Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen
Abkürzungs- und Transliterationsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Einleitung, Fragestellung und Vorgehensweise
2. Das Analyseraster – Neoinstitutionalismus
2.1 Übersicht über Transformationstheorien / Theorien politischer Prozesse
2.2 Das Spektrum politikwissenschaftlich relevanter neoinstitutionalistischer Ansätze
2.3 Synthese verschiedener neoinstitutionalistischer Ansätze / Vorstellung des hier verwendeten analytischen Rasters
3. Das Explanandum: Massenmedien und Politik in Russland - Eine Narration
3.1 Massenmedien in der Sowjetunion: Die kommandierte öffentliche Meinung
3.2 Glasnost` und Perestrojka: Massenmedien und Civil Society
3.3 Wirtschaftliche und politische Zwänge und der Einstieg der „Oligarchen“
3.4 Die Suche nach einem Nachfolger für Präsident El`cin und die zunehmende Zentralisierung der Massenmedien
3.5 Der Status Quo – eine zusammenfassende Darstellung
4. Die Analyse: Strukturelle Entwicklungen von Massenmedien und Politik aus neoinstitutionalistischer Perspektive
4.1 Formelle Institutionen
4.2 Informelle Institutionen
4.2.1 Der Administrative Markt
4.2.2 Legacies of the Past: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, journalistisches Selbstverständnis
4.3 Akteure
4.3.1 Die Föderale Regierung
4.3.2 Die Moskauer Stadtregierung
4.3.3 LogoVAZ Finanz-Industrie-Gruppe
4.3.4 Media-Most Holding
4.3.5 Oneksimbank-Rosbank-Interros Holding
4.3.6 Gazprom
4.3.7 LUKojl
4.3.8 Alfa Bank
4.3.9 Kollektiver Akteur Journalisten
4.4 Massenmedien und Politik in Russland: Ergebnisse
4.4.1 Die Preisfreigabe 1991/1992
4.4.2 Die Präsidentschaftswahlen 1996
5. Reflektion und Ausblick
Appendix 1: Daten zur Orientierung
Appendix 2: Besitzverhältnisse russischer Massenmedien vor Putins Amtsantritt
Literaturverzeichnis
Vorbemerkungen
Im Sinne der Einheitlichkeit richtet sich die Transliteration der kyrillischen Buchstaben in allen Fällen nach den offiziellen deutschen Regeln (Duden). So werden auch schon „einge- deutschte“ Namen wie Jelzin oder Gorbatschow zu El`cin und Gorbačev. Die offizielle Versi- on und die „eingedeutschte“ Version der bekanntesten Eigennamen findet sich im Abkür- zungs- und Transliterationsverzeichnis. Da bei englisch- oder deutschsprachigen Zitaten rus- sischer Autoren oder Herausgeber jedoch die schon transliterierte Fassung beibehalten wird, können trotzdem verschiedene Varianten vorkommen. Des weiteren wird für das russische Adjektiv „ rossijskij “, das oft fälschlicherweise mit „russisch“ (=„ russkij “) übersetzt wird, die korrekte deutsche Bezeichnung „rußländisch“ verwendet.
Alle Zitate in der russischen Sprache wurden vom Verfasser ins deutsche übersetzt, wo- bei lediglich Anspruch auf eine sinngemäß richtige Version erhoben wird.
Viele Quellen waren dem Verfasser nur online zugänglich, stehen als Downloads zur Verfügung und können auf Anfrage bereitgestellt werden. Dies gilt nicht für die täglich publi- zierten Nachrichten diverser Agenturen wie zum Beispiel „ Radio Free Europe / Radio Liber- ty“ oder „Weekly Press Survey“, die jeweils über umfangreiche eigene Archive verfügen. Bei Zitaten von Online -Versionen wird jeweils neben der Seitenzahl die Gesamtzahl (z.B. 3/10) angegeben, um unterschiedliche Internet-Einstellungen zu berücksichtigen.
Abkürzungs- und Transliterationsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen
Abbildung 2.2: Idealtypische Anordnung verschiedener neoinstitutionalistischer Varianten
Abbildung 2.3: Das Analyseraster
Tabellen
Tabelle 2.2: Neoinstitutionalistische Ansätze im Überblick
Tabelle 4.2.1a: Die Struktur des Administrativen Marktes vor Beginn der Perestrojka
Tabelle 4.2.1b: Nomenklatura-Bürgerlich-Schatten-Fragment des post-sowjetischen AM
Tabelle 4.3: Relevante Akteure (Akteursgruppen) im rußländischen Mediensektor
Tabelle 4.4.1: Entscheidungsalternativen der „Gründer“ (Journalisten/Redaktionen) nach der Preisliberalisierung
Tabelle 4.4.2: Entscheidungsalternativen der Journalisten im Wahlkampf 1996
„Information ist Agitation durch Fakten.“
V.I.Lenin
1. Einleitung, Fragestellung und Vorgehensweise
Nach der Inauguration des neuen Präsidenten Putin scheint sich in der Rußländischen Föderation einiges zu bewegen. Bis zu der U-Boot-Katastrophe vor Murmansk Anfang Au- gust 2000 war das Echo aus dem In- und Ausland vorwiegend positiv: Trotz anhaltender Par- tisanenüberfälle mit immer wieder hohen russischen Verlusten ist der Krieg in Čečnâ weitge- hend aus den Schlagzeilen verschwunden1. Nach der Zustimmung der Duma zum START- II- Abkommen und Putins Antrittsbesuchen in der westlichen Hemisphäre wurde er überwiegend als ein - wenn auch nicht unbedingt demokratischer - stabiler und zuverlässiger Vertreter ei- nes neuen Russlands gesehen. Londoner und Pariser Club – die Zusammenschlüsse der Gläu- biger Russlands - lockerten erneut ihre strengen Vorschriften, die Bundesregierung stellte neue Hermes-Bürgschaften bereit. Bruttoinlandsprodukt und Investitionen steigen, der Export boomt, die Verschuldungslage entspannt sich, eine umfassende Steuerreform ist auf dem Weg.2
Innenpolitisch wurde Putin von vielen – entsprechend alten Schemata – als Erlöser und Messias empfunden. Der kranke Mann El`cin war von der politischen Bildfläche verschwun- den, der neue Präsident versprach mit markigen Worten Ordnung, Bekämpfung der Korrupti- on und der „Oligarchen“3 und verfügt über eine breite Unterstützung im Parlament und in der Bevölkerung. Ob und wieweit das Schicksal der Kursk und deren Besatzung eine Trendwende dieser Tendenz darstellt oder nur als Zwischentief angesehen werden kann, ist noch unklar und wird sich im Laufe der nächsten Monate zeigen.
Noch vor weniger als einem Jahr jedoch war die Situation weitaus undurchsichtiger: Die herrschende El`cin-Familie mit den sie unterstützenden Wirtschaftsgrößen suchte verzweifelt nach einem Nachfolger für den immer offensichtlicher physisch und psychisch regierungsun fähigen Präsident, welcher zugleich hohe Popularitätswerte in der Bevölkerung erreichen und in gleichem Maße als Garant für die Wahrung der langfristigen Interessen der herrschenden Klasse gelten konnte. Mehrere Versuche schlugen fehl, die Zeit wurde knapp, die Zufrieden- heit in der Bevölkerung mit der Regierung sank und gleichzeitig haussierten die Kurse der damaligen Gegenspieler Lužkov und Primakov.
Nicht ganz klar ist, wer schließlich auf die Idee kam, den durch und durch unscheinbaren FSB -Chef Vladimir Putin zum Ministerpräsidenten zu ernennen und innerhalb kürzester Zeit zu El`cins Nachfolger zu küren. Putins durch jahrzehntelange Geheimdienstmitarbeit, unter anderem in der DDR, erworbene Qualitäten schienen kongruent zu sein mit den geforderten Eigenschaften. Disziplin und Härte, Loyalität und Erfahrung im Umgang mit dem Westen - die Chancen für eine Akzeptanz Putins beim russischen Volk und im Ausland schienen gut.
Die Marketingmaschinerie des Kremls fing an, auf Hochtouren zu arbeiten. Zu Zwecken der Profilierung Putins wurde erneut ein Krieg in dem noch in Ruinen liegenden und von An- archie dominierten Čečnâ initiiert – ein fast todsicherer Weg, sich Sympathien bei der russi- schen Bevölkerung zu sichern.4 Zwei Monate vor den Parlamentswahlen im Dezember wurde, geführt von dem populären Katastrophenminister Šoigu und Ex-Ring-Olympiasieger Alexan- der Karelin, ein Wahlbündnis aus der Taufe gehoben, das Wahlkampf betrieb „ [...] without a political programme and on the sole basis of promising unconditional support for the go- ve r nment “ (EIM 2000: 3/10). Nach der bestandenen Generalprobe – dem relativen Sieg von
„ Medved/Edinstvo “ („Der Bär/Einheit“) bei den Parlamentswahlen5 -, nach der Einnahme Groznyjs und den kaum noch zu überbietenden Umfragewerten Putins schien der Zeitpunkt gekommen zu sein6. Mit dem Ausklang des alten Milleniums trat Präsident El`cin zurück und ernannte Putin zu seinem Interimsnachfolger.
Geschwächt durch die Parlamentswahlen und resignierend vor so viel strategischem Ge- schick gaben die wichtigsten Konkurrenten um das Präsidentenamt, Lužkov und Primakov, den Kampf auf und versuchten nach der Maxime der Schadensbekämpfung gut zu machen, was noch gut zu machen war, indem sie Putin für ein fähiges und würdiges Staatsoberhaupt
Januar 2000 71 Prozent der Befragten Putins Kriegsführung im Nordkaukasus.
erklärten. Dieser technische Knockout war jedoch bitter notwendig: Allmählich stießen die täglichen Nachrichten von den unzähligen gefallenen jungen Soldaten in Čečnâ auch über die Kreise der „Soldatenmütter“ und einiger anderer Menschenrechtsorganisationen hinaus auf offene Ohren, so manch einer begann, nach dem Sinn dieses Krieges und der Rolle des Impe- rators Putins zu fragen. So dürften die Strategen der „Imagefabrik“ (Kachkaeva 2000) des Kremls heilfroh gewesen zu sein, den Stern Putin bis zu den vorgezogenen Präsidentschafts- wahlen am 26. März 2000 am Leuchten gehalten und im ersten Wahlgang gerade noch die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten zu haben.
Solch eine fast idealtypische Umsetzung des Paradigmas der vor allem von den Soziolo- gen Murray Edelman (1990) und Ulrich Sarcinelli (1987) geprägten „Symbolischen Politik“ bedarf unbedingt einer hochgradigen Instrumentalisierung der wichtigsten Massenmedien. Unter Massenmedien sollen hier verstanden werden „[...] die technischen Verbreitungsmittel für Massenkommunikation [...], bei der [...] ein `Kommunikator` seine Aussagen öffentlich (d.h. prinzipiell jedermann zugänglich), indirekt und einseitig (d.h. ohne die Möglichkeit der Beobachtung der Adressaten) an ein anonymes, heterogenes und raumzeitlich verstreutes `Pu- blikum` richtet“ (Andersen/Woyke 1995: 361). Wie bei den Wahlen der Jahre 1995/1996 spielten auch im Vorfeld der Parlamentswahlen 1999 und, etwas weniger – aufgrund der fast schon antizipierten Entscheidung -, der Präsidentschaftswahlen im März dieses Jahres vor allem Fernsehen und Printmedien eine dominierende Rolle, wobei von unabhängigen Beob- achtern massivste Instrumentalisierung und Manipulation festgestellt wurde (RFE/RL, EMI, WPS, BIOST). Bei fast allen relevanten Massenmedien war eine äußerst unfaire, personenfi- xierte Berichterstattung durch „Journalisten wie Kampfhunde“7 auszumachen, die unter ande- rem Verleumdungskampagnen und gefälschte Tatsachenberichte einschloss. Ein Schlüssel- moment in diesem „ Information war “ (Light 2000), neben dem fast hemmungslosen Einsatz von sogenanntem „ Kompromat “ – kompromittierendem Material -, ist gewesen, dass die staatstreuen Medien offenbar in der Lage waren, der russischen Bevölkerung eine Öffentlich- keit zu verkaufen, die den Krieg in Čečnâ trotz immens hoher russischer Verluste als Erfolg oder als zumindest unbedingt notwendig darstellte.
Staatseigene Medien und die Medien im Besitz der dem Kreml-Clan nahestehenden Fi- nanzmogule verfügen über den meisten Einfluss, wobei der Fernsehsender ORT, Nachfolger des Sowjetfernsehens Gostelradio und der Fernsehanstalt der Transitionsjahre Ostankino, als
einziger nahezu alle Regionen des riesigen Imperiums erreichen kann. Nach der Privatisie- rung und Umwandlung in ORT im Jahre 1994 befindet sich der Fernsehsender offiziell zu 51 Prozent in Staatsbesitz, als inoffizieller Strippenzieher im Hintergrund gilt jedoch der zwie- lichtige und reichste russische Geschäftsmann Boris Berezovskij (Serie Russian Media Empi- res von RFE/RL, Europäisches Medieninstitut 1999: Kapitel 11.5), der sich gerade mit dem Gedanken der Verschenkung seiner Anteile an „unabhängige Journalisten zur Förderung der
Medienfreiheit“8 trägt.
Seit circa 1993 ist in Russland ein Prozess im Gange, innerhalb dessen die einflussrei- chen Fernseh- und Radiosender sowie Verlage von Wirtschaftsgrößen aufgekauft werden, die Einflussnahme des Staates zunimmt und von unabhängiger Medienlandschaft immer weniger die Rede sein kann. Unterschiedlichen Konglomeraten aus dem Finanz-, Industrie- und Poli- tiksektor sind ganz eindeutig verschiedene Massenmedien zuzuordnen, sei es aufgrund der offiziellen Besitzverhältnisse oder aufgrund indirekter und informeller Abhängigkeiten, was ein deutliches Bias der Berichterstattung zur Folge hat. Diese Entwicklung ging unter ande- rem einher mit zahlreichen Auswechslungen nicht-linientreuer Chefredakteure oder Bericht- erstatter sowie der Wiedereinrichtung eines „Zensurministeriums“ im Jahre 1999 und schloss sogar etliche bis jetzt ungeklärte Morde an Journalisten ein.
Doch war die Lage nicht immer so hoffnungslos: Interessant ist, dass im Rahmen der 1985 von Gorbačev initiierten Perestrojka (Umbau) und eines ihrer Hauptinstrumente, Glas- nost` (Öffentlichkeit, Transparenz), den Massenmedien eine tragende Rolle zugedacht war. Viele Journalisten nahmen diesen Anspruch ernst, ernster als es dem Zentralkomitee und Gorbačev lieb war, und so wie die ganze Perestrojka zunehmend der Kontrolle ihrer Urheber entglitt, entwickelte sich auch im Mediensektor eine gewisse Eigendynamik, aus der die Neu- gründung zahlreicher Zeitungen und Magazine sowie unabhängiger Journalistenverbände resultierte, und die in ihren Details schon erschöpfend, wenn auch mit durchaus unterschiedli- chen Resultaten, untersucht worden ist (Wendler 1995, von Steinsdorff 1994, Downing 1990, Tolz 1992).
Im Rahmen dieser Arbeit soll deshalb nicht eine weitere Untersuchung der Zusammen- hänge Transition oder Transformation, Demokratie, Demokratisierung, Civil Society, Mas- senmedien, Journalismus – um die Schlüsselbegriffe dieser Debatte zu nennen - unternommen werden, was fast immer zwangsläufig normative Überlegungen mit sich führt und im Grunde
sehr stark auf die westliche Perspektive fixiert ist. Genauso wenig sollen kommunikations- theoretische, medientheoretische oder wahlkampfbezogene Ansätze im Vordergrund stehen. Thema ist vielmehr eine Analyse des Beziehungsgeflechtes zwischen Politik und Massenme- dien in Russland, struktureller Verhältnisse, der ihnen zugrundeliegenden Mechanismen und relevanter Akteure.
Obwohl es hier nicht um die deduktive Überprüfung von Hypothesen geht, soll als eine Art kanalisierende Leithypothese gelten: Nach einer vorübergehenden Liberalisierung kann man das russische Mediensystem zwar als (noch) relativ pluralistisch, keineswegs aber als frei und unabhängig bezeichnen. Dies entspricht der Einschätzung der großen Mehrheit der ein- schlägigen Betrachter und ist meines Erachtens nicht weiter zu problematisieren.
Analyseraster und Vorgehensweise
Neoinstitutionalistische Ansätze zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie versuchen, die Akteurs- oder Mikro- und die Struktur- oder Makroebene miteinander zu verbinden, somit der Realität recht nahe kommen, auch wenn sie Gefahr laufen, hyperkomplex zu werden. Der in dieser Arbeit verwendete Rahmen orientiert sich an den Ansätzen des „Akteurszentrierten Institutionalismus“ (Mayntz/Scharpf 1995, sowie Scharpf 1997) und des „Historischen Insti- tutionalismus“ (Steinmo 1992) sowie dem Ansatz von Douglass North (v.a. 1993).
Zentral ist die Annahme, dass den Entwicklungstendenzen der russischen Politik und Ge- sellschaft und so auch dem Mediensystem institutionelle Arrangements oder Mechanismen zugrunde liegen, die nur unter Einbeziehung eines relativ langen Zeitraums zu identifizieren sind. So soll zum Beispiel auch der Zusammenbruch der Sowjetunion nicht als fundamentaler Einschnitt und grundlegendes „ end of history “ (Fukuyama 1989), sondern lediglich als Trans- formation der formellen Rahmenbedingungen betrachtet werden, von denen informelle Steue- rungsmechanismen – von zentraler Bedeutung für die gesamte rußländische Politökonomie ist das Konzept des „Administrativen Marktes AM“ (Kordonskii 1995) - zum großen Teil nur marginal berührt wurden oder sich zumindest nicht in gleichem Maße und in gleicher Rich- tung wie die formellen „Spielregeln“ verändert haben (Segbers 1997). Diese Institutionen stellen „ structural suggestions “ (Dowding 1995) dar, das heißt, sie strukturieren das Handeln von Akteuren, determinieren es aber nicht.
Nach einer theoretischen Einordnung sowie Begründung der Vorteile des verwendeten analytischen Ansatzes, bei der besonders der integrierende Charakter neoinstitutionalistischer Ansätze in den Vordergrund gestellt wird (Kapitel 2), soll zunächst narrativ und aus diachro-
ner Perspektive die Entwicklung des russischen Politikfelds Medien geschildert werden und mit einer vorläufigen Einschätzung struktureller Gegebenheiten enden (Kapitel 3). Im An- schluss daran sollen anfangs relevante Institutionen und institutionelle Arrangements identifi- ziert und danach auf der Akteursebene die wichtigsten „Spieler“ mit ihren Ressourcen und Zielen dargestellt werden, um abschließend die wichtigsten strategischen Entscheidungssitua- tionen unter Berücksichtigung des komplexen Zusammenspiels von Institutionen und Akteu- ren zu analysieren (Kapitel 4).
Diese Vorgehensweise greift damit zurück auf das von Bates et al. (1998) geprägte Kon- zept der „ analytic narratives “, das den Anspruch erhebt, normalerweise in der Ökonomie und der Politikwissenschaft verwendete analytische Werkzeuge wie Rational Choice oder Spiel- theorie mit ursprünglich aus der Geschichtswissenschaft stammenden Narrationen oder Er- zählungen zu kombinieren:
„ Our approach is narrative: it pays close attention to stories, accounts, and context. It is analytic in that it extracts explicit and formal lines of reasoning, which facilitate both exposition and ex- planation “ (ibid.: 8).
Weil vorhandene russische Originaldaten wissenschaftlichen Kriterien (Objektivität, Re- liabilität, Validität) nicht immer genügen und weil gerade auch informelle Institutionen und Abhängigkeiten im Vordergrund der Analyse stehen, wird hier fast ausschließlich qualitativ vorgegangen. Dazu gehört die Inhaltsanalyse existierender Sekundärliteratur, von russischen Zeitungs-, Zeitschriftenartikel und Fernsehsendungen, sowie zahlreicher Internet-Newslines, und -Analysen.
2. Das Analyseraster – Neoinstitutionalismus
2.1 Übersicht über Transformationstheorien / Theorien politischer Prozesse
Grob vereinfachend können Strukturtheorien und Handlungstheorien als die zwei klassi- schen Paradigmata in den Sozialwissenschaften zur Erklärung gesellschaftlicher Prozesse betrachtet werden. Kollektive Phänomene und Veränderungen werden entweder ausgehend von den Gesellschaften zugrundeliegenden Strukturen und strukturellen Mechanismen oder aber von den intentionalen Entscheidungen Handelnder analysiert. Im folgenden sollen basie- rend auf dieser idealtypischen9 Gegenüberstellung jeweils kurz die wichtigsten Grundannah- men, Varianten sowie Vor- und Nachteile zusammengefasst werden.
Klassische Strukturtheorien verbleiben auf der Makroebene, der Ebene aggregierter Phänomene und kollektiver Erscheinungen. Sie verwenden Strukturen, das heißt „Teile- Ganzes-Anordnungen“ (Schneider 1997: 166) als explanans. Sind diese „Teile“ gleichartig, handelt es sich um Beziehungsstrukturen, sind sie verschieden, um Verteilungsstrukturen; Strukturen können außerdem unter funktionalen Aspekten betrachtet werden (ibid.: 166f). Verwendet man die Ebene der Strukturen als differentia specifica, so kann weiter mit Esser (1993: 458) zwischen Superstrukturen, institutionellen Strukturen, sozialen Strukturen und Infrastrukturen unterschieden werden. Schneider (ibid.: 169-184) schreibt in diesem Zusam- menhang von einem Makrostrukturalismus, der sich auf die Gesellschaft als Ganzes, auf die ihr immanenten Tiefenstrukturen bezieht, von einem Mesostrukturalismus, bei dem Bezie- hungsanordnungen im Vordergrund stehen, und von einem Mikrostrukturalismus, der die
„Spielregeln“ ganz bestimmter Situationen thematisiert. Bei strukturalistischen Ansätzen wird die Mikro- oder Individualebene nicht ausgeblendet, spielt aber keine erklärende, höchstens eine peripher intervenierende Rolle. Methodologisch orientieren sich strukturalistische Ansät- ze an einer holistischen Vorgehensweise, Ziele sind „Erklären“ und „Analysieren“ - die Suche nach verallgemeinerungsfähigen Kausalgesetzen. Als klassische Strukturalismen können die kulturalistische (Luhmann) und die strukturfunktionalistische (Parsons) Variante der Sy- stemtheorie sowie diverse marxistische Spielarten (Poulantzas, Althusser) betrachtet werden. Als neuere Ansätze können zum einen das von Skocpol (1979) initiierte und von anderen (z.B. Evans 1985) aufgegriffene staatstheoretische Forschungsprogramm sowie verschiedene neoinstitutionalistische Ansätze identifiziert werden, wobei letztere sich eindeutig von einer einseitigen Fixierung auf die Makroebene hin zur zunehmenden Integration der Mikroebene entwickelt haben.
Handlungs- oder auch Akteurs- und Mikro theorien bauen im Prinzip auf dem von Max Weber geprägten methodologischen Individualismus auf. Zusammenhänge auf der Makro- ebene werden als chronisch unvollständig angesehen und eine „Mikrofundierung“ wird für notwendig erachtet. Diesem Zwecke dienen die Modelle des Weber`schen „verstehenden Er- klärens“ (1980: 1-11), der Esser`schen „Drei-Logiken“ (Esser 1993: 91-102) und der Cole- man`schen „Badewanne“ (Coleman 1990).10 Braun (1997: 48-49) sieht als wichtigste allge- meine Merkmale von Handlungstheorien das Element der Wahlfreiheit, das heißt die nicht vollkommene Determiniertheit des Akteurs durch strukturelle Vorgaben, und die Verwendung von Intentionalerklärungen.11 Damit verbunden ist der probabilistische Charakter von Erklä- rungen, die nicht kausal-strukturell oder linear sein können.
Weitergehend können ein rationales und ein konstruktivistisches oder interpretatives Pa- radigma unterschieden werden. Wiederum mit Braun (1999: 33) sollen hier als minimale ge- meinsame Merkmale aller Rational-Choice(RC) -Theorien - oder Theorien der rationalen Wahl, des rationalen Handelns - das Kriterium der konsistenten Präferenzordnung (Konnekti- vität, Transitivität und Kontinuität der Präferenzen) sowie das Axiom der Nutzenmaximierung gelten. Es wird, allgemeinverständlich formuliert, davon ausgegangen, dass handelnde Indivi- duen wissen, was sie wollen und wie sie es erreichen können, und dass sie jeweils die vielver- sprechendste Lösung, die Lösung mit dem größten Nutzen, wählen. RC -Ansätze lassen sich nun wieder in mindestens vier Varianten unterteilen:
- die ökonomische Theorie der Politik, die sich ausschließlich an ökonomischem Nutzen orientiert und große Parallelen zur Wirtschaftswissenschaft aufweist, kann eher positiv (public choice) oder normativ (social choice) ausgerichtet sein; klassi- sche Vertreter der ersten Richtung sind Black, Schumpeter, Downs, Olson, Riker, Niskanen, der zweiten Richtung Arrow sowie Buchanan und Tullock;
- eine „aufgeklärte“ Variante, die das Bild des homo sociologicus miteinbezieht und nicht nur ökonomischen Nutzen als Handlungsmaxime gelten lässt; als Beispiel kann hier genannt werden das Modell des Ressourceful Restricted Expecting Eva- luating Maximizing Man von Lindenberg, das auch zum Beispiel Esser verwendet (1993: 238);
- Ansätze begrenzter Rationalität12, basierend auf den Untersuchungen der Carne- gie-School (Barnard, Simon, March, Cohen, Olsen);
- die Variante des RC -Institutionalismus, die zwar eigentlich ihrem Wesen nach eine Handlungstheorie darstellt, hier aber im nächsten Kapitel – als Institutionalismus - behandelt werden soll.
Das Gegenstück zu rationalen Ansätzen auf der Mikroebene bilden konstruktivistische oder interpretative Ansätze, für die als kleinster gemeinsamer Nenner die Ablehnung perfek- ter sowohl objektiver als auch subjektiver Rationalität und die Grundannahme der „ Social Construction of Reality “ (Berger/Luckmann 1966) gelten soll. Schlüsselbegriffe für die Ver- treter konstruktivistischer Ansätze13 stellen „Interaktion“, „Kommunikation“, „Interpretation“,
„Sinn“ und „Verstehen“ dar. Konstruktivistische Theorien orientieren sich an hermeneuti- schen Methoden wie zum Beispiel der „ thick description “ (Geertz 1983) oder den „ grounded theories “ (Glaser/Strauss 1967).
Während RC -Ansätze sich durch Einfachheit, Eleganz, Modellierbarkeit und im Prinzip universelle Anwendbarkeit auszeichnen, ist ihre größte Schwäche der mangelnde Bezug zur Realität: Menschen handeln ganz einfach nicht immer und ausschließlich rational. Konstruk- tivistische Ansätze, auf der anderen Seite, mögen mit ihrem Grundsatz der prinzipiell relati- ven Objektivität und Interpretationsbedürftigkeit sozialer Handlungen der Wirklichkeit zwar näher kommen, sehen sich aber mit großen Problemen bei der Operationalisierung, Verallge- meinerbarkeit und damit letztlich dem Grundsatz allen wissenschaftlichen Arbeitens konfron- tiert.
Struktur- und Handlungstheorien verwenden zwei unterschiedliche Ausgangspunkte zur Erklärung und Analyse sozialer Prozesse und sind in ihrer Reinform reduktionistisch. Struk- turtheorien tendieren zur Vernachlässigung von Akteuren und deren Intentionen und zu strukturellem Hyper-Determinismus. Akteurs- oder Mikrotheorien auf der anderen Seite mö- gen dem Individuum zu viel Gewicht zukommen lassen und strukturelle Kontingenzen ver- nachlässigen. Prinzipiell sind beide Ansätze aber nicht inkompatibel und gerade wegen der Offensichtlichkeit der jeweiligen Schwächen sind in der modernen Politikwissenschaft nur noch selten Ansätze vorzufinden, die sich nicht um eine Synthese der beiden Richtungen be- mühen. Neoinstitutionalistische Theorien oder theoretische Ansätze stellen dabei nach Mei- nung des Verfassers immer noch die erfolgversprechendsten Versuche dar.
2.2 Das Spektrum politikwissenschaftlich relevanter neoinstitutionalistischer Ansätze
Allen neoinstitutionalistischen Ansätzen in der Politikwissenschaft14 ist gemeinsam, dass sie versuchen, die Struktur- und die Handlungsebene miteinander zu verbinden und, in den meisten Fällen, der institutionellen oder strukturellen Dimension eine größere Bedeutung zu- weisen. Anders als der klassische Institutionalismus, dessen „[...] Ordnungsraster [] schlicht unterkomplex [...]“ sind (Kaiser 1999: 191) erkennt der Neoinstitutionalismus die Existenz zahlreicher unterschiedlicher institutioneller Arrangements an und verwendet mehr als di- chotome oder trichotome Klassifikationen. Auch schreibt der neue Institutionalismus Institu- tionen keine determinierende Wirkung zu, sondern sieht sie nur als ein erklärendes Moment unter anderen. Darüber hinaus jedoch existieren so viele verschiedene Varianten, dass die Verwendung des Begriffes Eklektizismus im Zusammenhang mit Neoinstitutionalismus durchaus berechtigt scheint. Zumindest fünf Varianten sind meines Erachtens von elementarer Bedeutung und sollen hier dargestellt werden, wobei das Hauptaugenmerk dem jeweiligen Verständnis von Institutionen, dem verwendeten Menschenbild und der Art institutionellen Wandels gilt.
Hall und Taylor (1995) sowie andere weisen zurecht darauf hin, dass die verschiedenen Neoinstitutionalismen relativ autonom sind und zu unterschiedlichen Zwecken auf die Agen- da gesetzt wurden. Es fällt nicht immer leicht, klare Abgrenzungskriterien herauszuarbeiten, da unterschiedliche Explananda im Vordergrund stehen. Trotzdem können - bewegt man sich auf einem imaginären Kontinuum in Richtung Relativierung von Rationalität, Erweiterung des Institutionenbegriffs und In-Frage-Stellung intentionalen Institutionenwandels - die fol- genden Ansätze voneinander unterschieden werden: Erstens, der schon erwähnte RC - Institutionalismus, zweitens, der historisch-ökonomische Ansatz von Douglass C. North, drittens, der „Akteurszentrierte Institutionalismus“ von Scharpf und Mayntz, viertens, der Historische Institutionalismus“, sowie, fünftens, der Soziologische Neoinstitutionalismus.15
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Erstellung
Der RC -Institutionalismus stellt im Prinzip eine Handlungstheorie dar, das heißt, im Mittelpunkt stehen rational handelnde Individuen mit ihren Intentionen16. Im Gegensatz zum klassischen rationalen Paradigma konzentriert er sich jedoch auf die Probleme, die bei der Aggregation oder Transformation von rationalen Einzelentscheidungen in kollektive Ergeb- nisse entstehen – in den Anfangswerken ausgehend von der Untersuchung des Wahlverhal- tens im Amerikanischen Kongress17. Rationale Entscheidungen von nutzenmaximierenden Einzelakteuren führen nicht selbstverständlich auch zu vernünftigen oder optimalen kollekti- ven Resultaten – ein Dilemma, das hauptsächlich durch Mancur Olson` s „Logic of collective action “, Hardins „ Tragedy of the Commons “, das „Condorcet-Paradox“ und das „Arrow- Theorem“ sowie in der Spieltheorie durch das „Gefangenendilemma“ bekannt geworden ist. RC -Institutionalisten stellen sich nun die Frage, wie – unter Berücksichtigung dieser Proble- me – trotzdem stabile und vernünftige kollektive Ergebnisse erreicht werden können und kon- zentrieren sich dabei auf den Begriff der Institution. Institutionen sind „Spielregeln“, die sich rationale „Spieler“ selbst auferlegen, um in einer Welt voller Disequilibria dennoch kollektiv und langfristig oder zumindest mittelfristig stabile Ergebnisse erreichen zu können. Basierend auf der Grundfragestellung der hier beschriebenen Variante gilt besonderes Interesse Situatio- nen strategischer Interdependenz und Interaktion und deren Strukturierung durch Institutionen - und nichts anderes macht im Prinzip das Wesen der Spieltheorie aus. Hervorzuheben ist fer- ner der intentionale Charakter der Institutionengenese und des Institutionenwandels als auch die Beschränkung auf formelle, per Kontrakt geschaffene Institutionen. Institutionen entste- hen, weil rationale Akteure sie als zur Erreichung ihrer Ziele notwendig erachten. Institutio- nen wandeln sich, weil neue Formen eine Nutzenoptimierung versprechen. Die Vorteile des RC -Institutionalismus sind offensichtlich und gleichen denen aller RC -Ansätze: Relative Ein-
fachheit, Eleganz und Modellierbarkeit. Neben der allgemeinen Kritik an RC -Ansätzen18, sind
die drei wichtigsten Kritikpunkte mit Hall/Taylor (ibid.: 952f) Funktionalismus, Intentiona- lismus und Voluntarismus. Oder anders gesagt: es entspricht nicht immer der Realität, dass Individuen ihren Intentionen folgend frei und selbstbestimmt Verträge abschließen und Insti- tutionen schaffen, die genau und ausschließlich die erwünschte Funktion erfüllen.
Die historisch-ökonomische Variante von North erweitert die Diskussion um einige Aspekte. Aus der RC -Tradition stammend und neben Williamson als Vater der Transaktions- kostentheorie geltend lehnt North in seinen neueren Schriften im Gegensatz zu seinen frühe- ren Arbeiten das neoklassische Paradigma klar ab und konzentriert sich außerdem auf das von RC -Theoretikern häufig nicht problematisierte Thema des institutionellen Wandels. Institu- tioneller Wandel „[...] shapes the way societies evolve over time and hence is the key to un- derstanding historical change “ (North 1993: 3). Institutioneller Wandel ist prinzipiell inkre- mentalistisch und resultiert aus einer Vielzahl von rationalen Einzelentscheidungen (ibid.: 68). Die Folgen institutionellen Wandels sind nicht hundertprozentig vorauszusehen sowie durch von Gesellschaft zu Gesellschaft divergierende informelle institutionelle Arrangements, id est Kultur, bedingt (ibid.: 101). North`s Menschenbild orientiert sich an den Vorstellungen des homo oeconomicus, berücksichtigt aber auch altruistische Motivation, instabile Präferen- zen sowie subjektiv geprägte Kognitionen (ibid.: 21ff). Klar zu trennen sind nach North Spiel- regeln und Spieler, die sich aus Individuen und aber auch Organisationen als korporativen Akteuren im Sinne Colemans konstituieren (ibid.: 4). Institutioneller Wandel entsteht durch ein komplexes Wechselspiel der beiden. Die Entscheidungen von Akteuren, die als Auslöser des graduellen institutionellen Wandels fungieren, resultieren aus den durch die Anreizstruk- tur des institutionellen Kontextes – formelle und informelle „[...] rules of the game in a so-ciety or, more formally, [...] humanly devised constraints that shape human interaction “ (ibid.: 3) - vorgegebenen Handlungsoptionen (ibid.: 7). Während formelle Regeln „[...] may change over night [...]“ (ibid.: 6) als Folge von zielgerichteten Entscheidungen, sind infor- melle Institutionen – internalisierte oder sozial sanktionierte Verhaltensregeln - viel weniger durch eine vorsätzliche Politik zu beeinflussen: „ These cultural constraints not only connect the past with the present and the future, but provide us with a key to explaining the path of historical change “ (ibid.: 6). Wenngleich der Ansatz von North ungleich komplexer als der RC -Institutionalismus ist, sind besonders die Fixierung auf die Mikroebene und auf den be- schränkenden Charakter von Institutionen problematisch.
Der hauptsächlich von Scharpf (1997, Mayntz/Scharpf 1995) geprägte Ansatz des „ Ak- teurszentrierten Institutionalismus (AI)“19 ist ein Beispiel für die Kompatibilität von RC - Institutionalismus und noch zu diskutierendem „Historischen Institutionalismus“ (Kaiser 1999: 199). Im Gegensatz zu den beiden bisher beschriebenen Ansätzen substituieren Institu- tionen jetzt die Handlungen rationaler Individuen als primäres explanans oder als „ remote cause“ (Mayntz/Scharpf 1995: 46, 66). Als Instrument der Policy-Analyse und im Hinblick auf „Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung“20 gedacht, soll untersucht werden, wie institutionelle Faktoren die Performanz politischer Systeme beeinflussen. Scharpf orientiert sich zwar an dem Bild eines (begrenzt) rationalen Menschen, sieht dessen Handeln aber vor allem durch Institutionen strukturiert. Individuelle und vor allem korporative Akteu- re21 mit ihren Fähigkeiten, Kognitionen, Präferenzen, Strategien und Interaktionsorientierun- gen treffen in bestimmten spieltheoretisch modellierbaren Akteurskonstellationen über spezi- fische Interaktionsmodi Entscheidungen und produzieren „ Policy-Outputs “ (Scharpf 1997: 44). Ihr Handeln wird dabei restringiert von Institutionen und institutionellen Arrangements, die Scharpf idealtypischerweise unterteilt in „ anarchic fields “, „ networks “, „ associations “ und
„ organizations “ (ibid.: 47). Diese bieten aber gleichzeitig auch – und das ist ein weiterer wichtiger Unterschied zu RC -Ansätzen – Chancen und haben keineswegs eine determinieren- de Wirkung (ibid.: 43). Das Institutionenverständnis Scharpfs richtet sich somit gegen eine „kulturalistische Ausweitung“ (ibid.: 45) und „kryptodeterministische“ (ibid.) Tendenzen, die soweit gehen, auch „Mythen“ als Institutionen zu betrachten. Diese Einschränkung des Insti- tutionenbegriffs führt erstens dazu, dass nicht alles menschliche Handeln letztlich durch In- stitutionen erklärbar ist. Zweitens werden Institutionen nicht als automatisch gegeben oder nur als unabhängige Variablen verstanden, sondern auch als explananda, die gezielt verändert werden können. Schnittstellen des AI mit dem „Historischen Institutionalismus“ sind vor al- lem die Berücksichtigung der zeitlichen Abhängigkeit politischer Prozesse und deren damit
zusammenhängende „Pfadabhängigkeit“22: „ History is not efficient “ (1997: 41). Der AI
zeichnet sich durch hohen Realismus aus: Er integriert formelle und informelle Institutionen, zieht aber klare Grenzen zu zu weiten Definitionen. Er geht aus von rationalen Menschen, akzeptiert aber deren Beschränktheit. Institutionen restringieren und ermöglichen, determinie- ren aber nicht und können auch selbst verändert werden. „ So what ?“ – möchte man sagen und fairerweise erkennen auch Mayntz und Scharpf (1995: 66) die Hyperkomplexität ihres Ansat- zes an, verweisen aber auf die Realität und empfehlen die Verwendung nur einzelner Seg- mente ihrer „Forschungsheuristik“ (ibid.: 39) sowie das Prinzip „abnehmender Abstraktion“ (ibid.: 66), das soll heissen den Vorrang institutioneller Erklärungen vor akteursorientierten.
Der „ Historische Institutionalismus (HI)“ ist geprägt von einem staatstheoretischen Er- kenntnisinteresse, baut auf gruppen- oder konflikttheoretischen und strukturfunktionalisti- schen Denkrichtungen der sechziger und siebziger Jahre auf und versucht, diese zu erweitern (Hall/Taylor 1995: 937). Besonders die marxistischen Varianten dieser Strömungen waren fruchtbarer Boden für die Entstehung des HI, da sie sich auf die Perspektiven des Staates als Instrument oder als Arena beschränkten23 und das relative Eigengewicht und die relative Au- tonomie des Staates, die sich durch die unterschiedlichen Wirkungen unterschiedlicher insti- tutioneller Strukturen bemerkbar machten, ignorierten. Klar prägend waren die Werke von Theda Skocpol (1979, 1980), die sich in dem 1985 veröffentlichten „Forschungsprogramm“
„ Bringing the State back in “ (Evans et al.) manifestierten. Zwei Aspekte des HI sind beson- ders von Bedeutung: Zum ersten natürlich die explizite Berücksichtigung der zeitlichen Di- mension, zum zweiten das Anerkennen eines komplexen Wechselspiels von Institutionen, Ideen und Interessen im Rahmen sozialer Prozesse. In Ergänzung zu einem „ calculus- approach “, der sich an dem gleichen Menschenbild wie die bisher beschriebenen neoinstitu- tionalistischen Ansätze orientiert, identifizieren Hall und Taylor (1995: 939) jedoch auch ei- nen „ cultural-approach “, der stärker auf die Rolle von Weltanschauungen und Ideologien bei der Wahl von Individuen eingeht. Mit diesen beiden Varianten wird auch ein unterschiedlich weiter Institutionenbegriff verwendet, der von formellen Regeln über Prozeduren, Routinen, Normen und Konventionen bis hin zu Symbolen gehen kann (ibid.: 938-939, Hall 1992:96). Des weiteren beschäftigen sich „historische Institutionalisten“ besonders mit dem Zusam- menhang von Macht und Institutionen (Hall/Taylor 1995: 940-941), das heißt sie legen Wert auf die Feststellung, dass Institutionen ungleiche Machtverteilungen verursachen. Die An- nahmen der klassischen Vertragstheorie ablehnend, wird von einem Bias in Institutionen (Immergut 1997: 326) ausgegangen, das zentrale politische Entscheidungsprozesse für be- stimmte Interessen leichter und für andere schwerer zugänglich macht oder die Bildung be-
stimmter Koalitionen gegenüber anderen eher ermöglicht24. Das entscheidende Merkmal des
HI ist aber, wie der Name schon impliziert, „[...] to place an historical perspective at the center of [...] research “ (ibid.: 337). Policy -Entscheidungen von Akteuren zu einem Zeitpunkt t sind nur unter Berücksichtigung langfristiger Entwicklungspfade in politischen Systemen verständlich. Sich generell in der Tradition von Max Weber sehend, sind für die Vertreter des HI, so Immergut (ibid.: 337-338), gerade die Momente, die das „historische“ des „histori- schen Institutionalismus“ ausmachen, schon bei Weber zu finden: die Berücksichtigung ver- schiedener Arten von Rationalität; kausale Zusammenhänge, die nur unter Einbeziehung des jeweiligen Kontextes zu verstehen sind; sowie Kontingenz und nicht Konsequenz oder Effizi- enz der Geschichte. Der größte Schwachpunkt des HI besteht in dem Gegensatz zwischen der Betonung kontextueller und pfadabhängiger Faktoren auf der einen Seite sowie dem Versuch der Vereinheitlichung und Verallgemeinerbarkeit bestimmter Erkenntnisse auf der anderen Seite: „[...] the historical-institutionalist approach suffers from the contradictory aims of try- ing to provide systematic explanations, all the while insisting upon particularism, context, and contingency“ (ibid.: 349).
Der „ Soziologische Institutionalismus (SI)“ schließlich, der hier als Oberbegriff für den politikwissenschaftlichen Ansatz von March und Olsen (1989) sowie den organisationstheo- retischen Institutionalismus, vertreten vor allem durch Powell/DiMaggio (1991) und Meyer/Rowan (1977), gelten soll, steht am Ende des verwendeten Kontinuums. Hier >dominiert ein stark „kulturalistisch-interpretatives Institutionenverständnis“ (Kaiser 1999: 201), das „[...] not just formal rules, procedures or norms, but the symbol systems, cognitive scripts, and moral templates that provide the `frames of meaning` guiding human action “ (Hall/Taylor 1995: 947) unter den Begriff Institution subsumiert. Der SI ist stark beeinflusst von sozial-konstruktivistischen Ansätzen, die (a.a.O.) vor allem von einer sozial konstruierten und interpretationsfähigen und –bedürftigen Realität ausgehen. Die Vorstellung der Rationa- lität menschlicher Entscheidungen und die Vorstellung streng kalkulierender und nutzenma- ximierender Individuen wird nicht abgelehnt, nur werden verschiedene Arten von Rationalität
selbst als sozial konstruiert gesehen – als „Rationale Mythen“25. Aufgrund der begrenzten
Rationalität von Individuen stellt ein ständiges Ressort von Standard Operating Procedures das Instrumentarium zur Reduktion von Unsicherheit bereit. Institutionen verkörpern darüber hinaus auch immer Sinnstiftung und Orientierungsleistungen, bieten „Leitideen“ an. Während die organisationstheoretischen Ansätze von Meyer/Rowan und DiMaggio/Powell vor allem die Beziehungen von Organisationen zu ihrer Umwelt oder ihren Umwelten thematisieren, sehen March und Olsen ihr Forschungsprogramm – ähnlich wie Vertreter des HI - als begrün- det durch eine Kritik an den herrschenden Paradigmata der letzten Jahrzehnte26. Gemeinsam ist beiden Strängen jedoch, dass sie für den Bestand von Organisationen und die Performanz von politischen Prozessen das Kriterium der Effizienz relativieren zugunsten von Legitimi- tätskriterien oder die „ logic of consequentiality “ ergänzen durch eine „ logic of appropriate- ness “ (March/Olsen 1989: 23). Die Vertreter des SI orientieren sich in Hinsicht auf institutio- nellen Wandel an den „ bounded rationality “-Vorgaben der „ Carnegie-School “, im Extremfall des „ garbage can “-Modells, sowie dem Grundsatz des „ satisficing “ (Kaiser 1999: 194): In- stitutionenwandel ist nicht kontrollierbar und resultiert nicht in intentional vorgegebenen Zielen sondern erfolgt inkrementalistisch entlang institutioneller Entwicklungspfade; manch- mal scheint es sogar so, als ob Outputs willkürlich zusammengewürfelt wären. Akteure kön- nen höchstens versuchen, befriedigende Lösungen zu erreichen.
Der SI stellt das Gegenstück zum RC -Institutionalismus dar. Beide bieten innerhalb der hier verwendeten Klassifikation Extremlösungen an. So wie beim RC -Institutionalismus die determiniert durch ihren Kontext, so zum Beispiel Klassenstrukturen, gesehen; Reduktionismus – kollektive Phänomene können einfach durch die Aggregation von Einzelentscheidungen erklärt werden; Utilitarismus – Individuen sind ausschließlich Nutzenmaximierer; Instrumentalismus – politische Prozesse werden reduziert auf Verfahren optimaler Ergebniserzielung; sowie Funktionalismus – geschichtliche Entwicklungen wären effizient (March/Olsen 1989: 3ff).
Überhöhung der Rationalität, der enge Institutionenbegriff und der intentionale Charakter institutionellen Wandels kritisiert werden, wirft man dem SI eine zu sozialkonstruktivistische und kontingente Auffassung von Rationalität, einen zu weiten und deterministischen Institu- tionenbegriff sowie die Vernachlässigung von Intentionen innerhalb institutioneller Entwick- lungen vor. Ein realistischer und dennoch modellier- und verallgemeinerbarer Ansatz muss zwischen diesen beiden Polen liegen.
Tabelle 2.2: Neoinstitutionalistische Ansätze im Überblick
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Erstellung
2.3 Synthese verschiedener neoinstitutionalistischer Ansätze / Vorstellung des hier ver- wendeten analytischen Rasters
Wie schon erwähnt, soll nun auf die drei „moderateren“ Ansätze – den Ansatz von North, den Akteurszentrierten Institutionalismus und den Historischen Institutionalismus – zurück- gegriffen werden, um ein Raster für die Analyse der Beziehungen zwischen Massenmedien und Politik in Russland zu gewinnen. Diese drei Ansätze thematisieren ausdrücklich das komplexe Wechselspiel von Institutionen und Akteuren unter Berücksichtigung der zeitlichen Dimension. Das zu entwerfende Raster soll der Realität möglichst nahe kommen, aber trotz- dem nicht ganz in zu weit gefassten und zu konstruktivistischen Definitionen aufgehen.
Geht man aus von zwei klassischen Politikdimensionen, einer entscheidungstheoreti-
schen und einer machttheoretischen, so scheint die letztere in diesem Kontext eher relevant. Politik soll daher hier nicht wie in modernen, westlichen Gesellschaften verstanden werden als die Herstellung und Durchsetzung von relevanten, gesamtgesellschaftlich verbindlichen Entscheidungen, sondern vielmehr als der Erwerb, der Gebrauch und die Verteilung von Macht. Macht ist nach Max Weber „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ (Weber 1990: 28).
Leicht vereinfacht könnte man Politik heute in Russland betrachten als großes „Spiel“ ei- niger mächtiger Akteure, die gewisse Ziele verfolgen und über bestimmte Ressourcen verfü- gen, wobei seit Putins Wahl zum Präsidenten starke etatistische Tendenzen auszumachen sind. Das Agieren der Akteure wird geleitet durch eine Vielzahl formeller und informeller Regeln, die sie beschränken, einigen von ihnen aber auch besonders günstige Gelegenheiten bieten. Formelle Regeln, das heißt vor allem Gesetze, existieren, sind aber nicht unbedingt relevant. Viele der informellen Regeln stammen aus Sowjetzeiten und haben sich anders ent- wickelt als die formellen Regeln. Wieweit es der neue Präsident Putin verstehen wird, dieses
„Spiel“ in geordnete Bahnen zu lenken oder die Oberaufsicht einem zentralen „Spielleiter“ zu unterstellen, wird sich zeigen.
Der Mediensektor stellt einen Ausschnitt aus diesem „Spiel“ dar. Aufgrund der in der Einleitung erwähnten Gründe, das heißt seiner Funktion zur Darstellung, Visualisierung und Übertragung von Interessen, besonders aber auch wegen der Möglichkeit, Realität zu gestal- ten und zu definieren, ist er in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen. Relevante Akteure im Mediensektor sind einerseits der Staat, andererseits Wirtschaftsgrößen. Die Aktivitäten beider Gruppen gelten der Durchsetzung ihrer Interessen. Dazu kommt der kollektive Akteur Jour- nalisten, wobei gleich konstatiert werden muss, dass die Journalisten keinen in sich homoge- nen Akteur darstellen und zum größten Teil auch nicht als autonom betrachtet werden kön- nen.
Das hier verwendete Menschenbild orientiert sich an RC -Ansätzen. Akteure trachten da- nach, ihren Nutzen zu maximieren, und sie verfügen über eine konsistente Präferenzordnung, das heißt, dass sie in der Lage sind, ihre Präferenzen miteinander in Verbindung zu setzen und zu ordnen (Konnektivität), dass diese Ordnung logisch widerspruchsfrei ist (Transitivität), und dass sich neu auftretende Präferenzen logisch in diese Ordnung integrieren lassen (Konti- nuität). Darüber hinaus soll aber nicht nur ökonomischer Nutzen berücksichtigt werden. Auch die Interaktionsorientierungen von Akteuren können sich ändern, je nach Situation handeln diese zum Beispiel individualistisch, solidarisch, altruistisch oder feindschaftlich (Scharpf
1997: 86). Ferner ist das Verhalten von Akteuren schlichtweg nicht objektiv rational. Auf- grund der Komplexität der Umwelt, der kognitiven und antizipativen Beschränktheit der Indi- viduen gilt der Grundsatz der beschränkten Rationalität. Damit wird hier einerseits das Men- schenbild der RC -Institutionalisten und von North relativiert, gleichzeitig aber auch eine deutliche Abgrenzung zur „Auflösung“ aller Rationalitätsvorstellungen des Soziologischen Institutionalismus vorgenommen. Anhaltspunkt ist die Vorstellung von Mayntz und Scharpf sowie der Vertreter der calculus -Variante des Historischen Institutionalismus.
Institutionen sind formelle und informelle Regeln und Regelsysteme, die das Handeln von Akteuren strukturieren. Während zum Beispiel North (1993: 46) als Unterscheidungskri- terium zwischen formell und informell den Kodifizierungsgrad in den Vordergrund stellt, soll hier mit Mummert (1999: 1) vor allem die zuständige Sanktionierungsinstanz als relevant angesehen werden: formelle Institutionen – die meist geschriebenen Charakter haben - werden vom Staat durchgesetzt und sanktioniert, informelle – die meist ungeschrieben sind - von pri- vaten Akteuren oder den handelnden Individuen selbst. Für die Analyse von politischen Pro- blemen und Prozessen sind nicht nur politische, sondern auch soziale Institutionen von Be- deutung. Institutionen beschränken Individuen in ihrem Handeln, bieten ihnen aber auch Chancen. Institutionen sind mehr als von „einsichtigen“ Spielern sich in ihrem Interesse selbst auferlegte und restringierende Spielregeln. Allerdings können auch nicht sämtliche gesell- schaftlichen Werte und identitätsstiftenden Vorstellungen als Institutionen bezeichnet werden. Institutionen stellen etwas dar, worauf der Begriff „ structural suggestions “ (Dowding 1995) am besten zu passen scheint. Institutionen sind nicht neutral und bieten nicht allen Akteuren die gleichen Chancen. Das hängt damit zusammen, dass Institutionen von Akteuren geschaf- fen und von ihnen verändert werden – „Actors, not structures, make decisions about institu- tional design “ (McFaul 1999: 33).
Zeit ist ein wichtiger Aspekt. Institutionen entstehen nicht aus dem Nichts und gelten nicht für die Ewigkeit. Sie verändern sich. Akteure versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, Institutionen zu verändern oder auch den status quo beizubehalten. Allerdings ist institutio- neller Wandel nicht alleine durch Intentionen zu erklären und nicht vollkommen vorhersag- bar. Institutioneller Wandel erfolgt graduell und inkrementalistisch entlang bestimmter Pfade.
„ Legacies of the past “ sind enorm wichtig. Zum Zeitpunkt t-1 getroffene Entscheidungen und Entwicklungen spielen eine große Rolle für den Zeitpunkt t. Das macht Entwicklungen jedoch nicht „schicksalhaft“ irreversibel. Während formelle Institutionen relativ einfach intentional à la „ shock therapy “ verändert werden können, beinhalten informelle Institutionen ein Träg-
heitsmoment: aufgrund spezifischer Investitionen, Netzwerkeffekte und informeller Sanktio- nen (Mummert 1999: 15) entwickeln sie sich nur langsam und in nicht restlos vorhersagbare Richtungen, die der Entwicklung formeller Institutionen entgegenlaufen können27. Trotzdem hat die Transformation formeller Institutionen natürlich Auswirkungen auf die Entwicklung informeller Institutionen.
Abbildung 2.3: Das Analyseraster
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Erstellung der Abbildung
Zusammengefasst und angewandt auf den Kontext von Massenmedien und Politik in Russland: Das Ende der Sowjetunion ist nicht als Phasensprung im Sinne eines „ end of histo- ry “ (Fukuyama 1989) zu begreifen. Die formellen Spielregeln wurden verändert. Reelle Ver- änderungen in Politik und Gesellschaft sind allerdings nur unter Betrachtung eines relativ langen Zeitraums zu erklären (Segbers 1997, 1999). Das „Startkapital aus sowjetischer Zeit“ (Soldner 1999: 8) - informelle oder informell gewordene Spielregeln wie zum Beispiel die Nomenklatura und der Administrative Markt (Kordonskii 1995) – verändern sich nur langsam und nicht automatisch in die gleiche Richtung wie die formellen Institutionen. Die relevanten Akteure im Mediensektor – die Medienmogule, staatliche Akteure und Journalisten – sind einerseits geprägt durch die Spielregeln der Sowjetzeit, hatten andererseits aber auch die Möglichkeit, die sich in Zeiten institutionellen Wandels bietenden Chancen zu ergreifen und den Wandel in ihrem Sinne mitzubestimmen. Dabei sind besonders einige wenige Entschei- dungssituationen von herausragender strategischer Bedeutung für den weiteren Prozessverlauf gewesen.
Nachdem nun das verwendete Analyseraster vorgestellt wurde, sollen im folgenden die einzelnen formellen und informellen Institutionen (Kapitel 4.1 und 4.2), die Akteure mit ihren Interessen, Strategien und Ressourcen (Kapitel 4.3), sowie danach wichtige Schlüsselzeit- punkte (Kapitel 4.4) näher analysiert und erklärt werden. Bevor dies aber möglich ist, muss zunächst ein Überblick über das Explanandum - Entwicklungen von Politik und Massenmedi- en in Russland seit dem Beginn der Perestrojka 1985 - gegeben werden. Diese Narration (Kapitel 3) soll dem Verständnis dienen.
3. Das Explanandum: Massenmedien und Politik in Russland - Eine Nar- ration
Dieses Kapitel der vorliegenden Arbeit soll, nach der Vorstellung des verwendeten ana- lytischen Rasters, einen Überblick liefern über die strukturellen Entwicklungen der Beziehung zwischen Massenmedien und Politik in Russland seit 1985, dem Beginn der Perestrojka. Es stellt im Rahmen der hier gewählten Vorgehensweise die „ narration “ (Bates et al. 1999) dar, die im nächsten Kapitel durch die Herausarbeitung vorherrschender Institutionen und Akteu- re, sowie die Untersuchung bestimmter fundamental prägender strategischer Entscheidungs- situationen zu einer „ analytic narration “ (ibid.) werden soll. Da „Zeit“ eine überaus große Bedeutung zugeschrieben wird und davon ausgegangen wird, dass soziale Prozesse nur unter Einbeziehung relativ langer Zeiträume und von „ legacies of the past “ verstanden werden kön- nen, muss die „Geschichte“ beginnen mit einer Beschreibung des sowjetischen Massenme- diensystems vor Beginn der Perestrojka.
3.1 Massenmedien in der Sowjetunion: Die kommandierte öffentliche Meinung
Öffentlichkeit stellte28, entgegen weit verbreiteten Annahmen, auch zu Sowjetzeiten ein wichtiges, wenngleich gelenktes und organisiertes, Instrument dar, so Segbers (1997: 264):
„Es war eine Institution der Regulierung, die im offiziellen, normierten Diskurs mit Zwischentö- nen im Rahmen harscher Grammatiken (Ideologie) operierte und die beizeiten immer auch inof- fizielle Gegendiskurse produzierte (Lieder, Lebensformen, Feste)“.
Funktion und Struktur der Massenmedien in der Sowjetunion, siebzig Jahre sozialisti- sches Medienverständnis, können zurückgeführt werden auf die Grundprinzipien der „Presse neuen Typs“ – als Pendant zur „Partei neuen Typs“ – die Lenin bereits im Mai 1901 formu- liert hatte:
„Die Rolle der Zeitung beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Verbreitung von Ideen, nicht allein auf die politische Erziehung und die Gewinnung politischer Bundesgenossen. Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und ein kollektiver Agitator, sondern auch ein kollekti- ver Organisator" (Lenin 1959: 11).
So hieß es dann auch in der „Großen Sowjetenzyklopädie“ unter Massenkommunikati- on“29:
„Systematische Verbreitung von Mitteilungen (durch Presse, Rundfunk, Fernsehen, Tonauf- zeichnung, Bildaufzeichnung) unter einem zahlenmäßig großen, zerstreuten Auditorium – mit dem Ziel der Bestätigung der geistigen Werte der jeweiligen Gesellschaft und der Unterstützung der ideologischen, politischen, wirtschaftlichen oder organisatorischen Einflussnahme auf Urtei- le, Meinungen und Verhalten der Menschen“ (zitiert nach Roth 1982: 9).
Medien und Gesellschaft bildeten eine fiktive Einheit. Den Massenmedien kam daher ei- ne aktive Rolle bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu.
Zwei wesentliche Gliederungsprinzipien der sowjetischen Medien waren Differenzierung und Hierarchie (Kornilow 1991: 77; Kreisel 1998: 201). Die Differenzierung nach dem Inhalt als auch nach dem Rezipientenkreis war weniger Ausdruck demokratischer Tendenzen als vielmehr des Strebens der Kommunistischen Partei (KP), alle Bevölkerungsschichten und alle Leserkreise mit ihrer Propaganda erfassen zu können. Die strikte Hierarchisierung der Mas- senmedien – die Einteilung in zentrale Organe, Organe der Unionsrepubliken und der auto- nomen Gebiete, Regionen, Rayons, Städte und Betriebe - entsprach den existierenden offizi- ellen zentripetalen Machtstrukturen.
Kontrolle durch die Regierung oder die Partei wurde durch Parteizellen innerhalb des je- weiligen Mediums oder durch unmittelbare Koppelung, wie bei der Parteizeitung Pravda (Wahrheit), ausgeübt. Das „Staatskomitee für Radio und Fernsehen“ (Gostelradio) regelte die Tätigkeit der elektronischen Medien; alle Journalisten und Berichterstatter waren automatisch Mitglieder der Journalistengewerkschaft (Downing 1990: 145). Neben dieser direkten Kon- trolle existierten drei weitere Organe, die mit der Zensur der Massenmedien beschäftigt waren (ibid.): Das „Hauptamt für die Bewahrung von Staatsgeheimnissen in der Presse“ (Glavlit) war offiziell mit der Vor- und Nachzensur beauftragt. Einflussreicher aber waren die Propa- gandaabteilung des Zentralkomitees (ZK) der KP, die offizielle Richtlinien anfertigte und das Komitee für Staatssicherheit (KGB), das wohl über die weitreichendsten Kompetenzen ver- fügte.
All diese umfassenden Kontrollmechanismen führten paradoxerweise dazu, dass ex-post - Kontrolle und –Zensur nur zu einem geringen Grad notwendig waren. Wie auch in fast allen anderen Bereichen der Gesellschaft war das dominierende Muster die ex-ante - oder antizi- pierte Selbstzensur. Aus Furcht vor negativen Sanktionen lebten auch die Journalisten die
„Lüge“ oder mit der „Lüge“.30
Wie sah im Bereich der massenmedialen Berichterstattung diese „Lüge“ konkret aus? Auf Lenins Vorgaben zurückgreifend identifiziert Turpin (1995: 14 ) folgende Kriterien, die bei der Veröffentlichung von Informationen beachtet werden mussten31:
a. Parteigesinnung oder unbedingte Loyalität zur Partei (Partijnost `)
b. Hoher ideologischer Gehalt (Idejnost `)
c. Patriotismus (Otečestvennost `)
d. Aufrichtigkeit (zur Leninistischen Theorie) (Pravdinost `)
e. Popularität (Narodnost `)
f. Zugänglichkeit für die Massen (Massovost `)
g. Kritik und Selbstkritik (Kritika i Samo-Kritika)
Mit niedrigerem Abstraktionsgrad stellt Roth (1990: 53) zwei Faustregeln fest: Faustregel 1: Über die Sowjetunion und die „sozialistischen Bruderländer“ wird im Prin-
zip nur positiv berichtet. Negatives muss als Ausnahme dargestellt werden. Über Katastro- phen ist nur zu berichten, wenn es unmöglich ist, sie zu verheimlichen.
Faustregel 2: Über kapitalistische oder mit der Sowjetunion verfeindete Staaten ist im Prinzip negativ zu berichten. Erfolge oder besondere Leistungen sind uninteressant. Katastro- phen sind von besonderem Interesse und sollen als systembedingt dargestellt werden. – Diese Regel trat nur dann mehr oder weniger außer Kraft, wenn Verbesserungen der politischen oder wirtschaftlichen Beziehungen mit bestimmten Staaten erwünscht waren.
Die jeweiligen Epochen der Sowjetzeit, denen oft bestimmte Schlagworte zugeschrie- ben werden, hatten auch jeweils einen eigenen Begriff für die Medienapparatur (vgl. zum Bei- spiel Roth 1990: 98). So bezeichnete Lenin die Massenmedien als „kollektiven Agitator, Pro- pagandist und Organisator“ (a.a.O), Stalin als „Transmissionsriemen“ und als „Waffen“. In der Zeit des „Tauwetters“ (Ottepel)32 unter Chruŝov galten sie als „Stoßkräfte an der ideologi- schen Front“ und schließlich als „Mittel der Masseninformation und der Massenpropaganda“ in der „Stillstand (zastoj)“-Periode Brešnevs und der nachfolgenden Marionetten Andropov und Černenko. Seitdem wird zumeist die Formel „Mittel der Masseninformation (Sredstva Massovoj Informacij – SMI)“ verwendet.
Neben der offiziellen Presse gab es zahlreiche literarische und publizistische Strömungen im Untergrund, die in ihrer Illegalität zusammenfassend die Bezeichnung Samizdat ` (selbst herausgeben) – im Gegensatz zu Gosizdat ` (staatlich herausgeben) - erhielten. Als bekannte- ste Samizdat `-Werke gelten unter anderem die Romane „Doktor Schiwago“ von Boris Paster-nak und „Archipel Gulag“ von Alexander Solženicyn.33
Als offizielle Form der Äußerung von Kritik hatten Leserbriefe eine lange Tradition. Al- leine bei der Parteizeitung Pravda waren 45 hauptberuflich Angestellte für ihre Bearbeitung zuständig (Downing 1991: 149). Wenngleich Unmut über Mißstände natürlich nur begrenzt geäußert werden konnte und es sich meist um konkrete und nicht offensichtlich systembe- dingte Alltagsprobleme von Arbeitern und Rentnern, nicht von Intellektuellen, handelte, er- füllten die Leserbriefe zwei wichtige Funktionen: Einerseits stießen die sich beklagenden auf Resonanz – prinzipiell wurde jeder Brief beantwortet – und hatten das Gefühl, dass sich ihrer Probleme angenommen wurde. Andererseits verfügten die Autoritäten über eine Art Früh- warnsystem.
3.2 Glasnost` und Perestrojka: Massenmedien und Civil Society
Es gilt mittlerweile als relativ klar, dass Gorbačev unter Perestrojka eine nicht weiter aufschiebbare Reformierung und Modernisierung des Kommunistischen Systems und der Kommunistischen Partei verstand und ganz und gar nicht die Abschaffung des Regimes oder eine Demokratisierung im Sinne hatte.34
Der Begriff Glasnost ` stammt, entgegen manchen Annahmen, nicht von Gorbačev, son- dern aus der Zeit der russischen Zaren und wurde später von den Bol`ševiki sowie allen nach- folgenden Staatsführungen aufgegriffen und als Propagandainstrument benutzt, um diverse
„Reformprogramme“ zu titulieren (Tolz 1992: 101). Unter Glasnost ` ist weniger Offenheit im Sinne pluralistischer Presse- oder Meinungsfreiheit, sondern eher Öffentlichkeit und Tran- sparenz zu verstehen. Initiiert als Instrument zur Realisierung Gorbačevs innenpolitischer Reformpläne, die unter den Schlagworten Perestrojka und Uskorenie (Beschleunigung) zu- sammengefasst und erstmals auf dem ZK-Plenum im April 1985 vorgestellt wurden, richtete sich Glasnost ` in erster Linie an den besser ausgebildeten und informierten Mittelstand und sollte vor allem dem Anschub und der Beschleunigung der folgenden sozioökonomischen Prozesse dienen (Wendler 1995: 44; Roth 1990: 17):
[...]
1 Ausführliche Informationen über die Auseinandersetzungen in Čečnâ und die Hintergründe sind, allerdings aus
– durchaus propagandistisch geprägter - čečenischer Sicht, unter [http://www.kavkaz.org] zu finden. Čečna wird dort unabhängige „ Čečenische Republik Ičkeriâ (ČRI)² genannt und Grosnyj nach dem ehemaligen Präsidenten Džochar Dudaev „ Džochar “ benannt.
2 Vgl. Außenwirtschaftsnachrichten der Dresdner Bank – September 2000, 20-22.
3 „Oligarchie“ – „Herrschaft einer kleinen Gruppe“ - als Staatsform ist nach Aristoteles die Mittelform zwischen Despotie und Ochlokratie. Diese Triade stellt das pejorative Gegenstück zu „Monokratie – Aristokratie – Demo- kratie“ dar. Der Begriff Oligarchie/Oligarchen wird im Russland der Post-Sowjetära seit etwa 1993 verwendet zur Bezeichnung des Phänomens, daß einige wenige Akteuren die russländische Politökonomie beherrschen – und das teilweise mit zwielichtigen Methoden.
4 Als Auslöser galten zwei Bombenattentate in Moskau, bei denen im Herbst 1999 über 200 Menschen ums Leben kamen. Die Schuld wurde schnell čečenischen Extremisten in die Schuhe geschoben, tatsächliche Aufklä- rung ist jedoch bis heute nicht erfolgt und wird wohl – wie Parallelen aus der Vergangenheit zeigen – bis in alle Ewigkeit auf sich warten lassen.
5 „Einheit“ erhielt 23,32 Prozent der Stimmen und lag damit nur knapp hinter der Kommunistischen Partei (KP) mit 24,29 Prozent. Für die offizielle Ergebnisse der Parlaments- sowie der Präsidentschaftswahlen siehe die Daten der „Zentralen Wahlkommission der Rußländischen Kommission“ unter [http://www.fci.ru].
6 Umfragen des „Allrussländischen Zentrums für Meinungsforschung (VCIOM)“ zufolge unterstützten noch im
7 DIE ZEIT vom 9. Dezember 1999, Seite 11.
8 Vgl. zum Beispiel Berichterstattung von RFE/RL.
9 Mit Max Weber soll unter idealtypisch verstanden werden ein in der Realität nicht existierender Zustand der vollkommenen Ausprägung aller für einen Gegenstand oder eine Eigenschaft charakteristischen Merkmale. Ei- ner Karikatur ähnelnd dient diese Darstellungsweise lediglich Analysezwecken.
10 Sich an den drei Schritten „Makro-Mikro“, „Mikro-Mikro“ sowie „Mikro-Makro“ orientierend schreibt Esser von der „Logik der Situation“, der „Logik der Selektion“ und der „Logik der Aggregation“ während Webers die Termini „deutendes Verstehen“, „ursächliches Erklären des Ablaufs einer Handlung“ und „ursächliches Erklären der Wirkungen einer Handlung“ verwendet.
11 Diese entscheidenden Kriterien „disqualifizieren“ andere Ansätze, die ebenfalls den Anspruch erheben, Handlungstheorien zu sein, wie zum Beispiel den Behavioralismus (Braun 1997: 45-49; 1999: 24-28).
12 Als Kriterien begrenzter Rationalität werden meist begrenzte kognitive Fähigkeiten sowie beschränktes Wis- sen über die zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen und über zukünftige Ereignisse gesehen.
13 Klassische Konstruktivismen sind zum Beispiel der symbolische Interaktionismus von Blumer, die Ethnome-
thodologie von Garfinkel, der phänomenologische Interaktionismus von Schütz. Eine gute Übersicht über die verwirrende Vielzahl interpretativer Ansätze und besonders eine „Spurensuche“ innerhalb der Politikwissen- schaft liefert Nullmeier (1997).
14 Auf die sogenannte „Neue Institutionenökonomie“ oder „institutionelle Ökonomie“, die auf William Coase aufbauend vor allem durch Oliver Williamson und auch Douglass North bekannt geworden ist, soll hier nicht weiter eingegangen werden, da ihr Erkenntnisinteresse ausschließlich auf ökonomische Sachverhalte gerichtet ist, die sie unter Berücksichtigung institutioneller Faktoren zu erklären sucht.
15 Der Übersichtsklassiker von Hall/Taylor (1995) beschränkt sich auf die Variante des RC -, des historischen sowie des soziologischen Institutionalismus. Immergut (1997) schließt sich dem an, auch wenn sie – vor allem bei dem soziologischen Institutionalismus - andere Akzente setzt. Der relativ neue Aufsatz von Kaiser (1999) sieht die Variante von March und Olsen (1989) als am authentischsten an und bezieht den Akteurszentrierten Institutionalismus sowie eine Variante von Elinor Ostrom als Synthesen von RC -Institutionalismus und „Histori- schem Institutionalismus“ mit ein. Mayntz und Scharpf (1995) schreiben von einer institutionellen Ökonomie, einem ökonomischen und einem organisationssoziologischen Institutionalismus sowie zwei politikwissenschaft- lichen Varianten. Anhand dieser unterschiedlichen Klassifikationen wird der eklektizistische Charakter des Neoinstitutionalismus deutlich.
16 Zum Begriff der Rationalität siehe a.a.O.
17 Der Klassiker stammt von Riker (1980).
18 Vgl. zum Beispiel Green/Shapiro (1994).
19 Wie Scharpf (1997: 36) selbst schreibt, sind die dem „Akteurszentrierten Institutionalismus“ zugrundeliegen- den Ideen jedoch keine fundamental neuen oder einzigartigen, sondern wurden auch schon von anderen wie zum Beispiel Elinor Ostrom, Tom Burns oder Michael Zürn unter anderen Etiketten verwendet.
20 So der Titel des Sammelbandes von Mayntz und Scharpf.
21 In modernen Gesellschaften, so Scharpf und andere, substituieren zunehmend korporative Akteure Individuen als primäre Referenzeinheit. Korporative Akteure im Sinne James Colemans (1979) sind kollektive Handlungs- einheiten, bei denen die Handlungsressourcen und die Entscheidung über ihre Mobilisierung im Gegensatz zum kollektiven Akteur nicht beim Individuum verbleiben, sondern auf eine zentrale Instanz übertragen werden. Für mehr Informationen über das Konzept des Korporativen Akteurs siehe zum Beispiel Scharpf (1997: 54-58) oder, sehr ausführlich und im Hinblick auf die Handlungsfähigkeit von korporativen Akteuren, Jansen (1997).
22 Mit „Pfadabhängigkeit“ bezeichnen Hall und Taylor (1995: 941) die Vorstellung eines sozialen kausalen Zusammenhangs, welche „[...] rejects the traditional postulate that the same operative forces will generate the same results everywhere in favour of the view that the effect of such forces will be mediated by the contextual features of a given situation often inherited from the past “.
23 Schneider (1999) liefert eine sehr prägnante und verständliche Übersicht über staatstheoretische Varianten. Er orientiert sich dabei an verschiedenen Metaphern des Staates – Akteur, Arena, Instrument, Funktion, Struktur – und deren Kombinationen.
24 Vgl. hierzu besonders Weir (1992).
25 Der Terminus stammt von Meyer/Rowan (ibid.): „Rationale Mythen“ sind rational, da sie Aussagen über den kausalen Zusammenhang von Zweck und Mittel machen. Sie sind aber lediglich Mythen, da sie nur solange Geltung haben, wie an sie geglaubt wird.
26 Die einzelnen Kritikpunkte sind: Kontextualismus, das heißt Politik wird lediglich als abhängige Variable,
27 Formelle und informelle Institutionen können konfligieren, wenn sie sich auf unterschiedliche Normen bezie- hen, unterschiedliche Mittel legitimieren oder wenn die Norm-Mittel-Beziehungen nicht kompatibel sind (Mummert 1999: 9)
28 So der Titel des Klassikers von Roth (1982).
29 Begriffe wie Medienpolitik oder Kommunikationspolitik „existierten nicht“.
30 Die Metapher des „Lebens mit der Lüge“ oder die „Lüge leben“ stammt aus Solženicyns „Offener Brief an die Sowjetische Führung“, verfaßt nach seiner Abschiebung 1974 (vgl. zum Beispiel Roth 1982: 261), und wurde später unter anderem auch von Vaclav Havel („ The Power of the Powerless “) aufgegriffen: Jeder weiß, daß die offizielle Version schlicht eine Lüge ist, keiner traut sich aber, dagegen vorzugehen und einfach „die Wahrheit zu sagen“. Auf dieses „die Lüge leben“ stützte sich in zunehmendem Maße das offizielle System.
31 So ähnlich bei Wendler 1995: 36-37.
32 Nach dem gleichnamigen Roman des russischen Schriftstellers Ilja Ehrenburg.
33 Für eine Kurzübersicht über den Samizdat ` siehe zum Beispiel Kornilow (1991). Kornilow unterscheidet drei Hauptkategorien des Samizdat `: 1. Illegal vervielfältigte Originalwerke, deren Verfasser in der UdSSR lebten und wirkten; 2. Nachdrucke von illegal ins Land geschmuggelten politischen und belletristischen Werken aus dem Ausland; 3. Nachdrucke von verbotenen Werken, deren Originale eigentlich unzugänglich in der Sowjet- union aufbewahrt wurden. Innerhalb dieses Rahmens gab es zahlreiche Variationen des Begriffs Samizdat `, wie zum Beispiel Magnitizdat ` für Audiokassetten oder Tamizdat ` (dort herausgeben) für im Ausland produzierte und ins Land geschmuggelte Produkte (Downing 1990: 143).
34 So auch die Verwendung des Begriffes Perestrojka (Umbau) und nicht zum Beispiel Novostrojka (Neubau).
- Arbeit zitieren
- Tobias Knahl (Autor:in), 2000, Massenmedien und Politik in Russland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108936
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