Vergleichender Essay, der die Theorie Whiteheads auf den Film Donnie Darko und Nam June Paiks Installation TV BUDDHA anwendet.
als Erneuerer der Naturphilosophie und der Metaphysik der Gegenwart. In seiner Formulierung einer alternativen Relativitätstheorie, in der die relationale Raum-Zeit-Theorie erläutert wird, verblüfft er durch außergewöhnliche Definitionen. Seine Leser bringt er dazu, eigene Erfahrungen und bekannte Erkenntnisse in neuen Zusammenhängen zu sehen; er stellt geradezu ein Geflecht komplexer Verbindungen in seinen Schriften her.
Donnie Darko ist ein High-School-Science-Fiction-Mysterythriller-Mindgame-Film aus dem Jahr 2001. Er verblüfft durch multiple Beobachtungsweisen und lässt zudem eine Vielzahl an Interpretationen zu. Seinen Zuschauern verlangt er höchste Konzentration und Aufmerksamkeit ab, damit diese den wirren Handlungselementen folgen können.
Nam June Paik war ein bildender Künstler und Komponist. Er gilt als Begründer der Videokunst. Seine Video-Installation TV-Buddha aus dem Jahr 1974 lässt ebenfalls unterschiedliche Interpretationen zu.
Für ein besseres Verständnis werden zunächst die allgemeinen Grundlagen des Whiteheadschen Denkens dargestellt. Anschließend wird versucht die Annahmen Whiteheads auf den Film Donnie Darko von Richard Kelly und die Video-Installation TV-Buddha von Nam June Paik zu übertragen und anhand dessen zu veranschaulichen. Whiteheads Gedankenwelt soll dabei vielmehr Impulse für ein Lesen der beiden Beispiele geben, als kategorische Erklärungen zu liefern. Als letztes soll, unter Einbezug der gewählten Beispiele, auf den Unterschied zwischen bewegtem und unbewegtem Bild eingegangen werden bzw. dessen Grenze reflektiert werden.
Universität Konstanz
Fachbereich Literaturwissenschaft
Sommersemester 2018
Kunst-und Medientheorien
Essay im Master Literatur – Kunst – Medien
Die Welt als Ereignisstrom: Der Naturverlauf bei Alfred North Whitehead
Alfred North Whitehead war Mathematiker, Philosoph und Wissenschaftstheoretiker. Er gilt als Erneuerer der Naturphilosophie und der Metaphysik der Gegenwart. In seiner Formulierung einer alternativen Relativitätstheorie, in der die relationale1 Raum-Zeit-Theorie erläutert wird, verblüfft er durch außergewöhnliche Definitionen. Seine Leser bringt er dazu, eigene Erfahrungen und bekannte Erkenntnisse in neuen Zusammenhängen zu sehen; er stellt geradezu ein Geflecht komplexer Verbindungen in seinen Schriften her.
Donnie Darko ist ein High-School-Science-Fiction-Mysterythriller-Mindgame-Film aus dem Jahr 2001. Er verblüfft durch multiple Beobachtungsweisen und lässt zudem eine Vielzahl an Interpretationen zu. Seinen Zuschauern verlangt er höchste Konzentration und Aufmerksamkeit ab, damit diese den wirren Handlungselementen folgen können.
Nam June Paik war ein bildender Künstler und Komponist. Er gilt als Begründer der Videokunst. Seine Video-Installation TV-Buddha aus dem Jahr 1974 lässt ebenfalls unterschiedliche Interpretationen zu.
Für ein besseres Verständnis werden zunächst die allgemeinen Grundlagen des Whiteheadschen Denkens dargestellt. Anschließend wird versucht die Annahmen Whiteheads auf den Film Donnie Darko von Richard Kelly und die Video-Installation TV-Buddha von Nam June Paik zu übertragen und anhand dessen zu veranschaulichen. Whiteheads Gedankenwelt soll dabei vielmehr Impulse für ein Lesen der beiden Beispiele geben, als kategorische Erklärungen zu liefern. Als letztes soll, unter Einbezug der gewählten Beispiele, auf den Unterschied zwischen bewegtem und unbewegtem Bild eingegangen werden bzw. dessen Grenze reflektiert werden.
Whitehead vertritt die Ansicht, dass die Welt aus einem Prozess besteht, in dem Wirklichkeit aus „aktualen Entitäten“, aus Subjekten, konstituiert wird (vgl. Müller 2009, S. 50). Alles von dauerhafter Beschaffenheit resultiert aus der Aufeinanderfolge von miteinander zusammenhängenden Prozessen. Dem Sein und Werden nach Whitehead liegt also keine stabile Einheit zugrunde, aus welcher die wechselnden Ereignisse und Bilder hervorgehen, sondern Sein und Werden sind vielmehr Ereignisströme, bewegte Bilder, ohne stabile Projektionsfläche. Whitehead bezeichnet diese Prozesse „aktuale Entitäten“ oder „aktuale Ereignisse“ (vgl. Whitehead 1920, S. 128). Gleichzeitig geht er davon aus, dass die aktualen Entitäten immer von ambivalenter und physisch-mentaler Natur sind, wodurch sie Subjektivität2 erhalten (vgl. Koutroufinis 2007, S. 12). Der Relation des Prozessdenkens und der Subjektivität zufolge geht die grundlegende Annahme Whiteheads hervor, dass der Entstehung von „aktualen Entitäten“ Erfahrungsrelationen zugrunde liegen. Der Vorgang des Werdens ist daher ein Vorgang des perspektivischen Erfahrens und Erfassens von anderen, schon in der Vergangenheit liegenden, Entitäten. „Aktuale Entitäten“ sind daher immer der Erfahrung mächtig. Eine „aktuale Entität“ wird also durch einen Prozess realisiert. Dieser Prozess des Werdens besteht aus der Umsetzung der Entität selbst. Es findet eine Wechselwirkung statt (vgl Whitehead, S. 126). Weiterhin ist nach Whitehead ein „aktuales Ereignis“ immer schon Ergebnis eines Prozesses und wird in einem weiteren Prozess zu einem neuen Ereignis, zu einer weiteren Entität, vereint. Whitehead spricht von einer „Ereignisstruktur“ (vgl. Whitehead, S.126). Die Ereignisse, die als Fundamente für den Werdeprozess neuer Ereignisse dienen, bezeichnet er als Objekte. Ein wiedererkennbares Ereignis kann grundsätzlich als ein sinnliches Objekt (z.B. Farben, Geräusche) oder ein materiell physisches Objekt (z.B. ein Stück Materie) gelesen werden (vgl. Whitehead, S.129). Er weist darauf hin, dass die „wechselseitigen strukturellen Beziehungen zwischen Ereignissen [...][immer] räumlich und zeitlich“ (Whitehead, S.128) sind. Er erklärt, dass Raum und Zeit als Abstraktionen zu verstehen sind und nur in der physischen Natur selbst als reale Tatsachen zu begreifen sind. Durch Raum und Zeit können Wahrheiten über die Beziehungen zwischen Ereignissen ausgedrückt werden. Die Wahrheiten liegen dabei in der subjektiven Wahrnehmung jedes Betrachters (vgl. Whitehead, S.128).
Whitehead geht also von einem Beziehungsgeflecht aus, dessen Knoten Prozesse sind. Dabei wird das Universum aus der Gesamtheit aller erfahrenden Entitäten, die sich gegenseitig in sich selbst spiegeln, gebildet (vgl. Koutroufinis, S. 14). Durch diese Spiegelung bilden sich ununterbrochen neue, kurzlebige „Augenblicke“ (Whitehead, S. 45) und Perspektiven.
Richard Kellys Donnie Darko beschreibt ein Narrativ, das eine zweigeteilte Handlung und so mehr als eine ontologische Realität enthält. Dargestellt wird unter Einbezug des Zeitreise-Motivs die Relationalität von Ereignissen. Im Zentrum der Handlung steht Donnie Darko, ein Jugendlicher, der laut seiner Therapeutin an paranoider Schizophrenie erkrankt ist. Am Anfang des Filmes wird er in seinem Zimmer gezeigt. Eine Flugzeugturbine stürzt direkt über Donnies Haus ab, sie hätte ihn getötet, wäre nicht ein Junge im Hasenkostüm namens Frank erschienen um ihn aus dem Haus zu locken. Ab diesem Moment befindet sich Donnie in einem Paralleluniversum (oder er träumt3 ) und es scheint, als habe er die Fähigkeit die in der realen Zukunft liegenden Ereignisse zu beeinflussen, teilweise zu verbessern, indem er die Gegenwart des Paralleluniversums (oder des Traumes) verändert. So brennt er beispielsweise auf Befehl des Jungen im Hasenkostüm das Haus eines Lebensberaters ab, in dessen Keller die Polizei bei Untersuchen des Brandes auf kinderpornografisches Material stößt. Eine Anhängerin des Lebensberaters verteidigt diesen anschließend auf einer Anhörung, weshalb Donnies Mutter an ihrer Stelle mit der Schultanzgruppe, der auch Donnies kleine Schwester angehört, auf einen Wettbewerb fliegt und in dem Flugzeug sitzt, das eine Turbine verliert und abstürzt. Alles scheint ineinander verwoben zu sein, voneinander abzuhängen. Der Film macht deutlich, dass die Geschehnisse relational zueinander sind. Das erkennt auch Donnie und fasst daher den Entschluss, das Zeitportal zu schließen und in sein Schlafzimmer – den Beginn des Filmes – zurückzukehren. Diesmal weicht er der Flugturbine nicht aus und stirbt. Bewusst opfert er sein Leben, um den Tod seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Freundin zu verhindern und um mögliche weitere verheerende Auswirkungen auf die Gegenwart zu stoppen, die eine manipulierte Vergangenheit zu Folge hätten. Der Film fokussiert sich zwar auf das vertraute Umfeld des Protagonisten, was Donnies Entscheidung für den Zuschauer nachvollziehbar macht, aber ausgehend von Whiteheads Theorie der Relationalität der Ereignisse kann davon ausgegangen werden, dass bereits kleinste Eingriffe unberechenbaren Einfluss auf das komplexe Beziehungsgeflecht haben könnten und so die Ereignisstruktur nachhaltig verändern würden. Nach Whitehead sind Raum und Zeit als Abstraktionen zu verstehen. Sie fungieren lediglich als Wege, „gewisse Wahrheiten über die Relationen zwischen Ereignissen auszudrücken“ (S.128). Der Film Donnie Darko tut genau das. Der Zuschauer erfährt neue Wahrheiten über den Lebensberater und die Geschehnisse der Zukunft werden durch eine neue Aneinanderreihung der Ereignisse im Paralleluniversum verändert. Aber befindet sich Donnie wirklich in einem Paralleluniversum? Oder träumt er lediglich von einer besseren Gegenwart? Ist das Erscheinen des Hasen Frank auf Donnies Schizophrenie und die Medikamente die er nimmt zurückzuführen? Greift hier Whiteheads Argument, die Wahrheit liege in der subjektiven Wahrnehmung der Betrachter? Der Film lässt eindeutig verschiedene Lesbarkeiten zu.
Zeit und Zeitlichkeit sind Leitmotive des Films. Nicht nur der Inhalt selbst weist permanent auf diese hin, auch die Machart des Films und der Soundtrack nehmen sich der Thematik der Zeit und Zeitlichkeit an und hängen zudem mit der Handlung zusammen. Eine Wechselwirkung findet statt und eine Ereignisstruktur formt sich. Heraus bildet sich ein Narrationsgeflecht sich gegenseitig beeinflussender und ergänzender Prozesse. Ein Beispiel dafür bieten die filmischen Bilder die gezeigt werden, während das Lied Head over Heels von Tears for Fears aus dem Off erklingt. Dabei ist zu erwähnen, dass das Lied extra-diegetischen Ursprungs ist, somit nicht Teil der erdachten Welt des Films, sondern es dient als dramaturgisch-narratives Element und hat die Funktion beim Zuschauer Stimmungen und Ahnungen auszulösen (vgl. Bienk, S.96). In der gewählten Szene wird synchron zum Bild montiert. Musik und Bild sind genau aufeinander abgestimmt. Das Lied, von dem eine neue Version erstellt wurde, tritt verkürzt und neu geformt mit den filmischen Bildern in Verbindung, sodass Inhalt und Zeit korrespondieren. Gleichzeitig werden die Bewegungen der Figuren auf die Musik angepasst. Dabei beeinflusst das Tempo des Liedes die technische Umsetzung des filmischen Bildes. Ist die Melodie langsam, werden die Bewegungen der verschiedenen Figuren in Zeitlupe gezeigt, bei schnellem Takt im Zeitraffer. Das könnte zugleich ein Hinweis darauf sein, wie unterschiedlich Zeitlichkeit von den Menschen wahrgenommen wird. Im Detail sieht das wie folgt aus: Donnies kleine Schwester, die Teil der Schultanzgruppe ist, wird beim Proben mit den anderen Mitgliedern der Tanzgruppe auf dem Schulhof gezeigt, während der instrumentelle Teil des Liedes gespielt wird (Donnie Darko. 2001. TC: 00.17.41.). Die Musik illustriert so das im filmischen Bild Dargestellte. Sobald sich die Kamera der Gruppe nähert, erklingt allerdings deutlich ein Geräusch, das einem Flugzeug sehr ähnelt. Noch weiß der Zuschauer nicht, dass die Mädchen später in einem Flugzeug abstürzen werden, aber das Lied deutet es schon an und schafft so akustisch eine inhaltliche Verbindung. Anschließend erklingt er Chor, der mehrfach „lalalala“ singt und so das unbeschwerte und fröhliche Tanzen der Mädchen unterstreicht. Gleichzeitig trägt nun – neben Musik und Bild – zusätzlich der Text des Liedes zur Narration bei; er kommentiert die Filmhandlung. Filmmusik wirkt generell meist unterbewusster und erfährt durch den Rezipienten weniger Aufmerksamkeit als das Visuelle. Ein aufmerksamer Zuschauer allerdings, der die auditive Ebene mitdenkt und Liedtext, Musik und Bild miteinander in Verbindung setzt, erhält so zusätzlich Informationen zu den Figuren und Geschehnissen.
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1 Relationalität meint die Abhängigkeit konkreter Ereignisse voneinander.
2 Unter Subjektivität in der Philosophie ist alles zu verstehen, was das Subjekt in seinem Sein ausmacht (Denken, Fühlen, Handeln etc.) und so von einem Gegenstand unterscheidet (Lexikon der Psychologie).
3 Den unterschiedlichen Lesarten zu Folge, kann bei der Rezeption des Filmes nicht von einer einzig richtigen Deutung der Geschehnisse ausgegangen werden. Der Regisseur musste die ursprüngliche Festivalfassung für das Kino kürzen. Diese erschien drei Jahre nach Erscheinen des Kinofilms unter dem Namen Donnie Darko The Director’s Cut und bietet mehr Aufklärung als der Kinofilm (donnie-darko.com). Dieser Essay soll sich nicht auf eine Lesart versteifen, um andere Deutungen nicht auszuschließen.
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- Frieda Frey (Author), 2018, Die Welt als Ereignisstrom: Der Naturverlauf bei Alfred North Whitehead, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1118483
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