Während meines Praktikums in der Altenarbeit und auch bei meiner jetzigen Tätigkeit in der Behindertenarbeit wurde und werde ich immer wieder mit Fragen konfrontiert, warum Gott so grausam ist. “Was habe ich getan, daß Gott mich mit dieser Krankheit straft?”, oder bei Elterngesprächen: “Warum straft uns Gott mit einem behinderten Kind?” Zusätzlich zu den durch Krankheit und Behinderung vorhandenen Belastungen, leiden diese Menschen unter dem “strafenden” Gott, suchen die Ursachen in eigenem, vermeintlichem Fehlverhalten.
Aber nicht nur Angst, sondern auch die Sehnsucht nach dem “strafenden Gott”, nach klaren Handlungsanweisungen, nach straffen Strukturen in religiösen Gemeinschaften konnte ich in den letzten Jahren beobachten. Die Sehnsucht vieler Menschen nach einer “Führung”, nach klaren Normen, um selber nicht mehr die Verantwortung für die Ausgestaltung seines Lebens übernehmen zu müssen. Angstmachende Gottesbilder schränken jedoch auch die Freiheit und Autonomie in der Lebensgestaltung ein.
Dieses Thema - angstmachende und befreiende Gottesbilder - möchte ich nachfolgend näher betrachten, wobei ich mich überwiegend am katholischen Glauben orientiere. Der Bezug zum Seminarthema stellt sich für mich dadurch, daß angstmachende Gottesbilder häufig dazu dienen, Menschen mit “Gewalt” zu erziehen oder zu bekehren.
Gliederung
Einleitung
1. Der Mensch – ein religiöses Wesen
2. Gottesbilder
2.1 Die Entstehung des kindlichen Gottesbildes
2.2 Angstmachende Gottesbilder
2.2.1 Verwirrende und angstmachende Gottesbilder in der Bibel
2.2.2 Vermittlung angstmachender Gottesbilder durch Vertreter der Kirche
2.2.3 Vermittlung angstmachender Gottesbilder durch die Eltern
3. Auswirkungen angstmachender Gottesbilder
3.1 Erkrankungen aufgrund religiöser Ängste
3.2 Rückzug von Gott, Glaube und Kirche
3.3 Flucht in religiösen Fundamentalismus
4. Wege aus der 'Gottesfurcht'
4.1 Befreiende Gottesbilder
4.2 (christliche) Therapie
4.3 Umdenken in Lehre und Verkündigung
Schlußwort
Literaturverzeichnis
Einleitung
Während meines Praktikums in der Altenarbeit und auch bei meiner jetzigen Tätigkeit in der Behindertenarbeit wurde und werde ich immer wieder mit Fragen konfrontiert, warum Gott so grausam ist. “Was habe ich getan, daß Gott mich mit dieser Krankheit straft?”, oder bei Elterngesprächen: “Warum straft uns Gott mit einem behinderten Kind?” Zusätzlich zu den durch Krankheit und Behinderung vorhandenen Belastungen, leiden diese Menschen unter dem “strafenden” Gott, suchen die Ursachen in eigenem, vermeintlichem Fehlverhalten.
Aber nicht nur Angst, sondern auch die Sehnsucht nach dem “strafenden Gott”, nach klaren Handlungsanweisungen, nach straffen Strukturen in religiösen Gemeinschaften konnte ich in den letzten Jahren beobachten. Die Sehnsucht vieler Menschen nach einer “Führung”, nach klaren Normen, um selber nicht mehr die Verantwortung für die Ausgestaltung seines Lebens übernehmen zu müssen. Angstmachende Gottesbilder schränken jedoch auch die Freiheit und Autonomie in der Lebensgestaltung ein.
Dieses Thema - angstmachende und befreiende Gottesbilder - möchte ich nachfolgend näher betrachten, wobei ich mich überwiegend am katholischen Glauben orientiere. Der Bezug zum Seminarthema stellt sich für mich dadurch, daß angstmachende Gottesbilder häufig dazu dienen, Menschen mit “Gewalt” zu erziehen oder zu bekehren.
1. Der Mensch – ein religiöses Wesen
Rollo May, Psychotherapeut und Philosoph, schreibt in seinem Buch “Die Kunst der Beratung”, wie folgt: “ ... die Angst ist ein Teil des Preises, den wir dafür zahlen, als Individuen zu leben. Die Religion sollte einem idealerweise helfen, neurotische Angst in normale, schöpferische Angst zu verwandeln. Es ist da Problem des Individuums, das in seinem eigenen Leben und letztlich im Lebensprozeß einen Sinn finden muß.”[1] Geschieht diese Anpassung nicht, fehlt also die Struktur, um die herum die Anpassung hätte erfolgen können, zerfällt die Persönlichkeit, so May, weil sie keinen Kern hat. “Jedes Individuum braucht den Glauben an irgendeinen Daseinszweck, so fragmentarisch auch immer, um sich zu einer gesunden Persönlichkeit zu entwickeln. Ohne Zweck ist kein Sinn vorhanden und ohne Sinn kann man letzten Endes nicht leben. Zweck und Sinn bewirken in der Persönlichkeit, was der Stahlkern in einem Elektromagnet bewirkt; er bündelt die Kraftlinien und befähigt den Magneten dadurch zu seiner Wirksamkeit.”[2] Er bezeichnet die Folge eines Persönlichkeitszerfalls, also das Zerbrechen der Einheit, den Kampf gegen sich selbst und alles andere mit dem religiösen Begriff “Hölle”. Religion ist für ihn der Glaube an den gesamten Lebensprozeß. Er meint hier nicht die Religion eines Herold oder einer dogmatischen Sekte, sondern Religion als eine Grundeinstellung, mit der wir unserer Existenz gegenübertreten.
C.G. Jung findet den nötigen Sinn in den tiefsten Schichten des kollektiven Unbewußten. Hier sei der Ursprung der Gottesidee, ein Archetypus, ein “Urbild”. Was man brauche um zu leben, so Jung, sei “Glaube, Hoffnung, Liebe und Einsicht.” Demnach besteht das Finden der Religion in der Entdeckung der tiefsten Schichten des Unbewußten und ihrer Assimilation in das eigene bewußte Leben. Er beschreibt Menschen, denen es gelang, wie folgt: “Sie kamen zu sich, sie konnten sich selbst annehmen, sie waren imstande, sich mit sich selbst auszusöhnen und dadurch waren sie auch mit ungünstigen Umständen und Ereignissen versöhnt. Dies gleicht dem, was man früher mit den Worten ausdrückte: Er hat seinen Frieden mit Gott gemacht, er hat seinen eigenen Willen geopfert, er hat sich dem Willen Gottes unterworfen.”[3]
Rollo May zitiert zu Jungs Archetypus: “Gott als einen Archetypus zu definieren, klingt seltsam für moderne Ohren, aber es hat eine tragfähige, theologische Basis in der Geschichte. Es gleicht Platos Idee des Guten, jener höchsten Idee bzw. jenem Archetypus, den er als Gott bezeichnet. Christliche Mystiker haben oft davon gesprochen, Gott in der tiefsten Schicht des Selbst zu finden, dem kollektiven Unbewußten, wo Subjektivität und Objektivität überwunden werden. In den Tiefen der Seele, sagte Augustinus, sind Denken und Sein eins” Obwohl Jungs Ausführungen, Gott mit den tiefsten Schichten des eigenen Selbst zu identifizieren, des Ausgleichs bedarf durch die Hervorhebung der transzendenten Natur Gottes, sind sie sicher hilfreich, was seine Erklärung der religiösen Erfahrung betrifft.
Jörg Müller, Psychotherapeut und kath. Theologe schreibt über die Religiosität des Menschen: “Es gibt keinen Volksstamm, keinen Menschen, der nicht originell eine Rückbindung (religio) an eine höhere kreative Macht in sich spürte”.[4] Der Mensch ist ganz und gar ein animal religiöses Wesen. Er hängt diesem “Schöpfer” mehr als allem anderen an. Auch wenn in manchen Ländern und Kulturen bewußt keine religiöse Erziehung angeboten wird und dieser mystische Gott ins Unterbewußtsein der menschlichen Seele verschwunden ist, sprich der Mensch nichts von seinem sogenannten Glauben an Gott weiß, ist trotzdem diese Rückbindung nach diesem höheren Wesen vorhanden bzw. die Suche nach ihm unbewußt aktiv, verfehlt aber sein Ziel, wenn diese Suche nicht bewußt gemacht werden kann.
2. Gottesbilder
Die Existenz Gottes läßt sich nicht naturwissenschaftlich beweisen und begreifen. Im Alten Testament hat Gott uns seinen Namen offenbart: Jahwe - "Ich bin der, der ist". Die ganze Heilige Schrift erzählt von Erfahrungen und Begegnungen mit Gott und trotz allem haben wir nur begrenzte Möglichkeiten, Gott zu erkennen und ihn auszudrücken. Daher auch der Begriff Gottesbild. In seinem Sohn Jesus nimmt Gott zwar menschliche, sichtbare Gestalt an, doch auch Jesus verweist immer wieder auf Gott.[5] Bildliche Vergleiche gibt es auch in der Bibel, wie z.B. Vater, Hirt, Herr der Welt. Nach Frielingsdorf werden diese Bilder erst dann religiös bedeutsam, wenn sie subjektiv innerlich begriffen und verarbeitet werden.[6]. Pinchas Lapide zitiert Karl Rahner, der einmal sagte: "Über 80 Prozent all dessen, was sich die meisten Leute unter dem Begriff Gott vorstellen, gibt es gar nicht."[7]
2.1 Die Entstehung des kindlichen Gottesbildes
Bei der Entstehung des Gottesbildes sind in den ersten Lebensjahren vor allem die Eltern beteiligt. Ein Kind macht sich weniger Gedanken über Gott, als vielmehr ein Bild von Gott. Das Kind sollte die Freiheit haben, sich Gott auf seine Weise vorzustellen, auch wenn diese nicht mit den theologischen Gottesbildern entsprechen. Es soll aber ebenfalls erfahren, daß letztendlich niemand sagen kann, wer oder was Gott ist und jede menschliche Gottesvorstellung richtig und falsch zugleich sein kann.[8] Wichtig ist, was die Eltern dem Kind vorleben, welche Maßstäbe und Wertvorstellungen sie haben. Wie werden Liebe, Geborgenheit, Hoffnung, Vergeben und Verzeihen vorgelebt, also für das Kind erfahrbar gemacht? Aber auch in Kindergarten, Schule, in Gottesdiensten und durch Verwandte wird das Gottesbild geformt.[9]
2.2 Angstmachende Gottesbilder
Angstmachende Gottesbilder sprechen nicht von einem liebenden Gott, den man vertrauensvoll 'Vater' nennen kann. Sie bewirken, daß Gott als beängstigend und bedrohlich empfunden wird, gewalttätig in unserem Leben wirkt, auf unser Leben einwirken kann, ja sogar krank machen kann. Glaube ist dann nicht mehr Lebenshilfe, sondern Lebenslast, aus der Frohbotschaft wird eine Drohbotschaft.
Menschen können an Gottesbildern leiden, dabei sollten religiöse Bilder und Erzählungen dem Menschen doch hilfreich sein, Trost geben, befreiend und heilend wirken. Wo sie dies nicht tun, wo sogar neurotische Störungen entstehen, sollten die vorhandenen Gottesbilder nach Fehl- und Zerrformen hin untersucht werden.[10]
2.2.1 Verwirrende und angstmachende Gottesbilder in der Bibel
Wenn man die in der Bibel beschriebenen Eigenschaften und Taten Gottes betrachtet, findet sich einiges Widersprüchliches. Einige Beispiele finden sich im Buch Genesis.
- Scheinbar willkürlich verteilt Gott seine Sympathien an die Söhne Adams und Evas. "Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht." (Gen 4,4-5)
- Gott erschuf den Menschen (Gen 2,7), mit der Sintflut will er ihn wieder vernichten (Gen 6,6).
- Gott schenkte Abraham noch im hohen Alter einen Sohn (Gen 21,2) und verlangt dann von ihm, daß er seinen Sohn als Brandopfer darbringt (Gen 22,2).
Lorenz Zellner beschreibt dies so: "Er ist liebend und strafend in einem, faszinierend und schrecklich zugleich, Adressat gläubiger Hingabe und Urheber beklemmender Angst, ein Korsett, das zugleich stützt und preßt; wohltuende und erdrückende Bilder wechseln sich ab; er ist zu fürchten und zu lieben; die Haltung vor ihm ist Ergriffenheit, verbunden mit Schmerz."[11]
[...]
[1] May, 1991, S. 171
[2] May, 1991, S. 173-174
[3] May, 1991, S. 175
[4] Müller, 1985, S. 47
[5] Neues Testament, Joh 14,9
[6] Frielingsdorf, 1993, S. 22
[7] Lapide, Glauben, wissen oder zweifeln?, 1988
[8] vgl. Frielingsdorf, 1993, S. 26
[9] ebenda, S. 32
[10] vgl. Zellner, 1995, S. 59
[11]
- Quote paper
- Monika Ommerle (Author), 2000, Angstmachende Gottesbilder als Legitimation struktureller Gewalt in religiösen Gemeinschaften bzw. Mittel zur Glaubenserziehung: Auswirkungen angstmachender und befreiender Gottesbilder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10780
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