Zigeuner in der Schweiz heute


Facharbeit (Schule), 2004

40 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Herkunft und Geschichte der Zigeuner
2.1. Die Hauptgruppen der Zigeuner
2.1.1. Die Sinti und Roma
2.1.2. Die Jenischen

3. Kinder der Landstrasse
3.1. Vorgehensweise des Hilfswerks
3.2. Unterstützung und Finanzierung
3.3. Aufarbeitung
3.4. Die Geschichte von Uschi Waser

4. Aktuelle Situation der Zigeuner in der Schweiz
4.1. Sesshafte
4.1.1. Gründe für die Sesshaftigkeit
4.1.1.1. Zwangseinbürgerung
4.1.1.2. Schlechte Wohnbedingungen
4.1.1.3. Patentgesetze und Arbeitssituation
4.1.1.4. Hilfswerk für Kinder der Landstrasse
4.1.1.5. Bildungs- und Alterssituation
4.1.1.6. Stand- und Durchgangsplätze
4.1.1.7. Kommunikations- und Transportmittel
4.2. Fahrende
4.2.1. Lebensweise der Fahrenden
4.2.1.1. Traditionen der Zigeuner
4.2.1.2. Sprache der Zigeuner
4.2.1.3. Berufe der fahrenden Zigeuner
4.2.1.4. Bedeutung von Familie und Gemeinschaft
4.2.1.5. Rollenaufteilung in der Familie
4.2.1.6. Religion der Zigeuner
4.2.2. Integration in den schweizerischen Bundesstaat
4.2.2.1. Staatsangehörigkeit
4.2.2.2. Arbeitssituation
4.2.2.3. Bildungssituation der Kinder und Jugendlichen
4.2.2.4. Staatliche Verpflichtungen und Versicherungen
4.2.2.5. Stand- und Durchgangsplätze
4.2.2.6. Rechtliche Situation der Zigeuner
4.3. Zigeuner aus der Sicht der sesshaften Bevölkerung

5. Schlusswort

6. Bibliographie
6.1. Sekundärliteratur
6.2. Diverse

7. Anhang
7.1. Interviews mit der sesshaften Bevölkerung
7.1.1. Paul Flückiger
7.1.2. Daniel Glatz
7.1.3. Regula Schneider
7.1.4. Salome Bürgin
7.1.5. Matthias Rohner
7.1.6. Lukas Naef
7.1.7. Anne-Käthi Blatter
7.2. Interviews mit den Behörden
7.2.1. Hans-Peter Eugster, Kantonspolizei St.Gallen
7.2.2. Andrea Trösch, EJPD
7.2.3. Gemeinde Cazis
7.3. Interview mit der sesshaften Jenischen Uschi Waser
7.3.1. Akzeptanz und Stellung der Jenischen in der Schweiz
7.3.2. Kultur, Sprache und Traditionen der Jenischen
7.3.3. Sesshafte Jenische
7.3.4. Hilfswerk für Kinder der Landstrasse
7.4. Interview mit dem fahrenden Jenischen Robert Huber

1. Einleitung

Bereits vor einigen Jahren begannen mich die Zigeuner zu faszinieren. In den Ferien in Frankreich traf ich sie mehrmals auf Durchgangsplätzen und in Städten an. Auf die Zigeuner in der Schweiz wurde ich durch eine Radiosendung über das Hilfswerk „Kinder der Landstrasse“ und über das Jenische. Dieser Bericht einer Frau, welche damals mit ihrer Mutter vor der Polizei geflüchtet war, um nicht in ein Heim oder zu einer Pflegefamilie zu kommen, hatte mich bewegt und mein Interessen geweckt.

Um mein Wissen, welches von Vorurteilen geprägt war, zu korrigieren oder zu festigen, habe ich mich entschieden, meine Arbeit zu diesem Thema zu schreiben.

Diese Arbeit soll das Leben der Zigeuner in der Schweiz aufzeigen, das Wissen der sesshaften Bevölkerung über die Zigeuner verbessern und Vorurteile abbauen.

Die Informationen wollte ich vorwiegend von Zigeunern selbst erfahren und deshalb habe ich mit Frau Waser, Herrn Huber und Herrn Spichiger Kontakt aufgenommen. Es war sehr interessant, mit diesen Menschen zu sprechen, von denen ich und viele andere Sesshafte sehr wenig wissen.

In der folgenden Arbeit werde ich Ihnen meine Erkenntnisse aufzeigen.

2. Herkunft und Geschichte der Zigeuner

Im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen die drei Hauptgruppen Sinti, Roma und Jenische. Diese drei Minderheiten werden oft als „Zigeuner“ zusammengefasst. Jedoch gibt es speziell zwischen den Jenischen und den beiden anderen Gruppen grosse Unterschiede.

Der Ausdruck „Zigeuner“ wird verschieden erklärt. Einerseits waren „Zi-Gauner“ im Mittelalter umherziehende Gauner, für welche auch die Fahrenden dieser Zeit gehalten wurden. Anderseits wurden die Fahrenden von den Mohammedanern, welche diese als Kriegsgefangene verschleppten, „tschigan“ genannt, was „arme Leute“ oder „Habenichtse“ bedeutet. Auch kann die Bezeichnung „Athinganen“ der Ursprung des heutigen Wortes „Zigeuner“ sein. Sie stand für eine ketzerische Sekte, der die Fahrenden auf Grund der Wahrsagerei nahe gestellt wurden.[1]

Das Wort „Zigeuner“ gilt oft als Schimpfwort und daher wird lieber von „Fahrenden“ gesprochen. Nur noch ein kleiner Teil der Zigeuner lebt jedoch als Fahrende, welche von Ort zu Ort ziehen. Daher teilten die Schweizer Zigeuner der EKR (Eidgenössische Kommission gegen Rassismus) mit, dass sie das Wort „Zigeuner“ als Überbegriff vorziehen, insbesondere weil im Italienischen und im Französischen die Begriffe „Zingari“ und „Tsiganes“ unproblematisch sind.

2.1 Die Hauptgruppen der Zigeuner

2.1.1 Die Sinti und Roma

Die Sinti und Roma sind ein Volk ohne Staat, aber mit einer eigenen Sprache, Kultur und Geschichte. Man unterscheidet die Sinti, welche im 15.Jahrhundert nach Europa kamen, und die Roma, die im 19.Jahrhundet einwanderten. Diese zwei Gruppen haben jedoch eine gemeinsame Herkunft. Sie stammen aus dem Panjab, einem Gebiet im nordwestlichen Indien und östlichen Pakistan. Der Name Sinti wird von der indischen Provinz „Sind“ oder dem Fluss „Sindhu“ abgeleitet. Roma hat den Ursprung im Wort „Rom“, was „Mensch“ oder „Mann“ auf Romanes, der Sprache der Roma heisst.

Im 9. und 10.Jahrhundert verschleppten die Araber bei ihren Eroberungsfeldzügen die Bewohner des Panjab um diese als Soldaten gegen die oströmischen Legionen einzusetzen. Auch im 11. Jahrhundert brachten die Moslems über 500'000 Gefangene von den Feldzügen nach Hause. Als Soldaten, Gefangene oder Schutzsuchende folgten sie denn Heeren der Araber in den Westen. So kamen sie über Iran, Armenien, das Schwarze Meer bis in den Balkan und nach Russland. In Griechenland, Mazedonien, Rumänien und Serbien wurden sie als Sklaven verkauft und mussten in der Landwirtschaft arbeiten oder wiederum im Heer dienen.

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gelang es den ersten Sinti nach Zentraleuropa zu flüchten. Sie standen unter dem Schutz des Königs Sigismund, der ihnen einen Schutzbrief verfasste. Doch die Bevölkerung und vor allem die Kirche waren den Neuankömmlingen nicht gut gesinnt. 1496 und 1498 wurde der Schutzbrief für nichtig erklärt und es wurde angeordnet, dass alle „Zigeuner“ das Land innert drei Monaten verlassen. Danach wurden sie für vogelfrei erklärt. Diese Massnahmen wurden nicht nur im deutschen Reich angewendet, sondern die Zigeuner wurden in ganz Europa vertrieben, hingerichtet oder gefangen genommen, um im Krieg gegen die Türken eingesetzt zu werden.

Im 18.Jahrhundert wurde eine neue Strategie gegen das „Zigeuner-Problem“ entwickelt. Die Zigeuner sollten durch Drohungen dazu gebracht werden, Sesshafte zu werden. Die eigene Sprache, Ehen untereinander und die fahrende Lebensweise wurden verboten. Ihre Kinder wurden zu Adoption freigegeben, um sie vor dem „Zigeunerleben“ zu „schützen“. Da viele der Neuangesiedelten auf Grund ihres Berufes den Wohnort wechseln mussten, brachte dieses Verfahren jedoch auch keine Lösung. So wurden die Zigeuner an bestimmten Stichtagen an dem Ort, an dem sie sich gerade aufhielten zwangseingebürgert.

Nach dem Ende der Leibeigenschaft in Rumänien und Bulgarien und dem Beginn der Industrialisierung versuchten viele Roma ihr Glück im Westen. Bald jedoch entstand eine Konkurrenz zwischen den Händlern der Roma und der Sesshaften. Die Regierungen reagierten erneut mit Ausweisungen und Verhinderung der Arbeitstätigkeit. Die Zigeuner wurden genau registriert und erfasst. Diese Erfassung war die Grundlage für die Vernichtung der Sinti und Roma während des 2. Weltkrieges

2.1.2 Die Jenischen

Die Herkunft der Jenischen ist schwieriger zu verfolgen, als die der Sinti und Roma. Heute leben sie hauptsächlich in Süddeutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich. In der Schweiz leben ca. 35'000 Jenische.[2] Auch sie besitzen eine eigene Sprache, das Jenische. Jenisch bedeutet „der Eingeweihte“. Die Sprache diente als eine Art Schutz vor den Sesshaften. Das Jenische enthält Elemente des Deutschen, des Jiddischen, des Hebräischen und des Romanes.

Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung der Jenischen. Eine Erklärung ist, dass sie im 30 jährigen Krieg aus Randgruppen und Minderheiten entstanden, die sich zu einer Einheit mit eigenen Gesetzen und eigener Sprache zusammenschlossen.

Eine andere Theorie besagt, dass sie Nachkommen eines weissen Stammes aus Indien und von dort in den Westen geflohen sind. Sie sind über den Norden nach Europa eingewandert. Dies erklärt ihre Hellhäutigkeit im Gegensatz zu den Sinti und Roma. Viele der heute in Zentraleuropa lebenden Jenischen haben tatsächlich einige Generationen zuvor in den Ländern Nordeuropas gelebt. Jedoch ist es schwierig zu erklären, weshalb Flüchtlinge sich in sicheren Gebieten zur fahrenden Lebensweise entscheiden, wenn sie zuvor als Sesshafte gelebt hatten.

Auch die Meinung, dass die Jenischen aus der Vermischung von Sinti und Roma mit den Sesshaften entstanden sind, wird von einigen Tsinganologen gestützt.

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist die These, dass die Jenischen, wie auch die Sinti und Roma, aus Indien stammen und von dort in den letzten 500 bis 800 Jahren in Europa eingewandert sind, die fundierteste. Jedoch stellen die Jenischen selber nicht den Anspruch, eine wissenschaftlich korrekte Antwort zu finden, denn sie besitzen viele Legenden und Erzählungen, die ihnen aus der Vergangenheit berichten und ihnen mehr bedeuten.[3]

3. Kinder der Landstrasse

Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse wurde 1926 innerhalb der Stiftung Pro Juventute gegründet. Der langjährige Leiter und Mitbegründer Dr. Alfred Siegfried formulierte die Aufgabe des Hilfswerks folgendermassen: „Wer die Vagantität erfolgreich bekämpfen will, muss versuchen, den Verband des fahrenden Volkes zu sprengen, er muss, so hart das klingen mag, die Familiengemeinschaft auseinander reissen.“[4]

Die Massnahmen richteten sich also nicht gegen einzelne Individuen, sondern gegen die Kultur einer ganzen Minderheit, mit dem Ziel, diese zu zerstören. Die Idee der Minderwertigkeit des Fahrenden Lebensstils hat ihren Ursprung jedoch weder bei Alfred Siegfried, noch in der Zeit der Gründung des Hilfswerks. Bereits im 14. und 15. Jahrhundert, also in der Zeit der Kirchenspaltung, Pestwellen und weiteren Unruhen, versuchte man, die Gesellschaft durch Ordnungen und Vorschriften, zum Beispiel Zünfte oder standesgerechte Bekleidungsregelungen, unter Kontrolle zu halten. So entstand ein Gesellschaftsideal, welches das herumziehende Leben nicht beinhaltete. Diesen „fahrenden Leuten“ warf man vor, diese Ordnung zu stören. Man verdächtigte sie des Diebstahls, der Betrügereien und oft auch der Spionage. Und diese Denkweise hat sich bis ins 21. Jahrhundert gehalten.

3.1 Vorgehensweise des Hilfswerks

Da das Hilfswerk vor allem mit Jenischen Kontakt hatte, wird in dem folgenden Kapitel dieser Ausdruck verwendet.

Die Fahrenden wurden mit Hilfe von Umfragen bei Kantonen und Gemeinden systematisch erfasst. Ihre Kinder wurden durch die Polizei oder eine andere Behörde von den Eltern und oft auch von den Geschwistern getrennt und bevormundet, meist durch Siegfried persönlich. Die dazu benötigte Zustimmung durch die Fürsorgebehörde wurde in der Regel problemlos erteilt. Die teilweise bereits im Säuglingsalter von den Eltern getrennten Kinder, kannten ihre jenische Herkunft meist nicht, denn jeder Kontakt mit dem Elternhaus wurde vermieden.

Die jenischen Kinder wurden in Pflegefamilien, Waisenhäuser, Heimen, psychiatrische Kliniken, Erziehungs- und Strafanstalten platziert. Häufige Wechsel des Wohnortes waren keine Seltenheit und eine persönliche Beziehung zu den Pflegeeltern konnten nur wenige aufbauen. Ein Grund für die vielen Wechsel waren psychiatrische Gutachten, welche bei den meisten Betroffenen erstellt wurden und Siegfried ermächtigten, die Kinder in Anstalten und Kliniken einzuweisen. In diesen Gutachten tauchten oft Vermerke wie „dumm“, „Schwachsinn mittleren Grades“ oder „hereditär debil“ auf.[5] Opfer der Kindswegnahme berichten auch von physischem und psychischem Missbrauch durch Pflegeeltern oder Personal in den Heimen und Anstalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aus den Akten der Pro Juventute geht hervor, dass durch das Hilfswerk bis zu seinem Ende, 619 Kinder ihren Eltern entrissen wurden.[6] Diese Zahlt entspricht aber nicht der gesamten Zahl der Kindswegnahme, denn auch Behörden und andere Hilfswerke führten solche durch, wenn auch in kleinerem Masse. Unter der Leitung von Alfred Siegfried wurden am meisten Kinder aus dem familiären Umfeld entrissen. Die Zahl der bevormundeten Kinder nahm unter Clara Reust, der Nachfolgerin Siegfrieds, immer mehr ab.

Erst 1973, als der Journalist Hans Caprez im Beobachter eine Artikelserie über das Hilfswerk veröffentlichte, wurde Kritik laut und die Aktivität des Hilfswerkes wurde eingestellt.

Die Kultur der Fahrenden wurde zwar nicht vollständig zerstört, aber ihr wurde ein grosser Schaden zugeführt, von der sie sich bis heute nicht erholt hat.

3.2 Unterstützung und Finanzierung

Auf Grund von zwei Fürsorgefällen, welche Fahrende betrafen, wandte sich Bundesrat Giuseppe Motta persönlich an die Pro Juventute, und so kam es zur Gründung des Hilfswerks. Zudem sassen oft ehemalige Bundesräte im Stiftungsrat der Pro Juventute, was ihr den Anschein einer offiziellen nationalen Institution verlieh.

Die Behörden und die kommunalen Fürsorgestellen arbeiteten meist sehr eng mit dem Hilfswerk zusammen. Eine grosse Unterstützung waren auch die zahlreichen Kliniken und Psychiater, welche durch ihre Gutachten und Rassenlehren das Vorgehen des Hilfswerks ermöglichten.

Finanzielle Unterstützung erhielt das Hilfswerk einerseits vom Bund, welcher jährliche Subventionen in der Höhe von 10’000-15’000 Franken[7] zahlte und von Gemeinden, Kantonen, Stiftungen und Gönnern. Diese Spenden von Gönnern kamen vor allem von Lehrern und Pfarrern, welche die Lehren Siegfrieds unterstützen.

3.3 Aufarbeitung

Die Aufarbeitung dieses Stück Geschichte begann mit dem Artikel von Hans Caprez im Beobachter und dem damit verbundenen Ende des Hilfswerks. Nach 1973 meldeten sich erstmals Betroffene der Aktion zu Wort und eine Reihe von Autobiografien erschienen. Sie organisierten sich zum Beispiel in der Radgenossenschaft der Landstrasse[8] oder der Stiftung Naschet Jenische[9] und begannen sich zu wehren. 1986 entschuldigte sich Bundesrat Egli offiziell dafür, dass dem Hilfswerk Bundeshilfe gewährt wurde und ein Jahr später entschuldigte sich auch die Pro Juventute bei den Opfern. Den Betroffenen wurde Akteneinsicht gewährt sie erhielten Wiedergutmachungszahlungen.

Erst 1996 bewilligte der Bund eine wissenschaftliche Studie über die Aktion. Das Bundesamt für Kultur beauftragte Roger Sablonier, Walter Leimgruber und Thomas Meier, die Rolle des Bundes und der Pro Juventute zu untersuchen. 1998 wurde die Studie veröffentlicht und sowohl von Seiten der Jenischen als auch von Seiten des Bundes positiv aufgenommen. Nach einer Vernehmlassung unter den Kantonen waren viele bereit, eine erweiterte Studie zu unterstützen und den Zugang zu weiteren Dokumenten in bisher gesperrten Archiven zu gewähren.

Der Bund beteiligt sich finanziell an der Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“, welche sich für die Interessen der Fahrenden in der Schweiz einsetzt.[10]

Doch auch die Betroffenen selber müssen ihre persönliche Vergangenheit bewältigen. Mit der Akteneinsicht wurden sie mit ihrer Geschichte konfrontiert und konnten lesen, was alles über sie geschrieben wurde. Vielen fällt diese Bewältigung schwer und sie leiden noch immer unter der Aktion „Kinder der Landstrasse“.

Uschi Waser schrieb für den Kongress für Minderheiten in Toronto und Paris folgendes Gedicht:

Zigeuner – sprichst Du deine Sprache?

Hinter Mauern dringen Mutters Worte nicht

Zigeuner – hast Du Bruder und Schwester?

Aus Heimen und Anstalten lassen sich keine Bande knüpfen

Zigeuner – was fühlt Deine Seele?

Dass ich nicht Kind, sondern Dreck der Landstrasse war

3.4 Behandelt wie ein Stück Dreck – Die Geschichte von Uschi Waser

Uschi Waser wurde mit einem polizeilichen Transportbefehl von ihren Eltern weggenommen. Eine feste Heimat konnte sie nie richtig finden, denn oft wurde sie nach wenigen Wochen oder Monaten wieder in eine andere Institution gebracht oder konnte für kurze Zeit bei ihren Eltern wohnen. Bei diesen Versetzungen hatte sie und ihre Eltern nichts zu sagen, denn sie wurde von Dr. Siegfried bevormundet, wie auch viele andere „Kinder der Landstrasse“. In den Akten über Uschi Waser standen Vermerke wie: „ein neuer Ableger der Vagantität“ (unter 1 Jahr alt), „Hoffen wir, dass wir aus dem Kinde durch Erziehung ein nettes Menschenkind erhalten, trotzdem ich mich nicht etwa Illusionen hingeben will!“, „Ursula war so recht ein Bild einer argen erblichen Belastung“. In Schulen und Heimen erlebte sie offenen Rassismus gegen sie als Angehörige der Minderheit der Jenischen. Erst durch ihre Heirat mit 19 Jahren und dem damit verbundenen Wechsel des Nachnamens konnte sie sich ihrer Bevormundung und dem Rassismus (aufgrund des weniger typischen Namens) entziehen.

Bis zur Akteneinsicht dachte sie, dass ihre die Schuld an ihrem Leben in Heimen, Anstalten und Pflegefamilien hatte. Aber als sie die Akten über sich las, brach eine Welt für sie zusammen. Sie erkannte, dass nicht ihre Mutter die Hauptschuld trug, sondern sie auf Grund ihrer Herkunft „wie ein Stück Dreck“[11] behandelt worden war und sie für die betreuenden Personen meist nichts bedeutete. Es galt nur, „aus dem typischen Vagantenkind ein nettes Menschenkind zu machen“.[12]

Sie hatte nach der Akteneinsicht den Kontakt zu ihrer Mutter und ihren Geschwister wieder gesucht. Es war aber nicht möglich, nach einer Kindheit ohne Kontakt, diese Beziehung aufzubauen. Die Familie wurde im Sinne des Hilfswerks auseinander gerissen und eine Annäherung war nicht mehr möglich.

„Heimatloser als ich kann man nicht sein“ ist eine Zusammenfassung ihres Schicksals als Kind der Landstrasse.[13]

Heute ist Uschi Waser Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische, welche eine Beratungsstelle für Opfer des Hilfswerks „Kinder der Landstrasse“ anbietet und den Betroffenen in Fragen wie Akteneinsicht, Finanzen, Versicherung und Steuern weiterhilft. Die Beratung wird von der Pro Juventute unterstützt. Uschi Waser betreibt auch seit Jahren Öffentlichkeitsarbeit in Form von Vorträgen, Teilnahme an Podiumsdiskussionen und Aus- und Fortbildungsveranstaltungen. Sie steht heute zu ihrer Herkunft und kämpft für die Aufarbeitung des Unrechts, dass an den Kindern begannen wurde.

„Ich erwarte für die Kinder der Landstrasse von unserem Heimatland keine Strasse, die unseren Namen trägt, kein Gedenkstein für bereits verstorbene Opfer, kein Museum das unsere zerstörte Kultur wiederbelebt! Wir brauchen und wollen eine Rehabilitation, insbesondere eine Aktenberichtigung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen!“[14]

4. Aktuelle Situation der Zigeuner in der Schweiz

4.1 Sesshafte

4.1.1 Gründe für die Sesshaftigkeit

Die Zigeuner nennen jene, welche nicht als Fahrende umherziehen, sondern in einer Wohnung leben, Betonzigeuner oder wenn es sich um Jenische handelt Betonjenische. Nach Schätzungen leben in der Schweiz ca. 35'000 Jenische, 30'000 Roma und 5000 Sinti.3 Davon leben nur etwa 5000 als Fahrende.[15] Das ergibt eine erstaunliche Zahl, denn auf hundert Einwohner der Schweiz kommt mindestens ein Zigeuner. Die Zigeuner sind also nicht eine fremde Minderheit, mit der man keinen Kontakt hat, sondern man trifft sie in der Schule, im Restaurant oder beim Einkaufen. Nur entsprechen diese Menschen nicht den typischen Vorstellungen welche von den Zigeunern existieren, sondern sie leben unauffällig als Betonzigeuner. Doch weshalb leben viele Zigeuner nicht mehr als Fahrende und haben sich für das sesshafte Leben entschieden? Die Gründ liegen teilweise in der Vergangenheit, im politischen und wirtschaftlichen System und in der heutigen Gesellschaft.

4.1.1.1 Zwangseinbürgerung

Traditionell mussten die Zigeuner als verstecktes Volk ohne Heimat und ohne Papiere am Rande der Gesellschaft leben. Mitte des 19. Jahrhundert setzte der erst seit kurzer Zeit existierende Schweizer Staat eine Zwangseinbürgerung der Zigeuner durch. Sie hatten nun Papiere, Heimat- und Niederlassungsausweise. Ein Teil der Zigeuner ahnten, dass die mit der Einbürgerung einhergehende Zigeunerjagd nur der Anfang von weiteren Zwangsmassnahmen und Überwachungen waren und versuchten, sich der Einbürgerung zu entziehen. Doch viele, welche die Einbürgerung ungeschadet überstanden hatten, sahen diese neue Situation als Chance, denn sie konnten sich nun in Städten und Dörfern aufhalten und sogar Häuser mieten oder bauen. Es entstanden Baracken- und Hüttensiedlungen am Rand von Städten, in denen die Zigeuner unter sich, aber als Sesshafte lebten. Sie hatten nun eine bessere Lebenssituation und mussten nicht mehr mit dem ganzen Besitz herumziehen, sondern waren nur noch mit der Ausrüstung für die Arbeit unterwegs.

Diese neuen Möglichkeiten brachten den nun sesshaften Zigeunern aber mehr Probleme als dadurch gelöst wurden. Die Behörden konnten sich nicht vorstellen, dass sie durch ihre unregelmässige Arbeit ihren Unterhalt oder gar eine Miete finanzieren konnten. Zudem waren sie weder im Fabrik- noch im Zunftsystem eingebunden und gingen daher nicht einer „reglementierten Tätigkeit“ nach. Für dieses Vergehen wurden sie oft mit einer Strafe im Arbeitshaus bestraft. Die Kinder der Bestraften wurden als Knechte oder Mägde an Bauern gegeben. So wurden die Familien und Gruppen auseinander gerissen.

4.1.1.2 Schlechte Wohnbedingungen

Die fahrenden Zigeuner lebten früher in Zelten oder schlecht isolierten Wohnwagen. Sie beneideten die sesshaften Zigeuner, welche nicht umherziehen mussten, in einer einigermassen warmen Wohnung lebten und es wirtschaftlich zu etwas gebracht hatten. Diese Anreize führten dazu, dass viele Fahrende den Übergang zu Sesshaftigkeit als einen Aufstieg ansahen. Erst nach dem Ende des Hilfswerks stieg das Selbstbewusstsein der Fahrenden wieder und die Betonzigeuner waren es nun, die diese „richtigen Zigeuner“ beneideten.

4.1.1.3 Patentgesetze und Arbeitssituation

Bis Ende 2002 war das Patentwesen des Wandergewerbes, welches vor allem die Zigeuner betraf, kantonal geregelt. Das bedeutet, dass in jedem Kanton ein Patent gelöst werden musste, was mit beträchtlichen Kosten verbunden war.

Die Arbeitssituation für die traditionellen Berufe der Zigeuner hatte sich immer mehr verschlechtert. Früher arbeiteten sie als Kessel-, oder Schirmflicker, als Scheren- und Messerschleifer, Viehzüchter und in weiteren Nischenberufen. Heute ist es schwierig, mit diesen Berufen eine sichere Existenz aufzubauen und daher wichen viele auf Berufe aus, welche Sesshaftigkeit voraussetzten.

4.1.1.4 Hilfswerk für Kinder der Landstrasse

Die Kinder der Zigeuner wurden ihren Eltern, ungeachtet der familiären Verhältnisse, entrissen und bevormundet. So kamen die Kinder in sesshafte Pflegefamilien, Heime oder Anstalten und wuchsen dort auf. Man war darum bemüht, dass die Zöglinge möglichst keinen Kontakt zu den Eltern und Geschwistern hatten. So wussten sie oft nicht einmal, dass sie (meist) jenischer Herkunft waren und konnten sich mit dieser auch nicht identifizieren. Für sie war die sesshafte Lebensweise, in der sie aufgewachsen waren, natürlicher als die fahrende. Viele der Betroffenen lebten auch später als Betonzigeuner weiter oder verleugneten sogar ihre Herkunft, indem sie die Sprache und Tradition nicht mehr weitergaben und nutzten. Ihre schlechten Erfahrungen, die auf ihrer Herkunft gründeten, veranlasste sie nicht selten, sich möglichst unauffällig zu verhalten, damit niemand über ihre Vergangenheit Bescheid wusste und sie nicht nochmals mit rassistischen Reaktionen konfrontiert wurden.

Das formulierte Ziel des Hilfswerks hatte somit in vielen Fällen erfolgreich gehandelt: Die Kultur der Zigeuner wurde stark geschwächt und die Kinder ihrer eigenen Herkunft entfremdet.

4.1.1.5 Bildungs- und Alterssituation

Die Schulen sind verpflichtet, die Kinder der Zigeuner über den Winter in den Klassen aufzunehmen. In der Regel gibt es wenig Probleme, denn sie sind an der Bildung der Kinder interessiert. Während des Sommers zieht aber die ganze Familie durch das Land und den Kindern werden die Aufgaben nachgeschickt. Dadurch ist die Ausbildung nicht gleich gut gewährleistet wie wenn sie zur Schule gehen würden. Die Familien, bei denen die Bildung einen gewissen Stellenwert einnimmt, entscheiden sich oft für vorübergehende Sesshaftigkeit während der Schulzeit ihrer Kinder. Wenn die Jugendlichen ihre Berufsausbildung nicht bei den Eltern machen, erfordert dies, dass zumindest sie nicht umherziehen. Es ist jedoch zu erwähnen, dass die Bildung bei den Jenischen keine grosse Rolle spielt. Traditionell erlernen die Kinder den Beruf ihrer Eltern und geben diesen an ihre Kinder weiter.

Die Jenischen schieben ihre alten Gruppenmitglieder nicht in Altersheime ab, sondern versorgen und pflegen sie. Das Leben als Fahrende stellt aber gewisse Ansprüche an die Zigeuner und im Alter ist dieser Lebensstil nicht mehr für alle möglich. Ein Teil lässt sich für das ganze Jahr auf einem der Standplätze nieder, lebt dort in einer Baracke oder im Wohnwagen und wird von Angehörigen gepflegt. Die andere Möglichkeit ist, dass sie in ein Alters- oder Pflegeheim umziehen und so auch zu Betonzigeunern.

4.1.1.6 Stand- und Durchgangsplätze

Mit der Industrialisierung und dem Bevölkerungswachstum wuchsen Dörfer und Städte rasch an und neue Industriegebiet entstanden. Dadurch verloren die Zigeuner viele ihrer Standplätze an Stadträndern und an Flüssen. Das Land parzelliert in Bau-, Gewerbe- und Landwirtschaftszonen. Auf Bau- und Gewerbezonen war und ist es verboten zu campieren. Die Zigeuner können somit vielerorts nicht mehr legal anhalten.

Robert Huber, Präsident der Radgenossenschaft sagt: „Wir dürfen fahren, aber nicht anhalten“.[16]

Weil zu wenige Stand- und Durchgangsplätze vorhanden sind, und es Kantone gibt, die überhaupt keine Plätze zur Verfügung stellen, ist zu wenig Platz da, damit wieder mehr Zigeuner ihren traditionellen Lebensstil führen könnten.

4.1.1.7 Kommunikations- und Transportmittel

Heute ist es dank moderner Transportmittel möglich, Berufe auszuüben, die ein weites Einzugsgebiet voraussetzen. So wird das Umherziehen auf Grund der Arbeit nicht mehr notwendig. Ein sesshaftes Leben ist für sie bequemer und luxuriöser.

Das Natel und das Internet, welche auch bei den Zigeunern Einzug gehalten haben, lassen es zu, Geschäfte von einem Ort in der ganzen Schweiz oder sogar in der ganzen Welt abzuschliessen.

4.2 Fahrende

4.2.1 Lebensweise der Fahrenden

4.2.1.1 Traditionen der Zigeuner

Lagerfeuer und Musik

Eine wichtige Rolle spielt auch heute noch das Zusammensitzen am Lagerfeuer, das Musizieren und das Erzählen von Geschichten.

Die Fekkerchilbi

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Plakat 1982, aus Festführer „FekkerChilbi 2003“

Von Freitag bis Samstag nach Christi Himmelfahrt findet jedes Jahr die Fekkerchilbi in Gersau (Kanton Schwyz) statt. Ihren Ursprung hat die Fekkerchilbi in der Zeit nach der französischen Revolution. Der souveräne Freistaat Gersau wurde durch Napoleon in den Kanton Schwyz eingebunden und verlor dadurch das Recht, eine Landsgemeinde zu halten. Der Landtag wurde aber weiterhin gefeiert und viele Gauner und Zigeuner nahmen daran Teil und trugen zu diesem Ehren- und Jubelfest bei. So wurde die Fekkerchilbi ein wichtiger Bestandteil der Tradition der Zigeuner in der Schweiz.

Diese Tradition ist bis ca. 1830[17] dokumentiert und wurde erst 1982 mit der Jubiläumsveranstaltung „650 Jahre Gersau“ wieder aufgenommen. Rund 120 Jenische beteiligten sich an der nach 150 Jahren wieder eingeführten Fekkerchilbi. Es finden sich Messerschleifer, Korber, Kesselflicker, Wahrsagerinnen und vor allem Musiker ein, welche diesem Wochenende die richtige Atmosphäre verleihen. Sie bietet aber auch Platz für Begegnungen zwischen den zwei Kulturen und zwischen den verschiedenen Sippen der Zigeuner.

4.2.1.2 Sprache der Zigeuner

Dieses Kapitel beschränkt sich auf die Sprache der Jenischen, der grössten Gruppe in der Schweiz mit fahrender Herkunft. Der Ausdruck „Jenisch“ bedeutet „wissend, sehend“. Das Jenische existierte schon bevor die ersten Sinti und Roma aus dem Osten nach Europa kamen, hat sich aber immer weiterentwickelt und wurde nur den Angehörigen des eigenen Volkes weitergegeben. Im Jenischen sind Elemente aus dem Französischen, Italienischen, Hebräischen, dem Romanes und der Schweizer Mundart enthalten. Speziell an dieser Sprache ist, dass sie nur ca. 1000 eigene Wörter umfasst. Weitere benötigte Satzglieder werden aus der Sprache des Gastlandes entnommen. Es ist eine Sprache, welche sehr exakt und beschreibend ist und oft für ein deutsches Wort mehrere Ausdrücke kennt.

Sein Ursprung hat das Jenische als eine Geheimsprache. Die Fahrenden passten nicht in das Gesellschaftssystem der Sesshaften und lebten immer am Rande der Gesellschaft oder wurden verfolgt. Da war eine Sprache, welche nur von den Eigenen verstanden wurde, ein grosser Vorteil. Auf dem Markt konnte man handeln, ohne dass die Konkurrenz etwas verstand oder man erkannte sofort, wer zu den Jenischen gehörte. Die Sprache stärkte so den Zusammenhalt. Um diesen Schutz zu erhalten, wurden Wörter, welche von den „Buure“ (Sesshafte) übernommen wurden, durch neue ersetzt. So war zum Beispiel das Wort „Beiz“, das heute von den Sesshaften verwendet wird, ursprünglich ein jenisches Wort, wird aber von diesen nicht mehr verwendet.

Oft wurde das Jenische dem Rotwelsch gleichgesetzt, welches allgemein als Gaunersprache bekannt war. Doch bereits auf Grund des Namens, der aus dem Sanskrit, einer altindischen Sprache, stammt, ergibt sich ein klarer Unterschied zum Rotwelsch, welches germanischer Herkunft ist. Sicher gibt es aber Überschneidungen der Sprache, denn beide wurden von Randgruppen und auf der Landstrasse gesprochen. Beide enthalten Wörter aus den bereits erwähnten Sprachen.

Eine Rechtschreibung existiert im Jenischen nicht. Es wurde nur als gesprochene Sprache verwendet und deshalb gibt es auch keine Literatur in jenischer Sprache.

Heute hat die Geheimsprache nicht mehr diesen ursprünglichen Nutzen und wird deshalb von vielen Betonjenischen nicht mehr gepflegt. Zudem mussten die Siedlungen, in denen die Jenischen unter sich wohnten, den neuen Bauten weichen. So wurden diese kleine Gemeinschaften auseinander gerissen und das Jenische als Umgangssprache in der Nachbarschaft und Umgebung verlor an Bedeutung. Oft versuchen sie auch, sich möglichst unauffällig zu verhalten und sich bestmöglich in die Gesellschaft zu integrieren. Das bedeutete, dass sie ihre Sprache nicht mehr verwendeten.

Laut Marlis Eugster von der Radgenossenschaft sprechen ca. 10% der Jenischen ihre eigene Sprache. Dies entspricht ungefähr dem fahrenden Teil, welcher etwa 5000 Menschen umfasst. Sie wird aber auch noch von Betonjenischen gesprochen, welche ihre Tradition und Sprache pflegen.

Inzwischen hat der Bund das Jenische als „nicht territorialgebundene Sprache“ anerkannt und das Bundesamt für Kultur setzt sich für dessen Erhaltung und Förderung ein.

4.2.1.3 Berufe der fahrenden Zigeuner

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Clemente Graff, Festführer „FekkerChilbi 2003“

Früher waren die fahrenden Zigeuner als Kessel- und Schirmflicker, Scheren- und Messerschleifer, Schauspieler, Pferdezüchter, Korbflechter, Bürstenmacher, Gerber, Schmiede, Verzinner, Geigenbauer, etc. unterwegs. Das waren alles Nischenberufe und erforderte, dass die Berufstätigen umherzogen. Viele der Berufe werden heute auch von den Sesshaften ausgeführt oder finden nicht mehr genügend Kundschaft.

So mussten neue Arbeiten gefunden werden. Heute leben die Zigeuner vom Antiquitäten- und Alteisenhandel, von Restauration, Renovation, vom Messer- und Scherenschleifen, Hausieren, vom Immobilienhandel und der Gartenpflege. Natürlich sind sie auch in anderen Berufen anzutreffen.

4.2.1.4 Bedeutung von Familie und Gemeinschaft

Menschen, welche aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auf Reisen gehen können, werden nicht ausgeschlossen und in ein Altersheim gebracht, sondern von den Familien gepflegt und umsorgt. So können sie weiter in ihrer Kultur und Gemeinschaft leben. Meist sind die Zigeuner in Gruppen unterwegs und leben auch auf den Durchgangs- und Standplätzen zusammen.

Diese zwei Beispiele zeigen auf, dass die Familie und die Gemeinschaft bei den fahrenden Zigeunern eine sehr grosse Bedeutung haben.

Auch jene Zigeuner, welche sesshaft wurden, pflegten zu Beginn diesen Gemeinschaftssinn. Am Stadtrand lebten sie in Baracken- oder Hüttensiedlungen unter sich und konnten so ihre Traditionen weiter wahren. Diese Siedlungen mussten aber immer mehr den modernen Neubauten weichen und so wurden diese Menschen verdrängt und in alle Richtungen verstreut.

Ein weiterer Einschnitt in diese Kultur der Gemeinschaft war das Hilfswerk für Kinder der Landstrasse. Dadurch wurden, wie bereits beschrieben, hunderte von Familien auseinander gerissen und konnten teilweise trotz beidseitigem Bemühen nicht mehr zusammengeführt werden. Einerseits blieb die Vorstellung, dass die Kinder von den Eltern weggegeben wurden auch nach der Akteneinsicht bestehen und anderseits wurden bei einer Wiedervereinigung falsche Erwartungen gestellt: Von den Eltern wurde erwartet, dass sie diese nun erwachsenen Kinder, welche sie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatten, plötzlich als ihre Kinder lieben und von den Kindern wurde erwartet, dass sie den Eltern, welche sie vielleicht zum ersten mal sahen, sofort ihr Vertrauen entgegen bringen. So wurden Eltern und Kinder gegenseitig noch weiter entfremdet und durch diese Konflikte der Kontakt teilweise ganz abgebrochen.

4.2.1.5 Rollenaufteilung in der Familie

Die Familie scheint gegen aussen sehr patriarchalisch organisiert zu sein. In der Geschäftsleitung und im Verwaltungsrat der Radgenossenschaft sind beispielsweise keine Frauen vertreten.

Doch der Schein trügt. Die Männer vertreten zwar die Familie und auch ihre Kultur gegen aussen hin und treten als Oberhaupt auf, aber innerhalb der Familie ist es die Frau, welche die Entscheidungen trifft.

Auch gegen aussen wird die Rolle der Frauen immer mehr gestärkt, denn auch sie arbeiten und tragen so einen beträchtlichen Teil zum Lebensunterhalt bei.

4.2.1.6 Religion der Zigeuner

In der Schweiz gehören die meisten Zigeuner der katholischen Konfession an. Sie haben teilweise eigene Schutzheilige und Zeremonien. Regelmässig werden Wallfahrten, zum Beispiel nach Einsiedeln oder Saintes-Maries de la Mer in Südfrankreich, gemacht, wo sich vor allem Sinti und Roma treffen.

Uschi Waser sagte aber, dass die Religion bei den Jenischen in der Schweiz keine grosse Rolle mehr spielt.[18]

4.2.2 Integration in den schweizerischen Bundesstaat

4.2.2.1 Staatsangehörigkeit

Jahrhunderte lang lebten die Zigeuner als Papierlose und waren dadurch gegen keinerlei Übergriffe der Landjäger (Polizisten) oder der sesshaften Bevölkerung geschützt. Um diesen Schutz zu erlangen, versuchten sie, beim jeweiligen Papst oder König vorzusprechen und diesen um Papiere zu bitten, meist aber ohne Erfolg. Nach der Gründung des schweizerischen Bundesstaates 1845 änderte sich die Situation plötzlich. Es wurde eine nationale Zwangseinbürgerung durchgeführt. Man wollte erreichen, dass alle Zigeuner in einer Gemeinde eingeschrieben waren. Von den meisten Zigeunern wurden diese Papiere auch begrüsst, aber einige sahen bereits die damit verbundene Kontrollierbarkeit, welcher sie nun ausgesetzt waren und versuchten zu fliehen. Um auch diese einzubürgern, wurden verschiedene Zigeunerjagden durchgeführt, bei denen nicht selten auch Menschen umkamen.

4.2.2.2 Arbeitssituation

Folgender Gesetzestext steht im Bundesgesetz über das Gewerbe der Reisenden:

Bewilligungspflicht[19]

1 Eine Bewilligung der zuständigen kantonalen Behörde braucht, wer gewerbsmässig:

a. Konsumentinnen oder Konsumenten Waren zur Bestellung oder zum Kauf anbietet, sei es im Umherziehen, durch das ungerufene Aufsuchen privater Haushalte oder durch den Betrieb eines befristeten Wanderlagers im Freien, in einem Lokal oder von einem Fahrzeug aus;
b. Konsumentinnen oder Konsumenten Dienstleistungen jeglicher Art anbietet, sei es im Umherziehen oder durch das ungerufene Aufsuchen privater Haushalte;
c. ein Schaustellergewerbe oder einen Zirkus betreibt.

2 Der Kanton bestimmt die zuständige Behörde.

Erteilung der Bewilligung[20]

1 Die zuständige kantonale Behörde erteilt die Bewilligung, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 4 oder 5 erfüllt sind. Die Bewilligung wird in der Form einer Ausweiskarte erteilt; ausgenommen davon ist die Bewilligung für das Schausteller- und Zirkusgewerbe.

Diese zwei Auszüge aus dem Bundesgesetz zeigen, dass fahrende Zigeuner eine Bewilligung, auch Arbeitspatent genannt, lösen müssen, um ihren Berufen nachzugehen. In Art. 7 steht, dass diese Bewilligungen von den Kantonen erteilt werden. Das bedeutet, dass die Zigeuner in jedem Kanton, in welchem sie tätig sind, ein Patent lösen müssen. Diese sind ziemlich teuer. Diese Regelung führt zu einer Doppelbesteuerung, denn durch die Gebühren zahlen sie indirekt ihre Steuern. Zusätzlich bezahlen sie für das Einkommen, welches sie in der Steuererklärung angegeben, nochmals Steuern.

Ab dem 1. Januar 2003 ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, welches dem Fahrendengewerbe grosse Vorteile bringt. So sind die Bewilligungen jetzt nicht mehr kantonal geregelt und gelten in der ganzen Schweiz. Zudem ist die Bewilligungsdauer auf 5 Jahre erhöht worden und verringert somit die Kosten und den administrativen Aufwand erheblich.[21]

Laut der Radgenossenschaft wird aber eine komplette Aufhebung dieser Patentpflicht weiterhin diskutiert, auch wenn diese Gesetzesänderung bereits grosse Vorteile mit sich bringt.

4.2.2.3 Bildungssituation der Kinder und Jugendlichen

Die Kinder der fahrenden Zigeuner sind, wie auch die Sesshaften, schulpflichtig. Über die Wintermonate, welche sie auf dem Standplatz der Gemeinde verbringen, in welcher sie ihre Papiere deponiert haben, gehen sie zur Schule. Während der Zeit des Umherziehens bekommen sie ein Dispens und das Schulmaterial wird ihnen nachgeschickt. Sie erledigen ihre Aufgaben individuell. Da aber die Bildung bei den Zigeunern keinen hohen Stellenwert hat, werden die Schularbeiten während des Sommers oft vernachlässigt.

Nach dem Ende der obligatorischen Schulpflicht werden die Jugendlichen meistens in den Beruf ihrer Eltern eingeführt. Auch hier wird oft die Wichtigkeit einer diplomierten Ausbildung für die Zukunft noch nicht erkannt.

4.2.2.4 Staatliche Verpflichtungen und Versicherungen

In diesem Bereich gelten für die Zigeuner dieselben Bestimmungen, wie für alle Einwohner der Schweiz. Sie müssen bestimmte Versicherungen haben, sie bezahlen Beiträge an die AHV, IV, etc. und sie versteuern ihren Besitz und ihr Einkommen. Da in den meisten Fällen das Einkommen nicht sehr hoch ist, sind diese Beiträge entsprechend klein. Die Steuern werden in der Gemeinde, in welcher sie ihre Papiere deponiert haben, bezahlt.

Auch Heirat, Geburt, Scheidung, etc. werden auf dieser Gemeinde registriert.

Militärtaugliche junge Männer sind verpflichtet, ihren Militärdienst zu leisten.

4.2.2.5 Stand- und Durchgangsplätze

Auf Grund der Parzellierung gibt es nur sehr wenig Platz für die Zigeuner.

Im Winter leben sie auf Standplätzen ihrer Gemeinde. Auf diesen Plätzen wohnen sie meist in festen Baracken oder Hütten, welche mehr Komfort als die Wohnwagen bieten. Die Plätze werden von den Kantonen oder Gemeinden zur Verfügung gestellt und bieten den Zigeunern Wasser- und Stromanschluss, sanitäre Anlagen und Abfallentsorgung. Solche Plätze gibt es zum Beispiel in Will, Zürich, Bern und im Kanton Graubünden, denn dort sind viele Zigeuner eingebürgert worden und deshalb ist die Akzeptanz relativ hoch.[22]

Vom April bis Oktober reisen sie von Ort zu Ort. Das ist abhängig von der Arbeit, von den Durchgangsplätzen, welche zur Verfügung stehen und von der Schule für die Kinder. Auf den offiziellen Durchgangsplätzen dürfen sie höchstens einen Monat bleiben, dann müssen sie weiterziehen. Die Infrastruktur, welche hier bereitgestellt wird, ist meist sehr schlecht oder existiert gar nicht.

Die 1997 vom Bund gegründete Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“ und die Radgenossenschaft setzten sich für neuen Lebensraum für die fahrenden Zigeuner ein und vermittelt zwischen Behörden und Zigeunern.[23]

4.2.2.6 Rechtliche Situation der Zigeuner

Bundesverfassung Art.8

2 Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderungen.

Die Zigeuner wurden vom Bund als „nichtterritoriale Minderheit“ anerkannt und ihnen wurde Schutz und Förderung ihrer Kultur zugesprochen. Auch eine direkte politische Mitsprache wird immer wieder diskutiert, denn mit ca. 70'000 bis 80’000 Personen3 ist diese Minderheit von der Anzahl her grösser als die Bevölkerung der Kanton Uri, Ob- und Nidwalden, Glarus, Appenzell und Jura. Es ist jedoch zu erwähnen, dass ein grosser Teil dieser Jenischen, Sinti und Roma nicht mehr als Fahrende leben.

4.3 Zigeuner aus der Sicht der sesshaften Bevölkerung

Ich habe eine Umfrage über die Meinung der sesshaften Bevölkerung über die Zigeuner durchgeführt. Im folgenden Kapitel werde ich diese Antworten kurz aufzeigen und zusammenfassen.

Zigeuner, in der Schweiz vorwiegend Jenische, werden von allen Befragten auf die Fahrenden beschränkt, die nur ca. 10-15% aller in der Schweiz lebenden Zigeuner ausmachen. 16

Mehrheitlich werden sie als eine Bevölkerungsgruppe definiert, welche im Verband von Ort zu Ort reist, in Wohnwagen oder Wohnmobilen lebt und Gelegenheitsarbeiten nachgeht. Sie kommen aus Osteuropa oder Spanien und haben keine eigentliche Nationalität, denn sie bleiben nicht lange am gleichen Ort. Ihr Lebensstandard wird im Allgemeinen als einfach eingestuft. Die Zugfahrzeuge und Wohnwagen jedoch werden in der Regel als luxuriös wahrgenommen.

Einige Befragte hatten Kontakt mit dem fahrenden Teil der Zigeuner, zum Beispiel an der Haustür als Messer- und Scherenschleifer, Kesselflicker oder Hausierer, jedoch wird nur vermutet, dass es Zigeuner waren. Vereinzelt sind Durchgangsplätze oder Standplätze bekannt, auf denen schon Zigeuner gesehen wurden. Mehrheitlich werden aber Begegnungen mit Zigeunern vor allem im Ausland (Spanien, Frankreich, Deutschland, Ungarn) angegeben oder auch Strassenmusikanten, die auf die Befragten den Eindruck von Zigeunern machten.

Alle Befragten wiesen den Zigeunern Eigenschaften zu, welche sie als typisch ansehen. Sie haben meist schwarze Haare, eine etwas dunklere Hautfarbe, wildes Aussehen und einfache Kleidung. Auch sind sie lebensfrohe Menschen, welche die Freiheit lieben und wie bereits erwähnt umherziehen. Die Musik und die Fröhlichkeit werden als wichtige Bestandteile des fahrenden Lebens angegeben. Ihr Auftritt und ihre Kommunikation mit anderen Menschen wird teilweise als forsch oder sogar frech beschrieben. Die Jahrhunderte alte Meinung, dass Zigeuner betrügen und stehlen ist auch heute noch aktuell. Sie gründet teilweise auf der Vorstellung, dass die PS-starken Autos und die neuen Wohnwagen unmöglich durch das Einkommen der Arbeit, welcher die Zigeuner nachgehen, finanziert werden können.

Über die Geschichte und Kultur der Zigeuner ist nur wenig Wissen vorhanden. Erwähnt wird einmal, dass die Zigeuner, vor allem die Roma, während des 2. Weltkrieges von den Nationalsozialisten, wie die Juden, verfolgt und umgebracht wurden. Die Familie und die Gemeinschaft werden als wichtig angegeben, wobei diese sehr stark hierarchisch gegliedert sei und ein Oberhaupt an der Spitze stehe. Es wird einerseits erwähnt, dass sie die jeweilige Sprache des Gastlandes sprechen und anderseits, dass sie vor allem Italienisch, Romanisch oder Urdialekte sprechen. Die Sprache Jenisch ist aber als solche nicht bekannt.

Auf die Frage, ob sie einen Standplatz in ihrer Gemeinde befürworten würden antwortete die Mehrheit der Befragten mit ja. Solange sich die Zigeuner an die auch für Sesshafte geltenden Gesetze und Vorschriften halten, wären sie nicht störend oder hätten sogar eine gewisse Attraktivität, denn man würde so mehr über sie erfahren.

Ablehnende Antworten werden begründet mit der Ansicht, dass die Zigeuner stehlen, mit den für die Gemeinde entstehenden Kosten durch Bereitstellen der Infrastruktur, mit den geringen Steuereinnahmen für die Gemeinde und Zeitungsberichten über in Unordnung verlassene Plätze und Konflikte mit der Polizei und den Behörden.

Hans-Peter Eugster vom Mediendienst der Kantonspolizei St.Gallen sagt, dass die Polizei jedoch vor allem Kontakt mit ausländischen Zigeunern hat, denn diese verkaufen schlechte Ware zu überteuerten Preisen und hinterlassen die Plätze in schlechtem Zustand. Weiter sagt er, dass der den Zigeuner anhaftende Ruf des Stehlens, statistisch nicht belegt werden kann.

Das Hilfswerk für Kinder der Landstrasse der Pro Juventute ist bei den jüngeren Befragten nicht bekannt. Bei dem Befragten, welcher die Zeit des Hilfswerk erlebt hatten, ist ein gewisses Verständnis für die Kindswegnahmen in einzelnen problematischen Fällen vorhanden, aber keinesfalls für das Ziel, eine Kultur auszulöschen. Aus der Sicht der Fürsorge hätten die Kinder mit schwierigem Elternhaus nicht in sesshaften Familien, sondern auch in fahrenden Familien untergebracht werden müssen. Schwerwiegend sei, dass sie Kinder als minderwertig behandelt und oft misshandelt wurden.

Ganz im Gegensatz zu dieser Antwort sagt eine weitere Person, dass es sich um ein Wiedergutmachungsprojekt der Politik gegenüber den Zigeunern im 2. Weltkrieg und der Nachkriegszeit handeln würde.

Für viele Befragte ist die Freiheit des Umherziehens und das natürliche Leben ohne grossen Luxus etwas Faszinierendes. Vor allem die Jüngeren sehen im Leben ohne festen Wohnsitz etwas Positives und es stellt für sie die Unabhängigkeit dar. Dennoch bevorzugen die Meisten ein sesshaftes Leben, denn die Arbeit und die Schule sind geregelt, man weiss, wo man hingehört und das sesshafte Leben erscheint ihnen bequemer.

5. Schlusswort

Wie für die meisten Schweizer waren für mich die Zigeuner ein umherziehendes Volk, das die Gemeinschaft am Lagerfeuer liebt und mit dem ich eigentlich keinen Kontakt hatte. Meine Vorstellungen waren also geprägt von vielen Klischees.

Im Verlauf meiner Arbeit hat sich dieses Bild stark verändert und ich habe die Zigeuner als eine schweizerische Minderheit kennen gelernt, welche zum grössten Teil unauffällig unter uns lebt.

An dieser Minderheit wurde im letzten Jahrhundert sehr viel Unrecht getan, aber sie hat sich trotzdem bis heute behauptet und viele Zigeuner, insbesondere Jenische, stehen heute wieder zu ihrer Herkunft.

Besonders jene, welche ihre traditionelle fahrende Lebensweise wieder pflegen, benötigen Unterstützung in Form von Stand- und Durchgangsplätzen. Nur so kann diese wertvolle Kultur aufrechterhalten werden.

Es gilt also, die bestehenden Vorurteile zu überwinden und auf die Zigeuner zuzugehen. Bei meinen Recherchen habe ich erlebt, wie gerne sie bereit sind, über ihre Geschichte, Kultur und Lebensweise zu sprechen und wie sie sich über Interessen freuen.

Nur so werden sie auch weiterhin ihre Sprache, ihre Kultur und ihren Lebensstil ausleben können und so zur Vielfältigkeit unseres Landes beitragen.

6. Bibliographie

6.1 Sekundärliteratur

- Becker, Helena Kanyar, Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz, Basel, 2003.
- Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, TANGRAM Bulltin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus 3, 1997.
- Hungerbühler, Regula, Fahrende in der Schweiz: Aussenseiter unter Etablierten, Zürich, 2003.
- Liégeois, Jean-Pierre, Die schulische Betreuung ethnischer Minderheiten: Das Beispiel der Sinti und Roma, Luxemburg, 1988.
- Liégeois, Jean-Pierre, Roma, Sinti, Fahrende, Berlin, 2002.
- Tebbutt, Susan, Sinti und Roma in der deutschsprachigen Gesellschaft und Literatur, Frankfurt am Main, 2001, 7.
- Walder, Urs, Nomaden in der Schweiz, Zürich, 1999.
- Weyrauch, Walter O., Das Recht der Roma und Sinti: ein Beispiel autonomer Rechtsschöpfung, Frankfurt am Main, 2002

6.2 Diverse

- Dokumentation der „Radgenossenschaft der Landstrasse“, http://www.radgenossenschaft.ch
- http://www.fahrende.ch/UEKBericht.htm
- http://www.fahrende.ch/hilfswerk.html
- http://www.jenische.ch
- http://www.thata.ch/jenische.htm
- http://www.uni-bamberg.de/ppp/ethnomusikologie/SintiRomaMus1
- http://www.naschet-jenische.ch
- http://www.jenische.ch/wer_sind _sie_wirklich.htm
- http://home.balcab.ch/venanz.nobel/austellung/herkunft.htm
- http://www.jenische.ch/jenische_die_jenischen_sind_ein.htm
- Festzeitschrift „Fekker Chilbi 2003“, Gersau, 2003

7. Anhang

7.1 Interviews mit der sesshaften Bevölkerung

1. Gibt es aus Ihrer Sicht noch fahrende Zigeuner in der Schweiz?
2. Was verstehen Sie unter dem Begriff „Zigeuner“? Gibt es verschiedene Zigeuner?
3. Hatten Sie schon einmal Kontakt mit Zigeunern?
4. Gibt es für Sie typische Eigenschaften, welche sie mit den Zigeunern verbinden?
5. Was wissen Sie über die Zigeuner, über ihre Kultur, über ihre Sprache?
6. Würden Sie es befürworten, wenn an ihrem Wohnort ein Standplatz für Zigeuner entstehen würde?
7. Wenn „nein“, welche Befürchtungen haben sie?
8. Welchen Lebensstandart haben die Zigeuner aus Ihrer Sicht in der Schweiz?
9. Was wissen Sie über das Projekt von ProJuventute „Kinder der Landstrasse“?
10. Fasziniert Sie das Leben der fahrenden Zigeuner? Weshalb? [24]

7.1.1 Interview mit Paul Flückiger

1. Ja, das gibt es noch in der Schweiz

2. Ich verstehe darunter Menschen, die eine eigene Kultur haben, die sich zum Teil abhebt von der Kultur des Gastlandes. Sie sind als ein Verband oder Gruppe unterwegs mit ihren Autos und Wohnwagen. Sie bleiben dann einige Tage am gleichen Ort und ziehen dann weiter. Sie sind hierarchisch organisiert: Häuptling und Stammesmutter.

Es gibt verschiedene Abweichungen, aber das Gemeinsame ist, dass sie nicht sesshaft sind. Sie gelten als lebensfroh.

3. Nie mit einer ganzen Gruppe, sondern nur mit Einzelpersonen als Antiquitätenhändler, Kesselflicker, Scherenschleifer oder Schirmflicker.

4. Lebensfrohe Menschen, harte hierarchische Ordnung.

Man sagt ihnen nach, dass sie stehlen und betrügen. Aber gerade das finde ich eine problematische Festlegung. Ich habe in dieser Hinsicht überhaupt keine Erfahrung.

Sie sind nicht sesshaft, eben Fahrende.

Die Männer begegnen einem sehr forsch, fast etwas frech.

5. Ein festes, sicheres Wissen fehlt mir.

6. Vom Gesichtspunkt aus, dass alle Menschen gleichwertig sind und Anrecht haben auf Lebensraum, möchte ich das für diese Menschen wünschen. Nun gibt es leider ein „Aber“ und das sind die negativen Erfahrungen, die die Gemeinden immer wieder machen. An dieser Problematik müsste noch gearbeitet werden um miteinander ein Einvernehmen zu finden.

7. Meine Antwort lautete Ja-aber. In Zeitungsberichten wird meistens nur von negativen Erfahrungen berichtet.

Ablehnung verschärft sicher den Konflikt.

Um eine gute Regelung zu finden, braucht es viel gegenseitige Bereitschaft, wirklich aufeinander einzugehen. Hier ist meiner Ansicht nach das grosse Problem. Wer aber nichts damit zu tun hat, kann das auch nicht beurteilen.

8. Nach den Autos und Wohnwagen, die sie benutzen, hat man den Eindruck, dass sie gar nicht so schlecht leben. Aber auch hier ist das bloss eine Beurteilung von aussen. Eine wirkliche Kenntnis fehlt mir auch in diesem Punkt.

9. Das ist für mich ein ganz heikles Kapitel. Einerseits verstehe ich aus meiner persönlichen Erfahrung die Motive der Verantwortlichen der ProJuventute. Was wohl aber sicher falsch war, die Eingliederung in eine bürgerliche (sprich sesshafte) Familie sei von vornherein für die Kinder besser.

Leider zeigte ja die Erfahrung, dass die Kinder teilweise schwer litten und als minderwertig behandelt wurden und teilweise auch sexuell und auf andere Weise missbraucht wurden. Da fehlte es an der Kontrolle und ist ein trauriges Kapitel.

10. Eigentlich fasziniert mich das Leben der Zigeuner nicht.

Die Faszination geht meiner Ansicht nach von der Sehnsucht nach einem ungebundenen Leben aus. Aber dieses ungebundene Leben ist anderseits auch eine Belastung und ist eben gar nicht so romantisch.[25]

7.1.2 Interview mit Daniel Glatz

1. Ja
2. Sie werden auch Fahrende oder Jenische genannt. Es gibt Zigeuner verschiedenster Herkunft von Spanien bis Ungarn.
3. In der Schweiz nicht, aber in Spanien.
4. Flamenco in Spanien, Freiheitsliebe, Tanz, Leidenschaft, Mercedes-Besitzer
5. Relativ wenig. Familienbezogene Kultur, Sprache gemäss Land, eine Art „König vorhanden (aber, so glaube ich, nur in best. Regionen)
6. Nein
7. Es ergeben sich Abfallprobleme, Kosten für die Infrastruktur und wenig Steuer-Einnahmen.
8. Guter Standart, die Wohnmobile sind nicht unkomfortabel. Glaube nicht, dass man als Zigeuner wirklich viel verdienen kann.
9. Wiedergutmachung der Politik gegenüber den Zigeunern in der Schweiz während und nach dem Krieg.
10. Nein

Bin gerne sesshaft, weil man so weiss, wo man hingehört. Das fahrende Leben ergibt viele Probleme (Schule, Erwerbstätigkeit, …)[26]

7.1.3 Interview mit Regula Schneider

1. Ja, denke schon.
2. Zigeuner sind „herumfahrendes Volk“, es gibt verschiedene solche Völker, vielleicht solche im Mittelmeerraum, etc.
3. Nur dass ich weiss, dass in Reinach BL, wo ich aufgewachsen bin, immer wieder welche vorübergehend „wohnrecht“ hatten auf einem Platz an der Birs.
4. Ja, schwarze Haare, dunkler Teint, wildes Äusseres und orientalische, einfache Bekleidung. Sie sind meistens fröhliche, musikalische und handelsfreudige Menschen.
5. Nicht viel, ausser das sie herumziehen.
6. Ja klar, solange sie sich an die Regeln halten, wie die anderen Menschen auch vor Ort, fände ich es in Ordnung.
8. Ich denke, in den Städten, in denen die Zigeuner willkommen sind, haben sie bestimmt keinen schlechten Standard. Da wo sie unbeliebt und nicht gewollt sind, da geht es ihnen bestimmt schlecht.
9. Eigentlich gar nichts.
10. Ja, das Leben fasziniert mich schon sehr. Weil es etwas Wildes, Freies an sich hat. Sie müssen sich nicht auf einen Ort festlegen.[27]

7.1.4 Interview mit Salome Bürgin

1. Ja
2. Eine Gruppe von Menschen, welche keinen festen Wohnort haben und sich selbst beschäftigen.
Es gibt sicher verschiedene Zigeuner aber wie sie sich genau unterscheiden weiss ich nicht.
3. Ja, an der Haustüre fragten sie ob sie unsere Messer schärfen könnten.
5. Sie leben sehr stark in ihren Familienbanden und sprechen häufig romanisch, italienisch oder Urdialekte.
6. Ja, solange sie sich nicht störend und aufdringlich benehmen, wäre es mir egal. Sie sollten sich einfach an die gleichen Regeln halten wie wir uns auch tun.
9. Nichts
10. Ja, weil es so aussieht, dass sie mit ihrem Lebensstil zufrieden sind und sie recht naturgetreu leben, ohne grossen Luxus.[28]

7.1.5 Interview mit Matthias Rohner

1. Ja, ich denke schon.
2. Für mich ist der Begriff „Zigeuner“ gleichbedeutend wie „Fahrende“. Das heisst, ich verstehe darunter Menschengruppen ohne festen Wohnsitz, die nicht lange am gleichen Ort bleiben. Wahrscheinlich gibt es darunter auch solche, die keine eigentliche Nationalität besitzen. Von den Zigeunern als spezielle Gruppe ist mir das Volk der Roma bekannt.
3. Nein. Ich habe sie nur schon auf dem Bahnhofgelände Wattwil gesehen und als Strassenmusikanten, von denen ich vermutete, sie seien Zigeuner.
4. Die Eigenschaften und Assoziationen, die mir beim Wort „Zigeuner“ in den Sinn kommen, sind wohl ziemlich klischeebehaftet: Sie haben Gelegenheitsjobs, kommen oft aus den Balkanländern (z.B. Ungarn), spielen Geige.
5. Nicht viel. Ausser dass das Volk der Roma und die Fahrenden im Allgemeinen im zweiten Weltkrieg von den Nazis verfolgt wurden, genauso wie die Juden. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Zigeuner einen gewissen Stolz haben und vielleicht auch eigensinnig sind.
6. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich denke, man könnte es ausprobieren. Die Zigeuner müssten sich aber an gewisse Regeln halten und dürften nicht negativ auffallen. Wenn dies geschehen würde, wäre ich bereit, den Standplatz wieder zu schliessen. Ansonsten denke ich, es wäre nicht so ein grosses Problem für mich, so einen Standplatz einzurichten.
8. Nicht gerade den höchsten, denke ich. Aber verglichen mit den Roma in Ostdeutschland, denen ich in meinen Ferien in der Slowakei begegnete, dürften sie einen gehobenen Lebensstandart haben.
9. Nicht mehr als man aus dem Titel der Projekts schliessen könnte.
10. Ich finde es eine herausfordernde und irgendwie bewundernswerte Art zu leben, wenn man ohne Gesetze zu übertreten so leben kann. Für mich persönlich wäre dies allerdings nichts, da ich nicht der Typ dazu bin und eigentlich die „Sesshaftigkeit“ bevorzuge.[29]

7.1.6 Interview mit Lukas Naef

1. Nein, habe ich noch nie gesehen.
2. Ja es gibt verschiedene Zigeuner. Ich verstehe darunter einfach Leute, die umherziehen und daher keinen festen Wohnort haben.
3. Kontakt nein, ich habe nur schon einige in Frankreich gesehen.
4. Nein ich nicht, aber ich habe schon mal gehört, dass sie klauen würden. Na ja, ich denke, das ist halt einfach so ein Vorurteil.
5. Ich weiss, auch von dir, dass sie eine eigene Sprache haben, sonst ausser dem unter 2. eigentlich nichts.
6. Wenn das Gerücht, dass sie stehlen würden, nur ein Vorurteil ist: klar, wieso nicht?
8. Ich denke, eher einen niedrigen.
9. Nichts
10. Vielleicht wegen der gewissen Freiheit, aber ich würde mich, wenn ich wählen könnte, trotzdem für mein eigenes Leben entscheiden.[30]

7.1.7 Interview mit Anne-Käthi Blatter

1. Ja, das sicher, aber wahrscheinlich nicht mehr so viele. Bei uns in der Nähe habe ich auch schon welche gesehen.
2. Zigeuner haben kein festes Zuhause, sie ziehen von Ort zu Ort. Sie wohnen meist in Wohnwagen oder Camper.
3. Nein eigentlich nicht.
4. Ja, Zigeuner leben in Wohnwagen, haben meist schwarze Haare und auch ein bisschen zerfetzte Kleider. (Klischee)
5. Praktisch nichts. Ich weis nur, dass sie immer weiterziehen.
6. Ja, das würde das Dorfleben interessanter machen. Man würde auch mehr über diese Leute erfahren.
8. Ich habe keine Ahnung, welchen Standart die Zigeuner hier bei uns haben.
9. Noch nie gehört.
10. Es würde mich noch interessieren, nur habe ich überhaupt keine Ahnung über ihr Leben.

7.2 Interviews mit den Behörden

7.2.1 Interview mit Hans-Peter Eugster, Kantonspolizei St.Gallen

[31]1. Inwieweit hat die Kantonspolizei St.Gallen Kontakt mit Fahrenden?

2. Welches sind die Ursachen, dass es zu diesem Kontakt kommt?

1. Die Kantonspolizei St. Gallen hat heute den gleich engen Kontakt mit Fahrenden wie mit fest Sesshaften. Die "Zigeuner in der Schweiz" haben für die Kantonspolizei St. Gallen nur noch eine sehr kleine Bedeutung.

2. Einzelne polizeiliche Berührungspunkte gibt es, wenn Fahrende aus anderen Ländern in unserem Kanton Halt machen. Sehr oft ziehen diese Personen als Hausierer von Tür zu Tür und bieten minderwertige Waren zu überhöhten Preisen an. Zum Schluss muss die Gemeinde, in welcher sie Halt machen, sehr oft feststellen, dass sie eine grosse Unordnung hinterlassen. Diesen Fahrenden haftet auch der Ruf an, dass sie Diebstähle begehen. Statistisch kann dies allerdings nicht belegt werden.[32]

7.2.2 Interview mit Andrea Trösch, EJPD

1. Inwiefern hat das EJPD mit den Zigeunern Kontakt? Welche Probleme ergeben sich?

1. Unser Departement ist von den Problemen, die Sie erwähnen, nicht in besonderer Weise betroffen; es sind vor allem die kantonalen und kommunalen Verwaltungen (Baubehörden, Schulbehörden, Gewerbe- und Marktpolizei etc.), welche sich mit den besonderen Bedürfnissen der Fahrenden auseinandersetzen. Um Hinweise auf aktuelle Sachprobleme zu erhalten, müssten sie sich etwa an die Stiftung "Zukunft für Schweizer Fahrende" in St.Gallen wenden. Das Bundesamt für Justiz hat zu den rechtlichen Problemen in diesem Zusammenhang am 27. März 2002 ein Gutachten erstellt, das in der Zeitschrift "Verwaltungspraxis der Bundesbehörden - VPB" publiziert worden ist (VPB 66/2002, Heft III, Nr. 50 (S. 578ff.).[33]

7.2.1 Interview mit der Behörde der Gemeinde Cazis

1. Seit wann wird ein Standplatz zur Verfügung gestellt?

2. Auf wessen Initiative wurde der Standplatz eröffnet?

3. Gab es Probleme und Befürchtungen von Seiten der Bevölkerung?

4. Von wem werden die Kosten für den Platz übernommen?

5. Welche Infrastruktur wird zur Verfügung gestellt?

6. Ergeben sich neue Probleme für die Gemeinde durch diesen Platz?

7. Wie gross ist die Akzeptanz in der Bevölkerung?

8. Welche Regelungen bestehen für die Bildung?

9. Gibt es eine Konkurrenz durch die Zigeuner für das lokale Gewerbe?

10. Sind die Zigeuner währen in der Gemeinde eingeschrieben? Zahlen sie Steuern?

11. Werden die Fahrenden auch politisch berücksichtigt?

1. Seit 1999

2. Kanton Graubünden und Radgenossenschaft

3. Nein

4. Kanton Graubünden

5. Strasse, Wasser, Abwasser, Kehricht

6. Ab und zu schulische, da die Eltern der Kinder ihre speziellen Ansprüche stellen

7. Mittelmässig

8. Kein Unterschied zur sesshaften Bevölkerung

9. Nein

10. Ja, der Wohnsitz bleibt hier, mit den Steuern besteht kein Problem, die Zigeuner bezahlen ohnehin fast keine.

11. Wie die sesshafte Bevölkerung.[34]

7.3 Interview mit der sesshaften Jenischen Uschi Waser

7.3.1 Akzeptanz und Stellung der Jenischen in der Schweiz

1. Welche Stellung haben die Jenischen in der Schweiz?

2. Wie gross ist die Akzeptanz der Jenischen in der Schweiz?

3. Welche Reaktionen haben Sie erlebt, wenn Sie sagten, dass Sie eine Jenische sind?

1. Die Akzeptanz ist allgemein gestiegen. Die vom Bund unterstützte Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“ setzt sich für Stand- und Durchgangsplätze und für eine grössere Akzeptanz ein.

Auch die Radgenossenschaft ist eine anerkannte Stiftung und arbeitet oft mit den Behörden zusammen.

2. Die sesshaften Jenischen sind heute im Allgemeinen akzeptiert.

Bei den Fahrenden sind die Schweizer gut akzeptiert, aber die ausländischen weniger, denn sie hinterlassen oft eine grosse Unordnung auf den Plätzen. In diesen Fällen versucht die Radgenossenschaft zwischen den Fahrenden und der Behörde zu vermitteln.

3. Bereits als Kind erlebte ich offener Rassismus in Form von Vorurteilen und Schimpfwörtern. Erst mit der Heirat mit 19 Jahren und dem damit verbundene Namenwechsel konnte ich unbehelligt als Sesshafte leben. Nach meiner Scheidung zog ich in eine andere Gegend und erlebte erneut Rassismus. Ich verbot meiner Tochter, in der Schule von unserer Herkunft zu erzählen, um ihr dieses Leiden zu ersparen.

7.3.2 Kultur, Sprache und Traditionen der Jenischen

4. Welche Traditionen gibt es bei den Jenischen?

5. Was denken Sie, wie das Jenische entstanden ist?

6. Wird das Jenische noch oft verwendet?

7. Wie funktioniert das Jenische?

8. Welche Bedeutung hat die Gemeinschaft und die Familie für die Jenischen?

9. Gibt es eine spezifische Rollenteilung in der Familie?

10. Welche Rolle spielt die Religion?

11. Was sind die typischen Unterschiede zwischen den Jenischen und den Nichtjenischen?

12. Lässt sich die moderne, technisierte Lebensweise gut mit den Traditionen verbinden?

4. Lagerfeuer und Gemeinschaft. Ansonsten gibt es eigentlich keine speziellen Traditionen.

5. Ich kann mir vorstellen, dass es früher die Sprache einer Randgruppe war, zum Beispiel der Gauner oder der Fahrenden.

6. Das Jenische wird noch von allen Altersgruppen verwendet und an die Kinder weitergegeben.

7. Es ist eine Art Geheimsprache, welche Wörter aus dem Deutsch, Französischen und Italienischen enthält. Sie enthält nur ca. 1000 Wörter und diese wurden in die Sprache des Gastlandes eingeflochten. Auch heute ist es noch eine Art Geheimsprache und viele Jenische sind nicht einverstanden, dass es ein Wörterbuch mit ihrer Sprache gibt.

Speziell an der Sprache ist, dass sie teilweise mehrere Ausdrücke für ein deutsches Wort kennt und dadurch können Sachen viel präziser beschrieben werden.

Da es das Jenische nicht in der geschriebenen Sprache gibt, existiert auch keine Literatur in dieser Sprache.

8. Die Familie und Gemeinschaft haben eine grosse Bedeutung.

Durch das Hilfswerk wurden diese Familien aber oft auseinander gerissen und fanden nicht mehr zusammen.

Differenzen in der Gemeinschaft der Jenischen entstanden durch die unterschiedlichen hohen Ersatzzahlungen des Bundes an die „Kinder der Landstrasse“.

Ich sah bei der Akteneinsicht, dass ich auch von meiner Mutter weggeschickt wurde. Seit diesem Zeitpunkt habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie.

9. Die Familie und Gesellschaft ist ziemlich patriarchalisch organisiert. In der Radgenossenschaft sind zum Beispiel nur Männer vertreten.

Die Frauen beginnen aber immer mehr, gegen diese Form zu rebellieren, denn sie tragen meist einen Teil zum Lebensunterhalt bei.

10. Die Zigeuner sind katholisch geprägt. Die Religion hat aber keinen hohen Stellenwert.

11. Der Freiheitsdrang, aus nichts kann etwas gemacht werden, nicht alles wird sehr ernst genommen, genügsame Menschen, können mit wenig Komfort leben.

12. Die Technisierte Welt hat einen grossen Einfluss, Handys und Fernseher haben auch bei den Fahrenden Einzug genommen. Die meisten der teuren Wagen und Autos sind geleast und die Fahrenden sind verschuldet.

7.3.3 Sesshafte Jenische

13. Warum leben etwa 90% der Jenischen als Sesshafte?

14. Welche berufliche und schulische Probleme stellen sich für die Fahrenden?

15. Gibt es Abneigungen der Fahrenden gegenüber den sesshaften Jenischen?

16. Wird das Jenische noch gelernt und gebraucht bei denn sesshaften Jenischen?

13. Gezwungenermassen wegen der Arbeit, aus Bequemlichkeit, weil sie diese Lebensweise nicht kennen (Kinder der Landstrasse).

Wir Jenischen haben aber immer die Möglichkeit, in den Wohnwagen zu gehen. Die anderen Sesshaften können das nicht, denn nur Jenische (bzw. andere Stämme) dürfen sich auf den Stand- und Durchgangsplätzen niederlassen.

14. Bis vor kurze Zeit war das Patentgesetz ein grosses Problem. Dieses wurde aber stark vereinfacht. Die Bildung hat einen zu kleinen Stellenwert.

15. Es gibt keine extremen Differenzen.

16. Bei jenen Jenischen, welche zu ihrer Herkunft stehen schon.

7.3.4 Hilfswerk für Kinder der Landstrasse

17. Wie haben Sie das Hilfswerk erlebt?

18. Wie wurden Sie in das Hilfswerk gebracht?

19. Wie wurden Sie behandelt?

20. Haben Sie ihre Eltern wieder gefunden?

21. Wie haben Sie diese Vergangenheit verarbeitet?

22. Was denken Sie über die Entschuldigung des Staates und der ProJuventute?

17. Ich konnte überhaupt nichts zu meiner Situation sagen, ich wurde behandelt wie ein Stück Dreck.

Einmal lebte ich innerhalb von 3 Monaten in 7 verschiedenen Institutionen und zwischendurch war ich zuhause.

Meiner Bevormundung konnte ich mich erst mit der Heirat entziehen.

18. In meinen Akten war ein polizeilicher Transportbefehlt, mit welchem ich bei meinen Eltern abgeholt wurde.

19. Ohne Mitbestimmung, wie ein Stück Dreck.

20. Ja, aber jetzt habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie.

21. In der Kindheit war es mir egal, denn ich kannte nichts anders.

Erst mit der Akteneinsicht brach eine Welt für mich zusammen, denn ich sah, was alles über mich geschrieben wurde. Zum Beispiel: „sie hat schlechte Anlagen mit auf die Welt gebracht und dem muss man Rechnung tragen“, "krankhafte Lügenhaftigkeit, sog. Pseudologia phantastica", etc.

22. Es ist eine Anerkennung des Unrechts.

Heute finanziert die ProJuventute die Beratungsstelle der Stiftung „Naschet Jenische“ für Betroffene des Hilfswerks.[35]

7.4 Interview mit dem fahrenden Jenischen Robert Huber

1. Wann leben sie auf Standplätzen und wann auf Durchgangsplätzen?

2. Wie lange Reisen Sie umher?

3. Von welchen Umständen ist dies Abhängig?

4. Welche Infrastruktur wird auf den Durchgangsplätzen zur Verfügung gestellt?

5. Besteht die Forderung nach direkter politischer Mitsprache?

6. Wie wird das Steuerwesen geregelt?

7. Wie beurteilen Sie die Arbeitssituation in der Zukunft?

8. Gibt es bestimmte Traditionen bei den Fahrenden?

9. Welche Probleme ergeben sich im Schulwesen?

1. Im Winter auf den Standplätzen, im Sommer auf den Durchgangsplätzen. Ein Aufenthalt dauert maximal 3-4 Wochen.

2. Normalerweise von April bis ende Oktober

3. Von der Schule und der Arbeit

4. Wasser, Strom, sanitäre Anlagen

5. Dies wird immer wieder diskutiert

6. Die Fahrenden zahlen wie die Sesshaften in der Gemeinde, in welcher sie eingeschrieben sind Steuern.

7. Für die Reisenden wird es nicht einfacher in Zukunft Arbeit und neue Aufenthaltsmöglichkeiten zu finden.

8. Musik, Familiensinn, Fekkerchilbi

9. Wenn die Schuldispens bewilligt wurde von der Schulbehörde und der Lernstoff für die Reisezeit eingehalten wird, gibt es eigentlich keine Probleme.

[...]


[1] Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, http://de.wikipedia.org/wiki/Zigeuner

[2] „Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz“, Seite 119, 2003, Schwabe & Co. AG

[3] www.jenisch.ch/wer_sind_sie_wirklich.htm, www.jenische_die_jenischen_sind_ein.htm

[4] Dr. Siegfried, zitiert im Buch „Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz“, Seite 20 , 2003, Schwabe & Co. AG

[5] Zitat aus den Akten des Hilfswerks im Buch „Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz“, Seite 30, 2003, Schwabe & Co. AG

[6] „Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz“, Seite 24, 2003, Schwabe & Co. AG

[7] „Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz“, Seite 24, 2003, Schwabe & Co. AG

[8] www.radgenossenschaft.ch

[9] www.naschet-jenische.ch

[10] Bundesgesetz betreffend der Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“:
Der Bund unterstützt zur Sicherung und Verbesserung der Lebenssituation und zur Wahrung des kulturellen
Selbstverständnisses der fahrenden Bevölkerung die privatrechtliche Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“.

[11] Uschi Waser, 2004, in einem persönlichen Interview

[12] Akten der Pro Juventute über Uschi Waser

[13] Uschi Waser, 2004, in einem persönlichen Interview

[14] Zitat aus dem Prospekt von Uschi Waser

[15] „Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz“, Seite 105, 2003, Schwabe & Co. AG

[16] „Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz“, Seite 122, 2003, Schwabe & Co. AG

[17] Heinrich Tschokke, „Klassische Stellen der Schweiz“, 1842

[18] Uschi Waser, 2004, in einem persönlichen Interview

[19] SR 943.1, 2.Abschnitt, Artikel 2

[20] SR 943.1, 2.Abschnitt, Artikel 2

[21] Jahresbericht der Radgenossenschaft, 2003

[22] Marlis Eugster, 2004, in einem schriftlichen Interview

[23] SR 449.1, Artikel 1

[24] Paul Flückiger, 76 Jahre alt, Grasswil BE

[25] Daniel Glatz, 28 Jahre alt, Lichtensteig SG

[26] Regula Schneider, zwischen 20 u. 30 Jahre alt, Uster ZH

[27] Salome Bürgin, 19 Jahre alt, Ebnat-Kappel SG

[28] Matthias Rohner, 18 Jahre alt, Ebnat-Kappel SG

[29] Lukas Naef, 17 Jahre alt, Mosnang SG

[30] Anne-Käthi Blatter, 17 Jahre alt, Uetendorf BE

[31] Hans-Peter Eugster, Mediensprecher der Kantonspolizei St.Gallen

[32] Andrea Trösch, Hauptabteilung Staats- und Verwaltungsrecht, Bundesamt für Justiz

[33] 7408 Cazis GR stellt einen Standplatz für Zigeuner zur Verfügung

[34] Uschi Waser ist eine Jenische und wurde während dem Hilfswerk ihren Eltern weggenommen

[35] Robert Huber, Präsident der Radgenossenschaft

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Zigeuner in der Schweiz heute
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
40
Katalognummer
V109290
ISBN (eBook)
9783640074716
Dateigröße
843 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zigeuner, Schweiz
Arbeit zitieren
Tobias Flotron (Autor:in), 2004, Zigeuner in der Schweiz heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109290

Kommentare

  • Gast am 13.7.2008

    viele Infos, aber wenig kritisch.

    Vielen Dank für diese gut recherchierte Arbeit. Ich habe daraus weitere interessante Informationen über Jenische in der Schweiz erhalten, vor allem was die aktuelle Situation angeht. Leider muss ich sagen, dass überaus wichtige Fakten zu dem heiklen Thema der praktizierten "Rassenhygiene" vor der NS-Zeit fehlen! Es sollte doch neben der Kindswegnahme auch die Sterilisierung von Frauen zu der Zeit erwähnt werden! Desweiteren bin ich der Ansicht, dass nicht alle fahrenden Zigeuner der Auffassung sind, dass ein "sesshaftes Leben für sie bequemer und luxuriöser ist." Vielleicht sollte man dieses Thema ein wenig kritischer angehen.

Blick ins Buch
Titel: Zigeuner in der Schweiz heute



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden