GLIEDERUNG
IMPLIZITE PERSÖNLICHKEITSTHEORIE
von Burkhard May
Einleitung
1. Individuelle Konstrukte & Konstruktsysteme
1.1 Abhängigkeit von Wahrnehmungen
1.2 Das persönliche Konstrukt
1.3 Das Konstruktsystem
1.4 Konstruierende Ereignisse
1.5 Kognitive Komplexität
1.6 Der Rep-Grid-Test
1.7 Alternative Tests
2. Implizite Vorstellungen in Gruppen
3. Eigenschaftsbeziehungen unter der Lupe
3.1 Realitätsgehalt von Eigenschaftsbeziehungen
3.2 Eigenschaftsbeziehungen zwischen Sprache und Erfahrung
LITERATURVERZEICHNIS
IMPLIZITE PERSÖNLICHKEITSTHEORIE
Einleitung
Jeder dürfte schon einmal erlebt haben, dass sich seine Ansichten und Wahrnehmungen von denen anderer Menschen, mal mehr mal weniger, unterscheiden.
Wie kann es sein, dass ich eine Person als verschlossen und unangenehm empfinde, w ä hrend diese f ü r jemand Anderen die Verk ö rperung von Offenheit und W ä rme ist?
Warum glaubt mein Nachbar nur nette und sympathische Menschen um sich zu haben, w ä hrend ich nur Aggressivit ä t und Ü berheblichkeit wahrnehme?
Die Klärung der dem zugrundeliegenden Ursächlichkeiten ist von erheblicher Bedeutung, denn letztendlich ist Wahrnehmung mehr als nur ein neutraler Analyseprozess, sondern auch Grundlage des Verhaltens, ein Spiegel unseres Selbst und der individuellen Lebensgeschichte.
Einen Ansatz zur Beantwortung dieser Fragen, liefert die „implicit personality theory“ (implizite Persönlichkeitstheorie) wie sie zum ersten Mal 1954 von Bruner & Tagiuri namentlich erwähnt wurde.
Sie verdankt ihre Bezeichnung der Annahme, dass der Mensch bei der Betrachtung anderer Individuen auf „(...) ein persönliches System aus Überzeugungen zurückgreift, das deren Wahrnehmung und Beurteilung bestimmt“. Ursprünglich lediglich zur Erfassung der allgemeinen Vorstellungen über andere Menschen gedacht, befasst sich die implizite Persönlichkeitstheorie heute mehr mit unseren individuellen Ideen in der Wahrnehmung
1 Individuelle Konstrukte & Konstruktsysteme
1.1 Abhängigkeit von Wahrnehmungen
Der Begriff des „perceptual space“ [ von „perception“ (Wahrnehmung/ Auffassungsvermögen) und „space“ (Raum)] wurde 1958 von Crombach als Begriff zur Bestimmung der Unabhängigkeit einzelner Merkmale in der Wahrnehmung einer anderen Persönlichkeit verwendet.
Gemeint ist damit die Befähigung einer Person verschiedene Eigenschaften eines Gegenübers zu bewerten, ohne das die von ihr angenommene Qualität eines Elements in einem direkten, sprich gleichförmigen Bezug, zu der angenommenen Qualität eines anderen, davon eigentlich unabhängigen, Elements stehen muss.
Beispiele:
Person A neigt dazu, allen Menschen eine niedrige Intelligenz zuzuordnen, wenn sie diese gleichzeitig als unfreundlich empfindet und stellt so in ihrer Wahrnehmung einen direkten Bezug zwischen Freundlichkeit und allgemeinen geistigen Potential her.
- Geringer Wahrnehmungsraum
Person B hingegen ist flexibler. Sie kann jemanden durchaus als intelligent und gleichzeitig unfreundlich wahrnehmen, diese in der Tat unabhängigen Eigenschaften, so auch als unabhängig betrachten.
- Großer Wahrnehmungsraum
1.2 Das persönliche Konstrukt
„Experience helps us to label and differentiate the world.“ Kelly, 1955
In seiner „theory of personal constructs“ (Theorie des persönlichen Konstrukts) aus dem Jahre 1955 geht George Kelly von der Annahme aus, dass die Umweltwahrnehmung des Individuums vor allem als ein direktes Resultat seines ganz persönlichen Erfahrungsschatzes zu sehen ist und zudem eine erhebliche Auswirkung auf die Art und Weise seines Umgangs mit neuen Ereignissen hat. Nach seinen Vorstellungen strebt der Mensch danach auf der Basis seines angesammelten Wissen kommende Ereignisse vorherzusagen und sich auf sie vorzubereiten. Tatsächlich vorhandene Informationen zu Gegenständen der Bewertung (z.B. Objekte, Personen, Zustände), mögen sie für eine angemessen realitätsnahe Beurteilung in Wahrheit ausreichend sein oder nicht, funktionieren als eine Form von Gerüst, um welches mit Hilfe anderer Erfahrungen automatisch ein Vorstellungsgebäude errichtet wird, dass bis zur Ansammlung weiterer Fakten als vorläufiges Bewertungsinstrument arbeitet. Kelly spricht in diesem Zusammenhang vom Menschen als Forscher der Theorien aufstellt ,ihre Wirkung und Realitätsnähe prüft und im Falle von Fehlern Korrekturen vornimmt. Daraus folgt, dass sich die Eigenschaft eines Konstruktes nur dann ändern kann, wenn es auch gefordert wird.
Kelly geht weiterhin davon aus, dass jedes echte Konstrukt zweipoliger Natur ist. Jeder Begriff der einem Gegenstand der Bewertung eine Eigenschaft zuordnet, verfügt so gleichzeitig über einen oder mehrere „Partner“ unterschiedlich konträrer Aussage, die je nach Situations- oder Sachzusammenhang ausgewählt werden.
gut Æ ungut, schlecht, b ö se, negativ, katastrophal
sch ö n Æ unschön, grässlich, hässlich, unattraktiv
Bewerten wir die Qualität eines Autos, werden wir in der Regel von guter bzw. erstklassiger oder schlechter bzw. katastrophaler, aber selten von b ö ser Verarbeitung sprechen. Natürlich bestätigt auch hier die Ausnahme die Regel, denn letztendlich ist auch das Einsatzspektrum eines Begriffes und damit seine Bedeutung eine Frage des individuellen Konstruktes welches wir mit ihm verbinden. Es ist also durchaus möglich, dass es Personen gibt, die b ö se als regelmäßigen Begriff für die Verarbeitung unseres Autos sehen. Dabei sind natürlich auch „Überschneidungen“ möglich, wobei ein Begriff als „Partner“ unterschiedlicher Wörter fungiert.
Nur weil zwei Menschen eine äußerlich identische Bezeichnung für etwas verwenden, können wir dies somit nicht als absoluten Garant für deren ebenso identische Interpretation ansehen. Problematisch wird es unter Umständen in dem Moment, in dem wir auf eigene Wortkonstruktionen oder Phrasen zurückgreifen müssen, weil die Wiedergabe eines Um- oder Gegenstands nicht über reguläre Ausdrücke zufriedenstellend zu bewerkstelligen ist. Die Wahrscheinlichkeit einer, von meinem Konstrukt, deutlich abweichenden Einstufung solcher Äußerungen durch einen Gegenüber ist hier groß, da ein besonderes Maß an persönlichen Erfahrungen und Verbindungen einfließt.
1.3 Das Konstruktsystem
Persönliche Konstrukte können in mehr oder minder hierarchischen Systemen organisiert sein und so in gegenseitiger Beziehung stehen. Vergleichbar mit dem Ordner-Datei-System eines modernen Computers, wird u.U. eine Vielzahl von ineinander verschachtelten Sub- Konstrukten unter einem gemeinsamen Oberkonstrukt eingeordnet. So würde z.B. ein Konstrukt für Freund dem Konstrukt für nett untergeordnet, wenn im persönlichen System Nettigkeit als Voraussetzung für Freundschaft steht. Gleichzeitig muss aber die Klassifizierung eines Gegenübers als nett nicht grundsätzlich in Freundschaft münden sondern könnte, abhängig von der Anzahl und Art der vorhandenen Subkonstrukte, beispielsweise auch zu schlichter Sympathie oder Toleranz führen. Dabei ist es die Gestalt der Vernetzungen oder Abhängigkeiten unter den verschiedenen Konstrukten, die als Basis einer Persönlichkeit gesehen werden kann, denn sie definiert letztendlich die Form unserer Wahrnehmung. Konstruktsysteme können, gleich den persönlichen Einzelkonstrukten, sehr eigenständig geprägt sein und sich dadurch teilweise erheblichst von den Systemen anderer Personen unterscheiden. Obwohl diese individuell unterschiedlichen Konstruktsysteme Verständigungsfehler begünstigen, so müssen diese nicht gleichzeitig für die Unmöglichkeit einer erfolgreichen, zwischenmenschlichen Beziehung stehen. Entscheidend sind hier vielmehr Befähigung und Bereitschaft der Menschen den Standpunkt eines Gegenübers zu begreifen und nicht ihn zu teilen. Kelly sieht dies als Grundlage für eine erfolgreiche therapeutische Arbeit, die mit dem Verstehen des Konstruktionssystems des Klienten beginnt und sich die Hilfe zu seiner Entwicklung bzw. Wandlung zum Inhalt macht.
1.4 Konstruierende Ereignisse
Als konstruierende Ereignisse werden Erfahrungen bezeichnet, die eine ändernde Auswirkung auf Konstrukte und Konstruktsystem eines Menschen haben und dies ausweiten oder präzisieren. Grundlage dessen ist die Annahme, dass Konstrukte auf einer Anzahl mit ihnen verbundener Erfahrungen beruhen, die ihre Natur bestimmen. Durch Hinzufügung weiterer Elemente (Erfahrungen) erweitert sich der Erfahrungspool und damit auch das Konstruktsystem selbst.
Als ich zum ersten Mal in einem Auto mitgefahren bin, gab es einen Unfall und ich wurde verletzt. Seit diesem Tag betrachte ich autofahren als grunds ä tzlich gef ä hrlich und werde diese Einstellung so lange nicht ä ndern, bis ich in einem Auto unfallfrei mitgefahren bin.
Gemäß Kelly neigen wir dazu, uns bei der Einordnung neuer Erfahrungen für den Konstruktionspol zu entscheiden, der uns am ehesten ermöglicht den eigenen Erfahrungsschatz zu entwickeln und weitere Handlungsmöglichkeiten eröffnet.
Ich habe mich ü berwunden und bin jetzt schon einige Male in einem Auto mitgefahren, ohne das etwas passiert ist. Mir ist zwar durchaus klar, dass immer noch ein gewisses Risiko durch autofahren besteht, aber andererseits bringt es mich schneller an andere Orte und erm ö glicht mir u.U. in einer anderen Stadt zu arbeiten. Ich entschlie ß e mich den F ü hrerschein zu machen und erweitere so meinen Handlungsspielraum.
Persönliche Konstrukte sind also keine grundsätzlich unabänderlichen Gebilde. Je nach individueller Neigung und Situation, vermögen sie sich als durchaus anpassungsfähig zu erweisen. Chronisch zu statische oder zu offene Konstrukte hingegen, können auch negative Konsequenzen wie Anpassungs- oder Konzentrationsschwierigkeiten nach sich ziehen.
1.5 Kognitive Komplexität
In der Forschung trat auch die Frage nach der Anzahl und Genauigkeit der Konstrukte einer Person auf und die diesbezüglichen Auswirkungen auf Wahrnehmung und Verhalten. Im Jahre 1955 stellte Bieri fest, dass ein Zusammenhang zwischen der Befähigung zur Vorhersage des Verhaltens anderer Menschen und der kognitiven Komplexität besteht, wobei kognitiv komplexe Personen im Vergleich deutlich besser abschnitten als eher einfach gestrickte Personen. Zudem entdeckte Crockett (1965), dass Menschen geringer Komplexität eher zu polarisierten, einseitigen Einschätzungen Anderer neigen, während gleichzeitig umfassende Bewertungen und Abwägungen in den Hintergrund rücken.
Die Erklärung hierfür liegt in der Tatsache, dass die differenzierte Wahrnehmung eines komplexen Verhaltens ein angemessen umfangreiches Konstruktsystem voraussetzt. Habe ich relativ wenige oder nur einseitige soziale Erfahrungen gesammelt, so habe ich eventuell auch nie erlebt, dass eine Eigenschaft nicht zwangsläufig in Verbindung mit einer bestimmten weiteren Eigenschaft auftreten muss oder diese in verschiedenen Ausprägungen vorhanden sein können. Mit anderen Worten sinkt mit einer geringen Menge an verfügbaren Informationen auch die Anzahl möglicher Bewertungen, was stereotype Ansichten begünstigen kann.
Die politischen Ansichten von Paul sind nach meiner Ansicht schlecht, also ist Paul ein schlechter Mensch. Das Paul aber ansonsten ein netter Mensch sein k ö nnte ist mir schlicht nicht möglich wahrzunehmen.
Jemand mit einer hohen kognitiven Komplexität hätte vielleicht gesagt, dass Paul ganz OK ist, wenn man seine politischen Ansichten ignoriert.
1.6 Der Rep-Grid-Test
Auf der Suche nach einer Technik zur Abbildung von individuellen Konstruktionssystemen entwickelte Kelly den sogenannten „ role construct
repertory test “ kurz „ rep grid test “ (Konstruktgitter-Verfahren) genannt, was den Einsatz seiner Theorien in vielen Bereichen der klinischen Therapie und auch in militärischen (Borman, 1987) und wirtschaftlichen (Hunter & Coggin, 1988) Zusammenhängen gestattete.
Heute existieren diverse Varianten dieser Methode, die für unterschiedliche Einsatzgebiete mehr oder minder umgestaltet wurden.
Der Testverlauf der „Ur-Version“ zeigt sich wie folgt (Tabelle 1) .:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Repertory-Grid-Test
1.7 Alternative Tests
Eine ganz eigene Methode zur Erforschung der impliziten Persönlichkeitstheorie nutzten Rosenberg & Jones (1972) bei der Analyse der impliziten Persönlichkeitstheorie des amerikanischen Buchautors Theodore Dreiser durch Untersuchung seiner Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Titel A Gallery of a Woman. Die Wahl fiel gezielt auf dieses Buch, da es viele und besonders ausgeprägte Persönlichkeitsbeschreibungen enthielt, die eine angemessene Datenmenge sichern sollten.
Zunächst erstellten sie dazu eine Liste aller verwendeten Beschreibungsbegriffe, organisierten diese in Charaktereigenschaften, prüften wie häufig eine Eigenschaft in Verbindung mit einer anderen genannt wurde und führten die Ergebnisse mittels der Clusteranalyse1 zusammen. Es folgte die Übertragung der 99 am häufigsten genannten Eigenschaften in einen Graph , wobei sie die Entfernung der einzelnen Punkte gleich der Frequenz ihres gemeinsamen Auftretens wählten. Zur
Bestimmung der Dreisers Beschreibungen zugrundeliegenden
Schlüsseldimensionen, folgte eine weitere Analyse per multidimensionaler Skalierung. Ihre dem zugrundeliegende Annahme ging davon aus, dass Menschen verschiedene Begriffe auf eine gemeinsame Ebene oder Dimension (wie z.B. gut- b ö se) platzieren und sie so in eine direkte Verbindung miteinander stellen. Im Zuge der Auswertung identifizierten Rosenberg & Jones hart -weich, m ä nnlich- weiblich und konform- nonkonform als die Schlüsseldimensionen Dreisers, wobei sich starke Bezüge zwischen den ersten beiden Dimensionen und die Unabhängigkeit der Dimension konform- nonkonform herausstellten. Im Abgleich mit Dreisers Biographie zeigten sich dabei große Ähnlichkeiten mit seinem Leben, in dem Sexualität und Konformität wichtige Rollen spielten, was als Bestätigung für das Funktionieren der Vorgehensweise von Rosenberg und Jones betrachtet wird. Eine vergleichbare Methode, mit ähnlich erfolgreichen Ergebnissen, nutzen Swede & Telock (1986) zur Bestimmung des Wahrnehmungsraums Henry Kissingers auf der Grundlage seines Buches: The White House Years.
2 Implizite Vorstellungen in Gruppen
Neben der Erforschung individueller Konstrukte und Konstruktsysteme, stellt sich auch die Frage, inwieweit bestimmte Denk- und Wahrnehmungsweisen auch als kollektives Phänomen auftreten können.
Aufschluss darüber gibt eine Studie Rosenbergs aus dem Jahre 1968. Er übergab einer Gruppe von Studenten eine Liste von 60 Eigenschaften wie dominant, aggressiv, zurückhaltend usw. und forderte sie auf, diese ihnen bekannten Personen zuzuordnen. Die entstandenen Daten, wie häufig trat eine Eigenschaft in Kombination mit einer anderen auf, wurden ausgewertet und in einen Graph übertragen der den Wahrnehmungsraum der Studenten wiederspiegelte. In der Analyse ergaben sich intellektuell gut- schlecht und sozial gut- schlecht als die zwei dominierenden Persönlichkeitstypen. Im intellektuellen Bereich galten hohe bzw. niedrige Intelligenz als Grundlage für eine positive bzw. negative Bewertung, während für die Frage der sozialen Qualitäten Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Popularität als gut und Ernsthaftigkeit, Eigenbrödlerei, Erfolglosigkeit und Unbeliebtheit als schlecht eingestuft wurden.
Auch wenn durchaus deutliche Differenzen in der Verbindung zwischen verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften auftraten, so gab es dennoch eine gemeinsame Grundidee in der qualitativen Bewertung der intellektuellen und sozialen Eigenschaften der Mitmenschen, was sich in einer etwas variierten Folgeuntersuchung von 1972, diesmal mit freien Antwortmöglichkeiten bestätigte, wenn dort auch die Frage nach intellektuellem Potential als deutlich unbedeutender herausstellte.
Rosenberg variierte seine Methodik weiter und startete 1977 eine sehr detaillierte Untersuchung an einigen seiner Studenten. Diese wies er an, eine Liste von mindestens 100 ihnen bekannten Personen aufzustellen und sowohl deren Eigenschaften als auch das persönliche Gefühl zu ihnen festzuhalten. Die folgende individuelle Analyse zielte nun auf die Cluster aus Eigenschaften und Emotionen, sowie die Darstellung der Schlüsseldimensionen für Persönlichkeitstypen ab und förderte einiges an interessanten Ergebnissen zutage, welche Indizien für die Annahme lieferten, dass wir verschiedenen Menschen zum Zwecke der verbesserten Kategorisierung durchaus schon dann gleiche Persönlichkeiten unterstellen wenn, sie sich in nur einem Merkmal gleichen. (Ein Beispiel dafür ist der Cluster rothaarig Æ dumm Æ nie Probleme).
Von meinem Standpunkt aus betrachtet ist dies allerdings wenig verwunderlich. Phasenweise scheinen sich, neben äußerst stabilen „Theorien“ wie lange Haare Æ aufsässig Æ faul, regelrechte Wellen von mehr oder minder faktenbezogenen „Ideen“ über die Gesellschaft zu ergießen. Jeder dürfte sich noch gut daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit eine ganze Republik mit blondÆ blödÆ leicht zu haben, begeistert vor- sich- hin- gecluster hat und es, im vielleicht etwas gemilderten Maße, immer noch tut.
Interessant ist letztlich auch, dass spätere Untersuchungen von Rosenberg & Sedlak (1972) bzw. Kim & Rosenberg (1980) und Anderen keine eindeutigen Beweise für Klassifizierungen ergaben, mit auch nur annähernd gleicher Dominanz auftritt, wie sie die Gut- Schlecht- Dimension inne hat.
3 Eigenschaftsbeziehungen unter der Lupe
3.1 Realitätsgehalt von Eigenschaftsbeziehungen
Mit Erforschung der impliziten Persönlichkeitstheorien stellt sich fast zwangsläufig die Frage nach deren qualitativen Niveaus gemessen am Realitätsbezug. Da Konstrukte und so letztendlich auch implizite Annahmen aus tendenziell unvollständigen Informationen gespeist werden, erscheint hierbei entscheidend, ob und wenn ja inwieweit, deren Anwendung zu gültigen Ergebnissen führt. Eine Antwort hierauf ist insofern bedeutend, als das sie uns Hinweise auf die „intuitiven“ Fähigkeiten des Menschen liefern könnte. Dahingehende Untersuchungen, mehrheitlich aus den 70er Jahren, behandelten diese Thematik mit einem Hauptaugenmerk auf der Validität von Eigenschaftsbeziehungen. Lay & Jackson teilten dazu im Jahre 1969 zwei Gruppen von Personen ein. Die erste Gruppe erhielt dabei ein Set aus mit ja oder nein zu beantwortenden Fragen über ihre Verhaltensweisen und Eigenschaften (z.B. Treiben Sie gern Sport? / Gehen Sie gern in Bibliotheken?).
Die zweite Gruppe wurde darauf gefragt, wie ihrer Meinung nach die Antworten ausfallen müssten.
Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass die Annahmen der zweiten Gruppe den Antworten der Ersten ausgesprochen nahe kamen, was die Forscher davon überzeugte, dass implizite Theorien sehr wohl Verbindungen zu tatsächlichen Eigenschaftsbeziehungen aufweisen.
Weitere Studien u.A. von Lay (1973) und Stricker (1974) untermauerten diese Ergebnisse, wobei Stricker allerdings dazu neigte, dies mehr auf kollektives Wissen, als auf individuelle Erfahrungen zurückzuführen.
Menschen scheinen also recht gute Fähigkeiten in der Einschätzung anderer Personen zu haben, wenn es um das gemeinsame Auftreten von Eigenschaften geht.
Eine weitere Studie diesmal von Mirels (1979), konzentrierte sich weniger auf direkte Fragen nach dem gemeinsame Auftreten von Eigenschaften als deren abhängige Wahrscheinlichkeit, wobei die Testpersonen weitaus schlechtere Ergebnisse erzielten. Der Unterschied zwischen den vorhergehenden Verfahren und dem Mirels liegt darin, dass die angenommenen Bezüge nicht mittels „einfachem“ Ja/Nein sondern auf einer Wahrscheinlichkeitsbasis wiedergegeben werden mussten.
Nach längeren Auseinandersetzungen über die Richtigkeit der abweichenden Ergebnisse, brachten Borkenau & Ostendorf (1987) etwas mehr Licht ins Dunkle, als sie nachwiesen, dass die Versuchspersonen Einschätzungen mehr auf der Basis einer „repräsentativen Heuristik“ machten und nicht versuchten mit „statistischen“ Verfahren zu arbeiten (Siehe: Strategien der sozialen Urteilsbildung > Repräsentativitätsheuristiken), was eine Erklärung für die abweichenden Untersuchungsresultate lieferte.
Demnach erscheinen die Kompetenzen zur Feststellung von direkten Eigenschaftskorrelationen auf Grundlage der impliziten Persönlichkeitstheorie als durchaus hochwertig, während sich deutliche Defizite im Umgang mit abhängigen Wahrscheinlichkeiten zeigen.
Inwieweit jedoch letzteres tatsächlich eine Rolle in der Beurteilung anderer Personen spielt bleibt strittig, zumindest sehen Borkenau & Ostendorf diese als weitestgehend unzugänglich und daher irrelevant an.
3.2 Eigenschaftsbeziehungen zwischen Sprache und Erfahrung
Auch die „Abstammung“ von Eigenschaftsbeziehungen entwickelte sich zu einem wichtigen Forschungsgegenstand. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang war, ob diese mehr auf der Grundlage von persönlichen Erlebnissen entwickelt werden, oder durch die „automatische“ Verbindung von Begriffen auf der Grundlage der ihnen zugeordneten Bedeutungskomplexe erfolgen.
Wenn ich beispielsweise Paul als freundlich und zuverl ä ssig beurteile, gr ü ndet dies in der Erfahrung, dass freundliche Menschen meist auch zuverl ä ssig sind, oder teilen meine pers ö nlichen Definitionen dieser Begriffe gemeinsame Bedingungen?
In Untersuchungen von Shweder (1975, 1977) und D ’ Andrade (1965, 1974) wurden Testpersonen dazu angewiesen andere Menschen zu beobachten und Fragen nach wahrgenommenen Verhaltensbeziehungen zu beantworten. (Beispiel: Lächeln Menschen häufiger, wenn sie viel lachen?)
Die Ergebnisse zeigten die Neigung, bei der Wiedergabe eher Begriffsbedeutungen zu verbinden (systematische Verzerrung „systematic disortion“) als sich konkret auf erinnerte Beobachtungen zu berufen (genaue Reflektion „accurate reflection“).
Shweder & D ’ Andrade schlossen aus diesem Umstand, dass die implizite Persönlichkeitstheorie primär auf sprachlichen Bezugsetzungen und nicht auf tatsächlichen Eigenschaftsbeziehungen beruht.
„...our implicit personality theories can be inaccurate as memory for events contains a systematic bias, in that things that are conceptually similar are recalled as if they covaried.” Aus: The psychology of interpersonal perception Seite: 119
Im Jahre 1981 jedoch fanden Gara & Rosenberg auch deutliche Verbindungen zwischen der persönlichen Erfahrung und so auch der Definition und gegenseitigen Bezugsetzung von Begriffen.
Demnach fließen bei einer Schlussfolgerung, wie z.B. freundlich = zuverl ä ssig, nicht nur die technisch, linguistischen Bedeutungen mit ein, sondern auch die eigenen Ideen über das Zusammenspiel dieser Begriffe.
Weitere Zweifel an der Hypothese der systematischen Verzerrung äußerten Semin & Greenslade (1985). Von ihrem Standpunkt aus, mangelte es an der Miteinbeziehung der Unterschiedlichkeit von direkten und verhandelnden Ausdrücken (immediate bzw. mediate terms), die sie wie folgt definierten.:
direkte Ausdr ü cke ( „ immediate terms “ ): Ein Verb oder die Form eines Verhaltens, ohne die Notwendigkeit einer Miteinbeziehung von weitreichenden Interpretationsprozessen. Die Eigenschaft eines Ereignisses wird festgestellt und von Anderen abgegrenzt aber nicht analysiert.
Beispiel: Paul weint!
verhandelnde Ausdr ü cke ( „ mediate terms “ ): Sie stellen Bezüge her, benötigen weitreichende interpretative Prozesse und semantische Informationen. Beispiel: Warum weint Paul?
Semins & Greenslades Versuche zeigten, dass systematische Verzerrungen lediglich im Zusammenhang mit direkten Ausdrücken, jedoch nicht bei verhandelnden Ausdrücken entstehen, was zur Verneinung einer generellen Neigung gen Verwendung semantischer Beziehungen und einer Ausrichtung auf die Einflussnahme von direkten und verhandelnden Ausdrücken führte. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass eine richtige Verbindung zwischen Verhaltensweisen und Eigenschaften ein korrektes Verständnis des Verhaltens voraussetzt, sowie eine im allgemeinen bessere Qualität in der Bewertung direkter (beobachtbarer wie weinen oder lachen) als indirekter (mehr allgemeiner wie nett, unfreundlich) Ausdrücke vorliegt.
LITERATURVERZEICHNIS
Prof. Arnold, W. (1997): Lexikon der Psychologie Band 1 - 3. München: Bechtermünz Verlag
Hermann, U. (2000): Die deutsche Rechtschreibung. München: Bertelsmann Lexikon Verlag GmbH
Hinton, P. R. (1993): The psychology of interpersonal perception. London/New York: Routledge S. 101 - 137 / S. 156 - 170.
Weis, E. (Hrsg.). (2002): Kompaktwörterbuch für alle Fälle. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen GmbH
Sinclair, J. (1987): English Language Dictionary. London: Pons
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[...]
1 Eine statistisches Verfahren, dass ermöglicht die Verbindungen zwischen einzelnen Eigenschaften zu überprüfen. Beispielsweise bilden eventuell großÆintelligentÆattraktiv oder kleinÆverspieltÆsympathisch je einen Cluster.
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- Burkhard May (Author), 2003, Implizite Persönlichkeitstheorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108544
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