Die nachfolgenden Ausführungen sind die erste zusammenfassende Skizze über die Ereignisse vor , am und nach dem 17. Juni im damaligen Kreis Perleberg, der zum Bezirk Schwerin gehörte. Es gibt, was unsere Gegend anbelangt kaum Hinweise auf die Ereignisse.
Die dargelegten Fakten beruhen auf Akten des Landeshauptarchivs Schwerin. Es sind hauptsächlich die Berichte der Kreisleitung der SED Perleberg an die Bezirksleitung der SED Schwerin und die Berichte der Volkspolizei des Kreises an die vorgesetzte Behörde aus den Tagen um den 17. Juni.
Im Stadtarchiv Wittenberge sind keine Quellen vorhanden. ebenso im Kreisarchiv. Die Tagespresse ist kaum von den Ereignissen berührt. Befragte Zeitzeugen können über den 17. Juni kaum von irgendwelchen Geschehnissen berichten. In Erinnerung blieb meist der Ausnahmezustand
Der Bezirk Schwerin wie auch der Kreis Perleberg war relativ ruhig. Außer von einzelnen kleineren Geschehnissen gab es am 17. Juni und danach keine Vorkommnisse.
Die schriftlichen Quellen geben aber trotzdem Auskunft über manche Diskussion in den Betrieben und auf den Dörfern, über die Stimmung unter der Bevölkerung. Sie zeigen, welche Fragen und Probleme damals die Menschen besonders bewegten.
Die Ausführungen sollen keine Geschichte des 17. Juni sein. Es wird nur auf einige historische Momente hingewiesen.
Das gesamte Thema bedarf einer weiteren Bearbeitung. Der Autor würde sich freuen, wenn weitere Quellen erschlossen würden.
Die nachfolgenden Ausführungen sind die erste zusammenfassende Skizze über die Ereignisse vor , am und nach dem 17. Juni im damaligen Kreis Perleberg, der zum Bezirk Schwerin gehörte. Es gibt, was unsere Gegend anbelangt kaum Hinweise auf die Ereignisse.
Die dargelegten Fakten beruhen auf Akten des Landeshauptarchivs Schwerin. Es sind hauptsächlich die Berichte der Kreisleitung der SED Perleberg an die Bezirksleitung der SED Schwerin und die Berichte der Volkspolizei des Kreises an die vorgesetzte Behörde aus den Tagen um den 17. Juni.
Im Stadtarchiv Wittenberge sind keine Quellen vorhanden. ebenso im Kreisarchiv. Die Tagespresse ist kaum von den Ereignissen berührt. Befragte Zeitzeugen können über den 17. Juni kaum von irgendwelchen Geschehnissen berichten. In Erinnerung blieb meist der Ausnahmezustand
Der Bezirk Schwerin wie auch der Kreis Perleberg war relativ ruhig. Außer von einzelnen kleineren Geschehnissen gab es am 17. Juni und danach keine Vorkommnisse.
Die schriftlichen Quellen geben aber trotzdem Auskunft über manche Diskussion in den Betrieben und auf den Dörfern, über die Stimmung unter der Bevölkerung. Sie zeigen, welche Fragen und Probleme damals die Menschen besonders bewegten.
Die Ausführungen sollen keine Geschichte des 17. Juni sein. Es wird nur auf einige historische Momente hingewiesen.
Das gesamte Thema bedarf einer weiteren Bearbeitung. Der Autor würde sich freuen, wenn weitere Quellen erschlossen würden.
Noch eine persönliche Bemerkung.
Der Autor war selbst Zeitzeuge der Ereignisse. Er erlebte den 17. Juni in einer thüringischen Industriestadt. Er hat als junger Student die Abläufe damals anders erlebt und eingeschätzt als das heute in der Rücksicht der Fall ist. Was nicht bedeutet, dass die damalige Sicht ein völliger Irrglaube gewesen ist. Es geht aber nicht um subjektive Wertungen und Wahrheiten, sondern um reale Fakten, was immer sie auch aussagen.
Das ist in unserem Gebiet in aller Kürze versucht worden.
Auf Literaturhinweise wurde verzichtet. Die Zahl der Schriften wird immer gewaltiger. In diesem Jahr werden eine Fülle von Veröffentlichungen, Veranstaltungen und Gedenkfeiern abgehalten werden. Sie sind, wie bereits erkennbar, teilweise einseitigen Betrachtungen unterworfen.
Unter dem Motto: Sine ira et studio ist versucht worden, ein objektives bild der Ereignisse zu bieten.
„50 Jahre sind seit dem 17. Juni 1953 fast vergangen, aber das Gestrüpp der Legenden hat bereits alles überwachsen und nahezu unkenntlich gemacht.
Die Legenden sind widersprüchlich. Es gibt „Westvarianten“ und die bis zum Zusammenbruch der DDR im Osten dominierende „Ostvariante“.
So schrieb der Literaturwissenschaftler Hans Meyer 1991 über den 17. Juni.[1]
Für die DDR war der 17. Juni ein faschistischer Putsch, der wesentlich von außen inszeniert worden sei. Im Westen war er ein Volksaufstand gegen den Kommunismus und für eine kapitalistische Vereinigung. Deshalb auch bald Feiertag.
Beide Auffassungen werden wahrscheinlich der Kompliziertheit der Geschichte nicht gerecht.
Die Ereignisse selbst verliefen in den verschiedenen Landesteilen der DDR sehr unterschiedlich, wobei Berlin als Auslöser und wegen seiner besonderen Situation als geteilte Stadt eine Sonderrolle spielte. Manchmal wird das, was in Berlin geschah für das ganze Land verallgemeinert, was sicherlich unzulässig ist.
An diese Ereignisse heranzugehen, heißt immer sie im Kontext mit der damaligen Zeit, d.h. den politischen, sozialen und ideologischen Kräften zu sehen und nicht vom heutigen Erkenntnisstand auszugehen.
Die 50er Jahre waren in ihrem Beginn ein Höhepunkt des kalten Krieges, der in Korea 1950 in einen heißen Krieg überging.
Es war ein Krieg, der zu jeder Zeit in eine weltumfassende Auseinandersetzung hätte führen können und das bei einem Besitz von Atomwaffen bei den damaligen Supermächten.
Dass diese Kernwaffen eingesetzt worden wären, ist sowohl von den USA als auch von der UdSSR einberechnet worden.
Die beiden deutschen Staaten waren an ihre jeweiligen Siegermächte gebunden. Die Bundesrepublik fühlte sich bedroht, wollte die EVG, eine eigenen Armee und eine Beseitigung der DDR.
Dazu wurde im März 1952 der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands gebildet mit dem Ziel, detaillierte Pläne auszuarbeiten.
Die UdSSR und besonders auch Stalin sahen sich ihrerseits bedroht, zumal sie erst einen barbarischen Überfall erlebt hatten, und forderten eine militärische Aufrüstung.
Davon war auch die DDR betroffen, nachdem Vorstellungen von einem wiedervereinigten neutralen Deutschland sich nicht realisierten.
Als vom 29. März 1952 bis 10. März 1952 Pieck, Grotewohl und Ulbricht bei Stalin zu Gesprächen waren, spielten militärische Fragen eine wichtige Rolle.
Das führte in der Folge zur Verschärfung des Grenzregimes zur BRD, zur verstärkten Werbung für die Volkspolizei und zu weiteren Maßnahmen.
Als einschneidend wurde die 2. Parteikonferenz im Juli 1952. Sie beschloss nicht nur überraschend den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR, sondern in ihrem Gefolge eine Reihe weiterer Maßnahmen.
So am 1. Juli 1952 den Aufbau der Kasernierten Volkspolizei für die von Mitte 1952 bis Mitte 1953 2 Milliarden Mark ausgegeben werden mussten. Dazu kam als wehrvorbereitende Organisation die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) und die aber bald wieder aufgelöste Arbeitsorganisation „Dienst für Deutschland“. Beide verschlangen etwa 120 Millionen DM. Diese Kosten konnten nur durch Einsparungen im sozialen Bereich, durch Steuer- und Preiserhöhungen und Konsumreduzierung erreicht werden. Der forcierte Aufbau der Schwerindustrie führte zu Vernachlässigung anderer Bereiche der Gesellschaft.
Besonders im Jahre 1953 wurden drastische Einsparungsmaßnahmen beschlossen.
So der Wegfall der Erschwerniszuschläge für Schwerstarbeit, die Streichung der Haushaltstage für alleinstehende berufstätige Frauen, Abschaffung der Fahrpreisermäßigungen für Arbeiterrückfahrkarten u. a..
Die Lebensmittelimporte wurden eingeschränkt, die ohnehin auf Kartenbasis bzw. hohen HO Preisen basierende Ernährung verschlechterte sich. Frisches Obst und Gemüse gab es nur noch für Diabetiker und Kinder.
Zusatzlebensmittelkarten für Intelligenz und andere Gruppen fielen weg.[2] Handwerker, Gewerbetreibende u.a. bekamen keine Lebensmittelkarten mehr, aber Steuererhöhungen.. Die Sozialversicherung brachte einschneidende Maßnahmen. Für Kuren z. B. musste der Urlaub genommen werden. Und schließlich wurden auf der 13. Tagung des ZK der SED vom 12. – 15. Mai 1953 die Arbeitsnormen administrativ um mindestens 10 % erhöht.
Mit harten Strafen ging man gegen Wirtschaftsvergehen vor. Dazu gehörten z. B. Nichterfüllung des Ablieferungssolls, Schwarzschlachten oder Holzbezug ohne Bezugsschein.
So berichtete am 6. Mai 1953 die SVZ, dass der in Bad Wilsnack tätige Fleischermeister F. 3 Jahre Zuchthaus wegen Wirtschaftverbrechen erhielt..
Im selben Monat wurden die Großbauern B. aus Dallmin und W. aus Mankmus zu 10 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt wegen Sabotierung der Versorgung.
Am 2. Juni wurde berichtet, dass der „Eisenbahnräuber“ Hermann D. zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.
Bei Elektromeister Sch. In Perleberg wurde wegen 14000 DM Steuerschulden das bewegliche Vermögen gepfändet, ebenso beim Tischlermeister S. in Bad Wilsnack. Bei einigen Bauern wurde das Bankkonto gesperrt. Betroffen war auch Kinobesitzer F. in Wittenberge.
Größere säumige Steuersünder wurden auf Plakaten veröffentlicht bzw. in der Presse.
Auf dem Dorfe konzentrierte man sich auf Großbauern, die als Gegner betrachtet wurden und die ja auch nicht Mitglieder der Genossenschaften werden durften.
Am 3. Juni erschien ein polemischer Artikel über Berge unter der Überschrift:
„Wenn ein Großbauer Bürgermeister ist“
In den Dörfern, in denen noch Großbauern als Bürgermeister tätig waren, betrieb man ihren Abgang. So in Zwischendeich, Lütkenwisch, Müggendorf, Hinzdorf, Groß Gottschow u.a.
Der Bauern H., der trotz eines Besitzes von 35,49 ha Land in Groß Gottschow als Bürgermeister arbeitete und dem eine vorbildliche Tätigkeit bescheinigt wurde, verlor sein Amt.
In Hinzdorf wurde der Bürgermeister, auch Mitglied der SED mit einer Strafanzeige belegt, weil er anderen Großbauern Schlachtscheine ausgestellt haben soll.[1]
Am 31. März informierte der Sekretär der Schulparteiorganisation der Wittenberger Oberschule vom Auftauchen „feindlicher Argumente“.
Dazu gehörten:
Erhöhung der Margarinepreise
Erhöhung der Preise für Perlonstrümpfe
Erhöhung der SVK Abgaben auf 14 % von einem Bruttogehalt von 480 DM aufwärts.
Man bat umgehend um Argumentationsgrundlagen, mit denen die Gerüchte entkräftet werden könnten.[2]
Die Republikflucht nahm zu. Es waren vor allem Bauern, Handwerker und Ladenbesitzer, die das Land verließen.
Im 1. Quartal des Jahres 1953 waren es in der DDR etwa 150000.
In privaten Diskussionen wurde die Ankündigung Walter Ulbrichts, dass es Ziel sei, in wenigen Jahren einen Lebensstandart wie noch nie in Deutschland zu erreichen, mit der Ankündigung Hitlers verglichen. „Gebt mir 4 Jahre Zeit und ihr werdet Deutschland nicht wieder erkennen.“
Oft wurde auch darauf hingewiesen, dass viel von Preiserhöhungen in Westdeutschland die Rede sei, nun aber so etwas auch in der DDR geschah. Am 6. 3 1953 meldete die VP an ihre Bezirksbehörde, dass im RAW der Arbeiter Franz Schmidt aus der Kesselschmiede geäußert haben soll:
Die Regierung der Kommunisten in der SU sei genauso wie es bei Hitler war.
„ er habe seine Erlebnisse in der Gefangenschaft geschildert, dass es ihm schlecht ergangen sei und viele Kameraden verhungert seien“.
Sein Fall wurde vom MfS weiter bearbeitet.[1]
Natürlich spielte auch faschistisches Gedankengut eine Rolle und stachelte manche zu Handlungen an.
Am 1. Mai wurden z.B. in Wittenberge gegen Abend 220 Hakenkreuze in der Größe 7,5 x 7,5 gefunden.[2] Auch in den Tagen nach dem 17. Juni gab es solche Erscheinungen, die dann der Losung vom faschistischen Putsch Nahrung gab. Es waren aber keine Massenerscheinungen. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass erst 8 Jahre vergangen waren nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Nazistisches Gedankengut war besonders auch in der Jugend noch lebendig.
Der Tod von Stalin im März 1953 war ein die Politik sehr beeinflussendes Ereignis.
Viele Menschen waren ernsthaft erschüttert und Trauerbekundungen in aller Welt waren ehrlich. Viele stellten auch die Frage , wie es weiter geht in der Entwicklung der Sowjetunion und damit auch der anderen sozialistischen Länder.
Natürlich gab es auch Hoffnungen auf Veränderungen. Und nicht nur für den Sozialismus im positiven Sinn.
So äußerten sich in der Zellwolle in Wittenberge einige Kollegen:
Naja, jetzt kommt der Umschwung und jetzt werden wir euch aufhängen.
In der Textima soll ein Kollege Barforth geäußert haben, er weine Stalin keine Träne nach.
Öffentlich wurden aber solche Meinungen nur selten geäußert.
Zu den ideologischen Auseinandersetzungen gehörte das Vorgehen gegen die Junge Gemeinde.
Am 9. 6. veröffentlichte die SVZ einen Artikel mit der Überschrift:
„Die Bevölkerung fordert Schluss mit den Agentenorganisationen.“
Gemeint war die Junge Gemeinde, die auf Schloß Mansfeld angeblich eine Agentenzentrale unterhielt.
Im Monatsbericht der VP vom 29. Januar 1953 wurde von der gelungenen Eindämmung der Jungen Gemeinde gesprochen.
Darüber berichtete auch im Januar 1953 das Sekretariat der Kreisleitung an die Bezirksleitung. Auch hier hieß es „ dass der Einfluss der JG eingedämmt sei, aber dass die Anhänger doch noch stark an den Oberschulen in Wittenberge und Perleberg vertreten waren.. Auch im Krankenhaus“.
Obwohl andererseits im Krankenhaus die Interne Station IV am 1. Mai 1949 bereits den Ehrennamen FDJ Station als erste Krankenstation im Bezirk Schwerin erhalten hatte. erhalten hatte ,
In Abbendorf gab es 20 Mitglieder der FDJ. Bis auf den Vorsitzenden waren alle anderen Anhänger der Jungen Gemeinde.
Am 9. Juni 1953 beschloss das ZK der SED Korrekturen an der Wirtschafts- und Sozialpolitik, den sogenannten „Neuen Kurs“, nachdem die Partei von Moskau für die Ergebnisse ihrer Politik zurückgerufen wurde.
In einer TASS Meldung vom 11. Juni hieß es.
„Die Interessen solcher Bevölkerungsteile, wie der Einzelbauern, der Einzelhändler, der Handwerker, der Intelligenz wurden vernachlässigt.“
So konnten enteignete Bauern ihre Betriebe wieder erhalten. Der Bauer Sch. aus Düpow erklärte, er wolle seinen Sohn wieder aus Westdeutschland zurückholen, damit er seinen Betrieb wieder übernehmen kann.
Republikflüchtige Unternehmer und Landwirte wurden aufgerufen, zurück in die DDR zu kommen. Bei den Unternehmern zeigt sich eine zufriedenere Stimmung, da ihnen wieder Lebensmittelkarten und Materiallieferungen zugesichert wurden. Ein Handwerker aus Groß Warnow begrüßte die Maßnahmen. Er sei, so erklärte er, bereit mitzuarbeiten bei der Erhaltung des Friedens, da er schon einen Sohn im Krieg verloren habe.[1]
Auf manchen Dörfern sollen Großbauern Trinkgelage veranstaltet haben.
In der Woche vom 9. bis 18. Juni traten im Kreis Perleberg keine Republikfluchten mehr auf. Erst danach begannen sie wieder.
Für die Arbeiter, bei denen es vor allem um die Normerhöhung ging, die beibehalten blieben und am 15. Juni ausdrücklich bestätigt wurden, wurde relativ wenig spürbar. Ja bei ihnen wurde das Unverständnis noch größer, da die Maßnahmen der Regierung die „Besserstehenden“ betraf und nicht in erster Linie sie.
Die Warenknappheit, der Schwund der Kaufkraft, der Lohnraub durch Normerhöhung, die Verteuerungen senkten den Lebensstandart und führten zu Verärgerung und Verbitterung.
So blieb insgesamt eine zweifelnde und abwartenden Stimmung.
Selbst innerhalb der SED gab es dazu eine Verunsicherung, da von den Funktionären Maßnahmen jetzt begründet werden mussten, für die es vor dem „Neuen Kurs“ eine ganz andere Interpretation gab.
Über all diese Maßnahmen und die sich daraus ergebenden Stimmungen brachte die Presse des Kreises, also die „Schweriner Volkszeitung“, kaum entsprechende Nachrichten.
Erst am 12. Juni beschloss das Sekretariat der Bezirksleitung, sofort offensive Aufklärung unter der Bevölkerung zu entfalten und zwar , wie es hieß, unter allen Teilen.
Dazu sollten Agitatorenkollektive gebildet werden, die die Politik der Partei im Zusammenhang mit dem Kommunique vom 9. Juni erläutern sollten.
Über das, was am 17. Juni in Berlin und in der Republik sich ereignet wurde in der Presse des Bezirkes nichts erwähnt.
Auch am 18. Juni wurde nichts über die Ereignisse gebracht Es wurde lediglich ein Bericht veröffentlicht über die Berliner Kundgebung mit Otto Grotewohl und in einer Sonderausgabe wurde ein Mitteilung der Regierung über den Zusammenbruch „des von ausländischen Agenten angezettelten faschistischen Abenteuers in Berlin“ veröffentlicht. Grotewohl hatte die Unruhen sofort als „ Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen “ bezeichnet.
Stellt man die Frage, wie weit all die oben erwähnten Probleme und die Stimmungen in der Bevölkerung bei den führenden Mitgliedern der Kreisleitung der SED Perleberg eine Rolle gespielt haben, so zeigt eine Durchsicht der Protokolle der Sekretariatssitzungen der Kreisleitung Perleberg keine Anhaltspunkte.
Dafür einige Beispiele.
Am 9.Juni z. B. war das Hauptthema der vorgesehene Umtausch der Mitgliedsbücher der FDJ, wobei es vorrangig um organisatorische Fragen ging.
Sechs Seiten umfasste die Festlegung, des Rates des Kreises, die getroffen wurde, um am 15. Juni in Wittenberge den ersten Bauernmarkt durchzuführen. Und eine Anlage.[1]
Man beschäftigte sich allen Ernstes mit Details des Verkaufs von Waren. So z. B., dass 20 große Töpfe, sowie Äxte und Beile, 1o Emailleeimer, 125 Kochtöpfe mit Deckel, 15 Wäscheleinen, 5 Siebe, 10 Wasserkanister u.s.w. verkauft werden können. Ein Stand mit Bohnenkaffee ,einer mit Bockwurst, einer mit belegten Brötchen sollte aufgestellt werden.
Über die Stimmung in Wittenberge gab es Anfang des Jahres einige Aussagen im Entschließungsentwurf der Stadtparteiaktivtagung der SED vom 29. Januar 1953.
Es gebe einige Erfolge bei der Hebung des Bewusstseins, aber das politische Bewusstsein halte nicht Schritt mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. So bestünden bei einer Reihe von Genossen Unklarheiten in der Bündnisfrage zur Intelligenz..
Bei der Bevölkerung herrsche immer wieder eine Verkennung der Bedeutung der Sowjetunion im Friedenskampf vor. Man müsse den Kampf gegen den Objektivismus, Sozialdemokratismus und gegen das Sektierertum führen.
In Wittenberge war das Warenangebot und die Versorgung besonders schlecht. Es gab stets einen Mangel an Versorgungsgütern. Da aus den umliegenden Orten täglich sehr viele Bürger nach Wittenberge kamen, war die Stadt ständig ausverkauft. Auch die HO Läden. Mangel an solchen Artikeln wie Kartoffeln oder Margarine war immer spürbar.
Bei der Einverleibung des Kreises Perleberg in den Bezirk Schwerin soll für Wittenberge viel versprochen worden sein, aber es wurde nicht viel gehalten. Vorgesehene und versprochene Projekte wie Neubau von Kulturhaus. Kinderkrippe und Kindergarten wurden immer wieder verschoben..
In Wittenberge, das einen industriellen Schwerpunkt des Bezirkes Schwerin bildete war am 17. Juni kaum etwas von den Ereignissen in Berlin zu spüren. Das trifft übrigens auch für den ganzen Kreis Perleberg zu.
So erfuhr man z. B. in den Ölwerken durch Funktionäre der Kreisleitung am Nachmittag, dass in Berlin demonstriert werde. Das wurde nicht weiter kommentiert, sodass die verantwortlichen Funktionäre des Betriebes nach Hause gingen und erst am späten Abend zurückgerufen wurden.
Befragte Zeitzeugen können sich an keine besonderen Ereignisse erinnern. Lediglich der dann einsetzende Ausnahmezustand und die Anwesenheit sowjetischer Truppen in Wittenberge ist in der Erinnerung geblieben. Der Ausnahmezustand führte z. B. in der Zellwolle zu einer Veränderung der Arbeitszeit. Dabei fielen Überstunden an, die bezahlt werden mussten. Die Betriebsleitung der Zellwolle verbesserte die Verpflegung in der Nacht. So wurde die beste Köchin für die Dauer des Ausnahmezustandes für die Nachtschicht eingesetzt. Es wurde angeregt, ein Schwein aus der betriebseigenen Schweinemästerei zu schlachten und aus dem Direktorenfond zu bezahlen.[1]
Es sollen Ansätze zur Arbeitsniederlegung vorhanden gewesen sein, im RAW soll es sogar zur Bildung eines Streikkomitees gekommen sein, exakte Fakten sind aber darüber nicht nachweisbar. Mögliche Organisatoren sind nicht gefunden worden. Auch die Meldungen der VP und die Berichte der Kreisleitung an die Bezirksleitung geben darüber keine Auskunft. Seitens der VP war die Stadt Wittenberge Schwerpunkt des Kreises und man konzentrierte in der Folgezeit dort die Hauptkräfte. Es waren insgesamt 31 VP Angehörige.
In der Volkspolizei ging es am 17. Juni teilweise drunter und drüber. Die verschiedensten Stellen erließen Befehle, ohne dass der eine von dem anderen wusste Der Ernst der Situation und die kritische Lage wurde, so wurde am 23. Juni in einen Bericht an die Bezirksbehörde eingeschätzt, noch nicht erkannt.[2]
Für alle VP Angehörigen wurde Kasernierung angeordnet. In eine Anordnung der Chefs der Bezirksbehörde der VP hieß es.
„Es ist besonders darauf zu achten, dass die eingesetzten Volkspolizisten diszipliniert, höflich und korrekt den Bürgern gegenüber verhalten“[1]
In den Zellstoffwerken wollten sich 4 Arbeiter einer Berliner Baufirma mit ihren Kollegen aus der Hauptstadt solidarisieren. Eine Ausweitung konnte aber durch individuelle Agitation und durch Gespräche verhindert werden.
Um 16 Uhr organisierte die Kreisleitung der SED im Betrieb eine Versammlung der Genossen Agitatoren, Meister und Abteilungsleiter, sowie der Abteilungsgewerkschaftssekretäre. Um die Stimmung bei Schichtwechsel zu erkunden, wurde von der Partei für die Schichten ein verantwortlicher Genosse eingesetzt. Man stellte bei Schichtwechsel um 22 Uhr 30 fest, dass es keine Arbeitsniederlegungen gegeben habe.[2]
Am 18.6. , morgens gegen 2 Uhr 15 wurden alle Meister und Brigadiere, sowie die zuverlässigsten Genossen zusammengefasst und weitere Maßnahmen festgelegt.. so sollten z. B. die Kollegen aus Perleberg mit einem Wagen abgeholt werden. Um 7 Uhr 30 sollte eine weitere Versammlung stattfinden.
Die Nachtversammlung brachte aus den Abteilungen Zellwolle, Viskosekeller, Mischerraum und Spinnsaal aber eine Reihe von Problemen zu Tage.
Dem Bericht der Kreisleitung zufolge forderten die Arbeiter mehr Lebensmittel, besonders Butter, Schmalz und Fett. Die Arbeiter des Viskosekellers sprachen davon ,dass die Normen von Packpressen administrativ angeordnet seien und sie nur mit einer geringen Normerhöhung einverstanden seien. Die Waschmaschinenfahrer im Viskosekeller stellten die Frage, warum ein großer Unterschied zwischen dem Lohn der Waschmaschinenfahrer und der Filterpressenpacker vorhanden sei.
Im Mischerraum der Abt. Zellwolle wurde erregt über die Gesundheitszulage diskutiert. Man forderte statt der bestehenden 10 % mindestens 15 %. Besonders der Kollege Pieth vertrat den Standpunkt der Kollegen.
Im Spinnsaal ging es um Fragen der Bekleidung, der Umkleideschränke, um die Versorgung mit Vollmilch statt Magermilch, um Lohnfragen und um die Zuteilung der Lebensmittelkarte A. Auch die Be-und Entlüftung wurde heftig kritisiert. Als besonders aktiv in der Diskussion trat der Genosse Heinz Seyer auf. Er drohte mit anderen Maßnahmen , wenn die Forderungen nicht erfüllt würden.[3]
Offiziell wurde auch später immer wieder in der Presse , als auch in internen Einschätzungen verkündet und vermerkt, dass die Arbeit in den Betrieben der Städte, als auch auf dem Lande planmäßig verlaufen sei, was wohl auch den Tatsachen entsprach.
Die Ölwerke sollen am 17. Juni den Tagesplan mit 114 %, Die Nähmaschinenwerke mit 130 % und die Zellwolle mit 103 % erfüllt haben.
Allerdings wurden den Genossen Giese und Muchow von den Ölwerken vorgeworfen, sie seien selbstzufrieden gewesen, da sie am Abend des 17. Juni, wie bereits erwähnt, nach Hause gingen und sich schlafen legten.. Erst durch lange Diskussionen seitens der Kreisleitung hätten sie überzeugt werden können, dass der Parteisekretär und der Betriebsleiter sich ständig bei den Kollegen aufhalten müssten.[1]
Im Bericht des Sekretariats der Kreisleitung an die Bezirksleitung wurde hervorgehoben, dass besonders die technische Intelligenz der Zellwolle, z.B.. Dr. Jäger, Kuboth und Runger ständig im Betrieb waren und die Produktion überwachten.
Auch im RAW soll alles ruhig gewesen sein. Nur in der Nachtschicht soll in der Schmiede die Äußerung gefallen sein:
„Bei Generalstreik wird man den Genossen Witt im Schmiedeofen verfeuern.“ Es kam aber zu keiner Demonstration oder Streik.[2] Der Plan für den Monat Juni wurde mit 185 erfüllt. Lediglich am 18.6. kam es zu kleineren Agitationsgruppen.
Im Bezirk Schwerin insgesamt war es ruhig. Allerdings kam es am 16. Juni bereits zu einer Demonstration mit Arbeitsniederlegungen in der Möbelfabrik in Güstrow. 700 Streikende waren es , die aber nach 2 Stunden die Arbeit wieder aufnahmen. Ansonsten fanden keine Streiks und Arbeitsniederlegungen statt. Es gab eine Festnahme. Von der Schusswaffe wurde kein Gebrauch gemacht.
Von Schwerin war der Ausnahmezustand ausgerufen worden. Der sowjetische Militärkommandant hatte für den ganzen Bezirk ab 17. 6. 21 Uhr alle Versammlungen, Meetings und Demonstrationen verboten. Von 21 Uhr bis 5 Uhr früh hatte jeder Autoverkehr zu ruhen. Alle Ansammlungen über drei Personen waren verboten. Zur Sicherung wurde die Sowjetarmee eingesetzt.[3]
So auch in Wittenberge, wo wahrscheinlich Truppen aus der Perleberger Garnison eingesetzt wurden.
Zeitzeugen erinnern sich daran, dass z. B. durch das Militär bestimmte Teile der Stadt, es handelte sich wohl um die Industriegebiete, nicht betreten werden durften. Für das Nähmaschinenwerk wurden erhöhte Sicherungsmaßnahmen eingeleitet und auch das MfS einbezogen.[1]
Die Einmischung der Sowjetarmee spielte in vielen Diskussionen eine Rolle und wurde vielfach abgelehnt. So äußerte sich ein Arbeiter aus dem Kesselhaus in der Zellwolle:
„ Warum mischte sich die Sowjetmacht ein? Das wäre doch alles Sache der Volkspolizei gewesen.“
Ein anderer hatte kritisiert, dass die sowjetische Militärkommandantur sich in Berlin eingeschaltet hatte. Im Nähmaschinenwerk sagte ein SED Mitglied, dass er die Maßnahmen der Besatzungsmacht in Berlin noch verstehen könne, aber dass sie hierher kommen mit Stahlhelm und in voller militärischer Ausrüstung, sei ihm unverständlich
In der Besprechung in der Zellwolle am 18.6 wurde darauf folgendes geantwortet: “Die SU sei Initiator der Friedensbewegung.“
Flugblätter spielten an einigen Stellen ein Rolle.
In Perleberg wurde ein Flugblatt , geschrieben mit Schreibmaschine auf einfachen Papier mit der Überschrift:
Deutsche – Unterdrückte der Ostzone
gefunden.[2]
Ein Flugblatt wurde auch in Grube, 2 in Wittenberge gefunden. In Reetz waren es 153 und in Rüterberg bei Dömitz 2000. Man vermutete Abwurf durch Flugzeuge.[3]
In der Toilette der MTS Glöwen wurden 6 Broschüren gefunden, die folgenden Titel trugen:
1.Wir Arbeiter werden siegen und die Russen jagen
2.Alle gemeinsam gegen die Russen
3.Wir wollen Deutschland wie früher ( mit Hakenkreuz)
4.Rote Fahnen nicht mehr auf dem Brandenburger Tor
5. Wir werden die Regierung stürzen
6.Weg mit der FDJ- streiken.
Der letzte Titel deutet darauf hin, dass es sich wohl um jugendliche Verfasser gehandelt hat.
Stärkere Unmutsbezeugungen traten in den folgenden Tagen auf.
Seit dem Abend des 18. Juni registrierte die Volkspolizei in ihrem Wochenbericht eine „fieberhafte Feindtätigkeit“. So trat das Gerücht im RAW auf, dass am 26. und 28. 6. „Blutnächte sein sollen.[1] Es ging der Hinweis bei der VP ein. Dass die Arbeiter des RAW am 23. 6. 1953 streiken wollten. Die Kreisleitung der SED schickte 50 „gute Genossen“ zur Ortsleitung, damit sie als Agitatoren eingesetzt werden konnten. Die Transportpolizei übernahm die Sicherung des Bahngeländes und am 19. 6. wurde gegen 23 Uhr die höchste Alarmstufe ausgerufen. Es blieb aber alles ruhig.
Die Kreisleitung der SED schrieb in ihrem Bericht an die Bezirksleitung vom 21.7.1953:
„ In diesen Tagen konnte immer wieder festgestellt werden, dass der Riashetze bei den Kollegen immer wieder Gehör geschenkt wurde.“
Eine Reihe Mitglieder der SED vermieden es , mit Parteiabzeichen aufzutreten. Sie erklärten, angeblich gebe es bei der Stadtleitung keine Abzeichen. Diskutiert wurde , besonders in der Malerei des Betriebes, das Eingreifen der sowjetischen Truppen und man weigerte sich vielfach Beiträge für die Gesellschaft für Deutsch Sowjetische Freundschaft zu zahlen. Ein FDJler, der mit dem Blauhemd zur Arbeit erschein, wurde daraufhin angesprochen.
Im Bericht hieß es.
„Zu bemerken ist, dass besonders unter den jüngeren Arbeitskollegen (im Alter von 25 bis 35 Jahren ) eine schlechte Stimmung zu bemerken war, die aber nicht offen zum Ausdruck kam. Man konnte dieses nur an den Gesichtern und den Antworten feststellen.“[2]
Der Versuch, von Kollegen Treueerklärungen zur Regierung zu erhalten, scheiterte. Man redete sich damit heraus, dass man ja arbeite und dadurch die Regierung unterstütze.
Zwei Heizer aus dem Kesselhaus nannten etwas später die Zerschlagung von HO Läden und Inbrandsetzung von Kiosken in Berlin und anderswo als eine große Schweinerei. Sollten solche Leute in den Betrieb kommen, dann „ hauen wir ihnen den Hintern voll“.
Einige Kollegen beschwerten sich, dass sie während des Ausnahmezustandes nicht zum Angeln über die Elbbrücke gelassen wurden. Sie hätten das Recht, nach 6 Tagen angespannter Arbeit, sich am Wasser zu entspannen.
Die Mehrzahl der Kollegen des Betriebes war abwartend. Es wurde eingeschätzt, dass „noch immer nicht bei allen Kollegen das Vertrauen zur Regierung wiedergewonnen wurde.“
In Perleberg erhielt ein Staatsanwalt anonyme Telefonanrufe, in denen gesagt wurde, bald marschiere die SA wieder und er stehe bereits auf der schwarzen Liste.
In Perleberg hatte ein Einwohner , es war der Vorsitzende des Stadtbezirkes der Nationalen Front ,Opelt ,an seinem Haus ein Transparent angebracht mit der Aufschrift:
„Die Einwohner dieses Hauses verpflichten sich, den Westsender Rias nicht abzuhören.“
Der Hausbesitzer erhielt in einem Briefumschlag die Antwort:
Opelt, wenn du Lump nicht das Transparent von deinem Hause entfernst, schlage ich Dir die Buntmetallsammlung um den Arsch. Du Bonze Du Strolch “.
Die Schrift des Briefes war verstellt., der Poststempel unleserlich. Es war lediglich zu erkennen, dass er am 17.6. abgeschickt war. Die Angelegenheit wurde dem MfS übergeben. Ergebnis ist nicht bekannt.
In Wittenberge versammelten sich am 18. Juni in der Bahnstraße ca. 200 Personen, die aber nach Aufforderung auseinander gingen.
An der Mauer der U-Haftanstalt des Wittenberger Amtsgerichtes war die Losung angemalt worden.
Spitzbart und Brille, ist nicht des Volkes Wille“.
Einer soll folgenden „Witz“ erzählt haben:
Was heißt Konsum? Keine Oder Neiße, sonst unser Memel.
Am 19. Juni gegen 20 Uhr 15 versammelten sich in der Bahnstraße 60 – 80 Jugendliche und veranstalteten ein Pfeifkonzert. Sie wurden durch Angehörige der VP und sowjetische Soldaten auseinandergetrieben.
Am gleichen Tag hatten sich an der Elbe eine Reihe von Wittenbergern eingefunden. Sie waren wohl einem Gerücht gefolgt, das in den Tagen nach dem 17. Juni die Runde machte. Es soll, so munkelte man, die Nachkriegsordnung wieder verändert werden. Die Amerikaner sollen wieder bis zur Elbe vorrücken wie im Mai 1945. Arbeiter aus Seehausen hätten erklärt, sie müssten dann zum letzten Mal in Wittenberge arbeiten.
Das Sekretariat der Kreisleitung rügte, dass diesem Gerücht nicht genügend entgegengetreten werde. So habe die Verantwortlichen des Nähmaschinenwerks durchgegeben
Im Betrieb nichts Neues, Lage ruhig
ohne auf dieses Ereignis einzugehen.
Auch ein anderes Gerücht ging um. Es sei, so hieß es, am 28. Juni ein neuer Aufstand geplant. In einigen Betrieben wurde darüber diskutiert, dass angeblich in Berlin und Leipzig wieder Demonstrationen durchgeführt wurden, zwecks Freilassung von Inhaftierten.
In Perleberg verbreitete ein Rentner die Auffassung, dass in der Regierung große Veränderungen vorgenommen würden. Der Präsident sei entlassen worden und mit Walter Ulbricht sei auch etwas nicht in Ordnung. Wilhelm Pieck wurde fortgejagt, weil er angeblich eine andere Politik wollte.[1] Es sei ein Minister mit der Leitung der Regierungsgeschäfte beauftragt worden. „ Die haben ein gewaltiges Loch zurück gesteckt.“[2]
In einer Diskussion zwischen 3 Männern und einer Frau wurde geäußert, dass man jetzt nicht mehr über den Generalkriegsvertrag Adenauers argumentieren könne, da man hier zuerst den Ausnahmezustand ausgerufen habe.[3]
In Perleberg diskutierten Frauen wie folgt:
Wenn ein kleiner Mann einen Fehler begeht, dann wird er mit Zuchthaus bestraft, jetzt aber hat unsere Regierung einen großen Fehler gemacht, warum wird Grotewohl, Ulbricht und wie sie alle heißen nicht auch bestraft. Hat es denn soweit kommen müssen, dass solche furchtbaren Dinge wie in Berlin passieren?
Ulbricht wurde völlig abgelehnt. Es wurden Neuwahlen gefordert. Adenauer sei in Berlin und verhandle schon darüber.
In der Landwirtschaftsbank Wittenberge wurde auf Anweisung des Leiters, eines Mitgliedes der CDU, die Bilder von Pieck, Ulbricht, Stalin und Minister Scholz abgehängt und erst nach einer Aussprache wieder an den alten Platz gebracht. Auch im RAW Perleberg wurden zwei Bilder von Grotewohl und Ulbricht abgehängt und auf den Tisch gelegt.
Auf einer Bahnfahrt vom Wittenberge nach Perleberg äußerte eine „Jugendfreundin“:
„ Endlich sind sich die Arbeiter einig, es war ja kein Leben mehr in der Republik. Heute lässt sich Walter Ulbricht bestimmt nicht mehr sehen, denn dann haute man ihm die Schnauze voll. Die Direktorin des Wasserstraßenamtes in Berlin ist auch in den Streik getreten. Nun wird es bald anders werden.
Das Sekretariat der Kreisleitung schätzte ein, dass vom größeren Teil der Bevölkerung die Ereignisse nicht richtig erkannt werden.
Die Argumentation, dass die Ereignisse in Berlin vom Westen organisiert seien, wurde nicht geteilt. Teilweise auch vom Mitgliedern der SED nicht.
Dr, Henneberg in Perleberg war der Auffassung, dass die Ereignisse in Berlin keine von westlichen Agenten angestiftete Provokation sei, sondern Auswirkungen von Unruhen unter der Bevölkerung.[1] Auch in der MTS Wolfshagen und in Düpow vertraten Genossen die Auffassung, dass die Ereignisse des 17. Juni auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung zurückzuführen sei.
Auch bei einer Reihe von Lehrern gab es Zurückhaltung.
Selbst bei einem Teil der leitenden Funktionäre wurde der Ernst der Lage völlig verkannt, d.h. sie wollten das Argument nicht wahrnehmen, dass der 17. Juni von den „westdeutschen Imperialisten“ organisiert worden sei.
Nach Meinung des Sekretariats waren manche Funktionäre kopflos.
Die Kreisleitung der FDJ beschäftigte sich z.B. ausschließlich mit dem Umtausch der FDJ Dokumente und wusste von dem, was am 17. Juni im Kreis passierte herzlich wenig.
In den Betrieben wurden in den Tagen nach dem 17. Juni eine Vielzahl von Forderungen gestellt. So z. B. eine 40%ige HO Preissenkung. Dieser und anderer Forderungen stimmten manche Funktionäre zu. In der Zellwolle, wo die Parteiorganisation vom Sekretär Brunzel geleitet wurde, wurde negativen Stimmungen nachgegeben und vor dem „Feind“ kapituliert. Der Feind wurde allerdings nirgendwo konkret benannt. Parteifunktionäre sollen durch langes Gerede über berechtigte Forderungen der Arbeiter versuchen, das Vertrauen der Kollegen erhalten. Die Parteifunktionäre im Nähmaschinenwerk und in den Ölwerken waren der Meinung, dass bei ihnen alles in Ordnung ist, sie seien gleichgültig und betrieben keine offensive Agitation. In der Poliklinik Perleberg trugen die Genossen keine Parteiabzeichen mehr und wollten auch keinen FDGB Beitrag mehr zahlen.
Auch der Lehrer F. aus Motrich nahm das Parteiabzeichen ab, weil er glaubte, als Genosse nicht mehr mit der Bevölkerung über den „Neuen Kurs“ sprechen zu können.
Etwas später wurde der Parteisekretär der Zellwolle des Kapitulantentum beschuldigt. Er hätte keine kämpferische Haltung und gäbe feindlichen Stimmungen nach. Er hatte geäußert, man solle ihn und die anderen Betriebe 14 Tage in Ruhe lassen, um arbeiten zu können. Wahrscheinlich waren ihm die ständigen Agitatoren und das Berichteschreiben auf die Nerven gegangen.
Der Politleiter der MTS Glöwen wollte angeblich die Freilassung eines „faschistischen Provokateurs“ erzwingen.
Der damalige Hausmeister der Wittenberger Poliklinik, Mitglied der SED, meinte, wenn die Partei auf die Massen gehört und Grotewohl und Ulbricht als Führer der Partei abgelehnt hätte, wäre die Partei gerettet gewesen. Er lehnte die Verteilung von Agitationsflugblättern ab, da er als Hausmeister mit der Sache nichts zu tun habe.
Neben der FDJ scheinen die Gewerkschaften nach Meinung des Sekretariats überhaupt versagt zu haben. Viele sahen in der Gewerkschaft nicht mehr ihre Interessenvertretung, da sie kaum auf die berechtigten Forderungen der Kollegen einging.
Es gab nach dem 17. Juni auch in den verschiedensten Betrieben Austritte aus der SED.
Im Nähmaschinenwerk erklärten zwei Mitglieder den Austritt aus der Partei. Der Arbeiter Wilhelm B. erklärte sich mit den Bauarbeitern in Berlin solidarisch und der Ingenieur Georg R.,Mitglied der Partei seit 1.5.1947, gab gesundheitliche Gründe an..
Der 39 jährige Ingenieur Arthur L.. seit 1946 in der SED, trat aus, weil er mit den Maßnahmen in bezug auf die Großbauern und den Großhandel nicht einverstanden sei und dass nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne.[1]
Ein Arbeiter aus der Gussabteilung des Nähmaschinenwerkes vertrat die Meinung, dass die Ostsender von den wenigsten gehört werden. Er meinte weiter, dass das, was diskutiert wird, sofort der Partei berichtet wird.
„Wenn wir einen mit dem Parteiabzeichen sehen, so haben wir schon Angst etwas zu sagen.“
Der Mitarbeiter der Bezirksleitung, der diesen Bericht las, vermerkte an den Rand „typisch“, was darauf hindeutet, dass diese Meinung keine Einzeläußerung gewesen ist.[2]
Die Kreisleitung der SED schätzt am 21. Juni ein, dass der Grund für die Stimmung im RAW in den meisten Fällen in der Parteileitung zu suchen ist. Sie bilde kein „kollektives Ganzes“ . Man war sich also nicht einig. . Man war sich also nicht einig. So lehnte es ein Arbeiter, der Genosse L. der Leitungsmitglied war ab, in seiner Freizeit zusätzlichen Dienst zu tun.[3]
Der 17 Juni hatte im Kreis Perleberg auch auf dem Lande eine geringe öffentlich sichtbare Resonanz.
In einer Anzahl von Dörfern hatten sich 1952 nach der 2. Parteikonferenz eine Reihe von LPG gebildet. Bis zum Februar 1953 hatten sich im Kreis 18 LPG en gebildet. Die SED war in 10 Genossenschaften mit einer Betriebsgruppe vertreten, d. h. mit mehr als 3 Mitgliedern. Dort , wo nur 2 Genossen existierten, sollte der Brigadier der zuständigen MTS Mitglied der Genossenschaft werden.
Auf den Gründungsversammlungen kam es zum Teil zu sehr interessanten Diskussionen. So in der Gemeinde Rohlsdorf. Am 27.1.1953, an der 37, wie es hieß „Kollegen Bauern“ teilnahmen, darunter auch Großbauern.[1]
So wurde die Frage aufgeworfen, warum nicht schon 1945 die Gründung der LPG vorgenommen wurde. Damals wäre es doch leichter gewesen als jetzt, wo man sich alles hart erarbeitet habe. Bei einem Zusammenschluss in der LPG müsse man wieder von vorn anfangen. Das Argument war weit verbreitet.
Es sei auch ein Fehler gewesen, dass man die Bauten der ehemaligen Güter habe abreißen lassen, heute könne man sie brauchen. Auch sei in der LPG kein 8 Stundentag möglich.
Ein 10 ha Bauer, der gleichzeitig noch als Handwerker tätig war erklärte.
„Heute ist der Zusammenschluss noch freiwillig, aber in ein paar Jahren wird es Zwang sein.“
Es wurde die Frage gestellt: Womit will die LPG ihre Mitglieder bezahlen, wenn einmal ein Dürrejahr ist und es keine Einnahmen gibt. Ein größerer Bauer machte sich Sorgen, dass die Großmaschinen nicht eingesetzt werden können, da auf der einen Seite Sandboden ist, wo die Maschinen große Spuren hinterlassen und auf der anderen Seite nasser Boden, wo die Maschinen ersaufen.[2]
Tumultartig verlief auch die Gründungsversammlung am 29.1.1953 in Nebelin. Die Gaststube war voll und als der Referent erschien ,waren schon viele angeheitert. Der Vertreter der Kreisleitung der SED wurde aufgefordert sich hinzusetzen, er habe sowieso nichts zu sagen. Als die Vorzüge moderner Technik gepriesen wurden, rief ein Bauer dazwischen: „ Das ist alles Schwindel und Quatsch, dass kann kein Mensch erfüllen.“ Zur Gründung einer LPG rief er :“ Bei uns nicht.“
Die Stimmung eskalierte, man sang alte Wehrmachtslieder, , einer stimmte sogar die Nazihymne „Die Fahne hoch“ an, was der Gastwirt sofort unterband. Es soll auch gerufen worden sein: Licht aus, Messer raus, schmeißt die Hunde zum Fenster raus.
Die ganze Angelegenheit führte dazu, dass die Sache dem MfS übergeben wurde und 4 Personen, darunter drei Bauern verhaftet wurde.[1] Allerdings verlief die Sache wegen Mangel an Beweisen im Sande.
Die Propagierung neuer Methoden, wie z. B. Rinderoffenställe, die zur Senkung der Milchleistungen führte stießen auf Ablehnung.[2]
Die Beispiele aus den Dörfern könnten beliebig fortgesetzt werden. die LPG Gründung führte zu heftigen politischen, zum Teil auch persönlichen Auseinandersetzungen auf dem Lande.
In Mellen soll ein betrunkenen Großbauer gesagt haben:
„Ihr von der LPG pflanzt nur, ernten tun wir und außerdem stehen für Euch LPG Bauern schon Knüppel bereit.“
Die alteingesessenen Bauern standen oft den Neubauern und Landarbeitern gegenüber. Letztere waren eher den Argumenten für die Genossenschaft zugänglich.
Auf den Dörfern war erst in den Tagen nach dem 17. Juni größere Reaktionen bemerkbar. Im Kreis wurde festgestellt, dass die Erfassung von Schweinefleisch, Milch und eiern zurückging, da mehr für den Eigenbedarf verwendet wurde. Die quartalsmäßige Ablieferung, die vorgeschrieben war, wurde in der Folgezeit oft nicht eingehalten. Die Bauern vertraten die Meinung, dass sie erst am Ende des Jahres den genauen Überblick über den Viehbestand haben.. Die VEAB hatte allerdings auch keinen Überblick über die Ablieferung der Gemeinden. Ungenügende Belieferung der Einzelbauern mit Kunstdünger und unberechtigter Wiesenumbruch führte zu Verärgerungen. Allgemein wurde eine Sollherabsetzung zugunsten der freien Wirtschaft gefordert.
Kritik wurde auch an der Arbeit des Konsums geübt.. So gab es in Berge keinen Kaffeeersatz, in Guhlsdorf und in Klein Gottschow keine Marmelade, keinen Kunsthonig und keinen HO Zucker.
Nach dem 17. Juni machten sich Auflösungserscheinungen in den Genossenschaften bemerkbar. In den LPG Schilde und Glöwen gab es Austrittserklärungen.
In Wolfshagen verließen 14, in Postlin 22, in Kletzke 6, in Birkholz 3, in Bendelin 3 und in Tacken 2 Mitglieder die Genossenschaft.
Die VP berichtete, dass in Groß Lüben 90 % der Bevölkerung die Regierung Grotewohl ablehnt. Auch die Gründung einer LPG wurde vollkommen abgelehnt. Eine Technisierung der Landwirtschaft würde begrüßt. Man wollte die freie Wirtschaft für den Bauern. Das Soll muss herabgesetzt werden. Aus dem Ort war 1953 der Großbauer W. nach Reetz ausgesiedelt worden. Er wollte nun seinen Hof wieder zurück. Der anwesende Vertreter des Rates des Kreises meinte dazu, er solle erst einmal das Geld zurückzahlen, dass bei seiner Abwesenheit in die Wirtschaft gesteckt worden sein. Das sei aber nutzlos, da ihm in zwei Jahren die Wirtschaft für immer fortgenommen würde. Die SED Kresileitung meinte, dass durch solche Reaktionen die negativen Stimmungen im Dorf nur verschlechtert würde.
Andere Großbauern des Ortes stellten den Antrag, wieder in die VdgB und BHG[1] aufgenommen zu werden. Gefordert wurde auch, einen Bauern, der zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war – er soll auf einer Versammlung das faschistische Englandlied gesungen haben – freizulassen. In Groß Lüben hatte die VdgB zu dieser Versammlung eingeladen. Die Bauern meinten, dass so harte Auseinandersetzungen vor drei Wochen nicht möglich gewesen wären. Da hätte immer jemand mitgeschrieben und am anderen Tag wäre die Polizei gekommen und hätte Verhaftungen vorgenommen.
In Groß Gottschow brachte eine Siedlerin ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass in Berlin die Arbeiter streiken. Ein SED Mitglied soll sogar zusammen mit Großbauern den Gemeinschaftsempfang vom RIAS durchgeführt haben.[2]
Ein Zeitzeuge erinnert sich an eine lebhafte Bauernversammlung in Blüthen. Es sei die härteste Versammlung seines Lebens gewesen. Über 100 Leute waren anwesend und es wurde die Forderung nach „freier Bauernwirtschaft“ geäußert.[3]
Immer wieder tauchte in den Diskussionen auf dem Lande das Problem der Ablieferung auf. Es wurde die Forderung nach Streichung des Ablieferungssolls erhoben und eine freie Marktwirtschaft für die Bauern.
Kritik wurde aber auch geübt an der Haltung zu den zurückgekehrten Republikflüchtigen. Sie würden besser behandelt und man verstehe nicht, warum denen das Soll gestundet würde und den anderen nicht.[4]
Die Kreisleitung schätzt die Situation insgesamt wie folgt ein:
„Zum Anfang zeigte sich, dass die Diskussionen richtig waren, aber täglich schlechter werden. Wenn zum Anfang Unklarheiten waren, dann kann man jetzt sagen, dass es feindliche Argumente sind. Unsere Politleiter berichten, dass die Arbeit in den Gemeinden sehr schwer geworden ist, sie werden meistens ausgelacht.“[5]
Am 19.Juni wurde in der SVZ ein Artikel von Bernhard Quandt veröffentlicht, der berichtete, dass im Bezirk in der Stadt Grabow Provokationen auftraten.
Am selben Tag wurden Namen von Personen aus Berlin veröffentlicht, darunter ein Willi Göttling aus Westberlin, der später erschossen wurde und dessen Namen in Berichten über Diskussionen eine Rolle spielte.
Stärker war der Einsatz der VP an den folgenden Tagen.
So wurden Beflaggungen, Kundgebungen, Läuten von Kirchenglocken, Sirenen und Pfeifen bis zum 23. Juni verboten.
Man wollte festgestellt haben, dass unter dem Deckmantel einer Trauerveranstaltung für das Ehepaar Rosenberg in den USA reaktionäre Elemente eine Beflaggung und eine Trauerkundgebung durchführten.[1]
Ansonsten schätzte am 23. Juni die VP die Stimmung wie folgt ein.
„ Die Stimmung der Bevölkerung im Bezirk Schwerin war im allgemeinen trotz Verhängung des Ausnahmezustandes gut. Kleinere negative Diskussionen sind auf die Leichtgläubigkeit verschiedener Personen aufgrund der Gerüchtmacher des Gegners zurückzuführen.“[2]
Als bewaffnete Macht war allerdings die Volkspolizei kaum einsatzfähig. Die Bewaffnung der Wittenberger Dienststelle bestand aus 7 Karabinern der Kategorie 1, davon waren zwei im Revier und 5 beim Betriebsschutz der Zellwolle. Die 29 Polizisten verfügten über 11 Pistolen mit 38 Schuss Munition.[3]
Äußerlich war die Situation normal. In einigen Gemeinden des Kreises, wie in Glöwen, Karstädt, Perleberg kam es zu Angsteinkäufen von Marmelade, Zucker und Zuckererzeugnissen.
In den folgenden Wochen und Monaten werden in den Quellen d.h. in den internen Materialien, die Probleme sichtbar, die unter der Bevölkerung weiter in den Diskussionen eine Rolle spielten.
Am 25. Juni lag dem Sekretariat der Kreisleitung eine Beschlussvorlage vor, in der es um Maßnahmen zur Behebung der Sorgen und Nöte der Bevölkerung im Kreis geht.
So herrschte im Bekleidungswerk Perleberg eine schlechte Stimmung unter den Frauen. Sie erhalten nur 6 – 8 DM Lohn pro Tag, obwohl sie alleinstehend sind und mitunter bis zu 6 Kinder versorgen müssen.
In der Wittenberger Korbwarenfabrik wurden zum Teil sehr große Missstände, besonders in sozialhygienischer Hinsicht festgestellt..
Das Thema Normerhöhung war nach wie vor im Schlachthof akut, wo administrativ solche Maßnahmen vorgenommen wurden.
Im Nähmaschinenwerk beschwerten sich die Arbeiter, dass Butter, die in der Stadt frei verkauft wurde nur auf Berechtigungsschein ausgegeben wurde. Wenn die Arbeiter aber nach Feierabend in die Stadt kamen, war dort keine Butter mehr vorhanden.
Es konnte also nicht einmal die Versorgung auf Karten gewährleistet werden.
Im RAW gab es Beschwerden über die Arbeit der Gewerkschaft. Missfallen erregte die Verteuerung von Schweinebacke um 70 Pfennige in der Stadt. Einige Kollegen forderten , die HO Preise um 50 % zu senken, was als unberechtigt abgelehnt wurde.
Eine Reihe von Probleme der Versorgung im Betrieb wurden aber in der Folgezeit gelöst. So die fehlende Verabreichung von Milch und Kaffee in der Nachtschicht im Tenderbau und auch der Mangel an HO Butter, HO Margarine und HO Zucker wurde behoben.
Zu den „negativen Diskussionen“ wurde nach wie vor die Normerhöhung gezählt.
Allerdings wurde einiges verändert. Im RAW wurden rund 2500 freiwillig erhöhte Arbeitsnormen und 70 TAN wieder auf den Stand vom 1. April 1953 gebracht. Dadurch wurden monatlich rund 10500 DM mehr Lohn gezahlt.
87 Kollegen, die bis Ende April im Leistungslohn gearbeitet hatten und dann auf Zeitlohn zurückgestuft wurden, wurden wieder in den Leistungslohn übernommen. Das waren vor allem Schlosser, Motorenschlosser und Triebwagenelektriker. Man hat sie in Zeitlohn gestuft, da man aus technologischen Gründen erkannt haben wollte, dass die Arbeiten der Kollegen nur teilweise leistungslohnfähig waren.. aber der Zeitgrundlohn war niedriger als der Leistungsgrundlohn und so entstanden Einbußen. Jetzt erhöhte sich der Grundlohn wieder um 60 DM monatlich, bei den Brigadieren um 100 Mark. Drei Brigaden allerdings erklärten, sie bestünden darauf, ihre freiwillig erhöhten Normen beizubehalten.[1]
Interessant ist , dass auch unter den Kollegen die Diskussion auftauchte, dass es bald wieder eine KPD und SPD geben, die Vereinigung also rückgängig gemacht würde.[2] Das war allerdings ein Einzelfall.
Die von der Partei organisierten öffentlichen Versammlungen waren teilweise schlecht besucht. So nahmen am 26. Juni von 600 Arbeitern der Märkischen Ölwerke nur 72 an der öffentlichen Versammlung teil. Diese kamen meist aus der Verwaltung.
Auch die Beteiligung der Betriebe bei den Kundgebungen in Perleberg und Wittenberge war ungenügend. Obwohl die SVZ einen dreispaltigen Artikel über den Auftritt des ZK Mitgliedes Willy Sägebrecht in Wittenberge unter der Überschrift
„Wir sind stolz auf die Wittenberger Arbeiter“
gab es kritische Anmerkungen.
Die Großkundgebung der Nationalen Front in Wittenberge auf dem Friedensplatz[1] sollte nach dem Korrespondentenbericht von 5000 Teilnehmern besucht worden sein. Sägebrecht ging auf die gemachten Fehler von Partei und Regierung ein, gleichzeitig bezeichnete er die Imperialisten als Hintergrundakteure des Putsches. Er sprach von „kriegstreiberischen Machenschaften der Imperialisten“. Er lobte die Werktätigen der Stadt, die sich nicht durch Provokateure zu unbedachten Taten hinreißen ließen. Ziel sei es, den Frieden zu erhalten, die Einheit „unseres Vaterlandes“ herzustellen und allen Schichten ein Leben in Wohlstand zu sichern. Die offiziellen Redner aus der Zellwolle und dem Nähmaschinenwerk , Paul W. und Charlotte B. betonten, dass man der Regierung Vertrauen schenke und forderte aber, dass weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenslage beschlossen werden sollten und die Funktionäre sich schneller für deren Verwirklichung einsetzen sollten.
Von einem parteilosen Kollegen aus der Zellwolle wurde eine Entschließung verlesen in der es hieß.:
„In den Tagen der faschistischen Provokation blieben wir an unseren Maschinen und Werkbänken. Unser Dank gilt unseren Freunden, den Soldaten und Offizieren der Sowjetarmee und unserer Volkspolizei, die entschlossen und unbeirrt den Kriegsfunken austraten.“
Man erklärte weiter, fest zur Regierung zu stehen und wünschte den „großen Führer unseres Volkes“ ( gemeint war Wilhelm Pieck ) baldige Genesung.
Kritisch merkte aber die Zeitung an, dass die Verbindung zwischen Betriebsleitung, Parteiorganisation und Belegschaft noch besser zu sein hat. Dann würden sich die Werktätigen der Großbetriebe Zellwolle, Ölwerke und RAW stärker an den Kundgebungen beteiligen.
Wo bleibt z. B. der Werkleiter des RAW, Genosse Dr. Hörstel, fragt die Zeitung.[2]
Erschienen auf der Kundgebung waren wohl viele Rentner und Hausfrauen, sowie Leute aus der Verwaltung.
Besonders negativ wurde die Stimmung in der Zellwolle in der Hauptwerkstatt, der Laugenregenerierung und im Kesselhaus eingeschätzt.
Als ein Werksangehöriger für den Betriebsschutz gewonnen werden sollte, meinte er.
„Ich kann doch im Ernstfall nicht auf meine Kollegen schießen.“
Am 1. Juli besuchte das Sekretariat der Bezirksleitung der SED die Zellwolle in Wittenberge. Es war eine außerordentliche Belegschaftsversammlung einberufen worden. Aus Schwerin war der 2. Sekretär Heinz Bendig gekommen, der lediglich, was ungewöhnlich war, ein Referat von 15 Minuten hielt und dann die Diskussion freigab. Bendig betonte, dass die Werktätigen jetzt Taten sehen wollen und dass in der Vergangenheit viel versprochen, aber wenig gehalten wurde. Diese „Fehler“ müssten behoben werden.
In der dreistündigen Versammlung ging es hoch her.
Ein Kollege sagte:
„Niemals haben wir in unserem Betrieb so eine offene, kritische und freimütige Aussoprache gehabt, wie diesmal.“
27 Diskussionsredner traten auf.
Es ging vor allem um Lohnfragen. Man wollte angesichts der Schwere der Arbeit in eine höhere Lohngruppe eingestuft werden. Das forderten z. B. die Arbeiter des Holzplatzes. Der Kollege Klöckner meinte:
„50 Raummeter grünes Holz, das sind rund 400 Zentner in 8 Stunden vom Reichsbahnwagen entladen, macht einen Verdienst von 10 DM. Das ist zu wenig.“ Man forderte ordentliches Schuhwerk statt der „Holzschlurren“, bei denen man sich am Abend als „lahmgeschlagener Esel“ fühlte.“
Ein Kollege sprach über die Bürokratie, die jetzt bei der Behandlung von Augenerkrankungen herrscht. Früher sei der Kollege einen Tag zu Hause geblieben, jetzt muss er krank geschrieben werden und erhält nur 90 % des Nettoverdienstes.
Weiter ging es um Wohnungsfragen, über die die Kollegen Sellnow und Engel mit krassen Beispiele berichteten, höhere Lebensmittelkarten, die Zustände in den Wasch- und Umkleideräumen u.a. Bei den Lebensmittelkarten wurde schnell gehandelt. Für 228 Kollegen mit den schädlichsten Arbeiten wurden höhere Karten ausgegeben. Der Werkleiter Moltrecht stellte allen Zellwollwerkern eine Prämie in Aussicht, auch für ihre Arbeit am 17. Juni.
Der Vertreter der Bezirksleitung und der Kollege Müller vom Zentralvorstand der Industriegewerkschaft Druck und Papier versprachen, man wolle jeden Diskussionsbeitrag gemeinsam mit den Kollegen, die am Schärfsten die Forderung gestellt hatten sorgsam prüfen und in drei Wochen in einer erneuten Belegschaftsversammlung Rechenschaft legen.[1]
Am 26. Juni 1953 fand die 11. Sitzung des Kreistages Perleberg statt. Man hatte ein großes Publikum in das Kulturhaus Perleberg geladen, darunter alle Bürgermeister. Herta Beier, die Ratsvorsitzende wies auf die mangelnde Verbindung der abgeordneten zu den Wählern und zur Bevölkerung überhaupt hin. Die Ursache sah sie in der Geringschätzung der Parlamente und deren Arbeit durch die SED. Es gäbe unbesetzte Mandate, ungeeignete Kader und große Mängel in der sachbezogenen Arbeit. Die Spitzenfunktionäre sollten eine enge Verbindung zur Bevölkerung suchen, eine einfachere Sprache sprechen und Kritiken und Beschwerden sehr ernst nehmen.[2]
Eine Vielzahl, der vor dem 17. Juni erlassenen Maßnahmen wurde zurückgenommen.
So erfolgte die Rückgabe davastierter Bauernhöfe an die Eigentümer, die Aufhebungen von Pfändungen von Bankkonten bei Rückständen von 1951 und früher, neue Kreditrichtlinien für Bauern, Aussetzungen von Versteigerrungen des Vermögens von Betrieben, Aussetzen von Strafverfahren und des Preisstrafrechts, Haftentlassung von 20 Landwirten, die wegen säumiger Ablieferung und schlechter Wirtschaftsführung verurteilt worden waren, Senkung bzw. Aufhebung von Wirtschaftsstrafen, Aufstockung der Gelder für den Wohnungsbau,[3] Abschluss von Überlassungsverträgen an Einzelhändler und Gastwirte, Aufstockung bei Lebensmittelmengen für den Kreis, Maßnahmen im Gesundheitswesen, Überprüfung der Zulassungen für Zehnklassenschulen und Oberschulen und Rücknahme administrativer Normerhöhungen.[4]
In der Folge der Ereignbisse des 17. Juni fand, wahrscheinlich auf Anweisung von oben eine Kaderüberprüfung statt. Sie betraf sämtliche Mitglieder der Kreisleitung ( außer Sekretariatsmitglieder und Abteilungsleiter ) , sämtliche Mitglieder und Kandidaten beim Rat des Kreises und sämtliche Mitglieder und Kandidaten der VdgB. Insgesamt wurden 39 Mitglieder der Kreisleitung überprüft. 31 von ihnen waren Arbeiter , die übrigen Angestellte. Die überprüften Unterlagen waren aber alle in Ordnung. Allerdings sah sich das Sekretariat veranlasst , den Leiter des Lehrlingsheimes des Kreisbauhofes „aus Gründen der Wachsamkeit“ -besonders starke westliche Bindungen- von seiner Funktion abzulösen. Den Abteilungsleiter für Agit./Prop./Kultur Paul W. entband man von seiner Funktion, weil er „laufend unser Parteibeschlüsse missachtete und infolge seiner Überheblichkleit keine Bindung mit den werktätigen Massen hatte“. Er erhielt eine Rüge und wurde aus der Kreisleitung ausgeschlossen.
Beim Rat des Kreises wurden 148 Genossen überprüft. Es wurden Angabe zur sozialen Struktur, zum höchsten Dienstgrad bei der Wehrmacht und zur Gefangenschaft gemacht. Der Bericht listet die zum Teil starken verwandtschaftlichen Bindungen der Mitarbeiter zum Westen auf und ging bei einigen in Details ihrer Biografie. Es kam zu Empfehlungen für Ablösungen. So z. B. bei einer Genossin, die in der Abteilung Handel und Versorgung tätig war. Sie hatte auf die Frage, warum sie kein Parteiabzeichen , geantwortet, sie verstehe nicht, warum man soviel Wert auf Äußerlichkeiten lege.[1]
Anfang Juli wurde erstmalig eine umfassende Einschätzung der Lage im Sekretariat der Kreisleitung der SED gegeben.
Der Beschluss trug die Überschrift:
Die gegenwärtige Lage im Kreis Perleberg und die Durchführung der neune Maßnahmen von Partei und Regierung.
Es wurde eingeschätzt, dass bei einer Reihe von Bevölkerungsgruppen, z. B. Großbauern und Unternehmern die Stimmung sich verbessert haben, obwohl dort Zweifel bleiben.
In Glöwen, so hieß es, hätten Großbauern Trinkgelage durchgeführt und ein Großbauer aus Düpow wollte seinen Sohn wieder aus Westdeutschland zurückholen, damit er den Hof weiter führe. Wir erwähnten das bereits.
Bis zum 9. Juli waren im Kreis 15 bäuerliche Betrieb wieder an ihre Besitzer zurückgegeben worden. Allerdings gab es dazu in einzelnen Fällen differenzierte Meinungen unter den übrigen Bauern. So im Falle eines Großbauern, der nach Meinung der Dorfbewohner seinen Hof aus eigenem Verschulden verloren hatte und der als Faulenzer charakterisiert wurde.
Am 9. Juli berichtete die SVZ über eine Aussprache der Kulturbundes Perleberg mit Angehörigen der Intelligenz. Im Klubhaus des Nähmaschinewerks waren über 200 Teilnehmer erschienen. Referent war Domprediger Karl Kleinschmidt aus Schwerin. In der Diskussion sprachen auch Dr. Jäger aus der Zellwolle und Dr. Henneberg aus Perleberg.
Ein besonderes Problem, mit dem sich die Partei -und Staatsorgane auseinandersetzen mussten, waren Fahrten der Bevölkerung nach Berlin. Die USA wollten zur Linderung der Notlage der DDR Bevölkerung Lebensmittel für 15 Millionen Dollar liefern. In Westberlin konnten Einwohner der DDR gegen Vorlage des Personalausweises ein Lebensmittelpaket, ein sogenanntes „Speckpaket“ erhalten.
Davon machten besonders Frauen Gebrauch, die gleich mit mehreren Personalausweisen, nämlich denen ihrer Männer und Kinder nach Berlin fuhren.
Besonders die Freifahrtscheinbesitzer aus dem RAW fuhren nach Westberlin, um sich ein Paket zu holen.
Aus der Ölmühle hatte sich ein Kollege 6 Pakete geholt. Er erklärte, er habe eine große Familie ( 7 Kinder ) und dadurch habe er 14 Tage ,mehr zu essen. Der Werkleiter des Betriebes wurde scharf kritisiert, weil er dem Kollegen noch 300 Mark Hilfe aus dem Direktorenfonds gezahlt hatte.[1] Dabei war der Kollege als Aktivist ausgezeichnet worden und es wurde ihm bescheinigt, zu jeder Tages und Nachzeit, ob Sonn - oder Feiertags bereit zu sein, auftretende Reparaturen zu erledigen. Als ein Funktionär der Kreisleitung im Betrieb erklärte, der ganzen Familie solle das Schmalz im Magen stecken bleiben, empörten sich die Arbeitskollegen. Sie meinten, was könnten die unschuldigen Kinder dafür. Der Kollege wurde zusätzlich zur Kriminalpolizei bestellt und musste ein Schriftstück unterschreiben, dass er eine strafbare Handlung begangen habe.
Die SED sprach von „entehrenden Kolonialmethoden der amerikanischen Kriegstreiber“.
Die Polizei versuchte diese Fahrten zu unterbinden.
Anfang August wurden in Wittenberge ca. 250 Personen auf dem Bahnhof zurückgehalten, was zu wütenden Diskussionen führte:
Die sollen uns Fahren lassen
Selbst VP Offiziere holen sich doch Pakete
Uns interessiert nicht Krieg und Frieden, sondern nur das Essen
Soweit eine kurze Darstellung der Ereignisse. Es wurde in der Folgezeit weiter über Ursachen der politischen Krise diskutiert, ohne das entscheidende Veränderungen getroffen wurden.
Auf der Kreisparteiaktivtagung am 21. Juni wurde eingeschätzt, dass große Teile „unserer Genossen Agitatoren“ nicht einmal in der Lage sind, richtig zu agitieren und die Situation zum großen teil selbst nicht einschätzen können. Die Genossen sind genau so ruhig, wie unsere Kollegen. Sie sind zufrieden, wenn sie bloß keiner anspricht.
Am 11. August analysierter der Genosse Muchow aus den Ölwerken die Lage. Er sieht als Ursachen:
Berichte über die Situation in den Betrieben wurden immer wieder abgeblockt. Die Stimmung der Bevölkerung kam nicht in Erscheinung.,
Auf den Tagungen der Partei wurde nicht mehr „revolutionär, kämpferisch diskutiert und kritisiert. So handeln die Genossen und Kollegen nach der Devise: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Durch die Maßnahmen der Partei und Regierung wurden die Kollegen misstrauisch und verloren das Vertrauen
Die Partei sei unwürdig mit alten Kadern verfahren. Man hat sie abgelöst und ohne Hilfe sich selbst überlassen.
Über die entscheidenden inneren Ursachen des 17. Juni wurde in der DDR bald nicht mehr gesprochen, zumal an der Führungsspitze keine Veränderungen eintraten. Es setzte sich die Auffassung vom faschistischen Putsch durch. Aber auch die westlichen Theorien werden der Wirklichkeit nicht gerecht.
Was lässt sich abschließend für den damaligen Kreis Perleberg feststellen?
1.
Es gab hier keinen „Volksaufstand“, keine Aktionen gegen Partei und Regierung, die über persönliche Äußerungen und einzelne Nebenhandlungen hinausgingen. Die Ereignisse kamen für viele überraschend, manche nahmen sie überhaupt nicht zur Kenntnis, bzw, reagierten erst viel später.
Die Nachrichtenquellen waren neben persönlichen Informationen von Verwandten und Bekannten in erster Linie der Rundfunk. Da ein großer Teil Hörer des Westberliner Senders RIAS war, flossen von dort die Mitteilungen aus westlicher Sicht in die Haushalte.
Die örtliche Presse schwieg
2.
Die Hauptunruheherde waren Teile der Betriebe in den Städten und auf dem Lande. Allerdings kam es, wie fast im ganzen Bezirk Schwerin kaum zu offenen Protesten.
Die Mittelständler, die Intelligenz, die Verwaltungen blieben ruhig. Erst in den folgenden Tagen und Wochen wurden die Diskussionen umfangreicher und offener. Zeitzeugen bestätigen, dass nach Aufhebung des Versammlungsverbotes eine wesentlich bessere Diskussionsatmosphäre herrschte als vorher. Dabei kamen viele Mißstände zur Sprache.
Die Version, dass der 17. Juni ein von westlichen Imperialisten gesteuerter Putsch war, wurde nur von einer Minderheit geteilt.
Es gab keine zentrale Führung der Ereignisse, sie entstanden spontan, wenn natürlich auch Anhänger von westlichen Geheimdiensten und in Berlin direkte Vertreter aus den Westsektoren ideologisch und praktisch Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen versuchten.
Es ist allerdings nicht zu übersehen, wie aus manchen oben genannten Beispielen hervorgeht, dass es auch noch im nazistischen Denken Verhaftete gab und die dies in verschiedener Weise zum Ausdruck brachten. Das gab der Auffassung vom faschistischen Putsch Nahrung. Dass war aber keineswegs bestimmend
3.
Neben denen, die, in der Minderheit, voll hinter der Politik der Partei und deren Version der Ereignisse standen, gab es auch in der SED und anderswo kritische Überlegungen und Auffassungen, die aber nicht auf Systemveränderung orientiert waren.
Der größte Teil der Bevölkerung war abwartend und inaktiv, teilweise auch interesselos.
Aus den Quellen ist wenig festzustellen, dass offiziell die Forderung nach Wiedervereinigung von den Gegnern der offiziellen Politik gestellt wurde. Das war auch so einfach nicht möglich, da die Herstellung der Einheit Deutschlands immer wieder eine zentrale Forderung der SED und der Regierung der DDR war.
Hauptsächlich ging es um einen höheren Lebensstandart, mehr Demokratie und um den Rücktritt der Regierung, besonders von Ulbricht, den man für die Schwierigkeiten im Lande verantwortlich machte.
Öffentlich Stellungnahme für die Regierung sind in dieser Zeit selten.
Im Kreis zeigte sich, wie überall, dass die Arbeiter in den Betrieben die Hauptakteure waren.
Insofern ist wohl der 17. Juni eine spontane Bewegung in der Arbeiterklasse gewesen, die in der Folgezeit von den politischen Kräften beider deutschen Staaten für ihre Sicht interpretiert wurde und auch in der späteren Zeit, besonders von westdeutscher Seite, ein Instrument im kalten Krieg und in der ideologischen Auseinandersetzung blieb.
Dass die SED die eigenen Fehler ihrer Politik später nicht sehen wollte und kritisch einschätzte, wie es z. B. Bert Brecht gefordert hatte, hat ihren Zusammenbruch 1989 mit bedingt. Das Verbot des Buches von Stephan Heym ist dafür symptomatisch.
[...]
[1] Hans Meier Der Turm von Babel Erinnerungen an eine Deutsche Demokratische Republik Frankfurt am Main 1991 S. 81
[2] In Wittenberge wurden etwa 2000 Lebensmittelkarten gesperrt
[3] LHA Schwerin Akte Parteiaktivtagungen der SED 1953 IV/4/08/42
[4] Schreiben des Sekretärs der SPO an die KL der SED vom 31.3.1953
[5] LHA Schwerin Akte Bezirksbehörde der DVP Schwerin 7-12-1 Bestand Nr. 3 Bl.7
[6] Ebenda Bl.8
[7] LHA Schwerin Akte Parteiaktivtagungen der SED 1953 IV/4/08/42
[8] LHAS Schwerin Akte Sekretariat der SED Juni Juli 1953 I/408 92/94
[9] ebenda
[10] LHA Schwerin Bezirksbehörde der VP 7-21-1 Bl. 102
[11] ebenda Bl.30 und Bl. 52
[12] Landeshauptarchiv Schwerin Archivgut des Ministeriums des Innern Bestand Nr. 13 Bezirksbehörde der DVO Band 254 Bl. 179 Bericht der Kl der SED über die Lage im Zellstoff und Zellwollwerk Wittenberge.
[13] Ebenda Bl.180
[14] LHA Schwerin Akte Parteiaktivtagungen 1953 IV/4/08/42
[15] Bericht der Kl der SED an die Bezirksleitung vom 21.7.1953 LHAS Schwerin Informationsberichte an die BL 1953 Akte IV/4/08/214
[16] LHA Schwerin Akte Bezirksbehörde der VP 7-12-1 Bestand Nr. 3 Bl. 21
[17] Meldung der VP vom 17.6. an die Bezirksbehörde Schwerin.ebenda Bl.34
[18] ebenda Bl. 35
[19] ebenda Bl.101
[20] Bericht der Kreisleitung Perleberg des SED an die Bezirksleitung vom 21.7.1953
[21] ebenda
[22] Diese Aspekt ist interessant. Pieck genoss in der Bevölkerung ein besseres Ansehen als z. B. Ulbricht
[23] LHS Schwerin Informationsberichte an die Bezirksleitung der SED IV/4/08/214
[24] ebenda
[25] LHA Schwerin Akte IV/4/08/93/94 Kl Perleberg Sekretariatssitzungen Einschätzung der gegenwärtigen Lage und die Durchführung der Maßnahmen von Partei und Regierung
[26] LHA Schwerin Akte Bezirksbehörde der VP 7-12-1 Bestand Nr. 3 Bl. 30
[27] LHA Schwerin Akte BL der SED Bezirksparteiarchiv Kreisleitung der SED Perleberg Informationsberichte an der BL 1953 IV/4/08/214
[28] ebenda
[29] Ebenda Wochenbericht der KL vom 19.6.1953 S. 3
[30] ebenda
[31] ebenda
[32] W. Fritsche Erinnerungen an Herta B. Landrätin in der Westprignitz
[33] VdgB Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, BHG Bäuerliche Handelsgenossenschaft
[34] ebenda Wochenbericht an die Bezirksleitung der SED vom 19. Juni 1953 S. 3
[35] Mitteilung von W. Fritsche aus Perleberg an den Autor
[36] ebenda S.4
[37] ebenda
[38] LHA Schwerin Akte Bezirksbehörde der DVP Schwerin 7-12-1 Bestand Nr. 3 Bl. 67
[39] ebenda Bl.101
[40] ebnda Bl. 116
[41] LHA Schwerin Bericht der Kreisleitung der SED an die Bezirksleitung vom 21.7.1953 betr.: RAW Akte Nr. IV/4/08/214
[42] Wochenbericht der Kl der SED an die BL der SED vom 19.6.1953 S. 3
[43] Da , wo heute das Kulturhaus steht
[44] SVZ Nr. 162
[45] SVZ 3. Juli 1953
[46] W. Fritsche Landrätin in der Prignitz Erinnerungen an Herta Beier 1992 s. 9
[47] Es wurde vorgesehen in Wittenberge 30, in Glöwen 6 und in Perleberg 4 Wohnungen zu bauen
[48] ebenda
[49] LHA Schwerin Sekretariatssitzungen der SED Juni 1953 und Juli 1953 Monatsbericht Juni 1953 der KPKK Perleberg an die BPKK Schwerin vom 30. Juni 1953 Reg.Nr. IV/4/08/93/94
[50] Aus diesem Fond konnten soziale Beihilfen gewährt werden.
- Quote paper
- Günter Rodegast (Author), 2005, 17. Juni 1953 im Kreis Perleberg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110641
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