Die „Ecbasis cuiusdam captivi per t(r)opologiam“ wurde erst 1834 von Jacob Grimm in der Burgundischen Bibliothek zu Brüssel in 2 Handschriften entdeckt. Es handelt sich hier um das älteste Tierepos des Mittelalters. Es gibt viele Fragen über das Gedicht: Was bedeutet der merkwürdige Titel? Wer war der Dichter? Wann und wo ist das Gedicht entstanden und warum wurde es geschrieben? Das Verständnis des Textes ist schwierig, da der Verfasser Zitate von klassischen und spätantiken Dichtern zusammenfügt. Die Antworten und Erklärungsversuche zu diesem Text sind sehr widersprüchlich.
Ich befasse mich in dieser Hausarbeit mit der Frage, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede es gibt zwischen der Ecbasis und späteren Tierepen z.B. dem Ysengrimus, dem Reinhart Fuchs oder dem Roman de Renard.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Titel
3. Entstehungsort und –zeit
4. Die Form und die Quellen
5. Der Dichter
6. Inhalt
7. Anliegen der Ecbasis
8. Figurentypen und Motivik
9. Schlusswort
10. Literaturangabe
1. Einleitung
Die „Ecbasis cuiusdam captivi per t(r)opologiam“ wurde erst 1834 von Jacob Grimm in der Burgundischen Bibliothek zu Brüssel in 2 Handschriften entdeckt. Es handelt sich hier um das älteste Tierepos des Mittelalters. Es gibt viele Fragen über das Gedicht: Was bedeutet der merkwürdige Titel? Wer war der Dichter? Wann und wo ist das Gedicht entstanden und warum wurde es geschrieben? Das Verständnis des Textes ist schwierig, da der Verfasser Zitate von klassischen und spätantiken Dichtern zusammenfügt. Die Antworten und Erklärungsversuche zu diesem Text sind sehr widersprüchlich.
Ich befasse mich in dieser Hausarbeit mit der Frage, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede es gibt zwischen der Ecbasis und späteren Tierepen z.B. dem Ysengrimus, dem Reinhart Fuchs oder dem Roman de Renard.
2. Titel
Schon der Titel dieses Tierepos wirft Fragen auf. Er wurde lediglich in der älteren der beiden erhaltenen Handschriften überliefert. Ursprünglich lautete der Titel „Hec.basis cuiusdam captivi per topologiam“, doch Grimm korrigierte das „Hec.basis“ in „Ecbasis“, und da mit dem Begriff „topologiam“ nichts anzufangen wäre, ergänzte er das Wort zu „tropologiam“. Trillitzsch weist in seiner Einleitung auf zwei mögliche Übersetzungen, ausgehend von dem Wort „Ecbasis“, hin. „Ecbasis“ bezeichnet im Griechischen einerseits das „Herausgehen, Entkommen“, andererseits war es mit dem Zusatz „poetica“ in der Spätantike ein Begriff für eine poetische Abschweifung oder einen Diskurs (Trillitzsch, S. 9). So kann man den Titel als „Hinausgang eines Gefangenen in die Freiheit“ übersetzen oder als „poetische Abschweifung“. Möglicherweise hat der Dichter beides gemeint und war sich der zweifachen Bedeutung des Wortes bewußt.
„Per tropologiam“ bedeutet nach Trillitzsch, dass der Dichter sein Werk bildlich oder allegorisch verstanden wissen wollte. Das liegt nahe, denn der Dichter weist selbst darauf hin, mit der Geschichte des Kalbes seine eigenen Erlebnisse wiederzugeben.(Trillitzsch, S. 10)
3. Entstehungsort und –zeit
Die Ecbasis enthält zahlreiche geographische Angaben, die einen Hinweis auf den möglichen Entstehungsort liefern könnten. In Vers 124 nennt der Dichter die Stadt Toul, der er selber untreu geworden sei, in Vers 71 erwähnt er, dass das Kälbchen, also der Erzähler selbst, in den Vogesen aufgewachsen sei. Auf Toul weisen nach Trillitzsch auch die Worte des Sittichs in Vers 465, man möge zum heiligen Aper beten, da dieser erst Bischof von Toul und später Schutzheiliger des dortigen Benediktinerkloster gewesen sei. Auch die Hündin, die das verlorene Kalb aufspürt, stammt aus den Vogesen (V. 329).
Zusätzlich erwähnt der Dichter mehrere Flüsse, unter anderem den Rabodeau (V. 170), einem Fluß am Westabhang der Vogesen, sowie den kleinen Felsbach (V. 172). (Trillitzsch, S. 12)
Weitere geographische Hinweise erhält man durch den prahlenden Igel, dessen Burg zu Deutsch Stensile (V. 687) und die Bettkammer Hunsaloa hieße (V. 689). Versucht man diese Angaben bestimmten Orten zuzuordnen, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten: Grimm hat sich z.B. für Stinzel bei Finstingen an der Saar entschieden, wozu Voigt das 9 km entfernte Hunskirch passend fand. Er entschied sich dann aber doch für Steinsel und Hünsdorf nahe Luxemburg. Da diese Orte jedoch weit entfernt von den Vogesen liegen, hält Trillitzsch sie für zweifelhaft und hält Grimms Vorschlag für plausibler. Weitestgehend haben sich die Forscher auf Stinzel geeinigt. Zu Hunsaloa gibt es noch die Vorschläge Hindisheim bei Straßburg, das Anguis aus V. 688 deutet A. Michel als Ungersberg bei Schlettstadt. (Trillitzsch, S. 13)
Auch für die Zuordnung des Heimatklosters, in dem der Dichter wohnte, ergeben sich mehrere Möglichkeiten: Senones (Grimm), St. Evre bei Toul (Grimm, Voigt), St. Etival (Zarncke) oder Moyenmoutier (A. Michel). Die Mehrheit hat sich jedoch für St. Evre bei Toul entschieden, auch weil die Lage dieses Klosters zu der Beschreibung in dem Text passt.
Die Datierung der Ecbasis spielt eine gewichtige Rolle: Da man davon ausgehen kann, dass der Text versteckte Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse enthält, ist die Intention des Textes je nach Zeitraum, in dem man das Epos einordnet, eine ganz andere.
Was die Datierungsfrage betrifft, nennt der Dichter zwar selbst ein Datum, nämlich 812 um die Zeit des Ostervollmondes. Da diese Angabe jedoch laut Trillitzsch dem Text widerspricht, muss man sie als erdichtet ansehen, vielleicht als eine Art satirische Spitze gegen den damals herrschenden Wahrheitsanspruch in der Dichtung, auf den der Dichter bereits im Prolog anspielt: „Zu Zeit der Väter galt der Brauch, daß niemand ein geschichtliches Ereignis zu beschreiben wagte, das ihm gerade gefiel, sondern nur, wenn der Schreiber vorher etwas zuverlässig gehört oder als Augenzeuge erfahren hatte, was der Aufzeichnung wert war; eine derart gesicherte Schrift, mit Zeugen gefertigt, hatte Geltung.“ (V. 34-38)
Wichtiger für die Datierung ist die Erwähnung der Könige Heinrich (u.a. V. 253) und Konrad (u.a. V. 1148) sowie die Erwähnung des Friedensschutzes (V.132), den das Kalb von König Heinrich erhalten habe (Trillitzsch, S. 16). Diese Hinweise lassen eine doppelte Datierung zu. Sowohl im 10 Jh. (Konrad I. 911-918 und Heinrich I. 918-936) als auch im 11. Jh. (Konrad II. 1024-1039 und Heinrich III. 1039-1056) gab es zwei Könige diesen Namens, die zur selben Zeit gelebt haben. Während man sich zuerst für das 10 Jh. als den wahrscheinlicheren Zeitraum entschied, genauer das Jahr 940, da Voigt „die in St. Evre durchgeführte Klosterreform in dem Gedicht als vollzogen erkennen wollte“ (Trillitzsch, S. 16), und außerdem das Gedichtswerk Thietmars von Merseburg, der 1018 gestorben ist, an mehreren Stellen fast wörtlich mit der Ecbasis übereinstimmt, er diese also gekannt haben müsste (Trillitzsch, S. 16), ergab sich seit den Untersuchungen Erdmanns eine Neuorienierung (Trillitzsch, S. 17). Die beiden schlagkräftigsten Argumente sind erstens der Nachweis von K. Jordan, dass der Ausdruck „curia regia“ für „Hof“ oder „Hoftag des Königs“ erst im 11. Jh. gebräuchlich wird (neben dem früheren „curtis“), „die Ecbasisstelle [müsste] „in der literarischen Sphäre“ eine Ausnahme bilden (Trillitzsch, S. 17). Zweitens spricht für die spätere Datierung eine Bemerkung von Waitz, dass sich der Spruch, die oppida Chuonradi müssen der Igelfeste dienen, nur auf Konrad II. zutreffen könne, da es sich um eine Dynastenburg handele, wie sie erst Anfang des 11. Jh. auf einsamen Bergeshöhen entstanden seien (Trillitzsch, S.17).
Erdmann grenzt den Zeitraum der möglichen Entstehung der Ecbasis weiter ein, indem er die historischen Fakten berücksichtigt: Bei König Konrad muss es sich um einen im Land des Dichters regierenden König oder um den größten der Könige handeln. Da Konrad I. über Lothringen nicht geherrscht hat, kann es sich nur um Konrad II. handeln, der die Kaiserkrone gewann und durch die Erwerbung Burgunds der mächtigste Herrscher war. Nach seinem Tode blieb der Kaiserthron 7 Jahre lang leer, bis sich zu Weihnachten 1046 König Heinrich III. zum Kaiser krönen ließ. Die Datierung führt so in die Königszeit Heinrichs III. (1039-1046). Da in dem Epos der Wolf das Kalb auch gegen ein noch so hohes Lösegeld Heinrichs nicht freigeben würde (V. 254f.) kann man davon ausgehen, dass Heinrich III. noch lebt. (Trillitzsch, S. 17,18)
Auch die Berufung des Kalbes auf die Friedenserlasse Heinrichs untermauern die spätere Datierung: Heinrich I. erließ lediglich allegemeine Friedensgebote, die sowieso zu den Aufgaben eines Königs gehörten. Heinrich III. dagegen führte 1043 eine große Befriedungsaktion im ganzen Reich durch. „Die Entstehung der Ecbasis fiele demnach in die Jahre 1043-1046 (bis zur Kaiserkrönung Heinrichs III.)“ (Trillitzsch, S. 18)
Diese neue Datierung, die sich allgemein durchsetzte, wurde noch durch die Bemerkung Michels verstärkt, dass in der Fabel zwei Könige (Löwe und Parder) gemeinsam regieren, was ebenfalls auf Konrad II. und Heinrich III. hinweist, da Heinrich III. tatsächlich im Jahr 1027, schon vor seiner Königskrönung, als „virtueller Mitkaiser“ (Trillitzsch, S.18) fungierte.
4. Die Form und die Quellen
Es handelt sich bei der Ecbasis um eine erzählende Versdichtung, also ein Epos. Es ist unterteilt in Prolog, Außenfabel und Innenfabel. Das Epos kann man mit einem Cento vergleichen, es ist im „Mosaikstil“ aus vielen Entlehnungen und Zitaten zusammengesetzt. Ganz eindeutig kann man sagen, daß Horaz´ Satiren vorbildlich für den Dichter waren: Ein Fünftel aller Verse ist aus ihm entlehnt, und die Ecbasis schließt mit dem Schlussvers der ersten Satire Horaz` :
... non verbum amplius addam. = und nicht ein Wort mehr hinzutun.
Daneben sind an zitierten antiken Dichtern vor allem Vergil, Ovid und Marcellus Empiricus zu nennen, zitierte christliche Dichter sind Prudentius, Venantius Fortunatus, Sedulius und Arator.
Aber nicht nur von Dichtern hat der Autor der Ecbasis entlehnt oder zitiert, anderes wichtige Quellen sind der allegorische ausgedeutete Tierbeschreibungen enthaltende „Physiologus“, die „Regula Benedicti“ und die „Vulgata“.
Die von anderen Quellen entnommen Verse sind teils wörtlich zitiert, teils geringfügig verändert worden; der dadurch umgebogene Sinn muß erheiternd auf das kundige Publikum gewirkt haben. Oftmals übernahm der Autor von den genannten Quellen auch nur Brocken.
Bei der Versform dieses Epos handelt es sich nach W. Trillitzsch um leoninische Hexameter (W. Trillitzsch, S. 23), also um 6-hebige Daktylen, deren jeweilige Zäsur und Versende sich reimen. Meiner Meinung nach sind es jedoch Fünfheber, also leoninische Pentameter. Das Prinzip des leoninischen Reimes ist nicht konsequent durchgeführt, es begegnen einem häufig reimlose Verse. Diese Unregelmäßigkeiten sind jedoch zu der damaligen Zeit üblich. Auffällig ist außerdem, dass der Dichter die Elision und den Hiat meidet, was in damaliger Zeit ebenfalls eine verbreitete Eigenart war.
5. Der Dichter
Wer der Dichter der Ecbasis war, ist nach wie vor nicht geklärt. Im Prolog gibt der Erzähler an, mit der Geschichte des Kalbes, das in der Außenfabel vom Wolf gefangen genommen und kurz darauf glücklich wieder von seiner Herde befreit wird, sein eigenes Leben allegorisch schildern zu wollen. Und tatsächlich fällt der Erzähler im Vers 191 unvermittelt aus der personalen Perspektive in die Ich-Form. Das Kalb nennt sich dem Wolf gegenüber „ein bartloser Jüngling, ein untreu gewordener Mönch aus der Stadt Toul“ (Vers 124).
Bereits Jacob Grimm zweifelte daran, dass die beschriebene Flucht wirklich erfolgt war, seiner Meinung nach wünschte sich der Verfasser nur die Freiheit, sei es aus einer Haft im Kloster oder aus dem Kloster. (Trillitzsch, S. 10)
Es ist also fraglich, ob man die Flucht als tatsächlich annehmen kann oder allegorisch aufzufassen hat. Einerseits kann man die Außenfabel so verstehen, dass der Dichter „’durch Sünden und weltliche Lüste gefangen in der Gewalt des Teufels (des Wolfes)’“ (Trillitzsch, S.10) war, jedoch durch seine Mitbrüder befreit und „’zum Leben zurückgeführt’“ wurde. Der Dichter, der möglicherweise Vitus hieß („vitulus“= Kalb, daher vielleicht die Abwandlung vom Lamm der Bibel [Joh. 10?] in das Kalb), war demnach wirklich geflüchtet, geriet in Gefahr und wurde befreit.
Dass der Dichter tatsächlich in Haft gesessen hat, bezweifelten jedoch Seiler und Zarncke. Wahrscheinlicher ist, dass er sich in dem Kloster wie gefangen fühlte und sich nach Freiheit sehnte (Trillitzsch, S. 11).
Die Interpretation der Gefangenschaft in der Wolfshöhle ist problematisch: Rein symbolisch wäre der Dichter in den Fängen des Teufels, aus denen er von seinen Angehörigen befreit wurde. Möglich ist aber auch die Deutung, dass dem Klosterschüler Unsittlichkeiten angetan wurden (Trillitzsch, S. 12), oder er tatsächlich von einem Feind (seiner Familie?) gefangengehalten wurde. Je nach Deutung könnte die befreiende Herde seine Klostergemeinschaft, aber auch seine Familie gewesen sein.
Andere Interpreten wie Ehrismann, Greßler oder Hauck sahen in der Außenfabel jedoch eine reine Allegorie ohne jeden autobiographischen Gehalt (Trillitzsch, S. 10).
Da man keine der Theorien stichhaltig beweisen kann, bleiben die Fragen nach der Identität des Dichters und dem autobiographischen Gehalt des Prologs sowie der Außenfabel weiterhin unbeantwortet.
Da das Gedicht in der Grenzmark entstanden ist, stellt sich die Frage, ob der Verfasser des Epos ein Deutscher war. Sprachlich lässt er sich nicht eindeutig zuordnen, da sein Text ebensoviele Germanismen wie Romanismen enthält (Trillitzsch, S. 14). Doch als teuren Freund des Kalbes bezeichnet der Wolf den (deutschen) König Heinrich (V. 254), und das Kalb beruft sich auf die Friedenserlasse eben dieses Königs Heinrich (V. 132). Wichtiger jedoch als die Erwähnung eines deutschen Königs ist die negative Art und Weise, in der die Franken erwähnt werden. Sie werden „barbarisch“ (V. 284) und „hörnertragend“ (V. 942) genannt, „schließlich bei der Erstürmung der Wolfsburg dringt man ein ‚in das von fränkischen Kriegern unbezwungene Kastell’“ (Trillitzsch, S. 15).
Demnach war der Dichter „wenn nicht ein Deutscher, so doch deutschfreundlich. Das ist wichtig für die Gesamtbeurteilung des Gedichts.“ (Trillitzsch, S. 15)
6. Inhalt
Der Inhalt setzt sich aus einem Prolog, einer Rahmenerzählung und einer Innenfabel zusammen. Im Prolog erzählt der Dichter von seiner töricht verbrachten Jugend und beklagt seine damalige Unvernunft und mangelnde Ernsthaftigkeit beim Lernen (V. 1-7). Er beginnt zu dichten, weil er sich von seinem Stumpfsinn befreien will. Es folgt der in der mittelalterlichen Literatur übliche Bescheidenheitstopos, der Dichter bezeichnet sich selbst als zu unbeholfen, um Großes in der Dichtkunst zu vollbringen, und fühlt sich eingeschüchtert von denen, die den „ungeschlachten Menschen“ (V. 30) vom Dichten abraten.
Der Dichter bereitet den Rezipienten darauf vor, dass es sich bei der vorliegenden Geschichte um ein „Lügenbuch“ handelt, um eine erfundene Geschichte, die jedoch für den einzelnen nützlich sein kann. Zum Ende seines Prologs erklärt der Dichter, warum er diese Geschichte erzählt: eines Tages blickt er aus dem Fenster und sieht Menschen verschiedenster Art bei der Erntearbeit, während er in Klosterhaft ist. Der Dichter fühlt sich eingesperrt und leidet, er vergleicht sich selbst mit einem „armen Kälbchen, das gar oft an Pfähle angebunden ist [...] ganz wie dieses durch die Zügel der Väter in Zucht gehalten“ (V. 67/68), und in der Allegorie dieses Kälbchens werde er dem Rezipienten nun die Geschichte erzählen. Hier beginnt nun die Außenfabel:
Im Jahre 812, um die Zeit des Ostervollmondes, wird ein Kalb von den Hirten allein im Stall zurückgelassen. Aus Langeweile reißt es sich los und entflieht. Nachdem es eine Weile umhergetollt ist, geht es in den schützenden Wald. Dort begegnet es dem Wolf, der es in seine Höhle lockt. Er will das Kalb fressen, dieses beruft sich jedoch auf König Heinrichs Friedenserlasse und erhält eine Gnadenfrist bis zum nächsten Morgen. Um Mitternacht kommen die beiden Hörigen des Wolfes, Fischotter und Igel, beladen mit Fisch und Gemüse, in die Höhle. Der Wolf erklärt den beiden, er habe sich entschlossen, mit der mönchischen Enthaltsamkeit zu brechen – er werde das Kalb als Osterlamm verspeisen. Der Fischotter, ein liebevolles und frommes Tier, setzt sich jedoch für das Kalb ein. Er tröstet es, und als der Wolf von einem schlimmen Wahrtraum erwacht, deutet der Otter den Traum so, daß die geplante Untat des Wolfes Vergeltung finden werde. Er rät ihm dringend davon ab, das Kalb zu verspeisen - der Wolf jedoch bleibt bei seinem Plan. (V.69-321)
Am nächsten Morgen entdeckt die Herde, daß das Kalb fehlt. Eine Vogesenhündin hat dessen Gefängnis aufgespürt, und die Tiere folgen der Hündin zur Höhle, um das Kalb zu befreien. (V. 322-352)
Der Wolf bemerkt die nahenden Feinde und hat Angst, daß der Fuchs unter ihnen sein könnte. Er hofft, daß dieser fernbleibt. Warum, erklärt er seinen beiden Gefolgsleuten, indem er ausführlich von dem Schicksal seines Ahns beim Hoftag des Löwen erzählt, dies ist die Innenfabel. (V. 353-391)
Einst hatte der König der Tiere ein schmerzhaftes Nierenleiden. Er befahl allen seinen Untertanen, ein Heilmittel zu seiner Genesung herbeizuschaffen. Alle Tiere kamen, nur der Fuchs blieb aus, worauf ihn der Wolf, sein Feind, beim Löwen verleumdete. Der leichtgläubige Löwe geriet in Wut und befahl dem Parder, den Fuchs zu fangen und zu töten. Da der Parder jedoch mit dem Fuchs befreundet war, warnte er ihn vor der drohenden Gefahr. Sie kamen gemeinsam zurück, und der Fuchs erzählte zu seiner Verteidigung eine Lügengeschichte: er sei soeben von einer Palästinareise heimgekehrt, wo er von dem Blässhuhn ein Heilmittel erfahren hat, durch das der Löwe genesen könnte. Nach einigem künstlichen Zögern nannte der Fuchs schließlich das Heilmittel: Dem Wolf sollte das Fell abgezogen werden. Dann würde der Fuchs eigenhändig die Nieren des Löwen mit einem Fischgehirn abreiben und ihn in das Wolfsfell einwickeln. Durch diese Kur wurde der kranke Löwe wieder gesund und rehabilitierte aufgrunddessen den Fuchs nicht nur, sondern übertrug ihm zeitweilig die Herrschaft. Alle Tiere übernahmen bereitwillig ihre vom Fuchs aufgetragenen Pflichten, nur der Igel revoltierte, weil er sich für zu hochgeboren für niedrige Arbeiten hielt. Letztlich wurde er jedoch von dem Leoparden in die Küche geschickt und mit dem Bratenwenden beauftragt. Dem König fiel plötzlich die Abwesenheit des Parders auf. Diesen hatte der Fuchs unweit in einer Höhle zurückgelassen. Der Fuchs holte den Parder herbei und erreichte beim Löwen, daß der Parder zum Nachfolger und Mitregenten des Königs erwählt wurde. Darauf folgte ein festliches Mahl, alle Tiere feierten fröhlich. Der Fuchs heuchelte jedoch Niedergeschlagenheit und erreichte dadurch, dass er vom Löwen die Höhle zugesprochen bekam, in der bisher der Wolf wohnte. Der geschundene Wolf der Innenfabel wurde von den anderen Tieren verspottet und starb bald darauf an seinen Verletzungen. Der Fuchs setzte ihm eine strafende Grabschrift und empfing sein neues Lehen, die Höhle (V. 392-1097). Nachdem der Wolf diese Geschichte zu Ende erzählt hat, setzt das Ende der Außenfabel ein.
Der Wolf hat seine Erzählung beendet, darauf besteigt der Fischotter den Hügel und späht nach den Feinden. Er sieht, daß der Fuchs unter ihnen ist, der im Herannahen den Lehensbrief vorzeigt. Durch die Drohungen der Feinde erschreckt, versucht der Fischotter nochmals, den Wolf umzustimmen, damit er das Kalb herausgibt. Es ist umsonst, also entfliehen der Fischotter und der Igel aus der Wolfsburg. Der Wolf aber wird von dem Fuchs durch Schmeicheleien aus der Höhle gelockt, von dem Stier an einen Baumstamm gespießt, und das Kalb entflieht und kehrt freudig zur Mutter zurück.(V.1098-1229)
7. Anliegen der Ecbasis
Über das Anliegen dieser Geschichte streiten sich die Forscher. Jacob Grimm interessierte sich vor allem für die zugrundeliegende Tierfabel, und er sah in der Ecbasis „das älteste, in urdeutscher Tiersagentradition wurzelnde Kleinepos, ungeachtet des äsopischen Handlungskernes von der Krankheit des Löwen“ (Trillitzsch, S. 20). Während für ihn die Vorgänge in der Fabel weniger interessant waren, versuchten andere Forscher, den Sinn der Geschichte zuerst aus der Rahmenerzählung abzuleiten. Weitestgehend kam man darin überein, die Außenfabel als Allegorie für ein historisches Geschehnis zu sehen: Der Mönch floh aus dem Kloster, geriet in die Hände eines Feindes, des Wolfes, wurde aus dieser Gefahr von seiner Gemeinschaft gerettet und kehrte reumütig zurück. Eine andere Möglichkeit der Interpretation ist, den Wolf symbolisch für den Teufel oder die Weltlust zu sehen und die Geschichte moralisch-didaktisch als „Verherrlichung der Weltflucht, der Askese“ (Trillitzsch, S. 20) aufzufassen, doch meist ging man von einem realen Feind aus, der in Form des Wolfes dargestellt wurde. (Trillitzsch, S. 20)
Später deutete man die Ecbasis stärker aus der Innenfabel, in der ein „heiter-satirischer Ton“ (Trillitzsch, S. 20) nicht zu übersehen ist. Es fragt sich jedoch, ob sich der Spott auf die höfisch-weltliche oder auf die mönchisch-geistige Welt bezieht, denn beide Sphären sind in der Innenfabel miteinander verbunden, ohne dass ein klares Bild entstünde (Trillitzsch, S. 20). Die Interpretationen reichen von „Zeitsatire in historischem Gewande“ (Hauck, in Trillitzsch, S. 21), einer Adelssatire, die auf bestimmte Personen anspielt (Trillitzsch, S. 21), bis hin dazu, dass sich der Mönch in seiner Abgeschiedenheit „spaßeshalber die große Gewandung des Königshofes“ angelegt habe (Trillitzsch, S. 21). Die „humorvoll-ironische“ Stimmung, die das Gedicht, besonders die Innenfabel, auszeichnet, weist nach Trillitzsch auf einen erfahrenen Menschenkenner und guten Beobachter hin, an dessen satirischer Absicht kein Zweifel bestehen kann (Trillitzsch, S. 21). Ob man aus dieser Satire „gegen die Verweltlichung des Mönchsstandes“ (Schwietering in Trillitzsch, S. 21) jedoch entnehmen kann, dass reale Personen durch die Tiere verkörpert werden, die für uns nicht mehr erkenntlich sind (Trillitzsch, S. 21), kann nicht bewiesen werden. Ebenso ist es möglich, dass bestimmte (Stereo)typen, wie sie in jedem Kloster und an jedem Hof vorkommen könnten, satirisch dargestellt werden, ohne dass damit bestimmte Personen angesprochen würden. Die Charaktere der hier dargestellten Tiere sind trotz ihrer Individualität allgemein gehalten und haben eher einen „Typencharakter“ als ein spezielles Gesicht: der gierige und verleumderische Wolf, der sich als weltflüchtiger Einsiedler gibt, der fromme, psalmensingende Parder, der sich doch nicht vollkommen mit der biblischen Lehre identifizieren kann, der die Listen des Fuchses unterstützende Leopard, der den Löwen nach seinen Zwecken lenken will – all diese Charaktere könnten sich in jeder Gesellschaft wiederfinden.
W. Ross schließlich war der Ansicht, dass die Ecbasis „zur heiteren Klosterlitertur gehöre und Verhältnisse und Personen aus dem enggespannten Rahmen der Klostersphäre schildere und treffen wolle“ (Trillitzsch, S. 22). Für ihn ist dieses Gedicht als heitere Osterunterhaltung für das Kloster bestimmt, die mit „zahlreichen Anspielungen und drolligen Einfällen gespickt“ ist (dazu passen auch die Entlehnungen, deren Sinn durch den Dichter auf für die Zuhörer belustigende Weise umgebogen wurde (Trillitzsch, S. 22).
H. Hoffmann schließlich versuchte den Tieren reale Persönlichkeiten zuzuordnen, so in dem Fuchs z.B. Poppo von Trier zu sehen, doch sind seine Vermutungen nicht stichhaltig genug, und wenn man davon ausgeht, dass mit den Tieren reale Personen gemeint sind, dann lassen sich die diesbezüglich möglicherweise vorhandenen Andeutungen heute nicht mehr entschlüsseln.
Eindeutig läßt sich zu dieser Geschichte nur sagen, dass sie als Satire gemeint war. Der Großteil der Entlehnungen und Zitate entstammt den Satiren Horaz´, und auch der humorvoll-ironische Ton der Geschichte läßt keinen Zweifel an der satirischen Absicht zu.
Zur Ecbasis ist zu bemerken, dass die Intention auch auf der Didaxe liegt. Zwar geht es zum Teil darum, das Publikum zu unterhalten, wichtig sind aber auch die Ermahnungen und Lehrsätze sowie das Scheitern des gierigen und regelbrechenden Wolfes, was den Hörer auf einen moralisch besseren Weg führen sollte.
8. Figurentypen und Motivik
Die wichtigsten Tiere in dieser Fabel sind, wie auch in anderen Dichtungen wie dem „Reinhard Fuchs“ oder dem „Roman de Renard“ der Fuchs, der Wolf und der Löwe. Hinzu kommen in dieser Geschichte der Parder, der Leopard, der Otter und der Igel.
Obwohl Jacob Grimm feststellte, dass zwischen den Tieren der Innen- und der Außenfabel kein Unterschied besteht, es sich also um dieselben Tiere handelt, erscheinen die Tiere doch in unterschiedlichen Charakterisierungen.
Der Fuchs erscheint wie auch in späteren Tierdichtungen als verschlagener, weltkluger Heuchler, der sich mit seiner List und Wortgewandheit nicht nur aus einer lebensgefährlichen Situation rettet, sondern sich zum engsten Vertrauten des Königs macht. Der Wolf wird in der Außenfabel als weltflüchtiger Einsiedler dargestellt, der sich zwar als frommer Weltfeind gibt, jedoch aus Gier von seinen Idealen abweicht. In der Innenfabel zeichnet er sich durch die Dummheit aus, mit der er auch in späteren Tierdichtungen dargestellt wird. Der Löwe ist gattungstypisch der König der Tiere, er wird als schwerfällig und leichtgläubig dargestellt. Der Parder repräsentiert das Tugendhafte und Fromme, er ist der Freund und Helfer des Fuchses. Er unterstützt und hilft dem Fuchs, der aus Dankbarkeit dafür sorgt, dass der Parder zum König gekrönt wird. Auch der Leopard unterstützt die Listen des Fuchses, um den König zu lenken.
Der Igel nimmt eine Sonderstellung ein. In der Innenfabel ist er eine aufgeblasene und adelsstolze Figur, die vom Leoparden gedemütigt und für eine niedere Tätigkeit in die Küche verbannt wird, als es an die Vorbereitung des großen Festes geht. Es wird vermutet, dass er für einen Ministerialen steht, da Ministerialen in den Augen des Adels Emporkömmlinge waren. Diese Interpretation macht Sinn, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem Verfasser der „Ecbasis“ um einen Mönch und damit sehr wahrscheinlich um einen Adligen gehandelt hat. Bestätigt wird diese Vermutung durch die Darstellung des Igels in der Außenfabel: Er erscheint als komisches Faktotum in den Diensten des Wolfs, der zahlreiche Funktionen erfüllt. Er ist Erzkaplan, Kämmerer, Oberkoch, Ratgeber, Richter, oberster Priester, und zudem derjenige, der sich bereiterklärt, das Kalb für den Wolf zu schlachten. Der Fischotter schließlich ist fromm, liebevoll, freundlich und erfüllt die Pflichten der Nächstenliebe am Kalb indem es ihn in der Not tröstet.
Der Schauplatz der Handlungen ist wie auch in den späteren Tierfabeln nicht näher ausgeführt. Zwar werden Orts- und Flussnamen erwähnt, aber die Landschaft, die die Burgen des Königs bzw. des Wolfs umgibt, bleibt unbestimmt, außer dass die Burg des Wolfs in dem Wald liegen muss, in dem das Kalb Zuflucht suchte.
Das später typische Motiv des zentralen Konflikts zwischen dem schlauen Fuchs und dem dummen und gierigen Wolf bestimmt bereits in der Ecbasis die Handlung. Die Konstellation „List gegen Dummheit“ ist demnach bereits gegeben. Den Wolf kennzeichnet unüberlegte Gier und dümmliche Eitelkeit, während sich der Fuchs durch Schlauheit, Redegewandtheit und List auszeichnet.
Es fällt jedoch in der Ecbasis auf, dass der Fuchs im Gegensatz zum „Reinhart Fuchs“ dem Wolf nicht aus purem Eigennutz schadet, sondern strafend auf die Verleumdung durch den Wolf reagiert.
Kann man den Fuchs hier bereits als Schelm bezeichnen? Ein Schelm zeichnet sich dadurch aus, dass er ohne äußeren Anlass handelt und anderen Tieren schadet, ohne vorher provoziert worden zu sein. Ihn motiviert die Freude am Eigennutz, er strebt nach seinem eigenen Vorteil, ohne auf die anderen Tiere Rücksicht zu nehmen und ohne von ihnen provoziert worden zu sein. In der Ecbasis jedoch schadet der Fuchs ausschließlich dem Wolf, der sich vorher durch seine Verleumdung als provokant und feindlich erwiesen hat. Diesen richtet er konsequent und mit List zugrunde, während er sonst keinem anderen Tier schadet, im Gegenteil, sogar seinen Freunden, dem Parder und dem Leoparden, glänzende Stellungen am Hof verschafft.
Wenn man den Begriff Schelm jedoch so definiert, dass die betreffende Figur in Konfrontation mit einem körperlich oder gesellschaftlich überlegenen Gegner steht und sich diesem gegenüber durch Einsetzen von List und Verstand durchzusetzen vermag, so ist auch der Fuchs der Ecbasis bereits ein Schelm: er hat den körperlich überlegenen Wolf zum Feind und durch seine Verleumdung das mächtigste aller Tiere, den Löwen, gegen sich, und doch setzt er sich mit seiner Schlauheit durch, formt den Löwen nach seinem Willen und richtet den Wolf zugrunde. Schon in der Ecbasis bedient sich der Fuchs gezielt der Schwächen seiner Gegner, um sie zu Fall zu bringen: in der Innenfabel der Leichtgläubigkeit und Wankelmütigkeit des Löwen, die ihm die Vernichtung des Wolfes und seine eigene „Karriere“ ermöglicht, in der Außenfabel der Eitelkeit und Geltungssucht des Wolfes, der sich durch Schmeicheleien des Fuchses aus der Höhle locken läßt.
In der Ecbasis ist der Fuchs im Gegensatz zu anderen Tierepen noch nicht selber gewalttätig. Er instruiert zwar andere Tiere, den Wolf zu misshandeln, jedoch beteiligt er sich nicht daran. Er bedient sich ausschließlich seiner Redekunst, um seinem Gegenspieler, dem Wolf, zu schaden, und sich und seinen Helfern zu nützen. Durch seine Verteidigungsrede zieht er seinen Hals aus der Schlinge, und mit seiner kritischen Rede vor dem Hof erreicht er die Gunst der Hofgesellschaft und des Löwen. Seine Trauermiene schließlich und die anschließende Rede am Ende des Festes verschaffen ihm die gewünschte Wolfsburg als Lehen.
Es fällt auf, dass der Wolf kein unschuldiges Opfer füchsischer Bösartigkeit ist, sondern durch seine eigene Boshaftigkeit, nämlich den Fuchs beim König zu verleumden, fällt und daran zugrunde geht. Der Fuchs erteilt dem Wolf eine Lektion – die Schlechtigkeit des Wolfes richtet sich letztlich gegen ihn selber und er stirbt. Ebenso ist es in der Außenfabel. Der Wolf hat sein eigenes Ende selbst zu verschulden, erstens, weil er die mönchischen Regeln bricht und das Kalb verzehren will, zweitens aufgrund seiner Eitelkeit: der Fuchs kann ihn nur aus seiner Burg locken, weil er auf die Schmeicheleien des Fuchses hereinfällt.
Interessanterweise schadet der Fuchs hier ausschließlich dem Wolf, während er die Tieren, die ihm wohlgesonnen sind, nämlich den Parder und den Leoparden, protegiert, er verschafft ihnen glänzende Positionen. So wird der Parder auf Veranlassung des Fuchses zum König gekrönt (V. 779, 789), während er selber relativ bescheiden auf eine wichtige Stellung bei Hof verzichtet und lediglich die Wolfsburg als Lehen erwerben will.
Da sich in späteren Tierepen mehrere Fabeln zu einem Epos zusammensetzen, während sich die Ecbasis durch eine zusammenhängende Handlung auszeichnet, ist das in späteren Tierdichtungen (z.B. Reinhart Fuchs, Roman de Renard) übliche Motivinventar hier nur zum Teil gegeben. Die Vielfalt der Situationen, in die der Fuchs hineingerät, ist gering. In der Ecbasis muss sich der Fuchs lediglich gegen die Verleumdung des Wolfes wehren, was ihm durch seine List auch gelingt. Durch das Vertrauen und die Dankbarkeit des Löwen erhält er die Aufgabe, in Abwesenheit des Königs den Hof zu führen, dies gelingt ihm in hervorragender Weise mit Unterstützung des Leoparden. Danach verschafft er dem Parder und dem Leoparden eine gute Stellung und sich selbst die Wolfsburg.
In der späteren Tierdichtung dagegen durchlebt der Fuchs vielfältigere Situationen, in denen er, z.B. gegen die Meise im „Reinhart Fuchs“, auch mal verliert und seinerseits Opfer seiner eigenen Schwäche und Eitelkeit wird. Das Gerichts- und das Hoftagsmotiv sind hier aber, ebenso wie das Motiv der Krankheit des Löwen, schon ausgeführt. Der Anlass für die Zusammenkunft der Tiere ist hier jedoch nicht der Hoftag des Löwen, sondern dessen Krankheit.
Ein weiteres, sich später wiederholendes Motiv ist das Nichterscheinen des Fuchses und das darauffolgende Todesurteil, das der Fuchs jedoch zu umgehen versteht. Er läßt sich, schelmenhaft, von widrigen Umständen und Gefahren nicht entmutigen, sondern schafft es, sogar noch Vorteil aus der Situation zu ziehen.
Auch das Fellopfer des Wolfes, der Heilung des Löwen zuliebe, wird sich in späteren Tierepen, z.B. dem Ysengrimus wiederholen.
Des Fuchses Lüge und die Heilung des Löwen durch den Fuchs geschieht ebenfalls in späteren Tierdichtungen
Die Ecbasis unterscheidet sich von späteren Tierepen dadurch, dass sich hier zwei Dichtungsformen vermischen: Während die Innenfabel äsopisch, also fabelartig ist, ist die Geschichte von der Flucht des Kalbes allegorisch, ihr liegt das biblische Bild des entflohenen Schafes zugrunde. Von einer Allegorie kann man insbesondere deswegen ausgehen, weil die relativ genaue Festlegung der Flucht auf den Ostervollmond auffällig ist, sie bringt die Geschichte in einen biblischen Zusammenhang.
Die Motivik der Außenfabel fällt also aus dem Rahmen. Das Kalb als Allegorie steht vermutlich für den Dichter selbst, und während die Tiere in späteren Tierepen als Tiere handeln, bezeichnet sich das Kalb hier als „bartloser Jüngling“ (Z.124), und der Erzähler springt in die Ich-Form, als es um die Erlebnisse des Kalbes geht (Z. 191). Da sich die Geschichte des verlorenen Kalbes also vermutlich an das biblische Motiv des verlorenen Lammes anlehnt, kann man vermuten, dass diese Änderung des Lammes in ein Kalb, das die Abenteuer erlebt, auf die Identität des Dichters schließen läßt: Möglicherweise hieß der Mönch Vitus, da das lateinische Wort für „Kalb“ „vitulus“ lautet, und der Dichter so seinen Namen in versteckter Form unterbringen konnte.
9. Schlusswort
Interessant finde ich, wie viele Parallelen sich hier bereits zu späteren Tierdichtungen finden lassen. Möglicherweise war die Ecbasis also Vorläufer und Vorbild der späteren Dichtungen, auch wenn diese in ihrem Motivinventar wesentlich reichhaltiger sind als diese frühe Form, die sich im Wesentlichen auf den Konflikt zwischen dem Fuchs und dem Wolf sowie auf die Krankheit und Genesung des Löwen konzentriert.
Die Kombination des Biblisch-allegorischen mit dem Äsopisch-fabelhaften hat sich in späterer Zeit nicht wiederholt, vermutlich war es keine geglückte Kombination, Geistliches mit Weltlichem zu vermischen.
Um die vermutlichen Absichten des Autors zu klären, ist es meiner Meinung nach nötig, die drei Teile Prolog, Außenfabel und Innenfabel vorerst getrennt voneinander zu interpretieren. Ich halte es nicht für sinnvoll, eine einzige Absicht aus diesem Gedicht isolieren zu wollen. Meiner Meinung nach hat der Autor eine Vielzahl von Intentionen in diesem Text miteinander verbunden, die sich alle unter dem Stichwort Redlichkeit zusammenfassen lassen und vermutlich einen Abriss der damals herrschenden Mentalität gibt.
Während ich den Prolog sowie die Außenfabel als autobiographisch ansehen würde, der Dichter beschreibt ein von ihm selbst erlebtes Ereignis, sei es nun symbolisch (er wird verführt und kehrt dank seiner Ordensbrüder reumütig zum rechten Lebenswandel zurück) oder historisch (er entflieht dem Kloster, gerät in die Hände eines Feindes seiner [adligen] Familie, doch dank seiner Familie wird er gerettet). Die Innenfabel würde ich jedoch wie K. Hauck als eine Adelssatire auffassen, jedoch ohne damit bestimmte Personen verbinden zu wollen. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine allgemeine Kritik an den höfischen, aber auch geistlichen Zuständen der Zeit, die nichts mit konkreten Personen zu tun haben muss. Der Fuchs scheint mir trotz seinem teilweise fragwürdigen Vorgehen das Sprachrohr des Autors zu sein, durch sein Handeln und seine Reden wird sowohl Moral als auch praktische Weisheit vermittelt. Das richtige Handeln des Fuchses (Bündnisse zu schließen, konsequentes Zugrunderichten des Feindes, Schlauheit, Redegewandtheit, politisch-strategisches Handeln) wird dem falschen Handeln des Wolfes (Dummheit, Gier, Abwenden von mönchischen Regeln, Verleumdung) gegenübergestellt. Diese Lehre garniert der Dichter zusätzlich mit satirischen „Seitenhieben“ gegen die Schwächen anderer Personen, wie zum Beispiel durch die Darstellung des leichtgläubigen und leicht lenkbaren Löwen oder des fast scheinheiligen Parders (siehe V. 769-772: „[...]die Psalmen werde ich zu Ende führen, die ich bis zum ‚Memento’ gesungen.[...]“ im Vergleich zu V.851-853: „ Nachtigall: Ich konnte es nicht lassen, ich beweinte die Verspottung Christi. Kennst du das einzelne nicht mehr, worüber du stauntest, daß ich es gesagt habe? Parder: Ich hatte davon gehört; aber es war doch eine Sage und ist mir völlig entfallen.“).
Meiner Meinung nach ist die Geschichte eine Belehrung zum Zweck der Abkehr von schlechten Eigenschaften und ebenso zur Vermittlung richtigen Handelns. Ob bestimmte Personen durch die Tiere dargestellt werden sollten, kann man nicht beweisen, und meines Erachtens ist es aus oben genannten Gründen auch nicht nötig, reale Personen anzunehmen. Die hier gezeichneten Typen könnten in jeder Gesellschaft zu finden sein, und wenn die Geschichte an verschiedenen Orten vorgelesen wurde, so hätten sich in jedem Kloster und an jedem Hof Personen von der in der Ecbasis enthaltenen Kritik angesprochen fühlen können.
10. Literaturangabe
Trillitzsch, Wilfried (Hg.): Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam. Leipzig 1964.
der Glîchezâre, Heinrich: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch, Neuhochdeutsch, Stuttgart 1976.
Maurer, Friedrich (Hg.): Der altdeutsche Physiologus. Tübingen 1967.
Schönfelder, Albert (Übers.): Ysengrimus. Münster/Köln 1955.
- Arbeit zitieren
- Güde Godbersen (Autor:in), 2001, Inhalt, Form und Motivik der 'Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam' - 'Die Flucht eines Gefangenen (tropologisch)', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109531
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