Opfer und Täter nach dem Krieg
IN SICH BEWAHREN STATT VERARBEITEN
Essay von Sabrina Böhmer
Massaker, Massengräber, Flüchtlingsströme — Geschehnisse, die die Geschichte unseres Jahrhunderts leider nicht nur einmal prägten. Jüngstes Beispiel: der Kosovo. Hier, wo sich der Kriegszustand angeblich wieder zu entschärfen beginnt, erwartet die Welt einen Neuanfang — ein in Zukunft friedliches Nebeneinander der Ethnien. Doch statt jetzt auf Kommando wieder achtsam miteinander umzugehen, greifen nun Albaner ihrerseits Dörfer an.
Was geht in den einstigen Opfern und sich jetzt häufig in der Position der Angreifer befindlichen Menschen vor? Wie kann erlebtes Leid und Grauen dieses Ausmasses verarbeitet werden? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden mittels Übertragung eige- ner Erkenntnisse aus Interviews mit Überlebenden und Tätern der Shoah nachgehen. Meiner Meinung nach ist es nämlich durchaus legitim, diese Resultate für die aktuelle Situation als Folie zu verwenden, um Kriegsfolgen zu ergründen.
SCHULDGEFÜHL DER ÜBERLEBENDEN
Überlebende, die beispielsweise aufgrund einer Flucht dem Vernichtungskrieg entkamen, fühlen sich häufig schuldig, da sie Eltern, Geschwister und Verwandte zurücklassen mussten. Dies ist ein Ergebnis einer internationalen Studie, die sich mit den Auswirkungen des Holocaust auf Angehörige und Nachkommen beschäftigte. Die Überlebenden fühlen sich schuldig, weil sie über ihr rechtzeitiges Entkommen froh waren. Ihre Überlebensschuld ist mit der Zeit verknüpft, in der ihre nächsten Verwandten noch am Leben waren, über die Verfolgung berichten konnten oder konkret um Hilfe für die eigene Flucht baten. Sie ist die Folge der in der Situation erlebten Machtlosigkeit und Überforderung, sich selbst in der Fremde zurechtfinden zu müssen, sich aber gleichzeitig verantwortlich für die Familie und deren Rettung zu fühlen.
Diese Schuldgefühle tragen Überlebende oftmals ihr ganzes Leben mit sich. Sie können sich mit der Familie nicht aussöhnen, können die Situation nicht klären, da sie häufig die einzigen sind, die den Massakern entkamen; und sie können sich Fremden gegenüber nicht öffnen, da sie Anklage erwarten. Anklage dafür, als Frau ihre Familie oder Kinder im Stich gelassen zu haben, nicht da gewesen zu sein, als ihre Männer, Eltern, Geschwister oder Freunde sie am nötigsten gebraucht hätten.
Dieser Mechanismus hat in den allermeisten Fällen zur Folge, dass der innerfamiliäre Dialog in Familien mit derart traumatischen Kriegserlebnissen auf der Familienvergangenheit während des Krieges beruht. Im oben erwähnten Projekt zeigte sich sehr deutlich, dass strukturelle Unterschiede im Familiengespräch z.B. nicht daher rührten, ob die Familien nach 1945 in der BRD, der DDR oder in Israel lebten, sondern davon abhängig waren, was die Familie vor 1945 erlebt bzw. erlitten hatte. Entscheidend für die Gespräche in der Familie war demnach in erster Linie, ob und wie Grosseltern und Eltern die Shoah überlebten bzw. inwieweit sie in die Naziverbrechen einbezogen waren.
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