Maria Montessori ist viel komplizierter und interessanter als die Gipsheilige, in der ihre ergebenen Anhänger sie gemacht haben. Unter all der fast mystischen Verehrung, der Heiligenlegende, die als Biografie ausgegeben wurde, steckt eine zähe inteligente Frau, die zumindest in ihrer Jugend Dinge dacht und tat die niemand vorher in den Sinn gekommen waren. (Kramer)
Die Reformpädagogik erlebt heute ein Comeback. In dem vorliegendem Buch wir die Reformpädagogische Bewegung thematiersiert. Die Geschichte der Reformpädagogik wird näher erläuter und einige reformpädagogische Konzepte werden näher erläutert und gegenübergestellt.
Der Focus liegt auf Maria Montessori und ihrer pädagogischen Konzeption.
Um die Brücke zu schlagen in das jetzt und heute, wird das aktuelle Bildungsprogramm näher erläuter, da sich dort sehr viele Ansätze aus der Reformpädagogik wieder finden.
Zum Schluss gibt es noch eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik, die zum nachdenken anregen soll.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anmerkung
Einleitung
1 Geschichte der Reformpädagogik und ausgewählte reformpädagogische Konzepte
1.1 Der Begriff Reformpädagogik
1.2 Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum Neuhumanismus
1.3 Die pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik
1.4 Die staatliche Schulreform und Schulversuche der DDR
1.5 Ausgewählte reformpädagogische Konzepte
1.5.1 Peter Petersen - biografischer Abriss
1.5.1.1 Die pädagogische Konzeption Jenaplan
1.5.1.2 Die pädagogische Konzeption Waldorfpädagogik
1.5.2 Celestin Freinet - Biografischer Abriss
1.5.2.1 Freinet Pädagogik
1.6 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Pädagogischen Konzeptionen von Petersen, Steiner und Freinet
2 Maria Montessori: Biografie und Erziehungskonzeption
2.1 Biografie
2.2 Theoretische Grundlangen der Montessori- Pädagogik
2.2.1 Anthropologischer Ansatz
2.2.2 Entwicklungspsychologische Konzeption
2.2.2.1 eistiger Embryo
2.2.2.2 Sensible Phasen
2.2.3 Kosmische Theorie
2.3 Eckpunkte der Kosmischen Erziehung
2.4 2“Hilf es mir, selbst zu tun“ Die Erziehungskonzeption von Maria Montessori
2.4.1 Die Polarisation der Aufmerksamkeit
2.4.2 Freiheit und Disziplin
2.4.3 Die vorbereitete Umgebung
2.4.4 Die Rolle des Pädagogen
2.5 Entwicklungsmaterial
2.5.1 Prinzipien des Materials
2.5.2 Arbeit mit dem Material
2.6 Übungen des täglichen Lebens
2.7 Vermittlung der Kulturtechniken
2.8 Gruppenübungen
3 Montessori - Pädagogik heute, in Kindertagesstätten und Schulen und das Bildungsprogramm “Bildung Elementar“
3.1 Montessori - Pädagogik in der Kindertagesstätte
3.2 Montessori - Pädagogik in der Schule
3.2.1 Schultheoretische, organisatorische und pädagogisch – didaktische Grundlegung der Montessori Schule
3.2.2 Montessori Grundschule
3.2.3 Die Montessori- Sekundarschule
3.3 Bildung Elementar
3.3.1 Aufbau des Programms
3.3.2 Voraussetzungen
3.3.2.1 Fachliche Grundorientierungen
3.4 Bildungsbereiche
3.5 Zusammenarbeit mit Grundschule und Eltern
4 Kritische Auseinandersetzung mit der Thematik
4.1 Aktualität der Reformpädagogik
4.2 Krische Betrachtung zur Erziehungskonzeption von Steiner
4.3 Kritische Betrachtung zur Montessori – Pädagogik
5 Schlussbetrachtung
6 Quellenverzeichnis
6.1 Literatur
6.2 Internet
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Struktur Jenaplanschule
Abb. 2: Übersicht über die Sensiblen Phasen
Abb. 3: Eckpunkte der Kosmischen Erziehung
Abb. 4: Gegenüberstellung der alten und neuen Lehrerin
Abb. 5: Aufbau des Bildungsprogramms “Bildung elementar“
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung
Um einer besseren Lesbarkeit des Textes Rechnung zu tragen, verwende ich bei allen Personengruppen die maskuline Bezeichnung.
Der Verzicht auf die entsprechende feminine Form soll keine Diskriminierung darstellen.
Ich verwende im Kapitel 2 den Begriff der „kosmischen Theorie“, wohl wissend, dass in der aktuellen Literatur der Begriff der „kosmischen Erziehung“ bevorzugt benutzt wird.
Der Leser wird in einigen Autorenzitaten kursiv gedruckte Wörter oder Sätze feststellen, welche Hervorhebungen durch die jeweiligen Autoren sind.
Einleitung
Der Bearbeitung der vorliegenden Diplomarbeit möchte ich ein Zitat voranstellen:
„Maria Montessori ist viel komplizierter und interessanter als die Gipsheilige, zu der ihre ergebenen Anhänger sie gemacht haben. Unter all der fast mystischen Verehrung, der Heiligenlegende, die als Biografie ausgegeben wurde, steckt eine zähe, intelligente Frau, die zumindest in ihrer Jugend Dinge dachte und tat, die niemand vorher in den Sinn gekommen waren.“
(zit. n. Kramer aus Hedderich, 2001 , o. S.)
(Hervorhebung durch Verfasser Diplomarbeit)
Während meines Studiums der Heilpädagogik befasste ich mich in verschiedenen Seminaren mit Maria Montessori und ihrer Erziehungskonzeption. Montessori gab für mich als angehende Heilpädagogin sehr viele Denkanstöße. Meinen zukünftigen Wirkungskreis als Heilpädagogin sehe ich in der Förderung und Betreuung von behinderten Kinder z. B. ein einer integrativen Kindertagesstätte oder in der Frühförderung. Aus diesem Grund habe ich in meiner Diplomarbeit die Reformpädagogische Bewegung und Maria Montessori thematisiert.
In der Praxis erlebte Eindrücke von Integration und Förderung von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen haben mich zum Nachdenken angeregt. Die Erziehungskonzeption von Maria Montessori bietet für mich als angehende Heilpädagogin Anregungen und Möglichkeiten, diese weiter zu entwickeln und zur Förderung von Kindern mit Behinderung zu nutzen. Ich konnte in meinen praktischen Studiensemstern erleben, wie Grundgedanken von Montessori in die Praxis umgesetzt wurden. Mir wurde die Möglichkeit gegeben, im Sinne von Maria Montessori ein Kind mit Verhaltensauffälligkeiten zu fördern. Nach kurzer Zeit waren erste Entwicklungsfortschritte zu sehen. Ich möchte dazu Montessori zitieren:
„Die Erzieherin hat zwei Aufgaben: die Kinder zur Konzentration zu führen und danach ihnen in der Entwicklung zu helfen. Die fundamentale Hilfe in der Entwicklung... ist das Nichteingreifen. Einmischung hemmt Aktivität und hemmt Konzentration.“ (zit. n. Montessori aus Buchka, Grimm Klein, 2002, o. S.)
Im Folgenden soll die Gliederung der Diplomarbeit erläutert werden. Die Diplomarbeit ist in mehre Kapitel und Unterkapitel gegliedert. Nachdem ich in der Einleitung meine Intension zur vorliegenden Arbeit geschildert habe, folgen im ersten Kapitel die Klärung der Definition von Reform und Reformpädagogik und die Geschichte der Reformpädagogik. Weiterhin habe ich mich mit einigen Reformpädagogen und deren Erziehungskonzeptionen befasst, die näher erläutert werden sollen. Zum Ende des ersten Kapitels gehe ich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Konzeptionen ein. Im zweiten Kapitel meiner Arbeit steht Maria Montessori im Vordergrund. Es wird ausführlich auf ihre Biografie eingegangen. Danach befasse ich mich genauer mit den Grundlagen ihrer Erziehungskonzeption. Dazu gehören u.a. die Anthropologie, die Kosmische Theorie und die sensiblen Phasen.
Im dritten Kapitel wird Bezug auf die Montessori Pädagogik heute in Kindergarten und Schule genommen. Das Bildungsprogramm „Bildung elementar, Bildung von Anfang an“ wird näher erläutert, da sich dort einige Ansätze von Maria Montessori und anderen Reformpädagogen wieder finden und es bildet eine gute Brücke zur heutigen Pädagogik.
Im Anschluss an das dritte Kapitel erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit einigen Themen der Diplomarbeit. In der Schlussbetrachtung am Ende der Arbeit werden meine neuen Erkenntnisse die ich während des Schreibens gewonnen habe, näher erläutert. Eine Danksagung findet sich am Ende der Diplomarbeit wieder.
1 Geschichte der Reformpädagogik und ausgewählte reformpädagogische Konzepte
1.1 Der Begriff Reformpädagogik
Der Begriff Reform ist vom lateinischen Wort “reformare“ abgeleitet und bedeutet: Umgestaltung, Neuordnung, Verbesserung des Bestehenden (vgl. Duden Fremdwörterbuch, 2001, 849). Ein “Reformator“ war jemand, der bestehende Verhältnisse so ändert, dass sich ein neuer Sinn ergibt (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 13). Im 16. Jh. prägten Luther und andere den Begriff “Reformation“. Ihr Anliegen der Reformation war eine Erneuerung des Glaubens und eine Rückbesinnung auf Grundlagen und Grundsätze. Heute findet man die Begriffe Reform und reformieren sehr häufig in der Politik wieder (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 14). Zwischen 1890 und 1933 entstand die Reformpädagogik. Sie umfasste die Reformation des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens (vgl. Hedderich, 2001, 18). „Das Neue der Reformpädagogik wird in der pädagogischen Reflexion auf die historisch – gesellschaftliche Situation gesehen, aus der eine Vielfalt unterschiedlicher Ansätze zur Erneuerung von Schule und Erziehung hervorging. Insbesondere wurde der um 1900 abgeschlossene Aufbau eines bürokratischen und selektiven Schulsystems kritisiert.“ (Hedderich, 2001, 19) Mit der Industrialisierung kam es zu einem gesamtgesellschaftlichen Umbruch (vgl. Hedderich, 2001, 19). Damit standen auch pädagogische Systeme auf dem Prüfstand. Allen reformpädagogischen Konzeptionen war gemeinsam, das Kind mit seiner Individualität in den Mittelpunkt zu stellen. Die “Alte Schule“ wurde wegen der Fülle des Stoffes und der Lebensfremdheit kritisiert. Ziel der Reformpädagogen war es, die “Alte Schule“ zu reformieren und die Prügelstrafe abzuschaffen. Kinder sollten aktiv am Unterricht teilnehmen. Die Kindheit wurde als eine Entwicklungsform angesehen und die Kinder nicht länger als „kleine Erwachsene behandelt. Ausgangspunkt der Erziehung war das Kind selbst. Das Charakteristikum der Reformpädagogik ist die einzigartige Hinwendung zum Kind (vgl. Hedderich, 2001, 19 f.).
1.2 Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum Neuhumanismus
In der Geschichte der Reformpädagogik lassen sich drei Richtungen unterscheiden. Die erste Richtung „...macht sich die Perspektive zu eigen, aus der heraus die reformpädagogischen Initiatoren argumentierten und handeln.“ (Brenner, Kemper, 2003, 25). Dies findet man im ersten Drittel des 20 Jh. vor, in der Zeit der Pädagogischen Bewegung oder in den 60iger Jahren für die westdeutsche Bildungsreform. Allerdings kam diese Richtung mit „...den auf reformpädagogische Entwicklungen folgenden Normalisierungsphasen...“ nicht zurecht. (Brenner, Kemper, 2003, 25) Eine andere Richtung der Geschichtsschreibung hebt sich davon ab. Sie setzt die Normalisierungsphasen in ihr Recht. Das Thema der pädagogische Theorie und Praxisdiskussion ist die letzte Richtung der Geschichteschreibung (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 25 f.).. „Jede Reformpädagogik aber strebt danach, die Reformkonzepte, die sie vertritt, zu realisieren und zur Normalpädagogik werden zu lassen.“ (Brenner, Kemper, 2003, 27) Zu den zentralen Fragen und Problemstellungen der ersten pädagogischen Bewegung gehörte u.a. die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Erzieher und Zögling. 1692 veröffentlichte John Locke eine pädagogische Abhandlung[1], die sich an Angehörige des hohen Bürgertums und des Landadels richtete. Er empfiehlt diesen Eltern, ihre Kinder mit Hilfe eines Hofmeisters zu erziehen. Für Kinder aus niedrigen Ständen sah J. Locke eine Arbeiterschule vor, in der die Kinder darauf vorbereitet wurden, später selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 31). „Im Zentrum der Erziehungslehre Lockes stehen jedoch nicht Fragen unterrichtlicher Instruktionen und Unterweisungen, sondern solche moralischer Erziehung. Hinsichtlich der Möglichkeit, Menschen durch Erziehung tugendsam und moralisch zu machen, war Locke ein skepsisfreier Optimist.“ (Brenner, Kemper, 2003, 31 f.)
70 Jahre später nach Erscheinen von Lockes Abhandlung “Einige Gedanken zur Erziehung“ veröffentlicht J. J. Rousseau sein pädagogisches Hauptwerk “Emile[2] “. Rousseau wendet sich in seiner Schrift nicht wie Locke an einem bestimmten Stand der Gesellschaft. Er kritisiert Lockes Verständnis von Kindheit und Erwachsensein. In “Emile“ entwirft Rousseau „...eine Problemskizze für eine Erziehung, welche die Einzelnen unabhängig von ihrer künftigen Tätigkeit und Stellung in der Gesellschaft zu bilden sucht.“ (Brenner, Kemper, 2003, 32). Die Abhandlungen von Locke und Rousseau differenzieren sich zwar in den Erziehungsvorstellungen, nehmen aber den Strukturwandel der pädagogischen Praxis wahr (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 33).
Rousseau und Locke haben sich nur am Rande mit der Industrialisierung der neuen Erziehung auseinandergesetzt (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 59). Beide sahen in der Institution Schule keine Einrichtung, die zur Überwindung der Standeserziehung dienen könnte. Schule ist für Locke eine Einrichtung, die es zu meiden gilt, und für Rousseau ist sie ungeeignet für die Erziehung des modernen Menschen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 60). Die pädagogischen Aufklärer des 18 Jh. konnten für ihre Konzeptionen von Schulexperimenten nicht auf Überlegungen von Rousseau zurück greifen, da schultheoretische Reflexionen fehlten. So mussten solche Konzeptionen selbst entwickelt werden. Es gab jedoch die Möglichkeit, an beginnende schultheoretische Diskussionen anzuknüpfen. Folgende Fragestellungen waren Schwerpunkte:
- „...welche Funktion die moderne Schule angesichts des sich abzeichnenden Übergangs der traditionellen Geburtsständegesellschaft in eine neue Berufsständegesellschaft übernehmen und ausfüllen könne;
- ... welche Instanz die Veränderung des Schulwesens leiten und beaufsichtigen solle.
- wie... eine professionelle Ausbildung von Lehrern für die neue Schule zu organisieren und zu gewährleisten sei.“ (Brenner, Kemper, 2003, 61)
Durch Veränderungen im Leben der Familien und durch Entwicklungen die sich im Bereich der Religionen und der Politik vollzogen, gewannen diese Fragen an Bedeutung (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 61). Die Reformation im Bereich der Religionen hatte zur Folge, dass sich ein absolutistischer Staat entwickeln konnte. Im 17. und 18. Jh. tritt zu den Aufgaben des Zentralstaates auch das öffentliche Schulwesen hinzu. Mit der Durchsetzung dieser Staatsform gehen die Geburtsstände in Berufsstände über. 1794 wird der Höhepunkt dieser Entwicklung im “Allgemeinen Preußischen Landrecht[3] “erreicht. Die absolutistische Staatsform kam im 18. Jh. an ihre Grenzen. 1789 zeigte sich dies beispielsweise durch die Französischen Revolution. „Zu den Bereichen, die angemessen nur öffentlich, nicht aber als nachgeordnete Behörde des absolutistischen Staates zu organisieren sind, gehört nun auch das Erziehungs- und Bildungssystem“. (Brenner, Kemper, 2003, 63) Die Interessen des Zentralstaates fokussieren sich darauf, den Berufsständen die erforderlichen Qualifikationen in schulischen Bildungsgängen zu sichern. Der erste Gesamtplan der 1786/1787 von Friedrich II. erstellt wurde, sieht eine Gliederung des öffentlichen Schulwesens in drei Schultypen vor:
- Bauernschule; soll die Landbevölkerung für den Dienst bei der Gutsherrschaft und dem Militär disziplinieren;
- Bürgerschule; Vermittlung von Kenntnissen im Bereich der Realien[4] für das nieder und höhere Bürgertum:
- Gelehrtenschule; soll die notwendige Qualifikationen für leitende Tätigkeiten im Verwaltungsstaat sichern.
Mit dieser Gliederung des Schulwesens sollte der Verelendung der bäuerlichen Unterschichten auf dem Land entgegengewirkt werden (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 64). In den Städten wurde qualifiziertes Fachpersonal benötigt. Der Gesamtplan sah eine strikte Trennung von Bürger- und Gelehrtenschulen in den Städten vor. In den Bürgerschulen sollte nur Unterrichtsstoff vermittelt werden, der für die praktische Ausübung der bürgerlichen Berufe von Nöten war. Der Besuch der Gelehrtenschule sollte gegenüber der Bürgerschule stark eingeschränkt werden. Diese Schulform sollte für den Arzt, Prediger oder Geschäftsmann, vorbehalten sein. Dieser Plan schien im Interesse aller Gruppen der Gesellschaft zu liegen (vgl. Brenner/Kemper, 2003, 66). „Die Einführung einer strikten Trennung von Bürger- und Gelehrtenschulen hätte die sich in den Städten abzeichnende horizontale Gliederung des Bildungssystems rückgängig machen und in eine vertikale, auf die Berufsstände im Staate zugeschnittene Gliederung überführen müssen.“ (Brenner, Kemper, 2003, 66) Es wurden Reformkonzepte entwickelt, welche die Gelehrtenschule näher an die Bürgerschule brachte. Als bürgerliche Alternative wurde das Realschulbildungskonzept vorgeschlagen. Hecker gründete 1747 die erste Realschule mit acht berufsorientierten Fachklassen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 67). „Gegenstand der schultheoretischen Diskussion der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war nicht nur die Frage, ob das Bildungssystem vertikal nach staatlichen Berufsständen oder horizontal nach Bildungsstufen gegliedert, sondern auch, ob es als ein staatlich monopolisiertes oder öffentlich institutionalisiert werden solle.“ (Brenner, Kemper, 2003, 68) Die Herausbildung einer Konzeption der allgemeinbildenden Schulen, kann als das eigentliche Resultat der ersten pädagogischen Bewegung gesehen werden (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 16). „Ein voller Erfolg blieb den Reformern jedoch zunächst versagt, wie die Bildungsreform als letzte unter den Reformen konzipiert und dann nicht einmal wie geplant durchgeführt und das weitergehende Reformziel einer Transformation des Politiksystems aufgrund des Widerstands des Adels und der fehlenden Bereitschaft des Königs, auf einen Teil seiner Macht zu verzichten, nicht erreicht wurde.“ (Brenner, Kemper, 2005, 17) Aus den ungelösten Reformproblemen, der ersten pädagogischen Bewegung entwickelten sich Folgeprobleme, die in der zweiten und dritten Reformphase erneut bearbeitet wurden (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 17).
1.3 Die pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik
Im 19. Jh. begann die pädagogische Bewegung durch die Kritik am staatlichen Schulwesen. Die Entwicklung des Bildungssystems folgte nicht den bildungs-, erziehungs- und institutionstheoretischen Einsichten, welche die erste pädagogische Bewegung hervorbrachte (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 21 f.). „Sie führte zu einer Differenzierung des Schulwesens in niedere und höhere Schulen, die von der Preußischen Schulreform angestrebte Institutionalisierung der allgemeinen Menschenbildung deutlich abwich.“(Brenner, Kemper, 2003, 22) An Stelle der horizontalen Differenzierung des Bildungssystems nach allgemeinbildenden Schulstufen trat eine vertikale Differenzierung der Schule ein. Erst in der dritten Phase der Entwicklung der Reformpädagogik wurde diese ansatzweise korrigiert. Die niederen Schulen vermittelten eine volkstümliche Bildung, die zur Wahl einfacher Berufe ausreichte. Lange Zeit konnten Schulen, die zu einer mittleren und höheren Bildung führten, nur von Schülern besucht werden, deren Eltern die finanziellen Möglichkeiten hatten. Diese Schüler konnten sich später für höhere berufliche Positionen qualifizieren und z. B. eine Stellung im Staatsdienst übernehmen. Hauptsächlich kamen die Schüler aus der Schicht des höheren Bürgertums. Im Verlauf des 19. Jh. kam es zu einem Kampf der verschiedenen Schichten und Klassen der Bevölkerung (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 22). Dabei ging es um die Teilhabe an den höheren und hochwertigeren Formen der Allgemeinbildung, „...welche das einzige Privileg darstellte, das – ungeachtet der Einflüsse von Herkunft und Besitz – durch eigene Leistung erworben werden konnte.“(Brenner, Kemper, 2003, 22) Es entstand im 19. Jh. Zusammen mit der Abgrenzung niederer und höherer Schulen ein staatliches Berechtigungssystem. Das Berechtigungssystem trug dazu bei, dass der Aufstieg in höhere Berufe vom Bildungssystem abhängig wurde. Im niederen Bildungswesen wurde die Bildung deutlich begrenzt und durch religiöse Erziehung wurden die Schüler zu treuen Untertanen des Staates. Die Schüler wurden durch diese Bildungsbenachteiligung unterfordert. Dem gegenüber stand die Überforderung der Schüler an höheren Schulen. Auf diese Situation reagierte der Staat, indem er das Jahrgangsklassensystem einführte. Das System löste das Fachklassensystem von Humboldt ab. Das Jahrgangsklassensystem gab verbindlich vor, welche Leistungen der Schüler in den einzelnen Unterrichtsfächern erbringen muss, um das Klassenziel und die Versetzung zu erreichen (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 23 f.). Dieses System führte zu einer Ausweitung der Überforderung der Schüler insbesondere auf Gymnasien, die der Stofffülle und dem Prüfungsdruck nicht mehr gewachsen waren. Das hatte zur Folge, dass viele Schüler das Gymnasium vor dem Abitur verlassen mussten. „In der Folgezeit verschärfte sich die schulische Leistungsauslese dadurch noch weiter, dass neben dem traditionelle Reifezeugnis, das die Zulassung zum Studium regelte, weitere Berechtigungen hinzutraten und auch die Abschlüsse der gymnasialen Klassenstufen Tertia und Sekunda eng mit Berechtigungen für den mittleren und gehobenen Staatsdienst verknüpft wurden.“ (Kemper, Brenner, 2003, 24) Die Diskussionen über den an Gymnasien vorherrschenden Leistungszwang verliefen sehr widersprüchlich. Die Gymnasien wurden auf der einen Seite wegen der Weltfremdheit und Lebensferne kritisiert und auf der andern Seite wurde eine stärkere Berücksichtigung der Naturwissenschaften und Fremdsprachen gefordert. Es wurde festgestellt, dass sehr viele Schüler überfordert waren und die schlechten Schulleistungen wurden beklagt. Zunächst blieb die beruflich- soziale Auslesefunktion für höhere Positionen im Staatsdienst am humanistischen Gymnasium unangefochten.
Das humanistische Gymnasium (einzige Einrichtung das die Zulassung zum Studium ermöglichte) verlor seine Monopolstellung, durch die Entwicklung der Natur- und Technikwissenschaften. Ab 1859 gab es ein altsprachliches Gymnasium und die “Realschule I. Ordnung“ und ab 1882 kam die Schulform der Oberrealschule dazu. An den neu geschaffenen Hochschulen und Akademien hatte man die Möglichkeit, mit Abgangszeugnissen der beiden neuen Schulform zu studieren (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 24) Das altsprachliche Gymnasium behielt seine Monopolstellung dadurch, dass man mit dem dort erworbene Abitur eine allgemeine Studienberechtigung hatte. Diese Sonderstellung des Gymnasiums sicherte dem Staat das Fortbestehen des alten Sozialsystems mit seinen unterschiedlichen Bildungsprivilegien. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. gab das Gymnasium seinen gesamtschulartigen Charakter auf und entwickelte sich zu einer Eliteschule für den akademischen Berufsnachwuchs. Die Frühabgänger wechselten auf Real- oder Bürgerschulen. Im weiteren Laufe des 19. Jh. führte die Ausdifferenzierung der Allgemeinbildung nach weiterführenden Schultypen dazu, dass die horizontale Stufung des öffentlichen Schulwesens (die von Humboldt eingeführt wurde), in eine vertikale Schulstruktur wechselte (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 25). „In den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der siebziger und achtziger Jahre wurde die sozialselektive Schulpolitik des Obrigkeitsstaates mit der von der Arbeiterbewegung erhobenen Forderung nach gleichen Bildungs-, Berufs- und Lebenschancen konfrontiert.“ (Brenner, Kemper, 2003, 25)
1878 scheiterten die Sozialgesetze, mit denen der Staat versuchte, die Ausbreitung der Sozialdemokratie zu verhindern. Das öffentliche Schulwesen wurde, wie schon zur Zeit der Preußischen Reformen, eingesetzt, um als ideologisches Instrument zur Sicherung der bestehenden Ordnung zu dienen. Im Sinne des Staates wurde mehr Deutsch und Geschichtsunterricht gelehrt, um die vaterländischen Vorstellungen zu verbreiten. Es gab die „... Forderung nach einer für alle Heranwachsenden verbindlichen Untertanenbildung im Dienste des wilhelmischen Obrigkeitsstaates.“ (Brenner/Kemper, 2003, 26) Die pädagogische Bewegung im 19. Jh. wandte sich gegen das entstandene Schulsystem und dessen Pädagogik des sogenannten Herbartianismus (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 28).[5] Die Reformpädagogen kritisierten, dass der Herbartianismus aus dem Unterricht eine Form der Belehrung gemacht, „in der die Stufen des Unterrichts, statt Stufen der Lerntätigkeit von Schülern zu sein, zu Stufen der Tätigkeit von Lehren pervertierten.“ (Brenner, Kemper, 2003, 29). Den alten Schulen warfen die Pädagogen vor, dass sie eine Erziehung propagiert haben, in der die Erwachsenen das Wollen, Denken und Fühlen der Schüler beeinflussten. 1900 veröffentlichte Ellen Key das Buch “Das Jahrhundert des Kindes“, damit ist der Anfang der Reformpädagogik zu sehen (vgl. Hedderich, 2001, 19). Ellen Key propagiert, dass das neue Jh. eine Pädagogik vom Kinde aus absichern könnte (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 57). „Trotz der weitverbreiteten Ideologien einer Lebensgemeinschaftserziehung “vom Kinde aus“ lässt sich die zweite pädagogische Bewegung als ein Versuch würdigen, einen Teil der Experimentierfreiheit, welche die erste pädagogische Bewegung hervorgebracht hatte, für die Arbeit in privaten Schulen sowie im staatlichen Schulwesen wiederzugewinnen und fruchtbar zu machen.“ (Brenner, Kemper, 2005, 20) Die Probleme dieser zweiten pädagogischen Bewegung in Deutschland konnten auch nicht gelöst werden. In einigen Strömungen kündigte sich dies so an, dass Einrichtungen auf Grund geringer Schülerzahlen geschlossen wurden z. B. in den Hamburger Lebensgemeinschaftsschulen. Andere reformpädagogische Ideen wie z. B. die Jenaplan – Pädagogik fand Anschluss an die nationalsozialistische Bewegung und wieder andere wurden auf Grund ihrer Distanz zur nationalistischen Bewegung geschlossen (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 20 ff.).
1.4 Die staatliche Schulreform und Schulversuche der DDR
In der Zeit von 1933 –1945 gab es in Deutschland keine Demokratie, die den Bestand ihrer Verfassung sicherte, es herrschte eine Führer- und Parteidiktatur. Im Dritten Reich wurden die Schulen und der Unterricht unter eine nationalsozialistische Weltanschauung gestellt (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 35).
„Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur traten im Bereich der Reform des Erziehungs- und Bildungswesens Aufgaben und Probleme in den Vordergrund, die unter der Maxime einer Pädagogik “vom Kinde aus“ bzw. im geschlossenen Horizont einer Gemeinschaftserziehung nicht angemessen thematisiert werden konnten und daher nach anderen erziehungs-, bildungs-, und schultheoretischen Konzepten verlangten.“ (Brenner, Kemper, 2005, 21) Dazu kamen Reformaufgaben in Politik, Recht und Wirtschaft. Die nach 1945 einsetzende und noch anhaltende dritte Phase der reformpädagogischen Bewegung war von Anfang an mit Problemen aus der ersten und zweiten Phase der reformpädagogischen Bewegung konfrontiert (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 19 ff.). Da nach Ende des zweiten Weltkrieges in Deutschland Besatzungszonen eingerichtet wurden, aus denen 1949 zwei deutsche Staaten hervorgingen, wurden auch die Aufgaben der Reformpädagogik und die der staatlichen Schulreform unterschiedlich interpretiert. Es finden sich aber auch übergreifende Problemstellungen, mit denen sich die dritte pädagogische Bewegung in ganz Deutschland auseinandersetzte. Diese sind Abstimmungsprobleme zwischen dem neuen Bildungs- und Politiksystems „... die Beziehungen der pädagogischen Praxis zu den anderen sich institutionell weiter ausdifferenzierten und voneinander abgrenzenden gesellschaftlichen Handlungsfelder und ... auf Veränderungen im Übergang von der Erziehung in der Familie zur schulischen Erziehung und Unterweisung, von allgemeinbildenden in berufliche Bildungsprozesse sowie auf den Eintritt der Heranwachsenden in die gesellschaftlichen Handlungsfelder.“ (Brenner, Kemper, 2005, 35)
Am 23.05.1949 wurde aus der westlichen Besatzungszone, durch Verkündung des Grundgesetzes die BRD gegründet und am 07.10.1949 wurde aus der sowjetischen Besatzungszone die DDR mit Verabschiedung der Verfassung gegründet. In der Verfassung der DDR sind Aussagen zum Erziehungssystem in den Artikeln 34 –40 zu finden (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 100). „Die bedeutendste Veränderung zwischen dem Schulgesetz von 1946 und der Verfassung von 1949 liegt in der Festschreibung einer Schulpflicht bis zum “vollendeten 18. Lebensjahr“. (Brenner, Kemper, 2005, 101 f.) 1950 trat eine “Verordnung über die Neuregelung der Unterrichtsstunde“ in Kraft, in der weiter Neukonzeptionierungen von Schule und Unterricht zu entnehmen sind. Als Normalform schulischer Lehr- und Lernprozesse führte diese Verordnung ein, dass die Unterrichtsstunde 45 Minuten dauert und eine regelmäßige Aufeinanderfolge von Phasen der Arbeit und der Erholung sein soll. Weiterhin verlangte der Erlass, dass der Lehrer auch außerhalb des Unterrichtes zeitweise zusätzlich Lernarbeit für die Schüler seiner Klasse anbietet.
Vom Lehrer wird in diesem Erlass verlangt, das er
- „... ein politisch bewusste [r] wissenschaftlich gebildete [r] Lehrer ist;
- über eine “gute Allgemeinbildung“ und “objektive Kenntnisse des Marxismus- Leninismus“ verfügt.;
- die “Freundschaft der friedliebenden Völker“ pflegt und ein “wahrhafter Freund der Sowjetunion“ ist.“
um nur einige Beispiele zu nennen. (Brenner, Kemper, 2005, 102 f.) Die Verordnung ist häufig als Verabschiedung von reformpädagogischen Methoden aus der Schulpraxis der DDR gesehen worden. „Die weiteren Schritte in der Reform des Bildungssystems der DDR waren durch Abstimmungsprobleme zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung sowie Experimente mit der polytechnischen Erziehung als einer sozialistischen Variante reformpädagogischer Arbeitserziehung und nicht zuletzt durch Versuche bestimmt, in den Unterricht im geschlossenen Klassenverband Formen der inneren Differenzierung einzuführen.“ (Brenner, Kemper, 2005, 104) Es wurde Ende 1959 versucht durch ein Gesetz[6] diese Vielfalt zu vereinheitlichen. Dieses Gesetz führte die “zehnklassige bzw. zwölfklassige allgemeinbildende Oberschule“ ein. Zu einer Kontroverse über Abstimmungsprobleme zwischen Einheitlichkeit und Differenzierung des Schulsystems kam es im ersten Jahrzehnt der DDR. Ausgelöst wurde dies durch einen Schulreformversuch von Hans Herbert Becker[7], den er in der Zeitschrift für Pädagogik publizierte (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 106). Aus den Schulversuchen der SBZ gingen diese Entwicklungsprobleme der Einheitsschule im ersten Jahrzehnt der DDR hervor. In der Literatur ist häufig die These zu finden, dass das erste Jahrzehnt der DDR das Ende der Reformpädagogik war. Das stimmt so nicht. Es gab 1959 eine Vielfalt von Reformpädagogischen Konzepten, die sich auch später in der DDR durchsetzten (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 118 ff.). Von 1960-1970 fand eine weitere Phase von Entwicklung von Schulreformen und Reformpädagogik in der DDR statt. In dieser Phase entfaltete das Bildungssystem der DDR seine größte Effektivität, die in bestimmten Bereichen auch später erhalten blieb (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 155). „Die Lösung der für die SBZ und das erste Jahrzehnt der DDR aufgezeigten Entwicklungsprobleme in der Schule wurde nicht durch das Bildungsgesetz von 1965 und auch nicht durch die neue Verfassung von 1968 eingeleitet, sondern vollzog sich im Schatten des Baues der zwischen den beiden deutschen Staaten 1961 errichteten “Mauer“,... .“ (Brenner, Kemper, 2005, 172) Der Mauerbau führte im Bildungs-, Wissenschafts-, und Beschäftigungssystem dazu, dass die in der DDR ausgebildeten Menschen dem Staat erhalten blieben (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 172). Von 1960 –1970 hatte das Bildungssystem der DDR seine Systemgestalt in der horizontal gegliederten Einheitsschule gefunden. Diese Struktur wurde in den 70er und 80er Jahren beibehalten. Es gab nur Veränderungen auf der unterrichtsdidaktischen Ebene. Ende der 80er Jahre stand das Erziehungssystem in der DDR an einem Scheideweg. Zu einer Verabschiedung der kommunistischen Erziehung führten Entwicklungen in der Wissenschaft und im Erziehungssystem (vgl. Brenner/Kemper, 2005, 196 ff.). „Das in Wissenschaft, Politik und pädagogischer Praxis vertretene Monopol sozialistischer Erziehung wurden schließlich sogar offiziell verabschiedet.“ (Brenner, Kemper, 2005, 244) Der deutsche Einigungsprozess der durch den Beitritt der DDR zur BRD vollzogen wurde, führte zu einer Anpassung der Bildungssysteme der neuen Bundesländer an die alten (vgl. Brenner, Kemper, 2005, 244).
1.5 Ausgewählte reformpädagogische Konzepte
1.5.1 Peter Petersen - biografischer Abriss
Peter Petersen wurde am 26. Juni 1884 in Großenwiehe bei Flensburg als erster Sohn eines Kleinbauern geboren. Sein Lebensweg schien vorbestimmt zu sein: „…Erbe des Hofes zu werden und eine seit 1666 bestehende bäuerliche Familientradition fortzuführen.“ (zit. n. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 16).
Ab 1890 besuchte er sechs Jahre lang die einklassige Landschule und im Anschluss daran das Gymnasium in Flensburg. „In dieser Zeit bildeten sich bei Petersen erste Sensibilitäten für soziale Ungerechtigkeiten aus, und über die Folgen von Unterdrückung ... .“ (zit. n. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 23)
Während seiner Schulzeit auf dem Gymnasium entwickelte Peter Petersen den Berufswunsch, Gymnasiallehrer zu werden. Rückblickend waren Petersen durch die Erfahrung, die er insbesondere auf dem Land sammelte, z. B. angewiesen sein auf die Gemeinschaft, Verantwortung tragen und eigenständig Aufgaben übernehmen, geprägt. Sie sind Grundpfeiler seines späteren reformpädagogischen Konzeptes, dem Jenaplan (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 17 ff.). Petersen entschied sich bewusst für ein Studium in Leipzig, da Leipzig bis vor dem ersten Weltkrieg die Hochburg für Gegenwartsfragen war. Damit waren die Weichen für den späteren Reformpädagogen Petersen gestellt. Nach Abschluss seines Studiums promovierte er bei Rudolf Eucken[8] in Jena. Die Jahre 1909 bis 1923 waren für Petersen sehr wichtig. Er ging nach Hamburg und war dort anfangs Lehrer und später Oberlehrer am Johanneum. Pädagogische und bildungspolitische Reformversuche gab es in Hamburg schon, diese Versuche gingen von Volksschullehrern aus. Gegen solche Bemühungen gab es harte Widerstände am Johanneum und auf anderen höheren Schulen. Die Front aufzubrechen, dafür schien Petersen geeignet (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig, 2002, 28 ff.). Unterbrochen wurden die ersten Reformversuche durch den 1. Weltkrieg. 1920 wurde Petersen in die Schulleitung der neugegründeten Lichtwarkschule berufen. Sie war eine sogenannte Versuchsschule des höheren Schulwesens. Ganzheitliches Lernen, Lernen in Zusammenhängen, Gemeinschaftspflege, bewusste Schaffung vielfältiger Unterrichtsformen waren nur einige Punkte im Programm der Lichtwarkschule. Zusätzlich unterstütze er die Forderung nach einem Aufbau einer Universität, an der Gymnasial- und Volksschullehrer ausgebildet werden sollten und an einem eigens geschaffenen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften. Zu der damaligen Zeit war das Vorhaben revolutionär. 1920 habilitierte Petersen in Hamburg, arbeitete als Privatdozent und entwarf seine eigene Wissenschaft von der Erziehung. 1923 wurde dann an der Universität ein eigener Lehrstuhl für Pädagogik eingerichtet. Petersens Kandidatur für diesen Lehrstuhl wurde abgelehnt, obwohl er alle Anforderungen erfüllte. Nach dieser Niederlage erhielt Petersen, eine Berufung von Greil[9] an die Universität Jena. Greil wollte in ganz Thüringen eine grundlegende, radikale Bildungsreform umsetzen, angefangen von der Kindertagesstätte bis hin zur Universität. Diese Reform sollte nach Möglichkeit gesamtgesellschaftlich wirken. Aus diesem Grund betraute Greil Petersen (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 34 ff.) „...mit zwei Aufgaben: der Etablierung der Volksschullehrerausbildung an der Universität und des Einheitsschulgedanken in Schulpraxis und öffentlicher Akzeptanz.“ (zit. n. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 36)
Die Anfangszeit in Jena war für Petersen nicht leicht, zum einen trat er die Nachfolge vom renommierten Professor Wilhelm Reins an und zum anderen gab es in Jena starke Widerstände an der Universität durch den sog. “Jenaer Hochschulkonflikt“. Bis Petersen 1923 seine Stelle in Jena antreten konnte, änderte sich sehr vieles auf politischer Ebene in Thüringen. Dadurch ging die finanzielle Unterstützung vom Ministerium für die bildungs- und schulreformerischen Pläne von Petersen verloren. Petersen ließ sich davon nicht entmutigen und baute mit viel Ehrgeiz eine neue „Erziehungswissenschaftliche Anstalt“ (Universität) auf, an die eine Versuchsschule angeschlossen war (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 37).
Petersen war Leiter dieser Versuchsschule und konnte seine reformpädagogischen Ideen in die Praxis umsetzen. Bis zu seinem Tode 1952 stand Petersen im Kreuzfeuer unterschiedlicher Anfeindungen von Anhängern der Tradition von Reins.
1.5.1.1 Die pädagogische Konzeption Jenaplan
Der Name für Petersens pädagogische Konzeption wurde 1927 auf einem Kongress des „Weltverbandes für Erziehung“ geprägt. (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002 ,46).
Petersen war gegen die „Alte Schule“, er verstand seine Schule als Lebens- und Arbeitsgemeinschaftsschule. Es gibt in seiner Schule keine Jahrgangsklassen, sondern sogenannte Stammgruppen. Die Stammgruppe ist jahrgangsübergreifend - 3 Jahrgänge werden zusammen unterrichtet. Somit gibt es für das Kind kein „sitzenbleiben“, und das Kind hat die Möglichkeit, sich individuell zu entwickeln. Im Vordergrund steht das Zusammenleben und das gegenseitige Helfen der Schüler. Alle 3 Jahre wechselt das Kind dann in die nächste Jahrgangsstufe. Ist das Kind noch nicht in der Lage, in die nächsthöhere Gruppe zu wechseln, kann es noch weiter in der Stammgruppe bleiben (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 40).
Die folgende Tabelle ist ein Beispiel für die Einteilung der Stammgruppen in einer Jenaplanschule.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Struktur Jenaplanschule
(http://www.jenaplanschule.jena.de/idex.php?option=com_conten&task=view&id=12&Itemid=32 20.4.07)
In der Jenaplanschule wird nach dem Wochenarbeitsplan gelernt. Das heißt, es gibt keinen Stundenplan, somit werden die Unterrichtsfächer nicht isoliert. Jeder Schüler arbeitet nach einem rhythmisierten Wochenarbeitsplan, in dem die folgenden Bildungsgrundformen, die Petersen bestimmt hat, nicht zu kurz kommen dürfen:
- Gespräch: das kann ein Kreisgespräch, Berichtskreis, Vortrag, Aussprache usw. sein;
- Spiel:das kann ein freies Spiel, Lernspiel, Turnspiel, Schauspiel usw. sein;
- Arbeit: das können Gruppenarbeiten, Kurse, Einschulungskurse usw. sein;
- Feier: das kann eine Morgenfeier, Wochenschlussfeier, Geburtstagsfeier usw. sein (vgl. Kluge in Schaberg/Schonig 2002, 42).
Neben dem Gruppenunterricht in den Stammgruppen gibt es an Jenaplanschulen den Kernunterricht und den Kursunterricht. Der Kernunterricht bestimmt die Schulwoche, in diesem Unterricht wird an Projekten gearbeitet, die fächerübergreifend sind. Die Schüler bringen für diese Projekte in der Regel die Themen mit und arbeiten an diesen Themen über einen längeren Zeitraum mit Hilfe des Lehrers
Die Stammgruppe ist im Kursunterricht aufgelöst, hier arbeiten Kinder zusammen, die das gleiche Leistungsniveau haben. In diesen Unterrichtseinheiten werden Arbeitstechniken und Basiswissen wie Schreiben und Rechnen vermittelt(vgl. http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/idee-jenaplan.xml 31.01.2007). In den Jenaplanschulen gibt es keine Zeugnisse. Es werden neue Formen der Leistungsbeurteilungen angewendet z..B. Entwicklungs- oder Lernbeurteilungen.
Das Kind steht im Mittelpunkt der Pädagogik von Petersen. Es hat verschiedene Grundkräfte, die berücksichtigt werden sollen. Diese Grundkräfte sind:
- Bewegungsdrang
- Tätigkeitsdrang
- Gesellschaftstrieb
- Lerntrieb
Es steht die Förderung und Forderung der Interessen und Begabungen des Kindes im Vordergrund, somit kann man Kindern mit Behinderungen und Kindern mit einer besonders hohen Begabung gerecht werden.
Der Lehrer steht den Kindern helfend zur Seite und ist als Partner des Kindes zu verstehen. Die Kinder sollen sich in der Schule wohlfühlen, der Gruppenraum dient als Schulwohnstube. In allen Angelegenheiten der Schule wird den Eltern eine zentrale Rolle eingeräumt. Beispielsweise haben die Eltern jederzeit die Möglichkeit, unangemeldet im Unterricht zu hospitieren (vgl. http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/gruppe.xml 31.01.2007).
1.5.2 Rudolf Steiner - Biografischer Abriss
Im Jahre 1861 wird Rudolf Steiner in Kraljevec geboren und wuchs in verschiedenen Dörfern Niederösterreichs auf. Die Familie Steiner musste sehr häufig umziehen, da der Vater, ein Bahntelegrafist, mehrfach versetzt wurde (vgl. Lippert, 2001, 11). Nach seiner Schulzeit und bestandener Reifeprüfung studierte Rudolf Steiner ab 1879 Naturwissenschaftliche Fächer und Mathematik an der Technischen Hochschule in Wien (vgl. Wehr 2005, 13). „Ergänzend beschäftigte er sich mit Literaturwissenschaften, vornehmlich mit Goethe und Schiller.“(Wehr, 2005, 13) Diese Fächerkombination erwies sich bald als erfolgreich, denn Steiner wurde bei der Herausgabe und Kommentierung der naturwissenschaftlichen Schriften von Goethe um Hilfe gebeten. Als Steiner sein Studium 1883 abschloss, lag bereits der erste Band vor, welcher von Steiner kommentiert wurde (vgl. Wehr, 2005, 13). „Damit ist ein wichtiges Stadium seiner Entwicklung erreicht.“ (Wehr, 2005, ebd.) Die Geburtsstunde der Waldorfpädagogik kann man ab dem Zeitpunkt nennen, als Steiner Hauslehrer bei der jüdischen Familie Specht in Wien war. Steiner lebte ab seinem 23. Lebensjahr sechs Jahre lang als Familienmitglied in dieser Familie (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig 2002, 30). „Er unterrichtete insbesondere den Jüngsten, Otto, der mit seinem Wasserkopf ein schwerer heilpädagogischer Fall war. Dank Steiners Einsatz konnte die Missbildung fast vollständig überwunden werden. Das als bildungsunfähig eingeschätzte Kind holte seine Entwicklung auf und wurde später Arzt.“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 30) Steiner lebte in dieser Familie nicht als distanzierter Angestellter, sondern als vollwertiges Familienmitglied. „Die Familie Specht schenkte ihm ein Lebensklima, in dem er neben angespannten medizinisch – pädagogischen Studien auch völlig loslassen konnte... .“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 32) Steiner fand in Pauline Specht eine wichtige Gesprächspartnerin, da sie seinen wissenschaftlichen Arbeiten größte Aufmerksamkeit entgegen brachte (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 33). „Im Wechselspiel von inniger Mutterliebe bzw. spielendem Einssein mit den Kindern und andererseits medizinisch – diagnostischer Analyse bildete sich hier Steiners Pädagogik.“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig 2002, 33) Ab 1899 unterrichtete Steiner im Rahmen der Erwachsenenbildung in Berlin an der Arbeitsbildungsschule die von Wilhelm Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet wurde (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002, 38).
Wichtig für Steiner war die Begegnung mit Marie von Sivers, einer jungen Schauspielerin. Sie wurde Steiners zweite Frau und führte ihn in die Theosophische Gesellschaft ein. Er gründete 1902 die “Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft“ und ernannte sich selbst zum Generalsekretär (vgl. Lippert, 2001, 23).
1913 kam es zu einer Krise innerhalb dieser Gesellschaft und zum Ausschluss der “Deutschen Sektion“. Die schon formlos gegründete “Anthroposophische Gesellschaft“ konstituierte sich 1913 in einer Generalversammlung in Berlin offiziell (vgl. Lippert 2001, 26). „Steiners Bestrebungen gingen von Anfang an dahin, Anthroposophie nicht als bloße Lehre zu verstehen oder sie gar zu einer weltanschaulichen Sekte verkommen zu lassen.“ (Wehr, 2005, 34) Von Steiner gingen sehr viele Impulse kultureller Art aus, insbesondere auf den künstlerischen Bereich. Dazu gehören die von Steiner geschaffenen Mysteriendramen und die Bewegungskunst der Eurythmie als Beispiele dazu (vgl. Wehr, 2005, 35).
Für all diese Dinge wurde eine Bühne benötigt und 1913 wurde in der Schweiz oberhalb von Dronach das “Goetheneum“ gebaut (vgl. Wehr, 2005, 37).
„Wir schreiben das Jahr 1919. In Deutschland herrscht Revolution. Das Kaiserreich mit seinen autoritären Strukturen ist zusammen gebrochen:.. .“ (Hellmich, 1995, 50)
Die aus dem ersten Weltkrieg zurückgekommen Soldaten waren meist arbeitslos, es herrschte soziale Not und große Unzufriedenheit in der Bevölkerung. „Die alte Ständeschule, in der für Gott, Kaisertreue und Vaterland die Jungen und Mädchen getrennt und für die jeweils spezifischen „Tugenden“ gedrillt und gezüchtigt wurden, hat „ausgedient.“ (Hellmich, 1995, ebd.) Die gesellschaftlichen Zeichen stehen auf Sturm. In der Reichsschulkonferenz von 1920 wird sich mit neuen Strukturen und Inhalten für die Schulen beschäftigt und ganz besonders mit der Frage nach einer Einheitsschule. Die Einheitsschule scheitert, da sich verschiedene Parteien und Gesellschaften nicht einigen können (vgl. Hellmich, 1995, 50).
„Der Gründung der ersten Waldorfschule im Jahre 1919 gingen wieder Vorträge vor Arbeitern voraus.“ (zit. n. Hardorf in Schaberg, Schonig, 2002 ,40) Steiner hielt Vorträge im Rahmen der “Dreigliederungsbewegung“ vor Belegschaften von verschiedenen Württemberger Werken u.a. in Ludwigsburg, Feuerbach und in Stuttgart (vgl. Hardorf in Schaberg, Schonig 2002, 40). Die Arbeiter in der Firma Waldorf- Astoria Zigaretten fühlten sich von Steiners Ideen sehr angesprochen, so dass beschlossen wurde, die Pädagogik von Steiner umzusetzen. 1919 wurde mit der Hilfe von Firmenchef Erich Molt in Stuttgart die erste Waldorfschule gegründet. Am 30.03.1925 verstarb Steiner in der Schweiz. Nach dem Tod geht die Waldorfbewegung weiter und Caroline von Heydebrandt konzipiert die ersten Waldorfkindergärten (vgl. http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/bio-steiner.xml 07.02.07).
1.5.1.2 Die pädagogische Konzeption Waldorfpädagogik
Die Anthroposophie bildet die Grundlage der Waldorfpädagogik. „Unter Anthroposophie versteht Rudolf Steiner eine Erkenntnismethode zur wissenschaftlichen Erforschung der real- geistigen Welt und zur Entwicklung der dazu notwendigen Erkenntnisfähigkeiten.“ (Schneider, 1987, 18) Es gibt sehr viele verschiedene Definitionen, was unter Anthroposophie zu verstehen ist (vgl. Lippert, 2001, 40). „Einig sind sich alle anthroposophischen Autoren darin, das sie einen Erkenntnisweg darstellt und nicht - nur – eine geschlossene Weltanschauung beinhaltet... .“ (Lippert, 2001, ebd.) Mit der Gründung der ersten Waldorfschule 1919 in Stuttgart, wurde zum ersten Mal das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit[10] verwirklicht. In der Regel sind Waldorfschulen Gesamtschulen, damit wird das Prinzip der Auslese durch ein Prinzip der Förderung ersetzt. In den Waldorfschulen wird in reinen Jahrgangsklassen unterrichtet, ein Sitzenbleiben gibt es auch hier nicht. In den Zeugnissen der Schüler sind keine Zensuren zu finden, sondern Beurteilungen die den Leistungsfortschritt, die Begabung und das Bemühen der Schüler in den einzelnen Fächern beschreibt. Waldorfschüler habe die Möglichkeit, die Schule mit folgenden Abschlüssen zu beenden: Mittlere Reife, Abitur oder Fachhochschulreife (vgl. http://www.waldorfschule.info/index.5.0.1.html 07.02.2007).
In den Waldorfschulen wird nicht nach dem offiziellen Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes gearbeitet, sondern nach einem die Vorstellungen von Steiner aus den Jahren 1919 bis 1925 wiedergebenden Curriculum. Steiner arbeitete keinen eigenen Lehrplan aus, er hielt Vorträge, aus denen zu entnehmen war, wie er die Unterrichtsinhalte verteilt und ausgestaltet haben wollte (vgl. Lippert, 2001, 168).
Steiner setzte sich sehr kritisch mit den Stundenplänen an staatlichen Schulen auseinander und er fand es als sehr nachteilig, dass „...Schüler Stunde für Stunde und Tag für Tag einer Fülle verschiedener Themen und Fächer ausgesetzt sind. Kaum entwickelt sich wirkliches Interesse am Lerninhalt, ist die Zeit auch schon verstrichen.“ (Lippert, 2001, 187) Der ständige Wechsel von Themen im Verlauf einer Schulewoche verhindert die Konzentration und das effektive Arbeiten (vgl. Lippert, 2001, ebd.). „Für Steiner konnte sich so kein gesunder Rhythmus im Kind einstellen.“ (Lippert, 2001, ebd.) Daher wird in den Waldorfschulen ein Großteil der Unterrichtsfächer als “Epochenunterricht“ erteilt. Das heißt, Unterrichtseinheiten zu einem bestimmten Stoffgebiet werden in einem Block zusammengefasst. In der Regel dauert die Epoche 3-4 Wochen oder auch länger und umfasst die ersten beiden Unterrichtsstunden am Tag (vgl. Lippert, 2001, 188). Viele Pädagogen sind sich einig, dass es in den staatlichen Schulen zu wenig Freiräume für künstlerisches Tun und Kreativität gibt. Die Waldorfpädagogik stellt ein Unterrichtskonzept zur Verfügung, welches ein hohes Maß an künstlerischen und praktisch – handwerklichen Tätigkeiten ermöglicht. Es wird den Kindern bewusst sehr viel Platz für diese Dinge gelassen, da die Schüler lernen sollen, ihr eigenes Tun zu kontrollieren. Die Eurythmie spielt in Steiners Waldorfpädagogik ebenfalls eine große Rolle und ist das Herzstück der Pädagogik (vgl. Lippert, 2001, 192 ff.) „Sie fehlt in keinem Kindergarten und ist Pflichtfach in allen Waldorfschulen... .“ (Lippert, 2001, 198) In dieser Ausdruckform wird die Seele der Kinder angesprochen und die Bewegungen sollen ausgleichend und harmonisierend wirken. Durch die Bewegungsform der Eurythmie haben die Kinder die Möglichkeit, ihren Gefühlen und Empfindungen auf der künstlerischen Ebene Ausdruck zu verleihen. Die künstlerische Ausdrucksform zieht sich durch den ganzen Unterricht. Es soll nach Steiner mit den ganzen Sinnen gelernt werden. Als Beispiel ist zu nennen, dass Zahlenreihen rhythmisch nachgesprochen und dazu geklatscht wird. Lehrbücher wird man vergeblich in einer Waldorfschule suchen, da für Steiner der ganze Kosmos und der Mensch Lernstoff ist. Es werden keine Schwerpunkte für den Erwerb von fachspezifischen Kenntnissen gelegt. Wichtig ist für Steiner, dass die Schüler ein ganzheitliches und in die Tiefe gehendes Welt- und Menschverständnis entwickeln. Der Lehrer in der Waldorfschule soll dem Kind als Helfer für seine geistige Entwicklung zur Seite stehen. In der Regel begleitet der Lehrer die Schüler acht Jahre lang, danach wechseln die Schüler in die Oberstufe und werden von Fachlehrern betreut (vgl. http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/idee=waldorf.xml 07.02.2007). In den Waldorfschulen gibt es keine Zensuren (nur zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen) und sitzenbleiben gibt es nicht, da das Prinzip der Koedukation[11] gilt. Statt Zeugnisse erhalten Schüler, die in eine Waldorfschule gehen, einmal im Jahr eine verbale Beurteilung (vgl. Lippert, 2001, 214).
1.5.2 Celestin Freinet - Biografischer Abriss
Freinet wird am 15.10.1896 als Kind einer Bauernfamilie in der Provence in Frankreich geboren. „Das öffentliche französische Volksschulwesen ist in den 20er Jahren besonders auf dem Lande in einem sehr desolaten Zustand (mit 40 Schülern überfüllte Klassen, schlechter baulicher Zustand usw.).“ (zit. n. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 13) 1900 wurde Freinet in die einklassige Dorfschule eingeschult (vgl. Schlemminger, in Schaberg/Schonig, 2002, 35). 1908 macht Freinet den Volksschulabschluss und tritt in eine weiterführende Schule in Grasse ein. Drei Jahre zunächst im “Collège Carnot“ und dann ein Jahr auf dem “Lycèe Amiral de Grasse“, was auf die Aufnahmeprüfung zum Lehrerseminar vorbereitet. Freinet macht 1912 seinen Sekundarschulabschluss und wird am Lehrerseminar aufgenommen. 1914 macht Freinet seine Schulabschlussprüfung und beginnt mit dem schulpraktischen Jahr Celestin Freinet wird 1915 zum Kriegsdienst eingezogen (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 35 f.). 1916 erlitt er einen Lungensteckschuss und brachte 4 Jahre in Lazaretten und Sanatorien zu (vgl. Teigeler 1995, 46). „Aus den Bedingungen dieser Schwäche hat Freinet seine Pädagogik entwickelt.“ (Teigeler, 1995, ebd.) Einige Autoren, die über Freinet schreiben, sind der Ansicht, dass er seine Pädagogik so entwickelt hat, um einen langen Schultag durchstehen zu können (vgl. Dietrich, 1995, 14). 1920 wird Freinet stellvertretender Volksschullehrer an einer Jungenschule in Frankreich und im selben Jahr holt er die Prüfung zur Lehrerbefähigung nach. (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig 2002, 36). 1922 wird er pädagogischer Sekretär der Gewerkschaftssektion Alpes Maritimes, trifft mit Peter Petersen in Deutschland zusammen und besucht dort die Schulversuche in Hamburg. Anschließend schreibt Celestin Freinet in seiner Zeitung Clartè über die Schulversuche in Deutschland. 1924 führt er die Druckpresse in den Unterricht ein und lässt seine Schüler freie Texte schreiben und drucken. Daraus entstanden dann langsam Klassenzeitungen. Durch diese wurden Schulbücher ersetzt. Erste Korrespondenzen zwischen verschiedenen Schulklassen begannen. Die freie Druckerei ist das Kennzeichen der Freinet – Pädagogik (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 37). Im selben Jahr gründet er eine “Kooperative“ mit gleichgesinnten Kollegen, welche die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmaterialien herausgibt. Aus dieser “Kooperative“ geht die französische Lehrerbewegung “Ecole Moderne[12] “ hervor. Ziel dieser Lehrerbewegung ist es, die „Alte Schule“ von innen heraus umzugestalten (vgl. http://www.freinte-kooperative.de/start/index.php?idcat=295&idside=284&lang=2 10.02.2007).
1926 heiratet er Elise und tritt der kommunistischen Partei Frankreichs bei. Auf dem Lehrergewerkschaftskongress 1927 werden die “Bewegung der Schuldrucker“ und von der Gewerkschaft heraus die “Kino Kooperative“ gegründet. Ein Jahr später schließen sich diese beiden Bewegungen zusammen zur Lehrer –Kooperative “Cooperative de I` Enseignement Lai`(CEL)“. 1935 eröffnen Celestin und seine Ehefrau Elise Freinet ihre erste Internatsschule. Ein Jahr später werden die ersten Arbeiterkinder aus Pariser Vororten eingeschult (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 40).
„Im Zentrum der Schule steht die praktische, sinnvolle, schöpferische und das Kind entfaltende Arbeit. Mit dem Sieg der französischen Volksfront erfährt die Freinet-Bewegung einen weiteren Aufschwung, bevor ihr durch die faschistischen Regierungen und den 2. Weltkrieg ein Ende gesetzt wird.“ (Hecker, http://www.freinet-kooperative.de/start/index.php?idcat=295&idside=284&lang=2 10.02.2007) Freinet wird 1940 wegen kommunistischer Propaganda festgenommen und in ein Internierungslager gebracht. Die Internatsschule wird auf Anordnung des Präfekten geschlossen. Von 1942 –1944 verfasst Freinet seine Hauptschriften, die nach dem Krieg veröffentlicht werden 1946 wird die Internatsschule wiedereröffnet. Freinet unterrichtete nicht selbst, sondern widmete sich dem Aufbau seiner Kooperative (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 41). „1961 wird die "Féderation Internationale des Mouvements de l'Ecole Moderne" (FIMEM) ins Leben gerufen, die zur Koordinierung der Freinet-Bewegungen in verschiedenen Länden dienen soll: Aus der Kooperation weniger französischer Volksschullehrer ist eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden.“ (Hecker, http://www.freinet-kooperative.de/start/index.php?idcat=295&idside=284&lang=2 10.02.2007) Am 08. Oktober 1966 stirbt Freinet (vgl. Schlemminger in Schaberg, Schonig, 2002, 42).
1.5.2.1 Freinet Pädagogik
Die Freinet Pädagogik wehrt sich gegen die Regelschulen, da die Bedürfnisse, Gefühle und die persönliche Identität der Kinder zu wenig berücksichtigt werden. Eines der wichtigsten Grundprinzipien der Freinet- Pädagogik ist es, die Verschiedenheit der Kinder zu akzeptieren. Die Schule soll den Kindern die Möglichkeit geben, sich entfalten und ausdrücken zu können (vgl. Baillet, 1995, 16). „Wie alle Reformpädagogen will auch Freinet durch eine zum Lernen anregende Gestaltung des Lernfeldes seine Schüler motivieren... .“(zit. n. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 101) Freinet richtet in den Klassenräumen sogenannte Arbeitsecken (Ateliers) ein, die unterschiedlich gruppiert und zweckorientiert ausgestattet sind. „Er selbst schlägt folgende Aufteilung vor, die in der Praxis jedoch nach den jeweiligen Bedürfnissen abgeändert oder ergänzt werden kann:
1. eine Arbeitsecke für die Arbeitsplanung und den Wissenserwerb mit Quellen- und Dokumentensammlung,
2. eine Arbeitsecke für naturwissenschaftliche Experimente,
3. eine Arbeitsecke für graphisches Gestalten, schriftlichen Ausdruck und Schülerkorrespondenz,
4. eine Arbeitsecke für technische Medien im Unterricht,
5. eine Arbeitsecke für Versuche und Beobachtung von Pflanzen und Tieren,
6. eine Arbeitsecke für das künstlerische und musische Schaffen, für Holz, Metall-und Keramikarbeiten,
7. eine Arbeitsecke für hauswirtschaftliches Tun,
8. eine Arbeitsecke für Konstruktion, Mechanik, Handel, mit Geräten zum Wiegen und Messen sowie für räumliches Gestalten.“ (zit. n. Jörg in Hellmich, Teigeler 1995, 102)
Die Schuldruckerei ist die Arbeitstechnik, die Freinet neu in die Schule eingeführt hat und durch die er bekannt wurde. Freinet erlitt im ersten Weltkrieg eine Lungenverletzung. Daher fiel im langes Sprechen im Unterricht sehr schwer, er suchte nach einer Möglichkeit, mit dem er die Schüler sinnvoll in Spracharbeit beschäftigen konnte. Er fand ein Druckpresse und ließ seine Schüler frei geschriebene Texte setzten und drucken (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 105). „Das Drucken in der Schule und der Austausch des Gedruckten wird schnell zur wichtigsten Arbeitstechnik der Freinet Bewegung.“ (zit. n. Jörg in Hellmich. Teigeler 1995, ebd.)
Die Arbeit mit der Druckerei ist für die Schüler sehr wertvoll, da sie schneller die Orthografie lernen und Interesse entwickeln für das kritische Lesen von Werken aus der Literatur oder von Texten, die andere Schüler geschrieben haben (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 105). Die Klassenkorrespondenz ist ein weiteres Merkmal der Freinet Pädagogik. Die Schüler tauschen sich über geschriebene Texte innerhalb der Klasse oder mit der sogenannten Korrespondenzklasse, die auch in einer anderen Stadt sein kann, aus. Der Schülerkorrespondenzaustausch findet nicht selten auch über die Grenzen des eigenen Landes hinaus statt. Es ist ein gutes Mittel, die Schüler mit andern Ländern, Menschen und Sitten vertraut zu machen und der Lerneffekt hat einen sehr hohen erzieherischen Wert (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 106).
Dem Spiel wird in der Freinet Pädagogik große Bedeutung geschenkt, es werden deshalb dem Kind vielfältige Möglichkeiten und Materialien geboten, die zu Aktivitäten anregen. Zum Beispiel gibt es die Arbeitskartei, sie enthält Anregungen für das gemeinsame Spielen oder den Bau von z. B. Puppenbühnen und Marionetten für das szenische Gestalten. Besondere Bedeutung haben alle Formen des freien Sichausdrücken- Könnens und der musikalischen Erziehung (vgl. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 107). In den Schulen, die nach der Freinet Pädagogik arbeiten, gibt es keinen Stundenplan im herkömmlichen Sinn. Die Schüler gestalten ihren Wochenarbeitsplan ausgehend vom offiziellen Lehr- und Stundenplan selbst (vgl. Jörg in Hellmich Teigeler, 1995, 103). „Mit dem Wochenarbeitsplan ist in der Freinet Schule eine individuelle Leistungskurve verbunden, in die im Laufe der Woche alle erzielten Beurteilungen eingetragen werden.“ (zit. n. Jörg in Hellmich, Teigeler, 1995, 104) Die Schüler wirken bei den meisten Leistungsbeurteilungen mit und bekommen so ein schnelles und untrügliches Urteil ihrer Leistungen. Dies geschieht z. B. beim Vorlesen der freien Texte und bei der Entscheidung, welche Texte, Briefe o. ä. an die Korrespondenzklasse geschickt werden.
1.6 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Pädagogischen Konzeptionen von Petersen, Steiner und Freinet
Das Kind steht im Mittelpunkt der Pädagogik, dies ist die wichtigste Gemeinsamkeit der Reformpädagogischen Konzeption von Petersen, Steiner und Freinet.
Unterschiede gibt es in folgenden Punkten: dem Bild vom Kind, der Gruppenform, der Gestaltung des Klassenraumes, des Lehrplans, und der Lehrerrolle, um nur einige zu nennen. Petersen hat ein humanistisches Bild vom einzelnen Kind in der Gesellschaft, Gemeinschaft, Erziehung und Bildung. Bei ihm ist die Selbstverantwortung und die Teamfähigkeit wichtig. Hingegen hat Steiner eine anthroposophische Weltanschauung und dem entsprechend auch ein anders Bild vom Kind. Er sieht das Kind als ein sich entwickelndes Geisteswesen. Die Verschiedenheit der Kinder in ihrer Persönlichkeit und Identität zu verstehen und zu akzeptieren ist für Freinet wichtig. Bei der Gruppenform gibt es Gemeinsamkeiten bei den pädagogischen Konzeptionen von Freinet und Steiner. Die Schüler werden in Jahrgangsklassen unterrichtet. In der Jenaplan – Pädagogik findet das sogenannte Stammgruppenmodell Anwendung (vgl. 2.5.1.1). Unterschiedlich ist die Ausgestaltung der Klassenräume, bei Steiner ist der Raum sehr karg, dies ist anthroposophisch begründet. Petersens Klassenraum soll eine “Schulwohnstube“ sein. Diese Schulwohnstube soll den Kindern als Arbeits-, und Lebensraum dienen. In Klassenräumen von Freinet Schulen befinden sich Arbeitsecken, die sogenannten Ateliers. Ausgehend vom offiziellen Lehrplan gestalten Schüler, die in eine Freinet Schule gehen, ihren Wochenarbeitsplan selbst. In der Waldorfpädagogik ist das ähnlich, dort wird sich auch am offiziellen Lehrplan orientiert. Der Großteil des Unterrichts findet in Epochen statt. Bei Petersen sind die Inhalte des Lehrplans sehr flexibel, es gibt einen groben Lehr- und Arbeitsplan. Die Rolle des Lehrers ist bei Petersen und Freinet gleich. Der Lehrer soll dem Kind helfend zur Seite stehen. In der Waldorfpädagogik ist der Lehrer eine Autorität, er ist acht Jahre lang der Klassenlehrer der Schüler. Allen drei Konzeptionen ist gemeinsam, das es ein “traditionelles“ Zeugnis mit Zensuren nicht gibt. Man findet in den Zeugnissen der Kinder auf diesen reformpädagogischen Schulen Beurteilungen vor. Dies begründet sich dadurch, dass Kinder nicht sitzen bleiben können. (vgl. 1.5.1.1 , 1.5.2.1 , 1.5.3.1 )
2 Maria Montessori: Biografie und Erziehungskonzeption
2.1 Biografie
Maria Montessori wird am 31.08. 1870 in Chiaravall (Italien) geboren (vgl. Bergeest in Buchka, Grimm, Klein, 2002, 240). Im selben Jahr wird Italien von der Fremdherrschaft befreit und wieder ein einheitlicher Staat. In wirtschaftlicher Hinsicht sind die Hoffnungen groß, Anschluss an andere europäische Staaten zu finden (vgl. Hebenstreit, 1999, 16). „Doch gleichzeitig verläuft dieser Einigungsprozeß in politisch überholten, monarchistischen, antidemokratischen Strukturen. Die sozialen Probleme bis hin zu massiver Kinderarbeit sind gewaltig.“(Hebenstreit, 1999, 16) Hebenstreit erläutert, dass die Pädagogik häufig in solchen geschichtlichen Momenten eine wichtige Rolle spielten. Das Schulwesen ist zu dieser Zeit rückständig (vgl. Hebenstreit, 1999, 16). „Es ist diese Phase der Polarisierung von politischer, sozialer und ökonomischer Reformhoffnung einerseits und stark restaurativen Beharrungstendenzen andererseits, in der Maria Montessori ihre Kindheit verbringt.“ (Hebenstreit, 1999, 16) Im Elternhaus von Montessori findet sich diese Spannung wieder. Ihr Vater ist eher konservativ eingestellt und ihre Mutter mehr fortschrittlich. Für Montessori ergeben sich daraus wichtige Lehren. Sie wird sich für soziale Reformen einsetzen und sie lernt, dass es auf Selbstbestimmung des Einzelnen ankommt, sich gegen bestehende Verhältnisse zu wehren. In diese Verhältnisbemühungen ist ihre Pädagogik eingebettet. Als Maria Montessori fünf Jahre alt war, zog die Familie durch die berufliche Situation des Vaters nach Rom um. Davor hatte Montessori schon zwei Umzüge hinter sich. Hebenstreit schreibt dazu, dass dies typisch sei für die kommende Heimatlosigkeit von Maria Montessori (vgl. Hebenstreit, 1999, 16). Alessandro Montessori (Vater von Maria Montessori) versuchte die traditionelle Rollenaufteilung in der Familie aufrecht zu erhalten. Seine einzige Tochter Maria sollte Bildung erhalten und auf eine “normale“ berufliche Laufbahn vorbereitet werden. Maria Montessori erweist sich als sehr gute Schülerin, daher auch der Plan, sie Lehrerin werden zu lassen. Die Erziehung von Maria soll im Sinnes des Vaters auf eine spätere Mutterschaft und auf Hausfrauenaufgaben vorbereiten. Alessandro Montessori reagierte mit Unverständnis als Maria sich gegen die traditionelle Rollenvergabe wehrte und mit ihrem Berufswunsch Ärztin zu werden, in eine Männerbastion eindringen wollte.
Der Vater söhnte sich erst mit Maria aus, als sie die erste promovierte Ärztin in Italien war. Die Mutter Renilde Stoppani bildete den Gegenpol zum traditionell denkenden Vater (vgl. Hebenstreit, 1999, 18). „Von ihr erfahren wir, daß sie mit ihrem einzigen Kind die Hoffnung auf eine „Frauenemanzipation“ verbindet, die sie selbst nicht erreichen kann.“ (Hebenstreit, 1999 , 18) Sie unterstützte ihre Tochter immer wieder, aus vorgegebenen Rollenmustern auszubrechen. Durch die strenge Erziehungsmethode der Mutter eignet sich Montessori eine Willensstärke an, die wichtig war für die Überwindung von Widerständen (vgl. Hebenstreit, 1999, 18). Maria Montessori besuchte die 6 jährige Grundschule und wechselt danach auf eine naturwissenschaftlich – technische Sekundarschule und später Oberschule. Für ein Mädchen war das zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich. Der Abschluss der Oberschule berechtigte Montessori zum Studium (vgl. Bergeest in Buchka, Grimm, Klein, 2002, 240). Der Wunsch von Maria Montessori, Medizin zu studieren, „... und daß in der Anatomie eine weibliche Studentin gemeinsam mit ihren männlichen Kommilitonen Leichen sezierte, schien damals unmöglich.“ (Hebenstreit, 1999, 20). Es gibt sehr viele Geschichten darüber, wie Montessori ihren Studienwunsch realisierte. Bei Hebenstreit ist zu finden, dass sie ein persönliches Gespräch mit dem damaligen Dekan der Fakultät und den späteren Unterrichtsminister Italien gehabt haben soll. In diesem Gespräch schilderte sie ihr Anliegen, Medizin studieren zu wollen. Ihr wurde unmissverständlich die Aussichtlosigkeit ihrer Absicht deutlich gemacht (vgl. Hebenstreit, 199, 20 f.). Montessori soll sich nach dem Gespräch mit folgenden Worten verabschiedet haben: „Ich weiß, daß ich Ärztin werde !“ (zit. n. Standing in Hebenstreit 1999, 21). Mit ihrer Beharrlichkeit und ihrem Durchsetzungsvermögen wird Maria Montessori die erste Medizinstudentin Italiens (vgl. Bergeest in Buchka, Grimm, Klein, 2002, 241). Sie wird während des Studiums mit harten Auflagen belegt. Als Beispiel ist zu nennen, das sic erst nach den männlichen Studenten den Hörsaal betreten darf (vgl. Hedderich, 2001, 13). In der Anatomie muss Montessori die schwersten Kämpfe aushalten. „Selbstverständlich darf sie nicht gemeinsam mit den männlichen Kommilitonen die Leichen sezieren, und so bleiben ihr dafür nur die düsteren Abendstunden... .“(Hebenstreit, 1999, 21) Montessori war eine sehr eifrige Studentin, sie gewann Preise und Stipendien (vgl. Hebenstreit, 1999, 22). Als 26 jährige schließt Maria Montessori im Jahre 1896 ihre Ausbildung als erste promovierte Ärztin Italiens ab und wird Assistenzärztin an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Rom. (vgl. Hedderich, 2001, 13).
Für Maria Montessori begann nach dem Abschluss des Studiums der Medizin ein aktives und von der Öffentlichkeit geprägtes Leben bis zum Tode. Dies sind markante Kennzeichen ihrer Biografie. Als ein Beispiel dafür ist zu nennen, dass sie als italienische Delegierte ausgewählt wurde, um an einem Frauenkongress in Berlin teilzunehmen. Zwei Jahre später wird sie noch einmal auf einen Frauenkongress nach London geschickt. Ihre Auftritte in Berlin und London wurde von der internationalen Presse verfolgt (vgl. Hebenstreit, 1999, 23). „Dieses Detail der Biographie verdient nur deshalb Erwähnung, weil es den Beginn einer lebenslangen Einflußnahme auch auf die politisch Mächtigen markiert.“ (Hebenstreit, 1999, 23) Es gelingt Maria Montessori in allen Stationen ihres Lebens, die unterschiedlichen Führer verschiedener Parteien auf sich und ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Montessori engagiert sich neben dem Frauenthema auch für den sozialen Fortschritt. Eingebunden in ihr Engagement für Frauen und soziale Gerechtigkeit ist der Einsatz für bessere Erziehungsbedingungen für die Kinder und die Abschaffung der Kinderarbeit. Montessori hält öffentliche Vorträge zu ihren Anliegen. Dadurch erlangte sie in Italien früh Bekanntheit (vgl. Hebenstreit, 1999, 23). Neben ihrer Tätigkeit an der psychiatrischen Universitätsklinik in Rom, betreibt Montessori eine private Arztpraxis “...für den “ganzheitlichen“ Ansatz, mit dem die Ärztin ihren Beruf begreift.“(Hebenstreit, 1999, 24) Im Zusammenhang mit ihrer Haupttätigkeit als Assistenzärztin in der Psychiatrie, hat sie die Aufgabe, die Anstalt für behinderte Menschen aufzusuchen, um Patienten auszuwählen, die besser gefördert werden können. Die Menschen mit Behinderungen waren dort katastrophal untergebracht. Sie sieht u. a. geistig behinderte Kinder, die gemeinsam mit psychotischen Erwachsenen wie in einem Gefängnis untergebracht sind (vgl. Hedderich, 2001, 13). „Als sie eine Wärterin zu deren ablehnender Haltung gegenüber den Kindern befragt, äußert diese, daß die Kinder sich wie die Tiere auf die nach dem Essen übrigbleibenden Krümeln stürzten.“ (Hebenstreit, 2001, 25) Maria Montessori sah dies nicht als abnormales Verhalten der Kinder an, sondern sie sah die Bedürfnisse der Kinder nach ein wenig hantierbarem Spielzeug. Die erlebten Eindrücke und ihre Tätigkeit dort, brachten Montessori ein Stück näher an ihre spätere pädagogische Arbeit heran (vgl. Hebenstreit, 1999, 25). Sie fing an, die Schriften von J. M. G. Itard[13] und E. Seguin 13 zu studieren (vgl. Hedderich, 2001, 14).
Sie wurde von den Arbeiten der beiden Ärzte beeinflusst, besonders durch das Sinnesmaterial was Seguin entwickelt hatte. Montessori entwickelte dieses Sinnesmaterial weiter, bis zu der Form wie es heute noch in Montessori – Einrichtungen zu finden ist (vgl. Hebenstreit, 1999, 25). „Im Gegensatz zu meinen Kollegen hatte ich jedoch die Eingebung, dass das Problem der geistig Zurückgebliebenen eher überwiegend ein pädagogisches als ein medizinisches war; während auf medizinischen Kongressen viele von der medizinisch – pädagogischen Methode zur Behandlung und Erziehung schwachsinniger Kinder sprachen, nahm ich auf dem Turiner Kongress 1898 die moralische Erziehung zum Thema“ (Montessori aus Oswald, Schulze- Benesch 1997, 26) Montessori unternahm zur Weiterbildung auf diesem Themengebiet Studienreisen ins Ausland und hält Vorträge auf Pädagogen- und Ärztekongressen. Dadurch wurde sie sehr schnell zu einer Expertin auf dem Gebiet der geistigen Behinderung von Kindern (vgl. Hebenstreit, 1999, 25). Ende des 19. Jh. wird in Rom ein heilpädagogisches Institut gegründet, und Maria Montessori übernahm die Leitung (vgl. Hedderich, 2001, 14). Ihre Aufgabe am Institut war zum einen die Ausbildung von Lehrern für Kinder mit geistiger Behinderung und zum anderen die Erforschung von geeigneten pädagogischen Methoden. Montessori schreibt dazu: „Es gelang mir, einigen geistig Zurückgebliebenen aus dem Irrenhaus Lesen und korrektes Schreiben in Schönschrift beizubringen. Diese Kinder konnten danach in einer öffentlichen Schule zusammen mit normalen Kindern eine Prüfung ablegen, die sie auch bestanden. Dieses großartige Ergebnis erschien den Beobachtern fast wie ein Wunder. Doch für mich holten die Kinder des Irrenhauses die normalen bei öffentlichen Prüfungen nur deshalb ein, weil ihnen ein anderer Weg gewiesen worden war.“ Montessori aus Oswald, Schulze- Benesch 1997, 32) Nach zwei Jahren Arbeit im Institut bricht Montessori überraschend ihre Tätigkeit ab. Darüber wurde vielfach spekuliert, da dieser Schritt zu diesem Zeitpunkt nicht nachvollziehbar war (vgl. Hedderich, 2001, 14) Sowohl bei Hedderich als auch bei Hebenstreit ist zu finden, dass Maria Montessori sich in einen Kollegen verliebte, schwanger wurde und dies sollte wegen der Karriere geheim gehalten werden.[14] Sie beginnt 1901 ein Studium der Anthropologie, Psychologie und Erziehungsphilosopie (vgl. Bergeest in Buchka, Grimm, Klein, 2002, 242).
In der Zeit ihres Studiums erhielt sie Lehraufträge an der Universität in Rom und wurde Professorin für Anthropologie (vgl. Hebenstreit, 1999, 28). Der Grundstein ihres späteren beruflichen Weges als Pädagogin wurde 1906 gelegt, als Montessori von der römischen Wohnungsbaugesellschaft in San Lorenzo[15] gebeten wurde, für die entstehenden Kindereinrichtungen die konzeptionellen Grundlagen zu schaffen (vgl. Hedderich, 2001, 14) Dadurch gab es für Montessori ein Betätigungsfeld, in der sie ihre Erziehungsmethoden bei nichtbehinderten Kindern ausprobieren konnte (vgl. Hebenstreit, 1999, 31). Am 6.1.1907 gründete Maria Montessori ihre erste Einrichtung für Kinder. Casa de Bambini wurde diese Einrichtung genannt, ein Haus für Kinder (vgl. Bergeest, 2002, 242). „Mit „Casa“ verbindet sie all das, was wir im Deutschen ausdrücken, wenn wir von unserem Zuhause als einem „Heim“ sprechen... .“ (Hebenstreit, 1999, 32) Ihr pädagogisches Urerlebnis, welches als „Polarisation der Aufmerksamkeit[16] “ bezeichnet wurde, erlebte Montessori in diesem Kinderhaus. Später wurde dieser Punkt ein zentraler Kern ihrer Pädagogik (vgl. Hedderich, 2001, 14 f.) Durch dieses Erlebnis wurde für Maria Montessori ein neuer Weg der pädagogischen Arbeit aufgezeigt (vgl. Hebenstreit, 1999, 35). „Es gilt die Bedingungen einer geeigneten Umgebung herauszufinden, es gilt das notwendige Entwicklungsmaterial zu konzipieren und herzustellen, und es gilt die Aufgabe der Erzieherin im Erziehungsprozeß neu zu bestimmen. Mit dieser Dreiheit von Umgebung, Material und Erzieherin ist die Grundlage für eine neue Pädagogik gegeben, die es in der Öffentlichkeit zu propagieren und auszuweiten gilt.“ (Hebenstreit, 1999, 35) Das öffentliche Interesse an dieser neuen Erziehungsmethode nahm sehr schnell zu (auch überregional) und es entstanden im laufe der Jahre weitere Kinderhäuser ( in Rom, Mailand, Deutschland, England usw.) 1909 erscheint Montessoris Schrift „ Il metodo della pedagogia scientifica[17] (heutiger Titel „Die Entdeckung des Kindes“) (vgl. Bergeest, in Buchka, Grimm, Klein, 2002, 242 f.) Montessori hatte damit einen Grundstein für eine neue Erziehungskonzeption gelegt. Sie setzte sich mit sehr viel Energie für ihre Methode ein, z. B. schrieb sie Bücher und hielt Vorträge (vgl. Hedderich, 2001, 15). Ihre Idee wurde zu einer weitverbreiteten Reformbewegung.
Es wurden Montessori Gesellschaften gegründet und 1929 erfolgte der Zusammenschluss der nationalen Vereine zur Association – Montessori- International (AMI). Montessori gab ihre Tätigkeit als Ärztin auf und konzentrierte sich in ihrer zweiten Lebenshälfte auf die Ausbildung von Erziehern, die nach ihrer Methode arbeiten wollten (vgl. Hedderich, 2001, 15). „... in den Jahren zwischen 1910 und 1915: ... gibt sie alle bürgerlichen Berufe auf um ausschließlich für die Ausbreitung ihrer pädagogischen Ideen tätig sein zu können.“ (Hebenstreit, 1999, 42) Durch den Tod der Mutter und des Vaters, gab es für Montessori nichts mehr was sie in Italien hielt. Wie bereits erwähnt begann nun, für Maria Montessori die Heimatlosigkeit. 1916 mitten im ersten Weltkrieg siedelte sie nach Spanien über und blieb dort für 20 Jahre. Barcelona, war nur ein „Stützpunkt“ für Montessori. Von dort aus ging sie immer wieder auf Reisen rund um die Welt für Vorträge und Ausbildungskurse. Montessori behielt sich zeitlebens vor, Ausbildungskurse nur selbst zu halten (vgl. Hebenstreit, 1999, 42 ff.). „Einen Rückschlag erlebt die Montessori – Pädagogik zur Zeit des Faschismus. Die Einrichtungen werden geschlossen und die Bücher von Maria Montessori verbrannt.“ (Hedderich, 2001, 15 f.). Bei Hebenstreit ist eine andere Version für diese Zeitspanne zu finden. Der 1922 beginnende Faschismus Mussolinis ebnete für Montessori erneut den Weg. Es kam zu einer Begegnung der beiden und Mussolini verspricht Montessori, sich der Sache ihrer Pädagogik anzunehmen. Die Montessori - Bewegung in Italien wurde neu belebt, es entstanden Montessori Einrichtung und Maria hielt Vorträge und Ausbildungskurse in Italien ab. Durch die Zusammenarbeit mit Montessori verspricht sich Mussolini ein Zugewinn an internationalem Prestige (vgl. Hebenstreit, 1999, 45 f.). Einige Zeit verlief diese Zusammenarbeit sehr gut. Doch es kam zum Bruch „... als alle Kinder die Kluft der faschistischen Jugendorganisation tragen müssen und der faschistische Jugendgruß Pflicht wird, beendet Montessori die Zusammenarbeit von einem auf den anderen Tag.“ (Hebenstreit, 1999, 46) Die Faschisten in Deutschland waren brutaler, sie schlossen alle Montessori Einrichtungen und verbrannten ihre Bücher (vgl. Hebenstreit, 1999, 46). Zur Zeit des zweiten Weltkriegs hielt sich Montessori in Indien auf. 1949 kehrte sie nach Europa zurück und verbrachte ihren Lebensabend in den Niederlanden. Am 6.5. 1952 im Alter von 82 Jahren verstirbt Maria Montessori.
2.2 Theoretische Grundlangen der Montessori- Pädagogik
2.2.1 Anthropologischer Ansatz
Zur damaligen Zeit war die Anthropologie eine Hilfsdisziplin der Medizin. Montessori hielt 1904 Vorlesungen zur Anthropologie an der Universität in Rom. In den Vorlesungen behandelte sie u.a. Themen der Kinderheilkunde (vgl. Hedderich, 2001, o. S.). „Eine „Erziehung, die das Leben als Zentrum betrachtet“, muß die „Kenntnis des menschlichen Lebens“ zum Ausgangspunkt machen. „Dieses Studium des Lebens muß bei seinem Ursprung beginnen (zit. n. Montessori aus Holtstiege, 1999, o. S.) Zusammenfassen kann man Montessoris Aussagen zur Anthropologie in drei Punkten:
- Der Mensch als Lebewesen
- Der Mensch als ein auf die Gemeinschaft ausgerichtete Person
- Der Mensch als Geschöpf Gottes.
Zentraler Kern für Maria Montessori ist die Personalität des Menschen die jedem menschlichen Sein eigen ist. Montessori meinte, gegenüber Tieren und Pflanzen kennzeichnet der Geist und die Intelligenz den Menschen (vgl. Hedderich, 2001, 24 f.).
Im Unterschied zum Tier ist der Mensch in seinem Verhalten nicht festgelegt, er besitzt eine Anpassungsfähigkeit und eine Weltoffenheit. Des weiteren ist der Mensch von Natur aus ein Kulturwesen (er ist kulturabhängig und schaffend) (vgl. Ludwig aus http://egora.uni-münster.de/ew/mz/lehre/anthropologie.shtml 21.05.07). „Er ist zudem ein Wesen, das nicht fertig zur Welt kommt, sondern sich in aktiver Auseinandersetzung mit seiner natürlichen, sozialen und kulturellen Umwelt selber aufbauen muss. Insofern ist das Kind der "Baumeister des Menschen".“ (zit. n. Ludwig aus http://egora.uni-münster.de/ew/mz/lehre/anthropologie.shtml 21.05.07).
Der Mensch hat einen Tätigkeitsdrang der ihn antreibt, sich mit seiner Umwelt auseinander zusetzen, um so den Aufbau seiner geistigen Strukturen zu ermöglichen. Für Maria Montessori ist der Mensch „... Werk der Natur, Werk des Menschen und Werk seiner selbst.“ (zit. n. Ludwig aus http://egora.uni-münster.de/ew/mz/
lehre/anthropologie.shtml 21.05.07).
Für Montessori ist jeder Mensch ein unverwechselbares individuelles Wesen. Daher soll die Förderung und die Erziehung der Kinder unter diesem Aspekt stattfinden. Für Montessori ist die Förderung der Individualität wichtig, da sie die Gesellschaft als einen Zusammenschluss von Individuen sieht. Die Qualität einer Gesellschaft ist ihrer Meinung nach abhängig von der Entfaltung und Qualität der Individualität der einzelnen Menschen, die zu dieser Gesellschaft gehören. Für die aufgeführten anthropologischen Auffassung beruft sich Montessori hauptsächlich auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Neben dieser Denkweise findet sich bei Maria Montessori noch eine religiöse Dimension (A. d. V. unter Kosmische Theorie findet sich eine Erklärung)
(vgl. http://egora.uni-münster.de/ew/mz/lehre/anthropologie.shtml 21.05.07).
2.2.2 Entwicklungspsychologische Konzeption
Wesentlicher Bestandteil von Maria Montessoris Erziehungskonzeption ist ihre entwicklungspsychologische Theorie. Zwei zentrale Begriffe werden in dieser Konzeption geprägt „geistiger Embryo“ und „sensible Phasen“ (vgl. Hebenstreit, 1999, 129).
2.2.2.1 eistiger Embryo
Montessori nimmt die embryonale Situation um auf das spezifische der menschlichen Entwicklung hinzuweisen. Sobald der Embryo auf der Welt ist, ist er für Montessori ein „geistiger Embryo“ der Schutz braucht (vgl. Hebenstreit, 1999, 129). Dieser geistige Embryo nimmt seine Umwelt durch den „absorbierenden Geist[18] “ auf (vgl. Hedderich, 2001,26). Die Wissenschaft betrachtete ... „das Neugeborene als ein Wesen, das aus dem Nichts gekommen ist. Demnach ist es lediglich Fleisch, kein fleischgewordener Geist, ein Organismus aus Gewebe und Organen, die zusammen ein lebendiges Wesen bilden.“ (Montessori ,1999, 38) „Bei der Pflege des Neugeborenen ist ... große Rücksicht auf dessen Seelenleben erforderlich.“ (Montessori, 1999, 38) Ausgangspunkt der psychischen Entwicklung ist der Neugeborene.
Laut Montessori hat die Erziehung mit der Geburt des Kindes zu beginnen (vgl. Montessori, 1999, 38). Montessori versuchte mit dem „geistigen Embryo“ wichtige Gemeinsamkeiten zwischen körperlicher und psychischer Entwicklung darzustellen. Dieses Bild vom neugeborenen Kind meint nicht, dass bereits gefühlsmäßige oder intellektuelle Eigenschaften vorhanden sind, sondern dass es im Kinde einen Bauplan gibt, der dem Kind die Möglichkeit gibt mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten. Es ist eine angeborene Fähigkeit mit der Außenwelt Kontakt auf zunehmen und in einen Austauschprozess zu kommen (vgl. Hebenstreit, 1999, 130). Das neugeborene Kind (die Seele, Geist) braucht die Umwelteinflüsse und Umweltreize der Außenwelt genauso wie der Körper des Kindes, um sich zu entwickeln. Die Verarbeitung der äußerlichen Einflüsse und Reize begünstigen die Entwicklung des Kindes. Falsche Reize zur falschen Zeit können dem Kind schaden, nur durch die nötigen Reize die, zur richtigen Zeit und im richtigen Ausmaß angeboten werden, kann sich ein Kind gesund entwickeln (vgl. Hebenstreit, 1999, 130).
„Die Verantwortung des Erwachsenen ist so groß, daß ihm daraus die Pflicht erwächst, mit aller wissenschaftlicher Gründlichkeit die seelischen Bedürfnisse des Kindes zu erforschen und ihm eine dementsprechende Umwelt zu bereiten.“ (Montessori, 1999, 46) „Dabei ist es immer wieder wichtig, sich vor Augen zu halten, daß es nicht primär diese von der Erzieherin angebotenen Mittel sind, die ein Kind sich entwickeln lassen, sondern von der Natur dem Kind mitgegebene „Bauplan“, der auch in psychischer Hinsicht bestimmt, was zu welchem Zeitpunkt und wozu benutzt wird. (Hebenstreit, 1999, 130 f.) Die „Mneme“ ist ein weitere Begriff in dem Zusammenhang der frühkindlichen Entwicklung. Damit ist das unbewusste Erbgedächtnis des Kindes gemeint, welches ganzheitlich aufnehmen und speichern kann, aber es kann sich noch nicht erinnern (vgl. Hedderich, 2001, 27).
2.2.2.2 Sensible Phasen
„Der holländische Gelehrte de Vries** entdeckte die Empfänglichkeitsperioden bei den Tieren, und uns gelang es in unseren Schulen dieselben >>sensiblen Perioden << auch in der Entwicklung der Kinder festzustellen und den Zwecken der Erziehung nutzbar zu machen. Es handelt sich um besondere Empfänglichkeiten, die in der Entwicklung , daß heißt im Kindesalter der Lebewesen auftreten. Sie sind von vorübergehender Dauer und dienen nur dazu, dem Wesen die Erwerbung einer bestimmten Fähigkeit zu ermöglichen. Sobald dies geschehen ist, klingt die betreffende Empfänglichkeit ab.“ (Montessori, 1999, 47) Montessoris Theorie unterscheidet sich durch die Entdeckung der sensiblen Phasen von anderen in der Zeit entstanden entwicklungspsychologischen Konzepten. Ein weiterer Unterschied besteht darin, das Montessori für jede sensible Phase eine zugeschnittene Erziehungsform konzipierte. Wird aber eine sensible Phase verpasst, ist der Erwerb der Fähigkeiten später zwar noch möglich, aber unter erschwerten Bedingungen (vgl. Eckert, 2001, 86 f.).
Auch Rousseau beschreibt in seinem Buch „Emile“ die Erziehung in Altersstufen und es lässt sich an einigen Stellen eine Parallelität zu Montessori feststellen (vgl. Hebenstreit, 1999, 128). Das Konzept der sensiblen Phasen, war am Anfang kein Gesamtkonzept, es begann mit Kritikpunkten an der traditionellen Schulform. Über die Jahre baute Montessori konsequent ... „ihre Ansicht der Übereinstimmung von Entwicklungsphasen mit schulorganisatorischen und pädagogischen Maßnahmen aus und kommt so zwangsläufig zu Vorstellungen schulischer Arbeit, die sich immer weiter von der Organisation und Praxis des Regelschulsystems entfernen.“ (Eckert, 2001, 87)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2 Übersicht über die Sensiblen Phasen (nach Eckert, 2001, o. S.)
2.2.3 Kosmische Theorie
„Eine der faszinierenden Besonderheiten von Maria Montessori war ihre Fähigkeit, das heutige Leben mit dem Leben in weit zurückliegender Vergangenheit in Zusammenhang zu bringen.“ (Montessori, 1984 o. S.)
„Alle Dinge sind „Teil des Universums und miteinander verbunden, um eine große Einheit zu bilden“ (zit. n. Montessori aus Hedderich, 2001, 30) Montessori versteht unter ihrer Theorie, dass ... „die Gesamtheit der Vorgänge in der Natur – der belebten wie der unbelebten – seit der Entstehungsgeschichte des Universums bis heute einem einheitlichen Kosmischen Plan folge, in welchem alle Elemente in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander existieren... .“ (Eckert, 2001, 54) Der Mensch wird in diese Theorie mit eingeschlossen, da er durch seine Tätigkeit auf der Erde einen nachhaltigen Einfluss auf die Natur ausübt (vgl. Eckert, 2001, 54). Für Montessori ist der Kosmos eine Schöpfungsordnung, sie betrachtete das ganze Universum mit der Gesamtheit der lebenden Organismen. Die Kosmische Theorie soll den Jugendlichen in diese Weltsicht einführen und ist zentrale Basis der Schularbeit (vgl. Hedderich, 2001, 30). In der Schulbildung ist es daher wichtig, den Jugendlichen ihre Stellung im Kosmos und in der Evolution aufzuzeigen und dadurch den Respekt für die Gesetzte der Schöpfung zu stärken. Dieses Ziel lasse sich durch einen „universellen Lehrplan“ erreichen, meint Montessori. Der universelle Lehrplan, ist kein Plan der Schritt für Schritt abgearbeitet werden soll, sondern er umfasst die Gesamtheit der menschlichen Kultur. Naturwissenschaftliche Fächer sind in diesem Plan wichtig (vgl. Eckert, 2001, 55).
„Durch eine solche Erziehung wachse für die Jugendlichen die Überzeugung, den Mitmenschen respektieren zu wollen, sich solidarisch zu fühlen mit anderen, auch über die eigene Gesellschaftsgruppe und über nationale Grenzen hinweg.“ (zit. n. Montessori aus Eckert 2001, 57)
Montessori hat sich jahrelang mit der Evolutionstheorie und der Ökologie auseinander gesetzt. In der Evolutionstheorie ging es ihr um zwei Aspekte, zum einen um die Zusammenhänge zwischen der Entstehung von Universum, Erde, Leben und Menschen und zum anderen verband sie die Wissenschaftlichkeit der Evolution mit religiösen Schöpfungsgedanken.
Ökologie bedeutete für Montessori das Studieren und Erkennen der Kreisläufe und Gleichgewichtszustände im gesamten Universum. Was gleichzeitig bedeutete, aus diesen Kenntnissen heraus aktiv und verantwortungsvoll zu handeln und sich für die Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichtes einzusetzen.
In der Montessori – Pädagogik in Deutschland wurde die kosmische Theorie recht spät übernommen und hat erst in den letzten Jahren großes Interesse erfahren. (vgl. Eckert, 2001, 96 ff.)
.Maria Montessori formulierte ihr Anliegen folgendermaßen .
„ Wird dem Kind die Vorstellung vom Universum in der richtigen Weise dargeboten, so wird sie in ihm mehr als nur das Erwachen des Interesses bewirken, es wird in ihm Bewunderung und Staunen hervorrufen... . Der Geist des Kindes wird nicht länger umherwandern, er festigt sich und kann arbeiten. Das Wissen, das es nun erwirbt, ist organisiert und systematisch; seine Intelligenz entwickelt sich voll und ganzheitlich durch das ihm gebotene Bild das Ganzen... .“
(zit. n. Montessori aus Eckert, 2001, 98)
Das Menschenbild von Maria Montessori wird neben den anthropologischen Grundlagen und der kosmischen Theorie durch eine religiöse Dimension geprägt. Montessori war selbst gläubige Christin, die sich zum Glauben bekannt hatte. Für Montessori ist religiöse Erziehung für jeden Menschen wichtig, andernfalls würde eine menschliche Dimension verkümmern. Die religiöse Erziehung ist ein integrierter Bestandteil ihres Erziehungskonzeptes (vgl. Hedderich, 2001, 31 f.)
2.3 Eckpunkte der Kosmischen Erziehung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3 Eckpunkte der Kosmischen Erziehung (nach Eckert, 2001, 99)
2.4 “Hilf es mir, selbst zu tun“ Die Erziehungskonzeption von Maria Montessori
Wie auch bei anderen reformpädagogischen Konzepten (z.B. Jenaplan, Freinet-Pädagogik) steht bei Montessori das Kind im Mittelpunkt. Montessori ist auf der Seite der Kinder und das Kind ist von Natur aus gut (vgl. Hedderich, 2001, o. S.) „Das Kind wird unser Lehrmeister; der Erwachsene wird zum Diener des Kindes“. Auf der Basis dieser erzieherischen Grundhaltung stehen Individualerziehung und Sozialerziehung gleichermaßen im Zentrum. Auch die soziale Entwicklung des Kindes folgt bestimmten Sensibilitäten.“ (Hedderich,2001, o. S.)
2.4.1 Die Polarisation der Aufmerksamkeit
„Von der Medizin und psychiatrisch orientierten Heilpädagogik herkommend, hat Maria Montessori sich der Erziehung kleiner Kinder zugewandt. Dabei war die durch die naturwissenschaftliche Beobachtungsmethode geschulte Forscherin auf das für sie konstitutive Phänomen der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ gestoßen, von dem aus sie eine neue Didaktik und Methodik für Kindergartenkinder entwickelt hat.“ (Hebenstreit, 1999, o. S.)
Im Kinderhaus in San Lorenzo beobachtet Montessori, wie ein kleines 3 jähriges Mädchen sich mit dem Sinnesmaterial (Einsatzzylinderblock) beschäftigte (vgl. Helming, 1996, 53). Das Mädchen war tief versunken in ihre Beschäftigung ... „und der Ausdruck zeugte von so intensiver Aufmerksamkeit, daß er für mich eine außerordentliche Offenbarung war.“ (Montessori, 1996, 70) Montessori versuchte das Kind abzulenken in dem sie beispielsweise, die anderen Kinder zum singen aufforderte. Doch das Mädchen ließ sich davon nicht stören und wiederholte die Übung 44 mal und hörte dann auf, auf mit dem Material zu arbeiten. Das Kind sah nach der Arbeit sehr zufrieden und entspannt aus (vgl. Montessori, 1996, 70). „Mein unvergeßlicher Eindruck glich, glaube ich, dem den man bei einer Entdeckung verspürt. Dieses Phänomen wurde allgemein bei den Kindern.“ (Montessori, 1996, 70) Montessori schlussfolgerte aus dieser Beobachtung, das schon kleine Kinder in der Lage sind sich stark zu konzentrieren, wenn sie den richtigen Gegenstand finden, der sie anregt, die Übungen zu wiederholen. Für Montessori war dieses Phänomen der Polarisation der Aufmerksamkeit, entscheiden für die Entwicklung des Kindes (vgl. Helming, 1996, 53).
„Auf diese Weise offenbarte sich die Seele des Kindes, und davon geleitet entstand eine neue Methode, in der die geistige Freiheit des Kindes deutlich wurde.“ (Montessori, 1996, 71) Auch bei Schulkindern zeigte sich dieses Phänomen. Auf dieser Basis richtete Maria Montessori ihre Schulkonzeption aus. Montessori unterteilt das Zusammenkommen der Konzentration in 3 Phasen. Die erste Phase dient der Vorbereitung, die zweite Phase wird als die Phase der großen Arbeit bezeichnet (Kind beschäftigt sich intensiv mit dem Material) und im Anschluss daran folgt Phase drei, die eine innerliche Phase darstellt (das Kind ist entspannt, freundlich, fröhlich) (vgl. Helming, 1996, 55 f.).
2.4.2 Freiheit und Disziplin
In der pädagogischen Konzeption von Maria Montessori spielen die Begriffe Freiheit und Disziplin eine wichtige Rolle. Beide Begriffe sind aufeinander bezogen (vgl. Hebenstreit, 1999, 61). „Eine Erzieherin kann die natürliche Entwicklung eines Kindes durch Einschränkung der Freiheit behindern oder sie kann sie durch Bereitstellung geeigneter Hilfen fördern; aber keine Erzieherin kann die Persönlichkeit eines Kindes herstellen, schaffen, aufbauen. Entwicklung ist immer Selbstentwicklung... .“ (Hebenstreit, 1999, 62) Erziehung muss daher Freiheit gewähren. Mit dem Begriff der Freiheit ist der Begriff der Unabhängigkeit eng verbunden. Aus dem Grund, dass jedes Kind seine Entwicklung für sich betreiben muss (vgl. Hebenstreit, 1999, 62). Montessori meint dazu folgendes : „Die eine schlechte Mutter sei und nicht wirklich den Titel „Mutter“ verdiene, die ihr Kind nur füttere, ihm aber nicht zeige wie es selbst mit der Gabel das Essen zu sich nehmen könne.“ (Hebenstreit, 1999, 62 f.) Auch die Freiheit für das Kind braucht gewisse Spielregeln, sonst kann die Freiheit dem Kind bei der Entwicklung schaden. „Für Maria Montessori ist ein freies Kind dasjenige, das in Ruhe und Selbstsicherheit seinen Plan verfolgt, konzentriert seine Aufgaben angeht, mit Zielstrebigkeit arbeitetet.“ (Hebenstreit, 1999, 64)
Zur Erziehung gehört neben der Freiheit auch Disziplin. Disziplin steht dafür, das ein Kind seine Bewegungen geordnet hat und zielgerecht ausführen kann. „Ein Kind kann nicht passiv diszipliniert werden, sondern sich nur aktiv selbst disziplinieren.“ (Hebenstreit, 1999, 65) „Der Aufbau seiner Persönlichkeit ist ureigene Aufgabe jedes Kindes. Deshalb bezeichnet Montessori das Kind als „Baumeister des Menschen“. ( zit. n. Ortling in Winkel, 1997, 23)
2.4.3 Die vorbereitete Umgebung
„Unsere Methode hat in der Praxis mit den alten Traditionen gebrochen. Sie hat die Bänke abgeschafft, weil das Kind nicht mehr bewegungslos dem Unterricht der Lehrerin zuhören soll. Sie hat das Katheder abgeschafft, weil die Lehrerinnen keine üblichen Gesamtübungen, wie sie allgemein als nötig erachtet werden, machen sollt. Diese Dinge sind die ersten äußeren Schritte einer tiefern Umwälzung, die darin besteht, das Kind frei, seinen natürlichen Neigungen entsprechend, handeln zu lassen: Ohne irgendeine feste Bindung, ohne ein Programm, ohne die philosophischen und pädagogischen Vorurteile, die hieraus entspringen und sich in den alten schulischen Auffassungen fest vererbt haben.“ (Montessori, 1996, 45)
Montessori hat in den Kinderhäusern und Schulen eine Umgebung geschaffen, in der Kinder aktiv werden können. Das Mobiliar ist kindgerecht (kleine Stühle, Tische, Regal usw.) (vgl. Montessori, 1996, 45). Ohne diese Umgebung gibt es kein konstruktives Tun der Kinder und auch keine Aufforderung zur freien Wahl der Arbeit, so Montessori. Die Umgebung ändert sich nach den Entwicklungsbedürfnissen, des Kindes (sensible Phasen) (vgl. Helming, 1996, 28 ff.). „Die vorbereitete Umgebung wird vom Erzieher für das Kind geschaffen. Jeder Gegenstand, den das Kind darin vorfindet, wurde von ihm bewußt ausgewählt.“ (Esser, Wilde, 1989, 40) Es sollen aber dem Kind nicht zu viele Gegenstände bereitgelegt werden, da sonst die Gefahr besteht, dass das Kind von dieser Fülle erdrückt wird. Die Vorbereitete Umgebung beschränkt sich auf ein wesentliches Angebot, da es für das Kind leichter ist aus einem übersichtlichen Angebot auszuwählen (vgl. Esser, Wilde, 1989, 40 f.). Diese Umgebung ist kein Bild von der Erwachsenenwelt, sie dient dem Kind dazu Erfahrungen zu machen ...“ die ihm als Schlüssel zur Welt dienen und die es auf andere Lebensbereiche übertragen kann.“ (Wilde, Esser, 1989, 45)
Die Umgebung ist so wichtig, damit das Kind zu einer inneren Ordnung finden kann. Das Entwicklungsmaterial von Montessori bildetet den Kern des Angebotes in der vorbereiteten Umgebung (vgl. Esser, Wilde, 1989, 45). Montessori steht dem „herkömmliche“ Spielzeug kritisch gegenüber. In ihren Grundgedanken zur Pädagogik ist dazu folgendes zu finden: „Der große Fehler des Spielzeugs ist gerade der, das Kind mit dem Faksimile unserer komplizierten Gegenstände in Miniatur zu umgeben, mit den Gegenständen, die unserer Mentalität entsprechen. Angefangen von den Schränken für Puppen und aufgehört mit den Kriegsschiffen. Hingegen sind die Kinder geradezu entzückt, wenn sie einfachere Gegenstände finden, die anders als die unseren konstruiert sind.“ (Montessori, 1996, 45 f.) Neben der Umgebung gibt es für das Kind gewisse Regeln, die ihm helfen sich zu entwickeln. Da ist z. B. zu nennen, das das Material wieder an seinen Platz kommt, damit die Ordnung der vorbereiteten Umgebung beibehalten werden kann. Ein Teil der vorbereiteten Umgebung bildet für Montessori auch der Erzieher. Er hat wichtigen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes, z. B. durch die Art wie er dem Kind gegenüber tritt. (vgl. Esser, Wilde, 1989, Montessori schreibt dazu: „ Unsere Arbeit und unsere Umgestaltung sind nicht nur auf die Umgebung und den Kindern angepaßte Materialbeschäftigungen beschränkt, sondern auch das kindliche Studium, d. h. die intellektuelle Erziehung haben wir in analoger Weise organisiert.“ (Montessori, 1996, 47)48 f.)
2.4.4 Die Rolle des Pädagogen
Neben der vorbereiteten Umgebung und dem Entwicklungsmaterial, spielt der Erzieher in der Erziehungskonzeption von Montessori eine wichtige Rolle. Der Erzieher, der nach dem Konzept von Maria Montessori arbeitet, hat andere Aufgaben in der Erziehung der Kinder wahrzunehmen. Diese Aufgaben wichen und (weichen) von den Aufgaben des traditionellen Erziehers ab (vgl. Hebenstreit, 1999, 103). „Auf die Neubestimmung des Verhältnisses von Aktivität und Passivität kommt es dabei entscheidend an, wenn der Erziehungsprozeß gelingen soll.“ (Hebenstreit, 1999, ebd.) Montessori erwähnte den Begriff der „Demut“ im Zusammenhang mit dem Erzieher. Damit meinte sie, dass nicht das Kind demütig sein soll, sondern dass der Erzieher vor den innern Entwicklungskräften des Kindes Respekt zollen soll. Wichtig ist dabei, dass dem Erzieher klar ist, dass das Entscheidende im Erziehungsprozess vom Kinde aus kommt. Montessori schreibt dazu beispielweise: „Wir haben die Kinder zu den heftigen Äußerungen eines wahrhaften Kampfes ums Dasein veranlasst. Um den Erfordernissen ihrer geistigen Entwicklung gemäß leben zu können, mußten sie sich oft, was dazu nötig schien, von uns erkämpfen. Sie mußten gegen unsere Gesetze handeln oder manchmal mit anderen Kindern streiten, um ihnen die Gegenstände ihrer Sehnsucht zu entringen. Geben wir andererseits den Kindern die Mittel zum Leben, so hört der Kampf darum auf, und es tritt statt dessen eine kräftige Erweiterung des Lebens ein.“ ( zit n. Montessori aus Oswald, Schulze- Benesch 1991, 103)
Montessori bezeichnete die Erzieher als „neue Lehrer“, vor dem Hintergrund der alten pädagogischen Erziehungsmethoden. (vgl. Hebenstreit, 1999, 103) Einige Merkmale, wie Montessori ihre neuen Lehrer sieht, sind in der folgenden Tabelle gegenübergestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.4. Gegenüberstellung der alten und neuen Lehrerin (Hebenstreit, 1999, 105)
Der Mensch muss sich selbst aus seiner Entwicklungsarbeit aufbauen, so sieht Montessori den Menschen in ihrer Anthropologie. Daher besteht die Aufgabe des Erziehers darin, dem Kind bei seiner Selbstentwicklung hilfreich zur Seite zu stehen. Montessori spricht aus diesem Grund vom passiven Lehrer.
„Passiven Lehrer ... der erst dann zufrieden ist, wenn er sieht wie das Kind ganz aus sich heraus handelt und Fortschritte macht und der nicht selbst das Verdienst dafür in Anspruch nimmt.“ (zit. n. Montessori aus Hebenstreit, 1999, 106)
In Montessoris Erziehungskonzeption gibt es keine Strafen und kein Belohnungen. Montessori ist der Meinung, das ein Kind das auf dem Weg der Selbstentwicklung ist, sich nicht ablenken lassen will. (vgl. Hebenstreit, 1999, ebd.) „Die Belohnung“, so kann Maria Montessori deshalb sagen, „... hemme ebenso wie die Bestrafung die innern Kräfte eines Kindes.“ (Hebenstreit, 1999, ebd.) Die passive Rolle des Erzieher ist notwendig, damit das Kind die Möglichkeit hat, Aktivitäten Raum zu geben. Für Montessori heißt dies aber nicht, dass die Autorität des Erziehers in Frage gestellt wird. Kinder brauchen die Autorität des Erziehers,... weil sie angesichts vieler Ungewissheiten in der äußeren und innern Welt Vertrauen entwickeln müssen, und zu diesem Vertrauen hilft ihnen die Beziehung zu einem reiferen Menschen, der Sicherheit verleiht.“ (Hebenstreit, 1999, 107) Die Passivität des Erziehers bedeutet aber nicht Gleichgültigkeit und Untätigkeit. Der Erzieher soll das Kind beobachten, um zu erkennen, welche Entwicklungsbedürfnisse das Kind hat und welche erzieherischen Hilfen es dafür braucht. Der Erzieher bekommt einen Maßstab, wann er das Kind anregen sollte und wann er sich passiv verhalten soll (vgl. Hebenstreit, 1999, 108).
Durch das Entwicklungsmaterial und die vorbereitete Umgebung ist der Erzieher der nach Montessori arbeitet, etwas entlastet, dennoch ist das Material und die Umgebung kein Selbstläufer. Der Erzieher hat die Aufgabe die Umgebung zu gestalten und das Entwicklungsmaterial bereitzustellen sowie das Kind in die Arbeit mit dem Material einzuführen. Der Erzieher arbeitet dabei nicht nach einem festgelegten Programm, sondern individuell mit jedem Kind (vgl. Hebenstreit, 1999, 109). „Zwar kann man manchmal in der Montessori – Literatur den Eindruck gewinnen, ein vor vielen Jahrzehnten von einer großen Frau entwickelten Didaktik und Methodik müsse gleichförmig abgespult werden, doch dies widerspricht eindeutig dem Geist der Pädagogik Maria Montessoris.“ (Hebenstreit, 1999, 110)
Wichtige Komponenten in der Erziehung sind das Material und die Umgebung, aber die wichtigste Komponente ist der Erzieher „...der das Phänomen der Polarisation der Aufmerksamkeit erkennt, die indirekte und direkte Hilfen anbietet und entwickelt und sich zurückhalten kann, wenn das Kind selbsttätig mit seiner Entwicklungsarbeit beschäftigt ist.“ (Hebenstreit, 1999, ebd.)
2.5 Entwicklungsmaterial
Montessori griff die Ideen von Itad und Seguin auf, entwickelte das vorhandene Material weiter und entwickelte neues Material. Das Entwicklungsmaterial von Maria Montessori kann man in fünf Bereich einteilen:
- Sinnesmaterial
- Mathematikmaterial
- Übungen des täglichen Lebens
- Sprachmaterial
- Kosmisches Material
Jeder Materialbereich bereitet in indirekter Weise auf die anderen Bereiche vor. Das Sinnesmaterial und die Übungen des täglichen Lebens werden vorrangig im Kinderhaus angewendet. In der Schule kommt das Mathematik-, Sprach-, und das Kosmische Material zum Einsatz (vgl. Streibel, 1995, 29f.)
2.5.1 Prinzipien des Materials
„Maria Montessori insistiert mit Nachdruck auf der Anwendung exakter wissenschaftlicher Methoden, damit das Material den Zweck erfüllen können, den es erreichen solle.“ (Hebenstreit, 1999, 78) Das Material ist pädagogisch sinnvoll, da es an die kindlichen Proportionen, an seine Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten angepasst ist. Es erfüllt weiterhin den Zweck der Entwicklungsförderung des Kindes. Jedes Detail am Material hat daher eine spezifische Begründung, und das Kind darf das Material nur für den spezifischen Zweck benutzen. Die „geistige Nahrung“ die das Kind für die Entwicklung braucht, liefert das Material (vgl. Hebenstreit, 1999, 78). Montessori schreibt dazu: „In der Organisation der äußeren Entwicklungsmittel liegt also ein „materieller Abdruck der inneren Entwicklung. Damit der materielle Teil eine wirkliche Hilfe ist, „muß er die Form des Geistes wiedergeben“ und sie in dem den Bedürfnissen der materiellen Hilfe entsprechenden Maße „enthalten“.“ (Montessori 1996, 82f.)
„Allen Materialien ist eine `montessorianische` Grundstruktur eigen:
- Isolierung der Eigenschaften
- Vertikale Gliederung (Kontrast, Paar, Abstufung)
- Horizontale Gliederung
- Fehlerkontrolle
- Begrenzung
- Aktivität
- Ästhetik „ (Streibel, 1995, 36)
Die Isolierung der Eigenschaften hilft dem Kind, seine Aufmerksamkeit auf dieses Merkmal zu richten (vgl. Streibel, 1995, 36f.). „Durch die Isolierung einer einzigen Eigenschaft im Material und die Abstufungsmöglichkeiten soll die Fähigkeit zur Differenzierung der Wahrnehmung und zur Klarheit in der Unterscheidung im Umgang des Kindes mit den Dingen seiner Umgebung und deren Erforschung gefördert werden.“ (zit. n. Holstiege aus Streibel, 1995, 37)
Die unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen die das Material besitzt wird als vertikal Gliederung bezeichnet. Die horizontale Gliederung bedeutet, dass man das Material weiterführend nutzen und denselben Lerninhalt, den das Material vermitteln soll, durch Übungen in abgewandelter Form verwenden kann.
In jedem Montessori Material ist die Fehlerkontrolle enthalten, damit lernt das Kind selbst Fehler zu finden und diese zu korrigieren. Somit ist das Kind nicht mehr auf den Erzieher angewiesen und lernt dadurch seine Arbeit kritisch zu betrachten. Durch die Fehlerkontrolle kommt das Kind zu einer Selbstkontrolle, daraus kann sich Selbstvertrauen und Unabhängigkeit entwickeln (vgl. Streibel, 1995, 37ff). „Die immanente Fehlerkontrolle führt das Kind dazu, bei seinen Übungen überlegt, kritisch, mit einer an Genauigkeit immer stärker interessierten Aufmerksamkeit, mit einer verfeinerten Fähigkeit, kleine Unterschiede zu erkennen, zu erfahren.
So wird das Bewußtsein des Kindes auf die Kontrolle der Fehler vorbereitet.“ (zit. n. Montessori aus Streibel, 1995, 40) Ein weiteres Charakteristikum des Materials ist die Begrenzung, d h. das Material ist mengenmäßig begrenzt. Damit ist Überschaubarkeit gewährleistet und die äußere Ordnung führt zu einer inneren Ordnung des Geistes vom Kind (vgl. Hedderich 2001, 41). Durch die Begrenzung wird das Kind auch zu Kontakten in seiner Umwelt motiviert und das Sozialverhalten der Kinder wird dadurch gefördert. Die Aktivität ist ein weiteres Merkmal des Montessori- Materials. Das Material ist so geschaffen, dass das Kind damit handeln kann und das Interesse des Kindes über länger Zeit aufrecht erhalten wird. Eine motivierende Funktion hat die Ästhetik des Materials. Das Kind wird dadurch aufgefordert, sich mit dem Material auseinander zu setzen (vgl. Steibel, 1995, 44f.).
2.5.2 Arbeit mit dem Material
Der Montessori- Pädagoge führt das Kind in ein Material ein. Diese Einführung wird als Lektion bezeichnet. Der Erzieher wählt ein Material aus, wenn ein Kind ein spezifisches Interesse dafür zeigt oder wenn der Erzieher durch Beobachtung des Kindes eine sensible Phase entdeckt hat. Er zeigt dem Kind den Umgang mit dem Material, was als Darbietung bezeichnet wird. Die Darbietung soll einfach, eindeutig und klar sein (vgl. Streibel, 1995, 46) Montessori schreibt dazu: “Die Tätigkeit muss für sich selbst sprechen. (...) Wir wollen nicht, dass das Kind diese Tätigkeit ausübt, weil wir die Tätigkeit angeordnet haben.“ (zit. n. Montessori aus Streibel, 1995, ebd.)
Zu beachten bei den Lektionen sind folgende Punkte:
- „1. Stufe: Die Assoziation der Sinneswahrnehmung mit dem Namen. Das Kind erhält z.B. 2 Farbtäfelchen mit der verbalen Information: „Dies ist rot. Dies ist blau.“
- 2. Stufe: Erkennen des entsprechenden Gegenstandes verbunden mit der verbalen Aufforderung: „Gib mir das rote Täfelchen ...
- 3. Stufe: Erinnerung an den Gegenstand. Dam Kind werden die Täfelchen verbunden mit der Frage gezeigt: „Welche Farbe hat dieses Täfelchen.“ (Hedderich, 2001,42)
2.6 Übungen des täglichen Lebens
Für Maria Montessori sind neben den Sinnesorganen des Menschen auch die Hände des Menschen wichtig. Mit den Sinnesorganen kann man das, was außen ist, in den Kopf holen und die Tätigkeit mit den Händen und mit der Bewegung bewirken das Gegenteil, damit wird etwas vom Innern des Menschen äußerlich dargestellt und gestaltet (vgl. Hebenstreit, 1999, 82) „Zwischen der Erziehung der Sinnesorgane, der Bewegung und des Geistes gibt es eine unmittelbare Beziehung, dann es ist das Ziel, die menschlichen Tätigkeiten so zu ordnen, daß sie als Werkzeuge einer bewussten Absicht dienen können.“ (Hebenstreit, 1999, 83) All die Tätigkeiten die Erwachsene im Alltag verrichten, wollen die Kinder selbst ausführen. Für Montessori sind die „Übungen des täglichen Lebens“ wichtig, da es eine Form der Bewegungserziehung ist. Daneben fördern diese Übungen die Unabhängigkeit der Kinder vom Erwachsenen, was ebenfalls ein Ziel der Montessori – Pädagogik ist. Auch ein sozialerzieherisches Ziel verfolgen diese Übungen. Die Kinder lernen z.B. den Tisch zu decken oder gemeinsam die Pflege der Pflanzen im Gruppenraum zu übernehmen. Sie erleben dadurch, dass sie mitverantwortlichen sind für die Gestaltung ihres Umfeldes. Die Übungen des täglichen Lebens finden in den Kinderhäusern Anwendung und es ist der erste Bereich in der Erziehung der Kindergartenkinder (vgl. Hebenstreit, 1999, 83 ff.) „Die Fähigkeiten, die hier gemeint sind, bringt ein Kind nicht mit, ihre Beherrschung ergibt sich nicht aus der Natur, sondern sie müssen geübt werden, damit sich durch viele Versuche schließlich Sicherheit ergibt.“ (Hebenstreit, 1999, 85) Im Kinderhaus werden den Kindern die Mittel zur Pflege der eigenen Person, der Umgebung usw. bereitgestellt, welche den kindlichen Proportionen entsprechen. Auch diese Gegenstände sollen für die Kinder einen hohen Aufforderungscharakter haben. Es gibt auch spezifische Übungsmaterialien für die Übungen des täglichen Lebens. So findet man beispielsweise Holzrahmen, die mit Stoff bezogen sind. An den Stoffen, sind Reißverschlüsse, Knöpfe, oder Bänder angebracht.
Sinn dieses Materials ist es... „dass die einzelne Fähigkeit isoliert wird, so dass das Kind sie leichter aneignen kann, um sie dann im alltäglichen Zusammenhang anzuwenden.“ (Hebenstreit, 1999, 87)
2.7 Vermittlung der Kulturtechniken
Das Erlernen von den Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) ist das, was den Kindergarten von der Grundschule trennt. Man hat Ende der 60er Jahre in den Kindergärten versucht, den Kindern das Lesen beizubringen und die Kinder in die Mengenlehre einzuführen, um den Kindergärten ein neues Gesicht zu geben. Diese Experimente schlugen fehl, da sie von den Erziehern als untypisch für die Entwicklung der Kinder im Kindergarten eingestuft wurden. Aber für Maria Montessori gehören diese Kulturtechniken wie selbstverständlich zu den didaktischen Methoden im Kinderhaus (Hebenstreit, 1999, 92 f.). „Daß kleine Kinder schreiben lernen können, steht außer Zweifel: Die Kinderhäuser Maria Montessoris zeigen dies, aber auch mit anderen Methoden kann dies nachgewiesen werden, und manchmal gibt es Kindergartenkinder, die sich dies spontan selbst beibringen oder von älteren Geschwistern übernehmen.“ (Hebenstreit, 1999, 93) Die Forderung von Montessori erklärt sich durch die Entwicklungspsychologie der Kinder. Die Hände der Kinder sind noch ungeformt und die Kinder brauchen immer etwas zum Anfassen. Kinder können ihrer Hände noch nicht stillhalten, sie müssen alles berühren, damit ihre Hände gefestigt werden. „Ein Kind, dessen Hand in der Entwicklung ist (für Maria Montessori gilt dies für die Vierjährigen), wird, sich die Schreibbewegungen mit Leichtigkeit aneignen können, während es für das Kind, das erstmals im Schulalter mit dieser Aufgabe konfrontiert wird, eine große Schwierigkeit bedeutet.“ (Hebenstreit, 1999, 94) Montessori fordert für alle Lernhilfen, die den Kindern angeboten werden, dass die einzelnen Teilaufgaben genau analysiert wurden, die für ein bestimmtes Ergebnis erforderlich sind. Montessori bietet mit ihren Materialien gezielte Hilfen für die einzelnen Bereiche an. Als Beispiel ist die Füllerhaltung zu nennen, damit das Kind später schreiben lernen kann. Dafür muss das Kind lernen, mit den ersten drei Fingern den Stift zu halten. Diese Übungen wird beispielweise mit dem Material der Einsatzzylinder geübt. Damit bereitet sich das Kind schon im Kindergartenalter indirekt auf das Schreiben vor. Daneben hat Montessori Hilfsmittel entwickelt, die das Kind auf des Lesenlernen und auf die Mathematik in der Grundschule vorbereiten sollen (vgl. Hebenstreit, 1999, 96 f.).
2.8 Gruppenübungen
Zum Erziehungskonzept von Maria Montessori, gehören neben der individuellen Betreuung der Kinder auch die sogenannten Gruppenübungen.
Die Gruppenübungen gliedern sich in zwei Teile, zum einen die Übungen der Stille und zum anderen „das Gehen auf der Linie“. Die Stillübungen entwickelte Maria Montessori aus folgender Begebenheit heraus (vgl. Hebenstreit, 1999, 98f.): „Eines Tages als ich in ein „Kinderhaus“ ging, begegnete ich im Hof einer Mutter mit ihrem vier Monate alten Kind auf dem Arm. Ich nahm sie auf den Arm, und sie blieb unbeweglich und lieb. Ich ging mit der Kleinen auf den Arm weiter. Die Kindern waren aus dem „Kinderhaus“ herausgelaufen, um mir entgegenzukommen, wie sie dies gewöhnlich tun... .“ (Montessori, 1994, 157) Montessori ging mit dem Baby auf dem Arm, in das Kinderhaus und sie setzte sich mit dem Kind auf dem Arm auf einen Stuhl. Die anderen Kinder um Maria Montessori taten es ihr gleich (vgl. Montessori, 1994, 157). „Ich habe ich eine kleine Lehrerin gebracht... . Eine kleine Lehrerin, jawohl, weil keiner so still bleiben kann wie sie.“, sagte Montessori zu den Kindern. Nun versuchten die Kinder es, dem Baby gleich zu tun, doch die Kinder konnten sich so stark anstrengen wie sie wollten, es gelang ihnen nicht ruhig sitzen zu bleiben (vgl. Montessori, 1994, 157 f.). Während der Stilleübung, sitzen die Kinder ruhig auf ihren Stühlen und achten dabei auf ihren Atem. Im Gruppenraum ist es vollkommen still, die Kinder nehmen nun Geräusche war, die sie in einer lauten Umgebung nicht wahrnehmen können (Ticken der Uhr). Der Erzieher geht leise in einem Nebenraum und flüstert die Namen der Kinder. Das aufgerufene Kinder versucht, leise zum Erzieher zu gehen. Die Übung ist beendet, wenn alle Kinder an der Reihe waren. Montessori versteht unter Stille eine aktive Haltung des Kindes, denn die Übungen gelingen nur, wenn es der Wille des Kinde ist, seine Bewegungen einzustellen (vgl. Hebenstreit, 1999, 99f.). „Sie setzt also bei jedem Kind einerseits eine Menge an Selbstbeherrschung und andererseits soziale Fähigkeiten voraus und fördert diese.“ (Hebenstreit, 1999, 100)
Neben den Stilleübungen wird in der Montessori – Pädagogik das “Gehen auf der Linie[19] “ praktiziert. Diese Übung wird genutzt, um den Gleichgewichtssinn der Kinder zu schulen (vgl. Hebenstreit, 1999, 100f.).
„Wiederum tritt uns hier ein Hauptkennzeichen der Didaktik und Methodik Maria Montessoris entgegen; Es geht um die Bewegung, aber nicht um das chaotische Herumzappeln, um das planlose Herumrennen, sondern ähnlich wie bei den Sinnesübungen soll das Kind Ordnung in seine Bewegungen bekommen. „Ein im Sinne Maria Montessori „geordnetes“ Kind ist nicht dasjenige, das sich nur auf Anweisungen des Erziehers zu bewegen wagt, um ansonsten aufgrund des Außendrucks seinen Körper still zu halten, sondern es ist dasjenige, das Freiheit mit Ordnung verbindet.“ (Hebenstreit, 1999, 101 f.)
3 Montessori - Pädagogik heute, in Kindertagesstätten und Schulen und das Bildungsprogramm “Bildung Elementar“
Die Montessori Pädagogik ist ein durchgängiges Konzept, das alle Jahrgangsstufen erfasst (vgl. Steenberg, 2002, 38). „Gemeinsames Ziel aller Institutionen ist es, dass das Kind zu einem Erwachsenen heranreift, zu einer Persönlichkeit, die in der Lage ist, mit der dem Menschen gegebenen und aufgegebenen Freiheit verantwortlich umzugehen.“ (Steenberg, 2002, 38) Es gibt in der Pädagogik nach Maria Montessori folgende Institutionen: “Nino dei bambini“ Kindereinrichtung für Kinder im Alter von 0-3 Jahren, “Casa dei bambini“ Montessori Kinderhaus für Kinder von 3-6 Jahren daran schließt sich die Grundschule an, für 6-12 jährige Kinder und für das Alter von 12- 18 Jahren gibt es die “Erfahrungsschule des sozialen Lebens“ (Sekundarschule) (vgl. Steenberg, 2002, 38).
3.1 Montessori - Pädagogik in der Kindertagesstätte
Montessori nannte ihre Kindertagesstätte Kinderhaus. Es ist ein Haus, das nach den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet ist. Was heute selbstverständlich ist, war zu Montessoris Zeiten eine Revolution. Ein Kinderhaus nach Montessori braucht keine spezielle Architektur, was die Einrichtung der Räume betrifft. Es sollen aber einige Punkte berücksichtigt werden: Kinder müssen sich frei bewegen können (Möblierung muss sich auf das nötigste beschränken), Kinder müssen alles ohne Probleme erreichen können und Kinder müssen sich orientieren können (übersichtliche Raumgliederung, jedes Material hat seinen Platz). Das Kinderhaus soll nach dem Prinzip der “Vorbereitenden Umgebung“ eingerichtet sein (vgl. Steenberg, 2002, 38 ff.). „Nach den Vorstellungen von Maria Montessori werden jeweils Gruppen von 30 –40 Kindern gebildet, wobei jede Gruppe aus mindestens 3 verschiedenen Altersjahrgängen besteht (3-6 Jahre).“ (Hedderich, 2001, 103) Heute umfasst die Gruppengröße 20-30 Kinder. Die Gruppen werden nicht räumlich voneinander getrennt, sondern nur abgegrenzt. Kinder sollen die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen und Kontakt untereinander aufnehmen können (vgl. Hedderich, 2001, 103).
Auch Kinder mit Behinderungen können in ein Montessori Kinderhaus gehen, da die Montessori- Pädagogik strukturell integrativ ist (vgl. Steenberg, 2002, 72). Im Kinderhaus haben die Kinder die Möglichkeit, mit dem Sinnesmaterial und dem Sprach- und Mathematikmaterial zu arbeiten (vgl. Steenberg, 2002, 43 ff.). „In der Montessori – Pädagogik sind die „Übungen des täglichen Lebens“ Hilfen für das Kind, seine Unabhängigkeit zu erobern. Im Kinderhaus hat das Kind dafür hinreichend Zeit sowie eine Fülle von Hilfsmitteln, die nach Montessori –Prinzipien entwickelt sind und dem Kind helfen, „ausgewogen“ und dadurch zufrieden und friedfertig „größer“ werden zu können.“ (Steenberg, 2002, 43) Die “Übungen der Stille“ sind ein weiteres charakteristisches Merkmal der Arbeit im Kinderhaus. Kinder haben ein Bedürfnis nach Konzentration und Stille. In verschiedenen Übungen soll diesen Bedürfnissen Rechnung getragen werden (vgl. Hedderich, 2001, 106).
3.2 Montessori - Pädagogik in der Schule
3.2.1 Schultheoretische, organisatorische und pädagogisch – didaktische Grundlegung der Montessori Schule
Montessori strebte eine strukturelle und inhaltliche Neugestaltung der Erziehung und der Schule an. Sie wollte nicht nur eine Veränderung der Unterrichtsmethoden, des Lehrplans, des Lehrerverhaltens und der Gestaltung des Unterrichts, sondern die Schule als Institution insgesamt sollte sich verändern. Allein die Schule erfolgreich zu reformieren, reichte Montessori nicht aus. Ihrer Meinung nach kann eine Schulreform nur erfolgreich sein, wenn diese nicht isoliert wird und man das Ganze als umfassende Bildungs- und Erziehungsreform und nicht zuletzt auch als Sozialreform betrachtet. Wie andere Reformpädagogen auch kritisiert Montessori die “Alte Schule“. Montessori gab einen Überblick ihrer Schulkritik in einem Text[20], der 1951 erschienen ist, heraus (vgl. Ludwig, 2004, 25 f.). Sie kritisierte beispielsweise: „...dass alle gezwungen werden- und das sogar mittels Strafen-, den gleichen Bildungsgang zu nehmen und einem willkürlich festgelegten Lehrplan zu folgen. Schüler werden gezwungen, in die Schule zu gehen und das zu lernen, was dort gelernt wird... . Sie ... müssen alle zuhören und in ihrem Gedächtnis speichern, was ihnen gelehrt worden ist. Es gilt als feststehendes Prinzip, dass alle, die dieselbe Klasse besuchen, mehr oder weniger dasselbe Alter haben und Jahr für Jahr entsprechend ihrem Jahrgang gemeinsam aufrücken müssen.“ (zit. n. Montessori aus Ludwig, 2004, 26 f.)
Weiterhin kritisierte Montessori den unterdrückenden Charakter der Institution Schule. Erziehung konnte nach ihrer Meinung nur als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden, da sie davon ausgeht, dass das Kind von Geburt an zu Eigenaktivität und Spontanität fähig ist. Daher kann die Schule nur als Hilfestellung für den Weg des jungen Menschen hin zu seiner Mündigkeit verstanden werden. Die Schule muss eine “vorbereitende Umgebung“ für die Entwicklungsbedürfnisse der jungen Menschen darstellen (vgl. Ludwig, 2004, 30 f.). Schule soll „ ... die Bildung bringen und die sozialen Erfahrungen erweitern.“ (zit. n. Montessori in Ludwig, 2004, 31)
3.2.2 Montessori Grundschule
Es gibt kein einheitliches Muster für die organisatorische Gestaltung einer Grundschule nach Montessori. Zwar existiert ein Konzept von Montessori für die Grundschule, aber auf Grund der verschieden Vorgegebenheiten der Bildungssysteme der einzelnen Bundesländer wird dies in der Praxis unterschiedlich umgesetzt. Nach Montessoris Konzeption umfasst die Grundschule sechs Schuljahre, begründet durch den sechsjährigen Entwicklungsabschnitt (6–12 Jahre). International ist dieses System üblich. Deutschland nimmt eine Sonderrolle mit der vierjährigen Grundschule ein, begründet durch die Weimarer Republik (vgl. Ludwig, 2004, 33). Montessori lehnt das Jahrgangsklassensystem ab. Sie legte Wert auf Altersmischung und sieht vor, dass Kinder dreier Jahrgänge in einer Gruppe zusammengefasst sind. Das ist in Deutschland durch die vierjährige Grundschule schwer umsetzbar. In einigen Montessori-Grundschulen werden z. B. zwei Jahrgänge zusammengefasst oder auch alle vier Jahrgänge. Dies ist von Schule zu Schule verschieden. Die Altersmischung ist ein fundamentales Prinzip der Montessori- Pädagogik. Ohne Realisierung dieses Prinzips sieht Maria Montessori keinen Erfolg in ihrem Konzept (vgl. Ludwig, 2004, 33 ff.). „Die Hauptsache ist, daß die Gruppen verschiedene Altersstufen umfassen, weil das großen Einfluss auf die Bildungsentwicklung des Kindes hat. Dies wird durch die Beziehungen der Kinder untereinander selbst erreicht.“ (zit. n. Montessori in Stein, 1998, 45)
Kinder lernen voneinander, da sie sich im Fühlen, Denken, in der Sprache und ihren Vorstellungen näher sind als Erwachsene. Das jünger Kind lernt vom älteren Kind schon durch Zuschauen. Die älteren Kinder müssen ihr Wissen rekapitulieren, wenn sie den jüngeren Kinder etwas erklären wollen. Dadurch bekommt auch das ältere Kind einen Zuwachs an Fähigkeiten und es wird im Selbstbewusstsein gestärkt (vgl. Stein, 1998, 45 ff.). Die Altersmischung wirkt sich auch positiv im sozialen Umgang miteinander aus. Nicht nur für Montessori ist eine Heterogenität der Gruppe wichtiger als die Gleichaltrigkeit der Kinder, sondern auch andere Reformpädagogen legen darauf Wert (vgl. Ludwig, 2004, 35). „Die größte entwicklungs- und begabungsbedingte Bandbreite einer jahrgangsgemischten Klasse führt logischerweise auch dazu, daß z. B. leistungsschwache Kinder die Grundschule in fünf Jahren vollenden, ohne die Klasse wechseln zu müssen und die besonders begabten und motivierten Kinder nach drei Jahren die Grundschule verlassen, ohne daß sie eine Klasse „übersprungen“ haben.“ (Stein, 1998, 47) Dieses Prinzip gilt auch in Verbindung mit dem Kindergarten. Kinderhaus und Schule stehen für Montessori im Zusammenhang eines kontinuierlichen Bildungsprozesses, der sich auf das Alter von 3-12 Jahren erstreckt. Aus diesem Grund sollte auch das Kinderhaus und die Grundschule im selben Gebäudekomplex untergebracht sein. In Deutschland ist eine Verknüpfung nur schwer möglich, auf Grund des angewendeten Bildungssystems (vgl. Ludwig, 2004, 35 ff.) „Maria Montessori gestaltete in ihren Kindergärten und Schulen eine Umgebung, die den Kindern mit Hilfe bestimmter Arbeitsmittel vielfältige Handlungsmöglichkeiten in selbstbestimmter Arbeit bietet.“ (Stein, 1998, 55) Es ist sehr wichtig, dass die Umgebung, in der das Kind lernt, genug Aktivitäten bietet, denn nur mit der aktiven Auseinandersetzung mit Gegenständen kann sich nach Montessori ein geistiger Aufbau des Kindes vollziehen. Um eine Auseinandersetzung herauszufordern ist es wichtig, Entwicklungsmaterial als Angebot zu nutzen. Das Angebot an diesen Materialien soll reichhaltig sein, systematisch und kontinuierlich aufeinander aufbauen sowie miteinander verknüpft sein. Auf der anderen Seite soll die Umgebung überschaubar bleiben, daher benötigt die Umgebung eine Struktur.
Den zentralen Kern der Schulpädagogik von Montessori bildet die Freiarbeit (vgl. Ludwig, 2004, 36). Der Begriff Freiarbeit stammt nicht von Montessori, sie spricht von freier Wahl der Arbeit. Der Begriff wurde durch die reformpädagogische Diskussion nach dem 2. Weltkrieg geprägt (vgl. Ludwig, 2004, 47). „Freiarbeit im Sinne Montessoris kann als Unterrichtsform bezeichnet werden, in welcher der Schüler aus einem differenzierten Lernangebot den Gegenstand seiner Tätigkeit, die Ziele, die Sozialform, sowie die Zeit, die er auf den gewählten Aufgabenbereich verwenden will, im Rahmen allgemeiner Vorstrukturierungen- der „vorbereiteten Umgebung“ – selbst bestimmen kann.“ (Ludwig, 2004, 47) Der Arbeitserfolg wird entweder durch die Arbeitsmaterialien selbst oder durch Mitschüler und Lehrer kontrolliert. Die Freiarbeit wird häufig an den Beginn des Unterrichtstages gesetzt und dauert ca. bis zu 2 ½ Stunden. Bis zu 15 Wochenstunden kann die Freiarbeit an deutschen Montessori – Grundschulen umfassen. Der Lehrer ist während dieser Zeit im Hintergrund, er beobachtet, gibt Hilfen wenn es nötig ist oder führt ein neues Arbeitsmaterial ein (vgl. Ludwig, 2004, 47 f.). Hochbegabte und lernschwache Kinder können durch diese flexible Struktur der Freiarbeit gefördert werden, was den unterschiedlichen Bedürfnissen in der Lerngruppe Rechnung trägt. Somit ist eine soziale Integration möglich. Neben der Freiarbeit empfiehlt Montessori für die Förderung und Gestaltung von Lernprozessen ein vielfältiges Spektrum von unterschiedlichen Möglichkeiten. In Montessori – Grundschulen wird beispielsweise die Freiarbeit durch den Fachunterricht ergänzt. Das gemeinsame Gespräch[21] im Kreis findet ebenso Anwendung. Ferner sollen auch Möglichkeiten zur Exkursion genutzt werden, um Natur und Kultur kennenzulernen. Darin sieht Montessori einen Schlüssel zur Intensivierung der Bildung (vgl. Ludwig, 2004,51 f.). Eine Leistungsorientierung lehnt Montessori in ihrer Pädagogik nicht ab, für sie ist Leistung primär eine pädagogische Größe. Der selbsttätige Aufbau der Persönlichkeit es Kindes, den alle pädagogischen Bemühungen zu unterstützen haben, ist die eigentliche Leistung. Schulische Leistungen (Aneignung von Wissen, Fähigkeiten usw.) sind im Zusammenhang mit dieser Aufgabe zu sehen (vgl. Ludwig, 2004, 54). „Das Erbringen von Leistungen ist für das Erreichen des Ziels des mündigen, selbstständigen und verantwortlich handelnden Erwachsenen unabdingbar.“ (Ludwig, 2004, 54) Das Prinzip der Fehlerkontrolle soll dazu dienen, den Kindern zu einer angemessenen Selbsteinschätzung ihrer Leistungen zu verhelfen. Lernprozesse sollen so organisiert sein, dass sie dem lernenden Kind eine selbstständige Fehlerkontrolle ermöglichen (vgl. Ludwig, 2004, 54). Maria Montessori meint dazu: „Im Leben der Schule muss das Prinzip eingeführt werden, dass nicht Korrigieren, sondern die individuelle Kontrolle des Fehlers von Bedeutung ist, die darauf hinweist, ob wir recht haben oder nicht.
Ich muss wissen, ob ich gut gearbeitet habe oder schlecht... .“ (zit. n. Montessori aus Ludwig, 2004, 54) Die übliche Zensurengebung lehnt Montessori ab als ein Element im unreflektierten System von Belohnung und Strafe. Schlechte Zensuren erzeugen eine Verminderung der Energie und des Interesses und sind zur Förderung von sachbezogenem Lernen nicht geeignet (vgl. Ludwig, 2004, 55). „Im Schulkind, das stets entmutigt und getadelt wird, entsteht der Zustand des Mißtrauens in sich selbst und der Panik, der als Schüchternheit bezeichnet wird.“ (zit. n. Montessori aus Ludwig, 2004, 55) Auch gute Zensuren können die Entwicklung des Kindes hemmen, da sie von der Einschätzung des Erwachsenen abhängig sind. Lob lehnt Montessori nicht ab, es soll situationsgerecht und an den Bedürfnissen der Kinder orientiert sein. „Wenn also ein Kind seine Arbeit mit großer Konzentration durchführt, dürfen wir uns nicht einmischen, wenn es aber zu verstehen gibt, dass es unseren Beifall wünscht, geben wir ihn reichlich.“ (zit. n. Montessori aus Ludwig, 2004, 55) Die Leistungsorientierung erfolgt in der Montessori Pädagogik am individuellen Lernfortschritt. Um einen objektiven Überblick über den Leistungsstand der Kinder zu bekommen, kann man Karteikarten führen und dort eintragen welche Bereiche das Kind erfolgreich bearbeitet hat. Der Zwang Zeugnisse auszustellen, nötigt auch Montessorischulen zu einigen Kompromissen (vgl. Ludwig, 2004, 56). In Grundschulen, die nach der Pädagogik von Maria Montessori arbeiten, wird beispielsweise in den ersten zwei Schuljahren eine Leistungsbeurteilung der Kinder auf dem Zeugnis zu finden sein. Dies ist auch an Regelschulen üblich. Ab dem dritten oder vierten Schuljahr erhalten Kinder in Regelschulen Zensuren (von Bundesland zu Bundesland verschieden). Wenn Montessorischulen in privater Trägerschaft sind, können sie selbst über die Form der Zeugnisse entscheiden, ansonsten müssen sich die Schulen an die Landesgesetze halten (vgl. Stein, 1998, 129).
3.2.3 Die Montessori- Sekundarschule
Montessori hat einen Entwurf für die Sekundarschule vorgelegt, den sogenannten “Erdkinderplan“, dieser Plan ist jedoch nur Theorie geblieben. 1930 gab es in den Niederlanden und in anderen Ländern Montessori-Sekundarschulen, die aber dem “Erdkinderplan“ von Montessori nur begrenzt entsprachen. Dies gilt auch heute noch für die Montessori Sekundarschulen (vgl. Ludwig, 2004, 80).
Das Jugendalter ist für Montessori der Zeitraum von 12 bis 18 Jahren. Sie charakterisiert diesen Bildungsabschnitt als “Entfaltung der Persönlichkeit.“ Das Jugendalter ist für Montessori eine Zeit großer Labilität und ambivalenter Bedürfnisse. Der Jugendliche wünscht sich auf der einen Seite Schutz und Geborgenheit inmitten der körperlichen und seelischen Veränderungen, auf der anderen Seite strebt der junge Mensch nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit (vgl. Ludwig, 2004, 80 f.).
„Als entscheidende Leitvorstellung erweist sich Montessoris Kennzeichnung des Jugendalters als „eine Epoche... der sozialen Sensibilität“. In dieser Zeit wird das Individuum „zu einem sozialen Neugeborenen“. Entsprechend lässt sich die Grundgestalt im Sinne Montessoris kennzeichnen als Erfahrungsschule des sozialen Lebens.“ (Ludwig, 2004, 81)
Montessori betrachtet in ihrem Plan drei Aufgabenfelder: moralische Pflege, Leibespflege und Rahmenprogramm für die Studien. Im Bereich der moralischen Pflege geht es um die Gestaltung der Beziehungen zwischen Jugendlichen, Lehrern und der Umgebung. Es sollen Werte und Einstellungen wie z. B. Achtung und Würde respektiert werden. Den Jugendlichen sind Handlungsspielräume zuzugestehen und die Regeln und Grenzen müssen von der gesamten Institution beachtet werden (vgl. Ludwig, 2004, 80 f.). „Die vorbereitende Umgebung einer Sekundarschule im Sinne Montessoris muss so gestaltet sein, daß sie dem Schüler auch angemessene soziale Erfahrungen ermöglicht.“ (Ludwig, 2004, 83) Für besonders beachtenswert hält Montessori für die körperliche Entwicklung der Jugendlichen das Aufgabenfeld der Leibespflege. Nähere Ausführungen macht sie über gesunde Ernährung, das Leben in freier Luft, schwimmen und wandern. Montessori bezieht sich im Aufgabenpunkt “Rahmenprogramm für die Studien“ auf drei Leitziele: „1. den Weg zu den Möglichkeiten einen persönlichen Ausdrucks des Jugendlichen öffnen, 2. auf das antworten, was wir als die schöpferischen Elemente des psychischen Seins beim Menschen allgemein betrachten, 3. den Jugendlichen mit der augenblicklichen Kultur in Beziehung setzen.“ (Ludwig, 2004, 82)
Für das erste Leitziel dient Musik, Sprache und bildnerisches Arbeiten. Um grundlegende Bildung des Geistes geht es im zweiten Leitziel.
Dazu gehört moralische Erziehung, Mathematik und Sprache. Die Studienbereiche im dritten Leitziel strukturiert Montessori in drei Gruppen. Die erste Gruppe: Studium der Erde und der lebendigen Natur, dazu gehören die Fächer Geologie, Biologie, Botanik, Zoologie und Physiologie als Beispiele. Studien, die sich auf den menschlichen Fortschritt und auf den Aufbau der Zivilisation durch die Physik und Chemie beziehen ist der zweite Studienpunkt. Die Schüler sollen in diesem Bereich den Umgang mit modernen Maschinen und Zivilisationstechniken lernen. Es geht nicht nur um die Vermittlung von technischen Kenntnissen und Fertigkeiten, sondern auch um die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Existenz und der Ethik gegenüber dem technischen Fortschritt. Für den dritten Studienbereich „Die Geschichte der Menschlichkeit“ verlangt Montessori umfassende Kenntnisse (vgl. Ludwig, 2004, 83).
Im Hinblick auf die einzelnen Sachbereiche machte Montessori methodische Anmerkungen. Beispielsweise im künstlerischen Bereich fordert sie freie Wahlmöglichkeiten für die Schüler auch hinsichtlich der Sozialform (vgl. Ludwig, 2004, 83). „Die Theorie soll vom Tun her aufgebaut werden.“ (Ludwig, 2004, 83) Dafür ist eine reichhaltige Ausstattung der Schule nötig. In den Montessori- Sekundarschulen findet die Freiarbeit in den Klassen 5-7 als Fortsetzung nach der Grundschule statt. Spätestens ab Klasse 9 wird die Freiarbeit hauptsächlich in Projekten angewendet (vgl. Ludwig, 2004, 83). Nach dem Vorbild englischer und amerikanischer Einrichtungen, als Internat auf dem Land konzipierte Maria Montessori die Sekundarschule. „Sie führt dafür verschiedene Gründe an: Förderung der Selbstständigkeit gegenüber der Familie, Vorteile für die Gesundheit der Schüler, Befriedigung des jugendlichen Bedürfnisses nach Einsamkeit und Ruhe, mehr Möglichkeiten zur pädagogisch orientierten ganzheitlichen Gestaltung des Tagesablaufes im Wechsel von Studium und Arbeit.“ (Ludwig, 2004, 85) Für Montessori ist entscheidend, dass auf dem Land landwirtschaftliche Arbeit ermöglicht werden kann. Diese Arbeit dient dazu, Erfahrungen mit der Natur und Kultur zu machen. Die ländliche Umgebung ist für Montessori eine “vorbereitende Umgebung“, in der die Jugendlichen soziale Erfahrungen sammeln können (vgl. Ludwig, 2004, 84).
„Um die Erfahrungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten der „Erdkinder“ oder „Landkinder“ – wie Montessori sie nennt – zu erweitern, soll zu der Schule außer einem Bauernhof auch ein Gasthaus und ein Geschäft gehören.“ (Ludwig, 2004, 85)
All das soll von den jungen Menschen betrieben und verwaltet werden. Zum Lehrerkollegium, das zum Teil mit im Haus wohnt, sollen nach der Auffassung von Montessori auch “technische“ Lehrer und weiteres Personal (z. B. für Küche) dazugehören. Alle sollen ihren Teil dazu beitragen und aktiv am Leben im Schulzentrum teilnehmen. Ihre Konzeption ist eher als Gesamtschule gedacht. Die Schule soll allen Kindern offen stehen, die die Grundschule besucht haben. Kinder mit Lernschwierigkeiten sollen auch in dieser Schulform die nötigen Hilfen bekommen.
Der Schulbesuch soll nach dem Konzept Montessoris bis zum 18. Lebensjahr andauern. Die letzten beiden Schuljahre sollen zur Vorbereitung auf ein Studium an einer Universität oder auf andere Abschlussexamen genutzt werden (vgl. Ludwig, 2004, 85).
3.3 Bildung Elementar
„In Sachsen Anhalt stellt sich die Aufgabe, eine Bildungsprogramm für Kindertageseinrichtungen zu konzipieren, Wege zur nachhaltigen Implementation des Programmes vorzuschlagen und einen (fach)öffentlichen Diskurs über frühere Bildung im Lande zu initiieren.“ (Bildung elementar, 2005, 4)
Das Bildungsprogramm Bildung elementar ist kein Bildungsplan, sondern ein Orientierungsrahmen für Pädagogen in Kindertagesstätten. Es ist ein Projekt der Martin – Luther Universität Halle – Wittenberg in Kooperation mit den Franckeschen Stiftung zu Halle. Das Programm wird zur Zeit in Kindertagesstätten erprobt (vgl. Bildung elementar 2005, 5 f.).
3.3.1 Aufbau des Programms
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Aufbau des Bildungsprogramms “Bildung elementar“ (nach Bildung elementar, 2005, 9)
3.3.2 Voraussetzungen
Bildungseinrichtungen sind Kindertagesstätten, Kindergärten, Krippen und Horte. Die Aufgaben der Kindertageseinrichtungen werden im § 22 des KJHG geregelt. Im Gesetz steht dazu: „In Kindergärten, Horten und anderen Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztags aufhalten, soll die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden. Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes.
Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und Familien orientieren.“ (Jugendrecht, 2004, 24) Weiterhin regelt der Paragraf 22, dass die Mitarbeiter der Kindereinrichtungen eng mit den Erziehungsberechtigten zusammen arbeiten sollen und dass die Erziehungsberechtigten an wesentlichen Entscheidungen der Tageseinrichtung beteiligt sein sollen (vgl. Jugendrecht, 2004, 24). Die Kindertageseinrichtungen sind in Deutschland Bestandteil des öffentlichen Bildungssystems. Für alle Menschen und zu allen Zeiten ist Bildung ein elementarer Prozess. Die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse, die alle modernen Gesellschaften kennzeichnen, entfalten in Sachsen – Anhalt eine besondere Dramatik. Diese Entwicklung ist im Land Sachsen Anhalt durch die nach wie vor starke Ost – West – Migration gekennzeichnet. Der hohe Altersdurchschnitt der Erzieher ist eine weitere Eigenheit des Arbeitsbereiches der Kindertageserziehung in Sachsen – Anhalt. Daraus ergeben sich für die Umsetzung des Bildungsprogramms besondere Anforderungen. Die meisten Erzieher des älteren Jahrgangs verfügen über Erfahrungen vom Bildungsplan[22] der DDR (vgl. Bildung elementar, 2005, 15). „Mit dem Bildungsprogramm „Bildung elementar – Bildung von Anfang an“ greifen wir sie ganz bewusst auf und fragen, welche Konsequenz sich daraus für die Realisierung einer ganzheitlichen, selbstbestimmten und offenen Bildungspraxis in den Kindertageseinrichtungen in Sachsen – Anhalt ergeben.“ (Bildung elementar, 2005, 15) Die Bildungsprozesse sind grundsätzlich offen und im Verlauf und im Ergebnis unvorhersehbar. Im Bildungsprogramm gibt es keine detaillierten Handlungsanweisungen, da das ein Widerspruch wäre. Die Offenheit des Bildungsprogramms begründete sich durch die Notwendigkeit, Bildungsinhalte in ihren spezifischen Kontexten immer wieder neu zu erschließen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Themen und Fragen der Kinder aber auch die Lebenssituationen der Familien und die sozial –räumlichen Bedingungen der jeweiligen Gemeinden Die Bildungspraxis in Kindereinrichtungen muss aus diesem Grund offen für Veränderungen und individuelle Unterschiede sein (vgl. Bildung elementar, 2005, 15).
Wenn Bildung als wesentliche Aktivität der Kinder beschrieben wird, änderte sich die Rolle der Erzieher. Ihnen stellt sich die Aufgabe der Beobachtung der Kinder. Vor dem Hintergrund der beruflichen Erfahrungen vieler Erzieher muss das Programm auf vor allem auf eine Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses zielen (vgl. Bildung elementar, 2005, 15 f.).
3.3.2.1 Fachliche Grundorientierungen
„Bildung in Kindertageseinrichtungen ist elementare Bildung.“ (Bildung elementar, 2005, 28). Ziel ist eine Entwicklungsförderung der ganzen Persönlichkeit des Kindes. Elementare Bildung bezieht sich auf alle möglichen Entwicklungsbereiche des Kindes. Eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Identitätsentwicklung ist eine Vielfalt von Erfahrungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten in sensorischen, motorischen, emotionalen, kommunikativen, ästhetischen und kognitiven Bereichen. Aus dieser Grundorientierung leiten sich weitere Ziele des Bildungsprogramms “Bildung elementar“ ab. Unter elementarer Bildung versteht das Programm folgendes:
- Anregung aller Kräfte; Anregung ohne Zwang und Vorschrift. Kräften müssen im Bildungsprozess einbezogen werden.;
- Aneignung von Welt: Aneignung ist ein aktiver, subjektiver Prozess, Bildung kann nur angeregt und ermöglicht werden, nicht erzeugt oder erzwungen werden.;
- Entfaltung der Persönlichkeit: ist ein Prozess bei dem eigene Potenziale entwickelt werden und Individualität herausbildet (vgl. Bildung elementar, 2005, 28).
Die Pädagogische Praxis, die in diesem Sinne arbeitet, fördert und unterstützt die Selbstbildungspotenziale jedes Kindes. Dies geschieht durch Gestaltung von verlässlichen Beziehungen, vielfältige Angebote (dadurch können Kinder Erfahrungen mit Menschen und Dingen und der Welt sammeln) und durch die Anerkennung, dass jedes Kind von Anfang an kompetent handelt. Im Sinne des Programms ist ganzheitliche Bildung ein lebenslanger Prozess. Jedes Kind hat ab der Geburt ein Recht auf Förderung der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Bildung elementar, 2005, 29). Diese Grundhaltung sollte in der Kindertageseinrichtung erfahrbar sein. Heute ist die traditionelle entwicklungspsychologische Vorstellung nach Bildungsverläufen in Stufen nicht mehr zu halten. Jedes Kind greift die Angebote, die ihm der Pädagoge gibt, anders auf und verarbeitet sie anders. Daher sind die später folgenden Bildungsbereiche nicht nach Altersstufen differenziert.
Es gibt altersspezifische Besonderheiten. „Erzieherinnen müssen sehr genau darauf achten, welche Bindungs- und Beziehungserfahrungen gerade bei den jüngeren Kindern im Vordergrund stehen.“ (Bildung elementar, 2005, 30) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass jedes Kind die Krippe besucht hat und schon Beziehungserfahrungen sammeln konnte. Daher ist es wichtig, weniger auf das Alter der Kinder zu achten, als auf die Vorerfahrung, die das Kind schon hat. Weiterhin ist es wichtig, sich über Kompetenzen zu verständigen, die die Kinder für eine aktive Teilhabe in der Gesellschaft brauchen. Die Orientierung an Kompetenzen ist schon länger Bestandteil von entwickelten pädagogischen Konzepten. Es werden häufig vier Dimensionen von Kompetenzerwerb herausgestellt:
- Personale Kompetenzen: dazu gehören: Identität, Selbstbewusstsein und Selbstwert entwickeln, eigene Bedürfnisse spüren, Ideen entwickeln usw.;
- Soziale Kompetenzen: dazu gehören: Bedürfnisse, Gefühle und Erwartungen, Standpunkte und Sichtweisen anderer wahrnehmen, Konflikte aushandeln, Verantwortung für andere übernehmen usw.;
- Sachkompetenzen: dazu gehören: Dinge und Erscheinungen mit allen Sinnen wahrnehmen, sprachlich und nicht sprachlich ausdrücken, Fertigkeiten erlangen im Umgang mit Materialien, Alltagsgegenständen, Werkzeugen, Zusammenhänge erkennen usw.;
- Lernmethodische Kompetenzen: dazu gehören: Bewusstsein für eigene Lernprozesse entwickeln, Zusammenhänge herstellen, Widersprüche und Übergänge bewältigen usw. (vgl. Bildung elementar, 2005, 31).
Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen soll den Erwerb von Schlüsselkompetenzen bei Kindern fördern. Die Schlüsselkompetenzen bilden die Voraussetzung für den Erwerb von fachspezifischen Kenntnissen im weiteren Bildungsverlauf der Kinder (vgl. Bildung elementar, 2005, 32). „Sie zielt aber nicht auf standardisierte Kompetenzen oder Fertigkeiten, die jedes Kind nach dem Besuch einer Kindertageseinrichtung erworben haben muss.“ (Bildung elementar, 2005, 32) Partizipation war schon in früheren Gesellschaften sehr wichtig, heute ist sie mehr als nur die Öffnung von Zugängen zu Bildungseinrichtungen. „Kindertageseinrichtungen haben, den Auftrag, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen.“ (Bildung elementar, 2005, 34).
Kinder haben ein Recht auf Beteiligung, dies ist unter anderem in der UN Konvention vom 20.11.1998 festgelegt, und im KJHG §8 ist das Beteiligungsrecht aufgenommen worden. „Im Alltag der Kindertageseinrichtungen gibt es zahlreiche Gelegenheiten für Kinder und Erwachsene, Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen und zu lernen, Situationen selbst zu gestalten.“ (Bildung elementar, 2005, 34)
„Voraussetzung für gelingende Prozesse ganzheitlicher und elementarer Bildung ist, dass Kindertageseinrichtungen in ihrem Angebot nicht selektieren sondern integrieren.“
(zit. n. Bildung elementar, 2005. 35)
Die Einrichtungen öffnen sich für alle Kinder und Familien, unabhängig von deren kulturellen Verschiedenheiten und individuellen Problemlagen (vgl. Bildung elementar, 2005, 35 f.).
Die Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen orientiert sich an den realen Lebenssituationen der Kinder und ihrer Familien. Kontextorientierung ist eine weiteres Prinzip des Bildungsprogrammes und bedeutet: „... dass Erzieherinnen und Erzieher etwas über die komplexe Lebenswelt jedes Kindes wissen müssen. Kontinuierliche Erkundungen und Diskurse sind dafür Voraussetzung.“ (Bildung elementar, 2005, 38) Zu diesem Prinzip gehört auch das Lernen außerhalb der Kindertageseinrichtung. Vielfältigste Erfahrungsmöglichkeiten für Kinder bietet das häusliche Umfeld (Nachbarn, Freunde, Verein usw.). Für die Kindertageseinrichtung ist es wichtig, Kontakte zum Gemeindewesen zu haben. Ein Teil des Auftrages der Erzieher ist es, sich in öffentliche Belange des Gemeinwesens einzumischen, soweit es die Lebensbedingen von Kindern und Familien betrifft (vgl. Bildung elementar, 2005, 39).
3.4 Bildungsbereiche
„Weder in der Zusammenstellung der Bereiche, noch in den Ausführungen zu jedem einzelnen Bereich ist Vollständigkeit oder Endgültigkeit beabsichtigt.“ (. Bildung elementar, 2005, 40) Die Auswahl der Bildungsbereiche folgten im wesentlichen den Vorschlägen von Bildungsprogrammen im Elementarbereich aus anderen Bundesländern und aus dem internationalen Fachdiskurs. Folgende Bildungsbereiche hat das Programm:
- „Körper, Bewegung und Gesundheit;
- Kommunikation, Sprache (n) und Schriftkultur;
- (Inter)kulturelle und soziale Grunderfahrungen;
- Ästhetik und Kreativität;
- Mathematische Grunderfahrungen;
- Welterkundung und naturwissenschaftliche Grunderfahrungen“ (Bildung elementar 2005, 41).
Im Bildungsbereich Körper, Bewegung und Gesundheit sollen die Kinder nicht nur Erfahrungen mit dem eigen Körper machen, sondern auch lernen, dass es viele verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten gibt, jenseits von Sprache und Logik. In unserer Kultur gibt es ein widersprüchliches Verhältnis von Körperlichkeit. Auf der einen Seite ist man der Ansicht, dass körperliches weniger wert ist als geistiges. Als Beispiel hier- für sei die Arbeitswelt genannt. Körperliche Arbeit wird meist weniger entlohnt als geistige Arbeit. Auf der anderen Seite herrscht bei uns ein Körperkult. Es wird auf einen schönen, makellosen Körper Wert gelegt und das auch in der Werbung suggeriert (vgl. Bildung elementar 2005, 43) „Die Begründung für den eigenständigen Bildungsbereich Körper, Bewegung Gesundheit geht davon aus, dass der Mensch nicht einen Körper hat, sondern Körper ist.“ (Bildung elementar 2005, 43) Von Geburt an gestalten Kinder ihre Beziehungen zur Welt mit dem Körper und dies setzt sich mit der weitern Kindesentwicklung fort. In vielen Kindertageseinrichtungen hat die Bewegung und die körperliche Ertüchtigung der Kinder einen hohen Stellenwert eingenommen. Bei vielen Kindern wird heute ein Bewegungsmangel festgestellt. Die Aufgabe der Kindereinrichtungen ist es, durch Angebote den Kinder vielfältige Möglichkeiten im Bereich der Bewegung zu bieten. Der Bildungsbereich Körper, Bewegung und Gesundheit ist nicht isoliert förderbar, sonder zieht sich durch alle Erfahrungsbereiche der Kinder (vgl. Bildung elementar, 2005, 43). Auch der Bereich der Gesundheitserziehung soll nicht zu kurz kommen. Gesundheitserziehung ist weit mehr als nur Zähne putzen, Händewaschen und der Verzicht auf Süßigkeiten. „Sie zieht sich durch den gesamten Alltag der Kindertageseinrichtung und bezieht subjektive Empfindungen und Bedürfnisse jedes Kindes ein. (Bildung elementar, 2005, 44)
„Erfahrungen die Kinder im Bildungsbereich Körper, Bewegung und Gesundheit machen sollten:
- sich im eigenen Körper wohlfühlen;
- erleben, dass eignen Bedürfnisse wichtig sind und ernst genommen werden;
- Zärtlichkeit
- Erleben, dass es Freude macht, sich zu bewegen;
- Lust und Unlust körperlich erleben und ausleben
- etwas genießen (...)“ (Bildung elementar, 2005, 45) um nur einige zu nennen.
Erzieher sollen die Kinder in allen Bildungsbereichen beobachten. Zu jedem einzelnen Bildungsbereich gibt es gezielte Fragestellungen, nach denen die Beobachtungen durchgeführt werden sollen. In diesem Bereich sind das z. B. Fragen: Was ist dem Kind angenehm oder nicht? Hat es Freude an der Bewegung? oder Welche Bedürfnisse nach Sauberkeit, Körperpflege und Beherrschung der Körperfunktionen hat es?
Sprache ist ein zentrales Medium und geht weit über den Austausch von Informationen hinaus. Von der Identitätsentwicklung ist die Entwicklung von Sprachkompetenzen nicht zu trennen. Durch das Sprechenlernen bilden Kinder Begriffe für Strukturen, Merkmale und Eigenschaften von Erscheinungen oder Gegenständen oder auch Personen. Sie rekonstruieren damit ihre gedankliche Wirklichkeit und kommunizieren mit anderen. Der Kern sozialer Ko- Konstruktionen ist das Sprechen. Die fachliche Anforderung in diesem Bildungsbereich Kommunikation, Sprache(n) und Schriftkultur ist es, sprachliche Bildungsprozesse zu ermöglichen und herauszufordern. Der gesamte Alltag in Kindertageseinrichtungen ist durchzogen von kommunikativem, sprachlichem und in weiten Teilen auch schriftlichem Handeln. Vor dem eigentlichen Sprechen beginnt schon die sprachliche Bildung, da Kinder ihre Welt schon von der Geburt an über ihren Körper und ihre Sinnen wahrnehmen. (vgl. Bildung elementar, 2005, 50). „Man kann Kindern das Sprechen nicht „beibringen“. Grundlage jeder Sprachförderung ist die Wahrnehmung, Respektierung und Wertschätzung jedes Kindes durch die Erzieher.“ (Bildung elementar, 2005, 50) „Schriftkultur ist mehr als Schreibenlernen. Kinder sind höchst interessiert an Mustern, Spuren und Zeichen. Schrift bezeichnet Sprache – und hier gibt es eine unmittelbare Verbindung zu Zeichen und Symbolen, die in der Umgebung von Kindern vorhanden sind.“ (Bildung elementar, 2005, 51)
Es geht in diesem Bildungsbereich auch darum, möglichst frühe und vielfältige Erfahrungen mit Schriftsprache zu ermöglichen. Kinder orientieren sich sehr häufig an ihren Bezugspersonen, daher haben die Erzieher eine Vorbildfunktion. Sie sind Sprachvorbild. Einige Erfahrungen, die Kinder in diesem Bildungsbereich sammeln sollten:
- „... Sprache im Spiel und in szenischen Abläufen erfahren... ;
- Geschichten in angenehmer Umgebung erzählt bekommen;
- eigene Gefühle und Gedanken, sprachliche und nicht sprachliche, mitteilen... ;
- in Gesprächen gezielt das Wort ergreifen ... ;
- erfahren, dass es vielfältige Zeichen, Symbole, Bilder, Bücher, Texte und Medien gibt... ; (Bildung elementar, 2005, 52 ).
Die Grundlage unserer Kultur bildet Kommunizieren, Sprechen, Lesen und Schreiben. Jedes Kind hat das Potenzial, sich auszudrücken. Es ist die Beobachtungsaufgabe der Erzieher, Kommunikationsangebote von Kinder wahrzunehmen und anzunehmen. Welche Ausdrucks – und Kommunikationsformen nutzt das Kind? Wie reagiert es auf sprachliche Äußerungen? Ergreift es (sprachlich) die Initiative? sind nur einige Fragen, die sich man sich bei der Beobachtung der Kinder stellen kann (vgl. Bildung elementar, 2005, 54). „Die Entwicklung eines (Inter) kulturellen und sozialen Grundverständnisses beruht darauf, dass Kinder die Strukturen, mit welchen sie ihre soziale, sachliche und geistige Welt erfassen, aus ihren Erfahrungen heraus selbst entwickeln, selbst konstruieren (müssen).“ (Bildung elementar, 2005, 57). Wesentliche Voraussetzungen für die Achtung und Akzeptanz des sozialen Umfeldes sind ein gutes Selbstverständnis und eine Vielfalt an unterschiedlichen Erfahrungen durch Begegnung mit anderen Menschen und Kulturen. Ohne eine soziale Beziehung ist Bildung nur schwer möglich. Für den Bildungsbereich (Inter)kulturelle und soziale Grunderfahrung sollten die Pädagogen soziale Interaktionsprozesse und Differenzerfahrungen anregen und herausfordern (vgl. Bildung elementar, 2005, 57). Die Kinder erleben in der Gemeinschaft, dass alle grundsätzlich die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben. In der Kindergruppe sind unterschiedliche Erfahrungen möglich z. B. im Umgang mit behinderten Kindern oder auch Kindern aus anderen Kulturkreisen usw.
Die Kinder lernen in der Gruppengemeinschaft gegenseitige Achtung, Gerechtigkeit und Probleme zu lösen, um nur einige Beispiele zu nennen (vgl. Bildung elementar, 2005, 58). Einige Erfahrungen die Kinder in diesem Bildungsbereich machen sollten:
- „... nein sagen können;
- erfahren, das man seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche anderen mitteilen kann... ,
- erfahren, dass Kinder Rechte haben ... “(Bildung elementar, 2005, 60)
Interaktionsangebote und kulturelle Besonderheiten jedes Kindes wahrzunehmen ist die Beobachtungsaufgabe in diesem Bereich. Mit vielfältigen ästhetischen Mitteln entwickeln Kinder ihr Denken über die Welt. Sie setzen sich z. B. mit der Umwelt auseinander oder verarbeiten Erlebnisse, indem sie sich ausdrücken. Die Körpersprache ist die erste Sprache der Kinder, mit der sie die Möglichkeit haben, sich zu verständigen (durch Mimik, Stimme usw.). Kinder versuchen so schnell wie möglich weiter ästhetische Erfahrung zu sammeln, indem sie sich mit verschiedenen Materialien und Gegenständen auseinander setzen. Komplexer Konzepte für Erfindungen von ästhetischen Sprachen, entwickeln Kinder mit zunehmendem Alter. Die Entwicklung bezieht sich auf den Umgang mit Werkzeugen (Stifte, Pinsel, Papier usw.). Mit der Stimme suchen Kinder Klangfarben, Melodien und experimentieren damit. Das ist das typische Feld für die musikalische Früherziehung, da Kinder ein sehr großes Interesse für Instrumente und Musik entwickeln. Die Musikalische Früherziehung fördert die Fantasie, Kreativität, personelle, soziale, motorische und kognitive Entwicklung. Auch durch szenische Darstellung wird die Ästhetikerziehung in die Praxis umgesetzt (Puppenspiel, Verkleidungsspiele, Rollenspiele) (vgl. Bildung elementar, 2005, 62 ff.). Für ein lebenslanges Lernen ist ein sicheres Grundverständnis von Ästhetik wichtig. „ Erfahrungen die Kinder im Bildungsbereich Ästhetik und Kreativität machen sollen:
- „... erfahren, dass die Welt, in der wir leben, von Menschen gestaltet ist... ;
- erfahren, dass die eigenen Produkte, Darstellungen und Inszenierungen wertgeschätzt werden;
- erfahren, dass Bilder, Klänge und Objekte etwas bedeuten...“ (Bildung elementar, 2005, 65)
„Die Entwicklung eines mathematischen Grundverständnisses beruht darauf, dass Kinder Selbstvertrauen und Kompetenz im Umgang mit grundlegenden Konzepten erwerben, um ihre Welt zu strukturieren.“ (Bildung, elementar, 2005, 70) Jede Erweiterung der Erfahrungen gehen von Fragen der Kinder aus. Dies gehört zu den grundlegenden Prinzipien im mathematischen Bildungsbereich. Mathematische Grunderfahrungen machen die Kinder in ihrem Alltag in der Kindertageseinrichtung z. B. durch Spiel mit dem Kaufladen, durch Projekte, durch Spielen von Gesellschaftsspielen und durch gezielte Anregungen der Pädagogen (vgl. Bildung elementar, 2005, 70). In diesem Bildungsbereich sollten folgende Erfahrungen gemacht werden:
- „... Erfahrungen mit Zahlen;
- Erfahrungen mit Relationen (mehr oder weniger, groß oder klein);
- Erfahrungen mit Zeit (Ablauf, Dauer, Strukturierung)...“ (Bildung elementar, 2005, 71)
Welterkundung und naturwissenschaftliche Grunderfahrungen spielen in der frühkindlichen Bildung eher eine randständige Rolle. Demgegenüber steht aber das Interesse der Kinder, die Welt zu entdecken und zu erforschen. (vgl. Bildung elementar, 2005, 74). Die Erzieher sollten den Kindern die Möglichkeit geben, folgende Erfahrungen machen zu können:
- „vielfältigste Materialien, Erscheinungen, belebte und unbelebte Natur „aus erster Hand“ und mit allen Sinnen erfahren ... ;
- eigene Erklärungen mit denen andere vergleichen und dabei Unterschiede und Übereinstimmungen finden... ;
- erfahren, dass die Welt von Menschen gestaltet und verändert wird: durch Technik, Architektur ...“ (Bildung elementar, 2005, 76)
3.5 Zusammenarbeit mit Grundschule und Eltern
Kinder müssen mit verschieden Veränderungen im Leben umgehen lernen. Das fängt mit dem Besuch einer Kindertageseinrichtung an. Als Beispiel ist die Eingewöhnungsphase zu nennen und setzt sich in ihrem weiteren Leben fort. Kinder lernen neue Beziehungen aufzubauen, sich auf neue Situationen, Regeln und Abläufe einzulassen.
Im Alltagsleben der Kindereinrichtungen gibt es immer wieder Veränderungen und Übergänge. Es kommen neue Kinder in die Gruppe, die Bezugspersonen wechseln oder das Kind wechselt in eine andere Gruppe. Auch außerhalb der Kindertageseinrichtung erleben Kinder Umbrüche und Veränderung, sei es, dass sich die Eltern trennen oder ein Geschwisterkind wird geboren usw. (vgl. Bildung elementar, 2005, 81). „Aus der Perspektive der Kinder, die ja all diese Übergänge in der Regel recht erfolgreich bewältigen, sieht der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule möglicherweise anders aus, als von der Warte der Erwachsenen (Eltern Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer) aus betrachtet.“ (Bildung elementar, 2005, 81) Eine Leistung, die das Kind selbst erbringen muss, ist der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Die Erzieher und Eltern müssen erkunden, wie wichtig den Kindern der Wechsel ist (vgl. Bildung elementar, 2005, 81). Dieser Wechsel ist eine Herausforderung für die ganze Familie. Eltern haben große Erwartungen beim Schuleintritt ihrer Kinder und einige haben auch Ängste, dass ihre Kinder dem Wechsel und den Anforderungen der Schule nicht gewachsen sind. „Das Gesetz zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtung und in Tagespflege des Landes Sachsen – Anhalt“ (KiFöG) erteilt den Kindertageseinrichtungen den Auftrag zur Zusammenarbeit mit der Grundschule“ (Bildung elementar, 2005, 84) Am Entwicklungsstand der Kinder orientiert sich die Zusammenarbeit. Diese ist wichtig, da sie die Kinder mit ihren individuellen Besonderheiten in den Mittelpunkt rücken lässt. Bildung und Erziehung zu fördern ist der Auftrag von Kindergarten und Schule. Nicht nur die Kindertageseinrichtung hat die Aufgabe, die Kinder auf die Schule vorzubereiten, sondern die Kindertageseinrichtung und die Schule stehen in gemeinsamer Verantwortung für die Gestaltung der Übergangsphase im Bildungssystem[23] (vgl. Bildung elementar, 2005, 84). Kindertageseinrichtung sind elementare Bildungseinrichtungen und zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Eltern verpflichtet[24]. Eltern und Kindertageseinrichtung sind gleichberechtigte Partner mit unterschiedlichen Verantwortungen den Entwicklungsprozess der Kinder zu begleiten (vgl. Bildung elementar, 2005, 86). Eltern haben in Kindertageseinrichtungen Beteiligungsrechte, sowohl auf organisatorische und inhaltliche Bereiche[25] (vgl. Bildung elementar, 2005, 88).
4 Kritische Auseinandersetzung mit der Thematik
4.1 Aktualität der Reformpädagogik
Das Interesse an der Reformpädagogik ist in den letzten Jahren wieder erwacht (vgl. Eichelberger, 1997, 11). „Eltern wünschen sich eine reformpädagogische Schule für ihre Kinder, Lehrerinnen und Lehrer wollen in ihrer Schule nach reformpädagogischen Konzepten unterrichten und selbst in der Lehre wird in zunehmendem Maß von einer „Pädagogik vom Kinde aus“ gesprochen.“ (Eichelberger, 1997, 11) Heute ist die „Erziehung vom Kinde aus“ ein allgemein gültiges Konzept. „In der Histographie der Erziehung werden diese Formeln oder Slogans der Reformpädagogik zugerechnet. Sie gelten vielfach als ihre Entdeckung mindestens aber sollen sie ihre Eigentümlichkeit ausmachen, einen Korpus von Konzepten und Erfahrungen, die einer bestimmten Epoche zugerechnet werden und offenbar zugleich unmittelbare Gegenwart sind.“ (Oelker, 1995, 25) Fernsehanstalten werben mit dem Slogan, dass Kinder kleine Persönlichkeiten sind und ernst genommen werden müssen. Es gibt heute eigene Fernsehender, Zeitschriften usw. für Kinder. Ein Teil des Erfolgs der Reformpädagogik ist die Kommerzialisierung (vgl. Oelker, 1995, 26) Heute kann man in der aktuellen Erziehungspolitik eine breite Präsenz der historischen Reformpädagogik nachweisen. Im Bildungsprogramm “ Bildung elementar“ findet man beispielweise Strukturen vor, die von Reformpädagogen entwickelte wurden. Beispielsweise: das Kind steht im Mittelpunkt der Erziehung oder der Erzieher soll dem Kind die Möglichkeit geben sich frei entwickeln zu können, dabei nimmt er eine passive Rolle ein (A. d. V. vgl. ab 3.3).
Selbständigkeit, Selbstbestimmung, Eigenständigkeit, Verantwortung, Kooperation, Solidarität u.ä.m. sind die heutigen Erziehungsziele, die den reformpädagogischen Konzepten nachgerade immanent sind.“ (Eichelberger, 1997. 12) Wilfried Böhm hat zur Aktualität der Reformpädagogik eine andere Meinung. Er schreibt: „Denn dass die Reformpädagogik nicht Denken und nicht Wirklichkeit von heute ist, das wird niemand bestreiten können.“ (Böhm, 1995, 10) Auch die Professorin Ingrid Gogolin rät von dem Besuch von reformpädagogischen Schulen ab, weil die Kinder ihre Privatschule als etwas besonderes ansehen und sie glaubt, dass Kinder lieber in Grundschulen in der Nachbarschaft gehen sollten. Ihrer Meinung nach sollen Kinder in der Umgebung, in der sie leben, auch lernen.
Da sehr viele Schulen die nach Reformpädagogischen Konzepten arbeiten, Privatschulen sind, muss dafür ein Schulgeld bezahlt werden. Daher ist der Schulbesuch für Kinder aus ärmeren Familien nicht möglich.(vgl.http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reforpaedagogik/kritik.xml 29.05.07) „Barbara Mergner vom Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien beklagt, es sei nicht leicht den Grundgedanken der freien Entfaltung mit den traditionellen Bildungsmaßstäben zu verknüpfen.“
(http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/kritik.xml 29.05.07).
Oelker gibt zu bedenken, dass sich die heutige Renaissance der Reformpädagogik im wesentlichen schulpraktisch äußert (vgl. Oelker, 1995, 33). „Tatsächlich ist im Bereich der Schulreform seit Beginn der achtziger Jahre die Häufung reformpädagogischer Konzepte – „erfahrungsbezogener Unterricht“ (Scheller 1981), „Schülerzentrierung“ (Vohland 1980), „Projektunterricht“ (Struck 1980) u.a.m. - besonders groß, aber vermutlich auch nur deswegen, weil eine neue Autorengeneration Anschluß fand an Themen und Modelle, die nie verschwunden waren und nur aus der alten Volksschulpädagogik neu übersetzt werden mußten.“ (Oelker, 1995, ebd.)
Oelker stellt weiter hin fest, das: „ Einer der auffälligsten Tatbestände in der heutigen Verwendung reformpädagogischer Themen und Topoi ist deren Verknüpfung mit der Esoterik. New Age Motive finden sich inzwischen selbst in der Didaktik (Kösel 1993), und sie sind immer assoziiert mit den Rückgriffen auf Positionen, die der Reformpädagogik zugeschrieben werden. ... Weite Teile der internationalen Erziehungsreform vor und nach dem Ersten Weltkrieg, eigentlich die Zäsur der europäischen Gesellschaft, sind theosophisch geprägt gewesen, bis hin zum Sezessionisten Rudolf Steiner, dessen Anthroposophie paracelsische Esoterik mit theosophischen Heilslehren verknüpfte, ohne daß dies in der reformpädagogischen Diskussion der „Waldorf- Schule“ sonderlich beachtet worden wäre. Was heute als New- Age Pädagogik vermarktet wird, schließt nicht zufällig an die theosophische Linie an und erneuert so eine Provokation, die sich schulpädagogisch schon fast beruhig hatte.“ (Oelker, 1995, 34 )
4.2 Krische Betrachtung zur Erziehungskonzeption von Steiner
Häufig wird bei reformpädagogischen Konzepten, beklagt, dass der Grundgedanke der freien Entfaltung mit den traditionellen Bildungsmaßstäben nicht zu verknüpfen ist. Auf der anderen Seite werden Kindern die eine reformpädagogische Schule besucht haben, sehr gute Selbst-, Sozial-, und Methodenkompetenzen bescheinigt (vgl. http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/kritik.xml 05.07.). „Waldorfschulen hatten bis in die 70er Jahre ein zweifelhaftes öffentliches Image: zum einen galten sie als Sektenschulen und Kaderschmieden der Anthroposophen, als eine Art Bekenntnisschulen für Kinder aus Kreisen der Anthroposophischen Gesellschaft, der Christengemeinschaft, Weleda, Demeter- und Dreigliederungsbewegung; zum anderen sah man in ihnen „Hilfsschulen für minderbegabte, lernschwache und verhaltensgestörte Kinder der betuchten Eltern und ein Auffangbecken für gestrauchelte „Staatsschüler.“ “ (zit. n. Müller in Böhm, Oelker, 1995, 105) Heute hat die Waldorfpädagogik bei einigen Kindern, Eltern und Pädagogen einen schlechten Ruf. Im Buch “Aus der Waldorfschule geplaudert“ findet man verschiedene Aussagen von Schülern und Eltern, die eine schlechte Meinung über die Waldorfpädagogik haben. Als Beispiel ist dort zu finden: „Wie kann man sein Kind nur auf eine Waldorfschule schicken! So etwas wäre mir nie in den Sinn gekommen. Hier werden die Kinder doch weltfremd erzogen und nur mit Samthandschuhen angefasst.“ , erklärt eine Mutter. (Jacob, Drewes, 2004, o. S.) Ein Kind wirft beispielsweise seinem Vater vor: „Ihr habt mich auf eine Beklopptenschule gegeben!“ “ (Jacob, Drewes, 2004, ebd.) „In einem Leserbrief (Magazin Weltbild 8/97) Zu einem Zeitungsartikel für den Bereich „Waldorf- Die bessere Schule?“ schreibt Wolfgang Hund, Seminarrektor und Beauftragter des Bayrischen Lehrer und Lehrerinnenverbandes für den Bereich „Okkultismus bei Jugendlichen“: „Jeder der sich die Mühe macht, sich durch die unsinnigen Texte von Rudolf Steiner zu kämpfen der Steiners Lebensweg und seine geistigen Hintermänner/- frauen kennt, findet unschwer massive Belege für das okkulte und rassistische Denken dieser Gurus. Das dies heute noch die Grundlage der Waldorfpädagogik ist, bekommen die meisten Eltern nicht mit... .“(Jacob, Drewes, 2004, o.S. f.) Müller ist da anderer Meinung, er denkt, dass sich diese landläufigen Meinungen geändert haben, da im Zuge der Alternativbewegung die Reformpädagogik eine Renaissance erlebt und die Waldorfpädagogik in der öffentlichen Meinung zum Inbegriff hoher pädagogischer Ideale avancierten.
In den 80er Jahren verdoppelte sich die Zahl der Waldorfschulen und Kindergärten (vgl. Müller in Böhm, Oelker, 1995, 105). „Wie die Fülle von weltweiten Gründungsinitiativen zeigt, scheint der Expansionstrend ungebrochen.“ (zit. n. Müller in Böhm, Oelker, 1995, 106) Die Motive für diese starke Nachfrage sind individuell sehr verschieden. Die Anthroposophie von Rudolf Steiner wird weder von Anhängern und den Gegnern bestritten, da sie die Grundlage der Waldorfpädagogik ist (vgl. Müller in Böhm, Oelker, 1995, 111). Die Anthroposophie von Rudolf Steiner steht immer wieder in der Kritik. Beispielsweise wird die Reinkarnation oder die Theorien über die sogenannten Wurzelrassen (zentrale Vorstellung in der Theosophie) kritisiert (vgl. Müller in Böhm, Oelker, 1995, 111 ff.) Laut Müller wird die Waldorfpädagogik als ein “lebendiges Fossil “ der Reformpädagogik angesehen (vgl. Müller in Böhm, Oelker, 1995, 123). „Und darin liegt auch der Schlüssel zur Erklärung der erwähnten weitverbreiteten Ambivalenz, die sich bis zur scheinbar paradoxen These zuspitzen lässt, die Waldorfschulen seien trotz Anthroposophie gute Schulen. Denn in keiner anderen Schule haben sich die pädagogisch- didaktischen Grundsätze der Reformpädagogik in solcher Reinkultur erhalten wie in den Waldorfschulen: ... .“
( zit. n. Müller in Böhm, Oelker, 1995, ebd.)
Rudolf Steiner war nicht nur pädagogisch aktiv, auch in anderen Bereichen (Medizin, Kunst, Naturwissenschaften usw.) hatte er ein enormes Wissen. Daraus ergibt sich eine große Anhängerschaft von z. B. Naturheilkundlern oder Heilpädagogen. (vgl. Jacob, Drewes, 2004 o. S.) „Wie banal erscheint da plötzlich die staatliche Schule... . Der umfangreiche Lehrplan sieht im Wesentlichen Wissensvermittlung und soziale Integration vor... . Das ist nach Steiner genau die Unfreiheit der staatlichen Lehrerschaft.“ (Jacob, Drewes, 2004, ebd. f.) Jacob und Drewes kritisieren, dass Steiner diesen Punkt gelegentlich einfach übergangen hat. Dagegen ist der Lehrplan an Waldorfschulen bescheiden und unüberschaubar, kritisieren die beiden Autoren weiter. Steiner hat vor über 80 Jahren nur Lehrplanrichtlinien für die Stuttgarter Waldorfschulen aufgestellt. In fast ungeänderter Form finden diese Richtlinien in der heutigen Waldorfpädagogik noch Anwendung (vgl. Jacob, Drewes, 2004, 33). An Stelle eines Zeugnisses bekommen Schüler der Waldorfschulen Beurteilungen. Adolf Gallwitz (Psychotherapeut) kritisiert: „Das Kind wird durch solche Beurteilungen noch stärker dem System und der Bezugsperson Lehrer ausgeliefert.
Dieses System macht es dem Lehrer noch leichter, die absolute Machtkontrolle zu erringen bis hin zur völligen Verfügungsgewalt vor allem psychischer Art über das Kind.“ (Jacob, Drewes, 2004, o. S.) Auch Maria Montessori, Freinet und Petersen lehnen Zeugnisse ab (A. d. V.).
4.3 Kritische Betrachtung zur Montessori – Pädagogik
„Maria Montessori entwickelte ihre pädagogische Arbeit auf der Grundlage des neusten wissenschaftlichen Kenntnisstandes ihrer Zeit.“ (zit. n. Pickenhain, aus Böhm, Oelker, 1995, 153) Heute ist die Frage ob die Grundthesen von Montessori noch mit der Grundlagenwissenschaft übereinstimmen. Ein wichtiges Erkenntnis besteht heute darin, das sich jedes Lebewesen aktiv mit der Umwelt auseinander setzt. Montessori hat diesen Punkt schon zu ihrer Zeit erkannt (vgl. Pickenhain, aus Böhm, Oelker, 1995, 153 f.). „Maria Montessori bringt dies mit den Worten zum Ausdruck: „Kinder haben ein inneres Bedürfnis, sich selbst und ihre Welt kennenzulernen.“ (zit. n. Pickenhain, aus Böhm, Oelker, 1995, 154) Die Sinneserfahrungen spielen bei der aktiven Auseinandersetzung des Lebewesens mit seiner Umwelt eine wichtige Rolle. „Auch die Wahrnehmungen vollziehen sich stets als aktive Handlungen des Organismus.“ (zit. n. Pickenhain, aus Oelker, 1995, 155) Montessori spricht in ihrem Buch “Kinder sind anders“ von der Polarisation der Aufmerksamkeit (vgl. Pickenhain, aus Böhm, Oelker, 1995, ebd.) 1994 wurde bei einem amerikanischen Raumflug ein Experiment durchgeführt. Bei diesem Experiment wurden trächtige Ratten mit in die Erdumlaufbahn genommen, das Raumfahrzeug kehrt 11 Tage später zur Erde zurück. Die Ratten brachten Tage später ihre Jungen zur Welt. Die Wissenschaftler testeten bei den neugeborenen Ratten, das Gleichgewichtssystem und stellten fest, dass sie durch die Schwerelosigkeit keine Nervenimpulse bilden konnten, um das Gleichgewichtssystem ausbilden zu können. Der holländische Wissenschaftler De Vries erkannte dies schon. Maria Montessori übernahm seine Theorie von den “Sensiblen Phasen“ und wendete diese bei den Kindern an (vgl. Pickenhain aus Böhm, Oelker, 1995, 155 f.)
Montessoris Erziehungskonzeption greift zentrale pädagogische Fragen auf und ermöglicht eine umfangreiche pädagogische Praxis, angefangen vom Kindergarten bis hin zur Schule. Ihre Methoden kann man sehr gut in der Heilpädagogik einsetzen. Dies soll nicht heißen, dass die Erziehungskonzeption von Maria Montessori nur positive Dinge beinhaltet. Maria Montessori sieht beispielweise das Spiel der Kinder nur als sinnlose Zeitvergeudung an, durch welches die Kinder mit Nutzlosem beschäftigt werden, damit sie die Erwachsenen nicht stören. Hebestreit gibt zu bedenken, das man „... die Zurückweisung des Spiels als einen Streit um Wörter ansehen und mit einer beliebigen Formulierung sagen, das „Spiel“ sei die „Arbeit“ des Kindes. Es fällt dann auch nicht schwer, heutzutage in der Montessori – Pädagogik das Wort „Arbeit“ wieder durch „Spiel“ zurückzuübersetzen.“ (Hebenstreit, 1999, 226 f.) Kinder bauen sich ihre Welt im Spiel so zurecht, wie es für sie passend ist. Hebenstreit ist der Meinung, das in der Pädagogik von Maria Montessori die Entwicklung des Kindes nur nach vorne gerichtet ist und Montessoris Didaktik und Methodik nur darauf ausgerichtet ist, einen Beitrag zur Optimierung (Vervollkommnung) zu leisten. „Weniger gesehen wird von Maria Montessori die gerade für das Kindergartenalter wichtige entgegengesetzt verlaufende Bewegung: Innerliches äußerlich gestalten. Dazu aber dient das Spiel, das die Sprache des Kindes ist... . Spiel ist nur die Arbeit des Kindes sondern es ist in vielen Punkten diametral entgegengesetzt.“ (Hebenstreit, 1999, 228 f.) Montessori wurde häufig vorgehalten, dass sie kognitive Lernziele überbetone und sozial und emotionale Aspekte vernachlässige. Ganz so kann man diese Kritik nicht stehen lassen, denn die Freude des Kindes und der zentrale Punkt der Polarisation der Aufmerksamkeit, sind emotionale Ausdrücke des Kindes. Der soziale Aspekt wird auch nicht vernachlässigt, denn im Kinderhaus lernen die Kinder, auf andere Rücksicht zu nehmen und nicht zu stören. Im Jugendalter wird dies noch deutlicher, denn Montessori sieht diese Zeit als Zeit an, in der der Mensch sich in gesellschaftliche Bezüge einarbeitet (vgl. Hebenstreit, 1999, 229) „Das Ziel der Montessori- Pädagogik kann generell als ein soziales bezeichnet werden: Es gilt die Persönlichkeit jedes einzelnen so stark zu machen, daß er fähig wird, sich für eine gerechtere und friedfertigere Welt einzusetzen.“ (Hebenstreit, 1999, ebd.) Hebestreit weist aber darauf hin, dass die spezifische Formung der Emotionalität und Sozialität in der Pädagogik von Maria Montessori Einseitigkeiten aufweist. Hebestreit begründet dies so:
„Die von ihr vorgestellten Kinder aus dem Kinderhaus sind so selbstbeherrscht, dass der Leser irritiert sein mag, wenn er an die munteren, lauten, quirligen und aufgebrachten Kinder im Kindergarten denkt.“ (Hebenstreit, 1999, ebd.)
Bei Maria Montessori hingegen scheint ein Bild vom Kind durch, das nur eine Seite menschlicher Gefühle betont (vgl. Hebenstreit, 1999, 230).
„Die Ausblendung der Widersprüchlichkeiten im menschlichen Leben, ihre Auflösung zu dem einseitigen Pol von Ruhe und Konzentration ist dabei verwunderlich, da Maria Montessori immer wieder hervorhebt, in der Erziehung gehe es nicht um Künstlichkeit, sondern um Eindringen in das menschliche Leben.“ (Hebenstreit, 1999, ebd.)
Bei Maria Montessori steht das Kind im Mittelpunkt ihrer Pädagogik. Das Kind soll sich aktiv heraus entwickeln. Montessori misstraut den Erwachsenen und Erziehern, da sie durch ihre eigene aktive Rolle, das Kind in eine passive Rolle zurückdrängen. Montessori ist der Ansicht das Erwachsene dazu neigen für das Kind zu handeln, weil sie mächtiger und erfahrener sind. Oft fehlt den Erwachsenen die Geduld, dem Kind bei gestellten Aufgaben mehr Zeit zu lassen, lieber erledigt der Erwachsene die Aufgabe selbst (vgl. Hebenstreit, 1999, 230 f.). „Die Kritik Maria Montessoris an den Erwachsenen hat für unsere Zeit besondere Gültigkeit. Kinder dürfen so viel, ihnen wird so viel zugestanden, ihnen wird eine Fülle angeboten, wie vielleicht noch nie in der Geschichte.“ (Hebenstreit, 1999, 231) Tendenziell sind aber Kinder trotz dieser positiven Entwicklung, heute mehr abhängiger vom Erwachsenen, als früher. Hebenstreit meint dazu: „Was den Kindern geboten wird, ist nicht die Erfüllung ihrer selbstverständlichen Rechte, sondern die Gewährung einer Gnade, die dann entzogen wird, wenn die Gunst der Erzieherin ausgenutzt wird, wenn ihr Nervenkostüm den Krach nicht mehr aushält, wenn nach einer Nacht mit wenig Schlaf der Erwachsene Ruhe braucht. Wir haben eine paradoxe Situation: Kinder dürfen immer mehr, aber sie werden dadurch gleichzeitig immer abhängiger von den Erwachsenen.“ (Hebenstreit, 1999, 232 f.) Der Gedankengang bestätigt, dass die Unabhängigkeit der Kinder vom Erwachsenen wichtig ist. Doch gibt es Kritik in diesem Punkt der Montessori- Pädagogik. Der Mensch ist angewiesen auf andere Menschen, dies gilt besonders bei sehr jungen Kindern. Sie brauchen die Erfahrung das sie geliebt werden. Das wird über den Körperkontakt des Erwachsenen mit dem Kinde vermittelt. Ein Kind braucht eine gewisse Kontinuität in der Erziehung, das wird aber nicht nur durch das gleichbleibende in der Kindereinrichtung geschaffen, sondern durch einen andauernden Kontakt mit dem Erzieher (vgl. Hebenstreit, 1999, 232).
„All das was Maria Montessori zur Bedeutung der Umgebung und des Materials gesagt hat, ist richtig, doch beide werden erst wirksam, wenn sie in eine pädagogische Atmosphäre eingebettet sind, deren wichtigste Voraussetzung das Vorhandensein eines lieben Erwachsenen ist. Die Lebendigkeit der Kinder ist angewiesene auf eine lebendige Erzieherin.“ (Hebenstreit, 1999, 233) Die Arbeit der Erzieher nach dem pädagogischen Konzept von Montessori ist widersprüchlich. Auf der einen Seite möchte Maria Montessori die Kinder zu Unabhängigkeit führen und auf der anderen Seite weist sie auf die Verletzbarkeit des Kindes hin, das die Hilfe der Erzieher braucht, um zu den andern Kinder und zur Welt gelangen kann. Das Kind soll Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein entwickeln, doch gerade am Anfang steht das Kind auf wackelnden Beinen und braucht die direkte Beziehung eines Erwachsenen (vgl. Hebenstreit, 1999, 232 ff.) „... Es steht die Gefahr ideologischer Verzerrungen in der Montessori- Pädagogik, wenn sie einem Grundmuster folgt, das auch andern klassischen Entwürfen in der Geschichte der Pädagogik nicht fremd ist. Die Entdeckung eines mehr oder weniger wichtigen Phänomen des Kinderlebens wird verabsolutiert und, indem ein Teil für das Ganze genommen wird, erscheint das Bild des Kindes in einer Schieflage. Wird gleichzeitig auf dieser Basis eine pädagogische Praxis aufgebaut, dann ergibt sich das Phänomen einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Die Erziehungswirklichkeit liefert Resultate, deren Erfolg das ursprüngliche Kinderbild bestätigt. Maria Montessori war sich dieser Gefahr bewußt. Zum Schluß ihres Lebens wies sie ihre Anhänger mahnend darauf hin: Schaut „auf das Kind!“ “ (Hebenstreit, 1999, 234 f.)
5 Schlussbetrachtung
Für mich war es sehr interessant, mich näher mit der Geschichte der Reformpädagogik und mit Maria Montessori und ihrer Erziehungskonzeption zu beschäftigen. Ich bin beispielsweise davon ausgegangen, dass die Reformpädagogische Bewegung mit der Machtübergreifung der Nationalsozialisten endete, da dieser Punkt in einigen Büchern so zu finden ist. Aber die Reformpädagogik ging und geht bis heute weiter und wird immer aktuell bleiben, da sich unser Land ständig „reformiert“ und sich ein Land und die Welt weiterentwickelt. Somit muss sich auch das Erziehungs- und Bildungssystem weiterentwickeln. Zur damaligen Zeit waren die Ideen und Konzepte der Reformpädagogen revolutionär. Heute geht die Pädagogik vom Kinde aus, viele Grundgedanken der Reformpädagogen werden heute wieder aufgegriffen. Unsere Gesellschaft verlangt heute ein hohes Maß an Flexibilität, Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit. Montessoris Erziehungskonzeption ist darauf ausgelegt, die Kinder zu einer hohen Selbständigkeit und Selbsttätigkeit zu erziehen. Montessoris Biografie, ist für mich sehr erstaunlich gewesen. Maria Montessori war eine Kämpfernatur, sie kämpfte unermüdlich für ihre Ziele und ihre Anliegen. Sie war für mich auf der anderen Seite eine hoch intelligente Frau, sie wusste genau, wie sie die Aufmerksamkeit auf ihre Person lenken konnte. Mit der öffentlichen Präsenz konnte Maria Montessori, auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Sie schaffte es in kurzer Zeit, eine große Schar Anhänger zu finden und ihre Methode breitete sich schnell in der ganzen Welt aus. Sie war vielleicht ein Vorbild vieler Frauen, die damals nicht den Mut hatten, andere Wege zu gehen und aus dem Schattendasein der klassischen Rollenverteilung auszubrechen. Für mich persönlich bleibt der Lebensweg von Montessori aktuell. Gerade in der heutigen Zeit ist man angehalten, für seine Ziele zu kämpfen. Sicher ist vieles für die Frauen heute einfacher geworden. Frauen in Männerberufen sind keine Seltenheit mehr. Aber heute haben wir das Problem, Karriere und die Familie unter einen Hut zubekommen.
Im Bezug auf meine zukünftige Tätigkeit als Heilpädagogin, habe ich mit der Anwendung der Montessori- Pädagogik ein breites Spektrum an Fördermöglichkeiten.
In der heutigen Zeit tritt das Aufmerksamkeits – Defizit- Syndrom vermehrt auf und es ist festzustellen, dass Kinder unter Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen leiden. (Nicht nur) in diesen Fällen bietet sich die Arbeit nach Montessori an. Sicherlich nicht so wie Montessori dies in ihrer Erziehungskonzeption festgelegt hat, aber mit ihren Grundgedanken im Kopf, kann man für jedes Kind ein individuelles Förderkonzept erarbeiten.
Als zukünftige Heilpädagogin habe ich die Möglichkeit, mit Montessori- Material zu arbeiten und es weiter zu entwickeln, da es bestimmte Prinzipien hat. Meiner Ansicht nach wird die Montessori- Pädagogik aktuell bleiben, da man gerade im Fachgebiet der Heilpädagogik gute Anwendungsmöglichkeiten findet. Man kann die Grundgedanken von Montessori mit anderen Therapieformen, beispielsweise der Orffschen Musiktherapie, verbinden. Mit der Erziehungskonzeption von Montessori habe ich (in Abwandlungen) in meiner Tätigkeit als Heilpädagogin viele Möglichkeiten der Anwendung nicht nur bei Kindern, auch bei Erwachsenen. In meiner Wohnregion werden immer mehr Kindertagesstätten mit neuen Konzepten eröffnet, die in Anlehnung an reformpädagogische Konzepte entwickelt wurden. Auch das neue Bildungsprogramm, welches sich im Moment noch im Versuchsstadium befindet, hat einige Grundgedanken der Reformpädagogen übernommen und weiter entwickelt.
6 Quellenverzeichnis
6.1 Literatur
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Brenner, D.; Kemper, H.; Theorie und Gesichte der Reformpädagogik. Teil 2: Die Pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik. Beltz. Weinheim, Basel 2003
Brenner, D.; Kemper, H.; Theorie und Geschichte der Reformpädagogik. Teil 3.1:Staatliche Schulreform und Schulversuche in SBZ und DDR. Beltz. Weinheim, Basel 2005
Buchka, Grimm, Klein (Hrsg.): Lebensbilder bedeutender Heilpädagoginnen und Heilpädagogen des 20. Jahrhunderts. E. Reinhardt (2. Aufl.). München 2002
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6.2 Internet
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http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/idee-jenaplan.xml Zugriff am 31.01.07
http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/bio-steiner.xml Zugriff am 07.02.07
http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/idee=waldorf.xml Zugriff am 07.02.2007
http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/reformpaedagogik/kritik.xml Zugriff am 29.05.2007
http://www.waldorfschule.info/index.5.0.1.html Zugriff am 07.02.07
http://www.freinet-kooperative.de/start/index.php?idcat=295&idside=284&lang=2 Zugriff am 10.02.07
http://egora.uni-münster.de/ew/mz/lehre/anthropologie.shtml). Zugriff am 21.05.07
(http://www.jenaplanschule.jena.de/idex.php?option=com_conten&task=view&id=12&Itemid=32 ) Zugriff am 20.04.07
[...]
[1] Titel der Abhandlung:“ Einige Gedanken über die Erziehung“
[2] Emile war ein “erdachter“ Zögling der ein naturbezogenes Leben auf dem Land führt (vgl. Hedderich, 2001, 18)
[3] das Landrecht erreichte das erstmals alle Schulen und Universitäten zu “Veranstaltungen des Staates“ wurden und gleichzeitig alle Stände zu “staatlichen Berufsständen“ erklärt wurden (vgl. Brenner, Kemper, 2003, 63)
[4] sind Naturwissenschaften, Mathematik, Ökonomie und Technik (vgl. Duden, Fremdwörterbuch, 2001, 845 und Brenner, Kemper 2003, 64).
[5] Pädagogik ging auf Herbart zurück, er entwickelte eine Stufentheorie des Unterrichtes
es ist eine lehrerzentrierte Pädagogik
(vgl. Brenner, Kemper, 2003, 28 ff.)
[6] Gesetz über die sozialistische Entwicklung im Schulwesen
[7] vgl. Brenner, Kemper, 205, 116/117
[8] Doktorvater von Petersen
[9] Volksbildungsminister (vgl. Kluge in Schaberg, Schonig 2002, 35)
[10] jedes Kind egal welcher Herkunft und welche Begabung es hat, hat die Möglichkeit für eine gemeinsam Bildung
[11] Koedukation bedeutet alle gleichaltrigen Schüler werden trotz verschiedenem Leistungsniveau gemeinsam unterrichtet
[12] Ecole Moderne heißt Moderne Schule
[13] waren Ärzte die zu Beginn des 19. Jh. bahnbrechende Arbeiten zur Erziehung von geistigbehinderten Kindern geleistet haben
[14] ihr Sohn Mario wurde zu einer Pflegefamilie aufs Land gegeben und später wuchs er in einem Internat in Florenz auf. Erst nach dem Tode von Renilde Stoppani nimmt Montessori ihren Sohn bei sich auf. Später unterstütze Mario die Arbeit der Mutter
[15] San Lorenzo, ein vernachlässigtes Viertel von Rom, wo Wohnungen für bedürftige Familien entstanden
[16] während der Arbeit im Kinderhaus, beobachtete Montessori die Kinder, sie sieht das die Kinder ihre Materialien dem Spielzeug vorziehen und das die Kinder mit sehr großer Konzentration mit diesen Materialien arbeiten.
[17] Eine Darstellung ihres Grundanliegens ihrer Arbeit in San Lorenzo
[18] damit beschreibt Montessori die besondere Geistform des Kindes in den ersten Lebensjahren, die es ihm ermöglicht Anregungen aus seiner Umwelt wie ein Schwamm aufzusaugen
*Hugo de Vries; niederländischer Botaniker
[19] auf dem Fußboden ist eine Linie in Form einer Ellipse aufgezeichnet, auf der die Kinder gehen sollen ohne den Strich zu verlassen
[20] der Titel des Textes “Das Ministerium für Menschliche Entwicklung“
[21] vgl. Peter Petersen ab Punkt 2.5.1.1
[22] zeichnet sich durch Vielfalt methodischer Anregungen und konkreter Handlungsanweisungen aus, betont aktive Rolle der Erzieher und beschrieb Bildungsprozesse
[23] vgl. Kinderförderungsgesetz des Landes Sachsen – Anhalt
[24] vgl. Grundsätze der Kinder und Jugendhilfe KJHG §1
[25] Rechte sind im KJHG, im KiFöG und in den Satzungen der Träger festgelegt
- Quote paper
- Katy Voigt (Author), 2007, Die Reformpädagogische Bewegung; im Focus Maria Montessori, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110979
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