LAST UND LIST. DIE KOSTEN DER EINHEIT VERHINDERN DIE EINTRACHT
Ein verspäteter Lasten- und Reparationsausgleich (Erschienen in: >Lutherische Monatshefte<, Heft 7: Juli 1993)
Wenn aus vielerlei Gründen die Gleichheit der Chancen weltweit nicht realisierbar scheint, dann soll sie wenigstens im Rahmen der Nation verwirklicht werden. Die >Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus< gehört deshalb nach § 72 des Grundgesetzes zu den Aufgaben des Bundes.
Ob der mit der Gleichheitsforderung begründete Ressourcentransfer von Westen nach Osten ausreichend ist oder durch den Egoismus der alten Länder und der in diesen Ländern bevorzugten Gruppen zu stark begrenzt wird, ist noch immer eine mehr als offene Frage. Einiges spricht jedoch dafür, daß im Westen die freiwillige Bereitschaft zum Teilen sehr bald "gegen Null" gehen könnte. Die "Versuchung" ist groß, in einer solchen Situation den notwendigen Ausgleich durch diffuse Appelle an die gemeinsame völkisch-nationale Herkunft einzufordern. Nichts aber wäre fataler!
Politisch verantwortlich (auch und vor allem im Interesse Gesamtdeutschlands), wäre demgegenüber die offensive und selbstbewußte ostdeutsche Forderung, die Transferleistungen von West nach Ost als späte Begleichung einer offenen historischen Rechnung anzusehen. Eine Rechnung, die im Westen fast vergessen schien und nun gewissermaßen als "List der Geschichte" mit der Einheit "zur Wiedervorlage" kommt.
LAST UND LIST. DIE KOSTEN DER EINHEIT VERHINDERN DIE EINTRACHT
Ein verspäteter Lasten- und Reparationsausgleich
(Erschienen in: >Lutherische Monatshefte<, Heft 7: Juli 1993)
Wenn aus vielerlei Gründen die Gleichheit der Chancen weltweit nicht realisierbar scheint, dann soll sie wenigstens im Rahmen der Nation verwirklicht werden. Die >Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus< gehört deshalb nach § 72 des Grundgesetzes zu den Aufgaben des Bundes.
Ob der mit der Gleichheitsforderung begründete Ressourcentransfer von Westen nach Osten ausreichend ist oder durch den Egoismus der alten Länder und der in diesen Ländern bevorzugten Gruppen zu stark begrenzt wird, ist noch immer eine mehr als offene Frage. Einiges spricht jedoch dafür, daß im Westen die freiwillige Bereitschaft zum Teilen sehr bald "gegen Null" gehen könnte. Die "Versuchung" ist groß, in einer solchen Situation den notwendigen Ausgleich durch diffuse Appelle an die gemeinsame völkisch-nationale Herkunft einzufordern. Nichts aber wäre fataler!
Politisch verantwortlich (auch und vor allem im Interesse Gesamtdeutschlands), wäre demgegenüber die offensive und selbstbewußte ostdeutsche Forderung, die Transferleistungen von West nach Ost als späte Begleichung einer offenen historischen Rechnung anzusehen. Eine Rechnung, die im Westen fast vergessen schien und nun gewissermaßen als "List der Geschichte" mit der Einheit "zur Wiedervorlage" kommt.
Vierzig Jahre lang hat uns die bundesdeutsche Politik vor der Begleichung dieser Rechnung bewahrt. Und ganz besonders war dies den weitblickenden Weichenstellungen unseres ersten Bundeskanzlers zu danken. Denn bekanntlich hatte dieser damals sämtliche Konföderationsangebote der DDR-Führung abgelehnt, desgleichen, "die berühmte Stalin-Note von 1952", die einen Friedensvertrag für ein wiedervereinigtes Gesamtdeutschland (einschlielich freier Wahlen) unter der Bedingung strikter Neutralität und Abrüstung vorsah.
Das Kalkül, sich durch die deutsche Teilung den Reparationsansprüchen gerade jener osteuropäischen Länder zu entziehen, die unter Hitlers Angriffs- und Vernichtungskrieg am meisten gelitten hatten und gleichzeitig die sowjetische Besatzungszone auf Distanz zu halten, hat offenbar bei den westdeutschen Unionschristen um Konrad Adenauer eine zentrale, wenngleich bis heute verschwiegene Rolle gespielt. Adenauer, 1955: "Landwirtschaft und Industrie sind in sehr schlechtem Zustand und zahlreiche Gebäude ebenfalls sehr schlecht unterhalten. Die Arbeit nach der Wiedervereinigung kommt in den hinter dem Eisernen Vorhang gelegenen Teilen Deutschlands einer neuen Kolonisation gleich. Dadurch wird die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik auf Jahre hinaus absorbiert. So überraschend es klingen mag, so richtig ist doch der Satz, daß durch die Wiedervereinigung das deutsche Potential nicht erhöht, sondern vermindert wird."
Ihren ersten Niederschlag hatte Adenauers Position bereits im Februar 1953 im Londoner Schuldenabkommen (LSchA) gefunden, in dem festgelegt wurde, "sämtliche dem Reparationsrecht zuzuschlagenden Regelungsmaterien" (Hermann J. Abs) international erst dann zu verhandeln, wenn es zu einem Friedensvertrag für den Zweiten Weltkrieg gekommen sei. Die Bundesrepublik verpflichtete sich damals zur Zahlung einer pauschalen Tilgung der Nachkriegsschulden in Höhe von 7,3 Milliarden DM - eine Verpflichtung, die bereits nach wenigen Jahren erfüllt war.
Ganz anders aber war dies für das Viertel jenseits der Elbe, das für den Krieg von Anfang an voll zu bezahlen hatte. Die Gründung der DDR war - für Regierende und Regierte gleichermaßen (wenn auch aus unterschiedlicher Perspektive) - die logische Konsequenz des Hitler-Regimes. In ihrem Verständnis war der eigentliche Gründungstag des zweiten deutschen Staates der 22.
Juni 1941 - der Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion.
Und deshalb gehört nicht nur die deutsche Teilung, sondern auch die stalinistische Fehlentwicklung, Mißbildung und Agonie der DDR letztlich zu den Spesen des von Hitler und seiner ungeteilten Gefolgschaft angezettelten und verlorenen Krieges. Denn die Paradoxien der DDR-Ökonomie waren schon in der Grundkonstruktion dieses Staatswesens angelegt - durch die anormalen Umstände seiner Geburt: Ostdeutschland, das ja (ebenso wie Polen, die CSSR und Ungarn) schon vor dem Krieg eine entwickelte demokratische und Industriekultur gekannt hatte, wurde ein System übergestülpt, das den Zwängen einer nachholenden und beschleunigten Industrialisierung in einem halbasiatischen Land der Dritten Welt (denn dies war die Sowjetunion von 1929) entsprungen war. Und nachdem die KPdSU-hörige Fraktion innerhalb der SED ihre "westlicheren" Kontrahenten und die ehemaligen Sozialdemokraten ausgeschaltet hatte, wurde (ganz nach dem Motto "von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen") das sowjetische System durchgesetzt und das Land nach dem Modell eines seiner Rückständigkeit wegen despotisch regierten Landes umgestaltet. Hinzu kommt, daß das Land zu einer Art "sowjetischen Reparationskolonie" degradiert worden war. Auch dies geschah nicht ohne den (zumindest indirekten) Einfluß des Westens. Ulrich Herbert, der Leiter der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg, hat dieses "Phänomen" prägnant in folgendem Satz zusammengefaßt: "Durch die Reparationspolitik der Siegermächte nach 1945 waren die Westdeutschen so begünstigt, die Ostdeutschen so benachteiligt, daß man zweifeln möchte, ob beide denselben Krieg verloren hatten."
Dieses alles mitbedacht, zerfiel das "Unternehmen DDR" ja nicht so sehr an Mangel an Moral, denn aus Mangel an Effizienz. Nicht weil die DDR so durch und durch unmenschlich war, ging sie in Konkurs, wie die rachsüchtige Bürgerpresse und die neuen Moralisten meinen, sondern weil die SED-Führung bis zuletzt ihren Bürgern (natürlich auch, um sie bei der Stange zu halten), einen sozialen Standard garantieren wollte, der die Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft seit langem überstieg. Dies führte immer tiefer in die Verschuldung, zuletzt in den Staatsbankrott.
Läßt man sich auf diese Perspektive ein, so ist das Unternehmen DDR daran gescheitert, daß es, salopp gesagt, nach dem Krieg den schlechteren Teil erwischt hatte - und nicht daran, daß es ein "Verbrecherstaat" war, wie unsere bundesdeutsche Unschuld es gerne sehen möchte, die die aus der gemeinsamen Geschichte stammende Hypothek, d.h. ihren Teil der Mitverantwortung bis heute nicht übernehmen will. Denn sonst würde die westdeutsche Öffentlichkeit die milliardenschweren Transferleistungen an die neuen Bundesländer endlich als das begreifen, was sie de facto sind: ein gerechter, wenn auch verspäteter Lasten- und Repara- tionsausgleich. Denn historisch betrachtet sind die ehemaligen DDR-Bürger die Gläubiger und wir im Westen die Schuldner!
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- Dr. phil. Walter Grode (Author), 1993, Last und List. Die Kosten der Einheit verhindern die Eintracht. Ein verspäteter Lasten- und Reparationsausgleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109301
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