Das Peiniger-Opfer-Verhältnis in Mary Shelleys Frankenstein


Hausarbeit, 2001

22 Seiten, Note: Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Entwicklung des Peiniger-Opfer-Verhältnisses in der Gattungsentwicklung
A. Der archetypische Schurke
B. Das reversible Peiniger-Opfer-Verhältnis

III. Das Peiniger-Opfer-Verhältnis von Frankenstein und seiner Kreatur
A. Victor Frankenstein
B. Frankensteins Kreatur
C. Das Doppelgängermotiv bei Frankenstein und seiner Kreatur

IV. Schlußzusammenfassung

V. Literatur

I. Einleitung

Die vorliegende Arbeit behandelt das Peiniger-Opfer-Verhältnis in Mary Shelleys Frankenstein. Der Roman erschien erstmals 1818 in London und kam 1831 in einer von der Autorin überarbeiteten Neuauflage erneut auf den Markt. Die hier verwendete Ausgabe ist eine Neuauflage der Edition von 1831[1].

Aus der benutzten Sekundär-Literatur sind insbesondere die Arbeiten von Ingeborg Weber hervorzuheben[2], die die Thematik ausführlich behandeln.

Als weitere Informationsquellen dienten die Vorlesung „Der englische Schauerroman“ sowie das Hauptseminar „Frankenstein: Text und Film“ von Frau Prof. Dr. Ingeborg Weber im Sommersemester 2001 an der Ruhr-Universität-Bochum.

Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über die Entwicklung des Peiniger-Opfer-Verhältnisses im englischen Schauerroman gegeben werden.

Danach sollen die Charaktere von Victor Frankenstein und dem Monster daraufhin untersucht werden, inwiefern ihre Rollen dem Schema des Peinigers bzw. des Opfers entsprechen. Schließlich wird ihre wechselseitige Beziehung zueinander unter Berücksichtigung des ,Doppelgängermotivs' untersucht.

II. Die Entwicklung des Peiniger-Opfer-Verhältnisses in der Gattungsentwicklung

Der erste Schurke des gotischen Romans begegnet dem Leser in Horace Walpoles Roman Castle of Otranto, der 1764 das Genre des Schauerromans einleitete.

Im Allgemeinen wird die Gattung der Gothic novel in zwei Phasen unterteilt, die Phase der sogenannten “Terror School“ und die der “Horror School“.

Die “Terror School“ nimmt mit Walpoles o.g. Roman 1764 ihren Anfang und reicht bis 1796. Weitere populäre Vertreter dieser Periode sind Clara Reeves The Old English Baron von 1778, William Beckfords 1786 entstandener Roman Vathek sowie Ann Radcliffes The Mysteries of Udolpho von 1794.

Folgende Charakteristika zeichnen diese erste Phase der Gothic novel aus: Zum einen wird das weibliche Opfer von seiner Unschuld davor geschützt, ernsthaft von dem Schurken bedroht zu werden. So bleibt das von seinem Peiniger verfolgte Opfer unversehrt und kommt meist mit dem Schrecken davon.

Zum anderen wird ganz klar zwischen Gut und Böse unterschieden, es herrscht eine „Schwarz-Weiß-Moral“[3], die eindeutig definiert, wer Täter und wer Opfer ist. Dieses geradlinige Peiniger-Opfer-Verhältnis bleibt vom Anfang bis zum Ende des Romans der ersten Phase so bestehen.

Des Weiteren hielt das von der Aufklärung beeinflußte Weltbild den Glauben an göttliche beziehungsweise übernatürliche ordnende Kräfte aufrecht. Der Glaube an das Gute im Menschen führte dazu, daß das Gute schließlich auch siegte. Deshalb konnte der Schurke letztendlich seiner gerechten Strafe nicht entgehen, während das Opfer zur glücklichen Heldin des Romans wurde.

In Walpoles Roman haben Opfer und Peiniger noch gleichen Anteil am Geschehen, die Rolle des Opfers wird jedoch schon bald zu Gunsten des Schurken zurückgedrängt.

1796 beginnt mit Matthew Gregory Lewis' The Monk die zweite Phase, die “Horror School“. Hierzu gehören, laut Weber, unter anderem The Italian von Ann Radcliffe (1797) und Mary Shelleys 1818 veröffentlichter Roman Frankenstein. Den Abschluß der Gattung der Gothic novel bildet 1820 Charles Maturins Melmoth the Wanderer, der ebenfalls zur “Horror School“ gehört.

In der zweiten Phase des englischen Schauerromans bekommt die Figur des Peinigers wie die des Opfers eine andere Gestalt. Das nun romantische Weltbild der Autoren wird generell von Ambivalenz bestimmt. Insbesondere die Ambivalenz von Gut und Böse spielt in der Gothic novel eine entscheidende Rolle. In dem Traum des positiven Charakters des Lorenzo in M. G. Lewis' The Monk wird deutlich, daß es in jedem guten Menschen auch böse Anlagen gibt[4]. Die eindeutigen Definitionen der Aufklärung gelten in der Romantik nicht mehr, da die Grenzen verwischt sind und nun nicht mehr die „Schwarz-Weiß-Moral“ der Romane der “Terror-School“ herrscht.

Der Glaube an die göttliche Ordnung ist mit dem Beginn des romantischen Zeitalters verschwunden und Unsicherheit und Angst gehören deshalb zum Lebensgefühl der Romantiker.

So kann sich das Opfer im romantischen Schauerroman auch nicht mehr hinter seiner Unschuld verstecken, da diese nicht mehr als Schutzschild fungiert.

Als Folge dieser Veränderungen erfährt die Schurkengestalt des Romans der “Horror School“ eine Aufwertung und einen Bedeutungszuwachs. Das Interesse der Autoren konzentriert sich nun statt auf das Gute hauptsächlich auf das Böse.

Blieb der Bedroher bisher lediglich ein vorübergehender Störfaktor, so wird er jetzt zum „archetypischen Schurken“[5], der eine permanente Bedrohung darstellt. Während der Leser der frühen “Terror School“ kaum etwas über das Äußere des Schurkens, und erst recht nichts über sein Inneres erfahren hat, werden sein Aussehen und sein Seelenleben jetzt zum unabdingbaren Markenzeichen des Peinigers.

A. Der archetypische Schurke

Im Fortgang der Gattungsgeschichte entwickelte sich der anfangs flache Charakter des Schurken immer weiter, bis er schließlich nach der romantischen Wende zum Protagonisten des englischen Schauerromans wurde. Der archetypische Schurke wurde nun zu einem detailliert dargestellten Charakter, der ein typisiertes Aussehen und Verhaltensmuster erhielt.

Am Äußeren des Gothic villain sind besonders seine Augen wichtig, deren boshafter und dämonischer Blick für sein Gegenüber unerträglich ist. Ob die Augen nun als „ausdrucksvoll durchbohrend“[6], “fierce and terrible“[7] oder “watery, clouded“[8] dargestellt werden, verweisen sie doch immer auf einen Bedroher beziehungsweise auf schurkisches Potenzial.

Ein weiteres Charakteristikum des archetypischen Schurken ist sein diabolisches Lachen, welches durch das Leid anderer ausgelöst wird. Als eine reduzierte Form des sardonischen Lachens kann auch das bloße Grinsen des Peinigers erscheinen.[9]

Um den Schurken besonders geheimnisvoll und undurchschaubar erscheinen zu lassen, läßt der Autor ihn unter mysteriösen Umständen zur Welt gekommen, von unbekannter Herkunft und ohne soziale Kontakte sein.[10]

Schließlich legt der Peiniger außerdem ein geheimnisvolles Verhalten an den Tag, indem er unerklärliche Dinge tut oder sich, laut Weber, mit der Absicht, seiner Strafe zu entgehen, „in den Schein besonderer Frömmigkeit und Wohlanständigkeit hüllt“[11].

Der archetypische Schurke besitzt jedoch noch andere Charakteristika, welche er mit seinen Opfern teilt und die das Peiniger-Opfer-Verhältnis dadurch ab der romantischen Wende von einem geradlinigen zu einem dialektischen werden lassen.

B. Das reversible Peiniger-Opfer-Verhältnis

War das Leiden bisher den Opfern im Schauerroman vorbehalten, so gehört die Leidensfähigkeit jetzt gleichermaßen zum archetypischen Schurken, wodurch er ebenfalls zum Opfer wird. Gefühlsregungen im Allgemeinen, wie Melancholie und Sensibilität, und auch positive Gefühle, wie Liebe und sogar Mitleid, sind nun gleichsam beim Peiniger wie beim Opfer zu finden.

Diese Gemeinsamkeiten von bisher gegensätzlichen Charakteren verknüpfen die Rollen von Peiniger und Opfer eng miteinander und lassen diese reversibel werden.

Ein weiteres gemeinsames Merkmal von Peiniger und Opfer ist die Neugier. Sie ist neben dem Stolz die Triebkraft des Schurken[12], der in der ersten Phase des englischen Schauerromans nur aus reinem Eigeninteresse handelte.[13]

[...]


[1] Mary Shelley, Frankenstein; or The Modern Prometheus; edited by Maurice Hindle (Penguin Books, 1992; 11818).

[2] Ingeborg Weber, Der englische Schauerroman. Eine Einführung (München und Zürich, 1983). --- , „Leser und Schurke: Überlegungen zur Gothic Novel“, Trierer Studien zur Literatur. Bd. 7 (Bern und Frankfurt a.M., 1983), S. 241-252. --- , „,Doch einem anderen mag es gelingen‘: Unvergeßlicher, unverbesserlicher Frankenstein“, Mary Shelleys „Frankenstein“. Text, Kontext, Wirkung, Günther Blaicher (Hg.), Studien zur englischen Romantik, Bd. 8 (Essen, 1994), S. 12-24.

[3] Weber, „Frankenstein“, S. 17.

[4] Weber, Der englische Schauerroman, S. 79.

[5] Weber, Der englische Schauerroman.

[6] Wolfgang Trautwein, Erlesene Angst - Schauerliteratur im 18. und 19. Jahrhundert (München und Wien, 1980), S. 42.

[7] Matthew Gregory Lewis, The Monk. Elektronischer Text in: http://encyclopediaindex.com/b/tmonk10.htm, S. 18.

[8] Shelley, S. 176.

[9] Weber, „Leser und Schurke“, S. 249.

[10] Weber, Der englische Schauerroman, S. 87.

[11] „Leser und Schurke“, S. 243.

[12] Ebd., S. 245.

[13] Weber, Der englische Schauerroman, S. 111.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das Peiniger-Opfer-Verhältnis in Mary Shelleys Frankenstein
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Englisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar: Frankenstein - Text und Film
Note
Gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
22
Katalognummer
V10809
ISBN (eBook)
9783638171410
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Peiniger-Opfer-Verhältnis, Mary, Shelleys, Frankenstein, Hauptseminar, Frankenstein, Text, Film
Arbeit zitieren
Carmen Trappenberg (Autor:in), 2001, Das Peiniger-Opfer-Verhältnis in Mary Shelleys Frankenstein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10809

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