Locker und leicht spricht man den verschiedensten Ereignissen eine Wahrscheinlichkeit zu, zumal deren Berechnung in den allermeisten Fällen einsichtig und mathematisch gesichert ist. Des weiteren erweist es sich natürlich als sinnvoll, mathematisch nicht widerlegbaren Zahlenwerten uneingeschränkt zu vertrauen.
Jedoch:
Wir sollten dabei bedenken, ob wir mathematische Aussagen auch stets so interpretieren, wie sie gemeint sind. In einem speziell vorliegenden Einzelfall – d.h. bei der Durchführung eines einzelnen Zufallsexperiments – besteht durchaus die Gefahr, der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines bestimmten Ereignisses allzu viel Bedeutung beizumessen und damit deren Aussagekraft weit zu überschätzen.
Der folgende Artikel setzt sich mit diesem Problemkreis auseinander. Dabei wurde die „Treffer-Wahrscheinlichkeit“ der Bernoullikette zur „Temperatur“ des idealen Gases in Beziehung gesetzt. Beide beschreiben in gegenseitig sich entsprechenden Formeln markante Mittelwerte und drängen sich dadurch förmlich zu einer analogen Betrachtung auf.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Gastheorie und Bernoulikette gehen sprachlich und inhaltlich völlig konform
3. Gastheorie und Bernoullikette trennen sich sprachlich – bleiben aber inhaltlich konform
4. Zusammenfassung
5. Verwendete Literatur und Anmerkungen
1. Einführung
Stellen wir uns folgende Situation vor:
Ein Arzt berichtet einem Patienten, dass der HIV-Test, der eine generelle Sicherheit von 99,9% verspricht, ein positives Ergebnis erbracht habe. Er führt weiter aus: die „Risikogruppe“, der er angehöre, bestünde aus 82 Mio. Deutschen, von denen zur Zeit (nach gesicherter Experten- schätzung) 50 Tsd. das Virus in sich tragen. Deshalb sei die Wahrscheinlichkeit nur 38%, dass er unter den vorliegenden Gegebenheiten (Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und positives Test- ergebnis) tatsächlich HIV-infiziert sei. 1*)
Nun, was kann der Patient mit dieser Information – auf seinen persönlichen Fall bezogen – eigentlich anfangen? Oder allgemein gefragt:
Welche Aussagekraft hat das Wahrscheinlichkeitsmaß eines Ereignisses in einem speziell vorliegenden Einzelfall?
Um darauf eine Antwort zu finden, wollen wir die Bernoullikette betrachten, da man bei ihr am eindrucksvollsten die Veränderungen wesentlicher Größen beim Übergang von der Vielzahl zum Einzelfall sehr deutlich demonstrieren kann. Ferner wollen wir eine Analogie zwischen der Temperatur eines idealen, einatomigen Gases aus dem Bereich der Statistischen Physik (einerseits) und der Trefferwahrscheinlichkeit in einer Bernoullikette (andererseits) aufzeigen. Diese Betrachtung zeigt deutlich, dass einem Ereignis zwar – per definitionem – eine Wahr- scheinlichkeit zugeordnet wird, dass diesem Zahlenwert aber, in einem speziell vorliegenden Einzelfall, herausgelöst aus der Vielzahl gleichartiger Versuchsdurchführungen, bezüglich seines Eintretens bzw. Nichteintretens eine sehr geringe Aussagekraft zukommt. Zu diesem Ergebnis gelangt man natürlich auch aus rein mathematischer Sicht – ohne Umweg über die physikalische Gedankenwelt. Doch bietet der hier aufgezeigte Weg den Vorteil, dass die entscheidende Schlussfolgerung von der physikalischen Sprache und Denkweise gestützt wird; zumal die physikalische Ausdrucksweise in diesem Punkt konsequenter und verständlicher als die mathematische ist und mit der Alltagssprache besser harmoniert als die Sprache der Mathematik.
In der linken Spalte betrachten wir jeweils die Beschreibung der Gastheorie und in der rechten die analoge Situation der Bernoullikette. Die mit den Zeichen § bzw. ª versehenen (parallel geführten) Abschnitte zeigen die sich entsprechenden mathematischen Ansätze auf, während die mit einem Punkt · eingeleiteten (ebenfalls nebeneinander gestellten) Sätze den einzelnen analo- gen Deutungen nachgehen.
Zusammengefasste Gegenüberstellung der verwendeten analogen Begriffe:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Gastheorie und Bernoullikette gehen sprachlich und inhaltlich völlig konform
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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