Entkrampfung
Der fröhliche Weinberg - Carl Zuckmayers Bild von Lebensfreude und Glück
von Friedrich Fürstenberg
Als Carl Zuckmayer in Berlin-Zehlendorf am Sandwerder, fern vom heimatlichen Nackenheim, rheinischer Lebensfreude und Naturverbundenheit in einem der wenigen deutschen Lustspiele dieses Jahrhunderts ein Denkmal setzte, konnte er die Folgen nicht ahnen. Die Kontroversen, die dieses Stück auslöste, sollten zu einem Signum dieser Zeit werden. „Der fröhliche Weinberg“, 1925 vollendet und mit dem Kleistpreis ausgezeichnet, wurde zu einem herausragenden Theatererfolg. Noch am Aufführungsabend erwarben mehr als 100 Bühnen Aufführungsrechte. Er leitete aber auch eine Serie von 63 Theaterskandalen ein, die zeigten, wie wenig Zuckmayers Versuch, das völkisch bewegte Gemüt zu entkrampfen von „einer nach Haß und Rache gelüsternden Rückständigkeit“ (Zuckmayer 1966, 422) toleriert, geschweige denn akzeptiert wurde.
Wie konnte ein eher unromantisch und unliterarisch gestaltetes Schauspiel in dieser Schärfe angefeindet werden, das zwar als Lesestück den „Durchbruch ins Wirkliche“ (Paul Fechter), die Überwindung expressionistisch überfrachteter Gedankendramatik brachte, in der eher operettenhaften Inszenierung aber vor allem „eine epidemische Heiterkeitsekstase“ (Zuckmayer 1966, 419) hervorrief?
Hier soll die These vertreten werden, daß Zuckmayer im „Fröhlichen Weinberg“ an die Lebenslüge des deutschen Spießertums rührte: an die von nationalistischen Desperados im Verein mit deklassierten Bildungsbürgern genährte Überzeugung, zu Höherem als zu einer humanen Lebensführung berufen zu sein. So erhielt das ursprüngliche Streben nach irdischem Glück einen völlig verklemmten Ausdruck als Dienst an völkischen Idealen. An den damit verbundenen Überzeugungen zu rütteln, war für die Gemeinde der dieser Säkularreligion verfallenen Gläubigen unerträglich.
Aber betrachten wir zunächst das Werk und seine unmittelbare Aussage. Zuckmayer, den bei der Niederschrift „zum ersten Mal seit den Kriegsjahren ... ungetrübte Heiterkeit“ erfüllte (Zuckmayer 1966, 198f) lokalisierte die Szene „in Rheinhessen, im Weinherbst, Anno einundzwanzig“, also kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Die handelnden Personen mit ihrem Eigennutz, ihren Gelüsten und Leidenschaften gruppieren sich im herbstlichen Weinberg. Er prägt als Metapher für naturverbundene Lebenskraft auch die Ausdrucksweise der Menschen: „eher spröd, rostig, holprig und von einer geruchsstarken herbstlich heiteren Luft umweht“. Es bestimmt aber auch eine Lebenshaltung, die letztlich einen Ausweg aus allen Verstrickungen findet, im Einklang mit der Aussage Gundelachs, die als Motto über dem ganzen Stück stehen könnte: „bilde sich keiner ein, er könnt die herrgottsgeschaffene Natur kommandiere!“ (102).
Die Spannung schaffenden Verwicklungen ergeben sich aus Liebesbeziehungen, in deren Mittelpunkt der Weingutsbesitzer Gunderloch und seine Tochter Klärchen stehen: erstens seine Bereitschaft, die Hälfte seines Weinberges und die Hälfte seiner Kellereibestände an den meistbietenden als spätere Mitgift für seine Tochter zu verkaufen, um nach deren Heirat sich mit dem Erlös der anderen Hälfte zur Ruhe zu setzen; zweitens die in patriarchalischer Haltung gesetzte Bedingung für „Heiratserlaubnis“ und Mitgift: die freiwillige Schwangerschaft Klärchens vor der Heirat. Diese herkömmlichen Tugendvorstellungen, wohl aber nicht dem Volksbrauch widersprechende Haltung begründet Gundelach mit seiner eigenen Lebenserfahrung. Da seine Frau keine Kinder bekommen konnte, habe er das Klärchen mit einem Schiffermädchen gezeugt, aber das wirke „in der Ehe, wie Schimmel im Traubenfaß!“ (55).
In einem vertraulichen Gespräch zwischen Klärchen und Annemarie, der Schwester des Rheinschiffers Jochen, offenbart sich das Dilemma: Klärchen ist mit dem Assessor Knuzius verlobt, der es auf ihre Mitgift abgesehen hat, aber „für die Lieb überhaupt kein richtige Sinn und Talent“ hat. Hingegen empfindet sie eine starke Zuneigung zu Annemaries Bruder Jochen. In diesem Gespräch vermittelt Zuckmayer seine aller Konvention zuvor kommende Grundauffassung einer echten Liebesbeziehung in dem Rat Annemaries: „Lieb Kind, glaub mir: es rächt sich nichts, was du mit Witz machst un mit Spott oder Lust und Schwindel, wenn das Herz echt ist dabei und inwendig der Ernst und die wahre Lieb, da gibt’s fürs Auswendige keine Straf und kein Katechismus, nicht im Himmel und erst recht auf der Erd nicht ... Fang’s mutig an. Fang’s leicht an. Fang’s fröhlich an. Dann kann dir nichts geschehen“ (62).
Mit Hilfe einer List gelingt es im Laufe des Abends, „den schließlich volltrunkenen Knuzius auszuschalten und in dramatischer Zuspitzung Jochen mit Klärchen zu versöhnen und zusammenzubringen. In der ereignisreichen Nacht finden auch Gunderloch und Annemarie zueinander. Wieder ist der Weinberg das Symbol erdverbundener Vereinigung: Überschäumend vor Freude ruft Gunderloch: „Annemarie!! Annemarie!! Der Weinberg guckt uns zu, sonst keiner, un der Weinberg is fröhlich drum, der lacht und juchzt un dudelt un kreischt vor Freud!!! (86).
Gegen diese naturhaft fröhlichen, ganz vom unmittelbaren Gefühl getragenen Liebesbeziehungen heben sich kontrasthaft die Beziehungen der übrigen Akteure ab. Dies gilt insbesondere für die beiden „Akademiker“ Knuzius und Studienassessor Bruchmüller. Beide wirken in deutschtümelnden Art am falschen Platze. Knuzius, der sich nach der Abfuhr durch Klärchen an Babettchen, der handfesten Tochter des Landskronenwirts, schadlos halten will, deklariert noch nicht ganz ausgenüchtert in seiner Brautwerbung: „Indem ich ohne Ansehen von Stand Rang und Name um ihre Hand anhalte, gedenke ich nicht nur der Erfüllung persönlicher Wünsche, sondern auch der Gesundung unseres Volkes im Hinblick auf seine Tugend, Wahrhaftigkeit, Sauberkeit, Pflichttreue und Rassenreinheit zu erstreben!!“ (103). Und unter dem Gelächter der Anwesenden fährt er fort: „So wollen wir denn diese Stätte verlassen, mit dem erhebenden Bewußtsein, daß es noch Ideale in unserem Lande gibt, noch innere Schätze, Ehre und Gewissen, Reinheit und edle Sitte!“, worauf Gunderloch kommentiert: „Un Gottseidank noch Weinberg, Stückfässer und Misthaufe!“ (103).
Auch die Weinhändler, „boshaft-mißtrauisch-verständnisvoll-schadenfroh-gehässig“ (65), passen nicht zum Weinberg. Als Vogelsberger fragt: “Habt ihr auch en Zoologischen Garte hier?“ gibt ihm der Standesbeamte Kurrle die Antwort: „Nein, aber die Affen kommen öfters von auswärts“ (65).
Die Veteranen schließlich geben ein Beispiel für den Umschlag von Weinlaune in ordinäres Bramarbasieren. Ihr anfänglicher Gesang geht in Gegröhl und wüstem Lärm unter. Es wird weiter schwadroniert und gegenüber den Zivilisten, die angeblich nichts erlebt haben, die eigene Heldentat hervorgekehrt. Aber als Stopski angibt: „Mein große Zeh hab ich meinem Kaiser gegeben!“ kommentiert Rinsfuß nur: „Der wird e Freud gehabt hawwe!“ (79).
Aus derart karikaturhaften Charakterisierungen der Randpersonen in ihrer hohlen Phrasenhaftigkeit und dump-unaufgeklärten Triebhaftigkeit leitet sich vor allem die Komik des Schauspiels her.
Worauf es aber Zuckmayer vor allem angekommen ist, war nicht die komische Darstellung von Verzerrungen nach Brueghel’scher Manier, sondern die Gegenüberstellung von echten und unechten Gefühlen und Haltungen. „Der fröhliche Weinberg“ ist geradezu ein Lehrstück zur Erkennung wertbezogener menschlicher Grundhaltungen im Wirrwarr materialistischer Vorteilssuche und phrasenhaftes Geredes. Die bloß äußerlich anerzogenen Gesten und Selbstdarstellungen wirken als Produkt einer entfremdeten Gesellschaft, die Zuflucht zum hohlen Pathos einerseits und zu unerfülltem Materialismus andererseits sucht. Davon heben sich die Menschen ab, deren Charakter letztlich in ihrer Heimat- und Naturverbundenheit verankert ist und die deshalb ohne großes Räsonnieren naiv-triebhaft das Richtige tun. Aber Zuckmayer macht daraus keine „Weltanschauung“. Er will keine Ideologie demonstrieren, sondern Wirklichkeit in ihrer Zwiespältigkeit darstellen, und zwar auf humorvolle Weise. Dies wurde ihm von den Nationalsozialisten und ihren Mitläufern übelgenommen. So schreibt der „Angriff“ 1931 bemerkenswert deutlich, der „Fröhliche Weinberg“ sei „keineswegs ein harmlos-heiteres Stück, sondern ziemlich bedenklich ..., da er die völkische Bewegung zu verulken strebt“ (zit. bei Albrecht 1995, 13).
Vor diesem Hintergrund kann nun versucht werden, den Kern der von Zuckmayer im „Fröhlichen Weinberg“ vertretene Welt- und Lebensauffassung darzulegen, oder, wenn man so will, seine Botschaft: den Weg zur Lebensfreude und ihrer höchsten Form, der Liebe. Es geht also um die Steigerung des Lebensgefühls. Zuckmayer zeigt, daß dies nur möglich ist, wenn der Einklang mit der Natur und mit sich selbst gesucht und erreicht wird. Wie schon erwähnt dient als Symbol der Naturverbundenheit der Weinberg. Er überdauert das Alltagsgeschehen und den Wechsel der Generationen. Seine Fruchtbarkeit vermittelt er den Menschen, die ihn hegen und pflegen. Zugleich verkörpert er das Prinzip des Notwendigen, der Aufgabe, die man erfüllen muß, vor der man nicht weglaufen soll. Aber er stellt keine in sich geschlossene Welt dar. Auch die vorbeifahrenden Schiffer können dazugehören, wenn sie seßhaft werden. Die Menschen hingegen, die in Unverstand und Eigennutz verharren, erlangen letztlich nicht den Einklang, der wirklich fröhlich macht. Gunderloch ist auch deshalb die Hauptfigur des Schauspiels, weil er die „Lehre des Weinbergs“ schließlich erkannt hat und daraus die Konsequenz für sein Leben zieht.
Zuckmayer geht also von einem eher romantisch-konservativen Heimatverständnis aus. Natur- und Erdverbundenheit gehören dazu. Allerdings bleibt offen, ob er die Möglichkeit einer „heilen Welt“ nur als Einzelfall oder aber als Muster darstellen wollte. Auch ihm war gerade damals die städtische Welt mit ganz andersartigen Lebensbedingungen keineswegs fremd. So wird man den Gehalt des „Fröhlichen Weinbergs“ wohl als Beispiel für eine umfassendere Bedingung der Lebensfreude interpretieren müssen: Ohne Anerkennung der natürlichen Grundlagen des Lebens und ein entsprechendes Handeln kann man nicht auf Dauer fröhlich sein. Damit ist aber zugleich eine Bindung gegeben, die Zugehörigkeit schafft.
Dies gilt auch für die Liebe als höchste Steigerung der Lebensfreude. Sie erscheint im „Fröhlichen Weinberg“ zunächst als Sinnesfreude, wobei der Wein - wie sollte es auch anders sein? - keine geringe Rolle spielt. Wichtiger ist aber, wie sehr Zuckmayer die Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des Gefühls hervorhebt, das kompromißlos und unmittelbar zum Ausdruck gelangt. Der liebende Mensch handelt unbedingt und autentisch. Dies ist nicht als Mangel an Reflexion zu verstehen, sondern als Erreichen einer tieferen Seinsschicht. Und Zuckmayer hat die Gabe, dies einfach und volkstümlich auszudrücken, z. B. wenn Jochen bekennt: „ Ach Klärche, was ma red, is alles Blumenkohl! Was ma spürt, Klärche! Nur was ma spürt!“ (93). Es wird aber auch gezeigt, wie die Liebenden „außer sich“ geraten müssen, um einander finden zu können. Hierzu ist der berechnende, förmliche und konventionelle Mensch nicht in der Lage.
Als lebenserfahrener und nun alt gewordener poeta laureatus hat sich Zuckmayer 1967 in einem Brief an Karl Barth von der „Naturverfallenheit“ seiner Jugendzeit, von „einer Art von pantheistischem Animismus ... im Grunde eine poetische Schwärmerei“ (Stoevesandt 1977, 27) distanziert. Aber er hat auch „in der mir einfachen ‘natürlichen’ Art von Welt- und Schöpferliebe“ geradezu eine „Art von priesterlicher Wirksamkeit gesehen“ (ebd., 19) und im gleichen Brief bekenntnishaft hinzugefügt: „Ich glaube, ein Mann ist von allen guten Geistern des Lebens besucht und gesegnet, solange er noch, auch im ‘irdischen Sinne’, lieben kann (ebd., 20).
Der von Lebensfreude und Liebe erfüllte Mensch, wie ihn Zuckmayer im „Fröhlichen Weinberg“ darstellt, ist nicht vor der Welt verschlossen. Er überträgt seine erlebte Harmonie im Leben auf die Mitmenschen. Im „Fröhlichen Weinberg“ wendet sich zum Schluß nicht nur für die Liebenden alles zum Guten. Der Ausklang ist für alle Beteiligten ein allgemeiner Versöhnungstrunk.
In einem Brief Zuckmayers an den Intendanten des Mainzer Theaters 1926 faßte er seine Intention wie folgt zusammen: „Ich habe mein Stück geschrieben, um einfachen, ungebildeten, vorurteilslosen Menschen Freude zu machen, - um das einfache, starke Lebensgefühl, die Lust an primitiven, natürlichen Empfindungen ... zu wecken und zu beleben. Ich habe mein Stück nicht geschrieben, um irgendwelche Leute zu verärgern. Ich lege Wert auf das Publikum, daß in dem Stück einen Schuß Lebensfreude verspürt und herzhaft lachen kann“ (zit. bei Rühle 1972, 775). Weshalb wurden diese Intentionen so kontrovers wahrgenommen und das Stück nicht so, wie es gemeint war, rezipiert?
Hierzu ist die eingangs formulierte Entkrampfungsthese näher auszuführen. Die Uraufführung des „Fröhlichen Weinberges“ fällt in die kurze Konsolidierungsperiode der Weimarer Republik nach Überwindung der Inflation und vor Beginn der Weltwirtschaftskrise. Die vorherrschende Mentalität war jedoch durch einen rückwärts gerichteten Illusionismus gekennzeichnet: die Wiederherstellung eines mächtigen Deutschen Reiches mit Weltgeltung oder die Weltverbesserung durch eine endlich doch noch erfolgreiche Wiederholung der proletarischen Revolution von 1918. Die Erfahrung der Wirklichkeit wurde gleichsam ideologisch verformt, immer mit dem Anspruch einer Überhöhung der persönlichen Existenz durch Bezug auf Kollektivwerte. René König sieht in seinem Essay „Zur Soziologie der Zwanziger Jahre“ den „unvergeßlichen Charme“ dieser Zeit „vielleicht in dem melancholischen Zwiespalt zwischen einer erzreaktionären Welt mit den in Erinnerung nachlebenden Hoffnungen an ein besseres Dasein ... in der kurzen Zeit der Konjunktur nach Stabilisierung der Inflation ertränkten sich diese illusionären Hoffnungen allzu gern in einer vorgetäuschten Lebensintensität, die in Wahrheit nur eine Ablenkung war“ (König 1960, 94f). Die Zeit war also von übersteigerten Lebens- und Weltanschaungen geprägt, die sich nicht zuletzt auch in den Sprachformen manifestierten. Lebenswirklichkeit und Ausdruck des Denkens, Fühlens und Wollens paßten nicht zusammen. Daraus entstand die oft uneingestandene, aber durchaus auch wahrgenommene Unsicherheit der Verhältnisse verbunden mit der Furcht vor (oder auch Hoffnung auf) Veränderungen. Etwas davon klingt auch im „Fröhlichen Weinberg“ an, wenn der Landskronenwirt Eismayer mit Bezug auf die Dolchstoßlegende, die er für bare Münze nimmt, erwähnt: „Aber ma sagt ja, es soll bald wieder anders werde!“ und der Standesbeamte Kurrle ergänzt: „Ja, es geht manches vor, was mancher nicht ahnt“, worauf Eismayer die sicherlich weit verbreitete Meinung vertritt: „Im große ganze is mir’s ja egal. Ich mein nur, es geht nit so weiter“ (95f).
Zuckmayer schrieb also den „Fröhlichen Weinberg“ keineswegs in einer geordneten, ruhigen Zeit gleichsam zur Volksbelustigung. So wie sich hinter der komödiantischen, karikaturhaften Oberfläche ein tieferer Bezug zum Lebenssinn zeigte, offenbarten die oft hysterischen Reaktionen des Publikums bzw. der Öffentlichkeit den krampfhaften Versuch, eine tiefe Verunsicherung zu bewältigen. Sie lag nicht nur in den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen. Sie manifestierte sich auch in gestörten Beziehungen der Menschen zueinander.
Anstatt aber mit Reformeifer die Schwächen und Fehler der Zeitgenossen zu brandmarken, wählte Zuckmayer den Weg der humorvollen Darstellung, allerdings mit einer deutlichen Stellungnahme für das Gesunde und letztlich Gute. Dies entsprach seiner eigenen Lebensauffassung, die er bis zum Ende bewahrt hat. Im schon erwähnten Brief an Karl Barth schrieb er: „Ich halte den Ausdruck der Güte für eine stärkere Waffe im Kampf gegen das ‘Böse’, Malum, als dessen Ausschilderung, die ja niemals eine totale Absage ist, sondern von den Autoren häufig mit einer gewissen Lust, sogar Schwelgerei, vorgenommen wird. Um den bösen Dämon wissen, aber den guten an- und herbeirufen, scheint mir den Versuch wert“ (Stoevesandt 1977, 20).
Im „Fröhlichen Weinberg“ wirkt angesichts menschlicher Verbohrtheit und Verbissenheit die naturverbundene rheinische Leichtigkeit nicht nur erheiternd. Sie löst auch die Verspannungen. Sie ist eine Kur für den Seelenkummer. Insofern hat das Stück für das aufgeschlossene Publikum zweifellos eine kathartische Kraft. Es wirkt entkrampfend, aber nicht auf alle. Dies hatte Zuckmayer offensichtlich nicht erwartet. Seine Kommentare zu den Theaterskandalen klingen eher überrascht und verwundert. Auch hatte er den Fortschritt der „völkischen“ Deformation offensichtlich unterschätzt.
Der „Fröhliche Weinberg“ wirkt nicht nur durch seine Handlung, sondern besonders auch durch seine Sprache. Zuckmayer hat den rheinhessischen Dialekt virtuos gehandhabt, um ungekünstelt und direkt bodenständige Menschen zu repräsentieren, die allerdings meist eher typisiert und ohne innere Entwicklung auftreten. Durch den Gebrauch der Volkssprache wurde aber schon von vorherein der Eindruck vermittelt, daß es um die Vermittlung einer Lebenswirklichkeit jenseits literarischen Räsonnierens geht. Insofern beruht der gegen Zuckmayer erhobene Vorwurf der Unanständigkeit, wie Paul Fechter dargelegt hat, auf einer unzulänglichen Gleichsetzung mit den Unmoralitäten der Operetten (vgl. Rühle 1972, 773). Zuckmayer setzt gerade auch die Sprache als Mittel gegen Verkrampfung und Verlogenheit ein. Man erkennt schon am Zungenschlag, was wirklich gemeint ist. Dies ist aber auch eine Herausforderung an diejenigen, die sich auf diese Weise nicht mitteilen wollen und können, weil sie letztlich etwas im Schilde führen, die Sprache also interessen- und ideologieorientiert einsetzen. Letztlich feit aber auch die Umgangssprache nicht gegen den Ge- und Mißbrauch.
Man kann den „Fröhlichen Weinberg“ durchaus als „leiche Kost“, als unterhaltsames Lustspiel ohne tiefere Bedeutung genießen. Die Tatsache, daß dies aber zumindest in der Weimarer Zeit selten der Fall war, verweist auf die besondere Fähigkeit Zuckmayers, in aller vordergründigen Naivität doch Wesentliches zur Sprache zu bringen, das zur Stellungnahme herausfordert. Die Kraft des Stückes liegt gerade auch darin, daß es eine Auseinandersetzung mit Zuckmayers Vorstellung von Glück und Lebensfreude anregt und dies auch noch heute beim aufmerksamen Leser. Die Befreiung vom Ballast der Vorurteile und Konventionen, die Rückkehr zu ursprünglichen Lebensäußerungen läßt sich von ihm ebenso wahrnehmen wie die große Intensität unverfälschter Gefühle. Diese Erfahrung kann gemeinsam mit dem erheiternden Handlungsablauf immer noch entkrampfend wirken. Sie erweist die Qualität des „Fröhlichen Weinberges“ als echtes Lustspiel aus einem Guß, d. h. vom ersten bis zum letzten Auftritt.
Allerdings hat die Begründung von Glück und Lebensfreude in der Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des Glücks auch eine Grenze. Die Atmosphäre des „Fröhlichen Weinberges“ wirkt gerade auch angesichts des auf die vom Spätnachmittag bis zur nächsten Morgenfrühe begrenzte Zeitablaufs und der Intensität der Lebensäußerungen geradezu rauschhaft-dionysisch. Die Menschen werden aus ihrer Alltäglichkeit herausgehoben. Daß diese Steigerung des Lebensgefühls wirklich beglückend sein kann, wird immer wieder erfahren. Es gibt auch den Absturz in den Katzenjammer, wie ebenfalls im „Fröhlichen Weinberg“ angedeutet wird. Es gehört also im wahrsten Sinne Glück, d. h. die Gemeinsamkeit gleichgestimmter Menschen dazu, die sich auch finden müssen. Es geht auch um die Bewahrung der Lebensfreude im Alltag, der auf die Herausgehobenheit eines großen Erlebnisses folgt. Dies war nicht Zuckmayers Thema. Aber seine Betonung der Natur- und Erdverbundenheit sollte jedoch in diesem Zusammenhang thematisiert werden. Damit seine Hauptpersonen liebesfähig und lebensfroh werden, müssen sie auch die Lebensordnung anerkennen, die im Weinberg symbolisiert ist. Dies wird zwar naturhaft vermittelt, ist aber wie der Weinberg selbst eine generationenlange Kulturleistung. Was sich als unmittelbar-fröhliches rheinisches Volksbild darstellt, hat seine Grundlagen in Lebensformen der Weinbauern, Schiffer und anderer Gestalten des Stücks, die sich nur begrenzt an- und nachempfinden lassen. Diese von Zuckmayer liebevoll gezeichneten Lebensformen befanden sich aber schon zur Entstehungszeit des Stücks in unaufhaltsamem Wandel, und sie sind für den gegenwärtigen Leser allenfalls Erinnerung. Die Handlungsgrundlage des „Fröhlichen Weinberges“ ist in wesentlichen Teilaspekten historisch geworden.
Wie steht es angesichts dieser Veränderungen mit Zuckmayers Auffassungen, Glück und Lebensfreude seien in erd- und naturverbundenen Lebensformen möglich, wenn sich die Menschen an ihren echten, d. h. unmittelbaren Gefühlen orientieren? Man wird wie Zuckmayer selbst, von einer Absolutsetzung dieser Bedingungen, von einer Schwärmerei Abstand nehmen müssen, die den Lebensverhältnissen nicht standhält. Die unmittelbare Gewißheit, die unsere Gefühle vermitteln, bleibt aber trotz aller sich wandelnder Ausdrucksformen die große Erneuerungskraft unseres Lebens. Heinrich von Kleist hat sich auf diese Erfahrung in seiner existentiellen Auseinandersetzung mit Immanuel Kants Begründung von Erkenntnis berufen. Zuckmayer steht mit seinem „Fröhlichen Weinberg“ wohl auf Kleist’s Seite, so daß er auch in dieser Hinsicht ein würdiger Träger des Kleist-Preises war.
In seiner eigenen Interpretation des „Fröhlichen Weinberges“ betonte Zuckmayer „das einfache, starke Lebensgefühl“ (zit. bei Rühle 1972, 775). Dies korrespondiert mit der relativen Einfachheit der Charakterzeichnungen. Sicherlich hängt davon die Wirksamkeit eines „Volksstückes“ ab. Zuckmayer entsprach damit aber auch einer immer deutlicher werdenden Tendenz, den Verwicklungen des komplexen, vielfach gebrochenen Lebenszusammenhangs in der modernen Industriegesellschaft auszuweichen und sie zu negieren. Das „einfache Leben“, wie später Ernst Wiechert seinen Erfolgsroman nannte, bot für viele auch den Schlüssel zum persönlichen Glück. Angesichts der fürchterlichen, im zweiten Weltkrieg kumulierenden politischen Verstrickungen, denen sich niemand mehr entziehen konnte, erscheint dieses Lebensgefühl aus heutiger Sicht illusorisch. Dennoch muß Zuckmayers Plädoyer für das „einfache, starke Lebensgefühl“ als eine Grundlage persönlichen Glücks ernstgenommen und nicht als Literatentraum abgetan werden. Die Sehnsucht nach dieser geordneten persönlichen Lebenswelt ist auch eine entscheidende Widerstandslinie gegen die Manipulation der Gefühle und Handlungen in einer bürokratisierten und politisierten Gesellschaft.
Im „Fröhlichen Weinberg“ wird die Distanz zwischen den zum Weinberg gehörenden Einheimischen und den eher Außenstehenden und Fremden sehr deutlich, wobei sogar ein wertender Akzent nicht fehlt. Man ginge aber fehl, dies als Zuckmayers Verherrlichung des Provinziellen zu deuten. Entscheidend ist vielmehr das auf einer wahrhaften Gefühl und einer entsprechenden Gesinnung gegründetes Handeln. Hier sind die sogenannten „einfachen“ Menschen deutlich im Vorteil, weil sie eher in der Lage sind, die Widersprüche des Lebens zu überwinden oder wenigstens zu ertragen. In diesem Zusammenhang ist die Biographie Zuckmayers nicht bedeutungslos. Kurz nach seinen Erfolgen als Bühnenautor erwarb er ein Landhaus in Henndorf, und in seiner Emigrationszeit bewirtschaftete er sogar mit seiner Frau schlecht und recht eine kleine Farm in Vermont. Die Hochschätzung „einfacher Verhältnisse“ entsprach also durchaus der eigenen Lebenseinstellung. Übrigens teilte er sie mit den vielen Millionen Menschen, die in einem kleinen Landhaus oder einer Sommerwohnung oder wenigstens im Urlaub in ländlicher Gegend ein Gegengewicht zum Anpassungsdruck der vom Verlust des Urbanen geprägten Metropolen suchen und darin auch einen Aspekt ihres Lebensglücks erleben.
So sind es also nicht nur Gefühle, die Glück und Lebensfreude bedingen, sondern auch die geeignete Umwelt. Der Einklang zwischen Mensch und Natur, wie er im Symbol des Weinbergs zum Ausdruck gelangt, schafft die Grundlage dafür, wieder „einfach“ zu empfinden im Sinne einer Selbstverständlichkeit des Richtigen und des Guten.
So kann der „Fröhliche Weinberg“ auch dem heutigen Leser trotz aller Bindung an historisch gewordener Zeitumstände und mancher vereinfachender Überzeichnung doch wesentlich mehr bieten als rheinisch nachempfundene Erheiterung. Zuckmayer lädt uns ein zur ewig neuen Suche nach Glück und Lebensfreude, und er versetzt uns in einen Zustand der Entkrampfung, der uns bereit macht zur Aufnahme einfacher, aber gerade deshalb auch notwendiger Einsichten
Literatur
Albrecht, Richard, „No Return“. Carl Zuckmayers Exil. Aspekte einer neuen Biographie des deutschen Erfolgsdramatikers, in: Blätter der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft 16 (1995), S. 3-54 m. Dokumentenanhang
König, René, Zur Soziologie der Zwanziger Jahre, in: Reinisch, Leonhard (Hrsg.), Die Zeit ohne Eigenschaften, Stuttgart 1961, S. 82-118
Rühle, Günther, Zeit und Theater. Von der Republik zur Diktatur 1925-1933, Band 2, Berlin: Propyläen Verlag 1972
Stoevesandt, Hinrich (Hrsg.), Späte Freundschaft. Carl Zuckmayer - Karl Barth in Briefen. Zürich: Theologischer Verlag 1977
Zuckmayer, Carl, Der fröhliche Weinberg, Abdruck in Rühle a.a.O., S. 50-104
Zuckmayer, Carl, Als wär’s ein Stück von mir, Frankfurt/M: S. Fischer 1966
- Arbeit zitieren
- Dr. mult. Friedrich Fürstenberg (Autor:in), 2004, Entkrampfung - Der fröhliche Weinberg - Carl Zuckmayers Bild von Lebensfreude und Glück, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109036
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