„Willst du viele befrein, so wag es, vielen zu dienen. Wie gefährlich das sei, willst du es wissen?
Versuch’s!“1
So schreibt der Dichter und Denker Johann Wolfgang von Goethe in seinen
Epigrammen aus dem Jahre 1790 und bezieht sich dabei auf die Umsetzungsversuche
der revolutionären Errungenschaften auf Deutschland. Er spricht deutlich die
Revolutionäre an und scheint die beiden Akteure der späteren Mainzer Republik - den
Mainzer Universitätsbibliothekar und Jakobiner Georg Forster2 als auch den
französischen General Adam Philippe de Custine3 - bereits vorab warnend
anzusprechen.
Beide werden auf die Geschehnisse und den Verlauf der Mainzer Republik von
1793/93 einen grundlegenden Einfluss haben; beide werden versuchen die
revolutionären Errungenschaften auf deutschem Boden zu verwirklichen und beide
werden auch die Wirklichkeit der Umsetzungsschwierigkeit zu spüren bekommen.
Dabei stellt sich die Frage, inwieweit diese prägenden Persönlichkeiten als
Revolutionäre zu sehen sind und inwiefern sie ihre Vorstellungen innerhalb der
Mainzer Republik umsetzen können. Wird es Custine und Forster überhaupt möglich,
Revolutionäre sein zu?
Dazu soll ihr Handeln und Wirken in den beiden Hauptphasen der Mainzer Republik
vom anfänglichen Eifer und der Euphorie von Oktober 1792 bis zum Ende desselben
Jahres sowie in der zweiten Phase, welche die Wende der Mainzer Republik mit der
Jahreswende 1792/1793 einleitet, im aufflammenden Anspruch der Wirklichkeit
genauer betrachtet werden. Als Quellen werden in der vorliegenden Arbeit besonders
die von der Akademie der Wissenschaften der DDR zusammengetragenen Briefe
Georg Forsters, sowie die Protokolle der Klubsitzungen der Mainzer Jakobiner
herangezogen. Eine weitere Quellenstütze der Arbeit bietet die von Joseph Hansen
erstellte Quellenedition zur Geschichte des Rheinlands, welche vor allem Dekrete und
Proklamationen beinhaltet.
Der Aufbau dieser Arbeit gestaltet sich dabei chronologisch, wodurch die Betrachtung
des revolutionären Entwicklungsverlauf Custines und Forsters beleuchtet werden
kann.
[...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Eifer und Euphorie: Der Beginn und Aufbau der Mainzer Republik
1. Revolutionäre Ziele und Vorstellungen
2. Erste Umsetzung und Aktivitäten
II. Anspruch und Wirklichkeit: Die auferlegte Freiheit und das Ende
1. Das Dezemberdekret und seine Folgen
2. Die Volkswahlen und der Rheinisch – Deutsche Nationalkonvent
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
Einleitung
„Willst du viele befrein, so wag es, vielen zu dienen. Wie gefährlich das sei, willst du es wissen? Versuch’s!“1
So schreibt der Dichter und Denker Johann Wolfgang von Goethe in seinen Epigrammen aus dem Jahre 1790 und bezieht sich dabei auf die Umsetzungsversuche der revolutionären Errungenschaften auf Deutschland. Er spricht deutlich die Revolutionäre an und scheint die beiden Akteure der späteren Mainzer Republik - den Mainzer Universitätsbibliothekar und Jakobiner Georg Forster2 als auch den französischen General Adam Philippe de Custine3 - bereits vorab warnend anzusprechen.
Beide werden auf die Geschehnisse und den Verlauf der Mainzer Republik von 1793/93 einen grundlegenden Einfluss haben; beide werden versuchen die revolutionären Errungenschaften auf deutschem Boden zu verwirklichen und beide werden auch die Wirklichkeit der Umsetzungsschwierigkeit zu spüren bekommen.
Dabei stellt sich die Frage, inwieweit diese prägenden Persönlichkeiten als Revolutionäre zu sehen sind und inwiefern sie ihre Vorstellungen innerhalb der Mainzer Republik umsetzen können. Wird es Custine und Forster überhaupt möglich, Revolutionäre sein zu?
Dazu soll ihr Handeln und Wirken in den beiden Hauptphasen der Mainzer Republik vom anfänglichen Eifer und der Euphorie von Oktober 1792 bis zum Ende desselben Jahres sowie in der zweiten Phase, welche die Wende der Mainzer Republik mit der Jahreswende 1792/1793 einleitet, im aufflammenden Anspruch der Wirklichkeit genauer betrachtet werden. Als Quellen werden in der vorliegenden Arbeit besonders die von der Akademie der Wissenschaften der DDR zusammengetragenen Briefe Georg Forsters, sowie die Protokolle der Klubsitzungen der Mainzer Jakobiner herangezogen. Eine weitere Quellenstütze der Arbeit bietet die von Joseph Hansen erstellte Quellenedition zur Geschichte des Rheinlands, welche vor allem Dekrete und Proklamationen beinhaltet.
Der Aufbau dieser Arbeit gestaltet sich dabei chronologisch, wodurch die Betrachtung des revolutionären Entwicklungsverlauf Custines und Forsters beleuchtet werden kann.
I. Eifer und Euphorie: Der Beginn und Aufbau der Mainzer Republik
1. Revolutionäre Ziele und Vorstellungen
„Der Rhein ist jetzt zum Glück für Deutschland da; er muß die Gränze seyn, die das Land der Republikaner von Deutschland absondert.“4So heißt es in einem Brief Georg Forsters an seinen Verleger wenige Tage kurz nach der Eroberung des Kurfürstentums Mainz durch die französische Revolutionsarmee unter der Führung des Generals Adam Philippe de Custine. Forster zeigt sich in diesem Brief revolutionär und zugleich dem republikanischen Frankreich zugeneigt. Deutlich wird auch die revolutionäre Intention des kurfürstlichen Bibliothekars – nämlich die Reunion mit Frankreich. Auch die französische Besatzungsmacht sieht sich nicht nur als Besetzer, sondern erklärt als primäres Ziel die Befreiung des deutschen Nachbarn vom Despotismus, welche durch den Import und die Festigung der soeben erkämpften Ideale der Französischen Revolution erfolgen soll. Deutlich wird dies durch die Proklamation des Generals Custine am 23. Oktober 1792 an die Mainzer Bevölkerung:
„Les représantants du peuple français, la nation tout entière distingueront toujours dans leur justice les peuples assez malheureux pour s’être vus forcés de courber leur tête sous le joug du despotisme de ces hommes injustes. Une nation qui, la première a donné l’exemple à tous les peuples de rentrer dans leurs droits, vous offre la fratenité, la liberté. Un voeu spontané doit décider de votre sort, et si vous préférez l’esclavage aux bienfaits, qui vous sont offerts, je laisserai aux traités, à pronocer; lequel des depotes doit vous rendre des fers. “5
Besonders hervorzuheben ist dabei, dass Custine den Mainzern die Brüderlichkeit und Freiheit lediglich anbietet und selbst die Entscheidung der Mainzer akzeptieren würde, das Ancien Régime wiederherzustellen. In der Proklamation vom 23.10.1792 wird gleichzeitig eine revolutionäre Besatzungs- bzw. Kriegsphilosophie der Franzosen angestoßen - danach vollzieht die französische Nation die internationale Aufgabe, die Rechte der Menschen wiederherzustellen und die unter dem Despotismus zu leidenden Völker zu befreien.6 Die Befreiung von Nachbarvölkern erscheint Custine gleichzeitig als Gebot der Selbsterhaltung - der Kampf gegen die Tyrannen7 gilt ihm dabei als elementare Voraussetzung. Noch stellt Custine die Freiheit der Besetzten absolut und lässt ihnen politische Entscheidungsmöglichkeiten offen, er sieht sie sogar als Brüder und möchte keinerlei Blut unschuldiger Bürger vergießen8. Gleichzeitig möchte er den politischen Status Quo nicht antasten.9 Fraglich erscheint jedoch, ob sich diese auf revolutionärem Fundament basierenden Vorstellungen auch in den kommenden Monaten umsetzen lassen.
Weniger revolutionär zeigt sich die direkte Reaktion Georg Forsters auf den Appell Custines an das Selbstbestimmungsrecht - in einem Brief an seinen Freund Huber betont Forster die Voreiligkeit der Proklamation und macht deutlich, dass er sich nicht sofort durch einen Eid binden würde.10
Erwartet Forster die Franzosen vor ihrer Ankunft in Mainz noch regelrecht sehnsüchtig und betont, dass sich deren Ankunft doch beschleunigen möge11, so zeigt er sich in den ersten Tagen der Besatzungsherrschaft noch zurückhaltend und begibt sich zunächst in die Rolle des Beobachters.
Auch der Französischen Revolution gibt sich Forster nicht vollkommen hin, besonders die ersten revolutionären Ereignisse beängstigen ihn wegen ihrer Brutalität. Schließlich wird er durch eine Reise, welche ihn 1790 nach Paris führt, von der Bedeutung und dem Erfolg der Revolution überzeugt.12 Hieraus resultiert sodann sein Werk„Ansichten vom Niederrhein“,worin er seinen Beobachtungen zugleich eine politische Forderung beiordnet: der Bürger solle den Staat aus seiner Bevormundungsrolle entheben und sich zu verweigern wissen, um dem eigenen Willen zu dienen.13 Forster nährt seine Revolutionsbegeisterung besonders aus seinen Beobachtungen über die Umsetzung der politischen Theorie in die Praxis14 – sein aus der Aufklärung geschöpftes Bildungsideal scheint in der Französische Revolution befriedigt zu werden. Dennoch ist sein Bild über die Französische Revolution nicht ganz ohne Widersprüche – so heißt es in einem Brief an seinen Schwiegervater Christian Gottlob Heyne15:
„Wie sollte es mir einfallen einen Umsturz predigen zu wollen, den ich selbst nicht wünsche, sondern vielmehr für ein so großes Unglück für Deutschland halte, dass ich alles aufbiete, um es abzuwenden ().“16
In diesem Brief verleiht Forster seiner Weigerung Ausdruck, die Werke des Schriftstellers und Jakobiners Jacques Pierre Brissot17 zu übersetzen. Jener Satz scheint offensichtlich in einem deutlichen Kontrast zu seinem relativ frühen Bekenntnis zum Jakobinismus zu stehen, welches er in einem Brief an denselben Empfänger lediglich vier Monate später abgibt,:
„(…) so bekenne ich gern, dass ich allemal lieber für als wider die Jacobiner bin, (…)“18
Auch bei der Gründung des Mainzer Jakobinerklubs am 23.Oktober 1792 zeigt Forster keine klare Stellung, sondern steht der raschen Klubgründung eher skeptisch, ja sogar ablehnend gegenüber. Erst zögerlich tritt er nach regen Überlegungen dem Klub am 05. November 1792 bei, gefestigt mit der Begründung, dass es nicht möglich sei, „in einem gärenden Staate neutral zu bleiben“19 und dass man „dem Willen der Mehrheit folgen“20 müsse. Ist Forster nun jener feurige Revolutionär, wie man ihn in den nächsten Monaten der Mainzer Republik beobachten wird? Kann er seinen revolutionären Vorstellungen gerecht werden und diese im Einklang mit den Custinischen Ideen umsetzen und aktiv verwirklichen?
[...]
1 Vgl. TRÄGER, Claus (Hrsg.): Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur, Köln3, 1989, S.206.
2 Georg Forster (1754 in Nasenhuben bei Danzig – 1794 in Paris): Naturwissenschaftler und Schriftsteller, 1772/75 Teilnahme an einer Südseereise mit dem berühmten Weltumsegler James Cook (1728 – 1779) ,berühmt wird Forster u. a. durch seinen Bericht „Reise um die Welt“ (1780); 1778/84 Aufenthalt in Paris, Eintritt in die Freimaurerloge, anschließend Professor für Naturwissenschaften in Kassel und 1784/88 in Wilna, 1788 Antritt der Stelle des Universitätsbibliothekars in Mainz, 1792 Präsident des Mainzer Jakobinerklubs, im März 1793 Abgeordneter und Vizepräsident im Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent, nach seinem Aufenthalt in Mainz geht er nach Paris, wo er im Jahre 1794 nach schwerer Krankheit stirbt, aus: UHLIG, Ludwig (Hrsg.): Georg Forster. Lebensabenteuer eines gelehrten Weltbürgers, Göttingen 2004.
3 Adam Philippe de Custine (1740 in Metz – 1793 hingerichtet in Paris): Custine beginnt seine militärische Karriere im siebenjährigen Krieg (1753-1763), danach führt er ein Dragonerregiment, mit dem er in Amerika gegen die Engländer kämpft, 1781 Ernennung zummaréchal de campund Gouverneur von Toulon, 1788 von den Metzer Adligen als Abgeordneter in die Generalstände berufen, 1791 Beförderung zum Generalleutnant, 1792 Custine nimmt als Generaloberst der vogesischen Armee Speyer, Worms und Mainz ein, 1792 muss er sich mit seiner Armee aus den rheinischen Gebieten zurückziehen, Hinrichtung im Sommer 1793, aus: CHUQUET, Arthur: L’ Expédition de Custine (Les Guerres de la Révolution, Bd.6), Paris2 1892.
4 Vgl. Brief Georg Forsters an Christian Friedrich Voß am 27.Oktober 1792, in: Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Briefe 1792 bis 1794 und Nachträge, Bd.17, hrsg. v. der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1989, , Z.5 – 6., S.225.
5 Vgl. HANSEN, Joseph (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780 – 1801 ,Bd.2, Bonn 1933, Proklamation an die Stadt Mainz, S.469.
6 Vgl. SCHNEIDER, Peter: Mainzer Republik und Französische Revolution, Mainz 1990, S.5 ff.
7 Vgl. Proklamation an die Bürger von Worms, in: Mémoires posthumes du général français Comte de Custine, rédigés par un de ses aides de camp, Frankfurt / Hamburg 1794, Z.15 – 16, S.121:„Paix aux chaumières, guerre aux palais“.
8 Vgl. ebd., S.7:„Tous les peuples sont frères (...) qu’aucunes de nos armes ne soient deshonorés en se rougissant du sang du citoyen innocent ! “
9 Vgl. HANSEN: Proklamation des Generals Custine an die Stadt Mainz, S.469:„Je maintiendrai les anciennes impositions (). Je ferai respecter toutes les autorités constituées (.).“
10 Vgl. Brief Georg Forsters an Ludwig Gottlob Huber am 24.Oktober 1792, in: AA XVII, Z.14 – 20, S.215.
11 Vgl. Brief Georg Forster an Samuel Soemmering am 06.Oktober 1792, in: ebd., S.194 – 195.
12 Vgl. DROZ, Jacques: L’ Allemagne et la Révolution Française, Paris 1949, S.198.
13 Vgl. ebd., S.199.
14 Vgl. DUMONT, Franz: Georg Forster als Demokrat. Theorie und Praxis eines deutschen Revolutionärs, in: DIPPEL, Horst / SCHEUER, Helmut (Hgg.): Georg – Forster Studien I (Bd.4), Berlin 1993, S.127.
15 Christian Gottlob Heyne (1729 – 1812): Hofrat, Professor der klassischen Philologie in Göttingen,
Forsters Schwiegervater und väterlicher Freund, führender zeitgenössischer. Vertreter seines Fachs, aus: TRÄGER, Claus (Hrsg.): Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur, Köln3, 1989.
16 Vgl. Brief Georg Forsters an Christian Gottlob Heyne am 21.Februar 1792, in: AA XVII, 23 – 26, S.46.
17 Jacques Pierre Brissot (1754 – 1793): Schriftsteller; 1789 beteiligt an der Pariser Kommunalrevolution; Herausgeber des Patriot Français und führendes Mitglied im Cercle Social , Abgeordneter in der Legislative, führender Politiker im Pariser Jakobinerklub, 1792 Abgeordneter diverser Departements im Konvent, Führer der Gironde, im Juni 1793 hingerichtet; aus: KRUSE Wolfgang, Die Französische Revolution, Paderborn 2005, S.198.
18 Vgl. Brief Georg Forsters an Christian Gottlob Heyne am 06.Juni 1792, in: AA XVII, Z.4 – 5, S.126.
19 Vgl. Brief an Christian Gottlob Heyne am 10.November 1792, in: AA XVII, Z.28, S.237.
20 Vgl. Brief an Christian Friedrich Voß am 27.Oktober 1792, in: ebd., Z.8 – 9, S.226.
- Quote paper
- Marco Michael Wagner (Author), 2007, Georg Forster versus Adam Philippe Custine - Zwei Revolutionäre in der Mainzer Republik?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111426
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