Die Weihnachtsverkündigung in den apokryphen Kindheitsevangelien


Seminararbeit, 1999

36 Seiten


Leseprobe


Die Weihnachtsverkündigung in den apokryphen Kindheitsevangelien

1. Vorwort

Neben den kanonisierten Kindheitsvangelien entstanden im Laufe der frühen Kirchengeschichte auch andere Kindheitsevangelien, die von seiten der Kirche nicht als Heilige Schrift (Kanon) anerkannt wurden, die aber auch auf das christliche Denken und Brauchtum einen Einfluß hatten. Diese Schriften werden „Apokryphe“ genannt.

In der vorliegenden Arbeit soll es nach einer Begriffsbestimmung der „Apokryphen“ darum gehen, die wichtigsten apokryphen Texte dieser Arbeit vorzustellen. Dabei wird kurz auf ihre Entstehungsgeschichte eingegangen, bevor die hier verarbeiteten Textpassagen im Wortlaut aufgenommen werden.

Bei der Durchsicht der apokryphen Text ist auffällig, daß sie sich in verschiedener Weise auch auf die kanonisierten Evangelien beziehen beziehungsweise diese Quellen mitverarbeiten. Inwiefern dies geschehen ist, wird Bestandteil eines weiteren Abschnittes dieser Arbeit sein.

Da diese apokryphen Kindheitsevangelien auch das christliche Weihnachtsbrauchtum mitgeprägt haben, wird in einem weiteren Abschnitt dieser Arbeit aufgezeigt, wo und wie diese apokryphen Texte die weihnachtliche Tradition geprägt haben.

Wie schon bereits erwähnt wurde, sind diese apokryphen Texte nicht in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen worden! Welche Gründe gibt es ? Und anhand welcher Kriterien wurde die Aufnahme in den Kanon vollzogen? Diese Fragen sollen kurz im abschließenden Teil erörtert werden.

2. „Apokryphe“- eine Begriffsbestimmung

Was versteht man eigentlich unter „Apokryphen“?

Vorab muß erklärt werden, daß sich diese Begriffsbestimmung auf jene Schriften bezieht, die in neutestamentlicher Zeit entstanden sind. Gemeint sind hier also nicht die alttestamentlichen „Apokryphen“.

Dieses Wort wird abgeleitet von dem griechischen Wort „αποκρυϕος“ und meint „verborgen“ oder „geheim“.

Ursprünglich wurde dieser Begriff angewandt auf Schriften der Gnostiker. Sie gaben vor, Geheimbücher zu besitzen1. Diese Geheimschriften waren nur Eingeweihten zugänglich2 und galten als so kostbar, so heilig, daß man sie nicht jedermann zugänglich machen wollte. Im gnostischen Sinne hatte dieses Wort also eine durchweg positive Bedeutung.3

Verständlicherweise widersprach eine solche Auffassung von der Heiligen Schrift dem kirchlichen Verständnis, deshalb lehnte die Kirche die gnostischen Offenbarungsschriften ab.4 Die Botschaft Jesu Christi ist vielmehr eine offenkundige Botschaft, die nichts geheimhalten will und sich an alle Menschen richtet.5

So erfuhr in der Abgrenzung zu den Gnostikern der Begriff „Apokryphe“ eine negative Wendung. Von nun an wurde dieser Begriff eher gleichgesetzt mit „häretisch“ „unecht“ und „falsch“.6

Henri Daniel Rops vertritt aber vielmehr die Auffassung, daß mit diesem Begriff nicht so sehr Schriften gemeint seien, deren Inhalt von der Kirche als häretisch verurteilt und deshalb abgelehnt wurden, sondern, „daß es sich um Texte handelt, die nicht in die Liste der Heiligen Schrift aufgenommen wurden“7.

So kommt Wilhelm Schneemelcher zu folgender Definition: „Neutestamentliche Apokryphe sind Schriften, die nicht in den Kanon aufgenommen sind, die aber durch Titel oder sonstige Aussagen den Anspruch erheben, den Schriften des Kanons gleichwertig zu sein, und die formgeschichtlich die im NT geschaffenen und übernommenen Stilgattungen weiterbilden und weiterformen, wobei nun allerdings auch fremde Elemente eindringen.“8

Diese neutralere Definition trägt auch dem Umstand Rechnung, daß die Apokryphen an sich nicht alle verwerflich sind, da sie nicht alle den Anspruch hatten „geheim“ zu sein und auch aus der Sicht der Rechtgläubigkeit ihnen nichts vorzuwerfen war.9

Doch wollte man jetzt meinen, daß diese Definition eindeutig sei, wird sie durch den unterschiedlichen Gebrauches des Wortes „apokryph“ in der evangelischen und katholischen Kirche wieder relativiert.

Was hinsichtlich der neutestamentlichen Schriften katholischerseits als „apokryph“ bezeichnet wird, bezeichnen die Protestanten als „Pseudoepigraphen“10

3 Apokryphe Weihnachtserzählungen

In den nachfolgenden Kapiteln werden nur die Textstellen aufgeführt, die für die Abfassung dieser Arbeit von Interesse sind. Es erfolgt also keine vollständige Wiedergabe dieser apokryphen Texte.

3.1 Das Protevangelium des Jakobus

3.1.1 Genese des Protevangeliums

Das Protevangelium entstand , nach Ergebnissen der neuen Forschung, wohl in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts. Zwar kann nicht bewiesen werden, das Justin (+165) diese Schrift schon kannte, aber andere Kirchenschriftsteller, wie Clemens von Alexandrien (+215) scheinen sich schon auf diese Schrift zu beziehen, die unstreitig wohl nicht in Palästina oder Syrien entstand.11 So erscheint das Protevangelium als das älteste und berühmteste unter den apokryphen Kindheitsevangelien.12

Der Verfasser gibt sich als Jakobus aus,13 dem Herrenbruder14. Gleichsam als Einleitung zum Markus-Evangelium15 verherrlicht es das Leben Mariens16 und bildete so die Quelle für viele Teile der Marienverehrung, - frömmigkeit und der Mariologie.17

Im Westen wurde es verurteilt und nie als kanonisch angesehen, aber im Osten hatte diese Schrift große Bedeutung.18

3.1.2 Schrifttext

19 Kapitel 11:

(1) Und sie (Anm.: gemeint ist Maria) nahm den Krug und ging hinaus, um Wasser zu schöpfen. Und siehe, eine Stimme sprach zu ihr: „Sei gegrüßt, Du Gnadenvolle! Der Herr ist mir Dir. Gesegnet bist du unter den Frauen.“ Und Maria schaute sich nach rechts und nach links um, woher diese Stimme käme. Sie erbebte, ging in ihr Haus hinein, stelle den Krug ab, nahm den Purpur, setzte sich auf ihren Stuhl und spann den Purpur.
(2) Und siehe, ein Engel stand vor ihr und sagte: „Fürchte Dich nicht, Maria. Denn du hast Gnade gefunden vor dem Herrscher aller. Du wirst empfangen durch sein Wort.“ Als sie das hörte, dachte sich bei sich nach und sagte: „Ich sollte empfangen vom Herrn, dem lebendigen Gott, (und gebären,) wie jede Frau gebiert?“
(3) Und siehe, der Engel trat zu ihr und sprach: „Nicht so, Maria. Denn die Kraft Gottes wird dich überschatten. Darum wird auch das Kind heilig genannt, Sohn des Höchsten. Und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Denn er wird retten sein Volk von seinen Sünden.“ Da sprach Maria: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn vor ihm. Es geschehe mir nach deinem Wort.“

Kapitel 12:

(1) Und sie verarbeitete den Purpur und den Scharlach und brachte sie dem Priester. Der Priester nahm sie in Empfang, segnete Maria und sprach: „Maria, Gott, der Herr, hat deinen Namen groß gemacht, und du wirst gesegnet sein unter allen Geschlechtern der Erde.“
(2) Voll Freude ging nun Maria zu ihrer Verwandten Elisabet und klopfte an die Tür. Als Elisabeth es hörte, ließ sie den Scharlach fallen, lief zur Tür und öffnete ihr. Sie segnete sie und sprach: „Woher (geschieht) mir dies, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, das (Kind) hüpfte und segnete dich.“ Maria aber dachte nicht an die Geheimnisse, von denen der Engel Gabriel gesprochen hatte. Sie blickte zum Himmel und sprach: „Wer bin ich, daß - siehe - alle Frauen der Erde mich seligpreisen?“
(3) Und sie blieb drei Monate bei Elisabet. Tag für Tag nahm ihr Leib zu, und Maria fürchtete sich, ging fort in ihr Haus und verbarg sich vor den Söhnen Israels. Sie war sechzehn Jahre alt, als diese geheimnisvollen Dinge mir ihr geschahen.

Kapitel 13:

(1) Als sie aber im sechsten Monat war, siehe, da kam Josef von seinen Bauarbeiten, betrat das Haus und fand sie schwanger. Und er schlug sein Gesicht, warf sich nieder auf den Sack; er weinte bitter und sprach: „Mit welchem Gesicht soll ich Gott, den Herrn, anblicken? Was soll ich beten ihretwegen? Denn als Jungfrau habe ich sie aus dem Tempel Gottes, des Herrn, empfangen, und ich habe sie nicht behütet. Wer hat mich hintergangen? Wer hat diese Übeltat in meinem Haus verübt? Wer hat mir die Jungfrau geraubt und sie befleckt? Sollte sich an mir die Geschichte Adams wiederholt haben? Wie nämlich Adam in der Stunde seines Lobgebetes (abwesend) war, die Schlange kam, Eva allein fand, sie täuschte und befleckte, so ist es auch mir widerfahren!“
(2) Und Josef stand auf vom Sack, rief sie und sprach zu ihr: „Du von Gott Umsorgte, warum hast du das getan? Hast du den Herrn, deinen Gott, vergessen? Warum hast du deine Seele erniedrigt, da du doch im Allerheiligsten aufgezogen worden bist und Nahrung aus der Hand eines Engels empfangen durftest?“
(3) Sie aber weinte bitter und sprach: „Rein bin ich, und einen Mann erkenne ich nicht.“ Josef sagte zu ihr: „Woher also ist das in deinem Leib?“ Sie aber sagte: „So wahr der Herr, mein Gott, lebt: Ich weiß es nicht, woher das in mir ist.“

Kapitel 14:

(1) Josef fürchtet sich sehr und entfernte sich von ihr. Er überlegte, was er mit ihr tun solle. Und Josef sprach: „Wenn ich ihre Sünde verberge, so werde ich als einer erfunden, der gegen das Gesetz des Herrn streitet. Wenn ich sie bloßstelle vor den Söhnen Israels, muß ich fürchten, daß das, was in ihr ist, vom Engel stammen könnte und ich als einer erfunden werde, der unschuldiges Blut dem Todesurteil ausliefert. Was also soll ich mit ihr tun? Ich werde sie heimlich von mir entlassen“. Doch die Nacht überraschte ihn.
(2) Und siehe, ein Engel des Herrn erscheint ihm im Traum und spricht: „Fürchte dich nicht wegen dieses Mädchens! Denn das, was in ihr ist, stammt vom Heiligen Geist. Sie wird dir einen Sohn gebären, dem zu den Namen „Jesus“ geben sollt. Denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden.“ Und Josef stand vom Schlafe auf und lobte Gott Israels, der ihm seine Gnade erwiesen hatte. Und er nahm das Mädchen in seine Obhut.

Kapitel 17:

(1) Ein Befehl aber ging aus von Augustus, dem König, daß alle Bewohner von Betlehem in Judäa sich eintragen lassen sollten. Und Josef sprach: “Ich lasse meine Söhne eintragen. Was aber soll ich mit diesem Mädchen machen? Wie soll ich sie aufschreiben lassen? Als meine Frau? Da schäme ich mich. Oder als meine Tochter? Doch es wissen ja alle Söhne Israels, daß sie nicht meine Tochter ist. Der Tag des Herrn wird es selber machen, wie er will.“
(2) Und er sattelte seinen Esel und setzte sich darauf; sein Sohn führte (den Esel), und Samuel folgte. Und sie näherten sich auf drei Meilen. Da wandte sich Josef um und sah sie traurig. Er sagte (sich): „Vielleicht macht ihr das zu schaffen, was in ihr ist.“ Wiederum wandte sich Josef um und sah sie lachen. Und er sprach zu ihr: „Maria, was ist mit dir, daß ich dein Angesicht mal lachend und mal traurig sehe?“ Und sie sagte: „Josef, ich sehe zwei Völker mit meinen Augen, ein weinendes und klagendes und eins, da sich freut und jubelt.“
(3) Und sie hatten den halben Weg zurückgelegt, da sagte Maria: „Josef, heb mich vom Esel herab, denn das (Kind) in mir bedrängt mich und will herauskommen.“ Und er hob sie dort herunter und sprach zu ihr: „Wo soll ich dich hinbringen und dich in dieser mißlichen Lage schützen? Denn der Ort ist einsam.“

Kapitel 18:

(1) Und er fand dort eine Höhle und führte sie hinein, ließ seine Söhne bei ihr stehen und ging hinaus, eine hebräische Hebamme in der Gegend von Betlehem zu suchen.

Kapitel 19:

(1) Sie (Anm.: die hebräische Hebamme) ging mit ihm.
(2) Und sie traten an den Ort der Höhle. Und eine finstere Wolke überschattete die Höhle. Und die Hebamme sprach: „Erhoben ist heute meine Seele, denn meine Augen haben heute Wunderbares geschaut; denn für Israel ist das Heil geboren.“ Und sogleich verzog sich die Wolke vor der Höhle, und es erschien ein großes Licht in der Höhle, so daß die Augen es nicht ertragen konnten. Und ein wenig später verschwand das Licht, bis das Kind erschien. Und es kam und nahm die Brust von seiner Mutter Maria. Und die Hebamme schrie auf und rief: „Was für ein großer Tag ist das heute für mich, daß ich dieses nie dagewesene Schauspiel sehen durfte!“

Kapitel 21:

(1) Und siehe, Josef bereitete den Aufbruch nach Judäa vor. Eine große Aufregung entstand in Betlehem in Judäa. Es kamen nämlich Magier und sagten: „Wo ist der König der Juden? Wir haben nämlich seinen Stern im Osten gesehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“
(2) Und als Herodes das hörte, erschrak er und sandte Diener aus zu den Magiern. Er ließ auch die Hohenpriester kommen und befragte sie im Prätorium: „Wie steht über den Messias geschrieben? Wo wird er geboren?“ Sie sagen ihm: “In Betlehem in Judäa. So steht es geschrieben.“ Da entließ er sie. Und er befragte die Magier: „Was für ein Zeichen habt ihr betreffs des neugeborenen Königs gesehen?“ Und die Magier sagten: „Wir haben gesehen, wie ein überaus großer Stern unter diesen Sterne aufstrahlte und die anderen verdunkelte, so daß die Sterne nicht mehr schienen. Und so erkannten wir, daß für Israel ein König geboren wurde. Wir sind gekommen, ihm zu huldigen.“ Und Herodes sprach zu ihnen: „Geht und sucht, und wenn ihr (ihn) gefunden habt, gebt mir Bericht, damit auch ich hingehe und ihm meine Huldigung erweise.“
(3) Und die Magier gingen fort. Und siehe, der Stern, den sie im Osten gesehen hatten, zog vor ihnen her, bis sie zur Höhle kamen. Er blieb zu Häupten des Kinde stehen. Und die Magier sahen das Kind bei seiner Mutter, Maria, und sie nahmen Geschenke aus ihrer Reisetasche: Gold, Weihrauch und Myrrhe.
(4) Und da ihnen von dem Engel Weisung erteilt worden war, nicht nach Judäa zu gehen, kehrten sie auf einem andern Weg in ihr Land zurück.

Kapitel 22:

(1) Da erkannte Herodes, daß er von den Magiern hintergangen worden war, geriet in Zorn und schickte seine Mörder aus mit dem Befehl, alle Kinder von zwei Jahren und darunter umzubringen.
(2) Als Maria hörte, daß die kleinen Kinder getötet wurden, fürchtete sie sich. Sie nahm das Kind, wickelte es in Windeln und legte es in eine Ochsenkrippe.
(3) Als Elisabeth hörte, daß man nach Johannes suchte nahm sie ihn und stieg hinauf ins Gebirge. Und sie blickte umher, wo sie ihn verstecken könnte. Doch es gab keinen Ort zum Versteck. Elisabeth seufzte auf und sprach: „Berg Gottes, nimm mich, die Mutter, mit dem Kind auf!“ Denn Elisabet konnte nicht (weiter) hinaufsteigen vor Angst. Und sogleich spaltete sich der Berg und nahm sie auf. Und jener Berg ließ für sie ein Licht durchscheinen. Denn ein Engel des Herrn war mit ihnen und beschützte sie.

3.2. Arabisches Kindheitsevangelium

3.2.1 Genese des Evangeliums

In Abhängigkeit zum Protevangelium des Jakobs scheint das arabische Kindheitsevangelium entstanden zu sein.20 Es liegt in zwei arabischen Handschriften und drei Zeugen einer syrischen Redaktion vor,21 wobei offen ist, welcher Fassung Vorrang zu gewähren ist.22 Was die Abfassungszeit der verschiedenen Handschriften betrifft, muß zwischen den verschiedenen Rezensionen unterschieden werden, doch kann für den Grundstock dieses Werkes kaum ein Datum vor dem 5. Jahrhundert und die Zusammenstellung nicht vor dem 6. Jahrhundert datiert werden.23

Die verschiedenen Handschriften wurden wohl im Raum des heutigen türkischen Kurdistans und des Nordiraks verfaßt und sind gekennzeichnet durch Einflüsse des Korans.24

3.2.2 Schrifttext

25 Kapitel 3:

(1) Nach Sonnenuntergang also kam die Hebamme und mit ihr Josef zu der Höhle, und beide traten ein. Und siehe, sie war erfüllt von Lichtern, schöner als der Glanz von Lampen und Kerzen und glänzender als das Sonnenlicht. Ein Kind, in Windeln gewickelt, wurde von seiner Mutter, der Herrin Maria, gestillt. Es lag in der Krippe.
(2) Als beide sich über dieses Licht wunderten, frage die Alte die Herrin Maria: „Bist du die Mutter dieses Neugeborenen?“ Und als die Herrin Maria das bejahte, sagte sie: „Keineswegs gleichst du den Töchtern Evas.“ Da sagte die Herrin Maria: „Wie meinem Sohn kein anderes Kind gleicht, so hat auch seine Mutter unter den Frauen nicht ihresgleichen.“

Kapitel 7:

Und es geschah, als der Herr Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geborgen war, siehe, da kamen Magier aus dem Morgenland nach Jerusalem, wie es Zeraduscht vorausgesagt hatte. Sie brachten mit als Geschenk: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Sie beteten ihn an und brachten ihm ihre Geschenke dar. Da nahm die Herrin Maria eine von jenen Windeln und gab sie ihnen als kleine Gegengabe. Sie nahmen sie von Maria entgegen und fühlten sich hoch geehrt. In der gleichen Stunde erschien ihnen ein Engel in Gestalt jenes Sterns, der ihnen zuvor Wegführer gewesen war. Sie folgten seinem Licht und zogen von dannen, bis sie ihre Heimat erreichten.

Kapitel 8:

Zu ihnen kamen aber Könige und ihre Fürsten mit der Frage, was sie gesehen und ausgerichtet hätten, wie sie die Hinreise und den Rückweg erlebt und was sie mitgebracht hätten. Sie aber zeigten ihnen jene Windel, die die Herren Maria ihnen überreicht hatte. Aus diesem Anlaß feierten sie ein Fest. Nach ihrem Brauch machten sie ein Feuer und beteten es an. Sie warfen jene Windel hinein; und das Feuer erfaßte sie und nahm sie in sich auf. Als das Feuer erloschen war, zogen sie die Windel hervor, so, wie sie zuerste gewesen war, als habe das Feuer sie nicht angetastet. Daher begannen sie, die Windel zu küssen, sie sich auf den Kopf und die Augen zu legen, und sagten: „Das ist wirklich unbezweifelte Wahrheit. Es ist wirklich ein große Sache, daß das Feuer sie nicht verbrennen oder vernichten konnte!“ Sie nahmen sie von dort mit und legten sie mit höchsten Ehren zu ihren Schätzen.

Kapitel 10:

(1) Während Josef überlegte, wie er seine Reise (nach Ägypten)

bewerkstelligen sollte, kam der Morgen über ihn; er war schon ein kleines Stück Weges gegangen.

Kapitel 25:

Von dort gingen sie hinab nach Memphis, wo sie den Pharao sahen; sie bleiben drei Jahre in Ägypten. Der Herr Jesus vollbrachte in Ägypten sehr viele Wunder, die weder im Kindheitsevangelium noch im vollständigen Evangelium aufgezeichnet zu finden sind.

3.3 Lateinisches Kindheitsevangelium

3.3.1 Genese

Das Lateinische Kindheitsevangelium besitzt als Quellen sowohl das Protevangelium des Jakobus und das Pseudo-Matthäus-Evangelium.26 Eine eindeutige Abfassungszeit kann nicht ermittelt werden, aber es wird wohl nicht vor der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts, sondern eher in der Zeit nach dem 9. Jahrhundert entstanden sein.27 Wie der Titel schon sagt, ist es in lateinischer Sprache abgefaßt. Wo es jedoch entstanden ist, kann nicht ermittelt werden. Es liegen lediglich zwei Handschriften vor, wobei die ältere aus dem 13. Jahrhundert und die jüngere aus dem 14. Jahrhundert stammt. Letzteres Manuskript stammt aus einer Karthause bei Mainz.28

3.3.2 Schrifttext

29 (62) Josef aber ging voraus in die Stadt. Maria aber ließ er zusammen mit Simeon, seinem Sohn, zurück, weil sie schwanger war und langsamer vorankam. Er betrat seine Vaterstadt Betlehem, und mitten in der Stadt stehend sprach er: „Nichts anderes ist gerecht, außer daß jemand seine Vaterstadt liebt. Sie ist nämliche eines jeden Menschen Raststätte, und bei seinem eigenen Stamm kann er ausruhen. Ich aber sehe dich nach langer Zeit wieder, Betlehem, gutes Haus des Königs und Gottespropheten David.“

(63) Und als er umherging, sah er einen abseits gelegenen Stall und sagte: „An diesem Ort muß ich bleiben, denn er scheint mir der Aufnahme von Reisenden zu dienen. Für mich gibt es nämlich weder ein Gasthaus noch eine Herberge, wo wir rasten können.“ Und er sah sich um und sprach: „Diese Wohnstätte ist zwar bescheiden, aber für Arme passend, besonders, weil sie abseits vom Lärm der Menschen liegt, so daß er der Wöchnerin nicht schaden kann. Deshalb muß ich an diesem Ort mit allen meinen Leuten Rast machen.“

(72) In jener Stunde ruhte alles in tiefem Schweigen und in Angst.30

Die Winde flauten ab und wehten nicht mehr, von den Blättern der Bäume regte sich keins mehr, kein Rauschen der Wasser war zu hören, es gab kein Wogen des Meeres, und alle Wasserquellen schwiegen. Keine Stimme von Menschen erklang, und es herrschte ein tiefes Schweigen. Denn das Himmelsgewölbe hörte von jener Stunde an auf, sich im Lauf zu bewegen. Das Maß der Stunden war fast vorübergegangen; alles hatte geschwiegen, staunend und in großer Angst, in Erwartung der Ankunft Gottes aus der Höhe und des Endes der Zeiten.

(73) Da also die Stunde nahte, kam die Kraft Gottes offen zum Vorschein. Das Mädchen stand da, schaute zum Himmel und wurde wie ein Weinstock. Die Zeit der guten Dinge schritt schon voran. Als aber das Licht hervorgegangen war, betete sie den an, von dem sie sah, daß sie ihn geboren hatte. Das Kind selbst aber sandte Strahlen aus wie die Sonne, kraftvoll, rein und lieblich anzuschauen, da es allein als Friede, überall Frieden verbreitend, erschien. In jener Stunde, da es geboren wurde, hörte man die Stimme vieler unsichtbarer Wesen, die einstimmig sagten: “Amen“. Und das Licht selbst, das geboren war, wurde stärker, und die Helligkeit seines Lichtes verdunkelte das Licht der Sonne. Und die Höhle wurde erfüllt von dem hellen Licht zusammen mit dem süßesten Duft. So wurde dieses Licht geboren, wie Tau vom Himmel herabsteigt auf die Erde. Denn sein Duft riecht besser als aller Wohlgeruch von Salböl.

(75) Als Simeon das vernommen hatte, antwortete er: „Glückselige Frau, die du würdig warst, diese neue und heilige Vision zu schauen und zu verkündigen! Auch ich bin glücklich, der ich dies hören, wenn auch nicht sehen, durfte und dennoch glaubte.“ Da sagt zu ihm die Hebamme: „Ich habe dir noch eine wunderbare Sache zu berichten, daß du staunen wirst!“ (...) Da sagte die Hebamme zu ihm: „Du aber, Herr, bist mein Zeuge, daß ich sie mit meinen Händen berührte und das Mädchen, das geboren hatte, als Jungfrau fand, nicht nur unmittelbar nach der Geburt, sondern auch (...) vom Geschlecht des Mannes. In dieser Stunde rief ich mit lauter Stimme und pries Gott, fiel auf mein Angesicht und betete an. Danach ging ich nach draußen. Josef aber wickelte das Kind in Windeln und legte es in einer Krippe.“

3.4. Pseudo-Matthäusevangelium

3.4.1 Genese

Das Pseudo-Matthäus-Evangelium ist wohl das einflußreichste Kindheitsevangelium; es hat großen Einfluß auf Kunst und Literatur ausgeübt.31 Es entstand im 8. oder 9. Jahrhundert und wurde in karolingischer Zeit zusammengefaßt. Kunsthistorische Zeugnisse lassen genauer auf die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts schließen.32

3.4.2 Schrifttext

33 Kapitel 13:

(1) Es geschah aber nach einer kurzen Zeit, daß eine Anmeldung erfolgen mußte aufgrund eines Ediktes des Kaisers Augustus, daß jeder sich in seiner Heimat melden mußte. Diese Anmeldung wurde durchgeführt unter Quirinius, dem Statthalter Syriens. Es war erforderlich, daß Josef sich mit Maria in Betlehem meldete, weil er von dort stammte und Maria aus dem Stamm Jude und dem Haus und der Heimatstadt Davids (kam).
(2) (...) Und dort gebar sie einen Knaben, den Engel umstanden während und nach seiner Geburt. Sie sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und auf Erden Friede den Menschen seiner Huld!“
(3) (...)
(4) (...)
(5) (...)
(6) Auch Schafhirten versicherten, sie hätten Engel gesehen, die mitten in der Nacht einen Hymnus sangen, Gott im Himmel lobten und priesen und verkündigten, der Heiland aller sei geboren: der Herr Christus, in dem das Heil Israels wiederhergestellt wird.
(7) Aber auch ein ungeheuer heller Stern leuchtete vom Abend bis zum Morgen über der Höhle, der so groß war, wie man noch keinen gesehen hat seit Erschaffung der Welt. Und Propheten, die in Jerusalem waren, sagten, daß dieser Stern die Geburt Christi anzeige, der nicht nur für Israel die Verheißung verwirklichen werde, sondern für alle Völker.

Kapitel 14:

Am dritten Tag der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und gingen in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe; Ochs und Esel huldigtem ihm. Da ging in Erfüllung, was der Prophet Jesaja gesagt hatte: „Es kennt der Ochse seinen Besitzer und der Esel in der Krippe seinen Herrn.“ Die Tiere nahmen ihn in ihre Mitte und huldigten ihm ohne Unterlaß. So erfüllte sich der Ausspruch des Propheten Habakuk: „In der Mitte zwischen zwei Tieren wirst du bekannt werden.“ An demselben Platz blieben Josef und Maria mit dem Kind drei Tage lang.

Kapitel 15:

(1) Am sechsten Tag gingen sie nach Betlehem hinein, wo sie am siebten Tag weilten. Am achten Tag aber beschnitt man den Knaben und nannte ihn Jesus, wie er vom Engel genannt worden war, noch vor der Empfängnis im Schoß (seiner Mutter). Nachdem für Maria die Tage der Reinigung nach dem Gesetz des Mose vorbei waren, brachte Josef das Kind in den Tempel des Herren. Als das Kind die Beschneidung empfangen hatte, brachten sie für es zwei Turteltauben und zwei junge Tauben als Opfer dar.
(2) Es befand sich aber im Tempel ein vollkommener und gerechter Gottesmann namens Simeon, einhundertundzwölf Jahre alt. Er hatte vom Herrn den Bescheid erhalten, er werden den Tod nicht kosten, ehe er Christus, den Sohn Gottes im Fleische, gesehen habe. Als er das Kind sah, rief er mit lauter Stimme: „Heimgesucht hat Gott sein Volk und erfüllt hat der Herr sein Versprechen.“ Er eilte hinzu und betete das Kind an. Und danach nahm er es auf in seinen Mantel, betete es wieder an, küßte ihm die Fußsohlen und sprach: „Nun, Herr, entläßt du deinen Knecht gemäß deinem Wort in Frieden; denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das du vor dem Angesicht aller Völker bereitet hast: ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel.
(3) Im Tempel des Herrn befand sich auch die Prophetin Hanna, eine Tochter Penuels aus dem Stamme Ascher. Sie hatte mit ihrem Mann nach ihrer Zeit als Jungfrau sieben Jahre gelebt; sie war Witwe, nun schon vierundachtzig Jahre. Niemals verließ sie den Tempel des Herrn, dem Fasten und dem Gebet hingegeben. Sie trat hinzu, betete das Kind an und sagte, in ihm sei die Erlösung der Welt.

Kapitel 16:

(1) Nach zwei Jahren kamen Magier aus dem Morgenland nach Jerusalem und brachten ansehnliche Geschenke. Sie befragten die Juden eindringlich und sagten: „Wo befindet sich der König, der euch geboren worden ist? Wir haben nämlich seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen.“ Dieses Gerücht gelangte zum König Herodes. Er geriet dermaßen in Schrecken, daß er (Boten) zu den Schriftkundigen, den Pharisäern und den Lehrern des Volkes schickte, damit er herausbekomme, wo nach der Voraussage der Propheten Christus geboren werden sollte. Sie sagten ihm: „In Betlehem in Judäa. So nämlich steht geschrieben: Und du, Betlehem in Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas. Denn aus dir wird hervorgehen der Führer, der mein Volk Isarel regieren wird.“ Da ließ Herodes die Magier kommen und forschte bei ihnen sorgfältig nach dem Termin, zu dem sie den Stern entdeckten. Er schickte sie nach Betlehem und sagte:

„Geht und fragt sorgfältig nach dem Knaben! Und wenn ihr ihn gefunden habt, macht mir Meldung, damit auch ich hingehe und ihm huldige!“

(2) Als sich die Magier auf dem Weg befanden, erschien ihnen der Stern. Er zog ihnen voraus, als wenn er ihnen als Herold diene, bis sie zu der Stelle kamen, wo sich der Knabe befand. Als sie aber den Stern erblickten, ergriff sie eine große Freude. Sie betraten das Haus und fanden das Jesuskind auf dem Schoß der Mutter sitzend. Dann taten sie ihre Schätze auf, und mit ungeheuer wertvollen Gaben beschenkten sie Maria und Josef. Dem Kind selbst aber brachten sie jeder ein Goldstück dar. Danach überreichte einer Gold, der andere Weihrauch und der dritte Myrrhe. Als sie zu Herodes zurückkehren wollten, wurden sie bei Nacht von einem Engel davor gewarnt, wieder zu Herodes zu gehen. Sie indessen huldigtem dem Kind in aller Freude, und auf einem anderen Weg kehrten sie in ihr Land zurück.

Kapitel 17:

(1) Als Herodes sah, daß die Magier mit ihm ihr Spiel getrieben hatten, entbrannte sein Herz vor Zorn. Er schickte die Häscher auf alle Straßen, um sie zu verhaften und umzubringen. Als er sie überhaupt nicht ausfindig machen konnte, schickte er (Schergen) nach Betlehem und ließ alle Kinder von zwei Jahren und jünger ermorden, entsprechend der Zeit, die er von den Magiern erfragt hatte.
(2) Einen Tag, bevor das geschehen sollte, wurde Josef im Schlaf von einem Engel des Herrn ermahnt, der ihm sagte: „Nimm Maria und das Kind, und zieh auf einer abgelegenen Straße nach Ägypten!“ Josef aber machte sich auf den Weg, wie ihm der Engel geboten hatte.

3.5 Die Geburt Mariens

3.5.1 Genese

Diese Schrift erscheint als ein erweiterter Auszug aus dem Pseudo-Matthäus- Evangelium. Es wurde Paschachius Radbertus (+859) zugeschrieben. Da das älteste Zeugnis über diese Schrift von Bischof Fulbert von Chartres (+1028) stammt, wird als Entstehungszeit das 9. Jahrhundert angenommen.34 Es handelt von Maria und ihrem wunderbaren Leben bis zur Geburt Jesu und beschränkt sich somit auf den Teil des Protevangelium des Jakobus, das sich auf das Leben Mariens bezieht.3

Wesentliche Grundzüge dieser Schrift wurden in der „legenda aurea“ aufgenommen.36

3.5.2 Schrifttext

37 Kapitel 4:

(1) Darauf erschien er seiner Frau Anna und sagte: „Fürchte Dich nicht, Anna, du sollst nicht meinen, was du siehst, sei ein Gespenst. Ich bin nämlich jener Engel, der eure Gebete und Almosen vor dem Angesicht Gottes darbrachte. Und jetzt bin ich zu euch gesandt, um euch die bevorstehende Geburt einer Tochter zu verkündigen. Sie wird Maria heißen und mehr als alle Frauen gesegnet sein. Sie wird von Geburt an sogleich voll der Gnade des Herrn sein und die drei Jahre (bis zu) ihrer Entwöhnung im väterlichen Haus verweilen; (...)

Kapitel 9:

(1) In diesen Tagen, nämlich der ersten Zeit seines Erscheinens in Galiläa, wurde zu ihr von Gott der Engel Gabriel gesandt, der ihr den Plan des Herrn erzählen und die Weise und den Verlauf ihrer Empfängnis erklären sollte. Als er bei ihr eintrat, erfüllte er die Kammer, in der sie sich aufhielt, mit einem hellen Licht und grüßte sie sehr huldvoll und sagte: „Sei gegrüßt; Maria, dem Herrn wohlgefällige Jungfrau, Jungfrau voll Gnade! Der Herr ist mir dir. Du bist gesegnet vor allen Frauen, gesegnet vor allen bisher geborenen Menschen.“
(2) Die Jungfrau aber kannte den Anblick von Engeln schon gut, und das himmlische Licht war für sie nicht ungewohnt. So erschrak sie weder vor dem Anblick des Engels noch vor der Stärke des Lichtes, sondern lediglich durch seine Rede wurde sie verwirrt. Sie begann nachzudenken, was dieser so ungewohnte Gruß bedeuten könnte, was er anzeige und welchem Zweck er diene. Dieser Überlegung entgegnete der Engel aufgrund göttlicher Eingebung: „Fürchte nicht“, sagte er, „Maria, ich komme mit diesem Gruß etwas verbergen, was deiner Keuschheit entgegensteht! Du hast nämlich Gnade gefunden beim Herrn, da du die Keuschheit gewählt hast: Deshalb wirst du als Jungfrau ohne Sünde empfangen und einen Sohn gebären.
(3) Er wird groß sein, denn er wird herrschen von Meer zu Meer und vom Strom bis zu den Enden des Erdkreises; und er wird ‚Sohn des Höchsten‘ genannt werden, denn wer niedrig geboren wird auf Erden, wird erhaben herrschen im Himmel. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird herrschen im Hause Jakobs in Ewigkeit. Sein Reich wird kein Ende haben: Er ist der König der Könige und der Herr der Herrschenden, sein Thron besteht in Ewigkeit.
(4) Auf diese Worte des Engels antwortete die Jungfrau, nicht aus Unglauben, sondern weil sie die Weise wissen wollte: „Wie kann dies geschehen? Denn, da ich gemäß meinem Gelübde niemals einen Mann erkenne, wie kann ich gebären ohne Wachstum männlichen Samens?“ Dazu sagte der Engel: „Du mußt nicht meinen, daß du auf menschliche Weise (dein Kind) empfängst: Denn ohne Verkehr mit einem Mann wirst du empfangen, als Jungfrau gebären, als Jungfrau (das Kind) nähren. Denn der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten dich überschatten, gegen alle Gluten der Begierde. Deshalb wird auch das Kind, das aus dir geboren wird, als einziges heilig sein, weil es, als einziges ohne Sünde empfangen und geboren, Sohn Gottes genannt wird.“ Da breitete Maria die Hände aus, erhob die Augen zum Himmel und sagte: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, denn ich bin nicht wert, Herrin genannt zu werden. Mir geschehe entsprechend deinem Wort!“
(5) Zu lang und manchem auch zuwider würde es sein, wenn wir in dieses kleine Werk all das aufnehmen wollten, was wir über die Vor- und Nachgeschichte der Geburt des Herrn lesen können. Deshalb wollen wir weglassen, was im Evangelium ausführlicher geschrieben steht, und uns dem zuwenden, was man für weniger erzählenswert hält.

Kapitel 10:

(1) Josef also kam von Judäa nach Galiläa und hatte vor, die mit ihm verlobte Jungfrau als Gattin heimzuführen. Drei Monate waren nämlich schon verflossen, und der vierte brach an, seit sie mit ihm verlobt war. Inzwischen wuchs das Kind im Mutterschoß heran, und die Schwangerschaft begann offenkundig zu werden. Das konnte auch Josef nicht verborgen bleiben. Denn nach Art eines Verlobten trat er unbefangen bei der Jungfrau ein und, vertraut mir ihr sprechend, entdeckte er, daß sie schwanger war. Er begann, sich aufzuregen und hin und her zu überlegen, denn er wußte nicht, was er am besten tun sollte. Er wollte sie weder ausliefern, weil er gerecht war, noch wegen Ehebruchs in Verruf bringen, denn er war mild gesonnen. Deshalb dachte er daran, die Ehe heimlich zu scheiden und sie insgeheim zu entlassen.
(2) Als er so überlegte, siehe, da erschien ihm nachts ein Engel des Herrn und sagte: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht! Das bedeutet: Hege nicht den Verdacht auf Ehebruch gegen die Jungfrau, und denk nichts Übles über sie! Hab auch keine Furcht, sie als Gattin heimzuführen. Denn, was in ihr entstanden ist, und nun deine Seele ängstigt, ist nicht Werk eines Menschen, sondern des Heiligen Geistes. Sie wird nämlich, als einzige von allen Jungfrauen, den Sohn Gottes gebären. Und du sollst in ‚Jesus‘ nennen, das heißt ‚Retter‘. Denn er wird sein Volk heilen von seinen Sünden.
(3) Also nahm Josef, entsprechend der Weisung des Engels die Jungfrau zur Gattin. Dennoch erkannte er sie nicht, sondern behütete sie in keuscher Fürsorge. Schon nahte der neunte Monat seit der Empfängnis, als Josef seine Frau und alles Notwendige mitnahm und nach Betlehem, der Stadt, aus der er stammte, aufbrach. Es geschah aber, als sie dort waren, erfüllten sich die Tage, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wie die Evangelisten lehrten, unseren Herrn Jesus Christus, der mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.

4 Biblische Ursprünge in den apokryphen Weihnachtserzählungen

Wie bereits im Kapitel 4 zu den einzelnen apokryphen Texten ausgeführt wurde, besteht in der Datierung der einzelnen Texte Einigkeit darüber, daß diese Texte allesamt nach den kanonischen Evangelien verfaßt wurden. Wie Altaner feststellt, wurden die Apokryphen auch als „Erbauungs- und Unterhaltungsschriften“38 verfaßt. Aus diesen Texten „sprach ganz einfach die rührende Wißbegierde der ersten Christen; die Scharen der Gläubigen wollten so viel wie möglich über die Dinge erfahren, die ihnen am meisten am Herzen lagen; sie wollten alle Einzelheiten wissen: vor allem über die Abschnitte des Lebens Jesu, über die sich die amtlichen Texte ausschweigen.“39

Deshalb erscheint es angebracht, die Apokryphen in ihrer Abhängigkeit von den älteren Evangelien des Neuen Testamentes zu betrachten.40 In diesem Teil der Arbeit sollen die apokryphen Texte, deren Ursprünge in den biblischen Kindheitsevangelien zu finden sind, kurz skizziert werden.41 Eine Berücksichtigung aller biblischen Ursprünge (d.h. zum Beispiel auch die Berücksichtigung alttestamentlicher Bezüge) würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb wird darauf verzichtet.

4.1 Das Protevangelium des Jakobus

Gerade an dieser apokryphen Schrift läßt sich besonders schön die Komposition erkennen.42 Um den Mittelpunkt dieser Schrift, die immer wieder biblische Schriftstellen aufgreift (Kapitel 11-22), ranken sich neue Geschichten von Joachim und Anna, der Geburt Mariens bis zur ‚Verlobung‘ Josefs mit Maria nach göttlichem Willen (Kapitel 1-10), sowie der Flucht Elisabeths mit Johannes bis zur Nachfolgeregelung des Zarachrias, der ermordet wird (Kapitel 22-24).43

Doch auch der mittlere Teile ist durchwirkt von großen Anteilen apokrypher Texte. So kann festgestellt werden, „daß der meiste Stoff keine Grundlage in den Kindheitsevangelien nach Matthäus und nach Lukas"44 hat, wenngleich auch ein deutlicher Bezug zu diesen kanonischen Evangelien deutlich wird.45 Der Grund, daß die kanonischen Evangelien nur in dieser Schrift fragmentarisch eingewirkt wurden, mag in der ursprünglichen Intention dieser Schrift liegen, die den Hauptaugenmerk auf das Leben Mariens legt, wie der ursprüngliche, alte Titel dieser apokryphen Schrift nahelegt: ‚Geburt Marias‘.46

Biblischen Bezug bezeugen die

Kapitel 12: Verkündigung an Maria (vgl. Lk 1, 26-38)

Kapitel 13: Besuch Marias bei Elisabeth (vgl. Lk 1,39-56)

Kapitel 14: Die Erscheinung des Engels Josef im Traum (vgl. Mt 1,20-24)

Kapitel 17: Die Reise nach Betlehem (vgl. Lk 2,4)

Kapitel 21: Die Magier und ihre Anbetung (vgl. Mt 2, 1-12)

Kapitel 22: Der Tötungsbefehl des Herodes (vgl. Mt 2,16)47

4.2 Das arabische Kindheitsevangelium

Das arabische Kindheitsevangelium, das hier in der Ausgabe von H. Sike veröffentlicht wurde,48 zeigt bei seinem Aufbau einen anderen Rückgriff auf die biblischen Kindheitsevangelien. Die meisten Bezüge auf die biblischen Kindheitsevangelien sind im ersten Teil zu finden. Da der vollständige Text bei dieser Arbeit nicht vorgelegen hat, kann hier nur auf die Übersicht bei Gerhard Schneider zurückgegriffen werden.49

Danach wird im ersten Teil (in den Kapiteln 1 - 9) die Weihnachtsgeschichte aufgenommen, die jedoch umfangreich durch nichtbiblische Erzählungen erweitert wird. Dieser erste Teil erscheint auch weitgehend abhängig von Protevangelium des Jakobus zu sein.50

Wo das arabische Kindheitsevangelium auf biblische Evangelien zurückgreift, fällt auf, daß dies im Wesentlichen im Rückgriff auf das LukasEvangelium geschieht:

Kap. 1: Worte Jesu in der Wiege (vgl. Lk 1,26-38)

Kap. 2: Reise nach Betlehem (vgl. Lk 2,1-5)

Kap.3,2: Maria und die Hebamme (vgl. Lk 2,6f)

Kap 4: Die Huldigung der Hirten (vgl. Lk 2, 8 - 18)

Kap 5: Beschneidung Jesu (vgl. Lk 2,21)

Kap 6: Darstellung im Tempel (vgl. Lk 2,22)51

Lediglich zwei Kapitel der Weihnachtserzählungen im arabischen Kindheitsevangelium beziehen sich auf das Matthäus-Evangelium:

Kap. 10: Flucht nach Ägypten (vgl. Mt, 2,13-15)

Kap. 26: Heimkehr nach Israel (vgl. Mt, 2, 19-23).52

4.3. Das Lateinische Kindheitsevangelium

Obwohl die Quellenfrage zu diesem Kindheitsevangelium schwer zu verifizieren ist,53 wird bisher daran festgehalten, daß das Lateinische Kindheitsevangelium im Wesentlichen vom Protevangelium des Jakobus abhängig und mit dem Pseudo-Matthäusevangelium verwandt ist.54 Die vielfältige Abhängigkeit zu anderen Apokryphen scheint auch ein Grund dafür zu sein, daß es keinen direkten Rückgriff auf die biblischen Weihnachtserzählungen gibt. Lediglich in folium 75 scheint es einen direkten Rückgriff auf Lk 2,6 zu geben. Allerdings ist im Lukas-Evangelium Maria das Subjekt des Satzes.55 Im Lateinischen Kindheitsevangelium heißt es: „Josef aber wickelte das Kind in Windeln und legte es in eine Krippe.“56 Und nur in folium 62-63 finden sich noch Andeutungen an das Lukas-Evangelium. So heißt es in folium 62: „Josef aber ging voraus in die Stadt. (...) und mitten in der Stadt stehend sprach er: „(...) Ich aber sehe dich nach langer Zeit wieder, Betlehem, gutes Haus des Königs und Gottespropheten David.“57 Hier ist ein Bezug zu Lk 2,1-5 zu erkennen.58

Und nachdem Josef einen Stall fand, heißt es in folium 63, daß er sprach: „Für mich gibt es nämlich weder ein Gasthaus noch eine Herberge, wo wir rasten können.“59

Das Motiv der Herberge ist ein Motiv aus Lk. 2,7.

4.4. Das Pseudo-Matthäus-Evangelium

Auch im Pseudo-Matthäus-Evangelium ist der direkte Rückgriff auf die biblischen Weihnachtserzählungen eher minimal. Wo dieser Rückgriff stattfindet, erfolgt dies meist nacherzählend.

Interessant ist dabei auch, daß das Pseudo-Matthäus-Evangelium dabei gerade bei der eigentlichen Geburtsszene nur sehr knapp die biblischen Weihnachtserzählungen aufgreift,60 während es bei der Darstellung im Tempel61, der Huldigung durch die Weisen62 sowie dem Kindermord in Betlehem und der Flucht nach Ägypten 63 sich stark an den biblischen Weihnachtserzählungen des Matthäus-Evangeliums und des Lukas- Evangeliums anlehnt.

4.5 Die „Geburt Mariens“

Wie der Titel dieses Werkes verrät, liegt der Hauptaugenmerk dieser Schrift auf der Darstellung der (wunderbaren) Geburt Mariens. So kann dieses Werk mit Recht als „Vorgeschichte zu den kanonischen Evangelien“64 bezeichnet werden.

Auffällig und interessant ist dabei zugleich, festzustellen, daß dort, wo diese Schrift auf die biblischen Weihnachtserzählungen zurückgreift, dies häufig steinbruchartig erfolgt, wobei diese Rückgriffe in einem neuen Erzählzusammenhang gesetzt werden.

So sagt zum Beispiel der Engel, der Anna die Geburt Mariens ankündigt, zu ihr: „Sie wird Maria heißen und mehr als alle Frauen gesegnet sein.“65 Bei Lukas ist es Elisabeth, die diese Wort spricht, als Maria sie besucht.66 Und der Verkündigungsengel sagt gegenüber Anna von Maria: „Sie wird von Geburt an sogleich voll der Gnade des Herrn sein...“67. Das Maria begnadet sei, sagt ihr der Verkündigungsengel bei Lukas selbst.68 Zugleich kommt es noch einmal zu einem wiederholten Rückgriff auf die Verkündigungsszene des Lukas-Evangeliums im 9. Kapitel dieser Schrift.69 Dort steht dann selbst, daß der Verfasser dieser Schrift kein Interesse daran hat, die „Vor- und Nachgeschichte der Geburt des Herrn“70 widerzugeben. Dementsprechend verwundert es nicht, daß das Kapitel 10 sich nur in einigen zusammenfassenden Worten dieses Heilsereignisses widmet, wobei es dies im Rückgriff auf die Weihnachtserzählungen nach Matthäus und Lukas macht.71

5 Apokryphe Weihnachtserzählungen als Bestandteil der christlichen Weihnachtsverkündigung

Obwohl die Apokryphen keine kanonische Anerkennung erhalten haben, haben sie vielfältig die christliche Weihnachtsverkündigung geprägt. In diesem Kapitel sollen einige Beispiele dafür genannt werden.

5.1 Ochs und Esel in der weihnachtlichen Geburtsszene

Keine der kanonisierten Bibelstellen berichten von Ochs und Esel in der Krippe. Und dennoch wäre eine Krippendarstellung neben der hl. Familie, dem Verkündigungsengel und den Hirten ohne sie fast unvorstellbar. Im Pseudo-Matthäus-Evangelium, in Kapitel 14, finden wir den Grund hierfür. Denn hier werden Ochs und Esel ausdrücklich erwähnt. Sie huldigem dem Kind. Mit ihrer Anwesenheit erfüllen sie die Prophezeiung der Propheten Jesaja und Habakuk.72 Letzterer prophezeit: „ In der Mitte zwischen zwei Tieren wirst du bekannt werden.“73

Wobei eine solche Übersetzung nur nach dem griechischen Text der Septuaginta möglich ist.74 In der hebräischen und lateinischen Fassung müßte die Übersetzung lauten: „Laß es in diesen Jahren geschehen, offenbare es in diesen Jahren!“75

So verdanken wir Ochs und Esel in der Krippe vielleicht nur einem Übersetzungsfehler.76 Ochs und Esel wurden als Allegorie des Juden- und Christentums verstanden.77

5.2 Geburtsgrotte oder (Ochsen-)Krippe?

In der westlichen Kirche wird in der christlichen Kunst - bis zum heutigen Tage - die Geburtsszene Jesu meist in einer Krippe dargestellt. So zeigt das früheste erhaltene Geburtsbild (um 320/325): Jesus in der Krippe, Ochs und Esel, ein oder mehrere Hirten.78

Doch für Weihnachtsikonen der Ostkirche typisch ist die Darstellung der Geburt Jesu in einer Höhle oder Grotte.79 Wie ist das zu erklären? Im Protevangleium des Jakobus heißt es: „Und sie (gemeint sind die Hebamme und Josef) traten an den Ort der Höhle. Und eine finstere Wolke überschattete die Höhle.“80 Und das Pseudo-Matthäus-Evangelium berichtet: „... und er (gemeint ist Josef) gebot Maria, vom Tier abzusteigen und eine unterirdische Höhle zu betreten.“81 Erst in Kapitel 14,1 des Pseudo- Matthäus-Evangelium ist die Rede von einer Krippe: „Am dritten Tag nach der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und ging in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe; Ochs und Esel huldigtem ihm.“82 Und das Protevangelium des Jakobus weiß zu berichten, daß diese Krippe eine Ochsenkrippe war.83

Man kann mutmaßen, daß sich wegen der Ablehnung der Apokryphen im Westen der Typus der Krippendarstellung durchgesetzt hat.84

5.3 Caspar, Melchior und Balthasar

„Wir kommen daher aus dem Morgenland, wir kommen geführt von Gotteshand. Wir wünschen Euch ein fröhliches Jahr. Kaspar, Melchior und Balthasar.“85

Mit diesem Lied begrüßen die Kinder und Jugendlichen heute noch alljährlich zur Weihnachtszeit als Sternsinger die Haushalte. Unstreitig verkleidet als die drei Könige/Weisen aus dem Morgenland nach Mt 2,1-12, stellen sie sich als Caspar, Melchior und Balthasar dar. Doch im biblischen Kanon sind ihre Namen nicht zu finden. Auch hier löst ein Blick in die Apokryphen ihr Namensgeheimnis.

So nennt das armenische Kindheitsevangelium86 diese Namen: Ursprünglich: Gaspar, Melquon und Balthasar. Es sind königliche Brüder: Gaspar (später auch: Caspar) ist König von Arabien, Melquon (später zu Melchior) ist König von Persien und Balthasar König von Indien.87

Nun sind kirchlicherseits diese Namen nicht offiziell als Namen der drei Weisen akzeptiert. Interessant ist aber, daß die Namenskürzel scheinbar in dem Segen, den die Sternsinger über jedes Haus/jede Wohnung anbringen, diskret verarbeitet wurden:

‚19 * C + M + B + 99‘. So schreiben die Sternsinger den Segen. Die Buchstaben, die als Namenskürzel für die Weisen Caspar, Melchior und Balthasar stehen und vom jeweiligen Jahresdatum eingerahmt werden, werden nun aber als Anfangsbuchstaben eines Segens verstanden: „[C]hristus [M]ansionem [B]enedicat“, daß heißt: ‚Christus segne diese Wohnung!‘

5.4 Die Jungfräulichkeit Mariens

Im Jahr 649 fand die Römische Kirchenversammlung im Lateran unter Papst Martin I. statt. Sie erklärte: „Wer nicht mit den Heiligen Vätern im eigentlichen und wahren Sinne die heilige und immer jungfräuliche (..)

Maria (..) bekennt, da sie (...) unversehrt geboren hat, indem unverletzt blieb ihre Jungfrauenschaft auch nach der Geburt: der sei verworfen.“ 88 Das, was hier in sehr dogmatischem Ductus formuliert wurde, findet sich so nicht in den kanonischen Evangelien. Wohl die Apokryphen entfalten in sehr anschaulicher Weise diese Glaubenslehre von der Jungfräulichkeit Mariens vor und auch nach der Geburt Jesu.

Als ältestes Zeugnis dieses Glaubens sei hier Kap. 19,2-20 des Protevangeliums des Jakobs genannt89.

Wie schon an anderer Stelle festgestellt wurde, lag dieses Evangelium bereits um das Jahr 200 vor, also ca. 450 Jahre bevor die Römische Kirchenversammlung von 649 diesen Glaubenssatz manifestierte. Noch einmal klar formuliert wurde dieser Glaubenssatz von Papst Paul IV (1555) in seiner Konstitution „Cum quorundam“90: „ (Es wird die Meinung verurteilt: ) daß er (Jesus Christus) dem Fleische nach nicht im Schoße der seligsten immer jungfräulichen Mutter Maria vom Heiligen Geist, sondern, wie die übrigen Menschen, aus dem Samen Josephs empfangen wurde [..] oder daß dieselbe seligste Jungfrau Maria nicht wirklich Gottesmutter sei, daß sie nicht immer in unversehrter Jungfrauschaft verblieben sei, nämlich vor der Geburt, in der Geburt und immerdar nach der Geburt. [..]”.

6. Apokryph und nicht kanonisch

Die ganze Diskussion, warum die Apokryphen nicht kanonisiert wurden, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend dargestellt werden. Deshalb soll dies hier nur überblicksartig geschehen. Dabei spielen einige Prinzipien eine bedeutende Rolle.

Wolfgang Beinert stellt dazu fest: „Kriterien für die Aufnahme einer Schrift in den Kanon sind Apostolizität (Herkunft von den Aposteln oder ihren Schülern), liturgischer Gebrauch (Hinweis auf die existentielle Bedeutung) und kirch. Rezeption (Entsprechung zur Glaubensregel [kánon tès písteos], d.h. zu den frühchristlichen Glaubensbekenntnissen).“91

Doch ist es im strengen Sinne nicht möglich, eine detailierte Kanongeschichte zu schreiben.92 Und auch die Anwendung der genannten Prinzipien kann streng genommen nicht nachgewiesen werden.93 Vielmehr vollzog sich die Kanonisierung in einem langen und sehr uneinheitlichen Prozeß.94

Worin sind die Gründe für eine Kanonisierung zu sehen?

Die Verbreitung „synkretistischer Durchsetzung“95, die Beanspruchung apostolischer Autorität einiger Apokryphen96, die Apologie gegenüber gnostischer und anderer Irrtümer97 zwangen die Kirche zur Erstellung eines biblischen Kanons. In ihm sollten die Schriften aufgenommen werden, die die christliche Überlieferung vollständig und unverfälscht enthalten.98 Dabei spielte die Mitte des christlichen Kerygmas eine entscheidende Rolle.99 Daniel-Rops kommt deshalb in diesem Zusammenhang zu der Feststellung, „daß die „apokryphen Evangelien“ nichts zur Offenbarung beitragen“100. So ist beim Matthäus-Evangelium die Passionsgeschichte zum Beispiel der Höhepunkt, der auch das Osterereignis mit einbezieht. Von daher bekommt der Rest des Evangeliums seine Bedeutung.101

Auch in den Kindheitsevangelien wird deutlich, daß die Apokryphen Jesus als göttlichen Menschen erscheinen lassen, während die kanonischen Evangelien einen großen Wert auf die Betonung seiner Menschenkindheit legen.102

Daniel-Rops mutmaßt zudem, daß die Apokryphen den Versuch unternehmen, die Texte des Neuen Testamentes mit denen des Alten Testamentes in Einklang zu bringen, in dem man einzelne Teile der Bibel den Glaubenserfordernissen der damaligen Zeit anpaßte.103 Er sieht ferner in einem Mangel an Zartgefühl und einer gewissen Taktlosigkeit die Gründe einer abgelehnten Kanonisierung.104

Wie dem auch sei: Die Kanonisierung der Bibel erscheint als eine notwendige Zusammenstellung von Schriften, um die christliche Überlieferung gegen Korrekturversuche auch der Apokryphen zu schützen.105

7 Schluß

Obwohl sie nicht direkt Gegenstand der pastoralen und theologischen Glaubensverkündigung und kirchenamtlicherseits nicht als Hl. Schrift (vgl. Kanon) anerkannt sind, haben die Weihnachtserzählungen in den apokryphen Kindheitsevangelien bis zum heutigen Tag einen wichtigen Anteil an der Weihnachtsverkündigung und am weihnachtlichen Brauchtum.

Selbst ihre teilweise Verurteilung als häretische Schriften konnte dies nicht verhindern.

Auch wenn den Apokryphen bescheinigt wird, sie trügen nichts zur Offenbarung bei, haben sie zumindest mittelbar zu dem beigetragen, was noch heute Christen wir Nichtchristen unter Weihnachten verstehen.

Und in dem sie sich in wesentlichen Punkten auf die kanonischen Evangelien beziehen, obwohl sie mitunter auch sehr frei und phantasievoll die biblischen Texte weiterverarbeitet haben, war es ihnen leicht gemacht, vom gläubigen Volk in den Glaubensalltag integriert zu werden.

‚Geschätzt und verworfen!‘: In dieser Spannung fristen auch heute noch die Weihnachtserzählungen der apokryphen Kindheitsevangelien ihr Dasein.

Doch die Beschäftigung mit ihnen - und das wollte diese Arbeit ansatzweise zeigen -, macht deutlich, daß unser weihnachtliches Brauchtum (z.B. die Krippendarstellungen von Ochs und Esel und die Sternsinger) und die Weihnachtsverkündigung ohne die Weihnachtserzählungen der apokryphen Kindheitsevangelien um einiges ärmer wäre.

Selbst auf dogmatische Lehrentscheidungen des kirchlichen Lehramtes hatten diese Schriften einen maßgeblichen Einfluß, was am Beispiel der Jungfräulichkeit Mariens skizziert werden konnte.

Darin liegt die Bedeutung der Weihnachtserzählungen in den apokryphen Kindheitsevangelien; und darin liegt auch der Grund, sie auch heute noch als einen Teil unseres christlichen Glaubenslebens nicht ignorieren zu können.

8. Literaturverzeichnis

( Die eckigen Klammern „[ ]“ geben die Kurzzitation wider.)

8.1 Quellen

Evangelia infantiae apokrypha - Apokryphe Kindheitsevangelien, übersetzt und eingeleitet von Gerhard Schneider, in: Fontes christiani, Bd. 18, Freiburg, 1995. [Schneider]

Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Freiburg, 4.1990. (Die Kapitel der Heiligen Schrift sind in der allgemein üblichen Form zitiert nach dieser Ausgabe der Hl. Schrift)

Neuner, Josef - Roos, Heinrich, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, neu bearbeitet von Karl Rahner und Karl-Heinz Weger, Regensburg, 12.1986. [NR]

8.2. Sekundärliteratur

Altaner, Berthold/Stuiber, Alfred, Patrologie - Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, Freiburg, 1980. [Altaner]

Bauer, Johannes Bapt., Die Neutestamentlichen Apokryphen, in: Die Welt der Bibel - Kleinkommentare zur Heiligen Schrift, Düsseldorf, 1968. [Bauer]

Beinert, Wolfgang, Kanon, in: Lexikon der katholischen Dogmatik, Freiburg, 3.1991, 298-302.[Beinert]

Daniel-Rops, Henri (Hrsg.), Die Apokryphen Evangelien des Neuen Testaments, Zürich, 1956. [Daniel-Rops]

McLachlan Wilson, Robert, II. Apokryphen des Neuen Testaments, in: TRE, Bd. III, Berlin, 1978, 316-362. [Wilson]

Sachs, Hannelore - Badstübner, Ernst - Neuman, Helga, Christliche Ikonographie in Stichworten, München, 1975. [Sachs]

Spitzing, Günter, Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole - Die Bilderwelt Griechenlands und Kleinasiens, München, 1989. [Spitzing]

Weidinger, Erich, Die Apokryphen - Verborgene Bücher der Bibel, Bechtermünz-Verlag, © by Weltbild-Verlag GmbH, Augsburg, o.A. [Weidinger]

Wilhelm, P., Geburt Christi, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, hrsg. von Engelbert Kirschbaum SJ +, Bd. 2, Freiburg, 1970, 86-120. [Wilhelm]

[...]


1 vgl.Altaner, 117.

2 vgl. Daniel-Rops, 13.

3 vgl. Wilson, 318.

4 vgl. Altaner, 117.

5 vgl. Daniel-Rops, 13.

6 vgl. Wilson, 318. ebenso: Altaner, 117 sowie Daniel-Rops, 13.

7 Daniel-Rops, 14.

8 zitiert nach: Wilson, 319.

9 vgl. Daniel-Rops, 14. Diese Sicht teilt auch Altaner, 117, sowie Wilson, 318.

10 vgl.Beinert,299. Altaner hingegen führt aus: „Die Protestanten nennen die atl. Apokryphen Pseudoepigrapha, die ntl. oft Antilegomena, da sie mit Apocrypha die deuterokanonischen Bücher des AT bezeichnen.“ zitiert nach: Altaner, 117.

11 vgl. Altaner, 125, sowie Schneider, 26f.

12 vgl. Schneider, 21.

13 vgl. Altaner, 125.

14 vgl. Schneider, 21.

15 vgl. Schneider, 22.

16 vgl. Altaner, 125 sowie Schneider, 27.

17 vgl. Altaner, 126, sowie Schneider, 21.

18 vgl. Altaner, 126 sowie Schneider, 21.

19 zitiert nach: Schneider, 97-145.

20 vgl. Altaner, 127.

21 vgl. Schneider, 27.

22 vgl. Schneider, 47.

23 vgl. hierzu: Schneider, 53-55.

24 vgl. hierzu: Schneider, 53f.

25 zitiert nach: Schneider, 174-179; 183-185.

26 vgl. Schneider, 57f.

27 vgl. Schneider, 58f.

28 vgl. Schneider, 55.

29 zitiert nach: Schneider, 199-211.

30 vgl. Weish 18,14f,: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab...“

31 vgl. Schneider, 59, sowie Weidinger, 455.

32 vgl. Schneider, 61f und 65.

33 zitiert nach Schneider, 213-255. Für diese Arbeit werden allerdings nur die relevanten Schriftstellen wiedergegeben.

34 vgl. Schneider, 67f.

35 vgl. Schneider, 66f.

36 vgl. Schneider, 67.

37 zitiert nach Schneider, 259-269.

38 Altaner, 118

39 Daniel-Rops, 17.

40 vgl. hierzu: Fontes, 9.

41 In dieser Arbeit kann dabei nur beispielhaft gearbeitet werden. Eine ausführliche Skizzierung findet sich in Schneider, Apokryphen, in den einzelnen Kapiteln zu den hier bearbeiteten apokryphen Textstellen.

42 vgl. hierzu; Schneider, 22f.

43 vgl. ebd.

44 Schneider, 23.

45 vgl. Wilson, 334.

46 vgl. Altaner, 125.

47 vgl. hierzu auch: Schneider, 22f.

48 vgl. hierzu Schneider, 48.50

49 siehe hierzu, ders., 50f.

50 vgl. Schneider, 52.

51 vgl.ders., 50.

52 vgl. ders., 50f.

53 vgl. ders., 57.

54 vgl., ders. 58.

55 vgl. ders., 211, Fußnote 35.

56 zitiert nach, ders., 211.

57 zitiert nach: ders., 199.

58 vgl. ders., 199, Fußnote 1.

59 zitiert nach: ders., 199.

60 vgl. Kap 13,1; 13,2 und 14,6 des Pseudo-Matthäus-Evangeliums

61 vgl. Kap 15,1 des Pseudo-Matthäus-Evangeliums.

62 vgl. Kap. 16,1f des Pseudo-Matthäus-Evangeliums.

63 vgl. Kap. 17,1f des Pseudo-Matthäus-Evangeliums.

64 Schneider, 67.

65 Kap. 4,1 dieser Schrift.

66 vgl. Lk, 1, 42.

67 Kap. 4,1 dieser Schrift

68 vgl. Lk, 1,28.

69 vgl. Kap. 9,1-4 dieser Schrift.

70 Kap. 9,5.

71 vgl. Kap. 10,1-3 dieser Schrift.

72 vgl. Pseudo-Matthäus-Evangelium, Kap. 14.

73 zitiert nach: Pseudo-Matthäus-Evangelium, Kap. 14.

74 vgl. Daniel-Rops, 19.

75 So in der Einheitsübersetzung der Bibel Hab. 3,2.

76 vgl. Daniel-Rops, 19.

77 Näheres hierzu bei: Sachs, 140 sowie Wilhelm, 92.

78 vgl. Wilhelm, 92.

79 vgl. ders., 96.

80 Protevangelium, Kap. 19,2.

81 Pseudo-Matthäus-Evangelium, 13,2: „... speluncam subterraneam...“, vgl. ferner auch: Pseudo-Matthäus-Evangelium 13,3; 13,7; 14,1.

82 Pseudo-Matthäus-Evangelium, 14,1.

83 vgl. Protevangelium des Jakobus, 22,2.

84 vgl. Wilhelm, 96.

85 Sternsingerlied von Maria Ferschl, aus: Weihnachts-Singebuch II, Christophorus-Verlag, Freiburg,o.A.

86 Es ist leider in der Ausgabe von Schneider nicht veröffentlicht und liegt auch nicht anderweitig vor. Deshalb kann ich mich nur auf Weidinger, 455 beziehen.

87 vgl. hierzu: Weidinger, 455.

88 zitiert nach: NR 195.

89 ferner auch im Lateinischen Kindheitsevangelium 75, sowie im Pseudo-Matthäus- Evangelium, Kap. 13,3-4.

90 nachfolgend zitiert nach NR 473.

91 Beinert, 299.

92 vgl. ebd.

93 vgl. Bauer, 11f.

94 vgl. hierzu näher: Daniel-Rops, 14-16.

95 Bauer, 1

96 vgl. Bauer, 10.

97 vgl. Altaner, 118; Daniel-Rops, 16; Bauer, 10f.

98 vgl. Bauer, 10.

99 vgl. Schneider, 14.

100 Daniel-Rops, 9.

101 vgl. Schneider, 9f.

102 vgl. Schneider, 13f.

103 vgl. Daniel-Rops, 18.

104 vgl. Daniel-Rops, 19.

105 vgl. Beinert, 299.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die Weihnachtsverkündigung in den apokryphen Kindheitsevangelien
Autor
Jahr
1999
Seiten
36
Katalognummer
V107479
ISBN (eBook)
9783640057474
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit ist als Hausarbeit im Rahmen eines Pfarrexamens 1999 entstanden. Sie enthält einige interessante Aspekte unseres heutigen Weihnachtsbrauchtums.
Schlagworte
Weihnachtsverkündigung, Kindheitsevangelien
Arbeit zitieren
Gerd Wittka (Autor:in), 1999, Die Weihnachtsverkündigung in den apokryphen Kindheitsevangelien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107479

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