Während des Studiums für das Lehramt an Sonderschulen werden auch medizinisches und therapeutisches Wissen vermittelt. So belegte ich etwa Veranstaltungen zu den Themen „Psychopathologie für Sonderpädagogen“ und „Psychomotorische und physiotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten bei Kindern mit cerebralen Bewegungsstörungen“. Mit der Bedeutsamkeit dieses Wissens für Sonderschullehrer an der Schule für Körperbehinderte beschäftige ich mich in dieser Arbeit.
In wieweit muss Unterricht für Körperbehinderte deren körperliche Situation beachten und Bewegungsförderung auch im Unterricht, nicht nur in der Therapie, durchgeführt werden? Auf die Aufgaben von Pädagogik und Therapie wird in Kapitel 2 eingegangen.
Ein Konzept, welches die Verschmelzung von Therapie und Unterricht realisiert, soll in Kapitel 3 vorgestellt werden: Die Konduktive Erziehung nach András Petö. Durch ein 10-monatiges Praktikum an einem College für körperbehinderte und andere behinderte Jugendliche in England, hatte ich kurz vor dem Abschluss meines Studiums die Gelegenheit, über einen längeren Zeitraum das System der Konduktiven Erziehung kennen zu lernen und als Helferin in vier verschiedenen, einmal wöchentlich stattfindenden Gruppen mit jungen Erwachsenen mitzuarbeiten.
Gliederung:
1. Einleitung
2. Die Schule für Körperbehinderte
2.1. Schülerschaft der Schule für Körperbehinderte
2.2. Lehrauftrag und Lehrplan
2.3. Begriffe: Unterricht, Förderung und Therapie
2.3.1. Therapie und Pädagogik an der Schule für Körperbehinderte
2.3.2. Zusammenarbeit zwischen Therapeuten und Lehrern
3. Die Konduktive Erziehung nach András Petö
3.1. Entstehungsgeschichte
3.2. Personenkreis
3.2.1. Infantile Zerebralparese
3.2.2. Spina bifida
3.3. Grundlagen der Konduktiven Erziehung
3.3.1. Neurophysiologische Grundlagen und Orthofunktion
3.3.2. Die Konduktorin
3.3.3. Fazilitation
3.3.4. Die Aufgabenreihen und Programme
3.3.5. Gruppenprinzip und Individualität
3.3.6. Die Rolle der Sprache
3.3.7. Hilfsmittel
3.4. Die Schulgruppen am Budapester Institut
3.5. Konduktive Erziehung als Beitrag zur Integration
3.6. Die Verbreitung der Konduktiven Pädagogik außerhalb Ungarns
3.6.1. Konduktive Pädagogik in Deutschland
3.7. Kritische Einschätzung der Konduktiven Erziehung
3.7.1. „Superqualifikation“ oder spezifische Fachkompetenz?
3.7.2. Erziehungsstil
3.7.3. Personenkreis
3.7.4. Gruppenbildung
3.7.5. Hüftluxationen, Kontrakturen und Skoliosen
4. Konduktive Förderung – ein Schulversuch in Bayern
4.1. Abgrenzung im Begriff – Was ist Konduktive Förderung?
4.2. Die Arbeit im konduktiven Team
4.3. Konduktive Bewegungsprogramme
4.4. Konduktive Prinzipien im Unterricht
4.5. Drei Modelle zur Verwirklichung der Konduktiven Förderung in der Schule für Körperbehinderte
4.5.1. Ganztagesangebot
4.5.2. Halbtagsangebot
4.5.3. Klassenübergreifende Bewegungsgruppen im Halbtagsangebot
4.6. Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Konduktiven Förderung
4.6.1. Struktur und Organisation der Schule
4.6.2. Gruppen- und Klassenzusammenstellung
4.6.3. Zeitliche Rahmenbedingungen
4.6.4. Arbeit im Team
4.6.5. Konflikte zwischen den Berufsgruppen
4.6.6. Finanzierung
4.6.7. Sachausstattung
4.7. Erfolge durch Konduktive Förderung im Schulversuch
4.8. Entwicklungen seit Ende des Schulversuchs
5. Kritische Einschätzung der Möglichkeiten Konduktiver Förderung
5.1. Die Siegener complexe Förderung und Rehabilitation (ScoRe)
5.1.1. Ergebnisse des Modellversuchs Taunusklinik
5.2. Das Konzept der Stiftung Pfennigparade
5.2.1. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitstudie
5.3. Elemente Konduktiver Förderung in der KB-Schule?
5.3.1. Ergebnisse des bayerischen Schulversuchs
5.4. Resümee
6. Anhang
1. Einleitung
Während des Studiums für das Lehramt an Sonderschulen werden auch medizinisches und therapeutisches Wissen vermittelt. So belegte ich etwa Veranstaltungen zu den Themen „Psychopathologie für Sonderpädagogen“ und „Psychomotorische und physiotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten bei Kindern mit cerebralen Bewegungsstörungen“. Mit der Bedeutsamkeit dieses Wissens für Sonderschullehrer an der Schule für Körperbehinderte beschäftige ich mich in dieser Arbeit.
In wieweit muss Unterricht für Körperbehinderte deren körperliche Situation beachten und Bewegungsförderung auch im Unterricht, nicht nur in der Therapie, durchgeführt werden? Auf die Aufgaben von Pädagogik und Therapie wird in Kapitel 2 eingegangen.
Ein Konzept, welches die Verschmelzung von Therapie und Unterricht realisiert, soll in Kapitel 3 vorgestellt werden: Die Konduktive Erziehung nach András Petö. Durch ein 10-monatiges Praktikum an einem College für körperbehinderte und andere behinderte Jugendliche in England, hatte ich kurz vor dem Abschluss meines Studiums die Gelegenheit, über einen längeren Zeitraum das System der Konduktiven Erziehung kennen zu lernen und als Helferin in vier verschiedenen, einmal wöchentlich stattfindenden Gruppen mit jungen Erwachsenen mitzuarbeiten.
Die Konduktive Erziehung, aus Ungarn stammend, verbindet pädagogische Elemente mit therapeutischen und findet zunehmend auch in Deutschland Verbreitung. Sie stellt eine Möglichkeit dar, wie zum Beispiel auch im Unterricht an der Schule für Körperbehinderte Therapie und Unterricht sinnvoll, zum Zwecke einer ganzheitlichen Förderung, miteinander verbunden werden können.
Ein Schulversuch, der vor wenigen Jahren dazu in Bayern durchgeführt wurde, wird in Kapitel 4 vorgestellt.
Ob die Konduktive Erziehung ein auch für Deutschland und unsere Schulen für Körperbehinderte geeignetes Konzept ist, und unter welchen Bedingungen es realisiert werden kann, soll in Kapitel 5 abschließend beurteilt werden.
Aufgrund der Aktualität des Themas, werden sich einige Angaben auf Informationen aus dem Internet beziehen, da dort häufig Informationen zu finden sind, die noch nicht in Buchform veröffentlicht wurden.
Weder die Verwendung der männlichen, noch die der weiblichen Form, soll durch Auslassung des anderen Geschlechts eine Diskriminierung darstellen.
Wird ein Beruf in der Regel von Frauen ausgeführt, wie der der Konduktorin, verwende ich die weibliche, in anderen Fällen die männliche Form.
2. Die Schule für Körperbehinderte
„Alle Kinder und Jugendlichen haben – unabhängig von Art und Schweregrad ihrer Behinderung – das Recht auf eine ihren persönlichen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung und Erziehung“ (KMK 1998, 2). Dazu stehen ihnen die allgemeinbildenden Schulen zur Verfügung, die ein „nicht unerheblicher Teil“ (STADLER 1998, 171) körperbehinderter Schüler besucht. Aufgrund der häufig erschwerten Umstände, die eine Körperbehinderung mit sich bringen kann, bietet die Schule für Körperbehinderte jedoch ein spezielles, differenziertes Angebot an Unterrichts-, Erziehungs- und Therapiekonzepten, das in dieser Form an den Regelschulen nicht angeboten werden kann.
2.1. Schülerschaft der Schule für Körperbehinderte
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Begriff „Behinderung“ in einer internationalen Definition, der ICIDH (International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps), 1980 in 3 Ebenen unterteilt. Diese Definition basiert auf dem Krankheitsfolgenmodell nach Wood: Eine Krankheit oder psychische Störung verursacht danach einen Schaden (Impairment), der zu einer Fähigkeitsstörung oder Beeinträchtigung (Disability) führen kann, die wiederum eine Benachteiligung (Handicap) im Sinne einer Störung der sozialen Stellung dieser Person darstellen kann, aber nicht muss (vgl. SCHUNTERMANN 1999).
In der Literatur wird sich noch sehr häufig auf die ICIDH bezogen.
Seit Mai 2001 gibt es jedoch eine neue „International Classification of Functioning, Disability and Health“, die ICF. Sie beschäftigt sich mit der Funktionsfähigkeit des Menschen und bezieht Umweltfaktoren und persönliche Faktoren mit ein. Nach ihr gilt ein Mensch als behindert, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit nicht nur vorübergehend von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Da Behinderung in der Regel in erster Linie ein Ausgrenzungsproblem darstellt, ist das Partizipationskonzept (Teilhabe an der Gesellschaft) zentraler Ansatzpunkt der ICF (vgl. SCHUNTERMANN 1999; WHO 2001).
Im aktuellen Kinder- und Jugendbericht heißt es, ebenfalls bezogen auf die ICF: „Die Lebenslagen behinderter Kinder und Jugendlicher sind aufgrund der Unterschiedlichkeit der Schädigungen, der Leistungs- und Aktivitätsstörungen und der Teilhabeeinschränkungen aber auch aufgrund der individuellen, institutionellen und sozialen Bedingungen außerordentlich unterschiedlich, so dass sich eigentlich die Zusammenfassung im Begriff ´Behinderung` verbietet“ (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND 2002, 219).
Der Begriff der „Körperbehinderung“ ist vielfältig und muss im jeweiligen Kontext (zum Beispiel medizinisch, pädagogisch oder rechtlich) definiert werden. Nach Stadler ist er ein „ Sammelbegriff für die vielfältigen Erscheinungsformen und Schweregrade körperlicher Beeinträchtigungen, die sich aus Schädigungen des Stütz- und Bewegungsapparates und aus inneren oder äußeren Schädigungen des Körpers und seiner Funktionen ergeben“ (STADLER 1998, 11). Auch Stadler bezieht sich also auf die ICIDH.
An der Schule für Körperbehinderte befinden sich Schüler mit:
- "zerebralen Bewegungsstörungen
- Fehlbildungen, Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule, des Rückenmarks oder des Knochenbaus
- Muskelkrankheiten, bleibenden Schäden an Muskel- und Bandapparaten
- Fehlbildungen und Verlust an Gliedmaßen
- Fehlbildungen, chronischen Krankheiten, Verletzungen, Funktionsstörungen innerer Organe, der Haut, des Stoffwechsels oder des Blutsystems
- Anfallsleiden, wenn die Anfälle häufig und schwer sind und körperliche Veränderungen oder Wesensveränderungen zur Folge haben"
(SCHULORDNUNG FÜR DIE SCHULEN FÜR BEHINDERTE BAYERN [SVSO] §7, zitiert nach ISB 1993, 9).
Allerdings fällt auf, dass bestimmte Behinderungsarten an der Schule für Körperbehinderte häufiger vertreten sind als andere. Für den weiteren Gegenstand dieser Arbeit, die Konduktive Erziehung, ist von Bedeutung, dass Kinder und Jugendliche mit Infantiler Zerebralparese den weitaus größten Teil der Schülerschaft der Schule für Körperbehinderte darstellen (ISB 1993, 12). Auf diese Behinderungsform wird in Kapitel 3, Punkt 3.2.1. noch genauer eingegangen.
Außerdem wird in der Literatur immer wieder auf den deutlich gestiegenen Anteil der schwerst körperbehinderten und schwerstmehrfachbehinderten Schüler hingewiesen, die einen erhöhten Hilfe- und Pflegebedarf aufweisen. In Bezug auf die Richtlinien, nach denen die Schüler an der Schule für Körperbehinderte unterrichtet werden, stellte Wehr-Herbst in einer Erhebung fest: „Durchschnittlich und überdurchschnittlich begabte körperbehinderte Schüler (definiert durch den Grundschul-, Hauptschul-, Realschul- und Gymnasiallehrplan, nachdem sie unterrichtet werden), die zu Beginn der Schulgründungen vor etwa 25 Jahren noch zur größten Schülergruppe gehörten, sind – aus verschiedenen Gründen – zahlenmäßig kleiner geworden“ (WEHR-HERBST 1997, 319). Diese Entwicklungen beeinflussen entscheidend den Unterricht in Bezug auf Methoden und Inhalte. Gerade schwerstmehrfachbehinderte Schüler bedürfen oft therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen, um überhaupt am Unterricht teilnehmen zu können.
2.2. Lehrauftrag und Lehrplan
Die Sonderpädagogik befasst sich mit den aus der Beeinträchtigung resultierenden Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung, denn: „Eine körperliche Beeinträchtigung betrifft den Menschen stets in seiner Gesamtpersönlichkeit. Motorik, Wahrnehmung, Kognition und Emotionen sind untrennbar und vielfältig miteinander vernetzt." (HEDDRICH 1999, 16). Die möglicherweise ständige Abhängigkeit von medizinischer und pflegerischer Hilfe kann sich ebenfalls auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Als Aufgabe der Sonderpädagogik könnte man also herauskristallisieren, die Benachteiligung des behinderten Menschen aufzuheben und ihm eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen (Ebene der Partizipation in der ICF).
Die Ziele und Aufgaben der Schule für Körperbehinderte „ orientieren sich an den Bildungs- und Erziehungszielen der allgemeinen Schulen“ (KMK 1998, 2). So wird nach den Lehrplänen der Grund-, Haupt- und Realschulen oder des Gymnasiums unterrichtet. Doch wenn erforderlich (definiert durch einen diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf), „ bilden die Bildungspläne anderer Sonderschulen die Arbeitsgrundlage für die Förderung der Schülerinnen und Schüler“ (KMK 1998, 2). Außerdem hat sie eigene Bildungsaufgaben zu erfüllen, die sich aus der besonderen Situation der körperbehinderten Schüler ergeben, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung mit dem Lebenssinn und frühen Tod bei Kindern mit progredienten Erkrankungen.
Aus der vorhandenen Vielschichtigkeit von Beeinträchtigungen und Behinderungsformen ergibt sich die Notwendigkeit, erzieherische, pädagogische und therapeutische Hilfen anzubieten, die über den reinen Unterricht hinausgehen, weshalb Schulen für Körperbehinderte in der Regel als Ganztagesschulen geführt werden.
Da die Motorik eine Grundlage für Lernen und Erleben jedes Menschen darstellt (vgl. SCHUMANN/ CLEMENS 1999, 46f), gilt die Bewegungsförderung und Bewegungserleichterung als „durchgängiges und fächerübergreifendes Prinzip“ (KMK 1998, 11). Nur so kann dem körperbehinderten Schüler handelndes Lernen ermöglicht werden.
Um dem Schüler „in seiner Gesamtpersönlichkeit gerecht zu werden“ (ISB 1993, 29), muss individuell gefördert, müssen individuelle Ziele festgelegt werden.
Es ist Aufgabe der Schule für Körperbehinderte, ihre Schüler in deren Lebensbewältigung zu unterstützen und ihnen ein „weitestgehend selbstverantwortetes Leben und Lernen“ (KMK 1998, 10) zu ermöglichen.
Konzipiert als Schule mit einer spezifischen Ausstattung, versteht sich die Schule für Körperbehinderte als Vorbereitungs- und Durchgangsschule, „ die Körperbehinderte befähigt, den Integrationsprozess aktiv mitzugestalten“ (WELLMITZ/ PAWEL 1993, 20). Das Prinzip der Integration statt Segregation steht auch in der Schule für Körperbehinderte an erster Stelle.
2.3. Begriffe: Unterricht, Förderung und Therapie
„Unterricht ist die planvolle pädagogische Interaktion von Lehrenden und Lernenden zum Zwecke der Aufklärung und Vermittlung von Handlungskompetenz“ (MEYER/ VOGT 1997, 36). Dazu wird unter anderem Sach- und Fachwissen vermittelt.
Bei der Unterrichtung von Schülern mit Behinderungen, ist diese Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden oft erschwert und muss erst durch therapeutische Maßnahmen und Maßnahmen der Förderpflege angebahnt, bzw. ermöglicht oder erleichtert werden. Deshalb ist „ die Aufgabe der schulischen Förderung von Schülern mit Behinderung auf ein erweitertes Verständnis von Unterricht ausgerichtet“ (SCHWEINS 1996, 18).
Der Begriff Förderung, der häufig im Zusammenhang mit der Unterrichtung behinderter Kinder und Jugendlicher gebraucht wird, findet selten eine Definition. Speck spricht von „pädagogischer Förderung“, deren Methoden Erziehung, Unterricht und Therapie seien (vgl. FORNEFELD 1995, 86). Sie kennzeichnet also das genannte erweiterte Verständnis von Unterricht, in das auch therapeutische Elemente einbezogen werden müssen.
Therapie wird ärztlich verordnet und begleitet. Sie ist medizinisch begründet und hat die Verhütung, Heilung bzw. Besserung von Störungen, Leid und Krankheit zum Ziel (vgl. KRÜGER 1983, FORNEFELD 1995). Diese traditionelle Sichtweise von Therapie ist defizitorientiert.
Wie sich in der Pädagogik die Sichtweise in Bezug auf die Beachtung von Ganzheitlichkeit, Individualisierung und Autonomieprinzip im Unterricht geändert hat, gab es auch in den traditionellen Therapieformen einen Wandel hin zur Beachtung dieser Prinzipien. Versuchte man früher, den Patienten, auch ohne dessen aktive Teilnahme und Einsicht in die Behandlung, zu beeinflussen und zu verändern, werden nun, vor allem in der Physio- und Ergotherapie, die Grundlagen des Lernens beachtet und der Patient aktiv einbezogen (vgl. SCHWEINS 1996, 23). Unter Beachtung der Ganzheitlichkeit wird die Therapie mit dem Patienten „ in Bezug zu dessen Alltag und Familie realisiert“ (ISB 1999, 3). Einer nur defizitorientierten Sichtweise wird versucht entgegenzuwirken.
2.3.1. Therapie und Pädagogik an der Schule für Körperbehinderte
„Die Betrachtung der Schülerschaft an vielen Schulen für Körper-/ Geistigbehinderte zeigt, daß ein Lehrer allein mit einem pädagogischen Rüstzeug nicht ausreichend ausgestattet ist, seine Klasse optimal zu fördern. Hierzu bedarf es zusätzlich therapeutischer Kenntnisse, um Unterricht zu erweitern und für manche Schüler sinnvoller zu gestalten“ (SOWA/ RISCHMÜLLER 1996, S.11). Deshalb arbeiten in der Schule für Körperbehinderte neben den Lehrern und Erziehern noch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Mototherapeuten und andere Mitarbeiter, zum Beispiel im Pflegebereich.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich zwar auf die Physiotherapie, da die Bewegungserziehung in der Schule für Körperbehinderte besondere Bedeutung hat, haben aber für die anderen therapeutischen Ansätze ebenfalls Gültigkeit.
In der Schule für Körperbehinderte hat die Physiotherapie, entsprechend den Aufgaben dieser Schulform, die „Verbesserung und Erweiterung der Bewegungsfähigkeit“, die „Anpassung eines nicht mehr veränderbaren Zustandes an die Realität“ und die „Entlastung und Erleichterung im täglichen Leben“ zum Ziel (KRÜGER 1983, 107). Es geht also nicht um eine Heilung oder um die Beseitigung eines Schadens, sondern um die Befähigung der Schüler zum aktiven Lernen und Erleben und zu einer möglichst selbständigen Lebensgestaltung unter den gegebenen Umständen. Damit entsprechen die therapeutischen Zielsetzungen den pädagogischen (vgl. SOWA/ RISCHMÜLLER 1996).
Wichtig ist außerdem, dass erkannt wurde, dass auch das Bewegungslernen einen Lernprozess darstellt, und dass bestimmte, erfolgreiches Lernen begünstigende Faktoren auch hier gelten. So schrieb Jansen 1993, dass das Bewegungslernen einer der kompliziertesten Lernvorgänge sei, da bestehende Bewegungsmuster verlernt und neue erlernt werden müssten und es sich somit um einen Umlernprozess handle. Als Bedingungen, die optimales Lernen ermöglichen, nannte sie: „Die Motivation zum Lernen sollte so groß wie möglich sein. Das Lernziel sollte erreichbar sein. Der Lernvorgang sollte von positiven Gefühlen begleitet sein. Der Lernerfolg selbst sollte sofort belohnt bzw. verstärkt werden“ (JANSEN 1993, 349).
Therapie findet in den meisten Fällen in einem spezifischen Behandlungsraum statt. Die erlernten Bewegungen und Fähigkeiten sollen aber auf den Alltag übertragen werden. Jansen schreibt: „Häufig sehen Kinder dazu gar keinen Anlass, weil sie mit ihren alten falschen Bewegungsmustern im alltäglichen Leben unter Umständen sogar besser zurechtkommen „, weshalb das Bewegungslernen „ so oft wie möglich da stattfinden sollte, wo die Bewegungen auch praktisch gebraucht werden „ (JANSEN 1993, 356) – im Alltag, den das Kind zu bewältigen lernen soll. Auch Schweins beschreibt die Integration des therapeutischen Handelns in den Lebensalltag des Kindes oder Jugendlichen als „ einzig wirksame Voraussetzung für Therapie „ (SCHWEINS 1996, 23).
Somit ist die Bewegungsförderung als durchgängiges und fächerübergreifendes Ziel in der Schule für Körperbehinderte, aus therapeutischer Sicht begründet und die Zusammenarbeit zwischen Pädagogen und Therapeuten unbedingt erforderlich.
Lehrer an Schulen für Körperbehinderte „ müssen berücksichtigen, daß Lernen [...] nicht losgelöst betrachtet werden kann vom körperlichen Zustand und von den körperlichen Möglichkeiten des Schülers, sich die Welt anzueignen“ (SCHWEINS 1996, 26). So muss bei manchen Schülern erst durch therapeutische oder ärztliche Hilfe die Voraussetzung zur Teilnahme am Unterricht und zum Lernen geschaffen werden. Es kann vorkommen, dass ein Schüler während des Unterrichts in der Klasse pflegerische oder therapeutische Hilfen (unabhängig von der Einzeltherapie) benötigt, wie zum Beispiel Lagerungshilfen, die entweder durch den Therapeuten selbst oder durch den Lehrer, nach Unterweisung durch den Therapeuten, durchgeführt werden müssen. Somit ist auch der Lehrer auf die Zusammenarbeit mit dem Therapeuten angewiesen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass es für beide Berufsgruppen wichtig wäre, „ sich darüber bewusst zu werden, daß sich die jeweiligen fachspezifischen Beiträge zur schulischen Förderung gegenseitig beeinflussen und bedingen“ (SCHWEINS 1996, 41).
2.3.2. Zusammenarbeit zwischen Therapeuten und Lehrern
Trotz der begründeten Beziehungen zwischen Unterricht und Therapie und der eigentlich notwendigen Zusammenarbeit, gibt es in diesem Bereich noch häufig Schwierigkeiten (vgl. DOUBEK/ HUTERER 1983; SOWA/ RISCHMÜLLER 1996; ISB 1999).
In den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz „zum Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung“ von 1998, werden „ eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Eltern und den an der Erziehung, Unterrichtung, Therapie, Pflege und Hilfe beteiligten Personen „, sowie „ gegenseitige Information, Beratung, Transparenz der Maßnahmen und eine verlässliche Arbeitsteilung „ (KMK 1998, 20) als notwendig erachtet, um den Schüler seinen Bedürfnissen entsprechend in einem gemeinsamen Förderkonzept unterrichten und fördern zu können.
Auch in den „Leitgedanken zu Erziehung, Unterricht und Förderung“ für die Schule für Körperbehinderte (ISB 1993) stehen ähnliche Empfehlungen zur Zusammenarbeit und Kooperation, wie auch in vielen anderen Publikationen zur Unterrichtung körperbehinderter Kinder und Jugendlicher.
Die Schulen bemühen sich zwar seit Jahren um interdisziplinäres Arbeiten, im Rahmen des vor wenigen Jahren in Bayern stattgefunden Schulversuches zur Konduktiven Förderung an Schulen für Körperbehinderte, auf den in Kapitel 4 noch genauer eingegangen wird, wurden aber noch wesentliche Schwierigkeiten in diesem Bereich festgestellt. Demnach erschöpft sich die Kooperation „ – oftmals auf der Basis der Freiwilligkeit und abhängig vom Engagement des Einzelnen – in kurzen Gesprächen, in gelegentlichen Team- und Fallbesprechungen oder durchaus auch in regelmäßigen Aussprachen zwischen Einzelpersonen und in punktuellem, gemeinsamen Wirken im Klassenzimmer“ (ISB 1999, 106).
Als Hindernisse für ein interdisziplinäres Arbeiten werden unter anderem „ die Strukturen der Einrichtungen, wie getrennte Abteilungen oder Leitungen von Schule und Therapie „ und die „ Abrechnungsmodalitäten der Krankenkassen „ genannt (BOCK 2000, 73). Oftmals sind es aber auch fehlende Techniken (zum Beispiel Kommunikations-, Kooperations- und Teamfähigkeitskompetenzen) schreibt Schweins, die gute Vorsätze zunichte machen, selbst wenn der Wille zur Zusammenarbeit besteht, denn: „Niemand kann – beim besten Willen – einfach von sich aus gut zusammenarbeiten, sondern er muß ganz bestimmte Grundvoraussetzungen hierfür erlernen. Dies kann wohl nur in der Ausbildung bzw. in permanenter Fortbildung verwirklicht werden“ (SCHWEINS 1996, 42).
Im Verlauf der weiteren Arbeit wird zu untersuchen sein, in wie weit eine Kooperation und Zusammenarbeit möglich ist und welche Bedingungen dafür geschaffen werden müssen.
3. Die Konduktive Erziehung nach András Petö
Die Konduktive Erziehung, oder auch Konduktive Pädagogik, ist ein ganzheitliches, komplexes pädagogisches System zur Förderung von Menschen mit Schädigungen des zentralen Nervensystems. Sie wurde in den 40er Jahren in Ungarn von dem Arzt und Bewegungstherapeuten Prof. Dr. med. András Petö (1893-1967) entwickelt und basiert auf der Grundannahme, dass Bewegungsbeeinträchtigungen keine unüberwindbare Krankheit, sondern eine Lernstörung darstellen. Durch einen kognitiven Prozess soll die Fähigkeit zur Kontrolle der Bewegungen erlernt, bzw. wiedererlernt werden.
3.1. Entstehungsgeschichte
Da András Petö weder vor noch nach der Einrichtung des Instituts für Bewegungstherapie theoretische Schriften zum System der Konduktiven Erziehung veröffentlicht hat, bzw. seine während des Krieges entstandenen Schriften verschollen sind, kann eine hinter dem System stehende „Philosophie“ nur vermutet werden (vgl. SCHUMANN/ CLEMENS 1999, 19).
Petö studierte in Wien Medizin, wo er Moreno, Freud und Jakobson kennen lernte. Laut Schumann/ Clemens schrieb er Gedichte, philosophische Schriften und Dramen, war außerdem interessiert an alten und östlichen Religionen und gab eine Zeitschrift zur Naturheilkunde heraus (vgl. SCHUMANN/ CLEMENS 1999, 20), was sein weitreichendes Interesse und Engagement deutlich werden lässt.
Er verfügte über umfangreiche medizinische und orthopädische Kenntnisse und kannte die pädagogischen und psychologischen Strömungen seiner Zeit. Als mögliche Einflüsse auf Petös „Philosophie“ werden von Schumann/ Clemens Bubers Aussage des Dialogischen Prinzips, Makarenkos Pädagogik der Gruppe und Morenos Psychodrama als Gruppentherapie genannt. Petö kannte als Mediziner die Pawlowschen Versuche, und er kannte Lurija, Piaget und Wallon die später auch das Institut besuchten (vgl. SCHUMANN/ CLEMENS 1999, 20ff).
Häufig wird die Konduktive Erziehung als Vereinigung der Disziplinen Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Grundschulpädagogik und Psychologie beschrieben. Allerdings muss man sich dessen bewusst sein, dass in Ungarn noch keine ergo- bzw. physiotherapeutischen Berufsbilder existierten, als Petö in Budapest die Konduktive Erziehung erprobte (vgl. ISB 1999, 36).
Der Verdienst Petös wird vor allem in der Verknüpfung der verschiedenen Kenntnisse und Sichtweisen gesehen. Er erkannte den Zusammenhang zwischen Psyche und Behinderung und kehrte sich, einem ganzheitlichen Menschenbild entsprechend, von dem um 1920 vorherrschenden defektorientierten Ansatz ab (vgl. ISB 1999, 20).
Ab 1945 war Petö für das Lehrgebiet Körperbehindertenpädagogik an der Hochschule für Heilpädagogik in Budapest zuständig, gründete 1948 das Institut für Bewegungstherapie und 1960 das staatliche Bewegungstherapeutische Institut, wo er die Konduktive Erziehung erprobte. 1963 verließ Petö die Hochschule und widmete sich ganz dieser praktischen Tätigkeit. Das Institut für Bewegungstherapie wurde später zum staatlichen Petö-Institut umbenannt (vgl. SZÖVÖ-DOSTAL 2001, 69).
Zu dieser Zeit, als Petö mit der Konduktiven Erziehung begann, konnten in Ungarn „ Kinder mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen nicht in das dortige Schulsystem aufgenommen werden „ und ein „ tragfähiges Förderschulsystem existierte nicht“ (ISB 1999, 21). Zwar gab es einzelne Sonderschulen, auch für Kinder mit mentaler Retardierung und Körperbehinderung, Bedingung war jedoch, auch für diese Schulen, die Gehfähigkeit. So war das Hauptziel der Konduktiven Erziehung auf die schnellstmögliche Integration in die Regel- oder Sonderschule gerichtet, was nur ein von Hilfe unabhängiges Kind erreichen konnte (vgl. KARCH u.a. 1997).
Auch heute noch scheint die Aufnahme in eine Regelschule in Ungarn für ein Kind erschwert zu sein, das sich nur im Rollstuhl fortbewegen kann und auf fremde Hilfe angewiesen ist.
András Petö entwickelte das Berufsbild der Konduktorin und bildete diese im Institut aus. Sicherlich bedeutend für die Erziehungsziele, -stile und -mittel, auf die im Folgenden noch eingegangen wird, ist der Umstand, dass die Konduktive Erziehung „ in einem kommunistisch-sozialistischen osteuropäischen Gesellschaftssystem „ (WEBER/ ROCHEL 1992, 284) entwickelt wurde.
Dies muss beachtet werden, wenn die Konduktive Erziehung in unser Gesellschaftssystem übertragen werden soll.
1963 wurde die Konduktorenausbildung in Ungarn staatlich anerkannt und das Institut wechselte in die Obhut des Bildungsministeriums. Mit dem Tod von András Petö 1967 wurde die Leitung von Frau Dr.Maria Hári übernommen (vgl. SCHUMANN / CLEMENS 1999, WEBER 1998).
Es wäre falsch, die Konduktive Erziehung als einzige ungarische Behandlungsmethode darzustellen. Sie steht gleichberechtigt neben anderen etablierten Behandlungsmethoden. Durch den Alleinvertretungsanspruch des Instituts, der eine Förderung durch Konduktive Erziehung nur im Institut zuließ, und die Behandlungserfolge, die durch die Medien in anderen Ländern bekannt wurden, scheint diese Methode aber im Ausland ein besonderes Interesse geweckt zu haben (vgl. WEBER 1998, 141f).
3.2. Personenkreis
Ursprünglich entwickelt für zerebralparetische Kinder, arbeitet die Konduktive Erziehung aber auch mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit anderen Bewegungsstörungen, die von einer Schädigung des zentralen Nervensystems herstammen. Ursachen können zum Beispiel eine Erkrankung an Parkinson, Multipler Sklerose, die Folgen eines Schlaganfalls oder ein Gehirntrauma nach einem Unfall sein. Auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit spinomotorischen Dysfunktionen (Spina bifida) werden durch die Konduktive Erziehung gefördert (vgl. SPECK 1996, WEBER 1998).
Ich werde hier nur die Infantile Zerebralparese und Spina bifida genauer vorstellen, da diese zwei Gruppen in der Schule für Körperbehinderte am ehesten anzutreffen sind. Spina bifida-Kinder scheinen an den Schulen jedoch nur noch wenig vertreten zu sein (vgl. WEHR-HERBST 1997, 322).
3.2.1. Infantile Zerebralparese
Die infantile Zerebralparese ist ein Sammelbegriff für Bewegungsstörungen, die als Folge einer frühkindlichen Schädigung des Gehirns vor, während oder kurz nach der Geburt erworben wurden.
Zerebrale Bewegungsstörungen werden unterteilt in die Erscheinungsformen der Spastik, Athetose, Ataxie und Hypotonie, welche sich auf den unterschiedlichen Muskeltonus beziehen.
Durch spastische Lähmungen wird der Muskeltonus erhöht, wodurch die Bewegungsmuster verändert erscheinen. Bei der Erscheinungsform der Athetose ist der Muskeltonus schwankend, was zu unwillkürlichen, nicht steuerbaren Bewegungen führt. Ataxie und Hypotonie sind gekennzeichnet durch einen verminderten, schlaffen Muskeltonus (vgl. STADLER 1998).
Laut Weber sind „Spastik und Athetose [...] i.d.R. vorherrschend, Ataxie und Hypotonie stellen Begleiterscheinungen dar“ (WEBER 1998, 35-36). Auch spastisch-athetotische Mischformen sind möglich.
Je nachdem, welche Körperteile betroffen sind, wird in Tetraplegie (Arme und Beine sowie Rumpf, Hals und Kopf betroffen), Diplegie (alle vier Extremitäten, insbesondere Beine und Beckengürtel betroffen), Paraplegie (nur Beine betroffen) und Hemiplegie (eine Körperhälfte betroffen) unterschieden (vgl. STADLER 1998, 14).
Es handelt sich also um sehr verschiedene Erscheinungsformen, bei denen sich die Auswirkungen von einer nur leichten Bewegungsbeeinträchtigung bis hin zur schweren Schwerstmehrfachbehinderung erstrecken können, denn häufig „ ist die Bewegungsstörung nur eine Ausdrucksform der infantilen Cerebralparese. Cerebrale Anfälle sind meist Folge der Hirnschädigung. Auch eine Störung der am Sprechvorgang beteiligten Nerven und Bahnen [...] steht in direktem Zusammenhang mit der cerebralen Bewegungsstörung. In einem engen Beziehungsgeflecht sind mögliche Störungen in Bereichen der sozialen, kommunikativen und emotionalen Entwicklung des Kindes zu sehen" (HEDDRICH 1999, 22).
3.2.2. Spina bifida
Auch Spina bifida stellt eine Schädigung des zentralen Nervensystems dar, hier allerdings im Rückenmark. Sie besteht ebenfalls von Geburt an.
Bei Spina bifida, auch genannt „offener Rücken“, ist das fehlgebildete Rückenmark durch einen Wirbelbogen nach außen gekehrt. Nur teilweise sind solche Fehlbildungen operabel.
Als Folgeerscheinung treten Lähmungen im unteren Körperabschnitt auf, abhängig von Ausmaß und Höhe der Schädigung. Spina bifida kann von leichter Störung der Beinbeweglichkeit bis hin zur kompletten Querschnittslähmung führen. Störungen im Blasen- und Mastdarmbereich, sowie die Ausbildung eines Hydrocephalus treten in Verbindung mit Spina bifida ebenfalls sehr häufig auf (vgl. ISB 1993, 15).
Die Förderung durch Konduktive Erziehung setzt schon in der Frühförderung an. Säuglinge werden im Budapester Institut in Mutter-Kind-Gruppen gefördert.
Bei Kindern ab 5 Jahren gelten allerdings bestimmte Aufnahmekriterien, die nicht von allen Kindern mit infantiler Zerebralparese oder Spina bifida erfüllt werden können (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 50). Haug stellt fest, dass im Institut zwar auch schwer behinderte Kinder aufgenommen werden, „ also auch solche, die zu keiner Kontaktaufnahme mit der Umwelt in der Lage sind. Es wird versucht, ihre Kooperationsfähigkeit zu entwickeln, damit sie aktiv am Lernprozeß teilnehmen können. Gelingt dies allerdings nicht, stößt die konduktive Pädagogik an ihre Grenzen“ (HAUG 1988, 3).
Auf die Ausschlusskriterien der Konduktiven Erziehung wird in Punkt 3.7.3. noch einmal eingegangen.
3.3. Grundlagen der Konduktiven Erziehung
3.3.1. Neurophysiologische Grundlagen und Orthofunktion
Das Erreichen der Orthofunktion (als Gegenteil der Dysfunktion) stellt das Ziel der Konduktiven Erziehung dar. „Ein orthofunktionaler Mensch besitzt eine generelle Fähigkeit zur Adaption, zum Lernen. [...] Bei einer Dysfunktion ist diese Fähigkeit eingeschränkt oder nicht vorhanden“ (ÁKOS/ ÁKOS 1989 zitiert nach Günter/ Strassmeier 1996, 50). Die Dysfunktion ist somit dann überwunden, wenn selbständig und systematisch erlernte Bewegungen angewendet, problemlösende Mechanismen eingesetzt und neue Fertigkeiten erlernt werden (vgl. WEBER 1998, 123).
Die Konduktive Erziehung geht vom Menschen als lebenslangem Lerner aus. Auch ein durch Sauerstoffmangel oder andere Ursachen geschädigtes Gehirn hat noch Kapazitäten. Diese sollen durch die ganzheitlich orientierten Übungen aktiviert werden, „ so daß andere Gehirngebiete die Funktionen des eigentlich dafür vorgesehenen, aber [...] geschädigten Bezirks übernehmen“ (GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 50).
In der Veröffentlichung des Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung (ISB 1999) wird darauf hingewiesen, dass die neurophysiologischen Forschungen heute weiter entwickelt sind, als zu Lebzeiten Petös und hirnorganische Störungen damit anders gedeutet werden. Demnach sei eine Funktionsübernahme durch ungeschädigte Gehirnareale nur begrenzt möglich und eine Verbesserung durch therapeutische Maßnahmen nicht zwangsläufig, wodurch auch Konduktiver Erziehung Grenzen gesetzt seien (vgl. ISB 1999, 14ff).
Die Autoren des Staatsinstituts warnen auch vor dem Irrtum vieler Eltern, dass sie mit ihrem Kind nur genug üben müssten, dann könne die Behinderung gemindert werden. Teilweise wird sogar von „Heilung“ gesprochen (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 56). Nach Auffassung der Autoren könne aber, bezogen auf die Definition von Behinderung durch die ICIDH der Weltgesundheitsorganisation (siehe Kapitel 2, Punkt 2.1.), durch Konduktive Erziehung nur die Ebene „handicap“, als soziale Beeinträchtigung, bisweilen auch die Ebene „disability“, als funktionale Einschränkung (zum Beispiel Gehunfähigkeit), nicht jedoch der Schaden selbst („impairment“) überwunden werden (vgl. ISB 1999, 13f).
3.3.2. Die Konduktorin
Die Besonderheit der Konduktiven Erziehung liegt in der Einbettung therapeutischer Inhalte in pädagogisches Handeln. Grundlage ist eine ganzheitliche Sicht des Menschen, die eine ganzheitliche Förderung verlangt und den Menschen nicht in einzelne Funktionsbereiche untergliedert.
Dazu werden in Ungarn und zunehmend auch in anderen Ländern Konduktorinnen ausgebildet, die sich durch ein umfangreiches Fachwissen in verschiedenen Disziplinen auszeichnen.
Der Begriff „konduktiv“ kann vom lateinischen „con-ducere“ hergeleitet werden, was mit „zusammenführen, zusammenziehen“ übersetzt wird. Das Wort „to conduct“ im Englischen, wird von Langenscheidt mit „führen, leiten“ übersetzt (vgl. WEBER 1998, 21).
Die Konduktorin strukturiert die Lernprozesse und „führt“ und „leitet“ das Kind (oder den Erwachsenen) zu aktivem, selbstgesteuertem Lernen, indem sie Fachwissen aus Pädagogik und Therapie miteinander verbindet.
Die seit 1968 vier Jahre dauernde Ausbildung der Konduktorinnen in Ungarn basiert zu einem großen Teil auf Praxiserfahrungen, „ da die professionelle Aneignung überwiegend über das Miterleben, Nachahmen, selbst agieren, über das Praxiserleben abläuft“ (WEBER / ROCHEL 1992, 291). Dabei arbeitet in jeder Gruppe im Budapester Institut eine leitende Dipl. Konduktorin, die von 2 bis 4 auszubildenden Konduktorinnen unterstützt wird (vgl. WEBER 1998, 61).
Ausgebildete Konduktorinnen dürfen nur in einschlägigen Zentren arbeiten und können sich weder in Ungarn noch in Deutschland in eigenen Praxen niederlassen. Laut Weber „ unterstehen die Konduktorinnen dem leitenden Arzt, kooperieren mit Eltern, leiten Studierende und Praktikanten an“ (WEBER 1998, 59). Teamfähigkeit und Kooperationsfähigkeit sind wichtige Kompetenzen der Konduktorin.
In Deutschland sind der ungarische Studienabschluss und das Berufsbild der Konduktorin als medizinischer Hilfsberuf nicht anerkannt (vgl. WEBER 1998, 61).
Als Leiterin der Konduktiven Erziehung, ist die Konduktorin als erstes für die Gruppenzusammenstellung verantwortlich. Wünscht jemand die Teilnahme an einer Gruppe, wird er zu einer Konsultation eingeladen. Gemeinsam mit dem Bewerber - bei Kindern werden die Eltern mit einbezogen - wird geprüft, ob derjenige von Konduktiver Erziehung profitieren könnte und welche Ziele angestrebt werden sollen. Bewegungsfähigkeiten werden überprüft und schriftlich, teilweise auch mit Foto, festgehalten.
Grundsätzlich versuchen die Konduktorinnen erst einmal jedem zu helfen. Häufig wird ein Zeitraum von einigen Wochen festgelegt, in der das Kind oder der Erwachsene an einer Gruppe teilnimmt. Danach wird entschieden, ob Konduktive Erziehung Erfolg haben könnte (vgl. BROWN/ MIKULA-TOTH 1997).
Eine weitere wichtige Aufgabe der Konduktorin ist die Beobachtung und Evaluation, von der ersten Vorstellung, bis zum Ende der Zusammenarbeit mit dem „Patienten“.
Bei meinem Praktikum in England hatte ich die Möglichkeit der Einsicht in solche Evaluationsbögen. Sie wurden dort am Hereward College zweimal jährlich sowohl für die Konduktorinnen, als auch für die Studenten selber und deren Eltern geschrieben. Dabei wurden für jeden Studenten persönlich Ausgangspunkt, Fortschritte und weitere Ziele aufgeführt und durch persönliche Ansprache und Lob zur Weiterarbeit motiviert.
Weiterhin ist die Konduktorin für die Programmplanung verantwortlich, welche für jede Gruppe individuell vorgenommen wird. Tempo, Wortwahl und Rhythmus variieren von Gruppe zu Gruppe. Das Programm muss so aufgebaut sein, dass jedem Teilnehmer ermöglicht wird, für ihn sinnvolle Bewegungsabläufe zu erlernen, die er im Alltag umsetzen kann.
Konduktorin und Gruppenteilnehmer sollten als gleichberechtigte Partner zusammenarbeiten. Aufgabe der Konduktorin ist es, zu leiten und zu unterstützen und nicht, die Aktivität für den Teilnehmer zu übernehmen. Dazu nutzt sie verschiedene Möglichkeiten der Fazilitation und der rhythmischen Intendierung (vgl. BROWN/ MIKULA-TOTH 1997).
3.3.3. Fazilitation
Nach Günter/ Strassmeier wurde der Begriff der Fazilitation von Bobath und Bobath geprägt. In der Konduktiven Förderung erhält er allerdings eine andere Bedeutung. Hier umfasst Fazilitation jede Maßnahme, die das Kind in seiner Aktivität unterstützt (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 53). Dabei unterteilt Weber in die Formen der strukturellen Fazilitation, der medialen Fazilitation, der pädagogisch-psychologischen und sozialen Fazilitation und der individuellen Fazilitation (vgl. WEBER 1998, 112). Auf diese Merkmale der Konduktiven Erziehung, nämlich die Raum- und Zeitplanung und den Programmaufbau durch die Konduktorin, den Einsatz der Hilfsmittel, die Organisation in Gruppen und die Rolle der Motivation, wird in den folgenden Punkten eingegangen.
Aus dem Englischen wird „to facilitate“ von Langenscheidt mit „erleichtern“ übersetzt (vgl. WILLMANN/ TÜRCK 1997).
Brown/ Mikula-Toth unterscheiden zwischen „educational facilitation“ und „mechanical facilitation“ (BROWN/ MIKULA-TOTH 1997, 16). Ersteres umfasst zum Beispiel das Motivieren, Anleiten und Demonstrieren ohne manuelle Hilfestellung.
Das Prinzip der „educational facilitation“ hat in der Konduktiven Erziehung einen so hohen Stellenwert, dass man teilweise in der Literatur auch die Aussage „Don´t touch the child!“ finden kann, die allerdings nach Günter/ Strassmeier kein allgemeines Postulat der Konduktiven Erziehung darstelle (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 54).
„Mechanical facilitation“ stellt direkte Hilfe durch Halten, Fixieren und Ausnutzung der Gravitation dar. Dazu zählen auch der Einsatz von Hilfsmitteln, wie die speziellen Petö-Möbel, sowie das direkte Eingreifen der Konduktorin.
Manuelle Hilfe sollte von der Konduktorin aber so wenig wie möglich eingesetzt werden. Jede Fazilitation sollte das Überflüssigmachen der Hilfe zum Ziel haben. Es kann ein Maximum an manueller Hilfe gegeben werden, um zum Beispiel einem Gruppenteilnehmer einmal das Gefühl des Stehens oder Laufens zu geben, doch dann sollte, mit so wenig Hilfe von außen wie möglich, schrittweise auf dieses Ziel hingearbeitet werden.
Brown/ Mikula-Toth schreiben dazu: „A facilitation used by the conductor will be used with the aim of removing it, changing it and encouraging the same result without it at a later stage.[…] Facilitation is not constant, it will change as the aim changes and as the person learns how to perform the movement“ (BROWN/ MIKULA-TOTH 1997, 16).
Aufgabe der Konduktorin ist es, Wege aufzuzeigen, wie eine Bewegung oder ein Bewegungsablauf möglichst ohne Hilfe ausgeführt werden können.
3.3.4. Die Aufgabenreihen und Programme
Konduktive Erziehung wird in verschieden Formen durchgeführt. Die Dimensionen reichen von Internatsunterbringung mit täglicher, ganztägiger Förderung, bis zu Gruppen, die nur einmal wöchentlich für eine Stunde zusammenkommen. Davon abhängig ist auch die Art der Programme.
Im Falle der täglichen Förderung durch Konduktive Erziehung in Zusammenhang mit dem Schulunterricht, muss unterschieden werden zwischen speziellen Bewegungsprogrammen, Kognitionsprogrammen und den im ganzen Alltag vorherrschenden konduktiven Prinzipien.
Um Bewegungsabläufe neu oder, bei Erwachsenen, wieder zu erlernen, muss bewusst gemacht werden, was normalerweise automatisch abläuft (vgl. BROWN/ MIKULA-TOTH 1997, 14). Dazu werden in Bewegungsprogrammen Einzelbewegungen geübt. Ein Bewegungsablauf wird in kleinere, überschaubare Teilschritte zerlegt, da er komplex von den Gruppenteilnehmern noch nicht durchgeführt werden kann. So entstehen Aufgabenreihen, die über einen längeren Zeitraum in gleicher Abfolge und Struktur wiederholt werden, bis die Bewegungen automatisiert ablaufen (vgl. ISB 1999, 17).
Wurde im Bewegungsprogramm eine bestimmte Fertigkeit erlernt, wird sie sofort in andere Programme und in den Alltag eingebettet. Ein Schüler, der das Greifen erlernt hat, wird beim Essen zum selbständigen Halten seiner Tasse angeleitet. Um zu vermeiden, dass die Handlungen abstrakt erscheinen, handelt es sich nie um isolierte Übungen. Weber: „ die Arbeit ist ziel- und nicht ursachenorientiert und vollzieht sich grundsätzlich in Tätigkeitszusammenhängen“ (WEBER 1998, 86).
Die Bewegungsprogramme werden sowohl im Liegen auf Holzpritschen, als auch im Sitzen, Stehen und Laufen ausgeführt.
Das Liegen bietet eine sichere Position und Entspannungsmöglichkeit, so dass Spastiken reduziert werden können. Im Sitzen können gute Vorbereitungsübungen für das Stehen und Laufen durchgeführt werden, denn der Aufrichtung gilt in der Konduktive Erziehung besondere Aufmerksamkeit. Es wird versucht, jedem Menschen zumindest das Gefühl und die Erfahrung des Stehens und Laufens zu ermöglichen, auch wenn dabei zuerst viel manuelle Hilfe nötig ist.
Die Konduktive Erziehung verfolgt unter anderem Ziele in den Bereichen Motorik, Wahrnehmung, Kommunikation und Persönlichkeitsbildung, Sprache, Kognition und Lebenspraxis (vgl. WEBER 1998, 107).
Weber schreibt: „Die Ziele und Inhalte Konduktiver Förderung sind immer und jederzeit mehrdimensional angelegt“ (WEBER 1998, 90). Bei ganztägiger Förderung im Budapester Institut, wechseln sich spezielle Bewegungsprogramme mit Schulunterricht und Lebenspraxistraining ab. Sie gehen jedoch ineinander über und stehen in keinem Falle additiv nebeneinander. Der ganze Tag stellt somit eine Einheit aus Konduktiver Förderung dar.
Die Programme und Aufgabenserien werden stets neu und individuell auf die Gruppe zugeschnitten von den Konduktorinnen erarbeitet. Konsequent wird vom Budapester Institut vermieden, Programme zu veröffentlichen, „ um nicht den geringsten Eindruck zu erwecken, dass derartige Programme [...] übertragbar seien“ (WEBER/ ROCHEL 1992, 32).
3.3.5. Gruppenprinzip und Individualität
Im Gegensatz zur herkömmlichen Einzeltherapie arbeitet die Konduktive Erziehung mit Gruppen, die von den Konduktorinnen unter spezifischen Gesichtspunkten zusammengestellt werden.
Nach Rösslhuber ist die Gruppe „ die Basiseinheit des Instituts, wo die Kinder schlafen, essen, lernen, üben – ihren ganzen Tag verbringen. Da alle das gleiche Ziel haben und mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen, sind die Erfolge eines Kindes Motivation und Ansporn für die anderen“ (RÖSSLHUBER 1987 zitiert nach GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 52). Demnach weist die Arbeit in der Gruppe Vorzüge auf, die in der Einzeltherapie nicht gegeben sind. Die Kinder können voneinander und miteinander lernen, das Sozialverhalten wird geschult und Vorbild ist nicht nur der Erwachsene. Die Eigenaktivität wird verstärkt, da keine Einzelbetreuung erfolgt. Immer wieder werden in der Literatur die Gruppendynamik und der motivierende Charakter der Gruppenarbeit hervorgehoben (vgl. z.B. HAUG 1988; GÜNTER/ STRASSMEIER 1996; WEBER 1998).
Die Gruppen werden, hinsichtlich der Behinderungsbilder, weitgehend homogen zusammengestellt. „Kinder mit Zerebralparese und Spina bifida werden nicht ´gemischt`“ (ISB 1999, 24). Außerdem werden Alter, Persönlichkeit und körperliche Bedingungen bei der Auswahl der richtigen Gruppe für einen Bewerber mitbeachtet (vgl. SCHUMANN/ CLEMENS 1999, 78). Durch eine solche Zusammenstellung der Gruppen, werden ein intensives, leistungsorientiertes Üben und ein bestmögliches Zusammenwachsen und Zusammenarbeiten der Gruppenteilnehmer ermöglicht.
Obwohl in Gruppen gearbeitet wird und diese sich durch das zeitgleiche Arbeiten am gleichen Programm auszeichnen, gibt es für jedes Kind, jeden Teilnehmer, individuelle Lernaufgaben. SCHUMANN/ CLEMENS schrieben: „Die Kompetenz der Konduktor-inn-en besteht darin, Bewegungsmuster für das einzelne bewegungsbehinderte Kind wie auch für die Gruppe so aufzuschlüsseln, daß sie aktiv, eigenständig im Bewegungshandeln durchführbar und damit erlernbar werden“ (SCHUMANN/ CLEMENS 1999, 88). Im Gruppengefüge wird somit jedes Kind selbständig aktiv, indem es die für alle gestellte Aufgabe, zum Beispiel das Laufen zur Toilette, nach seinen Möglichkeiten durchführt. Dabei kann dies für ein Kind das freie Laufen, für ein anderes Kind das Laufen mit der Laufleiter bedeuten.
Grundlegend ist die Eigenaktivität des Kindes, Jugendlichen oder Erwachsenen, die entscheidend von der Motivation abhängig ist. Deshalb spielen die gegenseitige Motivation der Gruppenteilnehmer und die motivierende Arbeitsweise der Konduktorin eine so wichtige Rolle in der Konduktiven Erziehung.
3.3.6. Die Rolle der Sprache
Eine Form der Fazilitation stellt das rhythmische Intendieren, der Einsatz von Sprache in der Konduktiven Erziehung dar.
Eine Aufgabe wird stets erst von der Konduktorin vorgesprochen, dann von den Gruppenteilnehmern wiederholt und erst danach, oft auf die Zählzeiten 1 bis 5 oder nach einem sprachlichen Rhythmus, ausgeführt. Schumann/ Clemens geben ein Beispiel einer Übungssequenz aus dem Forschungsprojekt an der Taunusklinik (1990-1992):
„Hände auf dem Knie, Füße am Boden Ich nehme die Knie auseinander, auseinander Ich drehe die Füße nach außen, 1,2,3,4,5 Ich sitze gerade „ (SCHUMANN / CLEMENS 1999, 89).
Die Ich-Form wird verwendet, um die Übung zu personalisieren.
Psychologie und Pädagogik scheinen gegenwärtig die Bedeutung des inneren Sprechens für die geistige Entwicklung des Kindes zunehmend anzuerkennen (vgl. SCHOR 2000a, 144). Mit der Ich-Form am Satzanfang wird das Kind zum Mitsprechen ermuntert. Dadurch, dass es seine Bewegungen beschreibt, wird die Vorstellung der Handlung vor und während des Vollzuges unterstützt (vgl. ISB 1999, 63).
Alle unsere Bewegungen folgen einem Rhythmus. Wir können einzelne Buchstaben schreiben, aber für einen Brief müssen sie fließend aneinander gereiht werden, die Einzelbewegungen einem Rhythmus folgen.
Brown/ Mikula-Toth schreiben dazu: „Neurological damage affects this kinetic melody and the stages involved in the activity become a series of single acts, each requirung a separate impulse from the brain“ (BROWN/ MIKULA-TOTH 1997, 45).
Das aktionsbegleitende Sprechen und Singen (rhythmisches Intendieren) gibt eine bestimmte Zeit vor, in der eine Bewegung ausgeführt werden soll. Tempo und Rhythmus variieren von Gruppe zu Gruppe und hängen von der Art der Schädigung ab. Nach Haug hat ein lebendiger Rhythmus auf schlaffe Zustände „ einen belebenden Einfluß. Langsames Zählen hemmt das Auftreten von Spasmen, gibt Zeit zum Entspannen“ (HAUG 1988, 9), weshalb eine Gruppe an Parkinson Erkrankter in einem schnelleren Tempo als eine Spastiker-Gruppe arbeiten wird.
Bei Kindern werden oft auch elementare Instrumente und bekannte Kinderlieder mit bewegungsorientierten Texten eingesetzt, um den Rhythmus vorzugeben (vgl. ISB 1999, 47).
Haug schreibt aus ihren persönlichen Beobachtungen am Budapester Institut von den positiven Wirkungen der Gruppenarbeit und der Verwendung von Sprache und Rhythmus: „ Wer nicht mitkommt, für den zählt die ganze Gruppe mit; das mobilisiert ungeahnte Kräfte. Rhythmisches Sprechen und Singen reißt mit, da alle Kinder mitmachen – so weit sie können“ (HAUG 1988, 10). Danach dient das rhythmische Intendieren auch dem Sprachaufbau, da nichtsprechende Kinder allmählich ebenfalls anfangen, Laute zu produzieren.
3.3.7. Hilfsmittel
Hilfsmittel werden in der Konduktiven Erziehung stets sparsam und mit dem Ziel des Abbaus dieser Hilfen im Lernprozess eingesetzt.
Die sogenannten Petö-Möbel – einfache Holzpritschen, Sprossenstühle, Leitern und Hocker – sind charakteristisch für die Konduktive Erziehung, wenn auch nicht Grundvoraussetzung (vgl. BROWN/ MIKULA-TOTH 1997). Sie sind herkömmlichen Möbeln nachempfunden und bieten keine überflüssigen Hilfen, die zu Passivität führen könnten. Auf Rollstühle und Stehständer wird aus diesem Grund in der Konduktiven Erziehung verzichtet (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 54). Parallelbarren und Sprossenwände werden stattdessen eingesetzt.
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Wichtig ist in der Konduktiven Erziehung , dass die Hilfsmittel Multifunktionalität besitzen und dem Lernprozess entsprechend angepasst werden können. Die Holzpritschen werden sowohl als Lehrgeräte für Übungen im Liegen, Sitzen und Stehen, als auch als Tisch und Bett benutzt (vgl. HAUG 1988, 16). Sprossenstühle gibt es in verschiedenen Größen, sie dienen zum Sitzen, Stehen und Laufen.
Die harte Oberfläche der Holzmöbel bietet jeweils gute sensorische Reize, die Latten und Sprossen eignen sich zum Greifen und Halten.
Mit einfachsten Mitteln, wie zum Beispiel kurzen Holzstöcken, Gummiringen, rutschfesten Unterlagen und andere Materialien (siehe Bild), werden den Kindern Hilfen angeboten, wenn sie diese benötigen, können aber ohne weiteres wieder entfernt werden.
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Weber schreibt: „Alle [...] Mittel, Methoden und Medien sind entsprechend der Phantasie, Kreativität, didaktisch-methodischen Fähigkeiten, dem situativen Geschick der Konduktorin und der Lernbereitschaft der Kinder variabel einsetzbar. Jedoch sind alle Hilfsmittel auf die Eigenaktivität des Kindes ausgerichtet und nur zum Ansporn und zur Motivation gedacht“ (WEBER 1998, 113).
Das Angebot an Hilfsmitteln und Materialien bleibt immer überschaubar und wird nur gezielt von der Konduktorin eingesetzt, um die Kinder nicht abzulenken. Häufig werden deshalb die Räume im Budapester Institut auch als „reizarm“ beschrieben (vgl. WEBER/ ROCHEL 1990; SCHUMANN/ CLEMENS 1999).
3.4. Die Schulgruppen am Budapester Institut
Im Budapester Institut existieren für Kinder ab 6 Monaten ambulante Mutter-Kind-Gruppen, für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren stationäre Kindergartengruppen und für Kinder ab dem schulpflichtigen Alter Schulgruppen in Internatsform.
Ziel der Schulgruppen ist die schnellstmögliche Umschulung in die Regelschule. Deshalb richtet sich der Lehrplan „ nach dem Curriculum des ungarischen Landeserziehungsprogramms. Er gibt der Konduktorin die Freiheit, die individuellen Programme zusammenzustellen und Differenzierungen vorzunehmen“ (ISB 1999, 23). Bei der Umschulung muss der Schüler allerdings in den Lernfächern auf dem für die angestrebte Schule geforderten Stand und in der Lage sein, sich selbständig fortbewegen und versorgen zu können (vgl. HAUG 1988, 13).
Nach Haug leben die meisten Schüler ständig im Institut und dürfen jedes zweite Wochenende zu Hause verbringen. Wenige externe Schüler besuchen Ganztagesgruppen, wohnen aber zu Hause (vgl. HAUG 1988, 13).
Der Tagesablauf ist nach einem immer gleichen Zeitplan eingeteilt, der den Kindern Kontinuität und Orientierung bieten soll. Die Förderung nach konduktiven Prinzipien, das heißt das Selbständigkeitstraining, beginnt schon mit dem Wecken. Nach dem Frühstück werden Bewegungsprogramme durchgeführt, anschließend findet Schulunterricht und zwischendurch immer wieder Bewegungs- und Selbständigkeitstraining (Toilettengang, Essen...) statt.
Günter/ Strassmeier schreiben: „Der Tagesablauf im Institut ist geprägt von verschiedenen Programmen, die Lernziele im grob- und feinmotorischen Bereich sowie im sprachlichen, sachkundlichen, lebenspraktischen, sozialen und emotionalen Bereich beinhalten“ (GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 52). Dabei liegt es am Geschick der Konduktorinnen, die Motivation der Kinder zu erhalten, indem sie Spielformen entwickeln und das Programm abwechslungsreich gestalten.
Kennzeichnend ist gerade hier, in den Schulgruppen, dass pädagogische und therapeutische Inhalte in integrierter Form vermittelt werden. Es wird sehr intensiv den ganzen Tag über geübt, da die Eigenaktivität des Kindes in jeder Situation gefordert wird.
Dieses zeitintensive Üben führen Günter/ Strassmeier als einen der Gründe für den Erfolg der Konduktiven Erziehung an (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 56).
3.5. Konduktive Erziehung als Beitrag zur Integration
Wie bereits beschrieben, war der Hintergrund der Entwicklung der Konduktiven Erziehung das damalige ungarische Schulsystem (vgl. Punkt 3.1.). Nur Kinder, die sich selbst versorgen und selbständig fortbewegen konnten, wurden in die Regelschule aufgenommen. Ziel der Konduktiven Erziehung ist deshalb das Erreichen der Orthofunktion, damit die Kinder dann, unabhängig von fremder Hilfe, in die Regelschule umgeschult werden können.
Haug schreibt: Ein orthofunktionaler Mensch „ ist in der Lage, den seinem Alter entsprechenden biologischen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden, in seiner sozialen Umwelt selbständig und ohne spezielle Hilfsmittel leben zu können“ (HAUG 1988, 6). Dies entspricht nicht dem Verständnis von Integration, nach welchem heutzutage in Deutschland Kinder mit und ohne Behinderungen zusammen unterrichtet werden.
In der Konduktiven Erziehung spielt die Orientierung an der Normalität eine große Rolle (vgl. ISB 1999, 37). Die Loslösung vom Rollstuhl und die Aufrichtung der Person sind Voraussetzung für die Integration. Ein sonderpädagogischer Förderbedarf wurde den Kindern in ungarischen Regelschulen nicht zugestanden, weshalb nur ein kleiner Teil der behinderten Kinder dieses hohe Ziel erreichen konnte.
Doch auch Kindern mit einem „spezifischen Erziehungs- und Bildungsanspruch“ (STADLER 1998, 88), steht eine Bildung zu, die nicht zwangläufig über Aussonderung geschehen muss: „Denn nicht der behinderte Schüler sollte sich einer starren Form von Schule anpassen müssen, sondern die Institution Schule sollte so flexibel gemacht werden, dass auch Behinderte in ihr lernen können“ (POHL 1977, 35 zitiert nach STADLER 1998, 88). Auch Haug schreibt, dass „ unser Konzept der sozialen Integration weitreichender [ist], weil Kinder mit ihrer Behinderung Regeleinrichtungen besuchen“ (HAUG 1988, 7).
In Deutschland werden behinderte Kinder auf ihren sonderpädagogischen Förderbedarf hin überprüft. In den Empfehlungen der Kultusminister heißt es: „Die sonderpädagogische Förderung kann in Sonderschulen oder in allgemeinen Schulen erfolgen. [...] In jedem Fall müssen die notwendigen sächlichen, räumlichen und personellen Voraussetzungen gegeben sein“ (KMK 1998, 9). Der spezielle Förderbedarf wird somit anerkannt und das Kind auch in der Regelschule mit sonderpädagogischer Begleitung und Unterstützung seinen Möglichkeiten entsprechend unterrichtet.
Dazu werden häufig spezielle Integrationsklassen eingerichtet, in denen „ mit angemessener fachlicher Hilfe (Mehrpädagogen-System und Mitarbeit von Sonderpädagogen der Fachrichtung Körperbehindertenpädagogik) sowie mit der notwendigen Ausstattung mit apparativen und technischen Hilfen (adaptierte Personalcomputer, elektronische Kommunikationsgeräte etc.) für körperbehinderte Schüler gerechnet werden“ kann (STADLER 1998, 99). Aber auch bei Einzelintegration werden inzwischen mobile Dienste und sonderpädagogische Begleitung angeboten.
Die Konduktive Erziehung hat laut Fink „ die Integration des Kindes in das familiäre Umfeld jenseits eines Sonderstatus´ „ (FINK 1998, 121) zum Ziel. Zu fragen wäre, ob dieser „Sonderstatus“ wirklich aufhebbar ist und für welche Kinder dies möglich ist. Die Diskussion darum was „wirkliche Integration“ sei, würde hier allerdings zu weit führen.
Die Orthofunktion und völlige Unabhängigkeit ist ein Ziel, das sicher nur von wenigen behinderten Menschen erreicht werden kann, weshalb ja auch nur ausgewählte Kinder erfolgreich durch Konduktive Erziehung gefördert werden können. Integration muss aber für alle Menschen möglich sein.
Um die Kinder soweit zu bringen, dass sie später in die Regelschule umgeschult werden können, werden sie zunächst sehr intensiv im Budapester Institut gefördert, aus ihrem Familienverband herausgenommen und im Internat untergebracht. Die Integration ist hier das Ziel, aber nicht der Weg.
Wird ein Kind schon im Kindergarten und in der Grundschule integrativ betreut und gefördert, ist die Integration nicht nur das Ziel, sondern schon der Weg.
Auf das Für und Wider einer so intensiven, aber zunächst auch aussondernden Förderung, wie sich die Konduktive Erziehung in Ungarn darstellt, wird in den Kapiteln 4 und 5 noch weiter eingegangen.
3.6. Die Verbreitung der Konduktiven Pädagogik außerhalb Ungarns
Laut Weber/ Rochel schien es dem Petö-Institut bis in die 80er Jahre hauptsächlich um die originäre Erhaltung, weniger um eine Weiterentwicklung der Konduktiven Förderung zu gehen (vgl. WEBER/ ROCHEL, 279). Mit der politischen Öffnung Ungarns und einem durch die Medien forcierten zunehmenden Interesse des Auslandes an Konduktiver Erziehung, unternahm das Institut seit Mitte der 80er Jahre „Anstrengungen, sich Anfragen aus dem Ausland zu öffnen“ (WEBER 1998, 14). So wurde 1989 die Internationale Petö András Foundation gegründet, und das Internationale Petö Institut nahm seinen Betrieb auf.
Elterninitiativen und Mund-zu-Mund-Propaganda sorgten maßgeblich für die Verbreitung der Konduktiven Erziehung. Der 1986 in aller Welt ausgestrahlte BBC-Film „Standing up for Joe“, sorgte für einen internationalen Durchbruch, da er bei vielen Eltern Hoffnungen für ihre behinderten Kinder weckte. Dies führte zu einem kaum zu bewältigenden Ansturm auf das ungarische Institut. Private Institute entstanden und Förderwochen wurden organisiert (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 55).
Eine organisierte Einführung der Konduktiven Erziehung in andere Länder war laut Weber zunächst schwierig: „Ein nicht mehr überschaubares Feld der Beliebigkeiten entstand, notwendige Grundvoraussetzungen, Rahmenbedingungen, Strukturelemente, Prinzipien und Inhalte wurden bei der Anwendung z.T. kaum oder gar nicht beachtet“ (WEBER 1998, 142).
Weber und Fink beschreiben beide die Problematik des „Therapietourismus“. Da Konduktive Erziehung ein auf Kontinuität ausgelegtes Förderkonzept ist, entsprechen Sommerförderwochen, Blocktherapie und privat angestellte Konduktorinnen zur Einzeltherapie nicht dem Konzept und führen zum Qualitätsverlust der Konduktiven Pädagogik (vgl. WEBER 1996; FINK 1998). Es ist also notwendig, die Konduktive Erziehung systematisch und kontrolliert in anderen Ländern einzuführen und einen „Wildwuchs“ zu vermeiden.
Laut Weber/ Rochel zeichnet sich das Budapester Institut noch immer durch eine „Komm-Struktur“ aus (vgl. WEBER/ ROCHEL 1992, 279). So besuchten 1995 fast 300 deutsche Kinder das ungarische Institut (vgl. WEBER 1998, 15).
Die Verbreitung der Konduktiven Erziehung in andere Länder geht nur schwer voran, da die Ungarn lange auf ihrem Alleinvertretungsanspruch bestanden und einer Wirksamkeit Konduktiver Förderung, wenn sie nicht durch in Ungarn ausgebildete Konduktorinnen durchgeführt wird, noch immer oft kritisch gegenüber stehen (vgl. ISB 1999, 9).
Viele ungarische Konduktorinnen sind aber inzwischen auch in andern Ländern tätig. So gibt es Institute in Irland, England, Schottland, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Deutschland, Österreich, Malta, Australien, Neuseeland, Japan, den USA, Kanada, Frankreich, Griechenland, Israel und Spanien (vgl. www.conductive-training.org, B.1.b).
Der „Erste internationale Kongreß der konduktiven Bewegungspädagogik“ fand 1984 in Budapest statt. 1990 und 1995 fanden zwei weitere Weltkongresse in Budapest und im Juni 2001 einer in London statt. Des weiteren wurden zahlreiche europäische und nationale Tagungen, mit und ohne ungarischer Beteiligung, veranstaltet (vgl. WEBER/ ROCHEL 1992; WEBER 1998).
Im März 1993 wurde in Wien die European Association for Conductive Educucation (E.A.C.E.) gegründet, ein Zusammenschluss von Fachleuten aus Ungarn, Österreich, Deutschland, Großbritannien, Irland und Belgien. Die in diesem Zusammenhang gebildete Arbeitsgruppe „Studium und Weiterbildung“ hat sich zur Aufgabe gemacht, einen europäisch einheitlichen Studiengang für Konduktive Erziehung zu schaffen (vgl. SZÖVÖ-DOSTAL 2001, 31f). Anfang des Jahres 2000 wurde dazu bei der Europäischen Kommission ein Antrag für das Projekt „Entwicklung gemeinsamer Module eines Europäischen Curriculums zur Fort- und Weiterbildung von Pädagogen und therapeutischen Fachkräften zum/zur Konduktor/in“ eingereicht. Dieses Sokrates-Comenius-Projekt soll in seiner geplanten dreijährigen Laufzeit eine Verbesserung und Vereinheitlichung der Fortbildung zur Konduktorin in Europa erarbeiten (vgl. www.conductive-training.org und E-Mail vom 22.10. im Anhang).
Weber/ Rochel sind allerdings davon überzeugt, „ dass Konduktive Förderung nur in adaptierter Form in andere Länder übertragen werden kann und dort weiterentwickelt werden muß“ (WEBER/ ROCHEL 1992, 279). Die Gründe dafür werden in Kapitel 4, Punkt 4.1. dargelegt.
3.6.1. Konduktive Pädagogik in Deutschland
Konduktive Erziehung wird auch in Deutschland seit einigen Jahren angeboten. Dabei reichen die Dimensionen von Projekten unter medizinischer Verantwortung und wissenschaftlicher Begleitung bis hin zu privaten Trägerschaften, von kontinuierlichen bis zu phasenweisen Förderangeboten und von der Förderung durch festangestellte Konduktorinnen bis zur Förderung ohne Konduktorinnen (vgl. WEBER 1998, 148f).
Elterninitiativen haben 1994 zur Gründung der Interessenvertretung „FortSchritt – Verein zur Verbreitung der Konduktiven Förderung e.V.“ geführt, die maßgeblich an der Durchführung konduktiver Förderwochen in Deutschland beteiligt ist (vgl. GÜNTER/ STRASSMEIER 1996; WEBER 1998).
Von März 1990 bis Februar 1992 wurde an der Taunusklinik Falkenstein ein medizinisch und wissenschaftlich begleiteter Modellversuch durchgeführt (vgl. Kapitel 5, Punkt 5.1.1.). Die Ergebnisse wurden von Weber/ Rochel 1992 veröffentlicht.
In Bayern wurde in den Schuljahren 1995/96 bis 1998/99 ein Schulversuch “Konduktive Förderung von Kindern in der Schulvorbereitenden Einrichtung und in der Grundschulstufe der Schule für Körperbehinderte“ durchgeführt (vgl. Kapitel 4).
Im Rahmen des erwähnten EU-Projektes zur Konduktorenausbildung, laufen in Deutschland zur Zeit zwei Weiterbildungslehrgänge (vgl. www.conductive-training.org): An der Stiftung Pfennigparade in München werden, seit September 2000, Pädagogisch-therapeutische Konduktorinnen (PTK´s) ausgebildet. An der Universität Siegen gibt es seit Februar 2002 einen Modellversuch zur Ausbildung von ScoRe-Managerinnen. ScoRe ist die von Prof. Dr. Karin S. Weber entwickelte Siegener complexe Rehabilitation, eine Weiterentwicklung der Konduktiven Erziehung (vgl. Kapitel 5, Punkt 5.1.).
3.7. Kritische Einschätzung der Konduktiven Erziehung
3.7.1. „Superqualifikation“ oder spezifische Fachkompetenz?
Unterschiedliche Berufsgruppen äußern Kritik an der Konduktiven Erziehung und stellen sich gegen eine Einführung dieser Methode in Deutschland.
Die Qualifikation der Konduktorin steht in Deutschland einem breitgefächerten Angebot an fachspezifischer Qualifikation gegenüber, so dass die Frage entsteht, ob die Konduktorin „ durch die Anhäufung differenzierter Fachkompetenzen diese ´Super-Qualifikation` wirklich zur Anwendung bringen kann“ (SCHOR 2000b, 8). Karch u.a. schreiben: „Der Anspruch an die Konduktorin ist damit außerordentlich groß, und die Verantwortung, die von den Konduktoren übernommen werden soll, ist sicher nur von bestimmten Personen erfüllbar“ (KARCH u.a. 1997, 5).
Hier müssen die Vorteile einer ganzheitlichen Förderung durch eine konstante Bezugsperson gegen eine zwar additive, aber dafür mehr fachspezifische Förderung durch mehrere Personen abgewogen werden.
Die Weiterbildungsmöglichkeit für Fachkräfte aus den Bereichen Pädagogik, Medizin, Rehabilitation und Psychologie zur „Pädagogisch-therapeutischen Konduktorin“ an der Stiftung Pfennigparade München und der Modellversuch zur Qualifizierung von Fachkräften zu ScoRe-Managerinnen an der Universität Siegen, bilden meines Erachtens hierzu einen Konsens, da sie vorhandenes Fachwissen nutzen und aufbauen.
Vorteile scheint auch die in Deutschland im bayerischen Schulversuch erprobte Arbeit im interdisziplinären Team zu bieten, da Berufskenntnisse ausgetauscht werden können (vgl. Kapitel 4, Punkt 4.2.).
Von den Arbeitskreismitgliedern des bayerischen Schulversuches wurde berichtet, dass im Budapester Institut therapieimmanente Unterrichtsanteile nur im Musikunterricht beobachtet werden konnten, Fehlstellungen während des Schulunterrichts kaum korrigiert wurden und Bewegungsanteile, außer beim Gang zur Tafel, kaum gesehen wurden, obwohl dies zum Konzept der Konduktiven Erziehung gehören würde (vgl. ISB 1999, 27). Sicherlich können diese Beobachtungen aber nicht verallgemeinert werden und sind abhängig von den jeweils tätigen Konduktorinnen. Dieses Beispiel zeigt auch, wie wichtig die Selbstreflexion und ständige Evaluation des eigenen pädagogischen oder therapeutischen Handelns jeder Lehrerin, Therapeutin, bzw. Konduktorin ist.
3.7.2. Erziehungsstil
Weitere Kritikpunkte an der Konduktiven Erziehung sind die Unterrichtsmethoden, der strenge Tagesablauf und Programmaufbau und die damit geringen Freiräume für die Kinder.
Besucher des Budapester Instituts berichten von einem stark lehrerzentrierten und leistungsorientierten Frontalunterricht mit deutlicher Sprachdominanz der Lehrerin, die sprachliche Eigenaktivitäten der Kinder kaum zulässt (vgl. ISB 1999, 27ff; FINK 1998, 125). Speck beschreibt es als „ schwer nachvollziehbar, wie durch eine von außen ansetzende Manipulation ein Mensch als autonomes System zur Bewegung und zur Steuerung seiner selbst kommen soll“ (SPECK 1996, 86f). Dies ist aber Ziel der Konduktiven Erziehung.
Der Tagesablauf ist nach einem strengen Zeitplan organisiert.
Jede Tätigkeit geht in die nächste über. Auch Essenszeiten gehören zum Selbstversorgungsprogramm und stellen keine Pausen in unserem Sinne dar (vgl. ISB 1999, 154).
Ich selbst konnte bei meinem Besuch im Institut for Conductive Education in Birmingham beobachten, wie intensiv und ununterbrochen dort schon mit den Jüngsten gearbeitet wurde. Selbst im Freispiel wurden die Schulkinder dazu angehalten, auf Petö-Stühlen und Hockern sitzend, ihre Sitzposition zu halten und zu kontrollieren. Ein hohes Maß an Durchhaltevermögen wird von ihnen erwartet.
Fink beschreibt die Zielorientiertheit der Konduktiven Erziehung als kompromisslos: „In absoluter Zielorientiertheit wird das kindliche Bedürfnis nach Selbständigkeit den Imperativen der ´daily routine` untergeordnet und ihm keine freie Zeit für eigenes selbstbestimmtes Tun zugestanden“ (FINK 1998, 125). Die Arbeitskreismitglieder des bayerischen Schulversuchs beobachteten, dass auf die Befindlichkeit eines weinenden Kindes über längere Zeit nicht eingegangen wurde (vgl. ISB 1999, 31).
Schor zitiert in seiner Zusammenfassung über die Abschlusstagung zum bayerischen Schulversuch Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hubertus von Voss, dass für die Therapie und Förderung die Prämisse gelte „ die Person des Betroffenen zu respektieren“, weshalb es unrealistisch sei, ein Kind „ ganztägig fördern, gar therapieren zu wollen“ (SCHOR 2000a, 142). Dem möchte ich entgegenstellen, dass Konduktive Erziehung ausdrücklich kein Therapiekonzept darstellt (vgl. Punkt 3.3.2.). Im Gegensatz zu einer defizitorientierten Sichtweise werden die Entwicklungsmöglichkeiten und nicht die „Mängel“ des Kindes ins Blickfeld gerückt (vgl. FINK 1998, 121). Mehr als bei den traditionellen Therapieformen, wo das Kind einmal oder mehrmals wöchentlich von verschiedenen Therapeuten „behandelt“ wird, respektiert die Konduktive Erziehung die Persönlichkeit des Kindes, wird die Förderung den Bedürfnissen des Kindes angepasst.
Hári betont, dass das Kind bzw. der Erwachsene „ selbst das Ziel seines Handelns aktiv plant, ´intendiert`, und daß ihn die Wichtigkeit des Handelns dazu stimuliert“ (HÁRI u.a. 1992 zitiert nach GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 52).
Motivation spielt in der Konduktiven Erziehung eine große Rolle. Sie wird am ehesten erreicht, wenn der Gruppenteilnehmer für sich selbst Ziele formuliert hat, die ihm wichtig sind. Der direkte Alltagsbezug in der Konduktiven Erziehung motiviert durch sichtbare Erfolge.
Oft wird in der Literatur der spielerische Charakter der Programme und der häufige Einsatz von Kinderliedern, sowie die fröhliche, entspannte Lernatmosphäre im Budapester Institut positiv beschrieben (vgl. ISB 1999, 25; HAUG 1988, 7). Dies würde einem „autoritären“ und „kompromisslosen“ Erziehungsstil widersprechen, bzw. diese Aussagen relativieren.
Zum Abschluss dieses Kritikpunktes möchte ich noch auf Speck verweisen, der den ungarischen Erziehungsstil programmierter Förderung in der Gruppe, der „ für aufgeklärte, ´moderne` Pädagogen und Therapeuten [...] antiquiert anmuten“ könnte, mit der Frage verteidigt, ob nicht auch die „ moderne Art des betont ´kindorientierten` Arbeitens mit der dominanten Einzelförderung „ hinterfragt werden müsste: „Blockieren sich nicht auch Kinder selber, wenn sie dominant ihren Bedürfnissen überlassen sind und zu wenig Hindernisse aufzuarbeiten und Grenzen zu respektieren haben?“ (SPECK 1996, 85-86).
Ich denke, dass es nicht dem Konzept zugeschrieben werden kann, wenn einzelne Konduktorinnen eventuell autoritär handeln und Bedürfnisse der Kinder übergehen. Die Erfolge der Konduktiven Erziehung sind allerdings wahrscheinlich gerade der Konsequenz und Intensität dieser Förderung zu verdanken. Feldkamp schreibt: „Die Methode ist streng und erscheint manchmal sogar hart, sie ist jedoch geeignet, das Äußerste aus einem Kind herauszuholen“ (FELDKAMP 1976 zitiert nach FINK 1998, 126). Ich stimme Fink zu, die schreibt: „Aus Petö freiarbeitliches Arbeiten machen zu wollen, wäre gleichermaßen illusorisch wie verfehlt; wirkliche Freiräume zu schaffen, hingegen möglich“ (FINK 1998, 127). Sie spricht sich damit für eine Adaption der Konduktiven Erziehung in anderen Ländern aus (vgl. Kapitel 4, Punkt 4.1.).
3.7.3. Personenkreis
Heftig kritisiert wird auch der Ausschluss vieler Körperbehinderter aus der Konduktiven Erziehung. Am Petö-Institut werden dazu umfangreiche Aufnahmeverfahren durchgeführt. Soweit die Voraussetzungen zum Sprachverständnis und zur Gruppenfähigkeit gegeben sind, stellt geistige Behinderung zwar kein Ausschlusskriterium dar (vgl. SCHEIDEREITER/ PASULA/ DACHENEDER 2000, 38), da die Konduktive Erziehung allerdings untrennbar mit Sprache verbunden ist (vgl. Punkt 3.3.6.), „ wird das Dilemma der Chance für die einen und des Ausschlusses für die anderen bestehen bleiben“ (FINK 1998, 128).
Ausgeschlossen werden außerdem in der Regel Kinder mit therapieresistenten Epilepsien oder Stoffwechselerkrankungen, Kinder mit neurodegenerativen, sowie neuromuskulären Erkrankungen, Kinder die eine Sonderernährung erhalten und Kinder mit einem schlechten Allgemeinzustand ohne Bewegungsdrang, da sie entweder nicht über eine ausreichende Belastbarkeit verfügen oder andere medizinische Kontraindikationen vorliegen (vgl. WEBER 1998, 44ff; SZÖVÖ-DOSTAL 2001, 18).
Den Konduktorinnen zugute halten muss man, dass jede Entscheidung eine Einzelfallentscheidung ist (vgl. FINK 1998, 128).
Bei meiner Arbeit am Hereward College in England konnte ich den Versuch der Konduktorinnen verfolgen, einen an Muskeldystrophie progredient erkrankten jungen Mann in die Gruppe aufzunehmen. Die Gründe, warum nach einigen Wochen im Gespräch mit diesem Studenten beschlossen wurde, dass eine Förderung durch Konduktive Erziehung für ihn nicht hilfreich wäre, wurden mir nicht offengelegt. Dieser Versuch zeigt jedoch, dass Ausschlusskriterien individuell überprüft werden.
Der vor allem in der Presse oft herausgestellte Erfolg der Konduktiven Erziehung, muss vor diesem Hintergrund der „Auswahl der Kinder“ gesehen werden. „Was bei den einen erfolgreich ist, schließt [..] viele andere aus“ (FINK 1998, 128).
3.7.4. Gruppenbildung
Trotz eigentlich angestrebter Integration, werden am Petö-Institut behinderungs- und leistungshomogene Gruppen zur behinderungsspezifischen Förderung gebildet (vgl. ISB 1999, 24). Auf den Unterschied zwischen „Integration als Weg“ und „Integration als Ziel“ bin ich in Punkt 3.5. schon einmal eingegangen.
Die Herausnahme der Kinder aus ihren Familien zur Förderung im Internat wird von Kritikern bemängelt, da sie dem Kind doch einen „Sonderstatus“ gibt, den die Konduktive Erziehung eigentlich aufheben will (vgl. FINK 1998, 121ff).
An der Gruppenarbeit wird kritisiert, dass damit die Individualförderung auf der Strecke bliebe (vgl. BAUMANN, A. 2000, 14). Fink schreibt dazu jedoch: „Da in einer Gruppe zu arbeiten nicht obligatorisch heißt, daß alle undifferenziert dasselbe tun, greift m.E. diese Kritik [...] zu kurz. Hierbei wird die Wirkungsweise der höchst individuell vorgenommenen Faszilitation unterschätzt“ (FINK 1998, 124). Bewegungsprogramme beinhalten immer gemeinsame, aber auch individuelle Aufgabenstellungen.
3.7.5. Hüftluxationen, Kontrakturen und Skoliosen
Nach Einschätzung der Arbeitskreismitglieder des bayerischen Schulversuchs, wird am Petö-Institut zugunsten der Aufrichtung der Kinder deren Hüftsituation nicht ausreichend beachtet: „Eltern und Konduktorinnen riskieren manchmal Verschlechterungen der Hüfte, um dem Kind die Vertikalisierung zu ermöglichen“ (ISB 1999, 34).
Kinder mit cerebralen Bewegungsstörungen neigen zu Hüftproblemen, da muskeldynamische Kräfte und Belastungen durch Spastik und Fehlstellungen zu einer Hüftgelenksluxation* führen können. Aus diesem Grunde warnen einige Mediziner vor einer zu frühen oder allzu intensiven Aufrichtung mancher Kinder.
In einer in England (Birmingham/ Manchester) durchgeführten Evaluationsstudie zur Konduktiven Erziehung bei Schulkindern wurde festgestellt, dass die Mobilität der Hüfte bei den konduktiv geförderten Kindern deutlich mehr eingeschränkt war, als bei den Kindern der nicht konduktiv geführten Kontrollgruppe. Dies wird von Karcher u.a. so interpretiert, „ daß die raschere motorische Aufrichtung und Förderung der Selbständigkeit erkauft werden musste mit einem höheren Risiko für orthopädische Folgeprobleme im Bereich der Hüfte“ (KARCHER u.a. 1997, 6). Im gleichen Text weisen Karcher u.a. jedoch auch darauf hin, wie schwierig es sei, Aussagen über Erfolge von Therapien und Fördermethoden im frühen Kindesalter zu machen, „ da Auswirkungen der dabei durchgeführten Maßnahmen vor allem langfristig zu erwarten sind und mögliche Effekte im Laufe dieser Zeit durch die spontane biologische Entwicklung und die Einwirkung zahlreicher Umweltfaktoren überlagert werden“ (KARCHER u.a. 1997, 1). Langzeituntersuchungen liegen jedoch zur Zeit zur Konduktiven Erziehung noch nicht vor (vgl. ISB 1999, 123). Alle geäußerten Bedenken von medizinischer Seite sind somit noch unbelegte Vermutungen.
Konduktorinnen vertreten die Ansicht, dass gerade in der Konduktiven Erziehung „ durch ständig physiotherapeutisch kontrollierte Lagen und Positionen Kontrakturen, Skoliosen, Hüftluxationen und andere orthopädische Fehlstellungen „ vermieden werden können (www.conductive-training.org, B.1.a.).
Die Zusammenarbeit mit Ärzten ist in der Konduktiven Erziehung ein wichtiger Aspekt, den auch Weber unbedingt fordert (vgl. Kapitel 5, Punkt 5.1.1.).
Die große Bedeutung der Aufrichtung des Kindes für dessen Entwicklung, muss abgewogen werden gegen eine in späteren Jahren möglicherweise ohnehin auftretende Hüftproblematik. Bei medizinischer Kontraindikation muss jedoch unter Umständen auf Konduktive Erziehung verzichtet werden.
Durch Konduktive Erziehung sollen willkürliche Bewegungen erlernt werden. Laut Günter/ Strassmeier kritisieren einige Therapeuten diesen Ansatz. Sie nehmen an, dass „ willkürliche Bewegung Spastik steigert und/ oder pathologische Bewegungsmuster begünstigt „ (GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 53). Das rhythmische Intendieren in der Konduktiven Erziehung kann jedoch so eingesetzt werden, dass zum Beispiel langsames Zählen das Auftreten von Spastiken hemmt und Zeit zum Entspannen gibt (vgl. Punkt 3.3.6.).
Einige Therapeuten kritisieren außerdem, dass in das Prinzip des aktiven und selbständigen Tätigseins bzw. Handelns „ die Toleranz gegenüber abnormen Bewegungen geradezu impliziert „ sei (GÜNTER/ STRASSMEIER 1996, 54), dass durch das Ziel der möglichst schnellen Selbständigkeit des Kindes pathologische Bewegungsmuster in Kauf genommen werden. Werden, insbesondere beim Kleinkind, abnorme Bewegungen nicht korrigiert, kann nach physiotherapeutischer Ansicht die weitere motorische Entwicklung blockiert und die Zunahme von Kontrakturen und Deformitäten riskiert werden.
Karcher u.a. weisen auf den Unterschied zur Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage (nach Bobath oder Vojta) hin. Diese hätte zuerst das Erlernen von möglichst flüssigen Bewegungsabläufen ohne pathologische Muster zum Ziel, die Qualität der Bewegungen stehe im Vordergrund. In der Konduktiven Erziehung dagegen sei die Qualität der Bewegungen zweitrangig und das Erreichen von Aktivität, „ auf welchem Weg auch immer „ (KARCHER u.a. 1997, 5), oberstes Ziel.
Ich konnte ein solches Ignorieren von Fehlstellungen und pathologischen Bewegungsmustern in England nicht beobachten. Konnte zum Beispiel ein Student in der Gruppe am Hereward College auch noch nicht Ober- und Unterkörper gleichzeitig kontrollieren und wandte seine Aufmerksamkeit zuerst nur den Armen zu, wurde er trotzdem auf seine Bein- oder Fußstellungen hingewiesen.
Alle aufgeführten Kritikpunkte machen eines deutlich: Die Durchführung Konduktiver Erziehung stellt in vielen Punkten einen Drahtseilakt dar. Es liegt an der verantwortungsbewussten Arbeitsweise der Konduktorinnen, ob dieser gelingt.
4. Konduktive Förderung – ein Schulversuch in Bayern
In einem vom bayerischen Staatsministerium veranlassten vierjährigen Schulversuch „Konduktive Erziehung und Förderung von Kindern in der Schulvorbereitenden Einrichtung und in der Grundschulstufe der Schulen für Körperbehinderte“, wurde in den Schuljahren 1995/96 bis 1998/99* an fünf Einrichtungen erprobt, „ wie tradierte und bewährte Förderungsformen der Körperbehindertenpädagogik mit Elementen der sogenannten Petö-Methode zu einem ganzheitlichen Förderkonzept im Sinne von Konduktiver Förderung verknüpft werden können „ (ISB 1999, Vorwort). Damit sollte das bestehende Angebot der Schulen für Körperbehinderte nicht ersetzt, sondern ergänzt werden.
Als Beweggründe für den Schritt hin zur Konduktiven Förderung nennt Schor:
- „eine kritische Einschätzung der traditionellen Fördermethoden
- eine neue Sicht von personaler Einheit und menschlicher Ganzheitlichkeit
- ein komplexes Verständnis von Körperbehinderung“
(SCHOR 2000a, 140).
Aus der Pflicht und Verantwortung zur Optimierung von Bildung, Erziehung und Förderung im Zusammenhang mit gesellschaftlichen und bildungspolitischen Veränderungen und neuen fachwissenschaftlichen und schulpraktischen Erkenntnissen, entstand dieser Schulversuch (vgl. ISB 1999, Vorwort).
Begonnen wurde zunächst mit den Schulvorbereitenden Einrichtungen. Zum Schuljahr 1996/97 wurde der Schulversuch auf die Jahrgangsstufen 1 der Bayerischen Landesschule München, der Stiftung Pfennigparade München und der Schule für Körperbehinderte Nürnberg ausgedehnt und um ein Jahr verlängert.
Die Schule der Stiftung Pfennigparade hatte darüber hinaus eine konduktiv geführte Jahrgangsstufe 4/5 (vgl. ISB 1999, 88).
Pädagogisch betreut wurde der Schulversuch vom Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung München (ISB), durch einen aus Mitgliedern des Instituts und Mitarbeitern der teilnehmenden Schulen zusammengesetzten Arbeitskreis.
Die Konduktive Förderung in der Stiftung Pfennigparade wurde außerdem vom Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München wissenschaftlich begleitet (vgl. ISB 1999, 7).
Der Schulversuch endete mit Abschluss des Schuljahres 1998/99. Die Ergebnisse wurden auf einer abschließenden Tagung, die vom 15.12. bis 17.12. 1999 in Hirschberg stattfand, zusammengetragen und in zwei Veröffentlichungen des Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung München herausgegeben, auf die ich mich im Folgenden hauptsächlich beziehe.
Da sich meine Arbeit auf die Umsetzung der Konduktiven Förderung in der Schule und auf den Unterricht bezieht, werde ich die Erfahrungen, die in den Schulvorbereitenden Einrichtungen gemacht wurden, nur am Rande erwähnen.
4.1. Abgrenzung im Begriff – Was ist Konduktive Förderung?
Im Sinne einer Weiterentwicklung der Schule für Körperbehinderte, ging es nicht um eine Kopie der Konduktiven Erziehung, wie sie in Ungarn angeboten wird, sondern um eine Adaption und um eine Verknüpfung mit den traditionellen Förderformen. „Eine Kopie der Konduktiven Pädagogik nach Petö wäre angesichts der jahrzehntelang gewachsenen Förderkonzepte in Ungarn und hierzulande nicht hilfreich gewesen. Neue Entwicklungen in Pädagogik, Medizin und Therapie hätten keine Anwendung finden können“ (BAUMANN, A. 2000, 13). Man bemühte sich aber, dem Selbstverständnis Konduktiver Förderung möglichst nahe zu kommen.
Auch Weber/ Rochel wiesen bereits 1992 darauf hin, dass die „ Umsetzung der ungarischen Version des Konduktiven Fördersystems als Kopie [...] in den westeuropäischen Behindertensystemen vor allem aus kulturellen, sozialen, gesetzlichen, kultur- und bildungspolitischen Gründen sowie dem herrschenden ´Zeitgeist` (im Sinn von Integration statt Segregation) scheitern „ würde (WEBER/ ROCHEL 1992, 350). So entspricht ein Erziehungsstil, gekennzeichnet durch ständige Kontrolle, häufige Anweisungen, stetige Anleitung und wenig Freiräumen für das Kind (vgl. ISB 1999, 126), nicht unseren heutigen psychologischen und sonderpädagogischen Ansichten und ist deshalb kritisch zu betrachten.
Auch aus Ressourcengründen kann die Konduktive Erziehung nicht in ihrer originären Form in die Schule für Körperbehinderte übernommen werden. So muss die Förderung im Zeitrahmen der Schule realisiert werden, der Personalschlüssel wird sich von dem am Budapester Institut unterscheiden und bestehende Konzepte müssen kritisch reflektiert in die Konduktive Förderung integriert werden.
Was nach Ansicht der Arbeitskreismitglieder in die schulische Förderung übernommen werden kann, sind Elemente konduktiver Erziehung.
Als „Kennzeichen der Konduktiven Pädagogik (die) für das herkömmliche Bildungs- und Erziehungssystem nützlich und auf dieses übertragbar sind „ (ISB 1999, 30), wurden im Schulversuch zum Beispiel ausgewählt:
- die Verknüpfung pädagogischer und therapeutischer Ansätze
- das pädagogisch eingebettete Bewegungslernen
- die Übertragung von erlernten Bewegungsabläufen in den Alltag
- das Gruppenprinzip
- die sprachliche Anleitung beim Bewegungslernen
- die Intensität der Fördermaßnahmen durch Ganztagesförderung
- die intensive Einbeziehung der Eltern
- die Förderung der Selbständigkeit durch konduktive Faszilitation
- die Bildung von weitgehend alters- und behinderungshomogenen Gruppen
(vgl. ISB 1999, 30).
In wieweit diese Punkte realisiert werden konnten, wird in Kapitel 5, Punkt 5.3.1. dargelegt.
Im Schulversuch wurde in konduktiven Teams gearbeitet. Darin waren teilweise Konduktorinnen mit einbezogen, aber nicht an allen Schulen konnte eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Konduktorinnen gewährleistet werden (vgl. BAUMANN, A. 2000, 15).
Vor allem die Konduktive Förderung durch „fachfremdes“ Personal und nicht durch Konduktorinnen, wird oft kritisiert. So spricht Weber von einem „gravierenden Eingriff“ (WEBER 1998, 121), der Missverständnisse und Verwirrung auslösen würde, wenn nicht ein anderer Begriff als der der Konduktiven Förderung dafür verwendet würde. Eltern lehnen Mischformen ab und wehren sich gegen eine Durchführung Konduktiver Förderung ohne Konduktorinnen (vgl. ISB 1999, 9 und 35). Dies entspricht auch der Auffassung des Budapester Instituts, und im Schulversuch integrierte Konduktorinnen beanspruchten zunächst „ die ausschließliche Zuständigkeit bei der Durchführung Konduktiver Förderung „ (ISB 1999, 9). Das Wirken von Konduktorinnen allein, war jedoch an keiner der Versuchsschulen möglich und auch nicht erwünscht, da die Durchführung Konduktiver Förderung ausschließlich durch Konduktorinnen im gegenwärtigen Bildungskonzept der Förderschulen nicht möglich ist (vgl. ISB 1999, 36; BAUMANN, A. 2000, 17).
Im Schulversuch und in den nachfolgenden Veröffentlichungen des Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung München, wurde der Begriff „Konduktive Förderung“ für das adaptierte System verwendet, die Begriffe „Konduktive Erziehung“ oder „Konduktive Pädagogik“ stehen für die originäre Konzeption wie sie am Budapester Institut oder in Einrichtungen des Vereins FortSchritt durch Konduktorinnen angewendet wird (vgl. ISB 1999, 3).
Durch die Erfahrungen im Schulversuch, sprachen manche Schulen später auch eher von einer Förderung unter „Einsatz konduktiver Elemente“ (ISB 1999, 134), als von einer Verwirklichung eines Gesamtkonzeptes Konduktiver Förderung (vgl. Kapitel 5, Punkt 5.3.).
4.2. Die Arbeit im konduktiven Team
Die kooperative und interdisziplinäre Zusammenarbeit an der Schule für Körperbehinderte ist keine „neue Erfindung“. Sie gehört, wie in Kapitel 2 dieser Arbeit dargestellt, zum Selbstverständnis dieser Schulform, muss allerdings, nach Ansicht der Verantwortlichen im Schulversuch, aktualisiert und mit neuem Leben erfüllt werden (vgl. SCHOR 2000b, 5).
In der Konduktiven Erziehung findet die Verbindung von Therapie und Pädagogik und die ganzheitliche Förderung konsequente Anwendung. Schor schreibt sogar: „Konduktive Förderung versteht sich demnach als prägendes Merkmal sonderpädagogischer Förderung“ (SCHOR 2000b, 5).
Die folgenden Angaben zur Zusammenstellung der Teams im Schulversuch sind der Veröffentlichung des Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung München (ISB 1999, 83ff) entnommen.
An allen Versuchsschulen wurde eine konduktive Abteilung mit einem festen Mitarbeiterstamm gegründet, der in der Regel konstant blieb. Erweitert wurde das konduktive Basisteam durch andere Fachkräfte.
Die Mitarbeiterteams im Schulversuch setzten sich aus pädagogischem und therapeutischem Personal, sowie aus Helfern zusammen. In der Schule der Stiftung Pfennigparade München arbeitete eine Konduktorin im Team mit, in den anderen Schulen hingegen war nur eine gelegentliche Beratung durch Konduktorinnen möglich.
Therapeutinnen arbeiteten häufig nur stundenweise in den konduktiv geführten Gruppen, eine kontinuierliche Mitarbeit war am ehesten den pädagogischen Mitarbeitern möglich.
Die Mitarbeit im konduktiven Team geschah auf freiwilliger Basis, da nach Ansicht der Arbeitskreismitglieder die Bereitschaft zum Einsatz konduktiver Prinzipien gegeben sein muss.
Im Schulversuch konnte man laut Baumann erkennen, dass ein gemeinsame Wirken von Therapeutin und Sonderpädagogin noch nicht die „ spezifischen Anforderungen konduktiven Handelns erfüllt“ (BAUMANN, A. 2000, 15). Die Planung und Durchführung vor allem von konduktiven Bewegungseinheiten, muss erlernt werden.
In Eigeninitiative und Selbstverantwortung ergriffen die Versuchschulen individuell unterschiedliche Möglichkeiten, um ihrem Fachpersonal Informationsquellen zur Konduktiven Förderung bereit zu stellen. So wurde zum Beispiel in Einrichtungen des Vereins FortSchritt hospitiert, wurden Konduktorinnen eingeladen und Reisen nach Ungarn unternommen (vgl. ISB 1999, S.39).
Von den Vertretern der Ernst-Barlach-Schulen der Stiftung Pfennigparade München, wurde auf der Abschlusstagung die Arbeit im transdisziplinären Team folgendermaßen beschrieben: „In Budapest wirken nur ausgebildete KonduktorInnen in einem Team. Man kann somit dort nicht von einem interdisziplinären Team mit unterschiedlichen Berufskenntnissen sprechen. [...] Transdisziplinäre, konduktive Teams jedoch machen sich das Fachwissen der anderen im Team arbeitenden Fachkräfte zu eigen, etwa durch hausinterne Fortbildungen, Fortbildungen im Petö-Institut, Kongresse und Seminare, aber vor allem durch die mindestens zweimal wöchentlich stattfindenden Teamsitzungen und das orts- und zeitgleiche Arbeiten, wo gegenseitiges Beobachten und Austauschen immer möglich ist. [...] Der Begriff der Transdisziplinarität beinhaltet die Transparenz, die Durchsichtigkeit der unterschiedlichen Berufsausbildungen für die ausführenden Personen. Er stellt wegen der Durchlässigkeit des Wissens eine Innovation innerhalb der Pädagogik dar „ (HÖSS-ZENKER/ MELZER/ STELCZER-OBERSZT 2000, 26).
So konnten durch eine intensive Zusammenarbeit Pädagoginnen einen „therapeutischen Blick“ gewinnen und Therapeutinnen ihr medizinisches Fachwissen mit Erkenntnissen aus Pädagogik und Psychologie erweitern (vgl. ISB 1999, 86).
Teambesprechungen wurden zwar in allen Schulen durchgeführt, jedoch räumten die einzelnen Einrichtungen dazu unterschiedliche Zeiten ein. Beim Tagesstättenpersonal konnten diese Zeiten teilweise der Vorbereitungszeit angerechnet werden, das schulische Personal musste Teambesprechungen auch außerhalb des Lehrerstundenmaßes abhalten (vgl. ISB 1999, 85).
Das Rotationsverfahren bei der Durchführung der Bewegungsprogramme und Lerneinheiten wird in den Ergebnissen des Schulversuchs als „ wünschenswerte Konsequenz der gegenseitigen Offenlegung von Fachwissen „ (ISB 1999, 107) beschrieben. Im Schulversuch wurde dies jedoch unterschiedlich gehandhabt, da die notwendige Veränderung der Organisationsstruktur von Schule und Therapie noch nicht in allen Schulen gelang.
4.3. Konduktive Bewegungsprogramme
Drei Schwerpunkte werden für die Konduktive Förderung im Schulversuch genannt:
- das Bewegungslernen in Bewegungsprogrammen (vgl. Kapitel 3, Punkt 3.3.4.)
- die Übertragung der erlernten Bewegungsfertigkeiten auf die Unterrichtsgestaltung und
- die Übertragung der erlernten Fertigkeiten auf Alltagssituationen
(vgl. ISB 1999, 128).
Bewegungsprogramme stellten sich im Schulversuch als „ umfassende Einheiten motorischer Aufgabenfolgen für eine Gruppe dar. Vielfältige Bewegungsabläufe werden in verschiedenen Positionen geübt. [...] Diese Bewegungsaufgaben fügen sich je nach Komplexität in Tätigkeiten oder Tätigkeitsserien ein“ (ISB 1999, 120).
Als Beispiel wird die Einnahme eines Getränks beschrieben: Die Kinder vollziehen zuerst gemeinsam einige Kräftigungsübungen der Muskulatur auf der Pritsche, kommen dann in den Stand und gehen im individuellen Gehprogramm zum Tisch, wo sie möglichst selbständig trinken.
Im Schulversuch wurden die Bewegungsprogramme, im Gegensatz zur ungarischen Praxis, vom konduktiven Team geplant und durchgeführt, wobei die Leitung sowohl von Therapeutinnen oder Konduktorinnen, als auch von Sonderschullehrerinnen übernommen wurde.
Art, Dauer und Häufigkeit der Bewegungsprogramme variierten in den Versuchsschulen (vgl. ISB 1999, 107). So gab es klassenübergreifende Bewegungsgruppen, die sich nur einmal täglich zusammenfinden konnten, aber auch konduktiv geführte Gruppen, die mehrmals täglich Bewegungsprogramme durchführten (vgl. Kapitel 1, Punkt 1.5.).
4.4. Konduktive Prinzipien im Unterricht
Neben den Bewegungsprogrammen, wurde den ganzen Tag über nach konduktiven Prinzipien unterrichtet. So orientierte man sich auch im Unterricht an den konduktiven Grundsätzen von Instruktion, Ganzheitlichkeit, Autonomie, Normalität und Lernen in der Gruppe: „Die Kinder achten etwa auf handlungsanleitendes Sprechen, auf bewusstes Einnehmen und Halten bestimmter Positionen, auf aktives Sitzen. Sie führen im Unterricht gemeinsam spezielle Atemübungen sowie Positions- und Lageveränderungen im Sitzen, Gehen und Stehen durch“ (ISB 1999, 129).
Die Einbeziehung von aktivem Sitzen, Laufen, Stehen und Gehen in die Unterrichtsgestaltung führte zu einer neuen Bedeutung der Arbeit an Stationen (vgl. ISB 1999, 129).
An der Schule für Körperbehinderte Nürnberg wurden „Übungen der Stille oder Übungen zum Körperschema [...] verbunden mit gezielter Körperwahrnehmung und Veränderung des motorischen Verhaltens. Aufgabenreihen wurden mit integriert und rhythmisch intendiert. Täglich wiederkehrende Übungen wurden thematisch in den Morgenkreis und in die Unterrichtsstunden mit einbezogen“ (KEMPER/ BOCK/ STREIBL 2000, 36).
In der privaten Schule für Körperbehinderte Kempten wurde das Sitzen auf dem Hocker in den täglichen Morgenkreis mit aufgenommen.
An der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte München wechselten die Kinder mit einem Gehbarren die Räume.
Der Rollstuhl blieb in allen Schulen während des Unterrichts vor der Tür, stattdessen wurden zum Beispiel Rollbretter verwendet, auf denen sich die Kinder aktiv und selbständig fortbewegen konnten (vgl. ISB 1999; KEMPER/ BOCK/ STREIBL 2000).
Einer Gegenüberstellung „Früher - Heute“ im Bericht der Abschlusstagung ist zu entnehmen, dass vor allem die Selbständigkeit der Kinder einen sehr viel größeren Raum einnimmt. Die Kinder werden nicht ausgezogen, nicht bedient, nicht geschoben und getragen, sondern bei allen Tätigkeiten gilt der Grundsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“ (KEMPER/ BOCK/ STREIBL 2000, 30ff). Dazu musste vor allem bei den Mitarbeitern ein neues Bewusstsein für Bewegung und Bewegungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Beispiele für Bewegungsprogramme und Stundenvorbereitungen zu bewegungsimmanentem Unterricht können in der Veröffentlichung „Fakten, Erfahrungen, Ergebnisse zum Schulversuch“ (ISB 1999) nachgelesen werden.
4.5. Drei Modelle zur Verwirklichung der Konduktiven Förderung in der Schule für Körperbehinderte
Bewegungslernen, Selbstversorgung und konduktiver Unterricht wurden an den einzelnen Versuchsschulen unterschiedlich im Stundenplan verteilt. Je nach den Rahmenbedingungen der einzelnen Schulen, wurde nach drei Modellen gearbeitet.
Die Angaben sind der Veröffentlichung des Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung München (ISB 1999, 126ff) entnommen.
4.5.1. Ganztagesangebot
An der Ernst-Barlach-Schule der Stiftung Pfennigparade konnte, in Zusammenarbeit mit der Heilpädagogischen Tagesstätte, mit den konduktiv geführten Gruppen und Klassen jeweils zweimal täglich ein zweistündiges konduktives Bewegungsprogramm durchgeführt werden. Morgens wurde mit dem Bewegungsprogramm begonnen, an das sich ab der 3. Stunde konduktiver Unterricht, im Wechsel mit Selbstversorgungsprogrammen und nochmals einem Bewegungsprogramm anschloss. Der Unterricht, nach konduktiven Prinzipien im Team geplant, reichte damit bis in den Nachmittag hinein, was nur durch Kooperation mit der Heilpädagogischen Tagesstätte möglich war.
4.5.2. Halbtagsangebot
In vielen Gruppen der Schulvorbereitenden Einrichtungen, aber auch in einigen Klassen, wurde in den Unterrichtsvormittag täglich ein etwa einstündiges Bewegungsprogramm integriert. Die Lerneinheiten waren mit Elementen konduktiver Förderung versehen. Selbstversorgung und Selbständigkeit wurden in Pausen- und Mittagszeiten trainiert.
Kennzeichnend für dieses Modell war eine konstante konduktive Gruppe, deren Zusammenstellung allerdings, vor allem in den Schulklassen, nicht in allen Einrichtungen möglich war.
4.5.3. Klassenübergreifende Bewegungsgruppen im Halbtagsangebot
Im letzten, dem klassenübergreifenden Modell, wurden konduktiv und nicht konduktiv geförderte Kinder in einer Klasse gemeinsam unterrichtet. In diesen Klassen wurden kürzere Bewegungseinheiten in den Unterricht integriert (zum Beispiel Hand- oder Sitzprogramme). Manche Kinder fanden sich dann klassenübergreifend zu täglich einem konduktiven Bewegungsprogramm zusammen und gingen danach wieder in ihre Klassen zurück.
Das Modell der Ganztagesförderung kommt der originären Konzeption der Konduktiven Erziehung am nächsten, war aber im Schulversuch nur an einer Schule möglich. Aufgrund der Rahmenbedingungen, wurde das klassenübergreifende Modell von den Versuchsschulen favorisiert. Es durchbricht allerdings das Gruppenprinzip und ermöglicht nur eine Anwendung konduktiver Elemente, was die Intensität der Förderung beeinträchtigt (vgl. ISB 1999, 128).
4.6. Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Konduktiven Förderung
Ich werde im Folgenden auf die Schwierigkeiten eingehen, die sich bei der Realisierung des Schulversuchs „Konduktive Förderung von Kindern in der Schulvorbereitenden Einrichtung und in der Grundschulstufe der Schule für Körperbehinderte“ in Bayern ergaben.
Konduktive Förderung wurde, wie bereits dargestellt, in den einzelnen Versuchsschulen auf sehr unterschiedliche Weise verwirklicht. Man suchte nach den Rahmenbedingungen entsprechenden Individuallösungen, denn nach Ansicht der Arbeitskreismitglieder ist die „Entwicklung eines allenthalben einheitlichen Systems Konduktiver Förderung [...] angesichts gegenwärtiger Bestrebungen nach erhöhter Autonomie und Verantwortung der einzelnen Schule nicht erreichbar und auch nicht wünschenswert“ (ISB 1999, 134).
Somit ergaben sich in den Schulen unterschiedliche Probleme und Lösungsansätze.
4.6.1. Struktur und Organisation der Schule
Die Struktur der Schule für Körperbehinderte zeichnet sich häufig durch ein Nebeneinander verschiedener Abteilungen aus. Schulvorbereitende Einrichtung, Schule, hausinterne Therapieformen, Heilpädagogische Tagesstätte und oft auch ein Internat, bieten verschiedene Hilfen und Betreuungsformen an. Oft haben die Abteilungen unterschiedliche Leitungen. Unterschiedliche Sachaufwands- und Maßnahmeträger des pädagogischen und therapeutischen Personals machen eine Zusammenarbeit noch schwieriger (vgl. BAUMANN, A. 2000, 17). Im Schulversuch ergaben sich daraus organisatorische und finanzielle Schwierigkeiten.
Soll Konduktive Förderung ganztägig angeboten werden, kann dies nur in Kooperation und Zusammenarbeit mit der Heilpädagogischen Tagesstätte geschehen. Konduktive Förderung kann dann dort am Nachmittag fortgeführt werden. Dabei erwies sich im Schulversuch eine gemeinsame Leitung von Schule und Tagestätte als günstig. Bei erfolgreicher Zusammenarbeit kann auch Personal der Tagesstätte und der Schule ausgetauscht werden (vgl. ISB 1999, 106).
Im Schulversuch gelang diese enge Kooperation nur an der Stiftung Pfennigparade, wo Bewegungsprogramme am Vor- und Nachmittag durchgeführt werden konnten. Bei einem Wechsel zwischen Lern-, Bewegungs- und Selbstversorgungseinheiten, wie er an der Stiftung Pfennigparade durchgeführt wurde, endete der Unterricht erst am frühen Nachmittag (vgl. ISB 1999, 126f).
An der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg zum Beispiel, war die kontinuierliche Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachbereiche durch die 2 Leitungen von Schule und Tagesstätte erschwert (vgl. ISB 1999, 66).
4.6.2. Gruppen- und Klassenzusammenstellung
Im Schulversuch konnte belegt werden, dass die Konduktive Förderung um so effektiver durchgeführt werden kann, wenn es sich um eine nach behinderungsspezifischen Gesichtpunkten homogen zusammengesetzte Gruppe handelt (vgl. BAUMANN, A. 2000, 14). Bei der Zusammenstellung von Gruppen und Klassen und bei der Klassenstärke war man aber an Vorgaben der Schulverwaltung gebunden. „Eine Zusammenstellung ausschließlich nach dem Behinderungsbild Zerebralparese erwies sich in fast allen Schulen als schwierig. Nur die Stiftung Pfennigparade errichtete derartige Gruppen“ (ISB 1999, 67). Hier wurde zwar das Gruppenprinzip eingelöst, es ergab sich jedoch eine Divergenz in den Alters- und Leistungsstufen. Kinder der Jahrgangsstufen 1, 1A, 2 und 3 wurden gemeinsam unterrichtet (vgl. ISB 1999, 94). Man gelangte zu der Erkenntnis, dass nur bei einer großen Einrichtung genügend Schüler vorhanden sind, um behinderungs- und leistungshomogene Klassen zu gründen.
An der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte in München, an der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg und an der Astrid-Lindgren-Schule in Kempten wurden die Bewegungsgruppen klassenübergreifend zusammengestellt und das Gruppenprinzip damit durchbrochen (vgl. ISB 1999, 88f und 96f). Häufig erlauben die zu geringen Anmeldezahlen an den Schulen keine andere Möglichkeit, das Bewegungslernen gewinnt dadurch jedoch wieder den „ Charakter einer additiven, therapeutisch orientierten Förderung“ (ISB 1999, 119).
4.6.3. Zeitliche Rahmenbedingungen
Die von der „traditionellen“ Organisation der Schule für Körperbehinderte vorgegeben zeitlichen Rahmenbedingungen ergaben weitere Schwierigkeiten. Regelmäßige intensive Teambesprechungen mussten für pädagogisches und therapeutisches Personal ermöglicht werden. In der Veröffentlichung „Fakten, Erfahrungen, Ergebnisse zum Schulversuch“ heißt es: „Wenn diese Aussprachen aus unterschiedlichen Gründen entfallen mussten, war wegen der differierenden Berufsausbildung und des häufigen Personalwechsels die Qualität konduktiver Maßnahmen nicht mehr gewährleistet“ (ISB 1999, 85).
Da im Schulversuch in konduktiven Teams gearbeitet wurde, die sich aus unterschiedlichen Berufsgruppen zusammensetzten, wurde mehr Zeit für Besprechungen und Schulungen benötigt, als dies bei den ungarischen Konduktorinnenteams der Fall ist (vgl. ISB 1999, 107).
Der Stundenplan musste in den konduktiv geführten Klassen variiert werden, um Zeit für Bewegungs- und Selbstversorgungsprogramme zu schaffen. Das Ziel der Aufrichtung und der Verzicht auf den Rollstuhl hatten einen erheblichen Zeitaufwand zur Folge. Ein flexibler Umgang mit der Stundentafel war dadurch „zwingend erforderlich“ (ISB 1999, 131).
Stundeplanmäßiger Unterricht konnte meist erst später beginnen und wurde dafür, wenn dies durch Kooperation mit der Heilpädagogischen Tagesstätte möglich war, bis in den Nachmittag verlängert. Wenn keine Kooperation erfolgte und der Unterricht nicht auf den ganzen Tag verteilt werden konnte, mussten Kompromisse bei den Unterrichtsinhalten geschlossen werden (vgl. ISB 1999, 129). So musste beispielsweise ein Unterricht mit verringerten Lerninhalten akzeptiert werden, wenn täglich in den ersten beiden Unterrichtsstunden Bewegungs- und Selbstversorgungsmaßnahmen mit Lehrplaninhalten verknüpft wurden, wie an der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte in München (vgl. ISB 1999, 88).
Ethik- bzw. Religionsunterricht wurde an dieser Schule verkürzt unterrichtet. In der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg wurden Stunden des Sport- oder Förderunterrichts für konduktive Bewegungsprogramme verwendet und mit einer Stunde weniger unterrichtet, als im Lehrplan vorgesehen. So konnten wichtige Ziele des Fachunterrichts, zum Beispiel der Umgang mit dem Rollstuhl im Rahmen des Sportunterrichts, nicht verwirklicht werden (vgl. ISB 1999, 98).
In den Gruppen der Schulvorbereitenden Einrichtungen herrschten meist bessere zeitliche Rahmenbedingungen, da diese noch nicht an Stundentafeln und Lehrpläne gebunden sind.
Auch die in der Konduktiven Erziehung sehr wichtige Elternarbeit, konnte aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht an allen Schulen in gleicher Intensität durchgeführt werden. Man bemühte sich um Elternkontakte, versuchte regelmäßige Sprechstunden im Stundenplan zu verankern und die Eltern am Entwicklungsprozess ihrer Kinder teilhaben zu lassen, indem man ihnen Fortschritte ihrer Kinder mitteilte und die Eltern, wenn möglich, in die Erstellung des konduktiven Förderplans einbezog. Elternschulungen zum konduktiven Handling konnten jedoch nur in der Stiftung Pfennigparade etabliert werden (vgl. ISB 1999, 111f).
4.6.4. Arbeit im Team
Bei der Teamarbeit zeigte sich, dass diese Arbeitsform den Sonderschullehrerinnen am ehesten geläufig war (vgl. ISB 1999, 109). Vor allem die im Schulversuch mitwirkenden ungarischen Konduktorinnen gaben zu Beginn der Teamarbeit ihr Berufswissen „nur mit Bedenken“ (ISB 1999, 83) an Mitglieder des Teams weiter und nahmen nur selten Anregungen anderer Teammitglieder in ihre Arbeit auf. Die Gleichstellung der unterschiedlich ausgebildeten Fachkräfte im Team „ bedeutete für die wachsende Zahl von Konduktorinnen eine starke Umstellung und wurde nicht von allen mitgetragen“ (ISB 1999, 84).
Weiterhin machte man im Schulversuch die Erfahrung einer hohen Fluktuation in den Mitarbeiterteams einiger Versuchsschulen, womit die „ Schwierigkeiten vieler Mitarbeiterinnen, sich in unbekannte Arbeitsfelder und enge personale Bezüge einbinden zu lassen „ (ISB 1999, 108), offensichtlich wurden.
Konduktive Förderung erfordert einen erhöhten Personalschlüssel. Je nach Zusammensetzung der Gruppe ist mehr Personal nötig, um die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten und ihnen Angstgefühle zu nehmen.
In einer SVE-Gruppe der Schule für Körperbehinderte Würzburg zum Beispiel, wurden in der Regel 6 Kinder von 4 Erziehungsverantwortlichen betreut (vgl. ISB 1999, 47). Es werden somit viele Helfer benötigt, der Ausbau des Helfersystems erwies sich im Schulversuch jedoch als Problem, wenn diese Personen (Zivildienstleistende, Praktikanten, ABM-Kräfte) häufig wechselten und jeder neu hinzukommende Helfer in die Praxis konduktiven Handelns eingewiesen werden musste (vgl. ISB 1999, 85). Ein kontinuierlich zur Verfügung stehender, ausgebildeter oder angelernter Personalstamm wurde als unabdingbar erkannt (vgl. ISB 1999, 106).
Die Zusammenstellung und die kontinuierliche Zusammenarbeit der konduktiven Teams war jedoch aus zeitlichen und finanziellen Gründen, sowie wegen bestehender Bedenken mancher Mitarbeiter oft erschwert (vgl. ISB 1999, 83ff). Eine kontinuierliche Mitarbeit war den pädagogischen Berufsgruppen zeitlich eher möglich als den therapeutischen (vgl. ISB 1999, 84).
Den Therapeutinnen war eine Mitwirkung im konduktiven Team oft nur stundenweise möglich, da sie am Vormittag mit anderen Kindern noch Einzelförderung durchführen mussten (vgl. ISB 1999, 107). Der somit häufig nur begrenzt mögliche Einsatz dieser Berufsgruppe, bedeutete „ in einigen Schulen eine Verminderung der Qualität Konduktiver Förderung, da letztere ein intensives Zusammenwirken von Therapeutin und Pädagogin erfordert“ (ISB 1999, 84).
4.6.5. Konflikte zwischen den Berufsgruppen
Aus unterschiedlichen Gründen entstanden in den konduktiven Teams zum Teil Konflikte zwischen den einzelnen Berufsgruppen.
Divergierende Förderschwerpunkte der einzelnen Disziplinen führten dazu, dass bei wechselnder Leitung, die Bewegungsprogramme jeweils einen anderen inhaltlichen und fachlichen Akzent erhielten. Sonderpädagoginnen orientierten sich vor allem an pädagogischen Zielsetzungen, während Therapeutinnen oft Probleme zeigten „ beim Erkennen von pädagogischen und psychologischen Grundprozessen „ (ISB 1999, 84). Es entstand ein „ Konflikt zwischen Pädagogik und Therapie, der den Verlauf des Schulversuchs immer wieder begleitete“ (ISB 1999, 84).
Ergotherapeutinnen schienen sich mit den Grundlagen der Konduktiven Förderung eher identifizieren zu können und sie als Ergänzung ihrer Berufsausbildung zu verstehen, als Physiotherapeutinnen (vgl. ISB 1999, 84).
Ein Konfliktfeld zwischen Physiotherapeutinnen und Konduktorinnen war zum Beispiel die Hilfsmittelversorgung, die nach herkömmlicher physiotherapeutischer Auffassung notwendig ist, um die Haltung, Lagerung oder Position von schwer behinderten Kindern zu unterstützen, nach Meinung der Konduktorinnen das Kind jedoch in eine überwiegend passive Haltung bringt, die in der Konduktiven Förderung nicht erwünscht ist (vgl. ISB 1999, 87).
Bei der Stundenplangestaltung oder bei den Methoden der Konduktiven Förderung, waren sich vor allem die ungarischen Konduktorinnen mit den deutschen Fachkräften nicht immer einig (vgl. ISB 1999, 92).
Einzeltherapie wurde an 3 Schulen zusätzlich angeboten, an 2 Schulen jedoch nicht, da dort Konduktive Förderung intensiv durchgeführt und als „ gleichgewichtiges Miteinander von Therapie und Pädagogik“ (ISB 1999, 128) interpretiert wurde. Konduktorinnen wandten sich gegen eine zusätzliche Einzeltherapie, da die Herausnahme einzelner Schüler die Einheit der Gruppe stören würde (vgl. ISB 1999, 86).
Neben diesen fachlichen Einwänden und kritischen Sichtweisen, wie sie auch in Kapitel 3, Punkt 3.7. dargestellt wurden, galt es im Schulversuch, Ängste vor Verdrängung und Nicht-Beachtung fachlicher Kompetenzen von Seiten der Therapeutinnen, fachliche Unsicherheiten durch Verwischung der Aufgabenfelder, sowie Unsicherheiten durch fehlende therapeutische Kompetenzen bei den Pädagoginnen zu überwinden.
Konnten Ängste, Unsicherheiten und Konflikte durch Teambesprechungen, Fortbildung und Supervision nicht abgebaut werden, war die Effektivität Konduktiver Förderung nicht mehr gewährleistet. „Daraus ergab sich die Notwendigkeit, für die konduktive Gruppe nur noch Mitarbeiterinnen einzusetzen, die Bereitschaft zu Verwirklichung konduktiver Elemente in einem Team zeigten“ (ISB 1999, 84).
Im Schulversuch zeigten alle Berufsgruppen einen deutlichen Fortbildungsbedarf (vgl. ISB 1999, 113).
4.6.6. Finanzierung
Therapeutinnen können eine Gruppenförderung in der Regel nicht bei den Krankenkassen abrechnen (vgl. ISB 1999, 84). Teamabsprachen, Beteiligung an Konferenzen und gegenseitige Konsultationen, die für die Arbeit im konduktiven Team notwendig sind, sind für Therapeutinnen ebenfalls nicht anrechenbare Leistungen (vgl. OSKAMP 1982, 591). Konduktive Maßnahmen in der Schule erfordern deshalb eine Mischfinanzierung zur Abgeltung der Arbeitsstunden von Therapeutinnen, zum Beispiel aus Eingliederungshilfe, Krankenkasse und schulischen Mitteln. Gegenwärtig fehlen jedoch noch entsprechende Regelungen zur Finanzierung konduktiver Maßnahmen (vgl. ISB 1999, 137).
Das Berufsbild der Konduktorin ist in Deutschland nicht anerkannt, so dass bei der Finanzierung Schwierigkeiten auftreten, wenn Konduktorinnen mit im Team arbeiten (vgl. ISB 1999, 83).
Bei der Finanzierung der notwendigen Sachausstattung mussten zum Teil erhebliche Schwierigkeiten überwunden werden (vgl. ISB 1999, 66).
Die Schulen finanzierten die Konduktive Förderung unterschiedlich: über schulische Mittel, Spenden, Stiftungen und andere Quellen.
4.6.7. Sachausstattung
Im Schulversuch gewann man die Erkenntnis, dass für die Durchführung Konduktiver Förderung pro Gruppe zwei nebeneinanderliegende Räume zu Verfügung stehen müssen, damit Bewegungsprogramme durchgeführt werden können. In der Stiftung Pfennigparade machte man die Erfahrung, dass ein erheblicher Mehraufwand an Zeit und Energie nötig ist, wenn nur ein Raum zur Verfügung steht und ständig die Möbel, entsprechend den Programmen, umgeräumt werden müssen (vgl. ISB 1999, 95).
Eine kleine Teeküche oder Küchenzeile wird als hilfreich angesehen. Die Toilettenanlagen müssen in der Nähe sein, um den Kindern Selbständigkeit zu ermöglichen. Griffe und Handläufe helfen den Kindern beim selbständigen Gehen, und der Bodenbelag sollte rutschfähig sein (vgl. ISB 1999, 138).
Die Notwendigkeit der Anschaffung des Petö-Mobiliars konnte im Schulversuch bestätigt werden, da es der Förderung von Selbständigkeit diene, die Unabhängigkeit von Stützhilfen fördere, Multifunktionalität besitze und Maßnahmen der Individualisierung unterstütze (vgl. ISB 1999, 87f). Für jedes Kind sollte deshalb mindestens eine Pritsche und ein Sprossenstuhl vorhanden sein. Hocker, Gehbarren, Laufleiter und Sprossenwände müssen angeschafft werden, sowie wichtiges Zubehör zum Festhalten, Ausgleichen von Sitzhöhen und andere Kleinmaterialien (vgl. ISB 1999, 138).
4.7. Erfolge durch Konduktive Förderung im Schulversuch
Die im Folgenden dargestellten Erfolge Konduktiver Förderung beziehen sich auf Beobachtungen im Schulversuch an den beteiligten Schulen. Sie sind der Veröffentlichung „Fakten, Erfahrungen, Ergebnisse zum Schulversuch“ (ISB 1999) entnommen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie, die an der Stiftung Pfennigparade in München durchgeführt wurde, sind dem Arbeitskreis des ISB zwar bekannt und gehen in die folgenden Ausführungen mit ein, auf sie wird aber in Kapitel 5, Punkt 5.2.1. noch einmal gesondert eingegangen.
„Der Schulversuch offenbart, dass konsequent durchgeführte Fördermaßnahmen bei den Kindern deutliche Erfolge nach sich ziehen“ (ISB 1999, 128).
„Im Vergleich mit anderen Kindern, die herkömmlich gefördert wurden, stellen die Teammitglieder fest, dass sie Verbesserungen in so hohem Ausmaß nicht erwartet haben“ (ISB 1999, 133).
Diese hier angesprochenen Erfolge wurden in folgenden Bereichen festgestellt:
In Bezug auf die motorische Entwicklung der Kinder konnten Angst, Tonussteigerungen und Stresserscheinungen, beim freien Sitzen zum Beispiel, allmählich abgebaut werden. Die Kinder entwickelten ein Körper- und Lagebewusstsein und verstanden die Notwendigkeit, sich an den Haltegriffen selbst festzuhalten, so dass die Fremdkontrolle weitgehend abgebaut werden konnte (vgl. ISB 1999, 87). Die Kinder begannen außerdem, mit ihrer Motorik zu experimentieren und entwickelten eigene Bewegungsideen (vgl. SCHEIDEREITER/ PASULA/ DACHENEDER 2000, 41).
Als „Stützfunktionen schulischen Lernens“ (ISB 1999, 125) konnten Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer, Wahrnehmungsfähigkeit, Lernmotivation und Selbstvertrauen positiv beeinflusst werden.
Die Kinder gewöhnten sich an die täglichen Übungen, so dass auch ein Transfer in den Alltag zunehmend möglich wurde, wo vorher zu große Erschöpfung dies verhindert hatte (vgl. BAUMANN, A. 2000, 13; SCHEIDEREITER/ PASULA/ DACHENEDER 2000, 40). Lerntempo und Lernumfang nahmen im Laufe des Schulversuchs zu. Es konnte festgestellt werden, dass die Kinder zunehmend schneller lernten und über Ferien oder Wochenenden weniger vergaßen, als dies zu Anfang der Fall gewesen war (vgl. SCHEIDEREITER/ PASULA/ DACHENEDER 2000, 40).
Positive Auswirkungen auf Sprachentwicklung und Kommunikationsfähigkeit werden ebenfalls genannt (vgl. ISB 1999, 133), sowie eine verbesserte soziale und emotionale Stabilität der Kinder (vgl. ISB 1999, 125).
Das folgende Zitat stammt zwar nicht aus dem Schulversuch, stimmt aber mit den dort dargestellten Aussagen überein:
„Das gesamte Erscheinungsbild unserer Gruppe hat sich im Laufe der zwei Jahre Arbeit nach Petö grundlegend geändert. Nicht mehr am ganzen Körper fixierte, passive, sich hängen lassende Behinderte in ihren Rollstühlen oder Schalen, die von je einer Bezugsperson umhegt werden, sondern aktive, wache, sich selbst haltende Kinder bestimmen das Bild“ (Spastikerhilfe 1993 zitiert nach Fink 1998, 127).
Im Gegensatz zu einer wissenschaftlichen Studie, in der unterschiedliche Testverfahren eingesetzt werden, um möglichst objektive, valide und reliable Ergebnisse zu erzielen, handelt es sich bei den Beobachtungen an den Schulen eher um subjektive Einschätzungen, die nicht den wissenschaftlichen Anforderungen einer Evaluationsstudie entsprechen. Karcher u.a. fordern jedoch für neue Behandlungsverfahren die Erbringung eines „ wissenschaftlich stichhaltigen Nachweises der Wirksamkeit und der Art und Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen, wie das auch den sonst in der Medizin allgemein anerkannten Regeln entspricht. Dazu gehören z.B. die standardisierte Anwendung in mehreren Studien und die Evaluation durch unabhängige Prüfer bzw. im Blindversuch. Einzelfallberichte sind nicht ausreichend“ (KARCHER u.a. 1997, 1).
Die beschriebenen Beobachtungen und Erfolge stellen demnach keinen wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit Konduktiver Förderung dar. Sie müssen laut Karcher u.a. durch mehrere Evaluationsstudien gesichert werden, „ bevor die Finanzierung [...] aus den Mitteln der Solidargemeinschaft (Krankenversicherung, Sozialhilfe) befürwortet werden kann“ (KARCHER u.a. 1997, 1). In Kapitel 5 wird auf die bereits vorliegenden wissenschaftlichen Studien eingegangen.
4.8. Entwicklungen seit Ende des Schulversuchs
Um mich über die Entwicklungen an den Versuchsschulen nach Beendigung des Schulversuchs zu informieren, nahm ich telefonisch, über E-Mail und per Brief* Kontakt zu einigen Schulen auf. Neben den am Schulversuch beteiligten Schulen, hatte ich über die Physiotherapeutin der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg, Frau Bock, von noch drei weiteren Schulen erfahren, bei denen inzwischen ebenfalls Konduktive Förderung stattfindet.
Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass die folgenden Angaben keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, da es in Deutschland noch weitere Schulen geben könnte, die Konduktive Förderung anbieten. Aufgrund der Aktualität war ich auf die im Internet verfügbaren Angaben und die Informationen der schulischen Mitarbeiter, mit denen ich Kontakt hatte, angewiesen. Schulen, die ihre Arbeit nicht im Internet vorstellen oder nicht mit der Stiftung Pfennigparade kooperieren (PTK-Ausbildung), können hier nicht berücksichtigt werden.
Im Anhang befindet sich eine Tabelle zum aktuellen Stand der Konduktiven Förderung an den bayerischen Schulen für Körperbehinderte.
Von Frau Bock erfuhr ich, dass sich die Konduktive Förderung in Bayern allgemein ausweitet. Als Empfehlung im bayerischen Lehrplan für diese Schulform verankert, zieht das Konzept der Konduktiven Förderung allmählich in die Schulen ein, in welcher Form allerdings, darauf möchte ich im Folgenden genauer eingehen.
Seit September 2000 gibt es, wie bereits erwähnt, an der Stiftung Pfennigparade in München einen Weiterbildungslehrgang zur „Pädagogisch-therapeutischen Konduktorin – PTK“ (vgl. BAUMANN, R. 2000; Phoenix GmbH 2002), den inzwischen einige Mitarbeiter der Schulen für Körperbehinderte in Nürnberg, Würzburg, Kempten, München, Regensburg, Passau, Aschaffenburg und Augsburg erfolgreich absolviert haben (vgl. E-Mail vom 16.9.).
Nach wie vor wird die Konduktive Förderung an der Ernst-Barlach-Schule der Stiftung Pfennigparade in München am intensivsten in ganz Bayern durchgeführt. Es wurde dort die Phoenix GmbH Konduktive Förderung gegründet, die auf ihrer Homepage im Internet (www.phoenix-kf.de) über ihr Konzept und den Weiterbildungslehrgang zur PTK Auskunft gibt (vgl. Kapitel 5, Punkt 5.2.).
An der Stiftung Pfennigparade wird mit ungarischen Konduktorinnen zusammengearbeitet, und in Kooperation mit der Heilpädagogischen Tagesstätte wird die Konduktive Förderung dort ganztägig angeboten. Diese intensive Umsetzung Konduktiver Förderung scheint die Eltern zu veranlassen, ihre Kinder an der Pfennigparade anzumelden, auch wenn sie dazu weitere Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen (vgl. ISB 1999, 118). Von 29 in der wissenschaftlichen Begleitstudie „Konduktive Förderung in der Stiftung Pfennigparade München“ erfassten Kindern, kamen 16 Kinder aus München und 13 aus dem Umland (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 19).
An der Münchener Landesschule für Körperbehinderte hingegen, kann Konduktive Förderung nur klassenübergreifend umgesetzt werden, da zu wenige für Konduktive Förderung geeignete Kinder angemeldet werden.
Auch an der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg findet, aus gleichem Grund, Konduktive Förderung im Grundschulbereich nur klassenübergreifend statt. In Nürnberg hat sich die Konduktive Förderung allerdings dahingehend ausgeweitet, dass es dort inzwischen auch zwei Gruppen mit jugendlichen Schülern gibt.
Drei Mitarbeiter der Astrid-Lindgren-Schule für Körperbehinderte in Kempten haben die Ausbildung zur PTK absolviert. Konduktive Förderung findet an dieser Schule in einer konduktiv geführten SVE-Gruppe, in einer konduktiv geführten Unterstufenklasse im Geistigbehindertenbereich, da jedoch schwerpunktmäßig am Nachmittag im Rahmen der Tagesstätte, und außerdem, mit zwei Bewegungsprogrammen pro Woche, klassenübergreifend im Lernbehindertenbereich, statt.
An der privaten Schule für Körperbehinderte in Würzburg werden eine SVE-Gruppe und eine Unterstufenklasse konduktiv geführt. Die Schule ist außerdem einer der Träger des Modellprojekts „Einrichtung Konduktiver Förderung“, das seit Schuljahr 2000/2001 mit 5 ungarischen Konduktorinnen klassenübergreifend an der Blindeninstitutsstiftung Würzburg läuft.
Durch ein Telefonat mit der privaten Pater-Rupert-Mayer-Schule in Regensburg erfuhr ich, dass Konduktive Förderung dort in der Schulvorbereitenden Einrichtung umgesetzt wird. Für die Schule sei die Konduktive Förderung in Planung, allerdings zum Anfang wohl auch nur klassenübergreifend. Zur Zeit kommt die PTK der Schulvorbereitenden Einrichtung stundenweise in die erste Klasse, da dort zwei Schüler unterrichtet werden, die vor der Einschulung konduktiv gefördert wurden. (Trotz mehrmaliger Anfrage, bekam ich von dieser Schule bis jetzt leider keine schriftliche Auskunft.)
In Aschaffenburg arbeitet eine PTK in der SVE mit einer Gruppe konduktiv, eine andere pädagogisch-therapeutische Konduktorin ist gerade in Mutterschaftsurlaub. An dieser Schule sind genügend Kinder vorhanden, dass 2 Klassen konduktiv gefördert werden könnten, wenn die Mitarbeiter dazu bereit wären. Zur Zeit kann im Schulbereich nur klassenübergreifend eine stundenweise Übernahme konduktiver Elemente erfolgen.
In Passau, an der St. Severin-Schule, wird Konduktive Förderung in der SVE durchgeführt, im Grundschulbereich jedoch nur klassenübergreifend. Einmal wöchentlich findet eine Jugendgruppe statt.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass an den bayerischen Schulen sehr unterschiedliche Konzepte, in Bezug auf Zusammensetzung und Arbeitsweise der Teams und die Intensität der Konduktiven Förderung, entwickelt wurden. Aus Mangel an Fachkräften, aber auch aus Mangel an geeigneten Kindern, finden die konduktiven Bewegungsprogramme in den meisten Schulen klassenübergreifend statt, im Tagesablauf werden konduktive Elemente berücksichtigt, eine Umsetzung Konduktiver Förderung als Gesamtkonzept erfolgt aber nur in der Stiftung Pfennigparade. Das Weiterbildungsangebot der Pfennigparade hat dazu geführt, dass bereits jetzt an mindestens acht Schulen PTK´s arbeiten, der Bedarf an ausgebildeten Fachkräften ist jedoch noch lange nicht gedeckt.
Überraschend stieß ich bei der Recherche auf eine Schule mit konduktivem Angebot in Neubrandenburg. In der Landesschule für Körperbehinderte Neubrandenburg wurde 1995 erstmals mit Konduktiver Förderung begonnen. In Zusammenarbeit mit dem Verein „Schritt für Schritt“ – eine Elterninitiative, gegründet von Eltern, die Konduktive Förderung in Ungarn kennengelernt haben – wurde der Verein „Schritt vor Schritt“ gegründet. Konduktive Förderung wird an dieser Schule im Bereich der Frühförderung und in der Unterstufe angeboten, und es erfolgt eine Nachbetreuung. Es wird (ohne Konduktorinnen) im interdisziplinären Team gearbeitet.
5. Kritische Einschätzung der Möglichkeiten Konduktiver Förderung
Wie bereits in Kapitel 3, Punkt 3.6.1. dargestellt, wird Konduktive Förderung in Deutschland in sehr unterschiedlichen Konzepten und unter unterschiedlichen Trägerschaften verwirklicht.
Prof. Dr. Karin S. Weber ist Leiterin des Instituts ScoRe (Siegener complexe Förderung und Rehabilitation) der Universität Siegen und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Konzept der Konduktiven Erziehung. Sie ist Herausgeberin der Buchreihe „Konduktive Förderung und Rehabilitation“, in welcher derzeit Band 1-5 erschienen sind.
Da Prof. Dr. Weber einen erheblichen Teil zu der wissenschaftlichen Untersuchung und Erforschung der Konduktiven Förderung in Deutschland beigetragen hat, werde ich ihre Arbeit im Folgenden kurz vorstellen und ihre Ergebnisse mit denen der Stiftung Pfennigparade und des bayerischen Schulversuchs vergleichen.
5.1. Die Siegener complexe Förderung und Rehabilitation (ScoRe)
Zuerst einmal muss festgehalten werden, dass sich die meisten Autoren darüber einig sind, dass mit Konduktiver Förderung so früh wie möglich begonnen werden sollte.
Nach Szövö-Dostal könnten Kinder, abhängig von Art und Schweregrad ihrer körperlichen Beeinträchtigung, innerhalb von 2 bis 3 Jahren die Orthofunktion erlangen, wenn vor dem 2. Lebensjahr mit der Förderung begonnen wird. Dies sei zwar nur ein Richtwert, je früher jedoch Konduktive Förderung einsetze, desto günstiger seien die Erfolgsaussichten (vgl. SZÖVÖ-DOSTAL 2001, 24f). Auch in den Ergebnissen des bayerischen Schulversuchs wird ein möglichst frühzeitiger Beginn Konduktiver Förderung empfohlen (vgl. ISB 1999, 143).
Die wissenschaftliche Begleitung der Konduktiven Förderung in der Stiftung Pfennigparade hat in ihren Untersuchungen ergeben, dass jüngere Kinder in ihrer motorischen Entwicklung viel stärkere Fortschritte machen konnten als ältere Kinder (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 6, 72).
Weber weist auf die beim Schulkind schon weitgehend abgeschlossene hirnphysiologische Reifung und Entwicklung hin, weshalb Konduktive Förderung hier nur noch graduell und partiell wirksam sein könne. Auch in Ungarn liege deshalb der Schwerpunkt Konduktiver Förderung im außerschulischen Bereich, in der Frühförderung und in der Förderung Erwachsener (vgl. WEBER 1998, 215f).
Ausgehend von der Überzeugung, „ daß Konduktive Förderung nur in adaptierter Form in andere Länder übertragen werden kann und dort weiterentwickelt werden muß „ (WEBER/ ROCHEL 1992, 279), ist die Siegener complexe Förderung und Rehabilitation eine Weiterentwicklung der traditionellen Konduktiven Förderung und Rehabilitation. Sie wird seit dem Jahr 2001 in Siegen in Zusammenarbeit mit Kinder- und Rehabilitationskliniken angeboten (vgl. SZÖVÖ-DOSTAL 2001, 76).
Weber arbeitet somit im Rahmen der medizinischen Rehabilitation, mit dem Schwerpunkt auf der Frühförderung und der Förderung Erwachsener.
Das ScoRe Institut ist an dem europäischen Projekt beteiligt, einen einheitlichen Standard in der Konduktorenausbildung zu schaffen und bietet zur Zeit in einem Modellversuch (Laufzeit Februar 2002 bis Januar 2003) eine Weiterbildung zu ScoRe-Managerinnen an (vgl. WEBER um 2002).
5.1.1. Ergebnisse des Modellversuchs Taunusklinik
Von März 1990 bis Februar 1992 fand an der Taunusklinik Falkenstein ein klinischer Modellversuch Konduktive Förderung statt. 12 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren wurden konduktiv gefördert und die Ergebnisse in einem Forschungsbericht (vgl. WEBER/ ROCHEL 1992) veröffentlicht.
Wenn die individuellen Fortschritte auch sehr unterschiedlich waren, aus den Ergebnissen „ geht zweifelsfrei hervor, daß die Kinder nicht nur in der Motorik, sondern auch in allen anderen Entwicklungsebenen quantitative als auch qualitative Fortschritte machten. [...] In keinem Fall wurde durch die Konduktive Förderung ein Schaden oder ein Entwicklungsrückschritt gefunden“ (WEBER/ ROCHEL 1992, 277).
Der Wert Konduktiver Förderung wurde in der mehrdimensionalen Arbeit, der Atmosphäre des intensiven emotionalen Bezugs, in den Anstößen der Gruppe und in der eigenaktiven Entwicklung des Kindes erkannt (vgl. WEBER/ ROCHEL 1992, 281) und die Einführung dieser Förderform „ als Ergänzung zu den traditionellen Fördermaßnahmen für Kinder mit frühkindlicher Hirnschädigung als ganzheitliches Konzept in der Bundesrepublik Deutschland“ (WEBER/ ROCHEL 1992, 278) empfohlen.
Karcher u.a. weisen darauf hin, dass diese Studie sich zwar durch „ sorgfältige Einzelanalysen und die gründliche Auseinandersetzung mit den praktischen und theoretischen Voraussetzungen der konduktiven Förderung „ auszeichne, sie entspreche jedoch durch das Fehlen eines Gruppenvergleichs mit der Kontrollgruppe, auf den wegen der sehr unterschiedlichen Entwicklungsverläufe der Kinder verzichtet wurde, nicht „ den heutigen statistisch-wissenschaftlichen Anforderungen zur Evaluation von Behandlungserfolgen“ (KARCHER u.a. 1997, 6).
Im Verlauf ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit dem Konzept der Konduktiven Förderung erkannte Weber folgende Bedingungen für den Erfolg konduktiver Maßnahmen als notwendig:
Die Kinder sollten möglichst jung sein, und die Förderung muss professionell und kontinuierlich durchgeführt werden. Unter professioneller Durchführung versteht Weber die Durchführung „ mit medizinischer Verantwortung, kompetenten Konduktor-inn-en, sorgfältiger Gruppenzusammenstellung, erstklassiger didaktisch-methodischer Planung, Durchführung und Reflexion, bzw. Supervision, Evaluation der Organisations- und Prozessabläufe, so wie es Standard in den ungarischen Gruppen des Staatlichen Petö-Instituts in Budapest ist“ (WEBER 1998, 213). Weber wendet sich gegen die oft praktizierte Methode „ Voraussetzungen, Bedingungen und Variablen [...] zu automatisieren oder sich Teile herauszugreifen, die gerade praktikabel erscheinen“ (WEBER 1998, 213) und bezeichnet die Kombination mit anderen Methoden als irrelevant.
„Das holistische System Konduktiver Förderung und Rehabilitation muß in den Ländern außerhalb Ungarns reformiert und länderspezifisch verwirklicht werden“, jedoch darf eine Adaption oder Reformierung auf keinen Fall dazu führen, „ daß die Kernbereiche, daß ´Wesen und Geist` dieses Systems auseinandergenommen und nach Belieben andersartig variiert oder gar addiert werden“ (WEBER 1998, 214). Große Verwirrung sei unter den Betroffenen und den Fachleuten durch die Vielfalt und Unterschiedlichkeit konduktiver Förderangebote entstanden (vgl. WEBER 1998, 215).
5.2. Das Konzept der Stiftung Pfennigparade
Weber bezieht sich nirgendwo direkt auf den in Bayern durchgeführten Schulversuch. Da jedoch auch die Stiftung Pfennigparade an dem EU-Projekt zur Konduktorenausbildung beteiligt ist, ist anzunehmen, dass zwischen dieser und der Universität Siegen eine gewisse Zusammenarbeit besteht.
Im September 1995 begann man in der Stiftung Pfennigparade erstmalig in einer Nachmittagsgruppe von 8 Kindern mit der Konduktiven Förderung zu arbeiten. Von Anfang an war eine ungarische Konduktorin beteiligt.
Im Januar 1996 begann eine weitere Versuchsgruppe in der Schulvorbereitenden Einrichtung (SVE).
In Abstimmung mit dem Budapester Petö-Institut und den in steigender Anzahl an der Pfennigparade vertreten Konduktorinnen, wurde ein Konzept zur Integration der Konduktiven Förderung in den Alltag der Stiftung Pfennigparade entwickelt und im September 1996 die Abteilung Konduktive Förderung der Stiftung Pfennigparade, bestehend aus zwei Klassen und einer SVE, gegründet.
Im Herbst 1997 wurde die Abteilung um eine Frühfördereinrichtung erweitert, in der Kinder im Alter von 1 bis 3 Jahren zusammen mit ihren Eltern gefördert werden.
Mittlerweile stehen 70 Förderplätze mit fast 50 Mitarbeitern zur Verfügung. Zu Beginn des Schuljahres 2003 soll das neue Konduktive Förderzentrum eingeweiht werden (vgl. ANJOU u.a. 1999, 4; STEINMANN 2000, 8).
Finanziert wird die Konduktive Förderung in der Stiftung Pfennigparade einerseits über den für jedes Kind festgelegten Pflegesatz in der Heilpädagogischen Tagesstätte, des weiteren über Abrechnung der Therapeutinnen bei den Krankenkassen, weshalb jedes Kind ein Rezept für die therapeutische Arbeit benötigt. Die in der Konduktiven Förderung eingesetzten Lehrkräfte werden von der Regierung von Oberbayern finanziert, sowie anteilig auch die Kinderpflegerinnen (vgl. ANJOU u.a. 1999, 5).
Verglichen mit den von Weber zusammengetragenen Bedingungen für eine erfolgreiche Konduktive Förderung (vgl. Punkt 5.1.), scheint das Konzept der Stiftung Pfennigparade (ANJOU 1999) gut geeignet zu sein, dieses Ziel zu erreichen.
Es wird frühzeitig in Mutter-Kind-Gruppen mit der Förderung begonnen. Sie findet kontinuierlich statt, da die Kinder von der Kleinkindgruppe bis zum Schulaustritt oder Schulwechsel an der Gruppenarbeit der Konduktiven Förderung teilnehmen können (vgl. ANJOU 1999, 7).
Es findet, im Aufnahmeverfahren und in regelmäßigen Abständen wiederholt, eine medizinische und psychologisch-pädagogische Diagnostik statt, sowie eine ständige, beobachtende Befundaufnahme durch die Mitarbeiterinnen im Alltag. Ein Neuropädiater und ein Orthopäde im Haus ermöglichen eine enge Zusammenarbeit (vgl. ANJOU 1999, 9). Auch mit den Hausärzten wird kooperiert, „ da der therapeutische Prozess ständiger ärztlicher Kontrolle und Ansprachen bedarf“ (ANJOU 1999, 25).
Die Gruppen werden jeweils von zwei Konduktorinnen, zwei Therapeutinnen, einer Kinderpflegerin und einer Sonderpädagogin oder Heilpädagogin betreut, wobei aufgrund der Gruppengröße Variationen möglich sind (vgl. ANJOU 1999, 11). Dies zeigt jedoch einen außerordentlich guten Personalschlüssel an der Stiftung Pfennigparade, im Vergleich zu den anderen Schulen mit konduktivem Förderangebot, auf die in Punkt 5.3. eingegangen wird.
Eine einheitlich pädagogisch-therapeutische Vorgehensweise mit beständiger Reflektion der Arbeit, wird durch regelmäßig stattfindende Teamgespräche im Klein- und einmal wöchentlich im Großteam angestrebt. Zu Fortbildung, Supervision und Selbstreflexion finden in regelmäßigen Abständen Seminare statt (vgl. ANJOU 1999, 11). Zwar wird im interdisziplinären Team gearbeitet, die qualifizierte und kompetente Durchführung konduktiver Maßnahmen scheint jedoch gesichert. Dies wird auch im Forschungsbericht „Konduktive Förderung in der Stiftung Pfennigparade“ positiv erwähnt (vgl. SCHMIDT/ OERTER 2001, 4).
Mit der Bezeichnung der Abteilung – Konduktive Förderung der Stiftung Pfennigparade – soll auf die Individualität dieses Konzeptes hingewiesen und Verwirrung vermieden werden. Man bemüht sich aber laut Konzept trotzdem, die Konduktive Erziehung nach András Petö so identisch wie möglich in das bestehende Fördersystem zu integrieren (vgl. ANJOU 1999, 14). Die notwendigen Veränderungen wurden bereits in Kapitel 4 beschrieben und begründet.
5.2.1. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitstudie
In den Schuljahren 1996/97 und 1997/98, sowie noch einmal verlängert auf die Schuljahre 19998/99 und 1999/2000, wurde die Konduktive Förderung der Stiftung Pfennigparade vom Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München wissenschaftlich begleitet. Die Untersuchung umfasste „ neben der Dokumentation der individuellen Entwicklungsverläufe der beteiligten Kinder und der Evaluation der angewandten Methoden auch den Versuch der theoretischen Einordnung in die Pädagogik A.Petös“ (SCHMIDT/ OERTER um 1998, 4).
Der in diesem Rahmen entstandene Forschungsbericht von Dipl. Psych. Gerhard Schmidt und Prof. Dr. Rolf Oerter ist (nur) von der Stiftung Pfennigparade zu beziehen.
In ihren Ergebnissen stellen Schmidt/ Oerter fest, dass in den konduktiv geführten Gruppen der Stiftung Pfennigparade im kognitiv-intellektuellen Bereich eine enorme Leistungsheterogenität von geistiger Behinderung (in der SVE) bis hin zu knapp überdurchschnittlichen Leistungen besteht und sich in einer Verlaufsheterogenität neben ruhigen und steigenden Verläufen auch starke Schwankungen bis hin zu teilweise Leistungsverlusten zeigten (vgl. SCHMIDT/ OERTER 2001, 2). Im Bereich der Schule war geistige Behinderung jedoch ein Ausschlusskriterium aus der Konduktiven Förderung.
Im Zusammenhang mit der Gruppenförderung fiel der Kontrast zwischen Normalbegabten und Lernbehinderten deutlich auf. Lernbehinderte Kinder konnten sowohl in ihrer kognitiven als auch in ihrer motorischen Entwicklung weniger profitieren als normalbegabte Kinder. Schmidt/ Oerter weisen jedoch darauf hin, dass bei einer Reihe von Kindern die intellektuellen Fähigkeiten stabil blieben, also zwar keine großen Fortschritte, jedoch auch keine Rückschritte gemacht wurden, was bei diesen weniger intellektuell begabten Kindern eine adäquate Förderung belegen würde (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 72).
In ihrer grobmotorischen Entwicklung konnten jüngere Kinder eher von der Konduktiven Förderung profitieren als ältere (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 6). In der Entwicklung der Handmotorik zeigten sich jedoch auch bei älteren Schülern ruhige fortschrittliche Verläufe, weshalb Schmidt und Oerter hier große Chancen für die Förderung, auch im Zusammenhang mit der Zielsetzung der Lebensbewältigung, sehen (vgl. SCHMIDT/ OERTER 2001, 2).
Von den 29 beobachteten Kindern erhielten 8 im Schuljahr 1997/98 logopädische Einzeltherapie. Ergotherapie und Stunden der Lernförderung wurden ebenfalls für einzelne Kinder angeboten, wenn sie besondere Schwierigkeiten in einem Bereich zeigten, der nicht durch das Gruppenprogramm abgedeckt werden konnte (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 6).
Auch Schmidt/ Oerter konnten eine sehr positive Selbsteinschätzung und hohe Motivation bei den an Konduktiver Förderung teilnehmenden Kindern feststellen, wie sie auch schon von Weber/ Rochel und vielen Besuchern des Budapester Instituts beschrieben wurde (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 56/57).
Obwohl es sich um kognitiv-sensorisch und motorisch sehr stark beeinträchtigte Kinder handelte, „ kann gesagt werden, dass das Programm ´konduktive Förderung` im Beobachtungszeitraum Außerordentliches geleistet hat“ (SCHMIDT/ OERTER 2001, 3). Alle Kinder konnten durch ihre kognitiven bzw. motorischen Leistungsverbesserungen positive Erfahrungen machen.
Als positiv werden im Forschungsbericht die an der Stiftung Pfennigparade durch neu geschaffene Strukturen verbesserte Zusammenarbeit im Team und die damit geglückte, seit langem geforderte Integration von schulischen und therapeutischen Inhalten bewertet (vgl. SCHMIDT/ OERTER 2001, 4).
In Zukunft müsse jedoch noch mehr auf differenzierende Maßnahmen geachtet werden, um eine Unter- oder Überforderung in den heterogenen Gruppen zu vermeiden. Es konnten in den Programmen nur wenige individuelle Aufgabestellungen und Anweisungen beobachtet werden (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 54).
Nach Möglichkeit sollen die Gruppen in homogeneren Leistungsstufen zusammengestellt und kognitiv stark beeinträchtigte Kinder nicht in die vorhanden Gruppen aufgenommen werden (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 7).
Da es sich um ein Ganztagsprogramm handelt und den Kindern wenig Zeit außerhalb der schulischen Förderung bleibt, sollte, über den Tag verteilt, altersangemessene Freizeit angeboten werden (vgl. SCHMIDT/ OERTER 2001, 4).
„Die Teammitarbeiter/innen halten aufgrund ihrer Erfahrungen das Programm der Konduktiven Förderung trotz seiner hohen Anforderungen für realisierbar „ (SCHMIDT/ OERTER um 1998, 7).
Die Konduktive Förderung könne jedoch laut Schmidt/ Oerter in der Form, wie sie an der Stiftung Pfennigparade in München durchgeführt wird, nur im Rahmen großer Institutionen sinnvoll realisiert werden“ (SCHMIDT/ OERTER 2001, 5).
5.3. Elemente Konduktiver Förderung in der KB-Schule?
Wie bereits in Punkt 4.7. dargestellt, wird Konduktive Förderung in Bayern vornehmlich in klassenübergreifenden Konzepten realisiert. Die Schulen sprechen vom „Einsatz konduktiver Elemente“ (ISB 1999, 134).
Bezogen auf ein unveröffentlichtes Papier der Physiotherapeutin der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg, Frau Bock, soll hier als Beispiel das Projekt „Kinder in Bewegung“ dieser Schule kurz vorgestellt werden (Volltext im Anhang):
Wo in der Schulvorbereitenden Einrichtung noch eine Auswahl und Zusammenstellung von Kindern in nach dem Behinderungsbild Zerebralparese homogene Gruppen möglich ist, kann dies im Grundschulbereich nicht mehr geleistet werden, „ da die Klassen nach Alter und schulischer Leistung zusammengesetzt werden“ (BOCK 1998, 4). Aus diesem Grund werden an der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg klassenübergreifend (3 Klassen) Bewegungsgruppen gebildet. Diese Gruppen finden sich täglich in der 3. Unterrichtsstunde zusammen. Neben den Bewegungsprogrammen für die konduktiv geförderten Kinder, findet zeitgleich eine Geh-Schule oder Feinmotorikförderung für leistungsstärkere Kinder, Sport für Läufer, und eine Theatergruppe statt (vgl. BOCK 1998, 4). Somit werden alle Kinder, nicht nur die konduktiv geförderten Schüler, in eine bewegungsorientierte Förderung einbezogen, was nach Meinung der Arbeitskreismitglieder des Schulversuchs „ als Innovation innerhalb der Schule für Körperbehinderte bewertet werden kann“ (ISB 1999, 141).
Die Umsetzung der erlernten Fertigkeiten im Alltag findet in den Klassen statt. Dazu stehe laut Bock aber nur ein geringer Rahmen zur Verfügung. Es könne nur von einer Teilumsetzung die Rede sein, da die Therapeuten aufgrund ihrer Abrechnungsmodalitäten mit den Krankenkassen nur zu den Bewegungsprogrammen zur Verfügung stehen und nicht im Alltag anwesend sein können. Trotzdem werden Ankunfts- und Abfahrtszeiten, der Wechsel von Räumen, Toilettengänge, das Holen von Spiel- und Arbeitsmaterial oder der Gang zur Wandtafel im Unterricht nach Möglichkeit zum Lauf- und Selbständigkeitstraining genutzt (vgl. BOCK 1998, 6).
Wie Frau Bock berichtet, haben inzwischen drei Mitarbeiterinnen der Einrichtung die an der Stiftung Pfennigparade angebotene Weiterbildung zur Pädagogisch-therapeutischen Konduktorin erfolgreich absolviert. Des weiteren finden interne Fortbildungen zur Konduktiven Förderung statt (vgl. E-Mail vom 23.9.).
In Kapitel 4, Punkt 4.6. wurde beschrieben, welche Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Konduktiven Förderung in den einzelnen Schulen überwunden werden mussten und welche Gründe meist nur ein klassenübergreifendes Konzept zuließen. Anhand der von Weber zusammengetragenen Bedingungen zur erfolgreichen Konduktiven Förderung, soll die Qualität dieser Maßnahmen hier überprüft werden.
Zur Kompetenz der Teammitglieder kann festgestellt werden, dass durch die an der Stiftung Pfennigparade eingerichtete Weiterbildungsmöglichkeit an vielen Schulen inzwischen Pädagogisch-therapeutische Konduktorinnen (PTK´s) tätig sind (vgl. Tabelle im Anhang). Verglichen mit der Anfangssituation des Schulversuchs, wo nur in der Stiftung Pfennigparade Konduktorinnen beschäftigt waren, zeigt sich also inzwischen ein etwas besseres Bild.
Trotzdem reichen die ausgebildeten Fachkräfte noch nicht aus, kann oft nur eine Gruppe der Schulvorbereitenden Einrichtungen konduktiv gefördert werden, können die Konduktorinnen meist nur stundenweise in den Klassen sein (vgl. Tabelle im Anhang).
Weber mahnt eine Durchführung konduktiver Maßnahmen mit „medizinischer Verantwortung“ (WEBER 1998, 213) an. In den Versuchsschulen wurde laut ISB eine konduktive Förderdiagnostik durchgeführt, in die auch ärztliche Gutachten und Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Orthopäden hinsichtlich konduktiver Anforderungen mit eingingen. In den „ Fakten, Erfahrungen, Ergebnisse[n] zum Schulversuch“ heißt es über die konduktive Diagnostik: „Die Untersuchungen ziehen sich über einen längeren Zeitraum hin, werden vom konduktiven Basisteam vorgenommen und berücksichtigen die besonderen Erfordernisse der Konduktiven Förderung“ (ISB 1999, 114). Außerdem heißt es weiter: „Der Arzt begleitet die konduktiven Bemühungen und steht dem konduktiven Team jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung“ (ISB 1999, 116). Wie diese Zusammenarbeit mit Fachärzten an den einzelnen Schulen ganz konkret ausgesehen hat, bleibt hier allerdings offen.
Die gravierendste Veränderung der ursprünglichen Konzeption von András Petö besteht in der Durchbrechung des Gruppenprinzips in den meisten Versuchsschulen. Die im Schulversuch selbst erarbeiteten Grundsätze zur Bildung konduktiver Gruppen, so zum Beispiel die Bildung altershomogener Gruppen, um eine möglichst lange gemeinsame Förderung zu ermöglichen, konnten nicht an allen Schulen eingehalten werden. Das Zusammenbleiben der Gruppe beim Wechsel von Schulvorbereitender Einrichtung zur Schule wird zwar als günstig angesehen, kann aber an kaum einer Schule realisiert werden (vgl. ISB 1999, 117f).
Folgerichtig wird in den Ergebnissen des Schulversuchs festgestellt, dass die gemeinsame Unterrichtung konduktiv und nicht konduktiv geförderter Kinder und die damit für die Bewegungsprogramme notwendige Durchbrechung des Gruppenprinzips, „ wesentliche Veränderungen im konduktiven Anliegen „ (ISB 1999, 119) zur Folge hat. Das Bewegungslernen gewinne wieder „ den Charakter einer additiven, therapeutisch orientierten Förderung“ (ISB 1999, 119).
5.3.1. Ergebnisse des bayerischen Schulversuchs
Fünf Schulen nahmen am Schulversuch „Konduktive Förderung von Kindern in der Schulvorbereitenden Einrichtung und in der Grundschulstufe der Schule für Körperbehinderte“ teil. Vier Schulen setzten konduktive Elemente auch im Bereich der Schule um. In nur einer Schule geschah dies in konduktiv geführten Klassen, in den drei anderen Schulen wurde nach unterschiedlichen klassenübergreifenden Konzepten gearbeitet.
Die für den Schulversuch ausgewählten Kennzeichen Konduktiver Pädagogik (vgl. Kapitel 4, Punkt 4.1.), konnten nur teilweise in unser deutsches Schulsystem übernommen werden:
- Die Verknüpfung pädagogischer und therapeutischer Ansätze war vor allem von der Verfügbarkeit des therapeutischen Personals abhängig und gelang den Schulen in unterschiedlichem Ausmaß.
- Pädagogisch eingebettetes Bewegungslernen ersetzte an einigen Schulen die Einzeltherapie, vor allem die Physiotherapie. An anderen Schulen fand Einzeltherapie zusätzlich statt, wenn Konduktive Förderung nur in Ansätzen und in nur wenigen Stunden pro Woche möglich war.
- Die Übertragung von erlernten Bewegungsabläufen in den Alltag konnte nur dann erfolgen, wenn dafür Zeit eingeräumt wurde und die notwendigen Grundlagen vorher in den Bewegungsprogrammen erlernt werden konnten.
- Das Gruppenprinzip konnte, wie beschrieben, in den Schulvorbereitenden Einrichtungen, aber nur an der Stiftung Pfennigparade auch in der Schule umgesetzt werden.
- Die sprachliche Anleitung beim Bewegungslernen, das rhythmische Intendieren, kam in allen Schulen zum Einsatz.
- Das Prinzip der Förderung der Selbständigkeit durch konduktive Faszilitation wurde von den Mitarbeiterinnen der konduktiven Teams erlernt und angewendet.
- Eine ganztägige Konduktive Förderung gelang nur in der Stiftung Pfennigparade, so dass bei der Intensität der Förderung an den anderen Schulen Abstriche gemacht werden mussten.
- Die Eltern wurden verstärkt in die Förderung eingebunden, jedoch an der Stiftung Pfennigparade wieder intensiver als an den anderen Schulen.
- Weitgehend behinderungshomogene Gruppen konnten nur durch das Eingehen von Kompromissen in Bezug auf Alter und Leistungsstand der Schüler gebildet werden, oft auch gar nicht. (vgl. ISB 1999; BOCK 1998 u.a.)
„Die Ergebnisse im Schulversuch lassen die Empfehlung zu, Konduktive Förderung künftig als zusätzliches Angebot vornehmlich an großen Einrichtungen für Körperbehinderte anzubieten und die Fördermaßnahmen bereits im Bereich der Frühförderung durchzuführen“ (ISB 1999, 143), heißt es in den „Fakten, Erfahrungen, Ergebnissen des Schulversuchs“. Aber auch in den kleineren Einrichtungen, wie zum Beispiel der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg, sind Veränderungen eingetreten, die Positives bewirkt haben. Bock schreibt in ihrem Resümee: „Die Zusammenarbeit von Pädagogen und Therapeuten hat dazu geführt, daß wir zielgerichteter arbeiten [...]. Sie [die Kinder] sind wacher und mobiler geworden, sie haben gelernt ihre Bewegungsfähigkeit einzusetzen. [...] In Sitzschalen oder angeschnallt im Rollstuhl sein haben wir weitgehendst zugunsten von Aktivität aufgegeben. Wir versuchen weg zu kommen von ´gehoben, getragen, geschoben und angeschnallt`. Durch die neuen Schwerpunkte in der konduktiven Förderung sind wir überzeugt, daß wir angemessenere körperbehinderten-spezifische Therapie und Pädagogik betreiben [...], und daß dies neue Akzente in der Förderung an Einrichtungen für Körperbehinderte nach sich ziehen wird“ (BOCK 1998, 8).
Zu den fünf bayerischen Schulen des Schulversuchs, sind inzwischen mindestens drei weitere hinzugekommen (siehe Tabelle im Anhang), in denen Konduktive Förderung in der Schulvorbereitenden Einrichtung und an einer Schule auch klassenübergreifend im Grundschulbereich, eingeführt wurde. Die notwendigen Veränderungsprozesse in Organisation, Struktur und Arbeitsweise der Schulen „beanspruchen erheblichen Zeitaufwand, Kooperationsfähigkeit und Kompromissbereitschaft“ (ISB 1999, 108). Trotzdem machen sich die Schulen auf den Weg, eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Pädagogik und Therapie aufzubauen, Alternativen für die Einzelförderung zu suchen und ihre Schüler im Sinne von Ganzheitlichkeit besser zu fördern.
5.4. Resümee
Laut Bock ist die Konduktive Förderung nur bei etwa 30% der körperbehinderten Kinder an der Nürnberger Schule möglich (vgl. BOCK 1998, 4). Ein ähnliches Bild wird sich auch an den meisten anderen Schulen für Körperbehinderte zeigen. Das Konzept der Konduktiven Förderung muss also neben anderen Fördermethoden an der Schule für Körperbehinderte stehen.
Die Ausbildung zur Konduktorin erfolgt sowohl an der Stiftung Pfennigparade, als auch an der Siegener Universität als Zusatzqualifikation. Berufsbegleitend und mit einem erheblichen Eigenbetrag für die Teilnehmer (2000,- Euro an der Pfennigparade), stellt sie eine sicher nicht geringe Belastung dar (vgl. Phoenix GmbH 2002).
Wie bereits beschrieben wurde, ist die Umsetzung eines Gesamtkonzeptes Konduktiver Förderung nur an großen Einrichtungen möglich. Es kann deshalb nicht Ziel sein, alle Mitarbeiter an Schulen für Körperbehinderte zu Konduktoren ausbilden zu wollen. Das Primat der Freiwilligkeit wurde auch im Schulversuch als sehr wichtig erkannt (vgl. ISB 1999, 84).
Jeder Lehrer und jede Lehrerin sollte jedoch zu Fortbildungen und Weiterentwicklungen bereit sein, seine Lehrtätigkeit stets kritisch beurteilen und im Sinne einer bestmöglichen Förderung seiner Schüler, versuchen weiterzuentwickeln. Jäger/ Behrens sprechen von notwendiger „Offenheit, Innovationsfähigkeit und Fortbildungsbereitschaft“ (JÄGER/ BEHRENS 1994, 31) – Einstellungen, die schon in der Lehrerausbildung thematisiert werden sollten.
Der Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, und gerade an der Schule für Körperbehinderte, die enge Zusammenarbeit mit den therapeutischen Berufsgruppen, sollte an allen Schulen überprüft und intensiviert werden, auch wenn keine Konduktive Förderung stattfindet.
Die Kompetenzen des Kooperieren- und Kommunizierenkönnens müssen in der Lehrerausbildung erworben werden (vgl. JÄGER/ BEHRENS 1994, 29). Ebenfalls wichtig für eine erfolgversprechende Zusammenarbeit mit Eltern, Kollegen und anderen Fachgruppen sind, nicht nur für das Konzept der Konduktiven Förderung, Beratungs- und Konfliktmanagementkompetenzen für Lehrer (vgl. MACHA/ BAUHOFER 2002, 131). Im Schulversuch zeigte sich, dass nicht alle Mitarbeiterinnen über diese Kompetenzen verfügten, Sonderschullehrerinnen jedoch eher mit der Teamarbeit vertraut waren, als andere Berufsgruppen (vgl. Kapitel 4).
Für die an Schulen für Körperbehinderte beschäftigten Sonderpädagogen scheint, unabhängig von Konduktiver Förderung, ein fundiertes therapeutisches und medizinisches Grundwissen von großer Wichtigkeit zu sein. So könnte dies die Unsicherheiten und Unwissenheiten vieler Lehrer beheben, die häufig einem mehr bewegungsimmanenten Unterricht im Wege stehen (vgl. Punkt 4.6.5.). Um wegzukommen von „gehoben, getragen, geschoben und angeschnallt“ (BOCK 1998, 8) und das Selbsttun ihrer Schüler zu fördern, müssen Sonderschullehrer im Handling Körperbehinderter geschult werden, eng mit den Therapeuten zusammenarbeiten, die Bewegungsfähigkeiten ihrer Schüler kennen und über Möglichkeiten der Bewegungsförderung Bescheid wissen. Auch ohne ein Konzept Konduktiver Förderung kann dies zur verbesserten Förderung aller Schüler beitragen (vgl. Kapitel 2).
Sowa/ Rischmüller beziehen sich in ihrem Buch „Schule in Bewegung“ nicht auf die Konduktive Förderung. Trotzdem fallen Gemeinsamkeiten auf, wie zum Beispiel die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und die therapeutische Förderung in der Klasse, die für die Schule für Körperbehinderte in der Literatur überall gefordert, jedoch zu wenig umgesetzt wird (vgl. Kapitel 2).
Im Gespräch mit Konduktorinnen wurden mir Probleme einer Umsetzung von „nur ein bisschen Petö“ genannt:
Ohne die regelmäßigen Bewegungsprogramme fehlt den Kindern die Grundlage für die Umsetzung von mehr Selbständigkeit im Alltag. Es stellt sich jedoch die Frage, wozu die Kinder dann aber in Einzeltherapie behandelt werden, wenn die Umsetzung im Alltag nicht funktioniert. Wenn pro Woche nur 2 konduktive Programme durchgeführt werden können und die Kinder zusätzlich Einzeltherapie erhalten, dann muss diese doch den Kindern ebenfalls einen Transfer in den Alltag ermöglichen.
Auch wenn die Therapeutin nur stundenweise in die Klasse kommt, könnte dies schon einen großen Fortschritt bedeuten. Wenn eine komplette Umsetzung des Konzeptes Konduktiver Förderung nicht möglich ist, sollte doch zumindest verbessert werden, was möglich ist.
Die Umsetzung der Konduktiven Förderung in den Versuchsschulen hat gezeigt, dass Unsicherheiten der Lehrer im Handling, ein zu niedriger Personalschlüssel und ähnliche oft genannte Einwände gegen eine Einführung Konduktiver Förderung überwunden werden können.
Durch Zusammenarbeit, regelmäßige Teamsitzungen, Fortbildungen und organisatorische Umstrukturierungen in der Schule für Körperbehinderte, konnten positive Veränderungen bewirkt werden (vgl. Kapitel 4, Punkt 4.7.).
Je weiter man sich vom ursprünglichen Konzept der Konduktiven Erziehung entfernt (Aufhebung des Gruppenprinzips, Arbeit mit unterschiedlichen Fachkräften, keine Ganztagesförderung) um so geringer wird vielleicht der Erfolg sein, die Frage ist jedoch, wie viel Therapie man einem Kind zumuten kann. In Deutschland räumt man den Kindern mehr Freiheiten ein, als in Ungarn – das macht die Förderung vielleicht weniger intensiv und erfolgreich, stimmt aber eher mit unserem Menschenbild und unseren Vorstellungen von Erziehung überein.
In einer Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie (KARCHER u.a. 1997) werden die Ergebnisse einer in England durchgeführten Studie zur Konduktiven Förderung bei Schulkindern zitiert, in der die Konduktive Förderung „ keine besonderen Vorteile, aber auch keine wesentlichen Nachteile erbrachte“ und im Vergleich mit der Kontrollgruppe „ durchschnittlich gleiche Entwicklungsfortschritte erzielt werden konnten“ (KARCHER u.a. 1997, 6). Geben diese Ergebnisse der Konduktiven Förderung aber nicht zumindest das Recht, auch in Deutschland Beachtung zufinden und gleichberechtigt neben anderen Fördermethoden zu stehen? Auch Karcher u.a. stellen fest, dass eine integrative ganzheitliche Behandlung und Förderung zunehmend auch von Ärzten und Therapeuten aufgegriffen wird, da deren Vorteile erkannt wurden (vgl. KARCHER u.a. 1997, 3).
Vielleicht wäre es schon ein Fortschritt, wenn in der Frühförderung durch Konduktive Förderung die Grundlagen geschaffen werden – im Rahmen medizinischer Rehabilitationseinrichtungen oder in den SVE der Förderzentren. Das Prinzip der Selbständigkeit könnte dann auch eher in der Schule umgesetzt werden, da die Kinder schon gelernt haben, selbst zu handeln, in ihre Fähigkeiten zu vertrauen und Hilfe anzufordern, wo sie diese benötigen.
Einzelbeispiele im Schulversuch haben gezeigt, dass die Fähigkeiten eines Kindes schnell nachließen, wenn es nicht mehr konduktiv gefördert wurde und wieder den ganzen Tag im Rollstuhl saß. Das darf natürlich nicht geschehen. Bewegungsprogramme sind aber nicht mehr so intensiv nötig, wenn die Basisbewegungen erlernt wurden. Ziel der Konduktiven Erziehung in Ungarn ist ja auch, in zwei bis drei Jahren die Orthofunktion herzustellen (vgl. SZÖVÖ-DOSTAL 2001, 24). In den Ergebnissen des Schulversuchs heißt es ebenfalls: „Wenn die Kinder Basisbewegungen nicht in der Schulvorbereitenden Einrichtung erlernen können, muss diese Aufgabe in der Schule nachgeholt werden „ (ISB 1999, 130). Der Idealfall ist dies allerdings nicht.
Die Aussage von Schor, die Konduktive Förderung mit ihrer Interdisziplinartät sei „prägendes Merkmal sonderpädagogischer Förderung“ (SCHOR 2000b, 5), geht meiner Meinung nach zu weit, da Konduktive Förderung doch mehr ist, als nur Zusammenarbeit. Sie stellt jedoch eine Möglichkeit dar, sonderpädagogische Förderung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit zu verwirklichen.
Dass es möglich und sinnvoll ist, Konduktive Förderung oder jedenfalls Elemente Konduktiver Förderung an Schulen für Körperbehinderte umzusetzen, hat der bayerische Schulversuch gezeigt. Wünschenswert wäre, dass die Entwicklungen weiter vorangehen, sich mehr Schulen an dieses Konzept wagen und aus den Erfahrungen mit Konduktiver Förderung weitere Konzepte zur Bewegungsförderung aller Schüler an den Schulen für Körperbehinderte entwickelt werden, ähnlich dem Projekt „Kinder in Bewegung“ an der Schule für Körperbehinderte in Nürnberg.
Parallel dazu, könnte die Konduktive Förderung in Deutschland ihren Platz neben anderen Therapiemethoden in Frühförder- und Rehabilitationszentren finden. Speck schreibt: „Es gibt keinen fachlichen Grund, die Hilfe durch die Konduktive Förderung deutschen Kindern vorzuenthalten“ (Speck 1996, 87).
Eine Qualifikation der Konduktorinnen nach ungarischem Ausbildungskonzept ist in Deutschland nicht möglich, da sie mit den heute geltenden Standards nicht mehr vereinbar wäre (vgl. SCHMIDT/ OERTER um 1998, 8) und eine „Superqualifikation“ aufgrund der fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und spezialisierten Fachrichtungen nicht mehr möglich ist (vgl. Kapitel 3, Punkt 3.7.1.). Eine Vereinigung von Qualifikationen muss durch Zusammenarbeit und Doppel- oder Mehrfachqualifikationen ermöglicht werden. Die von Karcher u.a. dargelegten Einwände gegen die frühzeitige Aufrichtung in der Konduktiven Erziehung (vgl. Kapitel 3, Punkt 3.7.5.), in denen die Autoren auf den Gegensatz zu der bei den Bewegungsabläufen auf Qualität achtenden Krankengymnastik nach Bobath oder Vojta verweisen, können durch dieses System vielleicht sogar behoben werden. Ausgebildete Bobath-Therapeutinnen mit einer zusätzlichen Konduktorenausbildung könnten ihr Wissen und die Qualität ihrer physiotherapeutischen Arbeit in die konduktive Arbeit einfließen lassen. Das dies möglich ist und die unterschiedlichen Förderansätze nicht unbedingt einen Gegensatz bedeuten, beweisen Frau Bock und andere Therapeuten, die diesen Wege bereits beschreiten (vgl. BOCK 1998).
In der Bezeichnung der Förderform sollte man, auch meiner Meinung nach, klar ausdrücken, worum es sich handelt. Konduktive Förderung oder Konduktive Erziehung kann demnach nur an großen Einrichtungen oder in Frühförder- und Rehabilitationszentren verantwortlich umgesetzt werden. Der Fachunterricht in den Schulen sollte nicht unter der Konduktiven Förderung leiden, wenn dies die Schere zwischen Regelschule und Sonderschule noch größer und einen Schulwechsel (die Integration sollte ja immer das Ziel sein) noch schwieriger machen würde, als er ohnehin schon ist. Konduktive Förderung im Rahmen der Schule kann also nur in Kooperation mit einer angeschlossenen Heilpädagogischen Tagesstätte in Ganztagesförderung umgesetzt werden.
Impulse und Elemente der integrierten pädagogisch-therapeutischen Förderung können jedoch, wie dargestellt, in allen Schulen für Körperbehinderte in den Unterricht einfließen, wenn der Wille von Seiten der Mitarbeiter besteht und strukturelle und organisatorische Veränderungen in die Wege geleitet werden.
6. Anhang
- Literaturliste
- Internetadressen
- Tabelle: Konduktive Förderung in Schulen für Körperbehinderte in Bayern (Stand: November 2002)
- Tabelle: Konduktive Förderung in Neubrandenburg
Literaturliste:
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Schmidt, G./ Oerter, R.: Konduktive Förderung in der Stiftung Pfennigparade München. Forschungsbericht. Zeitraum: Schuljahre 96/97 und 97/98. München: Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität (ohne Erscheinungsdatum)
Schmidt, G./ Oerter, R.: Konduktive Förderung in der Stiftung Pfennigparade München. Forschungsbericht. Zeitraum: Schuljahre 96/97 bis 99/00. München: Institut für
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Schor, B.: Konduktive Förderung (KF) - Innovative Wirkung auf die Körperbehindertenpädagogik. Replik auf einen erfolgreichen Schulversuch. In: Schulverwaltung BY 23. Jahrgang (2000a) Nr.4, S.139-145
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Schumann, I./ Clemens, H.: Theoretische Grundlagen des Konduktiven Systems. Grundbegriffe – Bausteine – Prinzipien. Dortmund: Verlag Modernes Lernen 1999 (= Konduktive Förderung und Rehabilitation Band 3)
Schuntermann, M.F.: Behinderung und Rehabilitation: Die Konzepte der WHO und des deutschen Sozialrechts. In: Die neue Sonderschule 44 (1999), 342-363
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Stadler, H.: Rehabilitation bei Körperbehinderung. Eine Einführung in schul-, sozial- und berufspädagogische Aufgaben. Stuttgart: Kohlhammer 1998
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Weber, K.S./ Rochel, M.: Konduktive Förderung für cerebral geschädigte Kinder. Bonn: Forschungsbericht 1992
Wehr-Herbst, E.: Die heutige Schülerschaft in den Schulen für Körperbehinderte. Eine bundesweite Erhebung unterbesonderer Berücksichtigung der schwermehrfachbehinderten Kinder und Jugendlichen. In: Zeitschrift für Heilpädagogik Band 48 (1997), S.316-322
Wellmitz, B./ von Pawel, B. (Hrsg.): Körperbehinderung. Berlin: Ullstein Mosby 1992
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Internetseiten:
www.conductive-training.org
www.pfennigparade.de
www.phoenix-kf.de
www.conductive-education.org.uk
www.uni-siegen.de
www.institutkeil.at
Konduktive Förderung in Schulen für Körperbehinderte:
Konduktive Förderung in Schulen für Körperbehinderte in Bayern (Stand: November 2002)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
in Brandenburg:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
* „Verrenkung im Hüftgelenk, wobei der Femurkopf aus der Gelenkpfanne tritt“ (Pschyrembel 1994, 662)
* Die Angaben zu den Eckdaten des Schulversuchs variieren in der Literatur. Auf Anfrage bei der Arbeitskreisleiterin, Frau Angelika Baumann und ihrem Kollegen Herrn Dr. Schor, wurden mir diese Daten genannt. (vgl. E-Mail vom 13.10.2002 im Anhang)
* E-Mails und Briefe befinden sich im Anhang
- Quote paper
- Kathleen Milde (Author), 2002, Möglichkeiten der Integration therapeutischer Elemente der konduktiven Förderung in den Unterricht an der Schule für Körperbehinderte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110536
-
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