1. Einleitung
Russland, größter Nachfolgestaat der Sowjetunion, hat seit Gorbatschows Perestroika gewaltige Umbruchprozesse in jeglichen Bereichen durchlebt. Bevor man von einer Politik der Perestroika bzw. Glasnost sprechen konnte, befanden sich – prägnantes Merkmal sowjetischer Gesellschaften - alle Medien unter staatlicher Kontrolle mit einem einheitlichen Informationsraum (Vgl. Kharina – Welke 2004/2005, S.566). Diese gewaltigen Umbruchprozesse der Regierungsform von Kommunismus zu Demokratie, des Wirtschaftssystem von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft, waren selbstredend nicht leicht zu bewältigen und gelten heute als noch nicht abgeschlossen. Veränderungen im gesellschaftlichen und politischen Bereich führten ebenfalls zu Neuerungen im Mediensektor, auf welche sich in dieser Arbeit, im speziellen auf das Massenmedium Fernsehen, bezogen werden sollen. Besonders für Russland ist die Konstitution einer Demokratie, wenn diese nicht von einer Zivilgesellschaft getragen wird, problematisch. Konnte noch zu Beginn der 90er Jahre von einer begrenzten Meinungsfreiheit gesprochen werden, so sind dieser, das werden weitere Ausführungen innerhalb dieser Arbeit bestätigen, spätestens seit Putins Amtsantritt nicht nur immer mehr Einschränkungen auferlegt worden, sondern zugleich vollzieht sich ein zunehmender Missbrauch der Medien.
„Viele Zeitungen, Fernsehanstalten, Radiostationen gehören seit ihrer Mündigsprechung durch Michail Gorbatschow ehrgeizigen Politunternehmern, Kreml-Satelliten und natürlich dem Staat. Das finanzielle Fundament der ‚Vierten Gewalt’ in Russland war stets schwach“ (Thumann 2001, Die Zeit).
Damit ist zugleich ein weiterer wichtiger Aspekt des russischen Mediensystems, die Interdependenz von Meinungsfreiheit und Finanzen, angesprochen.
Nach transformationstheoretischen Aspekten erfolgt eine Darstellung des russischen Mediensystems, speziell des Fernsehens. Dabei wird unter Berücksichtigung historischer Gesichtspunkte eine Darstellung der aktuellen Fernsehlandschaft erfolgen. Abschließend folgt eine Betrachtung des Verhältnisses der Medien zur Politik. Die zentrale Frage, die zugleich als Leitfaden dienen soll, lautet dabei: Befindet sich das russische Fernsehen gut 15 Jahre nach Auflösung der UdSSR auf einem Weg der Resowjetisierung und wird es erneut als Propagandainstrument missbraucht?
Inhaltsverzeichnis
I. Teil: Theorie und Geschichte
1. Einleitung
2. Skizzierung wesentlicher Gesetze und Beschlüsse aus der Mediengeschichte Russlands bis heute
3. Transformationsforschung in Russland: Überblick
4. Fernsehen in der Sowjetunion bis heute
4.1 Fernsehen bis zur Perestroika : Fernsehen als erzieherisches Mittel
4.2 Fernsehen ab der Perestroika: Gelenkte Demokratie
II. Teil: Aktuelles Fernsehen
5. Skizzierungen der aktuellen Fernsehlandschaft
5.1 Die Sender und ihre Organisation / Finanzierung
5.2 Programmstrukturen der russischen Sender und ihre Nutzung
6. Werbung
III. Teil: Russland als Sonderfall?
7. Missbrauch der Medien
7.1 Der Einfluss von Politik auf die Medien – Alltag oder Ausnahmezustand?
7.2 Medien und Macht: Die Regierung und die Finanzelite
7.3 Beispiel der Machtdemonstration durch die Regierung: Die Zerschlagung des Senders NTW
8. Zusammenfassung und Ausblick
Quellenangaben
I. Teil: Theorie und Geschichte
1. Einleitung
Russland, größter Nachfolgestaat der Sowjetunion, hat seit Gorbatschows Perestroika[1] gewaltige Umbruchprozesse in jeglichen Bereichen durchlebt. Bevor man von einer Politik der Perestroika bzw. Glasnost sprechen konnte, befanden sich – prägnantes Merkmal sowjetischer Gesellschaften - alle Medien unter staatlicher Kontrolle mit einem einheitlichen Informationsraum (Vgl. Kharina – Welke 2004/2005, S.566). Diese gewaltigen Umbruchprozesse der Regierungsform von Kommunismus zu Demokratie, des Wirtschaftssystem von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft, waren selbstredend nicht leicht zu bewältigen und gelten heute als noch nicht abgeschlossen. Veränderungen im gesellschaftlichen und politischen Bereich führten ebenfalls zu Neuerungen im Mediensektor, auf welche sich in dieser Arbeit, im speziellen auf das Massenmedium Fernsehen, bezogen werden sollen. Besonders für Russland ist die Konstitution einer Demokratie, wenn diese nicht von einer Zivilgesellschaft getragen wird, problematisch. Konnte noch zu Beginn der 90er Jahre von einer begrenzten Meinungsfreiheit gesprochen werden, so sind dieser, das werden weitere Ausführungen innerhalb dieser Arbeit bestätigen, spätestens seit Putins Amtsantritt nicht nur immer mehr Einschränkungen auferlegt worden, sondern zugleich vollzieht sich ein zunehmender Missbrauch der Medien.
„Viele Zeitungen, Fernsehanstalten, Radiostationen gehören seit ihrer Mündigsprechung durch Michail Gorbatschow ehrgeizigen Politunternehmern, Kreml-Satelliten und natürlich dem Staat. Das finanzielle Fundament der ‚Vierten Gewalt’ in Russland war stets schwach“ (Thumann 2001, Die Zeit).
Damit ist zugleich ein weiterer wichtiger Aspekt des russischen Mediensystems, die Interdependenz von Meinungsfreiheit und Finanzen, angesprochen.
Nach transformationstheoretischen Aspekten erfolgt eine Darstellung des russischen Mediensystems, speziell des Fernsehens. Dabei wird unter Berücksichtigung historischer Gesichtspunkte eine Darstellung der aktuellen Fernsehlandschaft erfolgen. Abschließend folgt eine Betrachtung des Verhältnisses der Medien zur Politik. Die zentrale Frage, die zugleich als Leitfaden dienen soll, lautet dabei: Befindet sich das russische Fernsehen gut 15 Jahre nach Auflösung der UdSSR auf einem Weg der Resowjetisierung und wird es erneut als Propagandainstrument missbraucht?
2. Skizzierung wesentlicher Gesetze und Beschlüsse aus der Mediengeschichte Russlands bis heute
Ab 1985 leitete die Regierung unter Gorbatschow politische Reformen, bekannt unter den Stichwörtern Perestroika und Glasnost, ein. Bis dato war die sowjetische Gesellschaft geprägt durch Vorgaben und Sichtweisen der Partei. Von westeuropäischem Verständnis her konnte nun von einer begrenzten Meinungsvielfalt gesprochen werden (Vgl. Kharina – Welke 2004/05, S.567). Besondere Autonomie errangen die Medien in der Systemkrise von 1989 – 1991, in der sich die Medien als „Vierte Gewalt“ verstanden und entsprechend nicht staatliche, sondern gesellschaftliche Interessen vertraten. Nach Auflösung der Sowjetunion (SU) kam es zur Verabschiedung von über 30 Gesetzen und Dekreten (Vgl. Trautmann 2002, S. 123). Bis 1990 existierte keine Mediengesetzgebung in Russland.[2] Richtlinien und Vorgaben wurden durch die KPdSU bestimmt. Am 12.06.1990 wurde ein (noch) sowjetisches „Gesetz über Presse und andere Massenmedien“[3] verabschiedet. „Mit dem sowjetischen Mediengesetz (…) wurde ein Meilenstein für die Liberalisierung des Mediensystems in der Sowjetunion gelegt“ (Brunmeier 2005: 18). Das „Gesetz über die Massenmedien“, welches am 13. Februar 1992 in Kraft trat, bildet den gesetzlichen Rahmen für die Massenmedien, wodurch das erste (sowjetische) Gesetz in liberaler Weise eine Erweiterung erfuhr.[4]
Wesentliches Fundament für die Tätigkeit der Massenmedien bildet Art. 29 Abs. 4 der Verfassung vom 12.12.1993, da er jedem Bürger der RF „den Erhalt, die Herstellung und die Verbreitung von Informationen“ (Kharina – Welke 2004/05: 568) zugesteht. Ein Rundfunkgesetz, wie man es beispielsweise in Deutschland kennt, gibt es nicht, nur Gesetzesentwürfe in diese Richtung, die bis 1990 zurückreichen. Alle Entwürfe für eine Rundfunkordnung wurden vom damaligen Präsidenten Jelzin gestoppt. Stattdessen gab es Beschlüsse zur Absicherung der Kontrolle der Exekutive über den Rundfunk.[5] Allgemein folgten innerhalb der Mediengesetzgebung verschiedene Beschlüsse, von denen hier nur ein Teil aufgelistet werden soll: In den Änderungen zum „Gesetz über die Massenmedien (verabschiedet 2001), „Gesetz über Werbung (1995), „Gesetz über Information, Informierung und den Schutz der Informationen“ (1995) und das „Gesetz über die Berichterstattung über die Organe der Staatsmacht in den staatliche Medien (1994) (Vgl. ebd., S.568). Auch wenn diese Gesetzesgrundlagen als liberal erscheinen, so gibt es für den Medienmarkt keine Bestimmungen aus ökonomischer Sicht (Vgl. Brunmeier 2005, S.18).
Die Presse und das Fernsehen gewannen 1992 und 1993 nach Zerfall der SU sowie die daraus folgende Liquidierung der Monopolmacht der KPdSU an Handlungsspielraum bis zur Finanzkrise 1998. Aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage hatten die Sender zu ihrer Existenzsicherung nur die Option, entweder durch den Staat oder durch die Oligarchen subventioniert zu werden. So sind die Jahre 1997/ 98 dann auch im Besonderen durch Konzentrationsprozesse und Monopolisierungen im Medienbereich gekennzeichnet. 1999 folgte eine Veränderung im Zuständigkeitsbereich. Danach war für den Bereich Rundfunk und Presse das neu gegründete Ministerium für Massenmedien zuständig (Vgl. ebd., S.19). Diese Institution, die unter anderem für die Lizenzvergabe zuständig ist, muss sich dabei nicht an normativen Vorgaben orientieren, da es diese gar nicht gibt. Nach den Präsidentschaftswahlen folgt 2004 die Auflösung. An deren Stelle tritt das umbenannte Ministerium für Kultur und Massenkommunikation. Innerhalb dieser Institution sind ebenfalls zwei Neugründungen zu nennen: die Föderale Agentur für Presse und Massenkommunikation sowie der Föderale Aufsichtsdienst, der die Gesetze im Medienbereich bewacht sowie Rundfunklizenzen vergibt. Doch gerade dieser Behöre wird der Vorwurf gemacht, dass sie eine zentrale Zensurbehörde sei, was heftig seitens des Kremls abgewiesen wurde (Vgl. ebd., S.20). Brunmeier verweist in diesen Zusammenhang auf das Moskauer „Zentrum für Massenmedien und Recht“. Dabei handelt es sich um eine zivile Organisation, in der bekannte Wissenschaftler und Experten im Bereich des Medienrechts arbeiten und wichtiger Gegenspieler dem Staat gegenüber sind.
3. Transformationsforschung in Russland: Überblick
Der Wandel des russischen Mediensystems ist generell durch das ambivalente Verhältnis der Politik zu den einzelnen Medieninstanzen gekennzeichnet: zum einen sollen die Medien frei sind, gleichzeitig sollen sie aber, wenn Bedarf besteht, der Regierung für ihre eigenen Zwecke dienen (Vgl. Amelina 2006, S.23). Amelina pointiert diesen Zustand sehr gut. Dieser angesprochene Dualismus von Medien und Politik prägt den medialen Wandel in der RF und dieser Prozess wird durch die sich seit 1991 entwickelnden massenmediale Märkte tangiert. Die neu entstandenen russischen Medien werden zunehmend mit ausländischen Medienorganisationen verknüpft.
Es gibt nun eine Reihe von transformationstheoretischen Konzepten, die sich primär mit der Frage auseinandersetzen, welche Theorien zur Erklärung des gesellschaftlichen Wandels für Länder mit sozialistischer Struktur geeignet sind.[6] Nach Amelina (2006) erfolgt eine Differenzierung in teleologische und nicht- teleologische Ansätze. Ersterer begreift Transformation als die Übertragung von Demokratie und Marktwirtschaft auf postsozialistische Länder. Für diese Zielgerichtetheit sind erneut zwei Konzepte zu nennen: neoliberale sowie modernisierungstheoretische Transformationskonzepte. Als nicht-teleologischer Ansatz wird die Transformation als regionaler und nicht-linearer Prozess betrachtet. Im Gegensatz zu dem vorher genannten besteht der Unterschied, dass aufgrund der Einmaligkeit der Veränderungen diese in keinen theoretischen Rahmen gesetzt werden sollen. Statt der angesprochenen Zielgerichtetheit verweist dieser Ansatz auf einen problemlösenden Charakter. Amelina (2006, S.19ff.) bevorzugt für ihre Arbeit die systemtheoretische Differenzierungstheorie als ein Konzept der Ausdifferenzierung der modernen Massenmedien im Kontext des Umbruchs in Russland. So fasst die Autorin den Wandel der Massenmedien als einen Prozess der Erosion von Propagandastrukturen auf. In der Vorphase (1970 – 1985), auch prä -massenmediale Phase, sind Quasi-Massenmedien vorhanden, die keine massenmedialen Strukturen im herkömmlichen Sinne aufweisen. In der ersten Phase des Wandels (1986 – 1991) folgen politische Veränderungen wie der Zerfall der Sowjetunion. Infolge dessen resultiert auch eine Abschwächung der parteilichen Kontrollmechanismen bezüglich der Medien. Die Fernsehorganisation untersteht ab da der Regierung der Russischen Förderation. Die zweite Phase (Ende 1991 – Ende 1995) und die damit einhergehende funktionale Ausdifferenzierung in jeglichen Bereichen, bietet auch für den Medienbereich bis dato unbekannte neue Möglichkeiten. So entwickeln sich erstmals massenmediale Organisationen heraus. Die Phase endet mit den Präsidentschaftswahlen, die vorbereitet werden. Amelina spricht in der dritten Phase (Ende 1995 – Anfang 2000) von einer Dualität der medialen Strukturen. Einerseits kam es zu Herausbildungen von massenmedialen Strukturen, andererseits bildete sich parallel dazu ein informeller Bereich, den sie als „informelle PR-Kommunikation“ (ebd.:19) betitelt. Entstanden ist dieser Bereich durch die geschickten Strategien der Lenkung durch die Politik. Der staatliche Kontrollmechanismus gewinnt in der vierten Phase (ab 2000) immer mehr an Dominanz gegenüber dem Fernsehen sowie auch den übrigen Medien, wodurch der Autopoietismus der Medien gestört ist, was sich durch die staatlichen Vorgaben im Besonderen äußert. Aufgrund dieser Tatsachen kommt Amelina zu dem Ergebnis, dass der „Ausdifferenzierungsprozess des massenmedialen Funktionssystem in Russland [ist] nicht abgeschlossen (ist)“ (ebd. 2006: 20).
Nach Thomaß/Tzankoff (2001, S.235) dürfen im Zusammenhang der Transformation in osteuropäischen Ländern drei wesentliche Bemerkungen nicht fehlen. Sie geben erstens an, dass der Vergleich einer Transformationsgesellschaft mit westeuropäischen Gesellschaften häufig zu hoch angesetzt wird. Diejenigen Länder, die als Vergleichsmaßstab dienen, konnten die notwendigen Modernisierungsleistungen in einem viel länger andauernden Prozess bewältigen. Zweitens tragen Postulate wie Unabhängigkeit und Objektivität im westlichen Mediensystem teilweise einen illusorischen Charakter. So ist beispielsweise kein gleichberechtigter Zugang für alle gesellschaftlichen Gruppen gegeben. Drittens zeigten sich mit dem Entstehen der dualen Rundfunkordnung auch in der BRD Anpassungsschwierigkeiten, obwohl es sich dabei um eine demokratisch konsolidierte Gesellschaft handelt. Die Autoren halten des Weiteren fest, eine grundlegende Veränderung gut aus politischer und ökonomischer Sicht zu beschreiben: vom Ein-Parteien-System zur pluralistischen Demokratie, entsprechend dann auch von der Plan- zur Marktwirtschaft. Ihr Fazit hinsichtlich der Medien in Russland, und dies werden die weiteren Ausführungen noch bestätigen, geht in Richtung Trend zur Resowjetisierung (Vgl. ebd., S.231). Als Begründung folgt eine Auflistung diverser rechtlicher und politischer Defizite wie fehlender Gesetze zur Regulierung der elektronischen Medien sowie die wirtschaftliche Abhängigkeit der Medien zum Staat bzw. zur Finanzelite. Die Informationsmanipulation, besonders zu Wahlen, gehört fast schon zum Alltag. „In einer demokratischen Gesellschaft ist aber nicht nur entscheidend, dass gewählt wird, sondern auch wie man wählt“ (ebd.: 231). Da die Medien sich in Abhängigkeit von ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen entwickeln, halten die Autoren für die erste Phase der Transformation fest, dass die Medien hier vorwiegend in der Rolle des Motors gewesen waren. In den darauf folgenden Phasen der Entwicklung folgte die Abhängigkeit. Sie hatten keine eigenständige Rolle mehr inne (Vgl. ebd., S.250).
4. Fernsehen in der Sowjetunion bis heute
„Die großen Hoffnungen des Westens (…), Russland werde seine fest verwurzelten obrigkeitsstaatlichen Traditionen sowie das totalitäre Erbe der UdSSR (…) überwinden, sind vorerst zerschlagen“ (Trautmann 2001:203). So lautet das negative, aber leider realitätsnahe Urteil der Autorin. Die Phase der Liberalisierung (1987 – 1991) führte nicht zu einer irreversiblen Demokratisierung. Auch die Wirtschaftsreformen der 90er Jahre lenkten nicht zu dem eigentlich angestrebten Privateigentum an Produktionsmitteln und so auch nicht zu einer funktionierenden Marktwirtschaft. Ein Großteil der Bevölkerung verarmte und die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft erscheint heute größer denn je. Im nachfolgenden Abschnitt sollen die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und somit auch die Veränderungen im Mediensektor, speziell des russischen Fernsehens, von der Perestroika und der Politik der Glasnost bis zur Gegenwart betrachtet werden.
4.1 Fernsehen bis zur Perestroika : Fernsehen als erzieherisches Mittel
Die Entwicklungen des Fernsehens in der SU zu einem Propagandamittel[7] sind durch die Absichten und Ziele der Partei im Wesentlichen geprägt worden (Vgl. Müller 2001, S.23). So gab es eine rechtliche Grundlage[8], die es der KPdSU ermöglichte, monopolitische Zugriffe auf die Medien durchzuführen. Die Partei richtete aber zunächst ihre Interessen auf Presse und Hörfunk. Erst unter N. Chruschtschow, am 29.01.1960, erhält das Fernsehen gegenüber den anderen Massenmedien einen gleichberechtigten Status durch den Beschluss ‚Über die weitere Entwicklung des sowjetischen Fernsehen’ (Vgl. ebd., S.25). Darin heißt es unter anderem: ‚Neben Presse und Hörfunk ist das Fernsehen dazu berufen, eine wichtige Rolle in der Erziehung der Sowjetmenschen im Sinne kommunistischer Überzeugung und Moral (…) zu spielen’ (ebd.: 25). Diese angesprochene Erziehung soll jedoch nur durch Fernsehauftritte von führenden Parteifunktionären aus allen wichtigen Bereichen erfüllt werden. Der Staat und die Partei stellen sich in zunehmendem Maße selbst dar, zugleich erhöht sich die Reichweite des Fernsehens auf fast die gesamte SU. Im Resultat überholt das Fernsehen als Propagandamittel sogar Presse und Hörfunk, erfolgend zum einen aus der Möglichkeit, Ereignisse ohne große Zeitdifferenzen zu übertragen, zum anderen sorgt die dokumentierende Wirkung für mehr Glaubwürdigkeit (ebd., S.27). Am 5.3. 1971 entstanden die Statuten[9] für das Fernsehen unter L. Breschnew, der dieses Medium als Propagandainstrument noch stärker zu nutzen wusste als Chruschtschow. Die Hauptaufgabe erfuhr so eine Ergänzung durch weitere Faktoren, wie die ‚Entlarvung der bourgeoisen Ideologie’ oder die ‚Darstellung der erfolgreichen Planerfüllung’ (ebd., S.27). Der rasche Aufstieg des Fernsehens bedurfte auch einer besseren Organisation, realisiert durch das ‚Komitee für Hörfunk und Fernsehen beim Ministerrat der UdSSR’, welches am 12.07.1970 in das ‚Staatskomitee für Fernsehen und Hörfunk des Ministerrates der UdSSR’[10] umgewandelt wurde und bis 1991 bestehen blieb. Ein wesentlicher Grund für die Zentralisierung des sowjetischen Fernsehens war der Verlauf des Prager Frühlings in der damaligen Tschechoslowakei. Zugleich wurde Gosteleradio durch die Statusveränderung mit Rechten eines Ministeriums ausgestattet, weshalb die Aktivitäten über die alleinige Sende- und Verwaltungstätigkeit hinausgingen. Das Komitee finanziert sich zum Großteil aus dem Staatshaushalt, wobei bereits im Jahr 1985 ungefähr nur noch ein Fünftel des Budgets durch diesen abgedeckt wird. Von einem staatlich sowjetischen Fernsehen kann nur einschränkend gesprochen werden, denn im Resultat lenkt und kontrolliert die Partei das Fernsehen (Vgl. ebd., S.37).
[...]
[1] Die Transkription erfolgt nach dem Duden, Band 1 Rechtschreibung
[2] Es gab lediglich nur Normen, die in verschiedenen Rechtsdokumenten verankert waren (Vgl. Kharina – Welke 2004 / 05, S.567).
[3] Dieses Gesetz bildet den rechtlichen Rahmen für die Arbeit aller Massenmedien. Besondere Erwähnung verlangt Art.1 und die Garantie der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Freiheit der Medien vor einer staatlichen Einmischung (Vgl. Müller 2001, S.235f.).
[4] Es bestanden bereits: Freiheit der Massenmedien (Art. 1), Zensurverbot (Art.3), Recht auf Erhalt von Informationen (Art.38). Es wurde erweitert: Rechte der Journalisten (Art. 47), vertrauliche Informationen (Art. 41), Akkreditierung (Art.48), innere Pressefreiheit (Art. 18) (Vgl. Brunmeier 2005, S.18).
[5] Zur Regulierung und Kontrolle des Rundfunks folgten Neugründungen wie die WGTRK (В сероссийская г осударственная т елевизионная и р адиовещательная к омпания, zu deutsch Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft), der Föderale Dienst für Fernsehen und Hörfunk, das Staatskomitee für Kommunikation, das Staatskomitee für Radio-Frequenzen und das Zentrale Komitee für Rundfunk (Vgl. Brunmeier 2005, S.19)
[6] Siehe hierzu auch Tzankoff (2002), S.17ff.
[7] Amelina (2006) versteht unter Propaganda einen Kommunikationstyp, der es sich zum Ziel gemacht hat, ein totalitäres Welt- oder Gesellschaftsbild zu verbreiten. Entsprechend sind Propagandainstanzen Organisationen, die die entsprechenden Inhalte produzieren. Für die Verbreitung ist das Stimulus- Response – Modell wesentliche Grundlage, wodurch die Meinungen des Publikums irrelevant sind.
[8] Art. 6 der sowjetischen Verfassung (seit 1977, Vgl. Müller 2001, S.23)
[9] gültig bis zum 8.2.1991
[10] Die offizielle Abkürzung lautet Gosteleradio, russisch: Гос ударственный Комитет Совета Министров СССР по теле видению и рад u о вещанию.
- Quote paper
- Christiane Matthes (Author), 2007, Das Fernsehen in Russland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111704
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