Die vorliegende Abhandlung hat zum Ziel, die Schrift „Mana. Der Begriff des „außerordentlich Wirkungsvollen“ von Dr. Friedrich Rudolf Lehmann in ihren zentralen Aussagen darzustellen.
Dabei spielt der erste Abschnitt des Werks, die linguistische Untersuchung, keine Rolle, da er keinen entscheidenden Argumentationspunkt bei Lehmann darstellt. Ebenso fehlen aus dem ethnohistorischen Teil (3. Teil der Abhandlung) mehrere Vertreter der angesprochenen Richtungen. Jedoch sollten wie auch im Teil der Begriffsbeispiele (2. Teil der Abhandlung) wie gesagt zentrale Aussagen getroffen werden, um die Entwicklung von Lehmanns Position zu verstehen.
Die Gliederung folgt parallel der Gliederung Lehmanns, das heißt Beginn mit der Bedeutungsaufschlüsselung des mana-Begriffs und daruaffolgend der Fokus auf die zeitgenössischen Konzepte. Jedoch fällt hier die Auseinandersetzung des mana-s von Göttern und Geistern mit der Theoriendiskussion zusammen, was bei Lehmann getrennt ist.
Die Zusammenfassung dient der Repräsentation des gesamten Textes und gibt einen zusätzlichen Überblick über die Entwicklung der mana-Interpretation bis Lehmann.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Anwendungsbereiche des mana -Begriffs bei Lehmann
1.1 Das mana der Menschen
1.2 Das mana von Tieren und Dingen
2. Lehmanns Ausführungen über das Geister- und Götter- mana in Beziehung zu den mana- Interpretationen seiner Zeitgenossen
2.1 Kritik des Präanimismus und Dynamismus bei Lehmann
2.2 Die Sicht der sozialen Entwicklungspsychologie und Lehmanns Umsetzung in der Interpretation des Geister- und Götter-mana
3. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die vorliegende Abhandlung hat zum Ziel, die Schrift „Mana. Der Begriff des „außerordentlich Wirkungsvollen“ von Dr. Friedrich Rudolf Lehmann in ihren zentralen Aussagen darzustellen.
Dabei spielt der erste Abschnitt des Werks, die linguistische Untersuchung, keine Rolle, da er keinen entscheidenden Argumentationspunkt bei Lehmann darstellt. Ebenso fehlen aus dem ethnohistorischen Teil (3. Teil der Abhandlung) mehrere Vertreter der angesprochenen Richtungen. Jedoch sollten wie auch im Teil der Begriffsbeispiele (2. Teil der Abhandlung) wie gesagt zentrale Aussagen getroffen werden, um die Entwicklung von Lehmanns Position zu verstehen.
Die Gliederung folgt parallel der Gliederung Lehmanns, das heißt Beginn mit der Bedeutungsaufschlüsselung des mana -Begriffs und daruaffolgend der Fokus auf die zeitgenössischen Konzepte. Jedoch fällt hier die Auseinandersetzung des mana -s von Göttern und Geistern mit der Theoriendiskussion zusammen, was bei Lehmann getrennt ist.
Die Zusammenfassung dient der Repräsentation des gesamten Textes und gibt einen zusätzlichen Überblick über die Entwicklung der mana -Interpretation bis Lehmann.
1. Die Anwendungsbereiche des mana -Begriffs bei Lehmann
Lehmanns Ausarbeitung stützt sich in großem Maße auf Einzelbeispiele und Kritik von Einzelpunkten in Fremddarstellungen. Trotz der Bezeichnung als „verdienstvolle Neuerscheinung[...]“ sieht Pater Wilhelm Schmidt darin ein gewisses Manko der Arbeit, jedoch erkennt er die Präzisierung des mana -Begriffs als wichtigen und beispielgebenden Anteil an der Fachdiskussion an[1].
Tatsächlich erhebt auch Lehmann selbst in der Einleitung den Anspruch, für eine Abgrenzung von der sonstigen Codrington-Abhängigkeit weitgehend neue Quellen auszuwerten. Das Ergebnis ist eine vielseitige und strukturierte Auffächerung des oft universal verstandenen Wortes, fokussiert besonders auf Polynesien, wodurch ein weiterer Unterschied zu Codringtons Beschreibungen von Melanesien aufgebaut wird.
Polynesien wird außerdem für die historische Dimension als günstiger weil geschichtsbewusster angesehen, wobei Lehmann wie auch im weiteren Verlauf verschiedentlich doch auf Codrington als Beleg zurückgreift. Außerdem liegen nach Lehmann gerade für diesen geografischen Bereich eine Vielzahl unbehandelter Quellen vor.[2]
Im weiteren Verlauf des Textes folgt eine Zusammenfassung des zweiten Teils der Publikation. Das Präsens ist in diesem Sinne zu verstehen.
Diese ersten Ausführungen sind nahezu unverändert bereits in der Dissertation von 1915 enthalten. Die Kategorien, die Lehmann für die Verwendung des mana aufstellt, sind grundsätzlich mana der Menschen (mana tangata), mana von Tieren und Dingen und mana von Geistern und Göttern (mana atua). Darauf aufbauend differenziert er das menschliche mana in die der Krieger, der Häuptlinge und Stämme, der Priester und Ärzte, erweitert um Untersuchungen einzelner Sitten und Bräuche und des Wortzaubers. Das mana der Dinge unterscheidet er in Pflanzen-, Stein-, Orts- und Waffen- mana.
1.1 Das mana der Menschen
Den eindrücklichsten Kontakt mit den mana -Vorstellungen bekamen die Europäer nicht durch die Wissenschaft, sondern als Kolonisatoren der Maori. Der Verteidigungskrieg der Maori im 19. Jahrhundert fand seinen Höhepunkt in den 60er Jahren, als die Engländer schon glaubten, siegreich zu sein. Doch die hau-hau -Bewegung, die ein ideologisches Gemisch aus Maori- und alttestamentlicher Religion bildet, brachte neue Aggressionen ein. Einer der größten Anführer dieser Bewegung war Te Kooti, der zahlreiche Erfolge zu verzeichnen hatte und erst durch territoriale Isolierung bezwungen werden konnte.
Mit dieser geschichtlichen Einleitung[3] beginnt Lehmann, den Begriff des toa taua mana zu erklären. Im Krieg ist dieses Krieger- mana von zentraler Bedeutung, da - wie die Historie gezeigt hat - davon der Verlauf grundsätzlich beeinflusst wird. Es ist dabei entscheidend, wie erfolgreich der jeweilige Krieger operiert. Ist der Erfolg groß, wird auf ein großes mana geschlossen, das als übermenschliche Gabe zu übermenschlichen Aktionen befähigt.
Jedoch gibt es abgesehen von dem Empfangen auch objektive Mittel und Anzeichen zum Aufbauen und Erhalten (in diesem Fall) der Macht. Dazu gehören besondere Grausamkeit sowohl gegen die Feinde als auch gegen die Mitmenschen und große Wagnisse, die jedoch erfolgreich sein müssen, um als Beweis des mana zu gelten. Die zutagetretenden Eigenschaften sind also Genie, Kühnheit und Glück, die mit vielerlei Legenden umgeben werden. Das mana kann allerdings nicht nur bei Männern auftreten, sondern ist auch unter Frauen zu finden.[4]
Weiterhin ist es nicht unbedingt an bereits vorhandenen sozialen Status gebunden, sondern kann durchaus auch ehemaligen Sklaven als Chance zum Aufstieg dienen. Manchmal führt dieser Aufstieg sogar bis zum Häuptlingstum (rangatira).[5]
Der toa taua ist aber stets der Gefahr ausgesetzt, sein mana zu verlieren. Schon bei einmaligem Misserfolg kann das Gerücht des Verlustes aufkommen, meist wird er auf ein übernatürliches Ereignis zurückgeführt, in Folge eines Vergehens oder einer ungünstigen Entwicklung. Dazu gehören Alter, Tod und vor allem Gefangenschaft, weshalb der Tod der Gefangenschaft vorgezogen wird.
Auch das Brechen eines Tabus, Ungehorsam gegen Höherstehende und dauerhafter Mangel an entschlossener Aktion, zurückzuführen auf Nachsicht und Geduld, sind Gründe für den mana -Verlust.[6]
Für die Erklärung des Häuptlings- mana und seiner Beziehung zum mana des Stammes verweist Lehmann vorerst auf die frühe Einwanderungsgeschichte der Polynesier. So ist die Einreise im 14. Jahrhundert auf bestimmten Booten mit bestimmten Führern für die weitere Stammesgeschichte und die Ableitung von einem Häuptling von entscheidender Bedeutung. Somit sind Häuptlings- und Stammesgeschichte weitgehend miteinander verwoben.[7]
Das mana des Häuptlings ist mit dem mana toa taua insofern vergleichbar, dass ein erfolgreiches Kriegertum ein wichtiger Bestandteil des Häuptlingdaseins ist. Aber die Gestalt seiner Aufgaben ist in den polynesischen Kulturen so unterschiedlich, dass eine genaue Bestimmung der weiteren Eigenschaften schwierig ist. Übereinstimmend lässt sich das mana nur als notwendiges Wissen des Häuptlings umschreiben, das erblich übertragbar ist. Damit ist in der Anwendung aber die tatsächliche Autorität des Häuptlings gemeint, oft verbunden mit dem Begriff einer bestehenden Herrschaft.[8]
Da das Verbleiben des mana nach dem Tod des Häuptling von entscheidender Bedeutung für den Stamm ist, bezieht sich die Vererbung manchmal lediglich auf das Besitzrecht. Die eigentliche Übernahme der Häuptlingsfähigkeiten geschieht häufig über den letzten Atem oder andere körperliche Formen der Übertragung, wie das Beißen der Leiche, oder durch die Übergabe eines Gegenstandes, wie des Stabs vom Häuptling (otaota) oder eine Grünsteinplatte mit dem mana des Landes.[9]
Das Erblichkeitsprinzip kann somit auch von persönlicher Tüchtigkeit getrennt sein, so dass eine Spaltung in innere und äußere Führerschaft dem Mann mit mehr mana, der nicht Sohn des Häuptlings ist, entscheidende Schutz- und Beratungsfunktion bringt, während der erbliche Nachfolger grundsätzlichen die Stammesangelegenheiten übernimmt.
Der Verlust des Häuptlings -mana ist von ähnlichen Bedingungen geprägt wie bei Kriegern, jedoch erweitert, etwa durch das Verletzen des Häuptling-Tabus, das ihn auch des mana beraubt. Genauso wirkt ein rituelles Versehen, etwa bei der Krankenbehandlung oder Bestattung, was ebenfalls negative Folgen für die Nachfolger bedeutet.[10]
Der in der mana -haltigen Grünspanplatte angedeutete enge Zusammenhang zwischen Land und Stamm, der nach Ratzels politischer Geografie auf die Abhängigkeit der Maori von der Bodenerträgnissen zurückzuführen ist, verursacht oft den gemeinsamen Begriff für Stammesmacht und Landbesitz.
Der Land als wirtschaftliche und rechtliche Basis des Stammes ist darum Grund zahlreicher Auseinandersetzungen der Maori, auch wenn es um kleinste Landanteile geht. Lehmann beschreibt jedoch den Einfluss der Europäer, der zunehmend privatrechtliches Eigentumdenken verursacht und somit die mana -Vorstellung und damit auch die stabilisierende Macht des Häuptlings verdrängt. Dabei wird auch die Mitbestimmung der Maori eingeschränkt.
Als Reaktion darauf gründete sich 1856 ein Geheimbund namens ‚Anti-Land-Selling-League’, der letztlich mit seinen Verhinderungen des Landverkaufs auch anderer Gruppen den Krieg der Sechziger Jahre heraufbeschworen.
Die dabei mitwirkende mana -Vorstellung spielt jedoch sogar in der Kriegserklärung der Engländer ein Rolle, so in dem Erlass gegen den Mitbegründer des Bundes Wiremu Kingi: „Wiremukingi leistete dieser Angelegenheit [des Landkaufs] Widerstand und sagte, kein Land am Waitara-Flusse dürfe verkauft werden. Aber das mana des Landes war nicht mit Wiremukingi, und er hatte kein Recht, den Verkauf von Land, das ihm nicht persönlich gehörte, zu verbieten“[11] Lehmanns Bemerkung dazu lautet: „Die Fremden siegten [...], und nun stehen die Maori völlig unter dem mana der Engländer.“[12]
In vorkolonialer Zeit war es für einen unterworfenen Stamm möglich, sofern er nicht ausgelöscht wurde, über Tribute am eroberten mana des Landes Anteile zu erwerben, ansonsten geht das mana völlig auf den Sieger über. Der beständige Besitz des eigenen Landes- mana ist also von der Verteidigung und damit vom Stammesführer abhängig. Ebenso wird die Größe des vorhandenen mana oft auf einen starken Vorfahr-Häuptling zurückgeführt.
In Melanesien verbindet sich der mana -Gedanke weiterhin in den Zwecksverbänden (Klubs) eng mit der Macht des Bundes. Es gilt hierbei das Aufstiegsprinzip wie auch im Stamm, aber als Zugkraft wirkt der Reichtum, der das Individuum in einem Stufensystem positioniert. Diesen Reichtum erwirbt man durch Zaubereien und durch die Mithilfe von Geistern, die man wiederum über Fasten, Opfer und Gebete erreicht.[13]
Vom Häuptling abgegrenzt ist der Priester, jedoch ist diese Abgrenzung nach Lehmann nicht eindeutig. Die Priester- mana kennzeichnet einen Priester, der seine Pflichten in vollstem Maße erfüllt. Die Beziehung zur Häuptlings- mana ist ebenfalls sehr verschieden.
Lehmann unterscheidet als erste Variante die Häuptlingsmacht als Führungskraft (als toa taua), die Priestermacht als Umgang mit dem Übernatürlichen, wobei eime gewisse Gleichberechtigung zwischen beiden besteht.
Die zweite Variante ist der ariki, der sowohl weltliche als auch geistliche Macht in sich vereint.
Die geistliche bleibt ihm dabei immer erhalten, weshalb in diesem Fall die Priester- mana als Grundlage der Häuptlings- mana anzusehen ist. Zeigen sich aber militärische oder sonstige profane Misserfolge, kann die weltliche Macht auf einen Anderen übergehen, ähnlich der oben genannten Trennung innerer und äußerer Führerschaft.
Schließlich bezieht sich die dritte Variante auf Kriegszüge, wo der Priester die Anweisungen des Häuptlings verschiedentlich durch Omenbefragungen überprüft und in Verbindung mit dem Übernatürlichen Entscheidungen elementar beeinflusst. Weitere Machtbefugnisse sind auch das Bestimmen von Tabus jeder Art.
Abgesehen von der Form des Häuptlingspriesters (ariki), der nur manchmal eine Zweiteilung erfährt, existieren auch die Zauberpriester (tohunga), bei denen das mana von erfolgreichen Beschwörungen (karakia) abhängt. Durch die meist abgeschlossene Lebensweise kann der Ruf eines Zauberers aber sehr ambivalent sein, so dass neben dem Wunsch nach positivem Einsatz in Voraussagungen und Anrufungen auch die Furcht vor dem negativen Einsatz beständig ist.
Hierbei muss wieder nach verschiedenen Fähigkeiten unterschieden werden. So kann etwa ein Tabu nur durch einen sehr mächtigen tohunga entfernt werden. Die Heilung kommt einem Kampf zwischen dem mana des krankmachenden Geistes oder anderer Ursachen und dem mana tohunga gleich.
Die Übertragung dieses mana auf einen Nachfolger geschieht mittels Lehrstunden, die zum Beispiel die Benutzung von karakia beinhalten. Auch eine zeitweise Übertragung ist möglich.[14]
In Verbindung mit Sitten und Bräuchen sind die Mannbarkeitsfeste und Formen des Kannibalismus beispielgebend. So gilt auf der Salomoneninsel Ulava die Fähigkeit, Bonitofische fangen zu können als entscheidend für die Mannwerdung. Die Übergabe des mana geschieht in diesem Fall durch die mana -besitzenden Älteren, die für den Aufzunehmenden opfern. Erst bei bestandener Aufgabe kann der Kandidat als Mann betrachtet werden.
Beim Kannibalismus findet die mana -Übertragung auf verschiedene Arten statt. Beispiele dafür sind die Opferung von Verbrechern für einen Geist (tindalo), dessen mana dadurch gestärkt werden soll. Auch die Schädeljägerei für tote Häuptling gilt diesem Zweck, in diesem Fall dem tindalo des Häuptlings.[15]
Im Bereich der Voraussagungen ist mana als Kennzeichnung von Wahrheit und Irrtum verbreitet. In verschiedenen Fischerbevölkerungen ist dementsprechend die wahre Voraussage eines Fischereierfolgs mana, während das Gegenteil mit koha (lügen, falsch sein) belegt wird.
Eine andere Ausrichtung findet das Wort in Bezug auf Wortzauber. Hocart berichtet von Mota (Salomonen), wo von der Beobachtung eines europäischen Segelschiffs, wo der Steuermann ohne Steuerruder agierte, auf ein großes mana desselben geschlossen wurde.[16]
1.2 Das mana von Tieren und Dingen
Die Quellen für die Zuordnung von mana zu bestimmten Tieren sind die Tiermärchen und Tiersagen. Hierin sind Erklärungen oder auch nur Feststellungen von Fähigkeiten zu Schöpfertum, Wettermachen und anderem zu finden, ursprünglich nur totemistisch ausgerichtet, später meist differenziert nach dem Menschen freundlich und feindlich gesinnten Tieren. Dabei ist in Richtung Gegenwart allgemein die Tendenz zu Hilfsbereitschaft festzustellen.
Dagegen bedeutet der Umgang mit den tierischen Ungeheuern (taniwha) immer besonderes mana, das meist Häuptlingen vorbehalten ist. Ihre Beherrschung ist somit mit großer Macht verbunden.[17]
Besondere Eigenschaften von Pflanzen werden meist mit Menschen in Beziehung gebracht, indem bei der Geburt eines Kindes gepflanzt wird. Das erste Früchtetragen kennzeichnet dann den Eintritt ins Erwachsenenalter, wobei die Art und Weise des Wachstums die Entwicklung des mana im Menschen anzeigt.
So gelten beispielsweise die Bäume bei den Maori als materielle Repräsentation der Lebenskraft von Menschen oder Stämmen. Holz verbreitet sein innewohnendes mana auch als Pfosten, wenn sie Besitztümer abtrennen. Berührungen mit bestimmten Pflanzen haben zauberische Wirkung. Lehmann fasst das folgendermaßen zusammen: „...das Gründende und Wachsende in der Natur [erscheint] dem Menschen als eine unerschöpfliche Kraftquelle [...], an die er sich anschließen muß, indem er solche Gegenstände irgendwie berührt oder sie schließlich auch nur in seiner Nähe pflegt oder wenigstens Stücke davon aufstellt. In der lebensspendenden Kraft der Pflanzen zeigt sich dem Ozeanier das mana dieser Gegenstände.“[18] So werden Pflanzen auch in Zaubermitteln, Heilmitteln und im Analogiezauber eingesetzt.[19]
Steine erfüllen dagegen eher die Funktionen des Schutzes und der Kraft. Eine besondere Form oder besondere Seltenheit bringt dazu, ein gewisses mana zu unterstellen, dessen tatsächliche Wirksamkeit noch erprobt werden muss. Lehmann zitiert Florence Coombe: „Man sieht, wenn man durch den Busch geht, einen eigenartig geformten Kieselstein. Er ist seltsam rund. Man verlasse sich darauf, er hat mana für irgend etwas.
Vielleicht läßt seine Gestalt an die Sonne denken, dann ist er wahrscheinlich mit dem besonderen Zauber ausgestattet, sich als Stein zu erweisen, der mana zum Sonnenscheinmachen besitzt. Wenn das fehlschlägt, hat er vielleicht mana für Kokosnüsse. Man lege ihn an den Stamm einer Palme und sehe, ob nicht eine reiche Ernte daraus erwächst!“[20]
Weitere Funktionen können auch das Wettermachen oder die Weisheitsübertragung sein.[21]
Gerade beim mana des Orts ist eine Verwechslung von mana und tapu häufig. Die Verbindung von mana und Ort wird meist auf Grund von besonderen darauf stattgefundenen Handlungen angenommen. In dem Fall geht der Begriff mana auch auf die Ortsbezeichnung über, jedoch muss das „Mana“ im Namen nicht immer mit mana in der Wirkung zu tuen haben.[22]
Schließlich haben im dinglichen Bereich auch oder gerade die Waffen mana. In den weitverbreiteten Glücksmärchen spielen Zauberwaffen eine wichtige Rolle, meist verbunden mit einer mythischen Vergangenheit, ob als Trennungsäxte für den Himmelsvater und die Erdenmutter oder als Heldenwaffen der Urahnen. Mana drückt dann eine gewisse Scheu vor den bisherigen Taten der Waffen und den weiteren Möglichkeiten aus. Ähnlich wie die Bäume bei den Maori werden bestimmten Waffen auch das Häuptlings- oder Stammes- mana zugeordnet.[23]
Die Behandlung des Geister- mana ist bei Lehmann Angelpunkt seiner eigenen ethnologischen Interpretation, weshalb im Folgenden seine Betrachtungen dazu gesondert und im Spiegel zu anderen Interpretationen ausgeführt werden.
2. Lehmanns Ausführungen über das Geister- und Götter- mana in Beziehung zu den mana- Interpretationen seiner Zeitgenossen
„Die lebendige Wirklichkeit, um die es sich auch hier handelt, ist ein zusammenhängendes Ganzes und läßt sich nur bis zu einem gewissen Grad unter einzelne Gesichtspunkte ordnen. Die Wissenschaft kann immer nur bestimmte Seiten ein und derselben Wirklichkeit beleuchten. Sie isolieren, heißt von vornherein sich den Weg zu einer richtigen Erkenntnis der Dinge versperren. Dieser Fehler ist freilich oft genug auch in der ethnologischen Wissenschaft begangen worden. Aber gerade die primitive Kultur ist durch das enge Verknüpfsein der verschiedenen kulturellen Erscheinungen charakterisiert. Wir müssen den genannten Fehler nach Kräften zu vermeiden suchen.“[24]
Lehmanns manchmal sehr exemplarische Kritik lässt sich vielleicht aus dieser Vorsicht heraus erklären. Ganz klar wird dadurch der Fächer an Wortbedeutungen, die er in seinem Werk ausführt, ebenso wie das weite Feld an anderen Interpretationen, die er einbezieht. Mehr in der Beschreibung als in der Deduktion entfaltet sich aus dem Netz an wissenschaftlichen Thesen nach und nach seine entwicklungspsychologische Position heraus.
Wie eingangs erwähnt ist einer seiner Hauptkritikpunkte an bisherigen Abhandlungen die starke Zentrierung auf Codrington, wobei verschiedene andere Quellen vernachlässigt wurden. Außerdem kritisiert er, dass die theoretischen Konstrukte viel zu oft allein der allgemeinen religionswissenschaftlichen Diskussion dienten, nicht der tatsächlichen Klärung der Frage, die er für zentral hält: „Unter welchen Bedingungen wird Mensch, Tier, Ding oder Geist als Mana bezeichnet?“[25] Verbunden damit soll die Frage nach der Konsequenz der Benennung sein. Im Folgenden nun der Versuch, den Weg von Lehmanns Überlegungen am Beispiel des mana atua nachzuvollziehen.
2.1 Kritik des Präanimismus und Dynamismus bei Lehmann
Codringtons Werk „The Melanesians“ erschien in einer Zeit, als Tylors Theorie des Animismus von starken Gegen- oder Erweiterungsströmungen erfasst wurde. Sofern irgendein Gegenentwurf zeitlicher Art zum Animismus vorgelegt wurde, fasste man dies unter dem Begriff Präanimismus. Doch auch das hier determinierte Dasein irgendeiner unpersönlicher Macht oder später Kraft wurde teilweise abgelehnt und die Notwendigkeit eines persönlichen Transzendenten im frühesten Menschheitsdenken behauptet.
Als Grundfrage stellte sich immer das elementare Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt dar, nach Lehmann unbedingt eine entwicklungspsychologische Frage, dessen individuelle Ausprägung durch Wundt auf die soziale Wahrnehmung übertragen wurde: Im Menschen als sozial bedingtes Individuum wirkt der Wahrnehmungseindruck als Verursacher der Religion.[26]
In diesem Gedankengang interpretierten die Vertreter des von Lehmann sogenannten magischen Präanimismus - wie anfangs erwähnt größtenteils repräsentiert durch Frazer, Preuß und Vierkandt - die Auffassung des Unerklärlichen als Zauberisches, gefasst in Zauberbegriffe, worunter auch mana gezählt wurde. Als Beispiel soll hier der Zauberbegriff bei Alfred Vierkandt dienen.
Nach Vierkandt ist die Menschheitsgeschichte in die Phase der allgemeinen Vorstellung, dass bestimmten Stoffen und Körpern eine besondere Kraft innewohnt, gefolgt von Analogisierungen der Natur, wobei das Ich zunehmend in den Mittelpunkt rückt und schließlich die animistische Phase, auch wieder mit der menschlichen Seele als ersten Ansatzpunkt.
Parallel dazu unterscheidet Vierkandt drei verschiedene Arten von Handlungsweisen, und zwar die Affekthandlungen, die Analogiehandlungen und die Zweckhandlungen. Die zeitliche Entwicklung der drei Handlungsarten seien dabei bestimmt durch „ursprüngliche Reaktionen des geängsteten Gemüts, während man erst allmählich eine rationale Erklärung des darauf begründeten Brauchs fand“[27]. So sei der Zauberglaube letztlich eine Folge der unausgebildeten Erkenntnisfähigkeit von Eingeborenen und darausfolgende Übertreibung sämtlicher Wahrnehmungen.
Des Weiteren sieht Vierkandt auch im Zauberglauben zwei Entwicklungsstufen, namentlich den Nahzauber - der Glaube an die innewohnende Kraft bestimmter Substanzen - und den Fernzauber - die Fernwirkung momentan geschaffener Zusammenhänge. Das mana setzt er in jedem Fall an die erste Stelle der Entwicklung.
Denn nach seiner Auffassung liegt in diesem Begriff ein Glaube an die Zauberkraft (also Folge unausgebildeter Erkenntnisfähigkeit der Eingeborenen) von einzelnen Wesen (Nahzauber), „... eine abstrakte Vorstellung einer allgemeinen derartigen Substanz, die die einzelnen realen Körper durchdringt und sich auf mechanischem Wege ... von ihnen her ausbreitet.“[28]
Diese „materialistisch-hypostatische“ Deutung, wie Lehmann sie nennt, erscheint ihm allein nach den Codringtonschen Quellen falsch, wobei er die psychologische Deutung der ursprünglichen Denkensweise anerkennt, seine Interpretation der Magie als eigene Kulturstufe jedoch ablehnt, da sie primitivem Denken immanent sei. Damit zieht er mit Preuß gleich, der 1914 den Grundsatz ‚Urreligion ist Zauberei’ aufgibt[29] und Magie als bestimmte Seelen- und Denkverfassung beschreibt.[30]
Im dynamistischen Präanimismus, der die Zauberkraft als Beschreibung des präanimistischen Glaubens zu ersetzen versucht, formen sich als Kernfragen die Entscheidung über persönlich oder unpersönlich beziehungsweise selbstständig oder attributiv. Für die mana -Interpretationen ist dabei Robert Ranuph Marett mit seinen Werken „The Conception of Mana“ (1908) und „The taboo-mana formula as a minimal definition of Religion“ (1910) entscheidend.
Im ersteren Werk teilt Marett den mana -Begriff in zwei verschiedene Bedeutungssphären ein, nämlich die lokale (also endonyme) und die wissenschaftliche (also exonyme) Bedeutung.
In Vorbereitung der späteren Interpretation als Teil einer Minimaldefinition von Religion sieht er das mana als positiven Ausdruck des Übernatürlichen, namentlich der Magie, als ruhende Eigenschaft in den Dingen. Daher ist die Erkenntnis des Vorhandenseins nicht von einem Eindruck abhängig. Es gilt jedoch, dass im lokalen Denken, dem der Eingeborenen, diese abstrakte Vorstellung nur als ungenaues Gefühl seinen Platz hatte, jedoch unter dem Einfluss der Europäer zum Vorschein kam.
Die Verallgemeinerung dieser Vorstellung als wissenschaftliche Handhabung des mana -Begriffs führt Marett im zweiten genannten Werk genauer aus. Darin distanziert er sich vom Begriff des Präanimismus, da er nicht eine vorzeitliche, sondern eine primitivere Religionsvorstellung zu Tylors Animismus darstellen möchte, was er als unzeitliches Problem ansieht.
Das tapu und das mana seien dabei die negativen beziehungsweise positiven Komponenten ein prämagischen und präreligiösen Vorstellung vom Übernatürlichen oder einfacher noch Besonderen. Das tapu beschreibt das zu Meidende am Übernatürlichen, das mana das zu Nutzende. Marett problematisiert diese Theorie selbst als sehr aprioristisch, verweist als Verteidigung aber darauf, dass Religion nur metaphysisch betrachtet wirklich verstanden werden kann.
1915 bekam Marett noch einmal Gelegenheit, über mana zu schreiben, als Beitrag zur „Encyclopaedia of Religion and Ethics“. Hier erklärt er noch deutlicher den Unterschied zwischen der lokalen und wissenschaftlichen Betrachtungsweise des mana: Lokal verstanden wird es gesehen „als die realisierte Persönlichkeit eines mächtigen Individuums durch das Medium dessen, was es macht oder was ihm gehört oder was es beim Tode hinter sich läßt“[31] - er engt also die Wirkung des Übernatürlichen auf das Personelle ein - wissenschaftlich gesehen stellt es eine allgemeine Bezeichnung für die Macht heiliger Personen oder Dinge in ihrer magisch-religiösen Wirksamkeit dar.
An jenem letzten Punkt setzt Lehmanns Zustimmung an. Die große Bedeutung der Wirksamkeit entspricht seiner eigenen Denkweise, wenn er auch an vielen weiteren Punkten Kritik übt. So erscheint ihm die von Marett konstruierte Vorstellung vom Übernatürlichen selbst als europäisch Vermitteltes zu abstrakt für primitives Denken. Auch ist es für ihn ein großer Fehler, bei religiösen Überlegungen von genetischen Fragestellungen abzurücken, also die Zeitlichkeit außen vor zu lassen. Schließlich kann er ebenfalls der Bestimmung des mana an nur personell Gebundenes nicht beipflichten.[32]
Trotz der Unsicherheit, die Lehmann in Maretts Werken erkennen will, ist dessen Interpretation für lange Zeit von großer Bedeutung für die Diskussion geworden, insbesondere in der Weite des mana -Begriffs im wissenschaftlichen Gebrauch.
Schon in der Einleitung zum vorliegenden Werk spricht Lehmann die etwa gleichzeitig entstandene Arbeit von Pater Wilhelm Schmidt „Der Ursprung der Gottesidee I“ als gute Vergleichsmöglichkeit an. Weiterhin bespricht er die vorherige Schrift „Grundlinien einer Vergleichung der Religionen und Mythologien der austronesischen Völker“ (1910). Während Schmidt im ersteren Werk ähnlich wie Lehmann im dritten Teil des „Mana“ einen Überblick über bisherige Theorien gibt, äußert er sich in der Schrift von 1910 selbst dazu.
Er verortet das mana in den Bereich der Mond- und Sonnenmythologie, also im animistischen Bereich. Nach seiner urmonotheistischen Ansicht, in der die Magie und der Seelen- und Geisterglaube als eine Art Unreligion den ursprünglichen Glauben an einen Gott verdränen, ist die mana -Vorstellung demnach eine spätere Erscheinung. Es stellt nach Schmidt aber weiterhin etwas Persönliches dar, das nur in Verbindung mit Geistern als veränderbares Wirken auftritt. Als Mittel zur Beeinflussung dieser Natur- oder Ahnengeister nennt er das Gebet.
Damit stellt Schmidt sich mit seiner Interpretation deutlich gegen die Ansicht vieler Präanimisten, die eine Art von wirkender Substanz vermuten, so etwa beim oben angesprochenen Vierkandt. Vielmehr ginge es bei dem Begriff um die Eigenschaften und Fähigkeiten der Substanzen. Mit diesem Urteil stimmt Lehmann wiederum völlig überein, wenn er auch die restliche mythologische Deutung klar ablehnt.[33]
Wichtig anzusprechen ist in diesem Zusammenhang noch die Arbeit von Irving King, dessen sozialpsychologische Ansicht des Themas viele Ähnlichkeiten mit Lehmanns entwicklungspsychologischer Betrachtung in sich trägt. Bei ihm findet sich in „The Development of Religion“ (1910) bereits die Ablehnung metaphysischer Begriffe wie übernatürliche oder geheimnisvolle Kraft. Ihr zu akkumulierender Charakter verdecke die Ursachenfindung für religiöse und magische Praktiken. Als Religion bezeichnet er die sozialen, als Magie die individuellen Praktiken.
Beide entstehen nach King aus der teils spielerischen, teils reflektierenden Organisation des alltäglichen sozialen Lebens. Allein aus den Gegebenheiten des täglichen Lebens sei das Zustandekommen übergreifender Begriffe zu erklären, wobei soziale Vererbung und Aktion und Reaktion eine große Rolle spielen. So bilden sich auch nach und nach Formen der Machtbenennung aus, als Reaktion auf unbestimmbare Einwirkungen. So ist mana für King dann auch „das direkte Ergebnis der ersten und am wenigsten reflektierten Reaktionen des Menschen auf die Umwelt“[34], als erster Bezeichnungsversuch einer bis dahin unbenannten weitverbreiteten Macht.[35]
2.2 Die Sicht der sozialen Entwicklungspsychologie und Lehmanns Umsetzung in der Interpretation des Geister- und Götter-mana
Erkenntnisse und Bestimmungen wie bei Irving King benötigen eine empirisch-sozialpsychologische Arbeitsmethode. Die Ablehnung jeder hypostatischer Deutung und des Vorhandenseins eines Glaubens an eine allgemeine Macht ist den Entwicklungspsychologen eigen, äußert sich aber verschieden.
So beschreibt Richard Karutz 1913 in einem Artikel der „Zeitschrift für Ethnologie“ den sogenannten ‚Emanismus’. Darin fasst er die Vorstellung einer bestimmten enströmenden und übertragenden Kraft in den Dingen, die also weder von allgemeinen Eigenschaften, noch als einheitlich aufzufassen ist. Lehmann pflichtet dem bei und setzt hinzu, dass die Klärung der Bedeutung des mana für die Ursprungsfrage des Götter-, Geister- und Seelenglaubens nicht verwendbar ist, da keine ursprüngliche Beziehung zwischen beidem besteht.
Auch der Seelen- und Geistbegriff als Agierendes ist aus beider Sicht nicht auf die frühe Menschheitsgeschichte anzuwenden, da in der Zeit gar kein Unterschied zwischen grundsätzlichen Qualitäten und besonderen Eigenschaften gemacht wurde. Vielmehr betrachtete man Eigenschaften und Fähigkeiten als vom Objekt unabhängig, so dass der Seelen- und Geistesbegriff mit dem der spezifischen Wirkungen der Objekte zu ersetzen ist.[36]
Wilhelm Wundt hatte das mana ebenfalls nicht als übersinnliche Macht beschrieben, sondern als Attribut, das nur wegen seiner häufigsten Verwendung in der Bedeutung eines Zaubers auch im Zauberhaften seine Grundbedeutung habe. „Denn unter Zauber müssen wir nach der Bedeutung, die das Wort als zusammenfassendster Ausdruck angenommen hat, jede Wirkung verstehen, die auf völlig unbegreifliche Weise von Menschen oder Geistern ausgeübt werden kann, um Heil oder Unheil hervorzubringen, oder auch um drohendes Unheil abzuwehren.“[37]
In diesem Theoriennetz entwickelt Lehmann nun seine Position, die wie gesagt am klarsten im Kapitel über das Geister- und Götter- mana (mana atua) ausgedrückt wird, auch wenn Lehmann hier betont, dass die Bedeutungsüberlagerungen des Wortes kaum eine Abgrenzung der Beispiele erlaubt.
Die Entstehung der Vorstellung übernatürlicher Mächte ist nach Lehmann auf das mythische Ausgestalten der inneren und äußeren Weltenerfahrung des Menschen und auf den Seelenglauben zurückzuführen. Beides - mythische Erzählung und Beseelung - vermischt sich dabei durch das Verständnis des Übersinnlichen als Menschenähnliches.
So werden bei den Geistern, ebenso wie bei den Menschen, Geister mit mana und Geister ohne mana unterschieden. Maßgebend ist immer die tatsächliche Wirksamkeit, nach denen gruppiert wird. Lebendige werden, wenn sie mana beweisen, als von göttlichen Ahnen inspiriert verehrt.
Mächtige Häuptlinge gründen ihre Macht auf ihren souveränen Umgang mit tindalo-s, mächtigen Geistern, und der akiri wird als Wohnstätte eines Erb- atua, des Stammesschutzgeists angesehen. Somit wird auch das mana des Stammes göttlich.
Besonderes mana besitzen die Totengeister, da sie das verstärkte mana des Verstorbenen haben. Das Töten eines fremden Kriegers ist darum immer gefährlich, da der eigene Dienergeist (keramo) der Macht des feindlichen Totengeistes möglicherweise nicht gewachsen ist. Auch die Waffen werden als Träger von göttlicher mana betrachtet. Ebenso können durch Geister- mana Wetteränderungen, Erhöhung der Fruchtbarkeit und vielfältige andere Dinge bei der Verwendung der richtigen karakia und genug mana tangata des Anrufenden herbeigeführt werden. Dabei bekommt jede Sache, die vom mana atua beeinflusst wurde, das mana als Namen oder Attribut versehen.[38]
Mana atua durchdringt also letztlich alle anderen mana oder vielmehr, ist damit verwoben. Denn was Lehmann durch die verschiedenartigen Beispiele und Einzelfälle versucht nachzuweisen ist, dass es keine einheitliche Bedeutung gibt, dass es sich eben nicht um eine lineare Vorstellung einer allgemeinen persönlichen oder unpersönlichen Kraft oder Macht aus einem bestimmten Seelen-, Geister- oder Götterglauben heraus ist. Was die als mana benannten Dinge vereint, ist, wie eingangs vorweggenommen, das „außerordentlich Wirkungsvolle“, das die Wahrnehmung und darauffolgende Benennung als mana fundamental bestimmt.
Die sozialpsychologische Betrachtung ist dabei von großer Relevanz, da sich eine bestimmte Wortbedeutung immer nur aus dem sozialen Kontext heraus erschließen lässt. Denn die mana -Benennung an sich erlaubt keinen Rückschluss auf die spezifische Art der Verwendung, es zeigt lediglich das Außerordentliche von Etwas an, das vom Forscher nach präzisiert werden muss. Weder ist ein allgemeiner Bezug zu erkennen, nämlich ob damit Menschen, Tiere, Pflanzen, religiöse oder magische Dinge gemeint sind, noch ist die Übersinnlichkeit an sich Garant für die Bezeichnung als mana.
Die Anwendung des Wortes geschieht aus dem Moment heraus auf Grund eines besonderen Ereignisses. Die daraus resultierende Begriffsdiffusion, die Lehmann mit der Begriffsbildung im frühen Kindheitsalter vergleicht, darf jedoch nie zu simplifizierten Interpretationen oder Übersetzungen führen.[39].
Allein die Übertragbarkeit kann als weitere verbindende Eigenschaft anerkannt werden, wie etwa durch die Vererbung in der Häuptlingsfamilie oder die Übertragung durch Berührung belegt. In jedem Fall ist jede metaphysische Deutung als Schlüssel zur Bedeutung des mana -Begriffs abzulehnen.[40]
3. Zusammenfassung
„ He kotuku rerenga tahi. (Der eine Flug des weißen Kranichs;...)“ So zitiert W. E. Gudgeon ein Maori-Sprichwort[41] und will damit verdeutlichen, wie selten ein menschlicher Träger des mana in der polynesischen Kultur zu finden ist. So selten das mana allerdings nach Gudgeon auch auftreten mag, so zahlreich sind doch die Bemühungen gewesen, es zu deuten, seine begriffliche Verwendung bei den ‚Primitiven’ zu erläutern und seinen Inhalt zu abstrahieren. Die Arbeit von Friedrich Rudolf Lehmann zu diesem Thema (1915 die Dissertation „Mana. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung auf ethnologischer Grundlage“, überarbeitet und erweitert 1922 als „Mana. Der Begriff des ‚außerordentlich Wirkungsvollen’ bei Südseevölkern“) ist dabei eingebettet in theoretische Erörterungen verschiedener Lehrmeinungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Die entwicklungspsychologische Argumentation Lehmanns trat in eine Auseinandersetzung animistischer, präanimistischer und dynamistischer Auffassungen ein, die das gesamte Spektrum religionswissenschaftlicher Diskussion erfasste.
Seit der Begriffs mana 1878 mit der Publikation eines Briefes des englischen Missionars R. H. Codringtons durch Max Müller ins Bewusstsein der europäischen Ethnologen gebracht wurde, gab es verschiedenste Anstrengungen jeweils vorherrschende Theorien dadurch zu belegen. Codrington stellte dabei mit seinem Hauptwerk „The Melanesians“ (1891) lange Zeit eine unzweifelhafte Autorität dar.
Max Müller sah in der Verwendung des Begriffs einen ursprünglichen Ausdruck des Unendlichen, jedoch nicht wie in den urmonotheistischen Vorstellungen Andrew Langs oder Wilhelm Schmidts als Persönlichkeit, sondern als unpersönlich-physische Macht. In dieser Form ist der mana -Begriff erst wieder bei Karl Beth in seiner Theorie der übersinnlichen Macht zu finden.
Die vorgenannten Erklärungen stehen jedoch in ihrer theistischen Ausrichtung gemeinsam im Gegensatz zu den Ansätzen des Präanimismus, dessen Vertreter als primär zeitliche Abgrenzung gegen den Animismus das mana entweder magisch (als Zauber) oder dynamistisch (als Kraft) zu klären versuchen. Lehmann nennt die erstere Ausrichtung magischen Präanimismus und zählt unter ihn James George Frazer, Konrad Theodor Preuß und Alfred Vierkandt. Entsprechend dazu bilden den Kern des dynamistischen Präanimismus Robert Ranulph Marett, Edwin Sydney Hartland, Irving King und andere.
Die sozialpsychologischen Ansätze der soziologischen Schule in Frankreich sehen dagegen etwa in den Ausführungen von Durkheim das mana eher als gesellschaftlich determinierte Vorstellung von Lebenskraft, die so einen ersten Ausdruck findet und schließlich in verschiedenen Differenzierungsphasen animistische Formen annimmt.
Lehmann befürwortet eindeutig die Ergebnisse der sozialen Entwicklungspsychologie, indem er den Ausführungen von Richard Karutz über mana als bestimmte, übertragbare Kraft zustimmt und in Wilhelm Wundts attributiver Erklärung annähernd die eigene Position zu finden meint. Jene fasst er wiederum bereits im Titel des hier zu behandelnden Werks zusammen: das mana als Ausdruck des „außerordentlich Wirkungsvollen“.
An Hand zahlreicher Beispiele erläutert Lehmann die aus dieser Grundbedeutung resultierende Begriffsvielfalt, die in dem einen Wort mana akkumuliert. Nach seinen Ausführungen lässt sich die Verwendung des mana in nahezu allen Lebensbereichen finden, nachweisbar durch zahlreiche Quellen aus den ethnografischen Abhandlungen über die Südsee. Damit tritt Lehmann vielen vorherigen Argumentationen auch insofern entgegen, dass er einen Rückschluss vom mana auf die Ursprünge der Religion als unangemessen ablehnt.
Literaturverzeichnis
Lehmann, Friedrich Rudolf. 1922. „Mana. Der Begriff des „außerordentlich Wirkungsvollen“ bei den Südseevölkern“, Leipzig: Otto Spamer Verlag.
Schmidt, Pater Wilhelm. ²1926. „Der Ursprung der Gottesidee. Eine historisch-kritische und positive Studie“, Band I: Historisch-kritischer Teil, Münster: Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung.
[...]
[1] zit. und nach Schmidt: 558
[2] nach Lehmann: 8
[3] Lehmann: 8-9
[4] nach Lehmann: 9
[5] nach Lehmann: 10
[6] nach Lehmann: 11-12
[7] nach Lehmann: 12-13
[8] nach Lehmann: 13-14
[9] nach Lehmann: 16-17
[10] nach Lehmann: 19-22
[11] Lehmann: 24
[12] Lehmann: 24
[13] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 22-27
[14] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 27-35
[15] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 35-36
[16] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 36-38
[17] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 38-42
[18] Lehmann: 44
[19] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 42-45
[20] Lehmann: 47
[21] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 45-48
[22] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 49-51
[23] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 51-53
[24] Lehmann: 53-54
[25] Lehmann: 110
[26] nach Lehmann: 67-68
[27] zit. nach Lehmann: 73
[28] zit. nach Lehmann: 74
[29] Anm.: in „Die geistige Kultur der Naturvölker“, siehe Lehmann: 75
[30] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 67-76
[31] zit. nach Lehmann: 84
[32] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 77-84
[33] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 101-102
[34] zit. nach Lehmann: 98
[35] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 97-99
[36] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 110-114
[37] zit. nach Lehmann: 113
[38] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 53-59
[39] Lehmann verweist schon vorher auf diese Ansicht der bedeutendsten Polynesien-Ethnografen Elsdon Best, W. E. Gudgeon, Frederick Edward Maning und Edward Tregear. siehe Lehmann: 64
[40] gesamter Abschnitt nach Lehmann: 110-111
[41] zit. nach Lehmann: 9-10
- Quote paper
- Enrico Ille (Author), 2002, Die Deutung des mana-Begriffs bei Friedrich Rudolf Lehmann und seine Einbettung in zeitgenössische Konzepte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111508
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