bei den Schutzfaktoren, die im folgenden Abschnitt aufgegriffen werden, ergeben sich besonders eindeutige Einflussmöglichkeiten im Rahmen sokratischer Dialoge:
Ein erster förderlicher Aspekt ist die Selbstwahrnehmung, welche die Wahrnehmung der eigenen Emotionen, Handlungen und Gedanken meint. Eine wichtige Fähigkeit hierfür ist die Selbstreflexion, also die Fähigkeit, sich selbst in Beziehung setzen zu können. (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2018, S. 63) Im Rahmen sokratischer Dialoge wird der Klient mithilfe geleiteter, strukturierter Reflexion zu tieferen Einsichten und Erkenntnissen geführt. (Stavemann, 2015, S. 93) Die Reflexion eigener Sichtweisen setzt dabei wiederum auch das Wahrnehmen der eigenen Emotionen, Handlungen und Gedanken voraus. Durch die praktische Anwendung dieser Schutzfaktoren kann die sokratische Methode zur Förderung der Selbstwahrnehmung und -reflexion dienen. Ein weiteres Stichwort ist Selbstwirksamkeit, d. h. das grundlegende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bzw. in die Wirkung des eigenen Handelns. (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2018, S. 64) Auch hier kann der sokratische Dialog aufgrund seines mäeutischen Charakters positiven Einfluss ausüben. Der Klient lernt selbstständig individuelle Wahrheiten zu erarbeiten oder innere Konflikte aufzulösen. Es wird die Erfahrung gemacht, dass die selbstständige Auseinandersetzung mit bestimmten Themen oder Problemen zu einem Ziel führt und das eigene Handeln wird dementsprechend als wirkungsvoll bzw. erfolgreich empfunden. Ein dritter relevanter Schutzfaktor ist die Problemlösefähigkeit. Hier ist die Kompetenz gemeint, komplexe Sachverhalte gedanklich zu durchdringen und nachzuvollziehen, um auf Grundlage vorhandenen Wissens Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten, zu bewerten und letztlich erfolgreich umzusetzen. Besonders wichtig ist dabei ein systematisches Vorgehen, Analysefähigkeiten und Einschätzungsvermögen bezüglich der eigenen Zielerreichung. (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2018, S. 64) Diese Schilderung erinnert besonders an die funktionalen sokratischen Dialoge bei Zielfragen und -konflikten. Um eine Lösung zu erarbeiten, werden auf strukturierte Art und Weise verschiedene Handlungsmöglichkeiten bzw. Ziele abgewägt. Dabei setzt sich der Klient intensiv mit dem Sachverhalt auseinander, sodass er am Ende die für ihn selbst sinnvollste Alternative erkennt. (Stavemann, 2015, S. 104)
Abschließend lässt sich also sagen, dass die sokratische Gesprächsführung zur kognitiven Umstrukturierung genutzt werden kann und dabei Wirkungen erzielt, die einen positiven Effekt auf einige personenbezogene Schutzfaktoren ausüben. Durch den Aufbau von Schutzfaktoren können umweltbezogene Stressoren zwar nicht direkt beeinflusst werden, doch gelingt der Umgang und die Begegnung mit Stressoren und chronischen Belastungen dadurch leichter. Sokratische Dialoge könnten also eine sinnvolle Ergänzung im Rahmen von Resilienz-Förderprogrammen darstellen, wobei solche Interventionen sich nicht ausschließlich einer einzelnen Methode bedienen sollten. Um langfristige positive Entwicklungseffekte zu erzielen, ist es empfehlenswert mehrere Methoden und Ansätze zu kombinieren und neben personenbezogenen Schutzfaktoren im besten Fall genauso umweltbezogene Ressourcen zu berücksichtigen. (Fingerle, 2011, S. 216)
2. Vergleich zweier Beratungsansätze
Im Rahmen dieser Teilaufgabe sollen der kognitiv-behaviorale und der klientenzentrierte Beratungsansatz miteinander verglichen werden. Dafür werden beide Ansätze zunächst getrennt voneinander geschildert, wobei jeweils auf den historischen Ursprung, das Menschenbild, Behandlungsmethoden sowie weitere wichtige Kernmerkmale eingegangen wird. In einem abschließenden Vergleich sollen schlussendlich die prägnantesten Unterschiede und Gemeinsamkeiten diskutiert werden.
2.1 Kognitiv-behavioraler Ansatz
Der kognitiv-behaviorale Ansatz in Therapie und Beratung ist eine Behandlungsform, die überwiegend von den Lerntheorien abstammt. (Gerlach, 2020, S. 1877) Die historischen Wurzeln des Beratungsansatzes liegen damit im Behaviorismus, welcher auf J. B. Watson und seine Forderung zurückgeht, nur offenes Verhalten als Gegenstand wissenschaftlicher Psychologie zu betrachten und auf jegliche Beschreibung von Bewusstseinsinhalten zu verzichten. (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 7; Karim & Bialek, 2016, S. 25) Auf Grundlage dieser Idee entwickelte B. F. Skinner die sog. Stimulus-Response-Psychologie (S-R-Psychologie), welche sich auf die Bedingungen zwischen relevanten Umweltreizen, davon ausgelösten Reaktionen und daraus folgenden Konsequenzen, fokussierte. (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 7)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Stimulus-Response-Modell des frühen Behaviorismus
(Quelle: eigene Darstellung; in Anlehnung an: Karim & Bialek, 2016, S. 25)
Abb. 1 veranschaulicht, dass die inneren Prozesse des Organismus, also die Zwischenschritte von Reiz zu Reaktion, zunächst bewusst ignoriert wurden und sich folglich in einer „Black-Box“ befanden. Deren Inhalt ist erst im Rahmen der kognitiven Wende stärker in den Fokus gerückt. (Karim & Bialek, 2016, S. 25) Das ursprünglich mechanistische Menschenbild der Behavioristen, welches menschliches Verhalten als von der Umwelt determiniert darstellte (Büttner & Quindel, 2005, S. 56), wandelte sich. Dem Menschen wurde sodann eine informationsverarbeitende Komponente zugesprochen, die einen ebenso entscheidenden Einfluss auf das Verhalten hat. (Karim & Bialek, 2016, S. 25)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Erweiterung des Verhaltensmodell der kognitiven Behavioristen
(Quelle: eigene Darstellung; in Anlehnung an: Karim & Bialek, 2016, S. 26)
Zu den Gründerpersönlichkeiten des kognitiv-behavioralen Ansatzes zählen neben Skinner auch die Arbeitsgruppen von J. Wolpe und H. J. Eyseneck, welche sich u. a. der tierexperimentellen Forschung und der grundlagenorientierten Experimentalpsychologie widmeten. (Gerlach, 2020, S. 1877) Die kontinuierliche Orientierung an der empirischen Psychologie führte schließlich zu einer raschen Weiterentwicklung von lerntheoriebasierten Therapie- und Beratungsmethoden. Zunächst entstammten Interventionen überwiegend den klassischen Lerntheorien (klassische Konditionierung, operante Konditionierung), doch wurden im Laufe der kognitiven Wende zunehmend soziale Lerntheorien (Modelllernen, Beobachtungslernen), kognitive Lerntheorien sowie Attributionstheorien (Kausalattribution) in die Theoriebildung integriert. (Gerlach, 2020, S. 1877) Die Arbeiten A. Banduras über Lernen durch Nachahmung (Modelllernen) lenkten erstmals die Aufmerksamkeit auf kognitive Faktoren in der Verhaltenstherapie, gefolgt von Methoden wie dem Selbstinstruktionstraining D. Meichenbaums oder den rational-emotiven Therapien nach A. T. Beck und A. Ellis. (Margraf, 2018, S. 16) Beispiele für moderne Interventionen, die auf den klassischen Lerntheorien basieren, sind u. a. versch. Konfrontations- und Expositionsverfahren (z. B. systematische Desensibilisierung), operante Methoden (z. B. Token-Ökonomie) oder auch Verhaltensübungen und Rollenspiele (z. B. Soziale Kompetenztrainings). (Gerlach, 2020, S. 1877; Karim & Bialek, 2016, S. 28) Die kognitive Komponente kognitiv-behavioraler Interventionen nimmt ergänzend Probleme bei der Informationsverarbeitung in den Fokus, berücksichtigt also v. a. verzerrte Denkmuster. (Karim & Bialek, 2016, S. 28) Verbalbasierte Methoden wie die kognitive Umstrukturierung nach A. T. Beck und erfahrungsbasierte Techniken wie die sog. Verhaltensexperimente dienen dem Abbau dysfunktionaler und/oder dem Aufbau funktionaler Überzeugungen und Gedanken. Weitere nennenswerte Therapieansätze sind z. B. die Dialektisch-Behaviorale Therapie nach M. Linehan oder die Metakognitive Therapie nach A. Wells. (Gerlach, 2020, S. 1877)
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- Quote paper
- Daline Ostermaier (Author), 2021, Gesundheitsförderung und -beratung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1118770