Heinrich Manns Novelle 'Kobes' als kritisches Porträt von Hugo Stinnes


Hausarbeit, 2004

16 Seiten, Note: 1,3

S. Schäfer (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Heinrich Mann als Beobachter und Kritiker seiner Gesellschaft

III Zeitgeschichtlicher Hintergrund
1) Die wirtschaftliche Situation der jungen Weimarer Republik
2) Hugo Stinnes S

IV Kobes als Porträt von Hugo Stinnes und dessen Wirtschaftsimperium

V Das Scheitern des Planes Dr. Sands

VI Resümee

Literaturverzeichnis

I Einleitung

Beinahe unverständlich erscheint Heinrich Manns Novelle Kobes dem nicht informierten Leser, vor allem wenn er versucht, sich einen Überblick zu verschaffen, indem er sie überfliegt. Durch genaueres Lesen erschließt sich Einiges, doch erst wenn man sich vergegenwärtigt, in welchen historischen Zusammenhang dieser im Inflationsjahr 1923 geschriebene und 1925 veröffentlichte Text gebettet ist, wird klar, welche Situation Heinrich Mann hier darstellt und durch die Art seiner Darstellung kritisiert. Heinrich Mann knüpft seine Novelle eng an die historische Person des Schwerindustriellen Hugo Stinnes, der durch seine damals immense Bekanntheit für jeden Leser leicht im Text wiederzuerkennen und zu entschlüsseln war. Die Anspielungen auf zeitgeschichtliche Personen und Ereignisse sind so häufig und präzise, dass die Novelle ihrer Entstehungszeit stark verhaftet bleibt. Als eigenständiges Kunstgebilde ist sie zwar nicht gänzlich unverständlich, ohne ihren Entstehungsanlass jedoch nicht so zu verstehen, wie ein Leser in jener Zeit sie verstehen musste.

Diesen geschichtlichen und wirtschaftspolitischen Zusammenhang näher zu beleuchten und anhand der Entschlüsselung einiger Anspielungen zu skizzieren, wie eng die Titelfigur Kobes an die Person des Wirtschaftsmagnaten Hugo Stinnes geknüpft ist, soll in der vorliegenden Arbeit Gegenstand sein.

II Heinrich Mann als Beobachter und Kritiker der Gesellschaft seiner Zeit

Zwischen 1906 und 1926 schreibt Heinrich Mann Die Armen (1914), Der Untertan (1917), und Der Kopf (1926), die er später zur Kaiserreich-Trilogie zusammenfassten wird. Er beschreibt darin die Gesellschaft des wilhelminischen Deutschlands und will die Mitschuld der deutschen und internationalen Schwer- und Rüstungsindustrie am Ausbruch des Ersten Weltkrieges darstellen. Hierfür informiert er sich ausgiebig über die politischen und wirtschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge und legt seine Erkenntnisse teilweise in kritischen Essays dar. Auch die Novelle Kobes muss in diesem Zusammenhang gesehen werden, ist sie ja vielmehr aus politischem als aus literaturhistorischem Anlass entstanden. Schon lange vor Beginn des Ersten Weltkrieges ist Heinrich Mann politisch interessiert und strebt danach, dieses Interesse mit seinem literarischen Schaffen zu verbinden und dadurch das politische Bewusstsein zu beeinflussen. Mit seiner linksdemokratischen republikanischen Haltung ist Heinrich Mann ein großer Anhänger der Weimarer Republik. Durch zahlreiche essayistische Veröffentlichungen hofft er, an ihrer Weiterentwicklung mitzuwirken.

Auf die Inflationskrise von 1923, an der die junge Weimarer Republik fast zu zerbrechen droht, reagiert Heinrich Mann mit einer Aufsatzreihe, die später „Die Tragödie von 1923“ genannt werden wird. Er sucht darin nach Ursachen für die innenpolitische Krise und drängt darauf, die Macht der deutschen Schwerindustrie zu hinterfragen und einzuschränken. Für Mann ist es die Aufgabe des Schriftstellers, den Mittelstand und die Arbeiterschaft auf die politischen Vorgänge aufzuklären.

In der 1923 verfassten Novelle Kobes porträtiert Mann den Industriellen Hugo Stinnes, der zu Beginn der zwanziger Jahre der bekannteste Industrielle Deutschlands ist.

III Zeitgeschichtlicher Hintergrund

1) Die wirtschaftliche Situation der jungen Weimarer Republik

Zwar erst im Frühling 1925 in der Zeitschrift „Die Neue Rundschau“ veröffentlicht, schreibt Heinrich Mann die Novelle Kobes nach eigener Aussage schon im Winter des Inflationsjahres 1923. Um sie in ihren politischen und wirtschaftsgeschichtlichen Kontext betten zu können, werde ich diesen im Folgenden kurz erläutern.

Nachdem der Erste Weltkrieg verloren ist, haben Außenminister Hermann Möller und Postminister Johannes Bell kaum eine andere Wahl, als den Versailler Vertrag zu unterzeichnen, der dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten die alleinige Kriegsschuld zuweist und damit Basis für Reparations- und Gebietsforderungen der Sieger ist. Deutschland muss ein Siebtel seines Territoriums mit einem Zehntel seiner Bevölkerung abtreten. Kurz nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, am 11. August 1919, tritt die neue Reichsverfassung in Kraft und begründet die erste parlamentarische Demokratie im Deutschen Reich. Die junge Republik steht auf sehr unsicheren Beinen: Ihre innenpolitische Entwicklung ist durch eine Radikalisierung von rechts und links gekennzeichnet. Auch die mit der Abdankung Wilhelms II. zusammengebrochene Monarchie verfügt über eine große Zahl von Anhängern. Die weitverbreitete Skepsis gegenüber dem Parlamentarismus macht die Weimarer Republik zur ‚Demokratie ohne Demokraten’.

Ein großes Problem stellt die Inflation dar. Schon seit Beginn des Ersten Weltkrieges hat sich die umlaufende Geldmenge stetig vergrößert, mit der militärischen Niederlage war die Kaufkraft wiederrum gesunken und als 1921 im Londoner Ultimatum die Höhe der Reparationszahlungen festgesetzt wird, beschleunigt sich die Inflation abermals. Auch die hohe Verschuldung des Staates bei den eigenen Bürgern des Mittelstandes durch die riesigen Kosten des Krieges, die Unterstützung der Familien gefallener Soldaten und von Kriegsinvaliden, Zinsen für die Kriegsanleihen und die Hilfe für die Arbeitslosen verschlingen hohe Geldsummen, so dass ständig neue Geldscheine nachgedruckt werden und der Wert des Geldes stetig sinkt. Als nach einer kurzen Verzögerung der Reparationszahlungen französische und belgische Truppen das wirtschaftlich sehr wichtige Ruhrgebiet besetzen, gerät die Republik in eine Krise, die die Reichsregierung durch ‚passiven Widerstand’ zu beherrschen sucht. Erst streiken die Arbeiter in den besetzten Unternehmen, dann verbietet die Regierung den Behörden, Weisungen der Besatzungsmächte zu befolgen. Die Kosten kompensiert die Staatskasse, indem sie immense Mengen an neu gedrucktem Geld ins Gebiet pumpt. Es kommt zu einer Wirtschaftskrise. Diejenigen, die sich jahrelang ein Geldvermögen zusammengespart haben, verlieren alles und damit auch das letzte Vertrauen in die Republik.

Andere wiederrum profitieren aus der Inflation, so zum Beispiel Privatschuldner und die Eigentümer von Realvermögen. Die Unternehmer und Industriellen reiben sich die Hände, lassen sich doch mit einem mal deutsche Produkte sehr billig im Ausland verkaufen und im Inland durch all die heimgekehrten hungrigen und daher arbeitswillen Soldaten billig herstellen.

2) Hugo Stinnes

Einer der größten Profiteure der Inflation ist Hugo Stinnes. 1892 hat er mit dem Kapital der Familie die Hugo Stinnes GmbH gegründet, deren Geschäftsfeld zunächst auf Kohleaufbereitung und –handel beschränkt war und die er später durch den Erwerb anderer Unternehmen zum ersten großen Mischunternehmen entwickelt.

Am 9. November 1922 wendet sich Stinnes im wirtschaftspolitischen Ausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrats gegen Versuche der Regierung, die Inflation durch Stabilisierung der Mark einzudämmen. Er erklärt, dass er jegliche Versuche zur Stabilisierung bekämpfen werde und fordert erneut, die Reparationen durch unbezahlte Mehrarbeit von zwei Stunden aufzubringen.

Schon in seiner Rede vor dem Reichswirtschaftsrat am 11.11.1921 hatte er längere Arbeitszeiten gefordert:

„...allen Deutschen zu sagen: Man kann keinen Krieg verlieren und zwei Stunden weniger arbeiten. Das geht nicht. Ihr müßt arbeiten und noch einmal arbeiten und noch einmal arbeiten.“[1]

Stinnes’ wirtschaftlicher Erfolg und seine damit verbundenen Methoden machen ihn zum berühmtesten Schwerindustriellen seiner Zeit und bringen ihm den Spitznamen „Ruhrkönig“ ein; außerdem gehört er als ‚Prototyp’ der Gewinner zu den „Inflationskönigen“. Er und sein „Stinnesien“ beschäftigen die öffentliche Meinung wie kein anderes Unternehmen. Ständig wird in Zeitungen, politischen Reden und wirtschaftlichen Betrachtungen versucht, seinen Machtbereich auszuleuchten. Er ist einer der beliebtesten und meistgehassten Männer im Staat.

„Er ist Zweckmensch, jenseits von Gott und Gottheit, würde aber, wenn er die ganze deutsche Wirtschaft in Magen und Mastdarm geschlungen hätte, sich noch als Retter des Vaterlandes feiern lassen.“ sagt Walther Rathenau über ihn.[2]

VI Kobes als Porträt von Hugo Stinnes und dessen Wirtschaftsimperium

1923 porträtiert Heinrich Mann Hugo Stinnes in der Novelle Kobes, die erst 1925 in der Zeitschrift „Die Neue Rundschau“ erscheinen wird. Wie eng die Figur Kobes am historischen Stinnes orientiert ist, legen einige konkrete Stellen des Textes nahe, die im Folgenden aufgezeigt werden.

Die in elf nummerierte Kapitel gegliederte Novelle erzählt Ereignisse aus dem Reich des Wirtschaftsmagnaten Kobes. Kobes ist Herrscher über ein riesiges Wirtschaftsimperium, das, streng hierarchisch gegliedert, Tausende von Arbeitern unter lebensunwürdigen Umständen beschäftigt.

Schauplatz der Handlung ist die Zentrale des Wirtschaftsimperiums, das „große Haus aus Glas und Eisen.“[3]

Im ersten Kapitel begegnet der Leser einem bemitleidenswerten Mann, der gehetzt und voller Schmerzen durch eine graue Stadt rennt und der sich später als der ‚Mittelstand’ herausstellen wird. Mann benutzt hier eine Personifikation, um konzentriert diesen komplizierten wirtschaftspolitischen Sachverhalt zu verdeutlichen.

Der Mittelstand „ rennt selbst, (Kobes) zu melden “ dass dieser irgendwo „ wieder einmal gewählt “ worden sei „ und erstirbt auf seiner Schwelle.“ Der Mittelstand gibt sich auf um sich dem großen Kobes zu opfern. „ Es ist für das große Ganze, es ist für Kobes, unseren Größten![4] keucht der Unwissende. Unwissend genau wie die Massen, die Kobes seine leeren Floskeln glauben, ihn bejubeln und zum Idol erklären. Hier richtet sich Manns Kritik wohl auch gegen den Mittelstand, der seinen Unterdrücker bejubelt statt ihn zu durchschauen und gegen ihn anzukämpfen.

Versehentlich wird der Bote für einen Attentäter gehalten und von den Wachleuten erschossen. Doch Kobes „ wird nie von ihm wissen “,[5] denn ihn kümmern nur Zahlen. Sein Rayonchef für Propaganda sagt im zweiten Kapitel dazu: „ Der Mittelstand hat hergegeben, was er wert war. Ehre seinem Andenken. Jetzt aber muss mehr gearbeitet werden. Die Arbeiter sind dran. Sie haben mehr als nur Geld an uns zu verlieren. Täglich zwanzig Stunden Arbeitszeit![6]

Heinrich Mann lässt den Rayonchef hier über den Nutzen von Mittelstand und Arbeitern sprechen wie über Maschinen, aus denen Leistungen herauszukitzeln sind. Diese Stelle bezieht sich wohl auf den genannten Vorschlag Stinnes’ von 1922, die Reparationsleistung durch unbezahlte Mehrabeit aufzubringen.

Obwohl die Novelle Kobes heißt und dieser das Zentrum darstellt, begegnet der Leser ihm kaum direkt im Text. Dem Leser wird ein Blick hinter die Kulissen des Imperiums ermöglicht, er erfährt durch die Gespräche der Rayonchefs, welche Ziele es verfolgt und welche Methoden dafür angewandt werden.

Wird 1923 noch darüber geredet, dass Deutschland sich langsam in ein ‚Stinnesien’ verwandelt, ist dies in Manns Novelle längst geschehen. Der Konzern ist organisiert wie der Staat, den er langsam zu verschlucken scheint. Die Minister sind hier die Rayonchefs, die mit ihren Ressorts, denen für Soziales, Propaganda, Völkisches, Ersparnisse, Auswärtiges, Parlamentarisches und Kulturelles, alle Bereiche des öffentlichen Lebens erfassen.

„„ Abbau des Lebens“ schloß der Rayonchef für Soziales. (...) „Wir sind die Wirtschaft. Leben müssen nicht die Menschen, sondern die Wirtschaft. Zu erhalten ist nicht das Leben, sondern die Substanz.(...).“[7] Die Rayonchefs sprechen darüber wie Mittelstand, Arbeiterschaft und das Reich am geschicktesten zu schröpfen sind. Kobes selbst taucht noch nicht persönlich auf, er wird zwar von seinen Gefolgsleuten gepriesen –„ Kobes schlemmt nicht, Kobes säuft nicht, Kobes tanzt nicht, Kobes hurt nicht, Kobes arbeitet zwanzig Stunden am Tag “- gleichzeitig scheint jedoch keiner recht zu wissen, ob Kobes nun als Person existiert oder nur „ eine mythische Erfindung “ ist. Die Rayonchefs erzählen „ einander von Begegnungen mit dem leibhaftigen Kobes“, „Aber keiner glaubt(e) dem andern so recht.“[8]

Mister Kobes wohnt in den Lüften. Kein Weg führt uns Sterbliche hin.“[9] Und an anderer Stelle: „ Er war gehalten, entfernt und groß zu walten, unbekannter Führer, Ziel unserer Mühen.“[10] Ein sakraler mystischer Nebel wird um Kobes’ Person gewebt.

Allerdings wird seine dauernde Präsenz durch die Radiostimme verdeutlicht, die die Menschen zum Arbeiten anhält: „ Die Radiostimme brüllte: „Arbeiten! Viel mehr arbeiten sollt ihr! Nicht für Geld, nein, für die Sache! Auch Kobes arbeitet nicht bloß um Geld. Malt ein Maler, komponiert ein Musiker um des Geldes willen? Schaffensdrang des schöpferischen Menschen, das ist Kobes.(..) ““[11]

In diesen Lobeshymnen stimmen Kobes-Propaganda und Stinnes-Presse überein. Stinnes hatte verschiedene Zeitungen unter sich und diesen priesen die Schreiber die asketische Lebensweise ihrers Herrn und verherrlichten in ihm den „...neuen deutschen Unternehmertypus, der nichts kennt wie Arbeit, den man weder im Smoking, noch im Evening-Dress, noch beim Portwein, den man nur bei der Arbeit sieht, der in den Sielen stirbt.“[12]

Nach seinem Tod hieß es über ihn: „Er arbeitete auch nicht um des Gewinnes willen, er arbeitete, um das Gewonnene umzusetzen und umzumünzen in produktive Macht. Seine Ziele und Zwecke waren Heil und Hilfe für sein Vaterland. Denn er war kerndeutsch.“[13] und „Hugo Stinnes war ein großer Künstler, der nur zufällig nicht Bildhauer oder Architekt geworden ist, und der anstatt toter Gebilde in Stein und Marmor lebendige Organismen großer Unternehmen schuf.“ Man sprach sogar von einem „Dichter der Arbeit“.[14]

Kobes wird in der Novelle als schwarz gekleidet und mit schwarzem Bart beschrieben, zwei Attribute, die auch dem Betrachter der meisten Stinnesporträts ins Auge springen.[15]

Auch in anderen Details findet sich eine historische Wahrheit hinter der Anspielung. So versuchte Stinnes mehrmals, die deutschen Eisenbahnen zu privatisieren und in den Besitz der Schwerindustrie zu bringen. Als die Regierung seinen Plänen nicht entgegenkam verhandelte er im Februar 1922 geheim mit den Alliierten in London.

Als dies an die Öffentlichkeit kam löste Stinnes’ Verrat große Empörung aus. Die amerikanische Besucherin in der Novelle hingegen ist ganz entzückt von Kobes’ raffiniertem Schachzug. „„ Mir fehlt nur noch eins,“ sagte Kobes – und auf seinem Schreibtisch setzte er die kleine Lokomotive in Gang. (...) Sein Stimmchen pfiff: „Ich konnte sie nicht in meine Hand bekommen! Nehmt sie euch als Pfand für die deutschen Schulden! Ihr macht eine Privataktiengesellschaft. Ihr kauft die Obligationen, ihr stellt den Generaldirektor, aber ich habe meine Finger drin, damit ist es richtig. Ich und ihr! ““[16]

Stinnes und Kobes durchdringen die Geschäftswelten, sie haben ihre Finger überall drin.

Dieselbe Stelle weist auf eine weitere Gemeinsamkeit hin: Beide haben Probleme mit ihrer Stimme. Im krassen Gegensatz zum oft als charismatisch und einnehmend beschriebenen Äußeren Stinnes’ spricht dieser auf Grund gesundheitlicher Probleme leise und mit angestrengt hoher Stimme. Kobes ‚pfeift’.

Die viel besser zu seiner erdrückenden Persönlichkeit passende, allgegenwärtige und unsichtbare Radiostimme verkündet seine Ideale und Befehle.

Sie ist Teil der „ Kobesmythe “, der „ neue(n) Religion, nach der unser ganzer Erdteil in furchtbaren Zuckungen ringt (...)[17] Durch das befehlende „ Viel mehr arbeiten soll ihr !“ offenbart sie deutlich den Zweck dieser mystischen neuen Kobesreligion: sie ist pure Ausbeutung. Doch wie beschrieben sieht niemand ihren wirklichen Sinn, die Massen lassen sich von Floskeln blenden, von Kobes wie von Stinnes.

Was dem Leser Rätsel aufgibt, ist, ob Kobes seinen Egoismus und seine Profitgier bewusst hinter diesen Floskeln versteckt oder ob er tatsächlich so unwissend ist, wie seine amerikanische Bewunderin kaum zu glauben vermag. Folgender Dialog Kobes’ mit der Amerikanerin verdeutlicht die Schwierigkeit:

Kobes: „„ Ich höre immer Schwindel? Sie irren sich wohl in der Person. (..) Ich bin ehrbarer Kaufmann und ausgesprochen national. Ich verdiene Geld, damit nütze ich auch meinem Lande. Vielleicht werde ich sogar noch steuern müssen- Wo das Ganze Not leidet, muß der einzelne Opfer bringen.“

„Oh! (...) Sie verstehen zu bluffen!“

(...) „Ich bluffe nicht. Ich bin ein einfacher Mann, ich habe einfache Gedanken.“

(...) Wie? Sie tun es nicht mit Absicht? Sie wissen gar nicht, wer Sie sind? Haben Sie auch nur zehn Cents für die tuberkulösen Kinder gegeben, die Ihr Werk sind? ““[18]

Bewusstsein und Fassade verschmilzen. Kobes scheint ‚Stinnesien’ nicht einmal mehr gedanklich von der restlichen Welt trennen zu können. Er versteht sein Imperium als einzige Realität und sich selbst als die Wirtschaft. Er scheint seine Floskeln und Lügen zu glauben und jegliches Differenzierungsvermögen verloren oder nie besessen zu haben. Dies macht die Fassade realer und sichert ihm seine Wirkung auf die Massen.

Bis hierher hat der Text den historischen und wirtschaftspolitsichen Zusammenhang in Bezug auf die Novelle beleuchtet und gezeigt, wie eng die Kobesfigur am historischen Hugo Stinnes orientiert ist. Heinrich Mann bildet aber im Kobes nicht nur seine erlebte Umwelt ab, sondern kreirt mit Dr. Sands Versuch eine Revolte anzustiften einen Handlungsstrang, der nicht an reale Vorbilden geknüpft ist.

V Das Scheitern des Planes Dr. Sands

Wieder bedient sich der Autor hier einer Personifikation, um eine Gesellschaftsschicht darzustellen. Dr. Sand mit seinem „ zu großen Philosophenkopf[19] vertritt wohl die deutschen Intellektuellen. Er hat Kobes durchschaut und einen komplizierten Plan ersonnen, der dessen eigene Mitarbeiter zum Aufstand bewegen soll. Ein Schauspieler soll während einer betriebsfestlichen Theateraufführung, die Sand Kobes als eine diesen glorifizierende Veranstaltung verkauft, in der Maske des Magnaten auftreten und dessen Methoden so übertrieben auf der Bühne darstellen, dass alle ihn durchschauen und eine Revolte losbricht. Der Schauspieler Dalkony benutzt die Worte Kobes und vermischt sie mit übertriebenen Aufforderungen, die dessen Stil karikieren: „“Wöchentlich einmal“, befahl er, „sollt ihr euch den Magen auspumpen lassen. Alle. Was ihr heutzutage freßt! Wo das Ganze Not leidet, muß der Einzelne Opfer bringen. ““ Außerdem sollen die Mitarbeiter Kobes zu Ehren täglich „ fünf Minuten Kopf stehen “ und mit vierzig, wenn „ vom Menschen nichts mehr zu erwarten “ ist, Selbstmord begehen. Doch statt, wie Sand es sich ausgesponnen hatte, nun Kobes zu durchschauen und auf die Barrikaden zu gehen, ist das Publikum von der Kobesschen Propaganda schon völlig geblendet und verliert sich bald in einer Orgie, „ daß der Boden sich bedeckte mit Knäueln Halbentkleideter, die einander umbrachten und liebten in einem.“[20]

Der Plan war ein „ reine(s) Werk des Gedankens “ und funktionierte, da viel zu kompliziert, nur in der Theorie des weltfremden Gelehrtenhirns.

Zu Sands Unglück durchschaut der Rayonchef für Soziales seinen Plan, nutzt den Schauspieler um Kobes einen weiteren Vorteil zu verschaffen und degradiert Sand zum Liftboy. Der Philosoph hat das System unterschätzt, wie der Rayonchef für Soziales ihm milde erklärt: „: Weltfremdes Kind! (..) Ist Kobes tot, wenn Sie dumme Witze mit ihm machen? Da er nie Mensch war, lebt er weiter. Sie wissen keinen Witz, der das System umbringt. Systeme sind noch weniger Mensch, als Sie es sich geträumt haben.“[21]

Sand begreift nur langsam, dass es zu spät ist; der Rayonchef: „(..) was sind Ideen – wenn nicht der sie hat, der die Macht hat.“[22] –Ohne Fragezeichen.

Der Philosoph hat keine Chance, denn die „ Gerichte (...) sind tiefreligiös. Die öffentliche Meinung ist es auch.“[23] Er kann nichts mehr machen und nimmt zum Schluss resigniert den Revolver an.

Heinrich Mann übt also erneut durch eine Personifikation und diesmal zusätzlich durch eine ohne historische Vorbider entwickelte Handlung Kritik an einer Gesellschaftsschicht, die wohl seiner Meinung nach ihre Aufgabe, Stinnes und den anderen Wirtschaftsherrschern entgegenzuwirken, nicht erfüllt. Die intellektuelle Schicht bleibt in ihrem aufgeblähten Gehirn stecken, statt etwas zu unternehmen. Letztendlich wird auch mit der Figur zwar hauptsächlich Hugo Stinnes samt ‚Stinnesien’ kritisiert, doch Mann ist durchaus bewusst, dass es in Deutschland von dessen Sorte mehrere gibt, wenn er auch der mächtigste und herausragendste ist.

Kobes ist vor allem eine Satire gegen Hugo Stinnes, vielmehr gegen ihn als Wirtschaftsmagnaten und seinen Apparat als gegen seine Person, wie die so nah an der historischen Wahrheit orientierte Darstellung des Imperiums zeigt.

Gleichzeitig karikiert Mann das politische Bewusstsein und Handeln aller Gesellschaftsschichten. Der Mittelstand verehrt Kobes so blind wie die ausgebeuteten Mitarbeiter und die Intellektuellen, in die Mann seine Hoffnungen setzt, erweisen sich als politisch handlungsunfähig.

Bemerkenswert ist, dass Sand und der Schauspieler Dalkony mit ihrer überspitzten Darstellung der Umstände auf der Bühne ähnliche Mittel anwenden wie Mann selbst, wenn er diese Novelle schreibt. Ob dies suggeriert, wie wenig Mann damit seiner eigenen Waffe zutraut? Tatsache ist, dass die Revolte in der Novelle wie in der Realität ausbleibt. Das Stinnes Imperium bricht zwar ein, doch nicht dank aufständischer Denker sondern dank Stinnes’ eigener Söhne, die dessen Erbe nicht richtig verwalten können. Von der Schreckensutopie der Industriellenherrschaft wird Deutschland also verschont. Schon ein Jahrzehnt später jedoch wird es von einem Diktator beherrscht werden, auf den die übertriebenen Beschreibungen des karikierenden Schauspielers innerhalb der selbst schon karikierenden Novelle erschreckend gut zutreffen.

VI Resümee

Manns Hoffnungen, durch seine politisch-aufklärerischen Aufsätze dazu beizutragen, dass die Massen sich erheben, werden also nicht erfüllt. Wie erwähnt zeichnet sich dies schon ab, als in der Novelle Sands Plan misslingt und der Schauspieler sogar am Ende noch Kobes aus einer komplizierten Situation heraushilft und sich fest anstellen lässt. Schon in der Novelle ist also eine Skepsis gegenüber den Fähigkeiten der eigenen Kunst verhaftet. Im Rückblick auf seine Veröffentlichungen in dieser Zeit schreibt Mann später in seinen Erinnerungen: „In der Republik machte ich meine Warnungen dringend und stark. Das freie Wort war nunmehr von der Verfassung gewährleistet; die Grenzen setzten ihm die Inserenten der Zeitung. (...) In Ländern mit willkürlicher Machtverteilung ist die Presse eine Scheinmacht. Sie blendet in den Augen, ohne sie wüßte man mehr. So las man Artikel wie meine. Unerschütterlich dahinter stand der Börsenbericht – und das Drohendste blieb ungedruckt, die geheimen Machenschaften der Wirtschaftstalleyrands.- Eingestanden sei, daß ich mich nicht wirklich als einen Kämpfer fühlte. Dafür durchschaute ich zu deutlich die Vergeblichkeit des Kampfes – und begleitete meine eigenen moralistischen Übungen mit dem Lächeln eines Zweifels, das allein sie mir erträglich machte“.[24]

Ob Mann mit seinen politischen Schriften seinem Anspruch des politisch engagierten Schriftstellers gerecht wurde? Oder ob ihm das Ideal des ‚Kämpfers’ vorschwebte, das er nach eigener Aussage nicht erreichte?

Gewiss ist, dass Mann mit Kobes ein satirisches Porträt Hugo Stinnes’ geschaffen hat, dass dem über die Umstände informierten Leser, der zur Entschlüsselung fähig ist, ein sehr genaues Bild davon zeichnet, welche Methoden der Wirtschaftsmagnat benutzt hat und wie kontrovers seine Person von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Vielleicht hat er damit alles einem Schriftsteller mögliche getan.

Literaturverzeichnis

Heinrich Mann, Kobes (1925), In: ders.: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben, Bd. 9.2: Novellen, Berlin, 1954, S. 308-346

Walter Gontermann, Heinrich Manns „Pippo Spano“ und „Kobes“ als Schlüsselnovellen, Köln, 1973

Jakob Schmitz, The Making Of A Business Empire, 175 Years Stinnes, Düsseldorf, 1983

Deutsches Historisches Museum: Lebendiges virtuelles Museum: Die Weimarer Republik, online im Internet:

http://www.dhm.de/lemo/html/weimar [Stand 4/10/2004].

‚Gott Stinnes’ von Thomas Hilsheimer, online im Internet:

http://www.uni-mainz.de/~hilst005/Gott_Stinnes.htm [Stand 4/10/2004]

[...]


[1] Vgl. Stinnes’ Rede vor dem Reichswirtschaftsrat vom 11.11.1922, zitiert nach Gaston Raphael, Hugo Stinnes. Der Mensch, sein Werk, sein Wirken; Berlin 1925, S.158, zitiert nach Walter Gontermann, Heinrich Manns „Pippo Spano“ und „Kobes“ als Schlüsselnovellen, Köln 1973, S.186

[2] Maximilian Harden, Köpfe, IV.Band, zitiert nach Walter Gontermann, aaO, S. 182

[3] Heinrich Mann, Kobes (1925), In: ders.: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben, Bd. 9.2: Novellen, Berlin, 1954, S.308

[4] ebenda, S.309

[5] ebenda S.309

[6] ebenda, S.311

[7] ebenda, S.311

[8] ebenda, S.314

[9] ebenda, S.316

[10] ebenda, S.334

[11] ebenda, S.313 und 314

[12] Vgl. Deutsche Allgemeine Zeitung vom 14.04. 1924 (Trauerrede des Generaldirektors Albert Vögler auf H. Stinnes), zitiert nach „ Zum Heimgang von Hugo Stinnes“, zitiert nach Walter Gontermann, aaO, S.193

[13] Trauerrede des Oberkonsistorialrats Dr. Conrad auf Stinnes, zitiert nach

[14] DAZ vom 3.5.1924 (Totenfeier für Hugo Stinnes in Shanghai), zitiert nach „Heimgang“, aaO, S.51, zitiert nach Walter Gontermann, aaO, S.193

[15] Jakob Schmitz, The Making Of A Business Empire, 175 Years Stinnes; Düsseldorf 1983, S. 47

[16] Kobes, aaO, S. 325 und 326

[17] ebenda, S.337

[18] ebenda, S.326 und 327

[19] ebenda, S.314

[20] ebenda, S.334 und 335

[21] ebenda, S.344

[22] ebenda, S.342

[23] ebenda, S.343

[24] Heinrich Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt, Berlin 1947, zitiert nach Walter Gontermann, aaO, S.195 u. 196

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Heinrich Manns Novelle 'Kobes' als kritisches Porträt von Hugo Stinnes
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V109580
ISBN (eBook)
9783640077601
Dateigröße
368 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich, Manns, Novelle, Kobes, Porträt, Hugo, Stinnes
Arbeit zitieren
S. Schäfer (Autor:in), 2004, Heinrich Manns Novelle 'Kobes' als kritisches Porträt von Hugo Stinnes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109580

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