„Wenn ich noch einmal anzufangen hätte, würde ich nicht mit der Wirtschaft, sondern mit der Kultur beginnen.“1 Angesichts der bevorstehenden Einführung des EURO, des freien Binnenmarktes, der seit mehr als acht Jahren zollfreien Warenverkehr über die Grenzen Europas erlaubt, wirkt dieses Zitat wie ein Anachronismus. Dies um so mehr, als es von einem der geistigen Gründerväter des europäischen Einigungsprozesses stammt: Jean Monnet, 1952-1955 Vorsitzender der EGKS, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 50 Jahre gemeinsamer europäischer Geschichte also von den falschen Vorstellungen geleitet? Zumindest scheint selbst den von Haus aus wirtschaftlich orientierten Eurokraten die Bedeutung von Kultur, und damit auch von Sprache für ein geeintes Europa bewusst geworden zu sein. In alle Felder der Politik, so tönt es aus der Brüssler Schaltzentrale, habe dieser Gedanke mittlerweile Eingang gefunden. Lohnende Ausgangsbasis einer Untersuchung, in wie weit sich Sprachpolitik wirklich unter den traditionellen Schlagwörtern europäischer Politik – „Binnenmarkt“, „Europa der Bürger“ oder „Europa der Regionen“ – behauptet.2 Welche Ideen tragen sprachpolitische Maßnahmen der EU, und vor allem: Wo und mit welcher Konsequenz treten Fragen sprachlicher Natur im Prozess der Einheitsbildung auf?
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, Motivationen und Tendenzen der Sprachpolitik in Europa offen zu legen und zu analysieren. Deshalb soll zunächst ein allgemeiner Blick au die sprachliche Situation des Kontinents geworfen werden, um anschließend die Problematik sprachwissenschaftlicher Einteilungsmuster zu beleuchten. Ganz unwillkürlich kommt dabei die Rolle von Minderheiten zur Sprache, die Aufschluss über den grundsätzlichen Umgang Europas mit seiner sprachlichen Vielfalt geben kann. Nach einem kurzen Verweis auf allgemeinpolitische Strömungen, richtet sich die Aufmerksamkeit dann besonders auf das Problem der Sprachwahl in den Organen der Gemeinschaft. Sie ist richtungsweisend für die elementare Frage europäischer Sprachpolitik: Wie ist Mehrsprachigkeit mit der Union Europas in Einklang zu bringen? Lösungskonzepte gibt es allenthalben. Bildungspolitische Initiativen von EU und Europarat verraten schließlich, auf welches Modell für einen europäischen Gesamtstaat zurück gegriffen wird – im Übrigen das zentrale Motiv der EU: Vielheit in Verbindung mit der Einheit [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Überschaubare Ordnung? Sprachen im vereinten Europa
- Sprache als funktionales Raster
- Sprache als Politikum
- Schlüssel zum Verständnis? Minderheiten im vereinten Europa
- Aus der Sicht des Völkerrechts
- Die europäische Rechtslage
- Totengräber der Nation? Staatlichkeit im vereinten Europa
- Regionale Zukunft
- Nationalstaatliche Vergangenheit
- Primi inter pares? Sprachregelungen im vereinten Europa
- Verwaltung und Politik im Zeichen der Gleichberechtigung
- Exkurs: Deutsch- französische Stellungskämpfe
- Altlast Vielsprachigkeit? Visionen eines vereinten Europas
- Auswege und Sackgassen
- Steuerung der Vielfalt
- Sprachpolitik im vereinten Europa? Ein Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Motivationen und Tendenzen der Sprachpolitik in Europa. Zunächst wird die sprachliche Situation des Kontinents beleuchtet, um anschließend die Problematik sprachwissenschaftlicher Einteilungsmuster zu erörtern. Die Rolle von Minderheiten und die Bedeutung der Sprachwahl in den Organen der Gemeinschaft werden ebenfalls untersucht. Das zentrale Thema der Arbeit ist die Frage, wie Mehrsprachigkeit mit der Union Europas in Einklang zu bringen ist.
- Sprachliche Situation in Europa
- Problematik sprachwissenschaftlicher Einteilungsmuster
- Rolle von Minderheitensprachen
- Sprachwahl in den Organen der Gemeinschaft
- Konzepte zur Vereinbarkeit von Mehrsprachigkeit und Europäischer Union
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt das Zitat von Jean Monnet in den Kontext der europäischen Integration und betont die Bedeutung von Kultur und Sprache für ein geeintes Europa. Sie skizziert die Zielsetzung der Arbeit und die zentralen Fragestellungen.
2. Überschaubare Ordnung? Sprachen im vereinten Europa
Dieses Kapitel beschreibt die sprachliche Vielfalt Europas und beleuchtet die Problematik, dass die Sprachkarte Europas weitaus komplexer ist als die offizielle Liste der EU-Sprachen vermuten lässt. Es wird die Frage gestellt, warum Sprachen wie Katalanisch oder Dänisch in unterschiedlichen Kategorien eingeordnet werden, obwohl sie sprachwissenschaftlich ähnlich sind.
2.1. Sprache als funktionales Raster
Dieser Abschnitt erörtert die Bedeutung von Sprache als Kommunikationsmedium und Mittel zur Verständigung. Es wird die Rolle von Sprache für die persönliche und soziale Identität sowie die kulturelle Eigenheit eines Volkes betont.
2.2. Sprache als Politikum
Dieses Kapitel analysiert die Herausforderungen, die sich aus der Mehrsprachigkeit Europas ergeben, insbesondere für die sogenannten „langues moins répandues“. Es wird die Problematik der Diglossiesituation und der Gefahr des Prestigeverlusts für Minderheitensprachen beleuchtet.
- Arbeit zitieren
- Geoffrey Schöning (Autor:in), 2001, Die Sprachpolitik der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10974